Simulation - Medical Network

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Orthoptische Untersuchung bei Verdacht auf
Simulation, Aggravation und somatoforme Sehstörung
Von Daniela Baumgartner, BSc
S
imulation, Aggravation und somatoforme Störungen betreffen häufig das visuelle System. Besteht ein
entsprechender Verdacht, gilt es diesen zu
bestätigen bzw. durch gezielte Abklärung
möglicher Differentialdiagnosen auszuschließen. Eine korrekte Diagnosestellung
ist wesentlich, um „doctor hopping“ sowie
unnötige und teure Untersuchungen zu vermeiden. Zur Einleitung einer eventuell notwendigen Therapie ist die Unterscheidung
von vorsätzlichem Handeln (Simulation)
und einer psychisch beeinflussten Störung
essentiell.
Unter Simulation wird das bewusste Vortäuschen einer Funktionsminderung verstanden, um dadurch einen persönlichen (z.B.
finanziellen) Vorteil zu erzielen oder die Verschonung von der Haft, dem Kriegs- oder
Wehrdienst zu erlangen.3
Aggravation liegt vor, wenn ein objektiv nachweisbarer Schaden besteht, der/die
PatientIn aber eine höhere Funktionsminderung angibt, als nach klinischer Erfahrung
zu erwarten ist.3
Somatoforme Beschwerden deuten zunächst auf eine organische Ursache hin,
welche bei entsprechender Untersuchung
jedoch nicht nachgewiesen werden kann.­
Daniela Baumgartner, BSc
Orthoptistin
Klinikum Wels-Grieskirchen
4600 Wels
Grieskirchner Str. 42
Tel.+ 43 / (0)7242 / 415-2293 oder
+ 43 / (0)7242 / 415-6713
Fax+ 43 / (0)7242 / 415-3934
[email protected]
kwww.klinikum-wegr.at
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Es wird davon ausgegangen, dass psychische und psychophysiologische Faktoren
bei der Entstehung maßgeblich beteiligt
sind.4 Treten belastende Situationen über
einen längeren Zeitraum in Kombination
mit inadäquater Stressverarbeitung auf, begünstigt dies die Entstehung einer somatoformen Störung.7
Symp­tomatik ist kaum möglich, daher muss
zur Differenzierung die Entstehungsursache
herangezogen werden.7 Wesentlich ist, dass
bei der somatoformen Störung die Beschwerden tatsächlich vorhanden sind, was bei der
Simulation/Aggravation nicht zutrifft. Die Diagnose Simulation kann nur gestellt werden,
wenn der Beweis der Täuschungsabsicht erbracht wurde und darf daher keine AusschlussdiaFaktoren, welche die Entstehung einer somatoformen Störung
gnose darstellen.8
­begünstigen (Kombination mehrerer Faktoren möglich)
Einseitig oder beidseitig reduziertes SehverBei Erwachsenen
50% belastende Familiensituation
mögen ist das häufigste
33% berufliche Belastung/Probleme
ophthalmologische Symp­
33% Probleme in der Partnerschaft
tom das im Rahmen einer
18% finanzielle Probleme
nichtorganischen Störung
15% problematische Kindheit
auftritt.
Bei Kindern
38% keine auslösenden Faktoren feststellbar
30% Schulprobleme
23% interfamiliäre Probleme
(Scheidung, Geburt von Geschwistern ...)
8% vorangegangenes Schädelhirntrauma
Untersuchungs­
methoden
Besteht eine Beeinträchtigung der Sehschärfe ist
bei der Wahl der Untersuchungsmethode zu unterscheiden zwischen AmauAbbildung 1: Entstehung einer somatoformen Störung
(Modifiziert nach Grabe / Freyberger 2003, S. 514; Langmann / Lindner / Kriechbaum 2001, S. 679;
rose und ein- bzw. beidBürgin 1999, S. 227)
seitiger Visusreduktion.
Gibt der Patient völlige
Blindheit an, kann durch
das Auslösen von Reflexen und durch VerSymptomatik und Diagnostik
Grundsätzlich ist eine nichtorganische Seh- haltensbeobachtung das tatsächliche Vorstörung in Betracht zu ziehen, wenn körper- liegen dieser überprüft werden.8 Bei totaliche Symptome vorliegen, diese jedoch in ler Blindheit ist am betroffenen Auge keine
Schwere und Ausmaß organisch nicht be- Pupillenreaktion auslösbar.3 Auch der optogründbar sind bzw. wenn der objektiv er- kinetische Nystagmus kann bei Amaurose
hobene Befund nicht mit den subjektiven nicht ausgelöst werden.7 Der LidschlussreBeschwerden oder den subjektiv erhobenen flex gibt ebenfalls Aufschluss über das tatUntersuchungsergebnissen übereinstimmt.
sächliche Vorhandensein einer Blindheit.
Zeigen sich weiters Symptome und Be- Wird die Handfläche in einer schnellen Beschwerden die medizinisch nicht schlüssig wegung den Augen angenähert erfolgt noroder widersprüchlich sind und ergeben sich malerweise ein reflexartiges Zusammenkneiuntypische Kombinationen ist ebenfalls an fen der Lider. Dieser Reflex ist bei völliger
eine Simulation/Aggravation oder somato- Erblindung nicht vorhanden.3
forme Sehstörung zu denken.
Das klinische Erscheinungsbild der Si- Besteht eine monokulare Visusreduktion
mulation/Aggravation als auch der somato- kommen binokulare Verwechslungstests
formen Störung gestalten sich ähnlich, da
zum Einsatz. Ziel dieser Methode ist es, den
beide Störungen körperliche Symptome auf- Patienten im Ungewissen zu lassen, welches
weisen, diese organisch jedoch nicht be- Auge gerade überprüft wird.5
gründbar sind.8 Eine Unterscheidung zwi- Bei der Prüfung der Sehschärfe mit
schen Simulation/Aggravation und somato­ Pseudorefraktion wird beispielsweise vor das
former Störung alleine aufgrund deren
besser sehende …> Fortsetzung Seite 18
1, 2, 6
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Orthoptische Untersuchung
bei Verdacht auf Simulation,
Aggravation und somatoforme
Sehstörung
Auge ein höheres Plusglas (z.B. +6,0 sph)
und vor das schlechter sehende Auge ein
schwaches Minusglas gegeben. Nun wird
die Sehschärfe binokular geprüft. Der/die
PatientIn weiß nicht, dass unter diesen Bedingungen die Sehschärfe am schlechter sehenden Auge erhoben wird. Kommt es nun
zu einem besseren Visus als bei monokularer
Prüfung handelt es sich möglicherweise um
eine nichtorganische Störung. Die Visusbestimmung mit Polarisationsfiltern beruht auf
dem gleichen Prinzip. Die Optotypen werden
binokular angeboten, anschließend wird die
Polarisation auf einem Auge so verändert,
dass die Sehschärfe des angeblich schlechteren Auges geprüft wird. Bei allen binokularen Verwechslungstests ist darauf zu
achten, dass der/die PatientIn nicht durch
schnelles Schließen eines Auges das gerade
zu prüfende Auge feststellt.7
Wird eine beidseitige Visusminderung angegeben, kann durch Änderung der Prüfdis­
tanz die Reproduzierbarkeit der Patientenangaben überprüft werden. Bei der inversen
Visusprüfung wird absichtlich mit besonders
kleinen Sehzeichen gestartet, welche dann
stufenweise vergrößert werden. Ist man bei
einer Sehschärfe von 1,0 angelangt, können
die Sehzeichen möglicherweise doch gelesen werden, obwohl davor eine Sehschärfenbeeinträchtigung angegeben wurde. Die
oben abgebildete Sehzeichentafel „Mojon
Chart“ (Abbildung 2) wurde zur Erfassung
Abbildung 3: Catford-Nystagmustrommel
von nichtorganischen Sehstörungen
entwickelt. Die Erkennung der Sehzeichen bei diesem Test erfolgt nicht
aufgrund deren Größe, sondern aufgrund des gleich bleibenden Streifenmusters. Erkennt der/die PatientIn das größte Objekt, muss er/sie
auch in der Lage sein, das kleinste
Symbol wahrzunehmen.7
Wie bereits bei der Prüfung auf
Amaurose erwähnt, kann durch
Auslösen des optokinetischen Nystagmus (OKN) auf das Vorhandensein einer bestimmten Sehschärfe
geschlossen werden. Es gibt verschiedene Methoden, mit welchen
der OKN geprüft werden kann. Eine
Möglichkeit bietet die Catford-Nystagmustrommel (Abbildung 3) bei
welcher durch Darbietung verschieden großer Punkte auf einer Drehscheibe Rückschluss auf die tatsächlich vorhandene Sehschärfe gezogen werden kann.
Positive Stereofunktionen setzen eine gewisse Sehschärfe voraus. Wird eine hochgradige Visusminderung monokular oder binokular von etwa 0,1 bis 0,2 angegeben,
ist eine negative Random dot Stereopsis zu
erwarten. Besteht positives Stereosehen,
kann daher auf das Vorhandensein einer
Sehschärfe von mindestens 0,2 geschlossen werden.5, 6
Abbildung 2: Mojon Chart
Alle Tests zur Prüfung auf binokulare
­Visusminderung sind grundsätzlich auch
bei der monokularen Sehschärfenreduktion
anwendbar.
Abbildung 4 gibt einen Überblick über
mögliche Untersuchungsmethoden, die bei
einer vermuteten nichtorganischen Visusbeeinträchtigung angewendet werden können.
Je nachdem, ob die Sehschärfe auf einem
oder auf beiden Augen reduziert ist, oder ob
Abbildung 4: Untersuchungsmethoden bei Visusbeeinträchtigung
(Modifiziert nach Trauzettel-Klosinski 2003, S. 197)8
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eine Erblindung angegeben wird, bieten
sich unterschiedliche Untersuchungsmethoden an.
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Vorgehen bei Nachweis von
­Simulation/Aggravation
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Nach Abklären der Gründe für das Handeln sollte der/die PatientIn auf die Folgen der Falschangaben hingewiesen werden. So kann es zur Verhängung eines
Fahrverbotes oder zu sozial- und versicherungsrechtlichen Nachteilen kommen. Außerdem empfiehlt es sich, die
behandelnden ÄrztInnen zu informieren.
Zeigt sich der/die PatientIn kooperativ
oder liegt eine finanzielle Notsituation
vor, kann nach legalen Unterstützungen
gesucht werden.8
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Vorgehen bei Nachweis einer
­somatoformen Störung
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Der/die PatientIn sollte informiert werden, dass keine organische Ursache für
die Beschwerden gefunden wurde. Nach
Herausfinden möglicher Gründe für die
somatoformen Beschwerden stehen folgende Therapieansätze zur Verfügung:
Lösungsvorschläge anbieten, suggestive
Therapien, Stressvermeidung, Psychotherapie und psychiatrische Behandlung.
Die Information der weiterbehandelnden
ÄrztInnen zur Vermeidung weiterer unnötiger Untersuchungen ist auch hier wesentlich.8 k
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1 Bürgin, D. (1999). "Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt". In:
Kaiser, H. / Flammer, J. (Hrsg.). Kinderophthalmologie, Auge und
Allgemeinerkrankungen. Bern: Hans Huber, S. 225-235.
2 Grabe, H. / Freyberger, H. (2003). Körperliche Symptomatik ohne Ursache
– Somatisierungsstörung? In: Psychoneuro, 29 (11), S. 513-517.
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3 Gräf, M. (2007). Objektive Sehprüfungen und Plausibilitätskontrollen.
In: Kroll, P. / Küchle, M. / Küchle, H. (Hrsg.). Augenärztliche
Untersuchungsmethoden, begründet von Wolfgang Straub. Stuttgart:
Georg Thieme, S. 58-73.
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4 Hiller, W. / Rief, W. (2004). Somatoforme Störungen. In: Berger, M. (Hrsg.).
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Psychische Erkrankungen. Klinik und Therapie. München: Elsevier, S. 770-778.
5 Lachenmayr, B. / Wilhelm, H. (2008). Prüfung auf Simulation, Aggravation
und Dissimulation. In: Lachenmayr, B. (Hrsg.). Begutachtung in der
Augenheilkunde. Heidelberg: Springer Medizin, S. 63-75.
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6 Langmann, A. / Lindner, S. / Kriechbaum, N. (2001). Funktionelle
Sehstörung als Konversionssymptom im Kindes- und Jugendalter. In:
Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. Stuttgart: Thieme, 218,
S. 677-681.
7 Mojon, D. / Schläpfer, T. (2001). Nichtorganische Störungen in der
Ophthalmologie: Übersicht der Diagnostik und Therapie. In: Klinische
Monatsblätter für Augenheilkunde. Stuttgart: Thieme, 218, S. 298-304.
8 Trauzettel-Klosinski, S. (2003). Funktionelle Sehstörungen und Simulation.
In: Schiefer, U. / Wilhelm, H. / Zrenner, E. / Burk, A. (Hrsg.). Praktische
Neuroophthalmologie. Heidelberg: Kaden, S. 193-203.
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www.augen.co.at
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