Wolfgang Engelhardt - Ökologischer Unsinn

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NATURSCHUTZ
Die Trennung von Naturschutz und Umweltschutz
Ökologischer Unsinn
Von Wolfgang Engelhardt
Die Diskussion über Umweltprobleme läuft heute auf zwei Ebenen: Auf
der einen Seite steht der Naturschutz, der sich um den Erhalt von Flora und Fauna
kümmern soll, auf der anderen Seite bemüht sich der eher technikorientierte
Umweltschutz lebenswichtige Elemente wie Luft, Wasser oder Boden reinzuhalten.
Eine Trennung in unterschiedliche Bereiche ist jedoch ein folgenschwerer Irrtum.
er Begriff des Naturschutzes existiert seit
über 100 Jahren. Der Musiker Ernst Rudorff
prägte ihn um 1888. Von Umweltschutz sprechen wir in Deutschland erst seit 1970.
Während den Eröffnungsveranstaltungen des vom
Europarat ausgerufenen „Ersten Europäischen Naturschutzjahres“ in Straßburg sprachen die englischsprechenden Vertreter der Medien nämlich nicht von
„protection of nature“, sondern von „protection of environment“. So kam der Begriff „Umweltschutz“ in Mode.
D
n Willkürliche Trennung
Aus wissenschaftlichen, besonders aus ökologischen
Erkenntnissen, kann die Unterscheidung zwischen
Naturschutz und Umweltschutz nicht begründet werden: Das feste Land, die Binnengewässer, die Meere
und die unteren Schichten der Atmosphäre sind die
Lebensräume der Mikroorganismen, der Pflanzen, der
Tiere und zugleich die natürliche Umwelt des Menschen. Der Planet Erde stellt, abgesehen von der zugestrahlten Sonnenenergie, ein geschlossenes System
dar. In diesem System befinden sich viele für das Leben unentbehrliche Stoffe, u.a. Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Kohlenstoff, in Kreisläufen, die in
vielfachen Wechselbeziehungen miteinander verflochten sind.
Aus Verbindungen der genannten vier Elemente bestehen zum größten Teil auch die Lebewesen, deren
Tätigkeit wiederum für den Ablauf vieler Stoffkreisläufe entscheidend ist. Der Mensch ist direkt oder indirekt in zahlreiche dieser Kreisläufe eingeschaltet.
Im Gesamtsystem Erde stehen die Hauptfaktoren –
geographischer Raum, Rohstoffvorkommen, Bevölkerungszahl, Kapitalinvestition, Erzeugung von Nahrungsmitteln und anderen Waren einerseits und Umweltschädigung bzw. -zerstörung auf der anderen
Seite – in vielfältigen Wechsel- und Rückbeziehungen:
Regelkreisen, in denen die Steuerungsfunktionen von
den Rückwirkungen der Abläufe selbst übernommen
werden. Die Wechselbeziehungen zwischen den Landschaftsfaktoren Luft, Boden, Gewässern, Pflanzenund Tierwelt sind so vielfältig, daß die Beeinträchtigung eines Faktors stets Einwirkungen auf die übrigen nach sich zieht. Die natürliche Umwelt des Menschen ist eine Einheit.
Deshalb habe ich auch im Jahr 1972 bei der Entwicklung der Konzeption für das erste „Umwelt-Ministerium“ der Welt, das „Bayerische Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen“
keinen Augenblick an eine unterschiedliche Gewichtung des biologisch-ökologischen Umweltschutzes (also des Naturschutzes im engeren Sinne, d.h. des Arten- und Biotopschutzes, der Landschaftspflege, des
landschaftsbezogenen Erholungswesens und der
Größenordnung) sowie des technisch-hygienischen
Umweltschutzes (Reinhaltung von Luft und Wasser,
Schutz vor Lärm, harten Strahlen und schädlichen
Chemikalien, Schutz des Bodens und Behandlung
fester Abfälle) gedacht. Wohl aber habe ich großen
Wert darauf gelegt, in das neue Ressort die Politikbereiche „Raumordnung“ und „Landesplanung“ zu integrieren. Nur mit diesen Zuständigkeiten kann nach
meiner Überzeugung wirklich erfolgreiche Umweltpolitik auf Landesebene gemacht werden – ohne ständige Reibungsverluste. Dem jeweiligen Minister und
seinem Haus kommt mit der größeren Kompetenz allerdings auch erhöhte Verantwortung zu.
Nach dem „bayerischen Modell“ wurden in den Jahren 1972 auch die einschlägigen Fachministerien der
übrigen Bundesländer eingerichtet; das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wurde erst unter dem Druck der öffentlichen Meinung nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
1986 geschaffen.
Besonders nachteilig hat sich für den Naturschutz
seine jahrzehntelange Ressortierung in Landwirtschaftsministerien erwiesen: Da die konventionelle
Landwirtschaft seit den 50er Jahren zum HauptverPolitische Ökologie · 43 · November/Dezember ‘95
Zum Autor
Prof., Dr. Wolfgang Engelhardt, geb. 1922 in
München, war von
1967 bis 1991 Generaldirektor der Staatl.
Naturwissenschaftl.
Sammlungen Bayerns,
Mitbegründer des JuraMuseums Eichstätt
und Urheber des Museums Mensch und
Natur in München. Seit
1968 ist er Präsident
des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und
leitet außerdem das Institut für Ökologische
Strategien in München;
ist Vorsitzender des
Stiftungsrates von Oro
Verde und stellvertretender Vorsitzender
der Stiftung Kulturerbe
sowie des Kuratoriums
der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.
Kontakt
Prof. Dr. Wolfgang
Engelhardt
Institut für Ökologische
Strategien,
Klagenfurter Str. 22,
81669 München,
Tel. 089/687043
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NATURSCHUTZ
Politische
Ökologie
”
Die Trennung zwischen
Naturschutz und Umweltschutz ist nur mit dem
Unvermögen der politischen Entscheidungsträger zu erklären.
ursacher der Artenverarmung geworden ist, wurden die Interessenkonflikte, denen sich die zuständigen Minister gegenübersehen,
geradezu vorprogrammiert. Der
Naturschutz verlor bei den „Abwägungsprozessen“ in aller Regel.
Heute müssen wir mit erheblichen Befürchtungen feststellen,
daß im Zuge neuer Koalitionen und
unter falscher Gewichtung des
Nötigen das bewährte bayerische
Modell in einigen Bundesländern
wieder verlassen wurde. Ein Beispiel hierfür ist Hessen, wo der Naturschutz dem Innenministerium
zugeschlagen wurde.
Künstliche Natur (1. Automaten u. ä.): Roboter, Computer u. ä. zeigen das
Bemühen des Menschen, der Natur ihre Technik abzulauschen, sie zu reproduzieren oder gar zu übertreffen. Vorläufig letztes Glied dieser Kette ist der Versuch Intelligenz herzustellen. Bild: „Räderwerk der Ideen“, A. Poyet, 1880.
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Politische Ökologie · 43 · November/Dezember ‘95
Die Trennung zwischen Naturschutz und Umweltschutz ist, wie
oben dargelegt, wissenschaftlich
nicht zu rechtfertigen, ebenso wenig aus Gründen der Verwaltungspraxis. Sie ist nur mit dem Unvermögen
der
politischen
Entscheidungsträger zu erklären.
Gefährlich wird die Trennung auf
jeden Fall, wenn die beiden Teilgebiete ungleichmäßig gewichtet
werden, wie dies in den letzten
Jahrzehnten leider geschehen ist.
Eine solche ungleiche Gewichtung ergibt sich schon aus der Verteilung der einschlägigen Zuständigkeiten nach dem Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland:
Für die Sektoren des technisch-hygienischen Umweltschutzes hat
der Bund die Vollkompetenz zum
Erlaß der Gesetze und Verordnungen für den Naturschutz dagegen nur die Rahmenkompetenz,
während die Bundesländer für diesen Bereich primär zuständig sind.
So haben wir bei der Reinhaltung bzw. Reinigung von Luft und
Wasser bezeichnenderweise nicht
des Bodens, eines Mediums komplexerer Natur, während der letzten Jahrzehnte beachtliche Erfolge
erzielt. Umweltschutztechnik ist
heute ein Wachstumsmarkt, ein
Exportschlager der deutschen
Wirtschaft. Das Vorsorgeprinzip,
im technisch-hygienischen Bereich
erfolgreich angewandt, wurde im
Abbildung aus „Die Geschöpfe des Prometheus“ Kerber Verlag
n Gefährliche Trennung
Foto: Exner
Konfliktfelder
biologisch-ökologischen Bereich sträflich vernachlässigt, der Landschaftshaushalt trotz ungezählter Warnungen von Wissenschaft und Naturschutzorganisationen immer mehr geschädigt. Einige anschauliche
Beispiele sollen dies untermauern.
l Beispiel Flächenumwandlung: Während der letzten
fünf Jahrzehnte wurden – zum großen Teil in den
Einzugsgebieten unserer Flüsse – unzählige Feuchtbiotope (Sümpfe, Hoch- und Niedermoore, Naßwiesen,
Auwälder) drainiert, trockengelegt und in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt. So wurden die
Landschaften nahezu sämtlicher Flächen beraubt, die
ursprünglich in der Lage waren, Niederschläge aufzunehmen und nur langsam an die Vorfluter abzugeben.
Nun versickern die Niederschläge nicht mehr langsam in jenen Landschaftsteilen. Der Wassertropfen,
der sonst Jahre brauchte, um zu Tal zu gelangen, legt
die gleiche Strecke jetzt in Stunden oder Tagen
zurück. So brauchten z.B. auch die Hochwasserwellen
im Oberrhein von Basel nach Karlsruhe im Jahr 1955
noch 60 Stunden, heute, nach weiterem technischen
Ausbau des Flusses, nur 30 Stunden.
l Beispiel Niedermoore: Der weit überwiegende Teil
unserer Niedermoore (Oberbayern, Oberschwaben,
Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg) wurde in den 60er Jahren durch die sogenannte
Komplex-Melioration entwässert und in Saatgrasland
umgewandelt. Durch die Entwässerung sackten die
Moorböden zusammen, der Torf wurde in hohem
Maße mineralisiert, und der Boden allgemein degradiert. Die Folgen waren ein gestörter Wasserhaushalt,
Rückgang der Erträge sowie eine starke Nährstoffund Schadstoffbelastung von Grundwasser und Vorflutern sowie – und das überrascht den Laien sicher –
der Atmosphäre. Die Hauptrolle spielen bei diesen
Vorgängen bestimmte Arten von Bodenbakterien.
In Mecklenburg-Vorpommern machen die hochgradig entwässerten Moore etwa 14,5 Prozent der gesamten Landesfläche aus. Sie setzen jährlich etwa drei
Mio. Tonnen Kohlenstoff frei, was elf Mio. Tonnen
Kohlendioxyd entspricht. Diese Menge übertrifft diejenige, die der gesamte Autoverkehr in MecklenburgVorpommern emittiert. Die Wiedervernässung von
nur 1000 Hektar kostet etwa fünf Mio. Mark. Dieses
Beispiel zeigt besonders klar, wie unsinnig es ist, ökologischen und technischen Naturschutz zu trennen.
l Beispiel Fließgewässer: Nur noch etwa zehn Prozent
unserer Fließgewässer 3. Ordnung, der Bäche und
Gräben, sind heute unberührt. Zwischen 1950 und
Mitte der 80er Jahre wurden rund 360 000 Kilometer
solcher wirklicher Lebensadern der Landschaften begradigt, mit Betonschalen oder Brettern aus afrikanischem Bongossiholz ausgepflastert, in unterirdische
Rohre gezwängt – in jedem Fall ökologisch vernichtet.
Durch diese Vernichtung der meisten kleinen Fließgewässer und natürlich auch fast aller Gewässer 2. Ordnung, wurde der Ablauf der Niederschläge in die Flüsse – genannt Vorfluter – gewaltig beschleunigt.
Künstliche Natur (2.. künstl. Werkstoffe): Natur ist nicht das Gegebene,
sondern das gesetzlich Mögliche. D.h. Natur (Materie) kann auch konstruiert und
hergestellt werden. Bild: vergrößerte Keramikstruktur.
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