Direkte Demokratie und Gruppenrechte – Probleme der Kollektivierung individueller Partizipation in plebiszitären Rechtsetzungsverfahren V olksinitiative, Volksbegehren und Volksent­ „Selbstselektion der Unkundigen“ (W. Merkel/ A. Petring), scheid stellen in allen 16 Verfassungen der zur Dominanz ressourcenstarker und sozial kompetenter Länder Elemente eines Volksgesetzgebungs- Schichten (Stichwort: Kampagnefähigkeit). Hierbei zielt verfahrens dar, das als Volksbeteiligungsin- die Kritik nicht auf die (nicht überzeugende) These der stitut gleichberechtigt neben den allgemeinen Wahlen zu grundsätzlichen Gegensätzlichkeit bzw. Unvereinbarkeit den Landesparlamenten das Demokratieprinzip aus Art. von Repräsentations- und Plebiszitsdemokratie (E. Fraen- 20 Abs. 1 GG konkretisiert. Recht­ lich und auch verfassungstheoretisch problematische Implikationen folgen indes aus der Willenstransmission des a priori plural und indi- kel). Sofern man den Parteienstaat als „Representative institutions are, well, more representative.“ (John Haskell) vidual konzipier­ten demos durch de 52 modernen Flächenstaat“ (G. Leibholz) ansehen kann, sind die Parteien je- der „direkt“-demokratischen Rechtssetzung. Einige Pro­ Partizipation zu gewährleisten. Volksgesetzgebungsver- blemfelder sind hier zur Thesenbildung auszuleuchten: fahren sollten an die Mechanismen der parlamentarischen Repräsentation und parteienvermittelten Gemeinwillens- 1. Trägerschaft von Organisation, Kanalisation und Artiku- bildung angebunden werden. Als demgegenüber teleo­ lation der politischen Willensbildung: Plebiszitäre Beteili- logisch insuffizient stellt sich die formale Gleichstellung gungsvorhaben rekurrieren auf ephemere und diffuse des „Volkes“ (einer materiell besehen gruppendominier­ Personengruppen, die anders als Parteien keine mitglied- ten Allgemeinheit) mit dem Parlament als allgemeinem schaftlich-individuale Rückbindung kennen. Repräsentationsorgan im Rahmen eigenständiger Volks- 2. Gruppenrechtliche Rechtsausübung zur Vorstrukturierung der Volkswillensabfrage: gesetzgebungsverfahren dar. Kompetenzrechtlich 5. Mögliche Auswege: Der völlige Verzicht auf plebiszitäre privilegierte gesellschaftliche Gruppen üben Verfassungs- Rechtsetzungsverfahren ist nicht anzuraten; es muss nach funktionen zur „Anleitung“ der Individualpartizipation aus. Maßgabe von Art. 20 Abs. 2 GG möglich sein, verfas- Das Abstimmungsrecht wird, anders als das allgemeine sungsrechtlich und -theoretisch befriedigende Verfahrens- Wahlrecht, kollektivrechtlich überformt, der citoyen (im weisen zu finden. Erhöhung des Abstimmungsquorums, „direkt“-demokratischen Kontext!) neuerlich mediatisiert. zumindest bei kassatorischen Volksbegehren, auf letzt- 3. Permanenz der Gruppendemokratie statt Periodizität aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Parlaments, gefährden nicht nur dessen Legitimität sondern auch dessen Wirksamkeit als Vielstimmigkeitsrepräsentanz. Die Hilfskraft an der Georg-August-Universität Göttingen (Prof. Langenfeld); 2009 bis rogat der direkten Demokratie im doch womöglich besser geeignet, allgemeine individuelle allem zur Kassation oder Abänderung von Gesetzen des Studium in Hannover und Göttingen; 2007 bis 2011 Examinierte Wissenschaftliche plebiszitären Demokratie“, als „Sur- facto und de jure gruppendominierte Verfahrensweisen der Volkswillensabfrage: Ständige Gruppenbildungen, vor Roman Lehner „rationalisierte Erscheinungsform der Legislaturperiode verliert ihre Funktion als „Ruhezeit“ des demos. malige Wahlbeteiligung? Volksentscheide nur am Tag der allgemeinen Wahlen (Wahrung der Periodizität)? Volksbegehrensverwerfungsrecht bzw. Parlamentsgesetzesbestätigungs- oder Alternativgesetzesbeschließungsrecht des Parlaments (2/3-, 3/4-, 4/5-Mehrheit)? Beschränkung auf „kooperative“ (M. Martini) Rechtserzeugungsprozesse wie in Art. 60 Abs. 2 LV BW, 114 Verf RP? Zudem: Stärkung der Repräsentationsdemokratie durch „Abbau des Repräsentationsdefizits“ (K. Bugiel)? Stärkung konsultativer Volks- 2011 Referendariat am Oberlandesgericht Braunschweig; seit 2011 wissenschaft­ 4. Teleologische Insuffizienz: Hervorhebung der Gruppe befragungen und Erleichterung licher Mitarbeiter an der Georg-August-Universität Göttingen (Prof. Langenfeld); im Plebiszitverfahren ist materiell besehen zur Willens­ i.S.v. „Befassungserzwingungsverfahren“ (J.-D. Kühne)? Dissertation zum Thema „Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrech- transmission des plural und individual gedachten demos Verknüpfung te – Auch eine grundrechtliche Betrachtung des 3. und 4. Abschnittes des Allge- nur eingeschränkt geeignet. Empirische Befunde bele- prozesse mit elektronischen Partizipationsmöglichkeiten meinen Gleichbehandlungsgesetzes“. gen Tendenzen zum verstärkten sozialen Ausschluss, zur (open data und „Digitale Agora“)? repräsentativer von Volksinitiativen Entscheidungsfindungs­ 53