Anonyme STI-Sprechstunde der Gesundheitsämter: Studie zu Infektionsrisiken und Gründen für den Besuch der Sprechstunde Martina Scharlach, Armin Baillot Hintergrund Sexuell übertragbare Infektionen (STI = sexually transmitted infections) stellen in Deutschland und auch weltweit ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem dar. Zu den wichtigsten Infektionen zählen die als klassische Geschlechtskrankheiten bekannte Syphilis und Gonorrhoe, Chlamydien sowie HIV. Gesundheitsämter bieten im Rahmen der Prävention von STIs ein anonymes Beratungs- und Untersuchungsangebot an. Dieses Angebot richtet sich vor allem an Personen mit häufig wechselnden Partnerinnen und Partnern, steht aber auch denjenigen offen, die keine ärztliche Praxis aufsuchen möchten. Viele Beratungsstellen wenden sich im Rahmen von sog. „street work“ direkt an Sexarbeiterinnen. In einer Studie wurden die Häufigkeit der Erkrankungen, Hinweise auf Risikogruppen und -verhalten sowie die Motivation der Patienten zum Besuch der Sprechstunde im Gesundheitsamt Braunschweig untersucht. Tab. 1: Ergebnisse der Laboruntersuchungen für die einzelnen Risikogruppen N = Anzahl der durchgeführten Untersuchungen; HPV-HR / LR = Humane Papilomaviren-high risk (erhöhtes Risiko für malignen Verlauf) / -low risk (Auslöser für Feigwarzen, geringes Risiko für malignen Verlauf) Chlamydien Abhängig vom persönlichen Risiko und Wunsch des Patienten wurden labordiagnostische Untersuchungen durchgeführt. Zur Ermittlung des Risikoverhaltens und der Motivation zum Besuch wurden spezifische Fragebögen für Personen mit heterosexuellem Risiko (PHR), Männer die Sex mit Männern hatten (MSM) und Sexarbeiterinnen verwendet. Zur Ermittlung der Assoziation zwischen Infektion und Risikoverhalten wurden in einer univariaten Analyse Relative Risiken (RR) und dazugehörige Konfidenzintervalle (CI) berechnet. Ergebnisse Zwischen Oktober 2009 und August 2014 beteiligten sich 913 Besucher der STI-Sprechstunde an der Studie, die meisten von ihnen (81 %) waren Personen mit heterosexuellem Risiko. Allgemeine Ergebnisse der Laboruntersuchungen (Tab. 1): • Alle Untersuchungen auf HIV und Gonorrhoe blieben negativ. • Syphilis-Infektionen wurden vor allem bei Sexarbeiterinnen festgestellt, bei MSM und PHR jeweils nur einmal. Zwei der Infektionen (1 x MSM, 1 x Sexarbeiterin) waren behandlungsbedürftig. Bei den übrigen sechs Nachweisen handelte es sich um zurückliegende Infektionen. • MSM waren signifikant häufiger von Chlamydien-Infektionen (RR 5,90; CI 2,13-16,30), von HPV-HR (RR 7,84; CI 3,06-20,07) und HPV-LR (RR 5,60; CI 1,34-23,40) betroffen als Männer der Gruppe PHR. Die Nachweise stammten bei PHR hauptsächlich aus Cervix- bzw. Urethralabstrichen, bei MSM aus Analabstrichen. • Unter den PHR wiesen Frauen ein signifikant höheres Risiko für HPV-HR auf als Männer (RR 5,90; CI 2,6413,20). HIV pos. Befunde pos. Befunde N Gonorrhoe pos. Befunde N n pos. Befunde N % n HPV-HR pos. Befunde N % n HPV-LR N % n pos. Befunde N % n % n Teilnehmer Gesamt % Männer 277 9 3,2 197 1 0,5 264 0 0,0 223 0 0,0 130 7 5,4 57 4 7,0 469 Frauen 113 5 4,4 76 0 0,0 161 0 0,0 89 0 0,0 64 20 31,3 24 5 20,8 275 MSM 26 5 19,2 31 1 3,2 28 0 0,0 24 0 0,0 14 6 42,9 5 2 40,0 45 Sexarbeit 37 0 0,0 112 9 8,0 113 0 0,0 37 0 0,0 39 11 28,2 18 1 5,6 124 453 19 4,2 332 11 3,3 566 0 0,0 373 0 0,0 247 42 17,0 104 11 10,6 913 PHR Gesamt Tab. 2: Beschreibung der einzelnen Risikogruppen Anzahl Alters(Min-Max) median Alter PHR letzte Krebsvorsorge < 24 Monate Geburtsland Deutschland Hepatits A Impfung Hepatitis B Impfung % n % n % n n Fester HIV-Status des (Lebens-)partner Partner bekannt % n % n % weitere Sexualpartner n % Männer 469 16 - 69 32,1 380 81,0 -- -- 187 39,9 209 44,6 283 61,8 123 42,6 54 18,7 Frauen 275 16 - 75 29,1 219 79,6 222 82,8 115 41,8 144 52,4 161 59,4 65 39,4 18 10,9 45 21 - 62 34,2 36 80,0 -- -- 21 53,9 22 56,4 12 30,8 5 38,5 2 15,4 124 18 - 58 29,3 5 4,0 24 20,2 10 8,4 27 22,7 65 54,6 9 12,5 -- -- MSM Sexarbeit Tab. 3: Wiederholter Besuch der STI-Sprechstunde (SpSt) und Gründe für den Besuch der einzelnen Risikogruppen Wiederholter Besuch der SpSt n % Infektion beim Partner n Neuer Partner % n % Schmerzen n Angst vor einer Infektion % n Routine TN Gesamt n % Sonstiges % n % Männer 146 31,1 35 7,6 170 37,1 17 3,7 201 43,9 109 23,8 19 4,2 469 Frauen 100 36,4 17 6,3 104 38,4 9 3,3 113 41,1 61 22,5 17 6,3 275 MSM 25 55,6 6 15,4 7 18,0 2 5,1 17 43,6 13 33,3 2 5,1 45 Sexarbeit 17 13,7 1 0,8 0 0,0 33 27,7 24 20,2 69 58,0 8 6,2 124 PHR Methode Syphilis PHR • PHR besuchten die Sprechstunde vor allem aus Angst vor einer Infektion und auf Grund eines neuen Partners. • 61 % berichteten, einen festen Lebenspartner zu haben, 16 % von diesen hatte darüber hinaus auch andere Sexualpartner. • 36 % der männlich PHR berichteten jemals für Sex bezahlt zu haben, 60 % von ihnen berichteten dies auch für die letzten 6 Monate. Keine der Frauen zahlte jemals für Sex. • Bei zwei oder mehr Partnern in den letzten 6 Monaten berichteten Männer häufiger „immer“ oder „überwiegend“ Kondome zu verwenden als Frauen (Abb. 1). Bei einem Partner in den letzten 6 Monaten berichteten 55 % der Männer und 45% der Frauen „immer“ oder „überwiegend“ Kondome verwendet zu haben. • Eine signifikante Assoziation (RR 4,31; CI 1,34-13,82) zeigte sich für eine HPV-HR Infektion unter PHR und einem inkonsequenten Kondomgebrauch. Abb. 1: Von PHR berichteter Kondomgebrauch bei >= 2 Partnern in den letzten 6 Monaten MSM • MSM nutzten das Angebot der Sprechstunde regelmäßig, 33 % der Befragten gaben als Grund des Besuchs „Routine“ an und 56 % der Befragen waren schon einmal in der Sprechstunde. • Nur wenige MSM (31 %) berichteten über einen festen Partner, die meisten Männer, die über Sex mit Männern in den letzten 6 Monaten berichteten, gaben eine Partneranzahl von 2-5 an (Abb. 2). • Keiner der Männer berichtete, bei Oralverkehr „immer“ oder „überwiegend“ Kondome zu benutzen (20 % „gelegentlich“). Den Kondomgebrauch bei Analverkehr gaben 35 % der Männern mit „immer“ an. Auf Grund der geringen Personenzahl und häufig fehlenden Angaben können keine weiteren Aussagen getroffen werden. Abb. 2: Von MSM berichtete Anzahl der Sexualpartner in den letzten 6 Monaten, n = 37 Schlussfolgerung STIs treten in den Risikogruppen unterschiedlich häufig auf, ohne dass gruppenspezifische Risikofaktoren eindeutig identifiziert werden können. Der inkonsequente Gebrauch von Kondomen in der Gruppe der PHR zeigt, dass die Aufklärung über den Schutzeffekt durch Kondomverwendung kontinuierlich fortgeführt werden muss. Vor allem für MSM und Sexarbeiterinnen sind STISprechstunden ein wichtiges Angebot für eine regelmäßige (Vorsorge-)untersuchung. Danksagung Sexarbeiterinnen • 77 % der Sexarbeiterinnen wurden durch die aufsuchende Tätigkeit des Gesundheitsamtes erreicht. • 46 % berichteten, noch nie bei einer Vorsorgeuntersuchung gewesen zu sein. • 62 % hatten keine Krankenversicherung. • 48 % der Sexarbeiterinnen kamen aus Bulgarien, häufig waren sie erst wenige Wochen oder Monate in Deutschland. • 81 % arbeiteten in einem Club, 6 % privat und nur 1 % auf der Straße. • Insgesamt berichteten 47 % mit ihren Kunden immer und 44 % überwiegend Kondome zu benutzen (Abb. 3). • Die univariate Analyse ergab keine Hinweise auf Risikofaktoren für eine Syphilis-Infektion oder positive HPV-Nachweise. Wir bedanken uns bei den Mitarbeiterinnen der STI-Sprechstunde des Gesundheitsamtes Braunschweig für die Unterstützung der Studie. www.nlga.niedersachsen.de Niedersächsisches Landesgesundheitsamt Roesebeckstr. 4 – 6 • 30449 Hannover • Tel.: 0511 / 4505-0 e-mail: [email protected] Abb. 3: Von Sexarbeiterinnen berichtete Häufigkeit der Kondombenutzung allgemein und nach Sexualpraktik, n = 124 Sexarbeiterinnen