Fokus: Urbanes Bauen Nächster Stopp: Giesshübel Vom Lager zum Wohnquartier: Der Zürcher Güterumschlagplatz Giesshübel hat Karriere gemacht. Mittendrin steht das Pile-Up. text: Christine Ryll 36 3 | 2013 Foto: burkhalter sumi architekten — 3 P r oj e k t Pile-Up Zürich in dex 37 43 E nt w u r f E nerg i e­ ko nzept 44 46 I nt erv i ew B ü ro ­ p o rt r Ät 47 St ec k br i ef & Fazi t Entwurf Asphalt, Lagerräume, drei Gleise, ein Hebekran und Züge, die in regelmäßigem Abstand am Gelände vorbeibrausten. Wirklich einladend wirkte der Güterumschlagplatz an der Zürcher Manessestrasse lange Zeit definitiv nicht. Lediglich eine Haltestelle der Regionalbahn hatte auf dem Areal dauerhaft Position bezogen. Daneben unterhielt die Sihltal Zürich Uetliberg Bahn, kurz SZU, ihren Unternehmenssitz. www.lignardo.de Inzwischen hat sich die Situation geändert. Statt Gütern bevölkern Menschen das Areal. Sie leben hier, arbeiten hier und fahren von hier aus zur Arbeit. Dank der Haltestelle vor der Haustür haben sie nur wenige Meter Fußweg zur nächsten Bahn, die sie in drei Minuten zum Hauptbahnhof Zürich bringt. Und von den oberen Etagen der auf dem Gelände entstandenen Wohngebäude aus 3 | 2013 37 — Fokus: Urbanes Bauen blicken sie über das Häusermeer auf den städtischen Hausberg. ↑ Das Pile-Up (rot) liegt mitten im SZU-Gelände. ↓ In drei Minuten bringt die Bahn die Bewohner des Pile-Up in die Innenstadt. 38 3 | 2013 Wettbewerb legt Konzept fest Den ersten Meilenstein auf dem Weg zur Umnutzung des Entwicklungsgebiets markierte ein Wettbewerb im Jahr 2006: Im Norden und Westen des der SZU gehörenden Grundstücks befanden sich zu diesem Zeitpunkt Gleisfelder sowie Lokschuppen. Zwei Vorortbahnen kreuzen vor dem Gelände. Die Haltestelle Giesshübel liegt auf dem Grundstück. Sie musste in die Planung integriert werden. Östlich der Brache endet eine vierspurige Autobahn, die Sihlhochstraße. Im Süden grenzt das Areal an ein klassisches Blockrandgebiet mit diversen Gewerbebauten. „Wir haben uns damals entschlossen, auf diese heterogene Umgebung mit einer heterogenen Bebauung zu reagieren“, bringt Yves Schihin, Partner im Büro burkhalter sumi architekten, die Entwurfsidee der Wettbewerbsgewinner auf den Punkt. Das Team entschied sich, den Sockel des ehemaligen Lagergebäudes zu belassen und lediglich die in den 80er-Jahren erfolgte Aufstockung in ungedämmter Stahl-Leichtbauweise abzubrechen. „Im Untergeschoss des Bauwerks befinden sich Relaisräume. Darin sind die Weichenstellanlagen der Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn untergebracht. Sie umzuziehen wäre mit einem enormen finanziellen Aufwand verbunden gewesen“, verdeutlicht Schihin 3 P r oj e k t Pile-Up Zürich ← Im Blick haben die Bewohner der oberen Geschosse die Stadt Zürich. den Hintergrund für diese Vorgehensweise. So hielten es die Planer für sinnvoller, oberhalb des Sockel nachhaltig weiterzubauen. Darüber hinaus kamen burkhalter sumi architekten zum Schluss, das Gelände mit zwei Baukörpern zu komplettieren, sodass es an drei Seiten mit Gebäuden gerahmt ist. Ein sieben- bis achtgeschossiges Boardinghaus fungiert als Lärmriegel zur Manessestraße und integriert Short- und Longstay-Appartements. Ein mäanderförmiges Wohngebäude nimmt Eigentumswohnungen auf. Beides sind Massivbauten. Die Aufstockung des ehemaligen Güterschuppens realisierten die Architekten in Holzelementbauweise. Industrial Look plus Holzelemente Das so konzipierte Gebäude haben sie PileUp getauft, in Anlehnung an den industriell geprägten Bautypus, den es repräsentiert. Die beiden Sockelgeschosse hatten als Lager- und Umschlagraum gedient und ließen sich leicht umbauen. Im Erd- und im Obergeschoss richteten die Planer Großraumbüros für die SZU ein und nutzten den 11 m breiten und 50 m langen stützenfreien Raum optimal aus. Die Oberlichter der bis zu 4 m hohen Lager wurden ausgefräst und vergrößert, sodass die Räume eine exzellente Belichtung erhielten. Der auf hohe bewegliche Lasten ausgelegte Bestand erlaubte eine Aufstockung um vier Geschosse. Das beauftragte Holzbauunternehmen fertigte sie mit fast metalllosen Verbindungen in Form von Decken- und Wandelementen vor und richtete den Rohbau in nur fünf Wochen auf. Um den Brandschutzanforderungen des Sechsgeschossers zu genügen, wurden Treppenbzw. Fluchttreppenhäuser sowie Aufzugstürme in Beton realisiert. Gemeinsam deckt dieses Quintett nicht nur das Brandschutzthema ab. Es gewährleistet auch die Erdbe- Der auf hohe Last ausge­ legte Bestand erlaubte vier Zusatz­ geschosse. Zeichnungen: burkhalter sumi architekten, Foto: Stephanie Künzler Grundriss Regelgeschoss ↑ Die Grundrisse sind klar gegliedert, die Wohnungen zum Teil bis zu vier Zimmer groß. www.lignardo.de 3 | 2013 39 — Fokus: Urbanes Bauen bensicherheit des Gebäudes und übernimmt die horizontale Aussteifung sowie die Stabilisierung der Windkräfte. Die hinterlüfteten Wandelemente der Fassade sind beidseitig beplankt; außen mit einer Gipsfaserplatte und Windpapier, innen mit einer Dreischichtplatte. Als tragende Basis dienen Holzständer, deren Zwischenräume mit Dämmung ausgefacht sind. Zum Innenraum hin ergänzt eine Installationsschicht mit Gipsfaserplatten den Aufbau. Alle Fassadenelemente wurden analog den Sockelgeschossen verputzt. Querschnitt Lastabtrag über Kastenträger Der Grundriss des Sockels gab vor, dass die Aufstockung keine Lasten ins Gebäudezen- Fassadendetail Massivbau-Holzbau Bodenaufbau Balkon Holzbodenrost mit Gefällelattung 10 mm Gummischrotmatte 10 mm Abdichtung Gummidach (2-lagig), Bauzeitabdichtung 27 mm Dreischichtplatte 190 – 220 mm Balkenlage 27 mm Dreischichtplatte 100 mm Unterkonstruktion 22 mm Dreischichtplatte Anstrich nach NCS o. RAL Bodenaufbau Wohnen 15 mm Parkettbelag 55 mm Anhydrit 20 mm Trittschalldämmung 40 mm Gartenplatten/Kies Trennvlies 27 mm Dreischichtplatte 220 mm Balkenlage (Hohlraumdämmung 60 mm) 27 mm Dreischichtplatte 15 mm Gipsfaserplatte (EI30) Unterer Anschluss Fenster Außenseitig Abdichtungsfolie Schalldämmelement Innenseitig Dampfsperre Schalldämmelement Unterdecke 100 mm Unterkonstruktion 22 mm Dreischichtplatte Anstrich nach NCS o. RAL Zwischenraum Fassadenaufbau Putzfassade 180 mm Wärmedämmung Mineralfaser, gem. Angabe Bauphysik 250 mm Betonwand Anstrich nach NCS o. RAL Fassadenaufbau Putzfassade, Besenstrich, Kammstruktur leicht überrollt, Farbe gem. Arch. 180 mm Wärmedämmung Mineralfaser, gem. Angabe Bauphysik 2590/350 mm Betonwand Anstrich nach NCS o. RAL 40 3 | 2013 3 P r oj e k t Pile-Up Zürich ← Dank der großzügigen Fensterbänder dringt viel Licht in die Wohnräume. Dachdetail Dachrand stirnseitig Oberer Dachrand Blechverkleidungen, vorbewittert Dehnungselemente nach Erfordernis Dachaufbau 120 mm Extensive Begrünung, Substratschicht 130 kg/m² mit Filter und Drainageschicht 10 mm Schutzschicht, Polypropylenvlies 800 g/m² 10 mm Dachhaut (2-lagig) 60 – 140 mm Gefälledämmung Mineralfaser 140 mm Wärmedämmung Mineralfaser, λD ≤ 0,045 W/(mK) 3,5 mm Dampfsperre, Bauzeitabdichtung 27 mm Dreischichtplatte 220 mm Balkenlage 27 mm Dreischichtplatte 60 mm Lattung m. Federbügel 40 mm Hohlraumdämmung 25 mm 2 × Gipskartonplatte 12,5 mm (EI30) 5 mm Gipsglattstrich (Weißputz) Anstrich nach NCS o. RAL Zeichnungen: burkhalter sumi architekten, Foto: Heinz Unger Kiesstreifen Fassadenaufbau Putzfassade, hinterlüftet 40 mm Hinterlüftung Windpapier 120 mm Mineralwolle/Lattung 15 mm Gipsfaserplatte (EI 30 nbb) 180 mm Ständer Dämmung (SP > 1.000 °C) 22 mm OSB 50 mm Blechständer, Dämmung 25 mm 2 × Gipskartonplatte 12,5 mm (EI 30 nbb) Abrieb (1,5 mm), Anstrich NCS o. RAL Durchdringen von Installationen mit Flammboxen oder gleichwertigen Maßnahmen www.lignardo.de 3 | 2013 41 Fokus: Urbanes Bauen trum abgeben durfte. Daher ruhen die Decken auf im 5-m-Raster in Längsrichtung gespannten Kastenträgern auf, die das Gewicht der zusätzlichen Geschosse auf den Sockel und die Fundamente abtragen. Im 1. Obergeschoss waren die Träger vorhanden und wurden nur verstärkt. „Für die Decken haben wir eine leichte Hohlkastenkonstruktion gewählt, die beidseitig mit Dreischichtplatten beplankt ist. Eingelegte Gartenplatten, schwimmender Unterlagsboden und eine an Federbügeln abgehängte Decke garantieren den Schallschutz“, informiert Schihin. In Gebäudequerrichtung verlaufen lange, auskragende Brettschichtholzträger, die das Gewicht auf die Unterkonstruktion abgeben. Die auskragenden Enden tragen die Balkone. Auf dieser Basis wurden im Pile-Up 24 Mietwohnungen realisiert, Studios, Zweieinhalb- und Viereinhalbzimmereinheiten. Das Erdgeschoss und den ersten Stock nehmen Büroräume der SZU ein. Lichteinfall, Stadtnähe und Weitblick sind nur drei der Punkte, über die sich die Mieter freuen. Entsprechend positiv ist das Feedback, das das Gesamtprojekt Giesshübel im Allgemeinen und zum Pile-Up im Besonderen erhält. Ein einziges Manko ist geblieben: die Bahn, die weiter vor dem Gebäude hält. Doch bei all den anderen Pluspunkten ist dieser kleine Minuspunkt ganz schnell überhört. - ← Holz trifft Farbe: Rot zieht sich durch das Pile-Up hindurch. ↓Der Sockel des Gebäudes besteht aus den Bestandsmauern. → Glasklar ersichtlich: Dichte Bebauung prägt das SZU-Gelände. 42 3 | 2013 Fotos: burkhalter sumi architekten, lnks: Georg Aerni, rechts: Heinz Unger — 3 P r oj e k t Pile-Up Zürich Energie Konzept Wer das Gebäude Pile-Up aus der Perspektive eines Neubauexperten betrachtet, der die Höhe der Energieersparnis auf Basis der technischen Einrichtungen und der nachhaltigen Heizquelle beurteilt, wird enttäuscht sein. Doch ein anderer Blickwinkel zeigt: Pile-Up schlägt so manchen energetischen Standard ins Aus. Überlegt: „Ein Bergwerk, nicht nur ein Gebäude“ „Wir haben das Gebäude als Bergwerk genutzt“, erklärt Architekt Yves Schihin von burkhalter sumi architekten das energetische Motto des Pile-Up. Weil die Planer auf dem alten Sockel aufgebaut haben, haben sie den energetischen Aufwand für den Abriss und den Neubau dieser Flächen gespart. Daraus resultiert viel graue Energie, die nicht ausgestoßen wurde. Weil das Grundstück durch den Neubau eine Verdichtung von 0,5 auf 2,2 erfahren hat, ist auch in diesem Punkt die energetische Qualität des Bauwerks gewachsen. Und nachdem die Bahn quasi vor der Haustür hält und die Bewohner in drei Minuten zum Hauptbahnhof bringt, erreicht das energetische Kriterium Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ein geradezu außergewöhnliches Optimum. Dazu kommt, dass die Aufstockung dank ihrer hoch wärmedämmenden Gebäudehülle energetisch optimal aufgebaut ist und sich die Kompaktheit des Gebäudes durch die zusätzlichen Geschosse auf 1.0 verbessert hat. „Man könnte Pile-Up sogar www.lignardo.de mit Erdöl heizen und der Bau wäre immer noch nachhaltiger als ein typisches Schweizer Minergiehaus auf dem Lande“, betont Schihin. In der Realität wird mit Gas geheizt. Ein kleines Kraftwerk im angrenzenden Boardinghaus versorgt es ebenso wie die beiden anderen Gebäude auf dem Grundstück. Andere Energiequellen erwiesen sich in der Praxis als ungeeignet für dieses Bauvorhaben. Aufgrund des hohen Grundwasserspiegels mussten Erdsonden ausgeschlossen werden. Auf dem Dach wurden Photovoltaikelemente installiert, welche einen Teil des großen Strombedarfs der Relaisanlagen autark decken. Auf dem Dach des Wohnmäanders befinden sich zudem Solarpaneele, die die drei Gebäude auf dem Areal Giesshübel mit Warmwasser versorgen. Auf eine kontrollierte Be- und Entlüftung in den Wohnungen verzichtet das Pile-Up hingegen. „Dafür hätten wir die Decken abhängen und höher bauen müssen. Wir hätten kilometerlange Leitungen durch das Holz verziehen müssen und Raum verloren. Der Energieverbrauch, der aus diesen Maßnahmen resultiert wäre, hätte die Vorteile der Be- und Entlüftung niemals ausgeglichen“, informiert Schihin. „Wir haben stattdessen auf wenig Masse, hohe Kompaktheit, gute Verkehrsanbindung und soziale Nachhaltigkeit gesetzt“, bedeutet der Planer, „und sind uns sicher, dass wir damit die beste Lösung gefunden haben.“ Energiekennwerte Energiebezugsfläche EBF 2.773 m² Primärenergiebedarf 492 MJ/m² Anteil Erstellung Anteil Betrieb Anteil Mobilität 111 MJ/m² 273 MJ/m² 108 MJ/m² Treibhausgasemissionen 29,1 kg/m² Anteil Erstellung Anteil Betrieb Anteil Mobilität 7,6 kg/m² 15,9 kg/m² 5,6 kg/m² Energieträger Gas (Nahwärmeverbund Areal) Jährlicher Heiz­wärmebedarf Qh 117 MJ/(m²a) Gebäudehüllzahl 1.0 (vorher 1.4) ↑Wie die Küchentechnik ist auch die Haustechnik im Schrank untergebracht. 3 | 2013 43 — Fokus: Urbanes Bauen I n t e rv i e w m i t d e m A r c h i t e k t e n »Leitthema im urbanen Raum ist die innere Verdichtung.« Dicht, dichter, Zürich – und mitten darin steht das Holzbauprojekt „Pile-Up“. Yves Schihin ist Dipl. Arch. ETH und Partner bei burkhalter sumi architekten und erklärt, welche Vorteile der Werkstoff Holz bei dem Projekt mit sich brachte. 1 Pile-Up ist in der Stadt entstanden. Ist „Urbanes Bauen“ ein Schwerpunkt Ihres Büros? In der Schweiz leben etwa zwei Drittel der Bevölkerung in Städten und deren Agglomerationen, also im „urbanisierten“ Raum. Dieser ist mittlerweile übers Mittelland hinaus bis in die Alpen gewachsen: bis nach Davos, Andermatt und St. Moritz. Ein großer Teil unserer Bauten steht in diesem „urbanisierten“ Raum, das Thema des Verdichtens dieses Raumes bildet demzufolge einen Schwerpunkt in unseren Arbeiten. 2 Um welche Bereiche geht es dabei genau? Das Leitthema des Bauens im urbanen Raum ist die „innere“ Verdichtung. Diese umfasst eine große Bandbreite; im Großraum Zürich beispielsweise von innerstädtischen Sanierungen einzelner Gebäude (z. B. Werdhochhaus, 2002) und Neubauten (Airporthotel Dorint, 2014) über Verdichtungen der Gartenstadt (Anbau Hochhaus Weberstrasse, 2009) bis hin zu Arealentwicklungen auf städtischen Brachen (Giesshübel mit dem Pile-Up, 2013). 3 Wie gehen Sie das Thema Verdichtung an? Verdichtung im urbanen Raum heißt Umgang mit dem Bestand. Bringt der Erhalt neben der nicht zu unterschätzenden Einsparung an grauer Energie auch einen Mehrwert für den Investor und die Gesellschaft? Häufig führt dieser Gedankengang dazu, den Bestand als konstituierendes und identitätsstiftendes Element im Städtebau zu erhalten, anzubauen, aufzustocken oder neu aufzufüllen. Bei der Umnutzung der ehemaligen Schokoladenfabrik „Forsanose“ in der Glatttalstadt haben wir zum Beispiel einerseits die denkmalpflegerisch geschützten Fassaden erhalten bzw. überformt (und energetisch ertüchtigt) und andererseits dem wie eine Zwiebel gewachsenen Konglomerat eine letzte Schicht in Form von hölzernen Loggientürmen hinzugefügt. Zusammen mit einer neuen attraktiven Erschließung sind so einzigartige Wohnräume mit der echten Authentizität von Industrielofts entstanden. 44 3 | 2013 4 Pile-Up ist in Holzbauweise entstanden. Ist dieses Material einer Ihrer Favoriten? Grundsätzlich setzen wir die Materialien entsprechend der Bauaufgabe ein. Die zwei anderen Gebäude auf dem Gelände entstanden in Massivbauweise. Die hohen Lärmemissionen (Bahn und MIV) sprachen in beiden Fällen für diese Baustoffe. Beim Pile-Up kam es darauf an, so wenig Gewicht wie möglich auf die bestehenden Wände und Fundamente aufzulagern. In diesem Fall ist Holz durch seine physikalischen Eigenschaften das perfekte Baumaterial für innerstädtische Verdichtungen. Durch die vorfabrizierte Elementbauweise ergab sich zudem eine schnelle Bauweise, sodass das Gebäude rascher bezogen werden konnte. Ohne Holz wäre das Pile-Up nicht denkbar gewesen. Uns faszinieren die Möglichkeiten, die 3 P r oj e k t Pile-Up Zürich der Holzbau bietet; „Hightech“ und Präzision in der Planung und Vorfabrikation, hohe Steifigkeiten bei geringer Materialstärke, Innovationen bei den Verbindungstechniken und die kurze, einfache und trockene Montage dank der Elementbauweise (siehe auch: ingenious switzerland; workgroup high tech timber). Und natürlich interessiert uns Holz dank seiner nachhaltigen Eigenschaften als perfektes Kreislaufmaterial. 5 Foto: Burkhalter Sumi Architekten Welche konkreten Projekte haben Sie in Holz realisiert? Seit den 1980er-Jahren befasst sich burkhalter sumi mit vorfabriziertem Holzbau; die Anfänge machten Privathäuser in Langnau a. A. und in Eglisau. 2002 ist in Altendorf am Zürichsee eine ganze Siedlung mit dreistöckigen, vorfabrizierten Holzbauten entstanden. Mit der Aufstockung des SZU-Betriebsgebäudes haben wir uns an ein Projekt mit insgesamt sechs Geschossen gewagt. Diese viergeschossige Aufstockung in Holz ist das Höchste, was derzeit in der Schweiz brandschutztechnisch möglich ist. Damit konn- 7 ten wir die Ertragsflächen des Bauwerks um ca. 300 Prozent erhöhen. Noch nicht gebaut sind derzeit zwei Hotelprojekte in St. Moritz und in Andermatt. Beide sollen ebenfalls in Holz realisiert werden. Beim Projekt St. Moritz ist die Erweiterung des Bestands um 150 Zimmer geplant. Da die maximal möglichen Bauzeiten auf 1.800 m ü. M. kurz sind, soll das siebengeschossige Gebäude als Holzbau realisiert werden. 6 Welche Stärken hat Holz im Städtebau? Der große Vorteil im Städtebau ist, dass das Material reversibel ist. Damit können wir kurzfristig auf Änderungen einer Stadtstruktur reagieren. Das ist sehr wichtig; die demografischen Schwankungen im Wachstum einzelner Städte werden noch zunehmen. Holz ermöglicht es, in diesem Prozess flexibel zu reagieren. Zudem erlaubt das geringe Gewicht des Materials häufig auch Aufstockungen, wenn andere Materialien nicht einsetzbar sind. In Wien sind zum Beispiel mehr als 30 Prozent der Dachgeschosse nicht ausgebaut bzw. bieten sich für den Ausbau an. Holz ist das optimale Material für diese Arbeiten, da damit die Fundamente nicht überproportional belastet werden. Die leichte Verarbeitbarkeit, die Möglichkeit der Vorfabrikation, das geringe Transportgewicht und die kurze Montagezeit sprechen ebenfalls für den Holzbau. Nicht zuletzt ist das Material nachhaltig. Bei der Verarbeitung entsteht wenig graue Energie, und am Schluss des Lebenszyklus lässt es sich verbrennen und produziert damit Wärmeenergie. Welche Schwächen erkennen Sie im Holzbau? Holzbau bedingt eine holistische Planung, in der frühzeitig alle Stakeholder zusammenkommen. Dies verlangt aufgeklärte, neugierige Beteiligte. Darüber hinaus ist der Brandschutz eine Herausforderung. In der Schweiz sind derzeit sechsgeschossige Gebäude in Holz zulässig, in Österreich und Italien geht es höher. Da Holz brennt, muss es z. B. mit Gips geschützt werden. Dies verteuert die Investitionskosten. Interessant ist dabei das Phänomen des Abbrands; die verkohlte Schicht schützt das Holz vor weiterer Zerstörung. Solche Überlegungen sollten bei den Brandschutznormen künftig gemacht werden können. Und nicht zuletzt ist der sommerliche Wärmeschutz in Holzbauweise komplexer als beim Massivbau. 8 Setzt Holz konstruktive Grenzen? Sicher, wie jeder Baustoff. Wir arbeiten mit Holz dort, wo das Material seine Vorzüge ausspielen kann, eventuell auch als Mischbauweise. Da denken wir vollkommen pragmatisch. Yves Schihin ist Dipl. Arch. ETH und seit 2010 einer von vier Partnern bei burkhalter sumi architekten. Vor dem Architekturstudium an der ETH Lausanne und der ETSAB in Barcelona absolvierte er im Atelier 5 seine Hochbauzeichnerlehre. www.lignardo.de 3 | 2013 45 — Fokus: Urbanes Bauen Architekturbüro im Blick Was kann der Bestand leisten? Bald feiern sie ihr dreißigjähriges Bestehen: 1984 gründeten Marianne Burkhalter und Christian Sumi gemeinsam ein Architekturbüro. Seit 2010 wird das Büro von vier Partnern geführt, Burkhalter, Sumi, Yves Schihin und Urs Rinklef. Zusammen mit den derzeit elf Mitarbeitern hat sich das Quartett einen vorderen Platz in der Liga der europaweit renommierten Architekten erarbeitet. Von Anfang an bezogen Burkhalter Sumi Architekten einen Großteil ihrer Aufträge über gewonnene Wettbewerbe. „Und wir sind stolz darauf, dass uns das immer noch gelingt, obwohl im Haifischbecken Zürich eine Vielzahl herausragend guter junger Architekten beheimatet ist“, freut sich Büropartner Yves Schihin. Weil Wettbewerbe in der Regel für Projekte im städtischen Raum ausgelobt werden, beschäftigen sich auch die Planungen von Burkhalter Sumi Architekten häufig mit dem Thema urbanes Bauen. Zusätzlich hat sich ein weiterer Schwerpunkt herausgebildet. „Wie gehen wir mit dem Bestand um? Diese Frage ist immer häufiger Bestandteil einer Wettbewerbsaufgabe“, erkärt Schihin, und die Architekten aus Zürich beantworten sie mit Lösungen, die individuell auf das jeweilige Bauwerk zugeschnitten sind. Zum Beispiel beim Hochhaus Weberstraße in Winterthur. Ziel der Bauaufgabe für diesen kaum gedämmten und lediglich auf Mauerwerk basierenden 1960er-Jahre-Bau war die energetische und strukturelle Modernisierung des Hochhauses sowie die Schaffung von mehr Wohnraum. Weil eine Aufstockung aufgrund der geringen Belastbarkeit der Fundamente nicht möglich war, packten Burkhalter Sumi Architekten dem Wohnturm einen Rucksack auf den Rücken respektive die Nordfassade und erhöhten damit die Ausnutzung des Geländes um 20 Prozent. Der betonierte Zusatzbaukörper dient als Erdbebenertüchtigung. Er bot Platz genug, um pro Geschoss je vier kleine Wohnungen im Bestand in zwei Familienwohnungen umzuwandeln und eine weitere Wohneinheit anzugliedern. Als energetisch hochwertig konzipierter Neubau dient er der Nordseite des Bestands als zusätzliche Dämmschicht. „Weil durch den Anbau der Lebens­ zyklus des Hochhauses um 60 Jahre erhöht wurde, ohne dass die graue Energie des Bestands vernichtet wurde, ist das Projekt extrem nachhaltig“, erzählt Architekt Schihin, „und wir haben durch den Rucksack trotz Verdichtung sogar die gesamten Grünflächen der Parkstadt erhalten können.“ Beim Projekt Sunniger Hof, einer großen Wohnsiedlung, dachten die Planer anders: Beim vorderen Teil der Gebäudeansammlung ließen sie nur die Fenster auswechseln. Damit blieben die Mieten gleich und die alten Bewohner konnten weiter in ihren Wohnungen bleiben. Hinter diesen leicht sanierten Bauwerken erhöhten sie die Dichte der Siedlung, indem sie die Altbauten durch neue Vierspänner mit familientauglichen Wohnungen ersetzten. Hier wohnen seither die Kinder der Alten, die weiter in den vorderen Bauten beheimatet sind, und ziehen wiederum ihre Kinder groß. Ein Konzept, das sich für alle bewährt hat. Beim jüngst gewonnenen Wettbewerb für einen Hotelanbau in St. Moritz gehen die Architekten wieder andere Wege. Sie stocken einerseits auf und bauen an, andererseits reißen sie ab und ersetzen einen Teil des Bestands durch einen Neubau. So verschmelzen sie etwa den bestehenden Kongresssaal aus dem 19. Jahrhundert mit einem Anbau, in dem Seminar- und Kongressräume Platz finden. Einen weiteren Baukörper lassen sie schleifen, um an seiner Stelle einen Neubautrakt in Holzbauweise zu erstellen. Er integriert die gewünschten zusätzlichen 150 Zimmer. „Der Altbau hätte diese Zimmeranzahl mit der geforderten rationellen Erschließung nicht in gleicher Qualität bieten können. Hier war der Ersatzneubau die bessere Lösung“, beschreibt der Schweizer die Denkweise von Burkhalter und Sumi Architekten. „Manchmal sieht man auf den ersten Blick, was der Bestand leisten kann. Manchmal, wie beim SZU, bedarf es gewaltiger gedanklicher Anstrengungen. Alle anderen Wettbewerbsteilnehmer hätten das Gebäude abgerissen. Aber beim genauen Hinsehen haben wir so viele Punkte entdeckt, die mit dem Altbau gelöst waren, dass für uns ein Ersatzneubau nicht in Frage kam.“ 3 P r oj e k t Pile-Up Zürich Stec kb r i ef Aufstockung und Umbau eines Umschlag­gebäudes in ein Wohn­gebäude 5.100 18.200 m² B ru tto ges c hossfläc he m³ B ru tto -Bau vo lumen Foto: Burkhalter Sumi Architekten Fazi t D ie Materialwahl ist beim Bauen im Bestand sehr wichtig. Holz kann da einen seiner größten Vorteile ausspielen, das sind das geringe Gewicht und die leichte Bearbeitbarkeit“, betont Yves Schihin, Architekt bei Burkhalter Sumi Architekten. Er ist sicher: „Man kann eine Aufstockung aus Holz beinahe auf jedes Gebäude draufsetzen – und fördert damit auch dessen Nachhaltigkeit.“ Das Pile-Up in Zürich ist das beste Beispiel für den Erfolg dieser Denkweise. - Baukoste n : 10,5 Mio. Schweizer Franken P roje ktl e itung: Steffen Sperle I n be trie bn ah m e : Mai 2013 Ho l zbau: Hector Egger Holzbau, CH-4900 Langenthal Bauze it: 2011 bis 2013 Bauh e rr: SZU AG, CH-8045 Zürich Statik/Brandschutz: Makiol+Wiederkehr, CH-5712 Beinwil am See Arc h ite kt: burkhalter sumi architekten GmbH, CH-8001 Zürich Totalun te rnehmer: Unirenova AG, CH-8050 Zürich