Frühe Diagnose, frühe Förderung – frühe Besserung? Dr. med. Dorothee Veer, Kinderärztin SPATZ Meppen Übersicht Diagnostik im SPZ anhand verschiedener Fallbeispiele Diagnostik bei besonderen Fragestellungen Frühe Förderung und Therapien bei verschiedenen Entwicklungsstörungen am Beispiel ADHS, Autismus, FASD, Frühgeburtlichkeit Das SPATZ Im SPATZ werden Kinder mit folgenden Behinderungen und Störungen behandelt: Ängste und Traumata Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen (ADS und ADHS) Bewegungsstörungen Entwicklungsverzögerungen und -störungen (motorisch, geistig, sprachlich) Epilepsie Geistige und körperliche Behinderungen, Mehrfachbehinderungen Interaktionsstörungen Lernstörungen Soziale Beziehungsstörungen Sprachstörungen Teilleistungsstörungen Wahrnehmungsstörungen Das SPATZ Team Kinderärztliches Team Neuroorthopäde Psychotherapeuten Heilpädagogen Motopäden Ergotherapeuten Logopäden Krankengymnasten Sprachtherapeuten Anmeldung Fall-Beispiele aus der Praxis Beispiel 1: Marvin Anmeldung mit 2,5 Jahren: Schreit viel, unzufrieden, spricht schlecht, wenig selbstständig, Testung: Münchner Funktionelle Entwicklungsdiagnostik Sprache und Selbstständigkeit dtl. Verzögert, Sozialverhalten verzögert Verhaltensbeobachtung: extrem unruhig, konnte nur für sehr kurze Zeit begeistert werden, schnell abgelenkt Beispiel 1: Marvin Diagnose: Entwicklungsverzögerung, besonders der Sprachentwicklung Störung des Verhaltens und der Emotionen Therapie: Heilpädagogischer Kindergarten Wiedervorstellung mit 4 Jahren Gute Entwicklungsfortschritte Noch deutliche Dyslalie / Dysgrammatismus Ausgeprägte Unruhe, wenig Ausdauer und Konzentration Visuomotorische Integration gestört Diagnose:V.a. ADHS, Sprachentwicklungsstörung Therapie: Ergotherapie und Logopädie Beispiel 1: Marvin Wiedervorstellung mit 5 Jahren K-ABC: durchschnittliche kognitive Leistungsfähigkeit (IQ 90-95) Anhaltende Unruhe, starke Konzentrationsschwierigkeiten Therapie: Med. Einstellung, zusätzlich zur bestehenden Förderung und Therapie Verlauf: positive Entwicklung, Sprache deutlich gebessert Wiedervorstellung mit 7 Jahren: Grundschule, klappt gut, IQ 90 (HAWIK) Frühe Besserung bei ADHS? Methylphenidat Therapie bei Vorschulkindern: bewiesene Wirksamkeit / Symptomverbesserung 2. Elterntraining, Verhaltenstrainings (z.B. Belohnungssysteme) und Farbstoff- bzw. Zusatzstofffreie Diäten haben sind mit großer Wahrscheinlichkeit wirksam 1. Jaswinder K, J Child Adolesc Psychopharmacol. Oct 2008; 18(5): 413–447. Frühe Besserung bei ADHS? Intervention ist besser für das Outcome als keine Intervention Outcome: Selbstbewußtsein Sozialverhalten Drogensucht Ausbildung/ Beruf Shaw M., BMC Med. 2012; 10: 99. Published online Sep 4, 2012 Fall-Beispiele aus der Praxis Beispiel 2: Juliane FG 28+4 SSW Atemnotsyndrom II° CPAP 5 Tage lang Keine Infektion Schädelsonographie unauffällig, keine Blutung Frühchencheck: 6 Monate Bayley: MDI 89 – Entwicklungsalter 6 Monate PDI 75 – Enwicklungsalter 5 Monate Beispiel 2: Juliane Empfehlung: Frühförderung Kontrolle mit 12 Monaten und 24 Monaten: unauffällig Weiterer Verlauf im Schulalter Konzentrationsstörung? Teilleistungsstörung? Internalisierendes Verhalten? Frühchen-Check Alle Frühgeborenen unter 32. SSW Alle Neugeborenen und älteren Frühgeborenen mit erhöhtem Entwicklungsrisiko Mit 6, 12, 24 Monaten Nach Ergebnissen der Niedersächsischen Frühgeborenen Studie – weitere Kontrollen bis Schulalter? Nach Studien zur Entwicklung später Frühgeborener – Frühchen-Checks ausdehnen? Frühe Besserung bei Frühgeburtlichkeit? Metaanalyse aus 21 Studien (3133 Patienten) Frühförderung verbessert die geistige Entwicklung im Säuglingsalter und im Vorschulalter signifikant (+7 IQ Punkte), der Effekt lässt sich aber im Schulalter nicht mehr nachweisen Frühförderung verbessert die motorische Entwicklung auch langfristig, jedoch nur kleiner Effekt (auch in andere Metaanalyse aus den Niederlanden bestätigt) Frühförderung verbessert die Aufmerksamkeitsspanne und das Sozialverhalten deutlich Spittle A. et al, Cochrane Database Syst Rev 2012 Dec 12 Fall-Beispiele aus der Praxis Beispiel 3: Jannik Anmeldung mit 3 Jahren: spricht nicht, nicht normal entwickelt in seinem Verhalten und Spielen Testung: Bayley, MDI < 50, Entwicklungsalter 9 Monate PDI < 50, Entwicklungsalter 14 Monate Beobachtungen: reagiert nicht auf Ansprache, wenig Reaktion auf Spielzeuge, interessiert sich für drehende Räder, fühlt und tastet alles ab, gelegentlich kurzer Blickkontakt Weitere Untersuchungen: MRT, Chromosomen, Beispiel 3: Jannik Diagnose: V.a. Autismusspektrumstörung Beobachtungsskala für autistische Störungen (ADOS) Modul 1 für Kinder im Vorsprachlichem Stadium Auffällig im Bereich Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweisen Elterninterview für autistische Störungen (ADI-R) Auffällig im Bereich Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweisen Empfehlung: HPK, autismus-spezifische Therapie, Medikament Autismustestung Screening M-CHAT (Kleinkinder) FSK (ab 6. LJ) Diagnostik ADOS ADI-R Verhaltensbeobachtung, Berichte aus Kindergarten, Frühförderung, Therapeuten... Der ADOS Das ADI-R Ausführliches Elterninterview zu den Bereichen Entwicklung, insbesondere Sprachentwicklung Kommunikation Soziale Interaktion Stereotype Verhaltensweisen Beispiel-Fragen Frühe Besserung bei Autismus? Frühe intensive Verhaltenstherapie (EIBI) scheint effektiv für Verbesserung der Eltern-Kind Interaktion, des Sprachverständnisses und der Reduktion autistischer Verhaltensweisen Intensives Elterntraining und Ausbildung ist ein wichtiger Faktor um Outcome zu verbessern Forderung der amerikanischen Akademie für Kinder- und Jugendpsychiatrie: frühe dauerhafte Intervention und die Verwendung multipler Behandlungsmodalitäten sind indiziert! Tonge BJ, Curr Opin Psychiatry, 2014 Mar;27(2):158-65 Reichow B, Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17;10:CD009260 J Am Acad Child Adolesc Psychiatry, 2014 Feb;53(2):237-57 Fall-Beispiele aus der Praxis Beispiel 4: Fiona Anmeldung mit 3,5 Jahren: auffälliges Verhalten: schreit, haut, kneift, sehr aufbrausend Kein Gefahren- und Risikobewußtsein Wenig Ausdauer, rascher Wechsel der Aktivitäten Distanzlos Fremden gegenüber Kann keine Regeln verstehen und einhalten Kann Regeln nicht auf fremde Situationen übertragen Schwangerschaft: Bis zum 5. Monat nicht bewußt, tägl. Alkoholkonsum Beispiel 4: Fiona Lebt bei Pflegeeltern Besucht den HPK Testung: WPPSI - III Beispiel 4: Fiona Diagnose: Fetale Alkohol Spektrum Störung Therapie: HPK, Methylphenidat, Ergotherapie, Logopädie, Aufklärung der Pflegeeltern über das Krankheitsbild Wiedervorstellung mit 6 Jahren Testung: FASD- Diagnostik Seit 2012 Deutsche Leitlinie „Fetales Alkoholsyndrom“ von Prof. F. Heine, M. Landgraf Washington Code der Universität von Seattle, USA Wachstum Gesichtstypische Veränderungn ZNS Entwicklung Alkoholexposition Wachstum Gesichtstypische Veränderungen ZNS Veränderungen Mikrozephalie Epilepsie Kognitive Entwicklung Teilleistungsstörungen (ältere Kinder) Verhaltensstörungen Typische Verhaltensweisen Cave: postnatale Einflüsse durch Vernachlässigung, Missbrauch, Hunger, etc. Alkoholexposition Gesichert, bekannte Mengen und Häufigkeit Gesichert, aber Mengen und Häufigkeit unbekannt nicht bekannt sicher nicht gegeben Frühe Besserung bei FASD Studien zu frühen Interventionen fehlen weitgehend Frühe Diagnose und individuelle Förderung scheint einen gewissen positiven Effekt zu haben, reduziert wahrscheinlich Komorbiditäten Studien sprechen für Therapie durch Kognitive Steuerung (CCT), Virtuelles Praxis-Training, Sprachtherapie, Dyskalkulie Training, GedächtnisTraining Frühe Diagnose wichtig für Akzeptanz und Anpassung der Erwartung an realistische Ziele Fazit Frühe Diagnose ist fast immer wichtig für einen frühen gezielten Beginn individueller Therapien Frühe gezielte Therapien können die Störung oft positiv beeinflussen Es fehlen Studien, die dies sicher belegen, besonders über einen längeren Zeitraum