Das große PTA heute Handbuch

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2.2 Pens und Spritzen
spritzen zur Thromboseprophylaxe in die Hand. Es macht also Sinn, die wichtigsten
Abgabehinweise dazu parat zu haben.
Zur postoperativen Thromboseprophylaxe werden heute fast ausschließlich niedermolekulare Heparine (NMH), z. B. Enoxaparin (Clexane®), eingesetzt. Niedermolekulare
Heparine sind Fragmente des natürlichen Heparins, aus dem sie durch Depolymerisation
gewonnen werden. Die Wirkstärke der NMH wird meist in „Anti-Xa-Einheiten“, also
einem Maß für die Hemmung des Gerinnungsfaktors Xa, angegeben (Ⴉ Kap. 7.3.3).
Der Vorteil der NMH gegenüber Heparin ist, dass sie eine bessere Bioverfügbarkeit
und eine längere Halbwertszeit haben, sodass die tägliche Einmalgabe möglich ist. Außerdem ist ihre gerinnungshemmende Wirkung konstanter und damit besser steuerbar. Ihr
Nebenwirkungsrisiko gilt als geringer. Nachteil: NMH sind deutlich teurer als unfraktioniertes Heparin.
Anleitung zur Selbstinjektion
Da es sich bei Heparinspritzen in der Regel um eine Akutmedikation handelt, sind die
meisten Patienten, denen Sie in der Apotheke ein Präparat aushändigen, zum ersten Mal
damit konfrontiert. Hinzu kommt häufig noch die Scheu, sich selbst eine Spritze zu setzen. Vermitteln Sie daher Ihren Kunden Sicherheit, indem Sie ihnen detailliert und verständlich erklären, wie man mit solchen Spritzen umgeht.
Als Injektionsort empfiehlt sich, jedes Mal eine andere Stelle an der vorderen seitlichen
Bauchregion zu wählen, dabei die Nabelzone jedoch auszusparen. Alternativ kann auch
in den Oberschenkel injiziert werden. Zwischen zwei Fingern wird eine Hautfalte sanft
angehoben und dort die Kanüle senkrecht in ganzer Länge eingestochen. Danach muss
der Spritzenstempel bis zum Anschlag langsam durchgedrückt werden. Da die Kanülenlänge für die subkutane Injektion genau bemessen ist, wird dann automatisch in die richtige Gewebetiefe injiziert. Anschließend wird die Nadel senkrecht wieder herausgezogen
und erst dann die Hautfalte losgelassen. Die Spritze kann nach Aufsetzen der Kappe im
Hausmüll entsorgt werden. Noch ein praktischer Tipp: Im Liegen lässt es sich oft einfacher spritzen, da dann die Bauchwand entspannter ist.
Die in Blistern verpackten Fertigspritzen dürfen in vielen Fällen erst nach Abziehen
der Deckfolie vorsichtig entnommen werden – also nicht wie Tabletten durch das Blister
herausdrücken, sonst kann die Kanüle verbiegen.
Was manchen irritiert: In den Fertigspritzen ist stets eine Luftblase eingeschlossen. Sie
dient der vollständigen Entleerung und darf keinesfalls herausgeklopft werden. Beim
Abnehmen der Schutzkappe entsteht durch die Sogwirkung an der Nadelspitze manchmal ein Tropfen Wirkstofflösung. Damit kein Wirkstoff in den Einstichkanal läuft, was zu
oberflächlichen Blutergüssen führen kann, sollte der Anwender den Tropfen abschütteln,
aber nicht abwischen, denn dabei könnte die fein geschliffene Nadelspitze beschädigt
werden.
Auch wenn es nicht zwingend notwendig ist: Bieten Sie gerade ängstlichen Kunden
ruhig Alkoholtupfer zum Desinfizieren der Injektionsstelle an. Laut Untersuchungen
kann man damit die Rate an Lokalkomplikationen etwas verringern, vorausgesetzt, man
lässt die Alkoholreste vor der Injektion vollständig (circa 1 Minute) abtrocknen.
2
Sicherheits-Fertigspritzen: Bei den sogenannten Sicherheitsfertigspritzen (SF; z. B. von
Clexane® SF) soll ein eingebauter Schutzmechanismus vor Verletzungen mit gebrauchten
35
2 Beratung zu verschiedenen Darreichungsformen
Ⴜ Abb. 2.20 Clexane® Einwegpen zur HeparinSelbstinjektion. Links: vor der
Injektion, rechts: nach der
Injektion.
Spritzen schützen: Nachdem die Injektion erfolgt ist, schiebt sich sofort automatisch eine
Schutzhülle über die Nadel und schließt diese ein. Der blitzschnelle Vorgang ist mit einem
deutlichen Einrastgeräusch verbunden. Damit ist gewährleistet, dass sich niemand an der
benutzten Nadel verletzen kann und die Spritze anschließend auch ohne Gummikappe
gefahrlos entsorgt werden kann (Ⴜ Abb. 2.20).
Weitere Abgabehinweise
Um eine möglichst gleichmäßige gerinnungshemmende Wirkung zu erzielen, ist es wichtig, dass die Spritzen regelmäßig und stets zur gleichen Tageszeit verabreicht werden – so
lange wie es der Arzt vorgesehen hat.
Auch wenn der Anwender beim Spritzen alles richtig gemacht hat, kann es rund um
die Einstichstellen zu kleineren Blutergüssen oder Gewebeverhärtungen kommen. Diese
gelten jedoch als harmlos. Wesentlich ernster zu nehmen ist dagegen die durch Heparine
verursachte Thrombozytopenie, also eine Verminderung der Blutplättchenanzahl (HIT,
heparininduzierte Thrombozytopenie). Man unterscheidet die langsam und mild verlaufende HIT Typ I von der sehr seltenen HIT Typ II. Letztere kann wegen des extremen
Blutplättchenabfalls innerhalb kürzester Zeit lebensbedrohlich sein. Diese potenzielle
Heparinnebenwirkung lässt sich jedoch anhand von Blutuntersuchungen gut überwachen. Erinnern Sie daher Ihre Kunden an diese Kontrolluntersuchungen, manche Ärzte
halten diese allerdings nicht für notwendig.
36
3.2 Interaktionen in der Apothekenpraxis
3.2.4
Gefährdete Patienten
Augenmerk auf Interaktionen sollten Sie besonders bei Patienten haben, bei denen Wechselwirkungen häufiger auftreten können oder bei denen die Folgen möglicherweise
schwerwiegend sind. Zu solchen Risikogruppen gehören ältere gebrechliche Menschen,
Patienten mit einer Vielzahl an Dauermedikamenten oder nachlassender Organfunktion
wie Leber- oder Niereninsuffizienz.
Tipps für die Beratung
󠀂 Fragen Sie Ihre Kunden nicht nur nach eingenommenen Arzneimitteln, sondern
auch nach Nahrungsergänzungsmitteln oder pflanzlichen Mitteln aus dem Drogeriemarkt.
󠀂 Prüfen Sie beim Interaktions-Check, in welcher Darreichungsform der Arzneistoff
angewendet werden soll – das hat in vielen Fällen Auswirkungen auf die Beurteilung der Wechselwirkung.
󠀂 Machen Sie sich damit vertraut, wie Sie in Ihrem Warenwirtschaftssystem die
detaillierten Informationen der ABDA-Datenbank zu Interaktionen aufrufen können.
󠀂 Besprechen Sie mit Ihren Kolleg(inn)en beim Teamtreffen, wie Sie mit Interaktionen umgehen wollen.
3
󠀂 Seien Sie besonders aufmerksam für mögliche Interaktionen bei Risikopatienten:
ältere Menschen, Patienten mit einer Vielzahl an Medikamenten und/oder nachlassenden Organfunktionen wie einer Niereninsuffizienz.
3.2.5
Im Team besprechen
Der Umgang mit Interaktionen ist auch ein lohnendes Thema für eine Teamschulung. Es
zahlt sich aus, wenn in Sachen Wechselwirkungen alle an einem Strang ziehen. So bieten
die meisten Warenwirtschaftssysteme die Möglichkeit, nur bestimmte Schweregrade von
Interaktionen anzeigen zu lassen und weniger schwere Wechselwirkungen auszublenden.
Überlegen Sie im Team, welche Schweregrade standardmäßig angezeigt werden sollen. Es
ist auch hilfreich, wenn Sie in der Apothekensoftware kennzeichnen können, ob eine
Interaktion bereits überprüft worden ist. So können Sie vermeiden, dass ein Patient
immer wieder mit Nachfragen belästigt wird, die Ihre Kollegin vielleicht schon beim letzten und vorletzten Besuch in der Apotheke gestellt hat. Auch sollten Sie sich vorab im
Team verständigen, wer in welchen Fällen zuständig ist. So gibt es in einigen Apotheken
etwa die Regel, dass der oder die PTA bei schwerwiegenden Interaktionen einen Apotheker hinzuziehen sollte. Und bei anderen sind Rücksprachen mit dem Arzt immer
Chefsache.
51
3 Interaktionen
Das Wichtigste in Kürze
󠀂 Interaktionen können dazu führen, dass sich Arzneimittel in ihrer Wirkung
gegenseitig verstärken oder abschwächen.
󠀂 Nicht nur Medikamente können interagieren: Wechselwirkungen können auch
mit Lebensmitteln auftreten, etwa mit Milch oder Grapefruitsaft.
󠀂 Zu den häufigsten und wichtigsten Interaktionsmechanismen gehört die Beeinflussung der Aktivität von Enzymen.
󠀂 Wichtigste Hilfsmittel für die kompetente Beratung zu Interaktionen sind die
ABDA-Datenbank und die Kundenkarte, auf der alle Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel erfasst sind.
󠀂 Die aktuelle Klassifikation des Interaktionsmoduls in der ABDA-Datenbank
umfasst acht Kategorien.
52
4.1 Nicht eins für alle
4.
Antibiotika
Stefanie Eckard
Antibiotika gehören im Apothekenalltag zu den Arzneimitteln, die am häufigsten abgeben werden. Trotzdem ist die Unsicherheit in der Praxis oft groß: Gehört Clarithromycin
zu den Penicillinen? Wird dieser Wirkstoff vor oder nach dem Essen eingenommen? Wie
vertragen sich Antibiotika und Sonne? Antworten auf diese und andere Fragen zu gängigen Antibiotika finden sich in diesem Kapitel.
4.1
Nicht eins für alle
Jede Apotheke ist mit zahlreichen Antibiotika bevorratet. Sie kommen zum Einsatz, wenn
Bakterien als Krankheitsauslöser vermutet oder nachgewiesen werden. Nicht jedes Antibiotikum hilft bei jeder Erkrankung! Anhand ihrer chemischen Struktur und ihres
Angriffspunktes an der Bakterienzelle lassen sie sich in Wirkstoffgruppen einteilen
(႒ Tab. 4.1). Auch innerhalb einer Gruppe gibt es Unterschiede im Wirktyp und Wirkungsspektrum.
4.1.1
4
Wirktyp: abtöten oder hemmen?
Ziel ist es, Bakterien entweder abzutöten (bakterizider Effekt) oder in ihrer weiteren Vermehrung zu hemmen (bakteriostatischer Effekt).
Die endgültige Erregerabwehr erfolgt bei bakteriostatisch wirkenden Antibiotika
durch das körpereigene Immunsystem. Ist dies nicht intakt, z. B. bei bestimmten Erkrankungen, kommen bevorzugt bakterizide Substanzen zum Einsatz.
4.1.2
Wirkungsspektrum: schmal oder breit?
Stoffe, die nur gegen wenige Keime wirksam sind, werden als Schmalspektrumantibiotika
bezeichnet. Ein bekannter Vertreter ist Penicillin V. Es wird hauptsächlich zur Behandlung von Mandelentzündungen eingesetzt. Gegen die Erreger einer Blasenentzündung
wäre es aber wirkungslos. Stoffe, die ein größeres Anwendungsgebiet abdecken, sind
Breitspektrumantibiotika.
53
4 Antibiotika
႒
Tab. 4.1 Wichtige Antibiotika(gruppen) mit Wirktyp und Wirkungsspektrum
Antibiotika(gruppen)
Wirktyp, Wirkungsspektrum
Penicilline: Penicillin V, Flucloxacillin
Bakterizid, Schmalspektrum
Sonstige Betalactame (Penicilline und
Cephalosporine)
Bakterizid, Breitspektrum
Makrolide: Clarithromycin, Azithromycin
Bakteriostatisch bis bakterizid, Breitspektrum
Makrolide: Erythromycin, Roxithromycin
Bakteriostatisch, Breitspektrum
Tetracycline
Bakteriostatisch, Breitspektrum
Chinolone: Ciprofloxacin, Levofloxacin,
Moxifloxacin
Bakterizid, Breitspektrum
Clindamycin
Bakteriostatisch bis bakterizid, Schmalspektrum
Cotrimoxazol
(Sulfamethoxazol + Trimethoprim)
Bakterizid, Schmalspektrum
(beide Komponenten alleine bakteriostatisch)
Fosfomycin
Bakterizid, Breitspektrum
Metronidazol
Bakterizid, Schmalspektrum
Nitrofurantoin
Bakterizid, Schmalspektrum
4.1.3
Auswahl: kalkuliert oder bestimmt?
Die Verordnung erfolgt keineswegs wahllos, sondern es ist bekannt, welcher Wirkstoff für
welches Krankheitsbild geeignet ist. In der Praxis beginnt der Arzt meistens eine kalkulierte Antibiose. Das bedeutet, dass er zunächst keinen Erreger bestimmt (z. B. in Form
eines Abstrichs), sondern anhand des Beschwerdebilds einen Wirkstoff auswählt, der von
den Fachgesellschaften für diese Indikation empfohlen wird.
4.2
Das gilt immer
Obwohl sich die Substanzen unterscheiden, gibt es ein paar allgemeingültige Hinweise,
die dem Patienten bei jeder Abgabe eines Antibiotikums mit auf den Weg gegeben werden können.
4.2.1
Einnahmeempfehlungen
Wesentlich für den Therapieerfolg ist die korrekte Einnahme. Dazu gehören die Dosierung („wie viel“), die Einnahmefrequenz („wie oft“), der Einnahmezeitpunkt („wann“,
54
6.5 Herzrhythmusstörungen
󠀂 Kammer- bzw. Vorhofflimmern: hochfrequente (bis 500 pro Minute) Bewegungen der
Kammer- bzw. Vorhofmuskelzellen ohne nennenswerte Auswurfleistung.
Außerdem wird noch zwischen Erregungsbildungs- und -leitungsstörungen sowie nach
der Lokalisation der Störung (Sinusknoten, Vorhöfe, Kammern) unterschieden. Um welche Art Herzrhythmusstörung es sich handelt, kann in der Regel anhand des Elektrokardiogramms (EKG) erkannt werden. Besonders gefährlich sind Arrhythmien, die die
Herzkammern betreffen, insbesondere ventrikuläre Tachykardien und Kammerflimmern.
6.5.3
Verschiedene Ursachen
So unterschiedlich wie die Ausprägungen können auch die Ursachen von Herzrhythmusstörungen sein. Wie bei der Herzinsuffizienz kommen verschiedene andere Herzerkrankungen und Funktionsfehler infrage, ebenso wie Veränderungen des Elektrolythaushalts
(z. B. zu viel oder zu wenig Kalium). Auch eine Reihe von Medikamenten kann Herzrhythmusstörungen hervorrufen – leider auch Antiarrhythmika selbst! In Fachinformationen und Beipackzetteln liest man unter Nebenwirkungen häufig den Begriff „QT-ZeitVerlängerung“. Was sich dahinter verbirgt, können Sie in Ⴉ Kap. 4.7.2 nachlesen.
6.5.4
Individuelle Behandlung
Heutzutage können viele Herzrhythmusstörungen operativ, zum Beispiel durch Einsetzen
eines Herzschrittmachers, behandelt werden. Für die medikamentöse Therapie tachykar႒
6
Tab. 6.4 Einteilung von Antiarrhythmika
Klasse
Bezeichnung
Wirkstoffe (Beispiele)
I
Natriumkanal-Blocker
Ia: Chinidin, Procainamid
Ib: Lidocain, Mexiletin, Phenytoin
Ic: Flecainid, Propafenon
1
II
Betablocker
Sotalol, Carvedilol, Metoprolol, Bisoprolol
III
Kaliumkanal-Blocker
Sotalol, Amiodaron, Dronedaron
IV
Calciumkanal-Blocker
Verapamil, Diltiazem
Sonstige
Herzglykoside
Digoxin, Digitoxin
Adenosin-Rezeptor-Agonisten
Adenosin
HCN-Antagonisten1
Ivabradin
HCN ist ein bestimmter Ionenkanal des Sinusknotens.
143
6 Herz-Kreislauf-Erkrankungen
der Herzrhythmusstörungen stehen Antiarrhythmika zur Verfügung, die nach VaughanWilliams in die Klassen I bis IV eingeteilt werden ႒ Tab. 6.4. Zum Einsatz kommen vorwiegend Amiodaron und Ivabradin (Ⴉ Kap. 6.6.7).
6.6
Pharmaka zur Behandlung
6.6.1
Betablocker
Breites Indikationsspektrum
Zu den wichtigsten Arzneimitteln zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
gehören die Betablocker, die über ein breites Indikationsspektrum von Hypertonie über
Herzinsuffizienz und koronare Herzkrankheit bis hin zu Herzrhythmusstörungen verfügen. Sie blockieren β-Rezeptoren, die zum sympathischen Nervensystem gehören.
Dadurch wird die Herzfrequenz gesenkt und letztendlich die Herzarbeit vermindert, was
zur Entlastung des Herzens beiträgt (Ⴜ Abb. 6.4).
Viel Auswahl
Es befinden sich zahlreiche Betablocker auf dem Markt. Atenolol, Metoprolol und Bisoprolol greifen eher an β1- als an β2-Rezeptoren an. Das lässt vermuten, dass sie weniger
Nebenwirkungen haben, da die Rezeptorsubtypen unterschiedlich lokalisiert sind. So
kann zum Beispiel an den Bronchien eine Hemmung von β2-Rezeptoren zum Bronchospasmus führen. Trotzdem sind aber alle Betablocker bei Asthma und COPD (Ⴉ Kap. 8)
kontraindiziert. Ebenfalls problematisch sind Betablocker für Diabetiker, da die Stoffwechsellage verschlechtert bzw. die Symptome einer Hypoglykämie verschleiert werden.
Daher muss bei Diabetikern, die Betablocker einnehmen, auf eine besonders engmaschige Blutzuckerkontrolle geachtet werden.
Bei Hypertonie und Herzinsuffizienz eignen sich vor allem Betablocker mit zusätzlichen gefäßerweiternden Eigenschaften, wie Nebivolol und Carvedilol. Als Antiarrhythmikum hat Sotalol eine Sonderstellung, da es über mehrere Mechanismen wirkt und
daher sowohl der Klasse II als auch der Klasse III zugeordnet wird.
Einschleichende Dosierung
Bei Neueinstellung mit Betablockern muss beachtet werden, dass diese einschleichend
dosiert werden müssen. Das ist insbesondere wichtig, wenn eine Herzinsuffizienz vorliegt, in diesem Fall wird üblicherweise mit einem Zehntel der Zieldosis begonnen und
dann langsam höher dosiert. Auch ein akutes Absetzen ist nicht empfehlenswert.
Vorsicht Sportler
Mehr als bei anderen Antihypertonika kommt es unter Betablockern zu Schwächegefühl
und Leistungsabfall. Diese Symptome sind aber im Wesentlichen auf die ersten Wochen
begrenzt. Wer sportlich aktiv ist, fühlt sich jedoch durch die Therapie mit Betablockern
häufig beeinträchtigt. Förderlich – und daher als Dopingmittel verboten – sind sie dage-
144
9.3 Behandlung von Allergien
9.2
Was passiert bei einer Allergie?
9.2.1
Das Immunsystem schlägt Alarm
Pollen- und vielen Nahrungsmittelallergien liegt derselbe Mechanismus zugrunde: Wenn
das Immunsystem zum ersten Mal mit einem Allergen in Berührung kommt, schlägt es
Alarm. So, als handle es sich um einen gefährlichen Krankheitserreger, werden gegen das
Allergen spezifische Antikörper produziert. Bedeutsam für die spätere allergische Reaktion sind IgE-Antikörper, die an Mastzellen gebunden werden. In Mastzellen ist unter
anderem der Neurotransmitter Histamin gespeichert. Bei einem erneuten Kontakt mit
dem Allergen bindet dieses an die auf den Mastzellen fixierten Antikörper, und zwar so,
dass ein Antigen jeweils zwei IgE-Antikörper verbindet (bridging). Durch diese Aktivierung kommt es zur Freisetzung von Histamin und anderen Botenstoffen, vergleichbar mit
der Zündung einer bereits „scharfen“ Bombe (Ⴜ Abb. 9.2).
9.2.2
Allergiesymptome
Histamin hat mehrere Rezeptoren, von denen bislang vier Subtypen bekannt sind (H1H4). Entscheidend für die Symptome einer Allergie sind H1-Rezeptoren, die sich in verschiedenen Geweben befinden. Wenn Histamin im Verlauf einer allergischen Reaktion
freigesetzt wird, kann es innerhalb kurzer Zeit verschiedenste Wirkungen hervorrufen, zu
denen eben auch die typischen Allergiesymptome gehören. Diese sind Augen- und Atemwegssymptome wie Fließschnupfen, Niesen, Nasenschleimhautschwellung, Bindehautschwellung, tränende Augen oder Atemwegsspasmen. An der Haut kann es zu Urtikaria
(Nesselsucht) und Juckreiz kommen. Histaminwirkungen im Gastrointestinaltrakt sind
Durchfall und Erbrechen. Als systemische Reaktionen können Herz-Kreislauf-Beschwerden mit Blutdruckabfall, Unruhe, Atemnot oder ein anaphylaktischer Schock auftreten.
Im Fall von Heuschnupfen ist die Reaktion meistens lokal begrenzt. Außerdem werden
weitere Entzündungsmediatoren, zum Beispiel Leukotriene, angelockt, die in die Schleimhäute einwandern und dort Entzündungsreaktionen hervorrufen (Ⴜ Abb. 9.2).
9.3
Behandlung von Allergien
Eine Allergie sollte nicht unbehandelt bleiben. Neben dem Leidensdruck der Patienten
besteht sonst die Gefahr von Folgeerkrankungen wie zum Beispiel Asthma bronchiale;
man spricht dann auch von einem „Etagenwechsel“, weil die Symptomatik quasi eine
Etage nach unten rutscht.
Wenn eine Allergenkarenz, also das Vermeiden jeglicher Kontakte zum Allergen, nicht
möglich ist, muss eine Pharmakotherapie durchgeführt werden. Leichte Formen, die die
Lebensqualität nur bedingt einschränken, lassen sich in der Regel in der Selbstmedikation
behandeln. Die Eigendiagnose „Allergie“ sollte allerdings hinterfragt werden, da zum
Beispiel Heuschnupfen auch häufig mit einer Virusinfektion verwechselt wird. Patienten
9
175
9 Allergien
mit schwereren Allergiesymptomen gehören auf jeden Fall in die Hände eines
Facharztes. Generell empfiehlt es sich, durch einen Allergietest den oder die
Auslöser der Beschwerden ausfindig zu machen.
9.3.1
H1-Antihistaminika
1., 2. oder 3. Generation?
Die wichtigsten Arzneimittel zur Behandlung allergischer
Erkrankungen sind H1-Antihistaminika. Sie
blockieren Histamin-Rezeptoren vom
Typ H1, also diejenigen, über die
Histamin die Effekte vermittelt,
welche für die Allergiesymptome
verantwortlich sind. Allerdings gibt
es einen kleinen Haken: Es befinden
sich nämlich auch H1-Rezeptoren im Gehirn, über die
Wachheit und Übelkeit
vermittelt wird. Werden
die zentralen HistaminRezeptoren durch H1-Antihistaminika blockiert, machen die Ⴜ Abb. 9.1 Häufige Auslöser von Heuschnupfen sind
Substanzen müde. Die Vertreter z. B. Pollen von Weidenkätzchen.
der ersten Generation greifen
zusätzlich an anderen Rezeptoren wie Muscarin-Rezeptoren an, was zu anticholinergen Nebenwirkungen führen kann.
Daher spielen sie bei der Behandlung von Allergien kaum noch eine Rolle.
Die H1-Antihistaminika der zweiten Generation wirken selektiver am H1-Rezeptor
und gelangen kaum ins ZNS, sodass sie weniger anticholinerge und sedierende Nebenwirkungen aufweisen. In der Selbstmedikation besteht die Wahl zwischen Cetirizin und
Loratadin, die sich in ihrer klinischen Wirksamkeit nicht wesentlich unterscheiden.
Loratadin macht allerdings deutlich seltener müde, Cetirizin steht dafür auch als Saft für
Kinder ab zwei Jahren zur Verfügung. Ihre verschreibungspflichtigen Abwandlungen
Levocetirizin (Xusal®) und Desloratadin (Aerius®) werden mitunter gemeinsam mit
anderen neuen rezeptpflichtigen Vertretern wie Rupatadin (Urtimed®, Rupafin®) und
Bilastin (Bitosen®) als H1-Antihistaminika der dritten Generation klassifiziert.
Kombinationen von Antihistaminika mit dem indirekten Sympathomimetikum Pseudoephedrin sind bei Allergikern aufgrund der zusätzlichen abschwellenden Wirkung
sehr beliebt. Sie dürfen jedoch nur kurzzeitig verwendet werden.
Lokale Anwendung
Auch eine lokale Anwendung von H1-Antihistaminika als Nasenspray oder Augentropfen ist möglich. Dabei werden Wirkstoffe eingesetzt, die gut in die Schleimhäute der
Augen und Luftwege eindringen. Vorteilhaft bei einer lokalen Applikation sind der
schnellere Wirkungseintritt und die geringere Gefahr systemischer Nebenwirkungen.
176
9.3 Behandlung von Allergien
Allerdings muss die Anwendung mehrmals am Tag erfolgen, wohingegen bei oraler Einnahme meistens eine einmal tägliche Gabe ausreichend ist.
Allergische Hautreaktionen wie die Urtikaria können ebenfalls lokal mit H1-Antihistaminika in Form von Gelen oder Cremes behandelt werden. Dafür eignen sich einige
ältere Wirkstoffe mit zum Teil leichter lokalanästhetischer Wirkung.
H1-Antihistaminika in der Selbstmedikation
󠀂 Systemisch: Cetirizin (z. B. Zyrtec®, Reactine®), Cetirizin + Pseudoephedrin (z. B.
Reactine® duo), Loratadin (z. B. Lorano®),
󠀂 lokal als Augentropfen oder Nasenspray: Azelastin (z. B. Allergodil® akut, Vividrin®
akut), Levocabastin (z. B. Livocab® direkt),
󠀂 dermal: Dimetindenmaleat (z. B. Fenistil®), Bamipinlactat (z. B. Soventol®), Chlorphenoxamin-HCl (z. B. Systral®).
9.3.2
Mastzellstabilisatoren
Mastzellstabilisatoren verhindern, dass Histamin und andere Mediatoren aus den Mastzellen freigesetzt werden. Gegen Nahrungsmittelallergien ist eine orale Anwendung möglich, ansonsten werden sie je nach Symptomatik als Nasenspray oder Augentropfen eingesetzt, bei Asthma auch als Bronchialspray.
Das große Plus der Mastzellstabilisatoren ist ihre gute Verträglichkeit. Ihre Wirksamkeit ist allerdings vergleichsweise schwach und setzt auch erst zeitverzögert ein, sodass
mit der Therapie etwa zwei Wochen vor dem erwarteten Beginn der Allergenexposition
– beispielsweise der Pollensaison – begonnen werden muss. Zudem müssen sie viermal
täglich appliziert werden.
Mastzellstabilisatoren in der Selbstmedikation
󠀂 Lokal als Augentropfen, Nasenspray: Dinatriumcromoglicat, DNCG (z. B. AllergoComod®, Vividrin®, DNCG Stada®, Cromo-Stulln®), Nedocromil-Dinatrium (z. B.
Irtan®),
󠀂 oral: DNCG (z. B. Allergoval®, Pentatop®),
󠀂 lokal als Bronchialspray: DNCG (z. B. Intal® N Aerosol).
9.3.3
Glucocorticoide
9
Glucocorticoide sind entzündungshemmende Wirkstoffe. Da ihre Wirkung ebenfalls verzögert einsetzt, eignen sie sich nicht für die Sofortbehandlung, sondern müssen regelmäßig appliziert werden. Viele Patienten scheuen die Anwendung von Glucocorticoiden, da
diese für ihre zahlreichen Nebenwirkungen bekannt sind. Bei der Allergiebehandlung
sind sie jedoch eine wertvolle und potente Therapieoption.
Um das Risiko systemischer Nebenwirkungen zu minimieren, sollte die Anwendung
möglichst lokal erfolgen, mit Derivaten, die eine geringe Bioverfügbarkeit aufweisen und
daher kaum in den Blutkreislauf gelangen. Zur Behandlung von Heuschnupfen ist Beclometasondipropionat als einziger Vertreter auch rezeptfrei in Form eines Nasensprays
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