FORSCHUNG & LEHRE Der virtuelle Körper als 3-D- Simulationsmodell Patientenspezifische 3-D-Simulationen ermöglichen präzise, wirtschaftliche und effiziente Eingriffe in der Medizin. Während heute vornehmlich Visualisierungen des menschlichen Körpers möglich sind, fehlt die Einbindung der funktionellen-mechanischen Eigenschaften der biologischen Materialien. An der ZHAW School of Engineering entwickelt ein interdisziplinäres Forschungsteam basierend auf den bisherigen Möglichkeiten eine Erweiterung der Operationsplanung mittels der FiniteElemente-Methode (FEM) zur strukturmechanischen Analyse. Bildgebende Verfahren wie Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRI) sind im klinischen Alltag routinemässig im Einsatz, um Bilder des Körperinneren zu erzeugen. Radiologen nutzen diese Schichtbilder durch den menschlichen Körper, um medizinische Befunde zur Diagnose und zur Überwachung des Genesungsverlaufs herzuleiten. Wei- Die Autoren Prof. Dr. Bernd Heinlein, Dozent für Biomechanik am Institut für Mechanische Systeme (IMES) ([email protected]) Dr. Philipp Ackermann, Dozent für Visual Computing am Institut für angewandte Informationstechnologie (InIT) ([email protected]) ZHAW School of Engineering www.zhaw.ch/engineering ter lassen sich die Schichtbilder durch Computerprogramme segmentieren, um daraus die geometrische Form der Körperteile wie Knochen, Muskeln oder Gewebe zu berechnen. Damit sind die Körperteile als 3-D-Objekte darstellbar und können für rurgische Eingriffe trainieren. Mit Operationsinstrumenten aus Untersuchungen räumlich vermessen werden. Die laufende Ent- dem medizinischen Alltag üben die Ärzte unter anderem Knie- wicklung in der Medizininformatik dreht sich um die Herausfor- und Schulterarthroskopien, ähnlich wie Piloten für ihr Training derung, den virtuellen Körper möglichst realistisch in seinem virtuelle Cockpits in Flugsimulatoren nutzen. Verhalten simulieren zu können. Dabei gilt es, die funktionalen Bei der minimalinvasiven Methode der Arthroskopie führt Eigenschaften der dreidimensionalen Körperteile wie Festigkeit, der Chirurg durch einen kleinen Kanal das Operationsinstrument Elastizität und Beweglichkeit in Computermodellen physikalisch und eine miniaturisierte Kamera in den Körper ein. Der Virtual- nachzubilden sowie interaktiv in 3-D darzustellen. Reality-Simulator erzeugt anhand der errechneten Nachbildung des menschlichen Körpers die Ansicht dieser Kamera. Dabei Operationstraining im 3-D-Simulator verhält sich das virtuelle Gewebe realistisch, etwa durch Zittern Den Nutzen solcher Simulationsmodelle zeigen beispielhaft die bei Berührung, oder die Entstehung von Komplikationen wie Anwendungen der Firma Virtamed, die als Spin-off aus For- etwa Blutungen, die auch bei der realen Operation die Sicht des schungsprojekten der ETHZ und ZHAW entstanden ist. Mit ihren Arztes beeinträchtigen. Der Operationssimulator bietet didak- Virtual-Reality-Simulatoren können angehende Ärzte ausserhalb tisch strukturierte Trainingsprogramme und unterstützt damit des Operationssaals und ohne Gefährdung von Patienten chi- eine effiziente und sichere Ärzteausbildung. Personalisierte Simulation für die Operationsplanung Aufgrund der modernen Bildgebung ist es wie oben beschrieben heutzutage problemlos möglich, dreidimensionale, geometrische Darstellungen von biologischen Strukturen am Computer zu berechnen. Deren funktionelle Eigenschaften, wie etwa Elastizität, Nicht-Linearität oder Festigkeit, hingegen sind weitaus schwieriger numerisch abzubilden. Damit ist eine virtuelle Operationsplanung mit Einbezug der mechanisch-funktionellen Randbedingungen bis jetzt nur sehr eingeschränkt möglich. Ein neuartiger Prozess, der die genannten Eigenschaften miteinbezieht, wurde nun an der ZHAW entwickelt. Die Umsetzung wurde exemplarisch für das Kniegelenk gewählt, kann jedoch auf weitere anatomische Strukturen übertragen werden. Aus Bildern lassen sich 3-D-Modelle des Knies errechnen. 44 Ein bestehendes Grundmodell wird anhand von patienten-spe- oder Belastungen (Kräfte und Momente) in allen drei Raumrichtungen über die Knochen eingeleitet. Als Ergebnisse werden jeweils die anderen Parameter ausgegeben. Auf dem Weg zur Praxistauglichkeit Am Kniemodell werden funktionelle Untersuchungsmethoden wie der Schubladentest durchgeführt. Dabei wird der Unterschenkel bei fixiertem Oberschenkel mit einer definierten Kraft nach vorne gezogen. Die dabei auftretende Auslenkung in Millimeter ist dabei ein Mass für die Instabilität nach einem Kreuzbandriss. Um die angestrebte Operationsplanung praxistauglich zu machen, musste die Berechnung der FE-Simulation beschleunigt werden, da diese für einen vollen Berechnungsdurchlauf mehrere Stunden benötigt. Um den Aufwand zu reduzieren, werden im an der ZHAW entwickelten Workflow die patientenspezifischen Modelle mittels geometrischer Deformation (Morphing basierend auf ITK) auf vollständig durchgerechnete Referenzsimulationen angeglichen. Die Resultate des Referenzmodells werden dann über eine Rücktransformation auf das Patientenmodell zurückgerechnet (Programmierung in C#). Die geometrische Anpassung wird aus den Schichtbildern mittels Bildregistrierung errechnet. Dies kann zur Zeit nicht vollautomatisch erfolgen, so dass medizinisches Fachpersonal über die grafische Oberfläche der Software den Vorgang der Patientenanatomie-Registrierung Kunststoffmodelle aus dem 3-D-Drucker dienen der manuell steuern muss. Nach erfolgter Registrierung können Operationsvorbereitung. dann interaktiv physiologische Bewegungen am Patientenmodell simuliert werden, um bestmögliche Positionen und Ausrichtungen der Implantate und Instrumente zu ermitteln. zifischen Magnetresonanztomographie-Daten (MRT) und durch numerische Bildverarbeitungsalgorithmen angepasst. Somit Von der virtuellen zurück in die reale Welt kann innerhalb kürzester Zeit ein patientenspezifisches Simu- Sind virtuelle Körpermodelle eines Patienten vorhanden, können lationsmodell, inklusive mechanisch-funktionellen Randbedin- diese für die computergesteuerte Herstellung realer Artefakte gungen, automatisiert erstellt werden. Die patientenspezifischen genutzt werden. So lassen sich aus den 3-D-Modellen perso- MRT-Daten werden semi-automatisch rekonstruiert. Dabei müs- nenspezifische Geometrieformen ableiten, die für die Erzeugung sen Knochen, Bänder und Knorpel erkannt werden. Das ent- individuell dimensionierter Implantate genutzt werden. 3-D- sprechende 3-D-Modell wird dann in die Finite-Element(FE) Drucker werden eingesetzt, um massgeschneiderte Prothesen Software Ansys importiert. Hier werden den anatomischen individuell auf die Patientenbedürfnisse anzufertigen. 3-D Printing wird auch bei schwierigen Eingriffen zur OP-Vorbereitung verwendet. Die Kunststoffmodelle aus dem 3-D-Drucker lassen Aufgrund der modernen Bildgebung ist es heutzutage problemlos möglich, dreidimensionale, geometrische Darstellungen von biologischen Strukturen am Computer zu berechnen. sich vor der Operation in die Hand nehmen und Operationsschritte wie sägen, fräsen oder schrauben daran vorab durchführen. Dies spart Zeit bei der eigentlichen Operation und führt zu besseren Behandlungsergebnissen. Der Einsatz neuartiger Verfahren und Techniken ermöglicht vielfältige Verbesserungen im Gesundheitswesen. Die Kompetenzen der ZHAW School of Engineering in den Bereichen Infor- Strukturen entsprechende Kennwerte (im wesentlichen Elasti- matik, Biomechanik, Medizintechnik, Sensorik, modellgestützte Datenanalyse, Computersimulation und medizinische Bildge- zitätsmoduli und Querkontraktionszahlen) zugewiesen. Im FE- bung werden genutzt, um innovative Lösungen praxisnah zu Programm werden die physikalischen Geometrien durch ein Netz entwickeln. Dabei strebt die ZHAW School of Engineering die (Mesh) ersetzt, welches aus Knotenpunkten und Elementen Zusammenarbeit mit Industriepartnern an, damit die Potenzia- besteht. Jeder Knotenpunkt steht über strukturmechanische le von eHealth und medizinischen Systemen zeitnah in Wirt- Bedingungen mit den Nachbarknoten in Verbindung. Dem FE- schaft und Gesellschaft umgesetzt und genutzt werden. 45 FORSCHUNG & LEHRE Modell werden Verschiebungen (Translationen und Rotationen)