Kap I 1 - Auf dem Holzweg durchs Universum

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Teil 3: Im Atom: Revolutionen im Unteilbaren
Maxwells Unvollendete: Geniestreich ohne guten
Schlussakkord
Unvermittelt dreht sich die Magnetnadel aus ihrer Ruhelage und stellt sich nach
ein paar Pendelbewegungen senkrecht zu einem Draht, durch den eine
zentnerschwere Batterie aus Kupfer und Zink, damals noch 'Galvanischer
Apparat' genannt, elektrischen Strom schickt. Die Studenten, die sich an
diesem Januartag im Jahre 1820 im Hörsaal der Universität Kopenhagen
eingefunden haben, ahnen nicht, dass sie in diesem Moment Zeugen einer
wissenschaftlichen Revolution werden. Hans Christian Oersted, der das
Experiment ausführt, hatte sich lange über die damals neuartigen Phänomene
Elektrizität und Magnetismus Gedanken gemacht und nach einem verborgenen
Zusammenhang gesucht. Die Logik schien nahezulegen, dass die Magnetnadel
sich parallel zum Strom führenden Draht ausrichten musste, was jedoch noch
nie jemand beobachtet hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, stellte
Oersted die Nadel endlich so auf, dass sie auch die scheinbar widersinnige,
senkrechte Orientierung einnehmen konnte, was sie dann auch prompt tat: Das
merkwürdige Naturgesetz, das dem Magnetismus zu Grunde liegt, hatte sich
endlich offenbart. Sofort verbreitete sich die Nachricht in Europa, und Oersted
wurde über Nacht zur Berühmtheit. Die Auswirkungen seiner Entdeckung auf
unsere gesamte Zivilisation konnte aber noch kaum jemand ermessen.
Ein Wettrennen der klügsten Köpfe um die Konsequenzen von Oersteds
Experiment begann. André-Marie Ampère formulierte die Gesetze des
Magnetismus, und Michael Faraday führte das wichtige Konzept des
elektrischen Feldes ein, mit dem der geniale James Clerk Maxwell die Theorie
der Elektrodynamik 1865 zum Abschluss brachte. Das elektrische Feld stellt
man sich am besten als unsichtbare Linien im Raum vor, die von jeder
elektrischen Ladung ausgehen. Wie an einer Perlenkette sind daran Pfeile,
Vektoren genannt, in Richtung der Linien aufgereiht, welche die Kräfte
symbolisieren, die auf andere Ladungen ausgeübt werden. Der Durchbruch
gelang Maxwell, als er in seinen Gleichungen den Zuwachs dieser elektrischen
Feldlinien gleichberechtigt neben die Bewegung echter Ladungen stellte. So
formuliert, sagte die Theorie plötzlich die Existenz elektromagnetischer Wellen
voraus, die durch wechselseitige Beeinflussung des elektrischen und
magnetischen Feldes entstehen. 1888 wurden diese Wellen durch Heinrich
Hertz nachgewiesen – und damit der Energietransport durch den Raum, der
damals als wahrer Zauber erschien. Vor allem gelang Hertz auch die Messung
der Übertragungszeit, und er bestätigte damit Maxwells kühne Vorhersage,
dass sich die Wellen mit Lichtgeschwindigkeit bewegten.
Der
wirkliche
Zauber
dieser Vereinigung
liegt
darin, dass eine
der
Fundamentalkonstanten – jene rätselhaften Zahlenbotschaften der Natur –
damit enträtselt wurde: Während vorher die Konstanten der Elektrizität und des
Magnetismus,i ε0 und µ0, ihre Eigenständigkeit besaßen und durch unabhängige
Messungen geadelt wurden, sind sie heute mittels Maxwells Formel
1
= c2
ε 0 µ0
Lakaien der Lichtgeschwindigkeit c. Und die Vereinigung war äußerst fruchtbar:
Magnetismus wurde damit verstanden – und gleichzeitig konnte man die bunten
Erscheinungen des Lichts als elektromagnetische Wellen beschreiben. Die
Erkenntnisse
passten
wie
fehlende
Puzzlestücke
zu
der
bekannten
Beobachtung, dass die Wellenlänge des Lichts als Farbe wahrgenommen wird
– in einem kleinen Bereich des Spektrums, für den das Auge empfindlich ist.
Wie Licht von den Quellen der Elektrizität, den geladenen Elektronen,
beeinflusst wird, ist allerdings auch heute, fast zweihundert Jahre nach Oersted,
noch nicht genau verstanden.
Die wichtigste Formel, die wir nicht kennen
Heinrich Hertz konnte nur deshalb Wellen in den leeren Raum aussenden, weil
er elektrische Ladungen in einer Antenne zum Schwingen brachte. In jeder
Antenne, zum Beispiel auch in Ihrem Handy, führen Elektronen solch eine
periodische Bewegung aus. Die Änderung der Geschwindigkeit in den
Umkehrpunkten, die sich notwendig ergibt, nennen Physiker Beschleunigung.
i
Historisch lauteten die Bezeichnungen anders.
Wann immer elektrische Ladungen beschleunigt werden, müssen sie nach den
Maxwellschen Gleichungen elektromagnetische Wellen aussenden – es bleibt
ihnen nichts anderes übrig, ähnlich wie einem in eine Pfütze geworfenen Stein.
Daher musste man auch die zu simple Vorstellung aufgeben, im Atom umkreise
ein Elektron den Kern – denn allein durch die Beschleunigung aufgrund der
Zentripetalkraft käme es zu einer Abstrahlung und somit zu einem
Energieverlust. Hingegen führt eine gleichförmige Geschwindigkeit einer
Ladung allein noch nicht zu einer Abstrahlung von Wellen.
Die angenehmste Abstrahlung elektromagnetischer Wellen ist sicher das Licht
der Sonne: Auf ihrer Oberfläche bewegen sich geladene Teilchen sehr schnell
und sind daher heftig beschleunigt. Max Planck war es 1900 gelungen, die
dadurch verursachte Lichtabstrahlung in einer Formel auszudrücken, die allein
von der Temperatur abhängt. Seine Entdeckung löste ein Erdbeben in der
Physik aus, weil sie die Existenz von Lichtteilchen, auch Photonen genannt,
nahelegte. Merkwürdigerweise ist die kollektive ungeordnete Abstrahlung von
vielen Ladungen leichter zu verstehen als die einer einzelnen, etwa eines
beschleunigten Elektrons.
Stellen Sie sich nun vor, Sie kennen die Beschleunigung einer einzelnen
Ladung zu jedem Zeitpunkt genau. Man möchte meinen, dass die Physik nun
eine Formel zur Hand hat, die genau angibt, wie viel Licht einer bestimmten
Wellenlänge in welche Raumrichtung abgestrahlt wird. Hat sie aber nicht! Wenn
Sie auch nur einen Funken Ehrgeiz für Naturerkenntnis verspüren, ist dies eine
höchst befremdliche Tatsache. Zwar gibt es Spezialfälle wie jene von Heinrich
Hertz verwendete Antenne, in denen man die Abstrahlung exakt berechnen
kann. In anderen Situationen, etwa wenn Elektronen in einer Röntgenröhre auf
Metall prallen und stark abgebremst werden – physikalisch handelt es sich
dabei
ebenfalls
um
eine
(negative)
Beschleunigung
–,
gibt
es
Näherungsformeln, welche die Energieabstrahlung ungefähr wiedergeben. In
voller Allgemeinheit ist aber noch unverstanden, wie beschleunigte Ladungen
Licht erzeugen. Warum?
Die Energierechnung ohne den Wirt gemacht
Am besten erklärt dieses Problem Richard Feynman in seinen Lectures on
Physics, einem hervorragenden und dabei verständlichen Buch. Nach längeren
Ausführungen über die Elektrodynamik schreibt Feynman:69
„Aber wir wollen einen Moment anhalten, um Ihnen zu zeigen, dass dieses enorme
Gebäude, mit dem sich so viele Phänomene wunderbar erklären lassen, letztlich auf die
Nase fällt ... – wir wollen nun eine ernsthafte Schwierigkeit diskutieren, nämlich das
Versagen der klassischen elektrodynamischen Theorie.“
Was meint er mit dieser provokativen Aussage? In der Tat widersprechen sich
hier physikalische Formeln. Es leuchtet ein, dass eine Ladung mit jeder
Beschleunigung Bewegungsenergie bekommt, die zum Beispiel aus dem
elektrischen Feld einer anderen Ladung stammt, die sie zu sich hinzieht. Wie
aber liegt der Fall bei nur einer Ladung? Es existiert eine Formel, die den
Energieinhalt ihres elektrischen Feldes angibt, wobei es auf die Richtung der
Kraftpfeile dann nicht mehr ankommt, sondern nur auf die Stärke. Und die
Stärke des elektrischen Feldes in der Umgebung einer Ladung bestimmt das
Coulomb-Gesetz. Zählen wir nun den Energieinhalt in allen Raumgebieten, die
ein Elektron umgeben, systematisch zusammen, erhalten wir plötzlich eine
unendlich große Energie. Ein vollkommen absurdes Ergebnis.
Verantwortlich für diese Katastrophe ist übrigens die Umgebung des
punktförmig
angenommenen
Teilchens,
wo
immer
höhere
Energiekonzentrationen herrschen, je näher man ihm kommt. Wenn man
Einsteins
berühmtem
Zusammenhang
zwischen
Energie,
Masse
und
Lichtgeschwindigkeit, E = mc2, nicht widersprechen will, bedeutet dies, dass
jedes der Abermilliarden Elektronen in unserem Körper eine unendliche Masse
haben müsste!
Die Probleme, die mit der inneren Struktur des Elektrons zusammenhängen, sind
noch sehr weit von einer Lösung entfernt.70 – Enrico Fermi
Ein wahrhaft schwerwiegender Widerspruch, denn im Experiment kann man
das Elektron und sein gleich schweres Antiteilchen, das Positron, durch den
Aufprall eines Photons, also mit einer Winzigkeit von Lichtenergie erzeugen.
Einsteins Formel wird man noch am wenigsten in Zweifel ziehen. Also kann
wohl die Formel für den Energieinhalt nicht ganz stimmen. Oder ist das Elektron
doch nicht punktförmig? Aber niemand konnte je seine Ausdehnung messen.
Die von der Theorie verlangte unermesslich hohe Energiedichte in der Nähe
des Elektrons führt dazu, dass wir sein Benehmen bei entsprechend hohen
Beschleunigungen nicht verstehen können. Es könnte beliebig Licht abstrahlen,
indem es sich aus dem eigenen unendlichen Energievorrat bedient – so als
würde es sich nach Lust und Laune an den eigenen Haaren aus dem Sumpf
ziehen oder „sich an den eigenen Schnürsenkeln festhalten“, wie Feynman sich
ausdrückt. Auch der russische Nobelpreisträger Lew Landau betont in seinem
Standardwerk der Theoretischen Physik, dass hier der Hund begraben liegt: 71
„Es kann hier die Frage entstehen, wie die Elektrodynamik, in der ja die
Energieerhaltung gilt, zu so einem absurden Ergebnis führen kann. Die Wurzel dieser
Schwierigkeit liegt in der unendlich großen elektromagnetischen 'Eigenmasse' der
Elementarteilchen.“
Leider ist von diesem gravierenden Problem der Physik wenig mehr bekannt,
als dass es grausam schwierig ist.
Versuchen Sie es erst gar nicht
Bevor Sie nun zur Reparatur der Elektrodynamik eine Theorie des nichtpunktförmigen Elektrons entwerfen oder Ihre Kreativität in eine neue Formel
seines Energieinhalts investieren, muss ich Sie weiter demoralisieren. Es gibt,
wie Feynman ebenfalls beschreibt, einen noch etwas subtileren Versuch, die
Masse des Elektrons zu berechnen. Der Impuls, das Produkt von Masse und
Geschwindigkeit, bleibt bei physikalischen Prozessen ebenso erhalten wie die
Energie; das zeigt sich zum Beispiel sehr anschaulich beim Zusammenprall von
Billardkugeln. Auch fliegende Elektronen haben einen Impuls, ja sogar das
elektromagnetische Feld selbst, was sich mit einer Formel berechnen lässt, die
1884 der britische Physiker John Henry Poynting entwickelte. Entsprechend
verursacht auch Licht einen Rückstoß, er muss beispielsweise bei der
Navigation von Satelliten berücksichtigt werden, die dem Sonnenlicht
ausgesetzt sind. Versucht man aber, mit Poyntings Formel den Impuls eines
bewegten
Elektrons
zu
berechnen,
indem
man
das
umgebende
elektromagnetische Feld betrachtet, stellt sich heraus, dass das Elektron
wiederum eine unendliche Masse haben müsste – schlimm genug.
Das Elektron ist ein zu einfaches Ding, als dass man nach Gesetzen fragen könnte,
die seine Struktur entstehen lassen. – Paul Dirac
Aber diese unterscheidet sich auch noch von jener vorher mit der Energieformel
berechneten Masse um den Faktor ¾! Unendlich oder drei Viertel mal unendlich
ist egal, könnte man einwenden, sogar mit einer gewissen mathematischen
Berechtigung. Aber selbst wenn es gelänge, die Unendlichkeit durch ein nichtpunktförmiges Elektron zu beseitigen, bliebe immer noch dieser irritierende
Faktor, der jede noch so schöne Lösung kaputt macht. Die Situation ist
verfahren.
Diese hoffnungslose Lage hat schon viele Theoretiker verzweifeln lassen, und
vermutlich wird gerade deshalb das Problem oft verdrängt. Schon einige Male
allerdings bin ich von Physikern belehrt worden, das Rätsel mit der unendlichen
Masse habe sich aufgelöst, nämlich durch die in der Folgezeit entwickelte
Theorie der Quantenelektrodynamik. Wohl hatte diese Theorie ihre Erfolge,
aber die Analyse von Richard Feynman ist unzweideutig:72 „Die Schwierigkeiten
bleiben bestehen, wenn der Elektromagnetismus und die Quantenmechanik
vereinigt werden.“ Hat er hier in seinem Lehrbuch etwas übersehen? Wer
dieser Ansicht zuneigt, muss die Quantenelektrodynamik allerdings besser
verstanden haben als Feynman selbst, dem für ihre Entwicklung 1965 der
Nobelpreis verliehen wurde. „Es ist also keine Zeitverschwendung, wenn wir
uns diese Schwierigkeiten jetzt ansehen“, rät Feynman schließlich. Und doch
scheinen gerade diejenigen Physiker keine Zeit mehr zu haben, in sein
Lehrbuch zu schauen, deren Arbeit am meisten vom mangelnden Verständnis
der stark beschleunigten Elektronen betroffen ist.
Beschleunigte Übersprungshandlungen
Mit neuartigen Lasern kann man geradezu unglaubliche Strahlungsleistungen
erzeugen – bis zu 1024 Watt pro Quadratmeter, was einer Energiedichte von
einer Milliarde Kilowattstunden pro Kubikmeter entspricht. Ein fingerdicker
Strahl dieser Art würde in zehn Sekunden den Chiemsee verdampfen lassen.
Laserlicht ist aber nichts anderes als eine elektromagnetische Welle, und
entsprechend spürt ein Elektron, welches in so einen Laserstrahl gerät, ein
immenses elektrisches Feld mit entsprechend heftiger Beschleunigung. Das
Laserlicht als solches ist übrigens völlig harmlos. Ähnlich wie in einem
Mikrowellenherd wäre lediglich eine zu hohe Intensität ungesund – wie leider
manche Meerschweinchen erfahren mussten, deren Besitzer sie darin trocknen
wollten. Geraten hingegen Elektronen in den Fokus dieser Laserstrahlen,
entsteht gefährliche Röntgenstrahlung – auch nichts anderes als Licht, aber mit
einer ungemütlich kurzen Wellenlänge. Denn bekanntlich können beschleunigte
Elektronen gar nicht anders, als elektromagnetische Wellen abzustrahlen, und
die Heftigkeit der Beschleunigung führt zu einer extrem kurzen Wellenlänge. Im
Prinzip handelt es sich dabei um ein hochinteressantes Forschungsgebiet.
Laser, die fast ins Wohnzimmer passen, werden höchstwahrscheinlich eines
Tages die gigantischen Teilchenbeschleuniger verdrängen wie Chips die
Schreibmaschinen. Aber noch mal: Verstanden haben wir den Zusammenhang
zwischen Beschleunigung und Abstrahlung noch nicht, trotz aller neuartigen
Technik.
Angesichts dessen ist der quirlige Forschungsbetrieb auf diesem Gebiet etwas
irritierend: Obwohl man zu ganz elementaren Fragen keine Theorie hat, rüstet
man sich für einen Größer-Schneller-Besser-Wettlauf, der unverstandene
Datenhaufen erzeugt. Nicht wenige der dabei Beteiligten werden behaupten,
mit ein paar Näherungsformeln alles vernünftig beschreiben zu können – so der
Originalton
eines
Arbeitsgruppenleiters
am
Max-Planck-Institut
für
Quantenoptik, mit dem ich mich vor längerer Zeit darüber unterhielt. Zu
Feynmans Aussage, es gebe bei großen Beschleunigungen keine korrekte
Formel, machte er große Augen und meinte, man befinde sich wohl noch nicht
in diesem Bereich. Wann dann, fragt man sich, wenn nicht bei 10 24 Watt pro
Quadratmeter?
Die
fleißigen
Rechner
berufen
sich
meist
auf
'den
Jackson',
ein
Standardlehrbuch mit dem Titel Classical Electrodynamics. Es handelt sich um
eines jener zahlreichen Werke, deren Autoren ihre Lebensaufgabe darin sehen,
Hunderte von Formeln zusammenzutragen. Dass eine vollständige Theorie der
Abstrahlung gar nicht existiert, liest man dort aber nicht – die alte Geschichte
vom Wald und den Bäumen.
Die Tatsache, dass wir große Beschleunigungen von Ladungen nicht
beschreiben können, wirft übrigens ein bizarres Licht auf nahezu alle
Experimente der Hochenergiephysik. Seit über fünfzig Jahren lässt man in den
Collidern Ladungen aufeinanderprallen, für deren Strahlungsverluste bei der
Abbremsung es keine gute Theorie gibt. Für eine korrekte Analyse wäre es
eigentlich bitter nötig, einen so elementaren Prozess genauer zu verstehen.
Ein großer Traum – hoffnungslos begraben?
Der Stil der Physik hat sich im letzten Jahrhundert entscheidend gewandelt.
Paul Dirac, das introvertierte Genie der Quantentheorie, war vielleicht wie kein
anderer den Geheimnissen des Elektrons auf die Spur gekommen und hatte
dafür 1933 den Nobelpreis erhalten. Doch auch er versuchte sich in späteren
Jahren an einer neuen Theorie der Elektrodynamik,73 weil er deren
grundlegende Defizite erkannt hatte – ohne Erfolg. Und schon Hendrik Antoon
Lorentz, ein Mentor Einsteins, der wichtige Vorarbeit zu dessen Formel E = mc 2
geleistet hatte, war diesen entscheidenden Fragen nachgegangen.
Vielleicht sind wir auf dem vollkommen falschen Weg, wenn wir auf Teile des
Elektrons unseren gewöhnlichen Begriff der Kraft anwenden. – Hendrik Antoon
Lorentz
Er war überzeugt, dass man die Masse des Elektrons allein aus der Energie
seines elektrischen Feldes ableiten konnte. Gab es keine Möglichkeit, diese zu
berechnen? Er grübelte jahrelang darüber nach, konnte aber die Widersprüche
nicht auflösen. Seine Idee bleibt jedoch faszinierend, einfach und schön.
An den enormen Schwierigkeiten sind also große Geister gescheitert, und die
nicht ganz so großen nehmen wohl deswegen die Schwierigkeiten heute gar
nicht mehr wahr.
Man wird uns zur Physikergeneration zählen ..., die so wesentliche Probleme wie die
Selbstenergie des Elektrons ungelöst zurückließ. Allmählich gewöhne ich mich an
den Gedanken, einen wirklichen Fortschritt nicht mehr zu erleben. – Wolfgang Pauli
Dennoch sollte man an Lorentz’ Anspruch, die Elektronenmasse zu berechnen,
festhalten: Wer das Ziel aufgibt, etwas richtig zu verstehen, sollte die Physik
gleich bleiben lassen. Tatsächlich scheint allerdings überall, wo die Masse
auftaucht, ein tieferes Problem hineinverwoben zu sein, das uns noch öfters
begegnen wird.
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