OE als Konzept nachhaltiger Veränderung

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4. Der iff-oegd-Ansatz
KLAUS SCALA, RALPH GROSSMANN
(Aus: Grossmann/Lobnig/Scala, unter Mitarbeit von Michael Stadlober (2007):
Kooperationen im Public Management. Theorie und Praxis erfolgreicher
Organisationsentwicklung in Leistungsverbünden, Netzwerken und Fusionen. Juventa
Verlag: Weinheim und München, S. 59-82)
In diesem Kapitel werden die konzeptiven Leitlinien für unser Verständnis
von Organisationsentwicklung und unsere Tätigkeit als Berater und Lehrer
skizziert. Organisationsentwicklung wird als spezieller Ansatz der
Gestaltung von Veränderung beschrieben. Daran anschließend werden die
theoretischen
Grundlagen
unserer
Forschung
zur
Organisationsentwicklung und der Verbindung von Organisationsberatung
und Forschung dargestellt. Abschließend legen wir unsere Vorgangsweise
und die Datengrundlage dieses Buches zu Kooperationen offen.
Organisationsentwicklung
nachhaltigen Veränderung
als
Konzept
der
Wir haben argumentiert, dass die Produktivität und Veränderungsfähigkeit
der Organisationen sowie der Netzwerke von Organisationen das Potenzial
der Gesellschaft, Probleme zu bewältigen, determiniert. Leistungs- und
Wandlungsfähigkeit
der
Organisationen
bestimmen
die
Überlebensbedingungen und die Lebensqualität der Menschen wesentlich
mit.
Veränderung gestalten ist zu einer permanenten Aufgabe des Managements
und der Mitarbeiterinnen von Organisationen geworden. Die
Notwendigkeit
der
Organisationen,
sich
auf
veränderte
Umweltbedingungen einzustellen, unterliegt auch einer kontinuierlichen
Beschleunigung. Heute ist die relevante Frage nach den Erfolgschancen
von Organisationen nicht, ob sie veränderungsfähig sind, sondern wie
schnell sie Veränderungen bewältigen können (Schein 1995b). Die
Herausforderung besteht darin, die notwendigen Veränderungen zu
identifizieren und in passendem Tempo mit nachhaltiger Wirkung zu
organisieren. Der wachsende Veränderungsdruck auf die Organisationen
hat eine große Bandbreite von Veränderungskonzepten hervorgebracht, mit
unterschiedlichen
theoretischen
Grundlagen,
handlungsleitenden
Prinzipien und Wirkungen.
1
Die Konzepte und die Praxis der Veränderung von Organisationen werden
immer mehr zu einer kritischen Größe. Management und Beratung von
Veränderungsprozessen in und zwischen Organisationen bestimmen die
Chancen nachhaltiger Entwicklung entscheidend mit.
Die publizistische Auseinandersetzung über Veränderungskonzepte ist
einerseits getrieben von einem Ringen um brauchbare theoretische
Grundlagen und Handlungsoptionen sowie andererseits von dem Bemühen
der Beratungsfirmen um ein erfolgreiches Branding ihres Ansatzes. Das
fördert zwar die Diskussion, bewirkt aber auch, dass der Blick auf die
relevanten Unterscheidungen oft verstellt wird. In diesem Branding-Eifer
wird Organisationsentwicklung häufig als historisches Konzept
beschrieben, um andere Ansätze davon abzuheben. Dabei werden aktuelle
Handlungskonzepte
mit
einem
alten
Konzept
von
Organisationsentwicklung verglichen, was den aktuellen Ansätzen von
Organisationsentwicklung weder gerecht wird noch der Weiterentwicklung
dient
(vgl.
Janes/Prammer/Schulte-Derne
2001;
Königswieser/Sonuc/Gebhardt
2006).
Der
Kern
unseres
Selbstverständnisses als Forscher, Lehrer und Organisationsberater liegt in
der kreativen Verbindung der gruppendynamisch sozial-psychologischen
Fundamente der OE (vgl. Cummings/Worley 1997, 2001; Schein 1987,
1995a, 1995b) mit der organisationstheoretischen Konzeption der neueren
soziologischen Systemtheorie (vgl. Luhmann 1997; Willke 1991, 1994,
1995) und einer philosophischen Praxis, die Philosophie nicht
ausschließlich oder vorrangig als Denktätigkeit von Individuen, sondern
als alltagsrelevanten, reflektierenden Kommunikationsprozess sieht (vgl.
Heintel 2005a, 2005b).
Unsere Basis bildet die systemische Organisationsentwicklung als ein
theoriegeleitetes
Konzept
und
eine
Praxeologie
der
Organisationsveränderung, die sehr geeignet erscheint, Organisationen auf
nachhaltige Entwicklung einzustellen und daran orientierte Arbeits- und
Entscheidungsprozesse zu unterstützen.
An den Fakultäten für Kulturwissenschaften und Interdisziplinäre
Forschung und Fortbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt wurde
in Verbindung mit Beraterinnen und Beratungsunternehmen, die so wie die
Wissenschaftler aus der Denkwerkstatt der Österreichischen Gesellschaft
für Gruppendynamik und Organisationsberatung hervorgegangen sind,
über viele Jahre ein Ansatz der Organisationsentwicklung theoretisch
fundiert und praktisch erprobt. Er nimmt im deutschsprachigen Raum
einen prominenten Nischenplatz ein und unterscheidet sich vor allem im
Qualitätskriterium Nachhaltigkeit von anderen Konzepten. Die Wurzeln
2
dieses Ansatzes liegen in der Sozial-Philosophie, der angewandten SozialPsychologie, insbesondere der Gruppendynamik, der neueren
soziologischen Systemtheorie und der feldspezifischen speziellen
Organisationstheorie.
Theoretische Weichenstellung: System und Umwelt als
Überlebenseinheit
Die neuere Systemtheorie liefert der Organisationsentwicklung eine
organisationstheoretische Konstruktion, die auf Nachhaltigkeit orientiert
ist. Organisationen sind, wie alle lebenden Systeme, an ihrem Überleben
und an der Aufrechterhaltung ihrer Identität interessiert. In der Perspektive
der neueren Systemtheorie bilden die Systeme mit ihren relevanten
Umwelten eine Überlebenseinheit. Organisationen, aber auch ihre
Subsysteme wie Abteilungen und Teams stehen in ihrer
Überlebenssicherung mit inneren und äußeren Umwelten in
Auseinandersetzung. Nachhaltige Entwicklung von Organisationen kann in
dieser Perspektive als ein Prozess verstanden werden, in dem die wichtigen
Umwelten der Organisation im Interesse einer langfristigen
Zukunftssicherung Berücksichtigung finden. Viele Organisationen suchen
den Erfolg zu Lasten dieser Umwelten durch Externalisierung von Kosten
zu den Mitarbeitern, dem nationalen politischen System, den öffentlichen
Haushalten und der physischen Umwelt.
Bei nachhaltiger Entwicklung geht es darum, den Erfolg in der Gegenwart
nicht auf Kosten der Zukunft zu suchen. Eine in Richtung Nachhaltigkeit
leistungsfähige Organisation ist in der Lage, die Perspektiven möglichst
vieler relevanter Umwelten in ihre internen Operationen, ihre
Entscheidungen und Arbeitsprogramme hereinzunehmen und dort zu
verarbeiten. Die Entwicklung der Organisation, auch wenn sie
umweltabhängig ist, stellt immer eine Eigenleistung dar.
Dabei sind innere und äußere Umwelten zu berücksichtigen: innere
Umwelten wie etwa das Wissen einer Organisation, sowohl das an die
Mitarbeiter gebundene als auch das systemisch verankerte, oder die
Mitarbeiterinnen selbst, ihre fachliche und motivationale Entwicklung, ihre
Beschäftigungsinteressen; äußere Umwelten wie etwa Veränderungen auf
den Märkten, Interessen der Kunden und Klienten, natürliche Ressourcen
und politische Rahmenbedingungen.
3
Systemische Organisationsentwicklung ist der Entwicklung des
gesamten Systems verpflichtet
Systemische Organisationsentwicklung als Theorie und Praxis der
Gestaltung von Veränderung in und zwischen Organisationen ist auf
langfristige Zukunftssicherung ausgerichtet. Organisationsentwicklung ist
auf die Entwicklung des Systems als Ganzes und nicht der Durchsetzung
einer Beobachtungs- oder Interessenperspektive verpflichtet.
Der Entwicklung des Systems verpflichtet zu sein bedeutet nicht, externe
Lösungen zu importieren, sondern die Problemlösungskapazität des
Systems zu steigern.
Es ist konstitutiv für systemische OE-Arbeit, „das ausgeschlossene Dritte“
zu Wort kommen zu lassen, vernachlässigte Perspektiven zu identifizieren
und zur Bearbeitung zu bringen. Das ergibt sich schon aus dem
Verständnis
von
Organisationen:
An
der
Wiege
aller
Organisationsprozesse stehen Paradoxien, also Handlungsaufforderungen,
die sich im Sinn der zweiwertigen Logik ausschließen.
Die Sowohl-als-auch-Struktur der Organisation schafft strukturelle
Unentscheidbarkeiten, was ständige Entscheidungen notwendig macht.
Organisationsentwicklung (durch Management oder Beratung) hat auch die
Aufgabe, die Paradoxien der Organisation aufrechtzuerhalten und keine
dauerhaft „klaren“ Verhältnisse zu schaffen (vgl. Simon 2005).
Diese
Verpflichtung
auf
die
System-Umwelt-Relation
als
Überlebenseinheit ist das Wahrheitskriterium des OE-Ansatzes und
unterscheidet sich radikal von anderen Veränderungsansätzen.
Erfolgskritische Faktoren für die nachhaltige Gestaltung von
Veränderung in Organisationen
Entscheidung über die Reichweite der Veränderung
Organisationen müssen sich kontinuierlich verändern, um ihre Stabilität,
Leistungsfähigkeit und Identität zu sichern. Der so genannte Status quo ist
ein dynamischer Zustand. Eingespielte Routinen der Problembearbeitung
helfen die Balance zwischen Bewahren und Verändern zu halten. Eingriffe
in diese Routinen können als Veränderungsmanagement bezeichnet
werden.
Diese Eingriffe können unterschiedliche Reichweiten haben und
unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Wahrnehmung dieser Unterschiede
hat auch Konsequenzen für die Anlage des Veränderungsprozesses. Wir
unterscheiden drei Spielarten des Veränderungsmanagements:
4
Optimierung: Sie zielt auf die Entwicklung der bisherigen
Erfolgspotenziale. Es geht darum, Hindernisse zu beseitigen, die einer
solchen Weiterentwicklung bisher im Wege standen. Mit Bateson (1983)
sprechen wir hier vom Wandel erster Ordnung. Das grundlegende Muster,
wie die Organisation gesteuert wird, ihre Leistung erbringt und sich
gegenüber den relevanten Umwelten verhält, kann und soll beibehalten
werden.
Musterwechsel: Er greift in tragende Aspekte der Organisationsidentität
ein, berührt die „governing values and procedures“. Die Organisation setzt
sich grundsätzlich mit dem Wie ihres Arbeitens auseinander. In
konstruktivistisch-kybernetischer Perspektive ist ein Wandel zweiter
Ordnung zu vollziehen. Wenn Organisationen ihre Kernprozesse
grundlegend neu ausrichten und organisieren oder unternehmerische
Verantwortung konsequent dezentralisieren, wenn das Kerngeschäft in
Kooperation mit anderen Betrieben organisiert werden soll, dann – um nur
einige Beispiele zu nennen – ist Musterwechsel angesagt (vgl. Wimmer
1999; Janes/Prammer/Schulte-Derne 2001; Cummings/Worley 1997,
2001). Veränderungen dieser Reichweite sind häufig mit harten
Einschnitten verbunden.
Der Musterwechsel braucht eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit
der
bisherigen
Funktionsweise
der
Organisation,
braucht
Selbstbeobachtung. Die Not, die es zu wenden gilt, und die Ziele der
Veränderung sind herauszuarbeiten und den betroffenen Führungskräften
und Mitarbeiterinnen plausibel zu machen, um Veränderungsenergie zu
mobilisieren. Die Vorbereitung der Veränderung braucht den teilweise
geschützten
Raum,
z.B.
im
Rahmen
eines
konsequenten
Projektmanagements. Die Führung muss sich auf eine Auseinandersetzung
mit den zu erwartenden und auch nicht erwarteten emotionalen Reaktionen
der Betroffenen einstellen und sich dieser Auseinandersetzung auch
persönlich stellen. Die beteiligten Personen und Systeme brauchen Zeit
und Ressourcen für das Entlernen der gepflegten Routinen und das
Neulernen der angepeilten Arbeitsprozesse. Musterwechsel braucht
breitere Beteiligung sowie gleichzeitig mehr Führung und Rückhalt durch
das Top-Management.
Häufig werden Veränderungssituationen in ihrer Reichweite unterschätzt,
als Optimierung behandelt und laufen dann in große Turbulenzen oder es
werden regelmäßig Optimierungsschritte gesetzt, ohne den Kern der
Problematik zu erfassen, was zu einer Art Immunisierung des Systems
gegenüber tiefer gehenden Veränderungen führen kann.
5
Wimmer unterscheidet noch eine dritte Spielart, die für eine nachhaltige
Entwicklung von Organisationen zweifellos sehr vorteilhaft ist: die
Steigerung der Lernfähigkeit einer Organisation im Sinn einer
vorausschauenden strategieorientierten Selbsterneuerung (vgl. Wimmer
1999). Grossmann/Scala (2002) sprechen in diesem Zusammenhang von
Steigerung der Intelligenz der Organisationen. Unabhängig von aktuellen
Krisensituationen wird versucht, auf die bislang eingespielten Muster der
Selbstentwicklung Einfluss zu nehmen, die Organisation mit genügend
Irritationsquellen zu versorgen, um Lernimpulse zu bekommen und die
internen Verarbeitungsmöglichkeiten dafür zu steigern: z.B. durch
gemeinsame Lernprozesse mit Kunden und Konkurrenten, durch
Benchmarking vor allem auch der Prozesse und nicht nur auf der Ebene
der
Ergebnisse;
durch
anderen
Forme
institutionalisierter
Selbstbeobachtung, die das Material für interne Lernprozesse liefern; durch
Beteiligung
an
Organisationsnetzwerken;
durch
systematische
Qualifizierung im Kontext von Veränderungsprozessen (vgl. Grossmann
1995).
Führungskräfte, eventuell unterstützt von Beratern, haben die Aufgabe, die
Differenz von Funktionalität und Disfunktionalität zu bearbeiten und zu
entscheiden, ob Optimierung oder Musterwechsel angesagt ist. Die
vorausschauende Zukunftssicherung ist eine kontinuierliche Aufgabe der
Organisationsentwicklung, die ihrerseits Rückwirkungen hat auf die
Fähigkeit, einschneidende Veränderungen zu realisieren und Optimierung
routiniert zu bewerkstelligen.
Führungsgetriebene Veränderung und Beteiligung
Hier geht es um die Frage, welches Know-how für die Veränderung
mobilisiert wird, welche Gruppen und Organisationseinheiten aktiv
einzubeziehen sind, wer Einfluss auf die Entscheidungen bekommt. Die
Abgrenzung zwischen Einschluss und Ausschluss ist der kritische Punkt.
Für die Organisation von Beteiligungsprozessen ist die Verankerung in
persönlichen Haltungen und Werten sicher hilfreich, aber weniger
organisationswirksam. Beteiligung realisiert sich über geeignete Strukturen
und Prozesse. Bereichsübergreifende Teamsitzungen, die Arbeit an
Leistungsprozessen
zwischen
mehreren
Berufsgruppen
und
Organisationseinheiten sowie die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen
Projektteams ermöglichen mehr neue Erfahrungen und Lernchancen als
formalisierte Lernprozesse.
Diese Beteiligung der Mitarbeiter ist ebenso wichtig für die Qualität der
Lösungen wie auch für die Akzeptanz der Maßnahmen und damit in
6
doppelter Hinsicht für die Qualität der Umsetzung. Diese Gleichzeitigkeit
von Einflussnahme und Möglichkeit zur Beteiligung, von entschlossenen
Steuerungsimpulsen und Kooperation ist die neue, sehr anspruchsvolle
Herausforderung für Führungskräfte auf allen Ebenen der Organisation.
Das gilt für das Alltagsmanagement und in spezieller Weise für
Veränderungsprozesse.
Die Beteiligung anderer Führungskräfte und Mitarbeiter ohne
Leitungsfunktion ist vorausschauend in der Projekt- und Prozessarchitektur
eines Veränderungsvorhabens zu verankern. Diese ist auf das zu
bearbeitende Thema und auch auf den richtigen Zeitpunkt abzustimmen.
Es ist eine entscheidende Kompetenz von internen und externen Beratern,
ausreichend Erfahrungen mit solchen Aufbau- und Ablaufmodellen in
Veränderungsprozessen mit unterschiedlichen Ziel- und Konfliktlagen
mitzubringen und die jeweils geeigneten Strukturen vorzuschlagen.
Projekte als Einführung einer organisatorischen Differenz und als
geschützter Raum, das Neue zu entwickeln und zu erproben
Nachhaltige Entwicklung im Sinn eines Musterwechsels braucht die
Einführung einer organisatorischen Differenz, die auch als geschützter
Raum dienen kann, das Neue zu entwickeln und zu erproben. Lebendige
Systeme entwickeln sich, indem sie neue Unterscheidungen, Differenzen in
ihr Prozedere einführen, in ihre Selbstbeobachtung, ihre Entscheidungen,
ihre Arbeitsprogramme. Projekte sind solche organisatorischen
Differenzsetzungen. Heintel/Krainz (1990) haben schon sehr früh auf diese
notwendige und produktiv zu gestaltende Spannung zwischen der
hierarchischen Linienorganisation und dem Innovationssystem des
Projektes als Motor des Entwicklungsprozesses hingewiesen.
Lernen von Personen und Entwicklung von Systemen
Wir haben als Wissenschaftler, Berater und Führungskräfte die
schmerzliche Erfahrung gemacht, dass das Lernen von Personen nicht
notwendigerweise eine Veränderung von Organisationen nach sich ziehen
muss. Die bahnbrechende theoriearchitektonische Weichenstellung der
neueren soziologischen Systemtheorie hat dazu die theoretische
Fundierung geliefert. Personale und soziale Systeme – obwohl es sich bei
beiden um sinnverarbeitende Systeme handelt – haben einen
unterschiedlichen Modus der Entwicklung. Personen lernen über
Bewusstsein – oder vielleicht genauer über Denk-, Fühl- und
Handlungsprogramme –, soziale Systeme entwickeln sich über
Kommunikation und Handlungen. Das Lernen von Personen ist in dieser
Konzeption eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung von
7
Veränderung in Organisationen. Die Gegenüberstellung von Personen und
sozialen Systemen und damit die Verlagerung der Personen in die Umwelt
von sozialen Systemen hat es meines Erachtens sehr erleichtert,
Interventionen in soziale Systeme zu konzipieren und ihre Wirkungsweise
zu verstehen. Die Entwicklung von Systemen braucht ein passendes
Zueinander von Wissen, Fertigkeiten, Werten und Einstellungen auf Seiten
der Personen sowie Veränderung der Arbeitsstrukturen, der Spielregeln
und der Kultur auf der Ebene des Systems. Diese Unterscheidung markiert
auch die Grenzen eines Ansatzes, wissenschaftliche Erkenntnis primär
über Vermittlung an Personen wirksam zu machen, und markiert den
Übergang von der Weiterbildung zur Beratung von Systemen.
Die Wiedereinführung der Kommunikation in die Organisation – „Der
Prozess macht den Unterschied“
Das Prozessverständnis und die Prozesskompetenz sind wahrscheinlich die
größten Stärken der gruppendynamisch inspirierten und trainierten
Organisationsentwickler, wie sie aus der Universität Klagenfurt und der
ÖGGO hervorgegangen sind. Es geht um die Gestaltung von
Arbeitsprozessen, in denen unterschiedliche fachliche und organisatorische
Perspektiven genutzt werden können. Es geht um Entscheidungsprozesse,
in denen eine vorschnelle Schließung auf eine Lösung verhindert wird.
Und es geht um Prozesse der Selbstbeobachtung und Selbstreflexion.
Erst durch geeignete Kommunikationsprozesse wird die Berücksichtigung
unterschiedlicher Stakeholder in einer Veränderung möglich, wird
Beteiligung faktisch realisiert, werden Vereinbarungen verbindlich, kann
Vertrauen zwischen Kooperationspartnern entstehen etc. Auch neue
Steuerungskonzepte gewinnen erst in entsprechenden Prozessen ihre neue
Qualität.
Die Gestaltung von Designs für solche Prozesse, also die diffizile Aufgabe,
Thema, soziale Systeme, Zeit und Arbeitsform situationsadäquat zu
verknüpfen, kann als „Schlüsseltechnologie“ der systemischen
Organisationsentwicklung bezeichnet werden. Designkompetenz ist
demnach für an nachhaltiger Veränderung interessierte Führungskräfte und
Organisationsentwickler auch eine Schlüsselqualifikation.
Die einseitige Fokussierung auf Rationalität führt zu irrationalen
Ergebnissen
Dass Denken und Fühlen als psychische und physiologische Prozesse
untrennbar verbunden sind, ist State of the Art der einschlägigen
Forschung. Der Umgang mit Gefühlen in Veränderungsprozessen ist in
8
zweifacher Hinsicht ganz wesentlich. Organisationen erfüllen in hohem
Maß die gesellschaftliche Funktion der Angstbindung, gleichzeitig sind
Organisationsveränderungen bedrohlich und erzeugen Angst und andere
starke Gefühle. Für die produktive Bewältigung von Veränderung müssen
die Gefühle in der Anlage des Prozesses Berücksichtigung finden,
Ausdrucksformen erhalten, die genutzt werden. Gefühle haben die
Funktion der Bewertung; in diesem Sinn haben Gefühle in Organisationen,
dieselbe Funktion wie innerpsychisch. Es gilt „die Gefühle zum Denken zu
nutzen“, die gefühlsmäßige Bewertung von Handlungsalternativen als
wichtige Orientierungshilfe zu nutzen. Gefühle als Indikator für Konflikte
bzw. gelingende Verständigung sind unverzichtbar. Vor allem in
Entscheidungen haben Gefühle eine große Bedeutung. Da Entscheidungen
letztlich nur dort notwendig sind, wo die beste Lösung nicht ausgerechnet
werden kann, braucht es vor allem gefühlsmäßige Bewertungen, um
Entscheidungen zu treffen. Der Zugang zu den eigenen Gefühlen, die
Kompetenz gefühlsbezogener Kommunikation ist eine wesentliche
Dimension von Organisationskompetenz (vgl. Grossmann/Heintel 2000;
Ciompi 1982; Mingers 2005).
Wie wird auf wissenschaftlicher Ebene praktisches
Wissen für die Entwicklung von Organisationen
generiert?
Derzeit beobachtet man große Diskrepanzen zwischen den verschiedenen
Ansätzen, mit deren Hilfe Wissen über Organisationen generiert wird. Die
größten Unterschiede können in der Literatur und auf Kongressen
wahrgenommen werden. Den Ansätzen der Organisationstheoretiker und
Organisationspsychologen auf der einen Seite stehen die Praktiker, also
Führungskräfte, Stabstelleninhaber und Beraterinnen, mit den Erfahrungen
aus ihrer Arbeit gegenüber. Letztere wenden die Erkenntnisse der
Organisationsforschung in ihrer praktischen Arbeit nur selten an, pflegen
jedoch eine lebhafte Diskussion und Reflexion ihrer Arbeit und greifen
selektiv auf sozialwissenschaftliche Theorien und Theoriebausteine zu, die
ihnen für die eigene Arbeit eine brauchbare Orientierung geben. Die
Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen und praktischen Ansichten
erscheint höchst unproduktiv.
Um diese Diskrepanz zu überwinden und um ein Modell für
Organisationswissenschaft und -forschung zu finden, das wissenschaftliche
Kriterien erfüllt und von Praktikern angewendet wird, muss die bestehende
Diskrepanz genauer untersucht werden. Eine Disziplin wie die
Organisationsentwicklung (OE), die den Anspruch erhebt, mehr sein zu
9
wollen als eine praktische Handlungsanleitung, und sich wissenschaftlich
weiterentwickeln will, muss auch wissenschaftlichen Standards gerecht
werden. Diese Standards haben sich über lange Zeit entwickelt, um
definieren zu können, was Wissen zu wissenschaftlichem Wissen macht.
Forschung und Wissenschaft einerseits sowie das Management und die
Beratung von Veränderungsprozessen andererseits basieren auf
unterschiedlichen Zielsetzungen, Logiken und Standards. Dennoch
beschäftigen sich beide Bereiche mit derselben Realität – mit
Organisationen und Veränderungsprozessen in Organisationen. Aus
diesem Grund erscheint es sinnvoll, die verschiedenen Ansätze genauer zu
betrachten und zu analysieren, ob und wie sie miteinander verbunden sind.
Drei Modelle der Feldarbeit
Wird die Gemeinschaft jener Expertinnen und Experten, die sich mit
Organisationsthemen beschäftigen, näher betrachtet, können drei
verschiedene Methoden der Feldarbeit identifiziert werden, um relevante
Daten zu erhalten. Eine Gruppe stützt sich auf die Annahmen der
traditionellen, oft als „empirisch“ etikettierten Sozialwissenschaft, die eng
mit jenen der Naturwissenschaften verbunden sind. Im diesem Modell, hier
als experimentelles Modell bezeichnet, sind empirische Studien, in denen
Erkenntnisse im experimentellen Rahmen gewonnen werden, von zentraler
Bedeutung. Eine zweite Gruppe beschäftigt sich mit jenen
sozialwissenschaftlichen Methoden, die häufig als „qualitative
Forschungsmethoden“ bezeichnet werden. Diese Bezeichnung sagt jedoch
nicht viel aus und dient im Wesentlichen dazu, die qualitativen von den
quantitativen Aspekten des experimentellen Forschungsmodells zu
unterscheiden. Unter Berufung auf E. Schein (1987, S. 11 ff.) kann die
qualitative Forschung auch als das ethnographische Modell bezeichnet
werden, das sich vom dritten Modell, dem so genannten Praktikermodell,
unterscheidet. Das Praktikermodell wird am häufigsten von Managern,
Unternehmensführern und Beratern angewandt. 1 Als eine Art der
Feldarbeit liefert das Praktikermodell zulässige Daten für die
Weiterentwicklung der OE.
Die drei genannten Modelle schließen sich gegenseitig nicht aus. In
wissenschaftlichen Publikationen über die OE sind alle drei Modelle
vertreten. Ihre Anwendung hängt häufig davon ab, welche Fragen
1
Schein (1987, S. 11 ff.) führte den Begriff der „clinical perspective“ (klinische Perspektive) ein.
Argyris/Putnam/Smith (1985) prägten die Begriffe „action research“ (Handlungsforschung) und
„action science“ (Handlungswissenschaft), die dem des Praktikermodells generell sehr ähnlich
sind. Der Begriff des Praktikermodells wird hier bevorzugt verwendet, um neue Entwicklungen
seit den 1980er Jahren miteinzubeziehen.
10
beantwortet werden sollen und welche Art von Information benötigt wird.
Es ist daher wichtig, sowohl die Unterschiede zwischen den drei Modellen
als auch die Stärken und Grenzen jedes Modells wahrzunehmen, um
unterscheiden zu können, welches Modell wofür eingesetzt werden kann.
1. Das experimentelle Modell
Die klassische Physik beruhte auf der Illusion, dass wir die Welt
beschreiben können, ohne von uns selbst zu sprechen (Werner
Heisenberg).
Eines der Grundprinzipien traditioneller Wissenschaftler ist das des
externen Beobachters, der durch seine Beobachtungen nicht in das
beobachtete Objekt oder Subjekt eingreift. Das Ziel dieser Wissenschaftler
besteht darin, die objektive Realität festzustellen und zu beschreiben. Das
Modell ist so ausgelegt, dass die spezielle Sichtweise des betroffenen
Forschers keine Berücksichtigung findet. Um die Wissenschaftlichkeit
seiner Resultate sicherzustellen, wendet der experimentelle Forscher das
Kriterium der Reproduzierbarkeit des Experiments an. Beschäftigt sich ein
anderer Forscher mit demselben Forschungsobjekt oder -subjekt, sollte er
demzufolge genau die gleichen Beobachtungen machen. Die
Datengewinnung ist so konstruiert, dass persönliche Sichtweisen keinen
Einfluss auf die Forschungsergebnisse haben. Jede Person, die die
richtigen Regeln anwendet, erzielt die gleichen Forschungsresultate. Das
Ideal besteht darin, „the view from nowhere“ (Nagel 1986) zu haben. Das
Modell stützt sich daher zum Großteil auf Messungen und folgt den
Prinzipien Galileis, d.h., die Welt wird durch die Brille der Mathematik
gesehen und mit deren Sprache beschrieben. Die Aufgabe besteht darin,
das Forschungsobjekt oder -subjekt so präzise wie möglich zu vermessen
und damit das Unmessbare messbar zu machen.
Um dies zu ermöglichen werden Laborexperimente durchgeführt. Der
Beobachter ist also nicht nur passiv. Seit den Anfängen der modernen
Naturwissenschaften besteht eine der Grundideen darin, dass eine aktive
Einmischung des Forschers zu mehr Erkenntnis führt als seine passiven
Beobachtungen. Dies setzt jedoch die Annahme voraus, dass die Art der
Einmischung, die durch das Experiment stattfindet, das beobachtete Objekt
oder Subjekt nicht verändert. „Keine Maschine wird rot und beginnt zu
stottern, wenn man sie ‘blöd’ nennt, keine Chemikalie gerät in
Selbstwertkrisen, wenn sie der Chemikerin nicht gefällt, und kein
Computer lässt sich durch Incentive-Reisen zu schnellerem Arbeiten
verlocken“ (Simon/C/O/N/E/C/T/A 1992, S. 22).
11
Es war daher ein großer Schock für die Physik, als gewisse Physiker
entdeckten, dass das Setting eines Nuklearexperiments einen Einfluss auf
die beobachtbaren Prozesse hatte. Denn im experimentellen Modell ist es
sehr wichtig, dass die Beziehung zwischen Forscher und Objekt bzw.
Subjekt keinen Einfluss auf die Forschungsergebnisse hat.
Die Methodologie und die Glaubenssätze der Naturwissenschaftler spielen
auch in den Sozialwissenschaften und der Psychologie eine Rolle. Gemäß
der naturwissenschaftlichen Ideen und Grundprinzipien nutzt die
Forschung quantitative Methoden und bringt Ergebnisse hervor, die sich in
Zahlen ausdrücken lassen. Diese Methodologie ist sehr nützlich, um die
häufig so bezeichneten „hard facts“ zu untersuchen, zu denen z.B. die
Organisationsgröße und ökonomische Daten zählen. Sie kann auch für
Studien, z.B. Meinungsumfragen, eingesetzt werden, bei denen es sinnvoll
erscheint, Daten von einer großen Anzahl zu sammeln. Der
wissenschaftliche Standard dieses Forschungstyps (Zuverlässigkeit,
Gültigkeit, Objektivität) soll dazu führen, wahre Antworten zu finden, die
nicht unterschiedlich interpretiert werden können.
Selbst wenn dieses Vorgehen Erfolg hat, besteht ein Problem des Modells
darin, dass die soziale Situation, die beschrieben werden soll, verändert
wird. Durch die Anwendung des experimentellen Modells als Werkzeug
der Organisationsanalyse wird eine Intervention gesetzt, die im
beobachteten sozialen System eine Irritation hervorruft. Beispielsweise
wird eine Studie, die sich mit der Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihren
Arbeitsbedingungen beschäftigt, nicht nur Informationen hervorbringen,
sondern auch einen Kommunikationsprozess mit ungeplanten
Auswirkungen auslösen. In jedem Fall wird sich die soziale Situation nach
der Studie verändert haben. Die Beobachtung, die der Forscher macht, ist
also bis zu einem gewissen Grad durch seine Beobachtung schon wieder
überholt. Dies ist auch im Kontext von Wahlprognosen hinlänglich
bekannt. Diagnose und Intervention können in der Organisationsforschung
nicht voneinander getrennt werden, weil die Diagnose einer Organisation
schon eine Intervention ist.
Das experimentelle Modell hat auch in anderen Bereichen seine Grenzen.
Forschungsprojekte, die auf dem experimentellen Modell basieren, sind
notwendigerweise sehr selektiv. Für eine bestimmte Beobachtung werden
nur ganz wenige Variablen und Beziehungen zwischen diesen Variablen
ausgewählt. Die Frage drängt sich auf, was mit all den empirischen Daten
passiert, die davon ausgeschlossen sind. In Wissenschaft und Forschung
gibt es keine absoluten Kriterien dafür, was in einem Forschungsprojekt
inkludiert werden muss und was exkludiert werden soll. Die Logik der
12
Wissenschaft ist an allen Wahrheiten interessiert; es ist lediglich die
pragmatische Notwendigkeit eines einzelnen Forschungsprojektes, die zu
einem sehr strikten selektiven Fokus zwingt. Die Selektionskriterien
basieren auf pragmatischen und nicht auf wissenschaftlichen Argumenten
(die Ausnahme besteht darin, dass Forschung neues Wissen generieren
sollte), weil alles wert ist, Forschungsobjekt zu sein. Die empirische
Sozialwissenschaft bringt eine riesige Menge an Studien hervor, wobei
jede Studie, auf wissenschaftlicher Logik basierend, einen ganz
bestimmten Fokus hat. Als unendliches System generiert die Wissenschaft
primär die Notwendigkeit zu weiterer Forschung, weil durch alle Resultate
neue Fragen aufgeworfen werden, die in darauf folgenden
Forschungsprojekten beantwortet werden sollen. Das experimentelle
Modell folgt der Logik der Wissenschaft als einem sich reproduzierenden
System. Durch die gewonnenen Resultate werden neue Fragen für
zukünftige Forschungsprojekte identifiziert. „Ich glaube, dass heutzutage
mehr Studien durchgeführt als Probleme gelöst werden“, lautet dazu der
Kommentar von Außenstehenden. 2
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Kommunikation als Objekt der
Beobachtung bereits sehr komplex ist und daher auch der Mechanismus
der Komplexitätsreduktion zum Einsatz kommt, muss ein
Forschungsmodell gefunden werden, mit dem es möglich ist zu
beschreiben, wie ein System mit seiner Eigenkomplexität umgeht. Dies
kann mit dem experimentellen Modell nicht erreicht werden. Das Ideal
dieses Modells besteht darin, die komplette Realität durch Forschung zu
kopieren. Sofern es um komplexe soziale Systeme geht, die sich in
permanentem Wandel befinden, liegt die Erreichung dieses Ziels jedoch in
so großer Ferne, dass die produzierten Resultate so weit dahinter
zurückfallen, dass der Wert nicht erkennbar bleibt. Das Modell mündet in
eine Paradoxie. Indem der empirische Aspekt des Modells als Kriterium
der Wissenschaftlichkeit betont wird, geht die empirische Basis verloren,
weil all jene Daten, die in einer konkreten Studie ausgeblendet bleiben,
nicht berücksichtigt werden. Die Komplexität sozialer Realitäten kann
nicht straflos in unabhängige Einzelperspektiven zerlegt werden.
2. Das ethnographische Modell
Das zweite Modell interessiert sich für jene Informationen, die hinter den
hard facts verborgen sind. Diese können nicht durch Umfragen oder das
Studium von Dokumenten, die Organisationen produzieren, gewonnen
werden. Nicht nur die hard facts sind Teil des sozialen Systems
2
Ein Taxifahrer im Gespräch mit einem Wissenschaftler als Kunden.
13
Organisation – auch die unterschiedlichen Sichtweisen interner Akteure
sowie deren formelle und informelle Kommunikation stellen relevante
Elemente einer Organisation dar. Die Untersuchungsmethoden des
ethnographischen Modells sind weitreichender als jene des
experimentellen Modells und beinhalten sowohl die Beobachtung der
täglichen Arbeit als auch die Führung von Interviews. Dieser Ansatz hat
jedoch mit dem experimentellen Modell gemeinsam, dass davon
ausgegangen wird, dass die soziale Wahrheit ohne Einmischung oder
Irritation gefunden werden kann. Ethnologischen Forschungen liegt die
Annahme zugrunde, dass die Interaktion zwischen Ethnograph und
beobachtetem Stamm ohne Wirkungen bleibt. Die Aufgabe des Forschers
besteht darin, sich so weit wie möglich an den Stamm anzupassen und
jeglichen Versuch, das soziale System Stamm zu verändern oder zu
beeinflussen, zu vermeiden. Wissenschaftler gehen üblicherweise davon
aus, dass eine Organisation außerhalb ihres Bewusstseins existiert und dass
sie verstanden und entschlüsselt werden muss, ohne dass sie dabei gestört
wird (vgl. Schein 1987, S. 30).
Auch die Annahme, dass der Beobachter kein Teil des beobachteten
Systems ist und dass er außerhalb des Forschungsobjektes steht, hat das
ethnographische Modell mit dem experimentellen Modell gemeinsam. Es
wird von der Trennung von Denken und Sein, von Subjekt und Objekt
ausgegangen und die Aufgabe der Forschung ist es, die Realität
einzufangen und im „Reich des Geistes“ darzustellen. Philosophen von
Parmenides bis Hegel haben diesen Ansatz häufig kritisiert. Denn es kann
nicht erklärt werden, wie Beobachter und beobachtetes Objekt
zusammenkommen und Wissen generieren sollen, wenn sie als getrennte
Wirklichkeiten gedacht werden. In jüngerer Vergangenheit hat eine
Gruppe von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen den Prozess
der Beobachtung als aktive Handlung des Forschers beschrieben und diese
Position als radikalen Konstruktivismus benannt. 3 Erfahrung ist
Konstruktion, denn der Beobachter beobachtet, indem er Unterscheidungen
– z.B. zwischen dem Forschungsobjekt und dem Rest der Welt – trifft und
damit implizit eine zweite Unterscheidung zwischen sich und dem
Gegenstand einführt. Ohne Unterscheidungen zu treffen und dadurch
Unterschiede beobachtbar zu machen, kann nichts beobachtet und erkannt
werden. Auf dieser Annahme basierend bestimmt der Forscher die
Resultate seiner Forschungsarbeit, weil die Unterschiede, die er macht,
auch jene sind, die im Forschungprojekt gemacht werden. Der
3
Hierzu zählen G. Bateson (Anthropologie), G. Spencer-Brown (Mathematik), H. Maturana und
F. Varela (Biologie), H. v. Foerster (Kybernetik), C. Argyris (Handlungsforschung) und N.
Luhmann (Soziologie).
14
Forschungsprozess ist so gesehen ein Differenzierungsprozess, d.h., es
werden immer neue, detailliertere Unterscheidungen eingeführt. Jede neue
Information ist ein „Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen
Unterschied macht“ (vgl. Bateson 1983, S. 488).
3. Das Praktikermodell
You cannot understand a system until you try to change it (Kurt Lewin, zit.
nach Schein 1995a).
Um soziale Systeme im Allgemeinen und ihre Entwicklung im Besonderen
zu beobachten und zu verstehen haben sich die oben genannten Prinzipien
nicht ausreichend bewährt. Aus folgenden Gründen können sie in der
Organisationsforschung als nicht ausreichend bezeichnet werden:
Erstens sind soziale Systeme selbst beobachtende Systeme. Ihre
Wahrnehmung von sich selbst hat einen großen Einfluss auf ihre
Handlungen und ihre Entwicklung. Dieses Merkmal impliziert, dass
soziale Systeme lernende Systeme sind. Aus diesem Grund befinden sie
sich im permanenten Wandel und stellen keine fixen Realitäten dar. Viele
Personen haben die Erfahrung gemacht, dass die Art und Weise, in der eine
Organisation wahrgenommen wird, stark davon abhängt, welche Personen,
Abteilungen, Führungskräfte oder Mitarbeiterinnen die Organisation
beobachten. Die verschiedenen Selbstbeobachtungen des sozialen Systems
und die Unterschiede zwischen den einzelnen Eindrücken sind sehr
wichtige Elemente der jeweiligen sozialen Realität. Deshalb muss eine
Forscherin den Drang vermeiden, die eine Wahrheit über das System
finden zu wollen. Das Ziel eines Organisationsforschers kann eher als ein
Versuch gesehen werden, die unterschiedlichen Ansichten über das
System, die in dessen verschiedenen Teilen vorherrschen, zu beobachten
und zu interpretieren. Dabei ist der Zusammenhang zwischen bestimmten
Sichtweisen und ihren „Trägern“ in den Blick zu nehmen und zu
hinterfragen, was dadurch alles nicht gesehen wird. Die Wahrheit liegt in
der Komplexität und Vielfalt der unterschiedlichen Sichtweisen und nicht
in der Einseitigkeit einer einzelnen Systembeschreibung. Sowohl das
experimentelle als auch das ethnographische Modell haben nicht die
theoretischen Ressourcen, um der Aufgabe, selbst beobachtende Systeme
zu beobachten, gerecht zu werden.
Als selbst beobachtende Systeme sind Organisationen lernende Systeme
und entwickeln sich, indem sie durch ihre Selbstbeobachtungen ihre
Zukunft beeinflussen. In der Systemtheorie werden sie als nicht-triviale
Systeme bezeichnet. 4 Es ist davon auszugehen, dass ein und derselbe
4
Simon/C/O/N/E/C/T/A 1992, S. 27 ff. mit Bezug auf Heinz von Foerster.
15
Impuls von außen in der Zukunft zu einer anderen Reaktion des Systems
führt als in der Vergangenheit.
Zweitens
kann
ein
Forscher,
der
sich
mit
OE
und
Organisationsveränderungen beschäftigt, nur dann Erkenntnisse über die
Veränderung von Organisationen gewinnen, wenn er aktiv in die
Veränderung involviert ist. Damit wird die methodische Schwachstelle des
experimentellen und des ethnographischen Modells, dass Beobachtung den
beobachteten Gegenstand verändert, konstruktiv gewendet, indem die
aktive Rolle des forschenden Beobachters im Veränderungsprozess
bewusst gestaltet wird und ein wichtiger Teil der Beobachtung ist.
Eine Organisation, die einen Veränderungsprozess durchläuft, hat eine
bestimmte Vorstellung von der Situation und dem damit verbundenen
Veränderungsbedarf. Weiter hat sie Hypothesen darüber, wie sie die selbst
gesteckten Ziele am besten erreichen könnte. Ein Veränderungsprozess
kann mit einem wissenschaftlichen Experiment verglichen werden, in dem
der Forscher eine Reihe von Hypothesen hat und herauszufinden versucht,
ob diese verifiziert werden können oder nicht. In ähnlicher Weise sammelt
das sich verändernde System Erfahrungen, die ihm zeigen, ob sein
Veränderungsplan so wirkungsvoll wie erwartet ist oder nicht. Eine OEForscherin muss in den untersuchten OE-Prozessen eine aktive Rolle
einnehmen, um Erfahrungen zu sammeln und Wissen zu generieren. Der
Hauptunterschied zwischen der OE und einem wissenschaftlichen
Experiment besteht jedoch darin, dass ein OE-Projekt nicht im Labor,
sondern im wirklichen Leben stattfindet. Außerdem ist es weder primäres
Ziel noch Motiv eines Veränderungsprozesses, Forschungsergebnisse zu
erzielen. Organisationen sollen mit einem OE-Projekt verbessert und dabei
unterstützt werden, zu überleben und zu wachsen. Das bedeutet auch, dass
Personen, die relevante Einblicke in einen OE-Prozess gewinnen wollen,
nicht außerhalb des Prozesses stehen und ihn lediglich beobachten können.
Stattdessen müssen die Personen ein Teil des Prozesses werden und ihn
von innen aktiv mitgestalten.
Drittens basieren die Daten und Informationen, die über einen OE-Prozess
gewonnen werden, auf Handlungen, Dokumenten und Aussagen der
beteiligten Personen. Ein Praktiker wie z.B. ein Vorstandsmitglied oder
eine Beraterin haben auf diese Art der Information Zugriff. Dennoch
hängen die Menge, Qualität und Tiefe der Information stark von der
Beziehung des jeweiligen Praktikers zu seinen Informationslieferanten ab.
Praktische Erfahrungen bestätigen, dass ein Sozialwissenschaftler mit
seinem Forschungsinteresse im Hintergrund andere Informationen
bekommen wird als ein Berater, der beauftragt wurde, das System bei
16
seiner Veränderung zu unterstützen. Demzufolge werden relevante
Informationen tendenziell eher Personen in helfenden Rollen gegeben. Im
Fall eines Forschers ist für das System zunächst unklar, welchen Vorteil es
aus einem Forschungsprojekt hätte. Tatsächlich besteht ein wichtiger Teil
der Professionalität eines Beraters darin, eine Beziehung zum
Kundensystem aufzubauen, in der offene Kommunikation möglich ist.
Eine Voraussetzung hierzu besteht darin, dass der Berater in der Lage sein
muss zu beweisen, dass sein Beitrag im Veränderungsprozess dem Kunden
nützlich ist. Auch interne Akteure wie das Management befinden sich in
einer ähnlichen Situation. Der Datenfluss zwischen einem
Vorstandsvorsitzenden und den restlichen Mitarbeitern des Unternehmens
hängt stark von der Beziehung zwischen ihnen ab. Im Gegensatz dazu
befindet sich ein Forscher, der kein Teil des Systems ist und die Ziele des
laufenden Veränderungsprozesses nicht teilt, in einer schwachen Position.
Es ist für ihn weit schwieriger, relevante Informationen über das zu
bekommen, was in der Organisation gerade passiert. Daraus resultiert eine
paradoxe Situation. Ein Forscher, der sich an die Regeln der empirischen
Forschung hält und mit Hilfe dieser Methode einen OE-Prozess zu
untersuchen versucht, wird gerade durch das Befolgen dieser Regeln nicht
in der Lage sein, empirische Daten zu bekommen. Denn das würde
erfordern, dass der Forscher die Distanz zu seinem Forschungsobjekt in der
konkreten Feldarbeit aufgibt und sie erst in einer reflexiven Schleife
wieder gewinnt. Empirische Daten werden häufig als das Ergebnis
empirischer Fakten und nicht als das Ergebnis persönlicher Beurteilungen,
Ansichten oder Meinungen verstanden. Werden soziale Systeme allerdings
unter konstruktivistischen Gesichtspunkten erforscht, stellen persönliche
Sichtweisen, Meinungen und Beurteilungen einen sehr wichtigen und
einflussreichen Teil des sozialen Lebens dar. Um OE-Prozesse zu
erforschen muss der Forscher nicht nur eine als hilfreich erlebte Beziehung
zum Kundensystem aufbauen, sondern auch eine aktive Rolle im
Organisationsveränderungsprozess spielen.
Das Praktikermodell generiert auch einen anderen Typ von Wissen als die
beiden anderen. Das experimentelle Modell liefert quantifizierbare
Erkenntnisse darüber, wie die Realität ist und wie sie unabhängig vom
Beobachter funktioniert; das ethnographische Modell fügt auch relevante
nicht quantifizierbare Erkenntnisse hinzu. Das Praktikermodell und die
darauf aufsetzende Forschung bringen Erkenntnisse darüber, wie
intendierter Wandel in sozialen Systemen vor sich geht und wie Systeme
lernen können, sich weiterzuentwickeln (vgl. Scala 2000, S. 31 ff).
Ein kritischer Forscher wird dem entgegenhalten, dass Praktiker an die
Interessen des Systems gebunden sind. Ein Veränderungsprozess wird
17
nicht um der Forschung willen angestoßen. Vielmehr wird die
Notwendigkeit zu einer Veränderung von den Interessenträgern innerhalb
und außerhalb des betroffenen Systems bestimmt. Führungskräfte und
Beraterinnen sind aufgerufen, dem zu helfen, und müssen
dementsprechend handeln und intervenieren. Ein OE-Projekt kann deshalb
kein Forschungsprojekt sein. Die Themen, die durch ein OE-Projekt
aufgeworfen werden, und die Maßnahmen, die gesetzt werden, dienen
einem anderen Zweck als der Untersuchung wissenschaftlicher Aspekte
und Fragestellungen. Eine Beziehung, die auf der Unterstützung des
Kundensystems aufbaut, ist ein sehr mächtiger und produktiver Kanal, um
relevante Daten zu erhalten. Dies könnte in einem Forschungsprojekt, das
auf dem experimentellen oder ethnographischen Modell basiert, nicht
erreicht werden.
Ein Veränderungsprozess ist kein wissenschaftliches Projekt. Die
Möglichkeiten und Grenzen des Erfahrungsraumes sind durch die
spezifischen Ziele des Auftrags und damit durch den Auftraggeber
bestimmt. Der Veränderungsprozess stellt allerdings einen guten
Forschungsgegenstand dar. OE-Forschung ist daher eine Aufgabe, die
zusätzlich zum Management des Veränderungsprozesses erfüllt wird.
Soziale Systeme sind (selbst) beobachtende Systeme und das Management
eines Veränderungsprozesses bedarf einer Menge Beobachtung und
Reflexion. Das Geschäft der OE beinhaltet deshalb implizit
Forschungsmethoden, durch die permanent zwischen Handlungs- und
Reflexionsmodi gewechselt wird. OE adressiert jedoch die in einen
Veränderungsprozess involvierten Systeme mittels durchdachter
Interventionen. Wissen wird in Interventionen transformiert, die die
Entwicklung der Systeme unterstützen sollen. Sie unterscheiden sich stark
von einem Forschungsbericht, der ohne Rücksicht auf allfällige Wirkungen
die vollständigen Ergebnisse liefern soll.
Wissenschaftler und Praktiker – ein geistiger Dialog
Auf den bisherigen Ausführungen basierend können folgende Schlüsse
gezogen werden.
Um nützliche Einblicke in Organisationsveränderungsprozesse zu
gewinnen, muss der Interessierte nicht nur eine aktive Rolle im
Veränderungsprozess einnehmen, sondern sich auch um die Beziehung
kümmern, die er zum beobachteten System hat.
Die Rolle des Forschers ist keine Alternative zu der des Praktikers, sondern
es braucht die Arbeit des Praktikers, um daran forschen zu können.
Obwohl die Arbeit des Forschers auch praktische Arbeit beinhaltet, geht
18
die Durchführung eines Forschungsprojektes über die Aufgaben und
Verantwortungsbereiche des Praktikers hinaus. Forscher sammeln zwar
ebenso wie Praktiker Informationen, aber sie evaluieren, dokumentieren
und veröffentlichen die gesammelten Informationen auch noch
systematisch. Dabei stützt sich der Wissenschaftler auf die Beiträge und
Diskussionen der aktuellen Literatur und nutzt spezielle Medien für seine
Publikationen.
Abbildung 1: Praxis als Teil der OE-Forschung
Forschung, die so als zusätzliche wissenschaftliche Arbeit zur und über die
Praxis der OE gesehen wird, kann OE als Wissenschaft befördern und
wesentlich zur Professionalisierung der Praktiker beitragen. Während sich
OE als Praxis an die Organisationen mit Veränderungsbedarf wendet,
Berater sich um Aufträge bemühen und Beratung (Interventions-Knowhow) als Produkt anbieten, richtet sich die Forschung an die „scientific and
professional community“. Ihr Produkt sind Publikationen, ihr Markt sind
der Publikationsmarkt und Fachtagungen.
Der Umgang mit Theorie
There is nothing so practical as a good theory (Kurt Lewin 1951, S. 169).
Wird über Forschung und Wissenschaft gesprochen, muss auch die
Bedeutung von Theorien näher betrachtet werden. Es stellt sich die Frage,
was eine Theorie überhaupt ist.
Theorien sind das Ergebnis zusammengefasster und interpretierter
Erfahrungen. Theorien dienen dazu, alltägliche Erfahrungen zu verstehen
und zu erklären. Die Erfahrungen werden in einen systematischen Rahmen
gebracht. Theorien besagen daher, in welcher Art und Weise die Dinge zu
19
betrachten sind. Sie sind wie eine Brille, durch die die Dinge in einer
bestimmten Weise beobachtet werden. Theorien formen unser Bewusstsein
darüber, was erwartbar ist, wenn in einem spezifischen Kontext gehandelt
wird. Dies ist sehr wichtig, um sich im Alltag sicher zu fühlen. Theorien
sind wie Handbücher für die Betrachtung und Interpretation der Welt.
Theorien sind daher nicht nur Sache der Wissenschaftler und Theoretiker.
Jeder Mensch hat eine Reihe von Theorien im Kopf, wobei einige explizit
zur Anwendung kommen, während andere – ohne dass dies realisiert wird
– implizit das Handeln beeinflussen. In den drei vorgestellten
Forschungsmodellen werden Theorien gleichermaßen angewandt. Theorien
repräsentieren jenes Wissen, das bereits vorhanden ist, und bilden die Basis
für die Sammlung neuer Erfahrungen. Daraus wird deutlich, dass Theorie
und Erfahrung zirkulär miteinander verknüpft sind. Um relevante
Beobachtungen zu machen, braucht es gute Theorien. Gute Theorien
wiederum sind Resultat vielfältiger, ausgewerteter Erfahrung. Dieser
Zirkel ist nicht aufhebbar, sondern muss gestaltet werden. In diesem Sinn
dienen die eingesetzten Theorien dazu, durch neue Erfahrungen entweder
bestätigt oder modifiziert zu werden. Bestimmte Theorien der
Sozialwissenschaft und der OE müssen daher in situationsbezogene
Hypothesen umgewandelt werden. Nur eine Reihe gut durchdachter
Hypothesen ermöglicht es dem Beobachter, relevante Erfahrungen zu
machen.
Tabelle 1: Übersicht über die Modelle der Feldarbeit
Experimentelles Modell
Ideal
Der Beobachter beeinflusst das beobachtete Objekt
oder Subjekt nicht.
Datensammlung auf
Basis von…
… Experimenten in einem laborähnlichen Kontext
Initiative und Ziele
vom Wissenschaftler gesetzt
Gültigkeitskriterium
Reproduzierbarkeit des Experimentes
Typus des
generierten Wissens
Quantifizierbare Erkenntnisse darüber, wie die
Realität
ist
und
wie
sie
unabhängig
vom
Beobachter funktioniert.
Nutzung der
Ergebnisse
Nutzung quantitativer Ergebnisse (hard facts).
Ethnographisches Modell
20
Ideal
Der Beobachter beeinflusst das beobachtete Objekt
oder
Subjekt
nicht;
er
versucht,
sich
nicht
einzumischen.
Datensammlung auf
Basis von…
… Beobachtung und qualitativen Interviews; der
Datenfluss
wird
vom
beobachteten
System
kontrolliert und hängt von der Beziehung des
Systems zum Forscher ab.
Initiative und Ziele
vom Wissenschaftler gesetzt
Gültigkeitskriterium
Datenbasis, die in einer ausreichenden Anzahl von
Fallstudien gewonnen wird.
Typus des
generierten Wissens
Quantifizierbare
darüber,
wie
und
die
qualitative
Realität
ist
Erkenntnisse
und
wie
sie
unabhängig vom Beobachter funktioniert.
Nutzung der
Ergebnisse
Nutzung quantitativer (hard facts) und qualitativer
(soft facts) Ergebnisse.
Praktikermodell
Ideal
In der Feldarbeit ist der Praktiker (Vorstand,
Experte, Berater) Teil des Systems:
Feldarbeit
dient
den
Zwecken
des
(Kunden-)Systems.
Forschung ist daher eine zusätzliche Reflexion der
Feldarbeit.
Feldarbeit und Forschung greifen zwar auf
dieselbe empirische Erfahrung, aber auf
unterschiedliche Produkte und Kunden zurück.
Datensammlung auf
Basis von…
…
Feldarbeit
durch
Interventionen,
die
auf
Hypothesen basieren, und Methoden, die die
Auswirkungen der Interventionen beobachten,; der
Datenfluss
wird
vom
beobachteten
System
beeinflusst und hängt von seiner Beziehung zum
Forscher ab.
Initiative und Ziele
Initiative und Ziele der Feldarbeit werden vom
Kundensystem gesetzt; Initiative und Ziele der
Forschung werden vom Wissenschaftler gesetzt.
Gültigkeitskriterium
Datenbasis, die in einer ausreichenden Anzahl von
21
Fallstudien gewonnen wird.
Typus des
generierten Wissens
Erkenntnis darüber, wie intendierter Wandel in
sozialen Systemen vor sich geht und wie Systeme
lernen können, sich weiterzuentwickeln.
Nutzung der
Ergebnisse
Nutzung quantitativer (hard facts) und qualitativer
(soft facts) Ergebnisse als Gelegenheit und Impuls
für Reflexion.
Vorgangsweise und Datengrundlage
Unsere Erkenntnisse über die Organisationsentwicklung
Kooperationen speisen sich aus folgenden Quellen:
von
1.
Langjährige OE-Beratung
Netzwerken;
und
2.
33 weitere Fallbeispiele von Kooperationen im Bereich der
öffentlichen Dienstleistungen;
3.
Verarbeitung dieser Fälle auf der Expertentagung „Der Prozess macht
den Unterschied“ in Zürich, 25.-26. 11. 2004;
4.
Abschlussarbeiten
im
Rahmen
des
Masterprogramms
Organisationsentwicklung sowie des Doktorandenkollegs Dr. OE.
von
Organisationskooperationen
Bei all diesen Quellen steht – in unterschiedlicher Tiefenschärfe – die
Erkenntnisgewinnung nach dem Praktikermodell im Vordergrund.
Ad 1) Der historische Werdegang der praktischen Feldarbeit ist in Kapitel
2 beschrieben. Darüber hinaus waren die Autoren in den letzten Jahren in
einer Vielzahl von OE-Projekten beraterisch tätig, unter anderem in den
Bereichen Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung, Spitäler, Schulen,
Universitäten und Forschungseinrichtungen, Interessenvertretungen,
soziale Dienste, Kirche und andere NPOs in Österreich, Deutschland und
der Schweiz. Die forscherische Reflexion und Auswertung dieser
beraterischen Feldarbeit nach dem Praktikermodell bildet die wichtigste
Quelle dieses Buchs. Beispiele dafür finden sich in den Kapiteln 5-8.
Ad 2) Um eine breitere Datenbasis zu gewinnen, wurden zusätzlich 33
Fallbeispiele von Kooperationen, Netzwerken und Fusionen mittels
Einzelinterviews von Führungskräften und Stabsmitarbeiterinnen und einer
ergänzenden Materialanalyse in zwei Runden beforscht. Die Fälle
stammen aus den Feldern Gesundheitsversorgung, Bildung und
22
Wissenschaft, Kultur, Politik und Verwaltung sowie Soziales. Beispiele
dafür tauchen in den nachfolgenden Kapiteln auf, sie reichen von
regionalen Beschäftigungspakten über Forschungsnetzwerke zur
Nanotechnologie, universitätsübergreifenden e-Learning-Plattformen, der
Fusion von Spitälern, Universitäten, Gewerkschaften und Gemeinden
sowie von der Kooperation von Spitälern zur Einführung digitalen
Röntgens bis hin zu einem Netzwerk niedergelassener Ärzte.
Tabelle 2: Übersicht über die Verteilung der Fallbeispiele
Feld
Gesundheit
Bildung,
Wissenschaft
Thema
15
Netzwerk
7
Österreich
11
6
Kooperation
15
Schweiz
20
7
Deutschland
2
Politik, Verwaltung
6
Soziales
3
Kultur
3
Summe
Land
33
davon:
Steuerung
Fusion
11
33
33
Die durchschnittlich zweistündigen Interviews wurden leitfadengestützt
und halbstrukturiert durchgeführt. Es wurde die Perspektive der Praktiker
auf Vorgeschichte und Kontext, Entwicklung und Prozess der Kooperation,
wesentliche Interventionen, Erfolgsfaktoren und Hindernisse sowie auf
Konsequenzen für die beteiligten Personen und die eigene Rolle erhoben.
Die Interviews wurden sinngemäß transkribiert und im Forschungsteam
inhaltsorientiert ausgewertet. Einige dieser Fälle sind in den Kapiteln 5, 7
und 8 näher dargestellt.
Ad 3) Expertentagung „Der Prozess macht den Unterschied“, Zürich 2004.
Diese Tagung – selbst Ergebnis einer Kooperation zwischen dem iff-oeAbsolventinnennetzwerk und öffentlichen Dienstleistungsbetrieben aus
unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern – diente der reflektierenden
Verarbeitung der Fallbeispiele aus der eigenen Praxis und der ersten
Interviewrunde.
Rund
100
Praktiker
(Führungskräfte,
Stabsmitarbeiterinnen, Berater) aus unterschiedlichen Organisationen
nahmen daran teil. Als Startimpuls diente eine Zwischenauswertung der
bisherigen Forschungsarbeit zu Kooperationen. Anschließend wurde
Material in Form von vier Fallbeispielen zur Verfügung gestellt. In einem
23
intensiven Verarbeitungsprozess durch Workshop-Gruppen und Plenum,
verzahnt mit weiteren Referaten, wurden anschließend eine Reihe zentraler
Ergebnisse zum Thema Kooperation zwischen Organisationen
herausgearbeitet.
Auf Basis der Ergebnisse und der aufgetauchten Fragen wurden die
Schwerpunkte der zweiten Runde der Fallstudien (siehe oben) festgelegt.
Ad 4) Im Rahmen unseres Masterprogramms „Organisationsentwicklung“
(siehe Kapitel 2, S. Fehler! Textmarke nicht definiert.) sind seit 1999
rund 110 Abschlussarbeiten der teilnehmenden Praktiker entstanden, von
denen sich die meisten mit dem Public Service-Sektor im Weiteren und
einige mit dem Aufbau und der Gestaltung von Kooperationsbeziehungen
zwischen Organisationen im Engeren beschäftigen. Diese Arbeiten
entstehen in intensiver Auseinandersetzung der Teilnehmer mit den
eigenen praktischen Fällen, in denen sie als Führungskräfte, als interne
Change Agents oder als externe Berater organisationsentwicklerisch tätig
sind. Sie stellen gehaltvolle Fallstudien aus der Innenperspektive und damit
wertvolles Material nach dem Praktikermodell dar.
Das iff-oegd-Doktorandenprogramm „Dr. OE“ stellt demgegenüber die
forscherische Auswertung eigener OE-Fälle in den Mittelpunkt. Auch hier
geht es darum, entlang von praktischer OE-Erfahrung Fälle zu bearbeiten;
diese Reflexion wird aber stärker in den Kontext bestehender OE-Diskurse
gestellt. In diesem Rahmen sind seit 2003 – in intensiver
Auseinandersetzung mit Ralph Grossmann und Klaus Scala – 26
Dissertationen entstanden, von denen sich mehrere Arbeiten, deren
Erkenntnisse hier einfließen, explizit mit Kooperationen und Netzwerken
in den Public Goods and Services beschäftigen (vgl. Payer 2003; Mayr
2003; Schmidt 2006; Wabnegg 2006).
Der Forschungsschwerpunkt Kooperation und Neue Steuerung
Das vorliegende Buch ist im Rahmen des seit 2004 laufenden iff-oegdForschungsschwerpunktes „Kooperation und Neue Steuerung“ entstanden,
dessen Gegenstand die prozessuale Ausgestaltung der Beziehungen
zwischen Organisationen im Rahmen der Erbringung öffentlicher
Leistungen mit folgenden inhaltlichen Schwerpunkten ist:
• Die neue Steuerung in der Praxis: die Ausgestaltung der
Steuerungsbeziehung zwischen politischen Entscheidungsträgern,
finanzierenden Organisationen und den Dienstleistungserbringern.
• Kooperation von Organisationen bzw. Teilsystemen mehrerer
Organisationen in Leistungsverbünden, Netzwerken, Reformprozessen,
24
Entwicklungspartnerschaften, Fusionsprozessen.
• Von der Hierarchie zum internen Netzwerk: die interne Steuerung und
Organisationsentwicklung von dezentral verfassten Organisationen.
Diese drei Entwicklungsperspektiven innerhalb und zwischen
Organisationen werden dabei in ihren – notwendigen – Interdependenzen
analysiert.
Ziel des Forschungsprogramms ist es, Prozessmodelle der Kooperation
zwischen Organisationen im Rahmen der Erbringung öffentlicher
Leistungen zu erarbeiten und handlungsorientierend zu vermitteln.
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26
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