LEBEN 92 | | IN FORM | NR. 47, 19. NOVEMBER 2012 | MIGROS-MAGAZIN | Kleine Drüse, grosse Wirkung Die Schilddrüse produziert Hormone, die unseren Stoffwechsel steuern. Produziert sie zu wenig davon, kann dies zu Gewichtszunahme, Müdigkeit und sogar depressiven Verstimmungen führen. Eine Unterfunktion lässt sich zwar gut behandeln, ist aber nicht immer leicht zu erkennen. D ie Schilddrüsenunterfunktion, medizinisch Hypothyreose genannt, ist die häufigste hormonelle Störung. 4,6 Prozent der Bevölkerung leiden darunter», hält Endokrinologe Henryk Zulewski vom Universitätsspital Basel fest. «Bei Frauen über 65 Jahren ist sogar jede Siebte betroffen. Frauen trifft die Krankheit generell häufiger, fünf bis acht Mal mehr als Männer», so der Hormonexperte. Warum das so ist, weiss man nicht. Ebenso wenig sind die eigentlichen Auslöser von Schilddrüsenerkrankungen geklärt. Die Schilddrüse produziert mithilfe von Jod aus der Nahrung die Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Die Hormonproduktion wird vom Hypothalamus und der Hypophyse reguliert, dem Steuerzentrum im Gehirn. Oft liegt eine körpereigene Zerstörung der Schilddrüse vor «Jeder Mensch hat sein eigenes Schilddrüsenhormonlabor», sagt Zulewski und erklärt: «Die Konzentration der Schilddrüsenhormone wird vom Steuerzentrum im Gehirn gemessen. Stellt es einen Mangel an Schilddrüsenhormon fest, wird das Hormon TSH ausgeschüttet, das die Schilddrüse stimuliert.» Der TSH-Wert im Blut ist messbar, und ist er erhöht, weist dies auf eine Unterfunktion der Schilddrüse hin, selbst wenn die Werte der Schilddrüsenhormone (T4 und T3) selbst noch im Normalbereich liegen. Bei einer Unterfunktion verlangsamt sich der Stoffwechsel. Das Nervensystem ist weniger aktiv, vermehrt können Müdigkeit und depressive Verstimmungen auftreten, das Herz schlägt langsamer, die Körpertemperatur fällt ab, es wird weniger Fett abgebaut, und die Betroffenen nehmen zu. Die Ursache für eine Unterfunktion ist in den meisten Fällen eine körpereigene Zerstörung der Schilddrüse, die nicht heilbar ist. Die Krankheit ist sehr belastend, weil sie sich oft über Jahre hinzieht und die Betroffenen sich schlecht fühlen, solange sie keine Diagnose und keine entsprechende Therapie haben. Auch wenn die Diagnose schwierig ist, vom Hausarzt lässt sich eine Unterfunktion der Schilddrüse gut behandeln. Die fehlenden Hormone werden durch körperidentische Hormone in Tablettenform ersetzt. In den meisten Fällen sind Patienten innerhalb von zwei bis drei Monaten richtig eingestellt. Regelmässige Kontrollen sind aber wichtig, denn eine Überdosierung kann langfristig negative Wirkungen wie Herzrhythmusstörungen und Osteoporose zur Folge haben. Die 35-jährige Susanne Nauer* aus Frauenfeld TG weiss seit sechs Jahren von ihrer Erkrankung. Sie leidet an Hashimoto Thyreoiditis, einer speziellen Form der Schilddrüsenunterfunktion (siehe Kasten). Rund zwei Jahre davor bemerkte sie die ersten Symptome: Sie nahm zu, war müde und antriebsarm, hatte Haarausfall und Schlafstörungen. Schnell war ihr klar, dass nicht ihre Lebensumstände der Grund für die Beschwerden sein konnten. Die kranke Schilddrüse ist löchrig wie ein Emmentaler Der erste Internist, den sie aufsuchte, behandelte Nauer auf eine reine Unterfunktion. Weil es keine befriedigende Veränderung gab, suchte sie einen zweiten Spezialisten für Innere Medizin auf, der gleich die Diagnose Hashimoto Thyreoiditis stellte. Susanne Nauers Schilddrüse ist chronisch entzündet, wird sich im Lauf der Jahre selbst zerstören und dann keine Hormone mehr produzieren können. «Im Ultraschall sieht sie löchrig wie ein Emmentaler aus», erzählt die 35-Jährige. Irgendwann wird ihre Schilddrüse komplett auf Hormonersatz angewiesen sein. Im Moment arbeitet ihre Schilddrüse noch ein wenig, die Werte schwanken. Bei den regelmässigen Kontrollen wird deshalb die Hormongabe immer wieder angepasst. Susanne achtet darauf und merkt schnell, wenn die Dosis zu hoch Wenn sich die Schilddrüse zerstört Eine Hashimoto Thyreoiditis ist eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, bei der diese sich infolge einer chronischen Entzündung selbst zerstört und auf Dauer eine Unterfunktion ausbildet. Da die Krankheit schubweise verläuft und Symptome von Über- und Unterfunktion im Wechsel auftreten können, ist es wichtig, zur Abklärung auch die Peroxidas- und Thyreoglobulin-Antikörper im Blut zu untersuchen, da die Schilddrüsen-Hormonwerte TSH, T3 und T4 nicht immer aussagekräftig sind. Benannt wurde die Krankheit nach dem japanischen Arzt Hakaru Hashimoto, der sie vor 100 Jahren erstmals beschrieb. Weiterführende Informationen finden Sie auch auf der Site der Schilddrüsengruppe Schweiz: www.schilddruesen.ch ist, weil sie dann «zu quirlig und gereizt» sei, wie sie sagt. Heute kann sie gut mit der Krankheit leben, auch wenn manche Symptome wie Müdigkeit nicht ganz verschwunden sind und sie sich morgens sehr antreiben muss. Auch ihre Haare sind für ihr Alter früh ergraut, und sie bekam dunkle Hautflecken, die sie vor der Krankheit nicht hatte. Ist die Unterfunktion gering, bringt die Behandlung kaum Vorteile Jeder Patient mit Schilddrüsenunterfunktion muss einzeln angeschaut und beurteilt werden. Manchmal ist die Unterfunktion so gering ausgeprägt, dass eine Behandlung den Betroffenen keinen Vorteil bringt. «Für die Diagnose ist die Bestimmung des TSH allein ausreichend, sofern keine weiteren Erkrankungen vorliegen und der Patient in einem guten Allgemeinzustand ist. Liegt der Wert innerhalb der Norm, besteht keine Unterfunktion, und eine Behandlung ist nicht notwendig. Wenn es dennoch Beschwerden gibt, muss man die Ursachen woanders suchen», erklärt Experte Zulewski. Text: Sabine Müller * Name von der Redaktion geändert.