Nächster Stopp: Giesshübel - Forum

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Fokus: Urbanes Bauen
Nächster Stopp:
Giesshübel
Vom Lager zum Wohnquartier: Der Zürcher Güterumschlagplatz
Giesshübel hat Karriere gemacht. Mittendrin steht das Pile-Up.
text: Christine Ryll
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Foto: burkhalter sumi architekten
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3 P r oj e k t
Pile-Up Zürich
in dex
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E nt w u r f
E nerg i e­
ko nzept
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I nt erv i ew
B ü ro ­
p o rt r Ät
47
St ec k br i ef
& Fazi t
Entwurf
Asphalt, Lagerräume, drei Gleise, ein Hebekran und Züge, die in regelmäßigem Abstand am Gelände vorbeibrausten. Wirklich
einladend wirkte der Güterumschlagplatz
an der Zürcher Manessestrasse lange Zeit
definitiv nicht. Lediglich eine Haltestelle
der Regionalbahn hatte auf dem Areal dauerhaft Position bezogen. Daneben unterhielt
die Sihltal Zürich Uetliberg Bahn, kurz SZU,
ihren Unternehmenssitz.
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Inzwischen hat sich die Situation geändert. Statt Gütern bevölkern Menschen das Areal. Sie leben hier, arbeiten
hier und fahren von hier aus zur Arbeit.
Dank der Haltestelle vor der Haustür
haben sie nur wenige Meter Fußweg zur
nächsten Bahn, die sie in drei Minuten
zum Hauptbahnhof Zürich bringt. Und
von den oberen Etagen der auf dem Gelände entstandenen Wohngebäude aus
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Fokus: Urbanes Bauen
blicken sie über das Häusermeer
auf den städtischen Hausberg.
↑ Das Pile-Up (rot) liegt
mitten im SZU-Gelände.
↓ In drei Minuten bringt
die Bahn die Bewohner des
Pile-Up in die Innenstadt.
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Wettbewerb legt Konzept fest
Den ersten Meilenstein auf
dem Weg zur Umnutzung des
Entwicklungsgebiets markierte
ein Wettbewerb im Jahr 2006:
Im Norden und Westen des der
SZU gehörenden Grundstücks
befanden sich zu diesem Zeitpunkt Gleisfelder sowie Lokschuppen. Zwei Vorortbahnen
kreuzen vor dem Gelände. Die
Haltestelle Giesshübel liegt auf
dem Grundstück. Sie musste in
die Planung integriert werden.
Östlich der Brache endet eine
vierspurige Autobahn, die Sihlhochstraße. Im Süden grenzt
das Areal an ein klassisches
Blockrandgebiet mit diversen
Gewerbebauten.
„Wir haben uns damals entschlossen, auf diese heterogene
Umgebung mit einer heterogenen Bebauung zu reagieren“,
bringt Yves Schihin, Partner
im Büro burkhalter sumi architekten, die Entwurfsidee
der Wettbewerbsgewinner auf
den Punkt. Das Team entschied
sich, den Sockel des ehemaligen
Lagergebäudes zu belassen und
lediglich die in den 80er-Jahren
erfolgte Aufstockung in ungedämmter Stahl-Leichtbauweise
abzubrechen. „Im Untergeschoss des Bauwerks befinden
sich Relaisräume. Darin sind
die Weichenstellanlagen der
Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn
untergebracht. Sie umzuziehen
wäre mit einem enormen finanziellen Aufwand verbunden
gewesen“, verdeutlicht Schihin
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Pile-Up Zürich
← Im Blick haben
die Bewohner der
oberen Geschosse
die Stadt Zürich.
den Hintergrund für diese Vorgehensweise.
So hielten es die Planer für sinnvoller, oberhalb des Sockel nachhaltig weiterzubauen.
Darüber hinaus kamen burkhalter sumi
architekten zum Schluss, das Gelände mit
zwei Baukörpern zu komplettieren, sodass es
an drei Seiten mit Gebäuden gerahmt ist. Ein
sieben- bis achtgeschossiges Boardinghaus
fungiert als Lärmriegel zur Manessestraße
und integriert Short- und Longstay-Appartements. Ein mäanderförmiges Wohngebäude
nimmt Eigentumswohnungen auf. Beides
sind Massivbauten. Die Aufstockung des
ehemaligen Güterschuppens realisierten die
Architekten in Holzelementbauweise.
Industrial Look plus Holzelemente
Das so konzipierte Gebäude haben sie PileUp getauft, in Anlehnung an den industriell
geprägten Bautypus, den es repräsentiert. Die beiden Sockelgeschosse hatten als Lager- und Umschlagraum gedient und ließen sich leicht
umbauen. Im Erd- und im Obergeschoss richteten die Planer Großraumbüros für die SZU ein und
nutzten den 11 m breiten und 50 m
langen stützenfreien Raum optimal
aus. Die Oberlichter der bis zu 4 m
hohen Lager wurden ausgefräst und
vergrößert, sodass die Räume eine
exzellente Belichtung erhielten.
Der auf hohe bewegliche Lasten
ausgelegte Bestand erlaubte eine
Aufstockung um vier Geschosse.
Das beauftragte Holzbauunternehmen fertigte sie mit fast metalllosen Verbindungen in Form von
Decken- und Wandelementen vor
und richtete den Rohbau in nur fünf
Wochen auf. Um den Brandschutzanforderungen des Sechsgeschossers zu genügen, wurden Treppenbzw. Fluchttreppenhäuser sowie
Aufzugstürme in Beton realisiert.
Gemeinsam deckt dieses Quintett
nicht nur das Brandschutzthema
ab. Es gewährleistet auch die Erdbe-
Der auf hohe
Last ausge­
legte Bestand
erlaubte
vier Zusatz­
geschosse.
Zeichnungen: burkhalter sumi architekten, Foto: Stephanie Künzler
Grundriss Regelgeschoss
↑ Die Grundrisse sind
klar gegliedert, die
Wohnungen zum Teil bis
zu vier Zimmer groß.
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Fokus: Urbanes Bauen
bensicherheit des Gebäudes und übernimmt
die horizontale Aussteifung sowie die Stabilisierung der Windkräfte.
Die hinterlüfteten Wandelemente der Fassade sind beidseitig beplankt; außen mit einer Gipsfaserplatte und Windpapier, innen
mit einer Dreischichtplatte. Als tragende
Basis dienen Holzständer, deren Zwischenräume mit Dämmung ausgefacht sind. Zum
Innenraum hin ergänzt eine Installationsschicht mit Gipsfaserplatten den Aufbau.
Alle Fassadenelemente wurden analog den
Sockelgeschossen verputzt.
Querschnitt
Lastabtrag über Kastenträger
Der Grundriss des Sockels gab vor, dass die
Aufstockung keine Lasten ins Gebäudezen-
Fassadendetail
Massivbau-Holzbau
Bodenaufbau Balkon
Holzbodenrost mit Gefällelattung
10 mm Gummischrotmatte
10 mm Abdichtung Gummidach (2-lagig),
Bauzeitabdichtung
27 mm Dreischichtplatte
190 – 220 mm Balkenlage
27 mm Dreischichtplatte
100 mm Unterkonstruktion
22 mm Dreischichtplatte
Anstrich nach NCS o. RAL
Bodenaufbau Wohnen
15 mm Parkettbelag
55 mm Anhydrit
20 mm Trittschalldämmung
40 mm Gartenplatten/Kies
Trennvlies
27 mm Dreischichtplatte
220 mm Balkenlage (Hohlraumdämmung 60 mm)
27 mm Dreischichtplatte
15 mm Gipsfaserplatte (EI30)
Unterer Anschluss Fenster
Außenseitig Abdichtungsfolie
Schalldämmelement
Innenseitig Dampfsperre
Schalldämmelement
Unterdecke
100 mm Unterkonstruktion
22 mm Dreischichtplatte
Anstrich nach NCS o. RAL
Zwischenraum
Fassadenaufbau
Putzfassade
180 mm Wärmedämmung Mineralfaser,
gem. Angabe Bauphysik
250 mm Betonwand
Anstrich nach NCS o. RAL
Fassadenaufbau
Putzfassade, Besenstrich, Kammstruktur
leicht überrollt, Farbe gem. Arch.
180 mm Wärmedämmung Mineralfaser,
gem. Angabe Bauphysik
2590/350 mm Betonwand
Anstrich nach NCS o. RAL
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Pile-Up Zürich
← Dank der
großzügigen
Fensterbänder dringt viel
Licht in die
Wohnräume.
Dachdetail
Dachrand stirnseitig
Oberer Dachrand
Blechverkleidungen, vorbewittert
Dehnungselemente nach Erfordernis
Dachaufbau
120 mm
Extensive Begrünung,
Substratschicht 130 kg/m²
mit Filter und Drainageschicht
10 mm
Schutzschicht,
Polypropylenvlies 800 g/m²
10 mm
Dachhaut (2-lagig)
60 – 140 mm Gefälledämmung Mineralfaser
140 mm
Wärmedämmung Mineralfaser,
λD ≤ 0,045 W/(mK)
3,5 mm
Dampfsperre,
Bauzeitabdichtung
27 mm
Dreischichtplatte
220 mm
Balkenlage
27 mm
Dreischichtplatte
60 mm
Lattung m. Federbügel
40 mm
Hohlraumdämmung
25 mm
2 × Gipskartonplatte 12,5 mm (EI30)
5 mm
Gipsglattstrich (Weißputz)
Anstrich nach NCS o. RAL
Zeichnungen: burkhalter sumi architekten, Foto: Heinz Unger
Kiesstreifen
Fassadenaufbau
Putzfassade, hinterlüftet
40 mm Hinterlüftung
Windpapier
120 mm Mineralwolle/Lattung
15 mm Gipsfaserplatte (EI 30 nbb)
180 mm Ständer
Dämmung (SP > 1.000 °C)
22 mm OSB
50 mm Blechständer, Dämmung
25 mm 2 × Gipskartonplatte 12,5 mm (EI 30 nbb)
Abrieb (1,5 mm), Anstrich NCS o. RAL
Durchdringen von Installationen mit Flammboxen
oder gleichwertigen Maßnahmen
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Fokus: Urbanes Bauen
trum abgeben durfte. Daher ruhen die Decken auf im 5-m-Raster in Längsrichtung
gespannten Kastenträgern auf, die das Gewicht der zusätzlichen Geschosse auf den
Sockel und die Fundamente abtragen. Im 1.
Obergeschoss waren die Träger vorhanden
und wurden nur verstärkt.
„Für die Decken haben wir eine leichte
Hohlkastenkonstruktion gewählt, die beidseitig mit Dreischichtplatten beplankt ist.
Eingelegte Gartenplatten, schwimmender
Unterlagsboden und eine an Federbügeln
abgehängte Decke garantieren den Schallschutz“, informiert Schihin. In Gebäudequerrichtung verlaufen lange, auskragende
Brettschichtholzträger, die das Gewicht auf
die Unterkonstruktion abgeben. Die auskragenden Enden tragen die Balkone.
Auf dieser Basis wurden im Pile-Up 24
Mietwohnungen realisiert, Studios, Zweieinhalb- und Viereinhalbzimmereinheiten.
Das Erdgeschoss und den ersten Stock nehmen Büroräume der SZU ein. Lichteinfall,
Stadtnähe und Weitblick sind nur drei der
Punkte, über die sich die Mieter freuen. Entsprechend positiv ist das Feedback, das das
Gesamtprojekt Giesshübel im Allgemeinen
und zum Pile-Up im Besonderen erhält. Ein
einziges Manko ist geblieben: die Bahn, die
weiter vor dem Gebäude hält. Doch bei all
den anderen Pluspunkten ist dieser kleine
Minuspunkt ganz schnell überhört.
-
← Holz trifft
Farbe:
Rot zieht sich
durch
das Pile-Up
hindurch.
↓Der Sockel des
Gebäudes besteht aus
den Bestandsmauern.
→ Glasklar ersichtlich:
Dichte Bebauung prägt
das SZU-Gelände.
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Fotos: burkhalter sumi architekten, lnks: Georg Aerni, rechts: Heinz Unger
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Pile-Up Zürich
Energie
Konzept
Wer das Gebäude Pile-Up aus der Perspektive eines Neubauexperten betrachtet, der die Höhe
der Energieersparnis auf Basis der technischen
Einrichtungen und der nachhaltigen Heizquelle
beurteilt, wird enttäuscht sein. Doch ein anderer
Blickwinkel zeigt: Pile-Up schlägt so manchen
energetischen Standard ins Aus.
Überlegt: „Ein Bergwerk, nicht nur ein Gebäude“
„Wir haben das Gebäude als Bergwerk genutzt“, erklärt Architekt
Yves Schihin von burkhalter sumi
architekten das energetische
Motto des Pile-Up. Weil die Planer
auf dem alten Sockel aufgebaut
haben, haben sie den energetischen Aufwand für den Abriss
und den Neubau dieser Flächen
gespart. Daraus resultiert viel
graue Energie, die nicht ausgestoßen wurde.
Weil das Grundstück durch den
Neubau eine Verdichtung von 0,5
auf 2,2 erfahren hat, ist auch in
diesem Punkt die energetische
Qualität des Bauwerks gewachsen. Und nachdem die Bahn
quasi vor der Haustür hält und die
Bewohner in drei Minuten zum
Hauptbahnhof bringt, erreicht das
energetische Kriterium Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ein geradezu außergewöhnliches Optimum. Dazu kommt, dass
die Aufstockung dank ihrer hoch
wärmedämmenden Gebäudehülle
energetisch optimal aufgebaut
ist und sich die Kompaktheit des
Gebäudes durch die zusätzlichen
Geschosse auf 1.0 verbessert
hat. „Man könnte Pile-Up sogar
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mit Erdöl heizen und der Bau wäre immer
noch nachhaltiger als ein typisches Schweizer
Minergiehaus auf dem Lande“, betont Schihin.
In der Realität wird mit Gas geheizt. Ein kleines
Kraftwerk im angrenzenden Boardinghaus
versorgt es ebenso wie die beiden anderen Gebäude auf dem Grundstück. Andere
Energiequellen erwiesen sich in der Praxis als
ungeeignet für dieses Bauvorhaben. Aufgrund
des hohen Grundwasserspiegels mussten
Erdsonden ausgeschlossen werden. Auf dem
Dach wurden Photovoltaikelemente installiert,
welche einen Teil des großen Strombedarfs der
Relaisanlagen autark decken. Auf dem Dach
des Wohnmäanders befinden sich zudem Solarpaneele, die die drei Gebäude auf dem Areal
Giesshübel mit Warmwasser versorgen.
Auf eine kontrollierte Be- und Entlüftung in
den Wohnungen verzichtet das Pile-Up hingegen. „Dafür hätten wir die Decken abhängen
und höher bauen müssen. Wir hätten kilometerlange Leitungen durch das Holz verziehen
müssen und Raum verloren. Der Energieverbrauch, der aus diesen Maßnahmen resultiert
wäre, hätte die Vorteile der Be- und Entlüftung
niemals ausgeglichen“, informiert Schihin. „Wir
haben stattdessen auf wenig Masse, hohe
Kompaktheit, gute Verkehrsanbindung und
soziale Nachhaltigkeit gesetzt“, bedeutet der
Planer, „und sind uns sicher, dass wir damit die
beste Lösung gefunden haben.“
Energiekennwerte
Energiebezugsfläche EBF
2.773 m²
Primärenergiebedarf
492 MJ/m²
Anteil Erstellung
Anteil Betrieb
Anteil Mobilität
111 MJ/m²
273 MJ/m²
108 MJ/m²
Treibhausgasemissionen
29,1 kg/m²
Anteil Erstellung
Anteil Betrieb
Anteil Mobilität
7,6 kg/m²
15,9 kg/m²
5,6 kg/m²
Energieträger
Gas (Nahwärmeverbund Areal)
Jährlicher Heiz­wärmebedarf Qh
117 MJ/(m²a)
Gebäudehüllzahl
1.0 (vorher 1.4)
↑Wie die Küchentechnik
ist auch die Haustechnik
im Schrank untergebracht.
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Fokus: Urbanes Bauen
I n t e rv i e w m i t d e m A r c h i t e k t e n
»Leitthema im urbanen Raum ist
die innere Verdichtung.«
Dicht, dichter, Zürich – und mitten darin steht
das Holzbauprojekt „Pile-Up“. Yves Schihin ist
Dipl. Arch. ETH und Partner bei burkhalter sumi
architekten und erklärt, welche Vorteile der
Werkstoff Holz bei dem Projekt mit sich brachte.
1
Pile-Up ist in der Stadt entstanden. Ist „Urbanes Bauen“
ein Schwerpunkt Ihres Büros?
In der Schweiz leben etwa zwei
Drittel der Bevölkerung in Städten und deren Agglomerationen,
also im „urbanisierten“ Raum.
Dieser ist mittlerweile übers
Mittelland hinaus bis in die
Alpen gewachsen: bis nach Davos, Andermatt und St. Moritz.
Ein großer Teil unserer Bauten
steht in diesem „urbanisierten“
Raum, das Thema des Verdichtens dieses Raumes bildet demzufolge einen Schwerpunkt in
unseren Arbeiten.
2
Um welche Bereiche geht es dabei genau?
Das Leitthema des Bauens im urbanen
Raum ist die „innere“ Verdichtung. Diese
umfasst eine große Bandbreite; im Großraum Zürich beispielsweise von innerstädtischen Sanierungen einzelner Gebäude (z. B.
Werdhochhaus, 2002) und Neubauten (Airporthotel Dorint, 2014) über Verdichtungen
der Gartenstadt (Anbau Hochhaus Weberstrasse, 2009) bis hin zu Arealentwicklungen auf städtischen Brachen (Giesshübel mit
dem Pile-Up, 2013).
3
Wie gehen Sie das Thema Verdichtung an?
Verdichtung im urbanen Raum heißt
Umgang mit dem Bestand. Bringt der Erhalt neben der nicht zu unterschätzenden
Einsparung an grauer Energie auch einen
Mehrwert für den Investor und die Gesellschaft? Häufig führt dieser Gedankengang
dazu, den Bestand als konstituierendes und
identitätsstiftendes Element im Städtebau
zu erhalten, anzubauen, aufzustocken oder
neu aufzufüllen. Bei der Umnutzung der
ehemaligen Schokoladenfabrik „Forsanose“
in der Glatttalstadt haben wir zum Beispiel
einerseits die denkmalpflegerisch geschützten Fassaden erhalten bzw. überformt (und
energetisch ertüchtigt) und andererseits
dem wie eine Zwiebel gewachsenen Konglomerat eine letzte Schicht in Form von
hölzernen Loggientürmen hinzugefügt.
Zusammen mit einer neuen attraktiven Erschließung sind so einzigartige Wohnräume
mit der echten Authentizität von Industrielofts entstanden.
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Pile-Up ist in Holzbauweise
entstanden. Ist dieses
Material einer Ihrer Favoriten?
Grundsätzlich setzen wir die Materialien entsprechend der Bauaufgabe ein. Die zwei anderen
Gebäude auf dem Gelände entstanden in Massivbauweise. Die
hohen Lärmemissionen (Bahn
und MIV) sprachen in beiden
Fällen für diese Baustoffe. Beim
Pile-Up kam es darauf an, so wenig Gewicht wie möglich auf die
bestehenden Wände und Fundamente aufzulagern. In diesem
Fall ist Holz durch seine physikalischen Eigenschaften das perfekte Baumaterial für innerstädtische Verdichtungen. Durch die
vorfabrizierte Elementbauweise
ergab sich zudem eine schnelle
Bauweise, sodass das Gebäude
rascher bezogen werden konnte. Ohne Holz wäre das Pile-Up
nicht denkbar gewesen. Uns faszinieren die Möglichkeiten, die
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Pile-Up Zürich
der Holzbau bietet; „Hightech“
und Präzision in der Planung
und Vorfabrikation, hohe Steifigkeiten bei geringer Materialstärke, Innovationen bei den
Verbindungstechniken und die
kurze, einfache und trockene
Montage dank der Elementbauweise (siehe auch: ingenious
switzerland; workgroup high
tech timber). Und natürlich interessiert uns Holz dank seiner
nachhaltigen Eigenschaften als
perfektes Kreislaufmaterial.
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Foto: Burkhalter Sumi Architekten
Welche konkreten Projekte
haben Sie in Holz realisiert?
Seit den 1980er-Jahren befasst
sich burkhalter sumi mit vorfabriziertem Holzbau; die Anfänge machten Privathäuser in
Langnau a. A. und in Eglisau.
2002 ist in Altendorf am Zürichsee eine ganze Siedlung mit
dreistöckigen, vorfabrizierten
Holzbauten entstanden. Mit der
Aufstockung des SZU-Betriebsgebäudes haben wir uns an ein
Projekt mit insgesamt sechs Geschossen gewagt. Diese viergeschossige Aufstockung in Holz
ist das Höchste, was derzeit in
der Schweiz brandschutztechnisch möglich ist. Damit konn-
7
ten wir die Ertragsflächen des Bauwerks um
ca. 300 Prozent erhöhen. Noch nicht gebaut
sind derzeit zwei Hotelprojekte in St. Moritz
und in Andermatt. Beide sollen ebenfalls in
Holz realisiert werden. Beim Projekt St. Moritz ist die Erweiterung des Bestands um 150
Zimmer geplant. Da die maximal möglichen
Bauzeiten auf 1.800 m ü. M. kurz sind, soll
das siebengeschossige Gebäude als Holzbau
realisiert werden.
6
Welche Stärken hat Holz im Städtebau?
Der große Vorteil im Städtebau ist, dass
das Material reversibel ist. Damit können
wir kurzfristig auf Änderungen einer Stadtstruktur reagieren. Das ist sehr wichtig; die
demografischen Schwankungen im Wachstum einzelner Städte werden noch zunehmen. Holz ermöglicht es, in diesem Prozess
flexibel zu reagieren. Zudem erlaubt das
geringe Gewicht des Materials häufig auch
Aufstockungen, wenn andere Materialien
nicht einsetzbar sind. In Wien sind zum Beispiel mehr als 30 Prozent der Dachgeschosse nicht ausgebaut bzw. bieten sich für den
Ausbau an. Holz ist das optimale Material
für diese Arbeiten, da damit die Fundamente nicht überproportional belastet werden.
Die leichte Verarbeitbarkeit, die Möglichkeit der Vorfabrikation, das geringe Transportgewicht und die kurze Montagezeit
sprechen ebenfalls für den Holzbau. Nicht
zuletzt ist das Material nachhaltig. Bei der
Verarbeitung entsteht wenig graue Energie,
und am Schluss des Lebenszyklus lässt es
sich verbrennen und produziert damit Wärmeenergie.
Welche Schwächen erkennen
Sie im Holzbau?
Holzbau bedingt eine holistische
Planung, in der frühzeitig alle
Stakeholder
zusammenkommen. Dies verlangt aufgeklärte,
neugierige Beteiligte. Darüber
hinaus ist der Brandschutz eine
Herausforderung. In der Schweiz
sind derzeit sechsgeschossige
Gebäude in Holz zulässig, in
Österreich und Italien geht es
höher. Da Holz brennt, muss es
z. B. mit Gips geschützt werden.
Dies verteuert die Investitionskosten. Interessant ist dabei das
Phänomen des Abbrands; die
verkohlte Schicht schützt das
Holz vor weiterer Zerstörung.
Solche Überlegungen sollten bei
den Brandschutznormen künftig gemacht werden können.
Und nicht zuletzt ist der sommerliche Wärmeschutz in Holzbauweise komplexer als beim
Massivbau.
8
Setzt Holz konstruktive
Grenzen?
Sicher, wie jeder Baustoff. Wir
arbeiten mit Holz dort, wo das
Material seine Vorzüge ausspielen kann, eventuell auch als
Mischbauweise. Da denken wir
vollkommen pragmatisch.
Yves Schihin ist Dipl. Arch. ETH und seit
2010 einer von vier Partnern bei
burkhalter sumi architekten. Vor dem
Architekturstudium an der ETH Lausanne
und der ETSAB in Barcelona absolvierte er
im Atelier 5 seine Hochbauzeichnerlehre.
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Fokus: Urbanes Bauen
Architekturbüro im Blick
Was kann der Bestand leisten?
Bald feiern sie ihr dreißigjähriges Bestehen: 1984 gründeten
Marianne Burkhalter und Christian Sumi gemeinsam ein
Architekturbüro. Seit 2010 wird das Büro von vier Partnern
geführt, Burkhalter, Sumi, Yves Schihin und Urs Rinklef. Zusammen
mit den derzeit elf Mitarbeitern hat sich das Quartett einen
vorderen Platz in der Liga der europaweit renommierten
Architekten erarbeitet. Von Anfang an bezogen Burkhalter Sumi
Architekten einen Großteil ihrer Aufträge über gewonnene
Wettbewerbe. „Und wir sind stolz darauf, dass uns das immer noch
gelingt, obwohl im Haifischbecken Zürich eine Vielzahl herausragend guter junger Architekten beheimatet ist“, freut sich
Büropartner Yves Schihin.
Weil Wettbewerbe in der Regel für Projekte im städtischen Raum
ausgelobt werden, beschäftigen sich auch die Planungen von
Burkhalter Sumi Architekten häufig mit dem Thema urbanes
Bauen. Zusätzlich hat sich ein weiterer Schwerpunkt herausgebildet. „Wie gehen wir mit dem Bestand um? Diese Frage ist immer
häufiger Bestandteil einer Wettbewerbsaufgabe“, erkärt Schihin,
und die Architekten aus Zürich beantworten sie mit Lösungen, die
individuell auf das jeweilige Bauwerk zugeschnitten sind.
Zum Beispiel beim Hochhaus Weberstraße in Winterthur. Ziel der
Bauaufgabe für diesen kaum gedämmten und lediglich auf
Mauerwerk basierenden 1960er-Jahre-Bau war die energetische
und strukturelle Modernisierung des Hochhauses sowie die
Schaffung von mehr Wohnraum. Weil eine Aufstockung aufgrund
der geringen Belastbarkeit der Fundamente nicht möglich war,
packten Burkhalter Sumi Architekten dem Wohnturm einen
Rucksack auf den Rücken respektive die Nordfassade und
erhöhten damit die Ausnutzung des Geländes um 20 Prozent. Der
betonierte Zusatzbaukörper dient als Erdbebenertüchtigung. Er
bot Platz genug, um pro Geschoss je vier kleine Wohnungen im
Bestand in zwei Familienwohnungen umzuwandeln und eine
weitere Wohneinheit anzugliedern. Als energetisch hochwertig
konzipierter Neubau dient er der Nordseite des Bestands als
zusätzliche Dämmschicht. „Weil durch den Anbau der Lebens­
zyklus des Hochhauses um 60 Jahre erhöht wurde, ohne dass die
graue Energie des Bestands vernichtet wurde, ist das Projekt
extrem nachhaltig“, erzählt Architekt Schihin, „und wir haben
durch den Rucksack trotz Verdichtung sogar die gesamten
Grünflächen der Parkstadt erhalten können.“
Beim Projekt Sunniger Hof, einer großen Wohnsiedlung, dachten
die Planer anders: Beim vorderen Teil der Gebäudeansammlung
ließen sie nur die Fenster auswechseln. Damit blieben die Mieten
gleich und die alten Bewohner konnten weiter in ihren Wohnungen bleiben. Hinter diesen leicht sanierten Bauwerken erhöhten
sie die Dichte der Siedlung, indem sie die Altbauten durch neue
Vierspänner mit familientauglichen Wohnungen ersetzten. Hier
wohnen seither die Kinder der Alten, die weiter in den vorderen
Bauten beheimatet sind, und ziehen wiederum ihre Kinder groß.
Ein Konzept, das sich für alle bewährt hat.
Beim jüngst gewonnenen Wettbewerb für einen Hotelanbau in
St. Moritz gehen die Architekten wieder andere Wege. Sie stocken
einerseits auf und bauen an, andererseits reißen sie ab und
ersetzen einen Teil des Bestands durch einen Neubau. So
verschmelzen sie etwa den bestehenden Kongresssaal aus dem
19. Jahrhundert mit einem Anbau, in dem Seminar- und Kongressräume Platz finden. Einen weiteren Baukörper lassen sie schleifen,
um an seiner Stelle einen Neubautrakt in Holzbauweise zu
erstellen. Er integriert die gewünschten zusätzlichen 150 Zimmer.
„Der Altbau hätte diese Zimmeranzahl mit der geforderten
rationellen Erschließung nicht in gleicher Qualität bieten können.
Hier war der Ersatzneubau die bessere Lösung“, beschreibt der
Schweizer die Denkweise von Burkhalter und Sumi Architekten.
„Manchmal sieht man auf den ersten Blick, was der Bestand
leisten kann. Manchmal, wie beim SZU, bedarf es gewaltiger
gedanklicher Anstrengungen. Alle anderen Wettbewerbsteilnehmer hätten das Gebäude abgerissen. Aber beim genauen
Hinsehen haben wir so viele Punkte entdeckt, die mit dem Altbau
gelöst waren, dass für uns ein Ersatzneubau nicht in Frage kam.“
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Pile-Up Zürich
Stec kb r i ef
Aufstockung und Umbau eines Umschlag­gebäudes
in ein Wohn­gebäude
5.100
18.200
m² B ru tto ges c hossfläc he
m³ B ru tto -Bau vo lumen
Foto: Burkhalter Sumi Architekten
Fazi t
D
ie Materialwahl ist beim Bauen im
Bestand sehr wichtig. Holz kann da
einen seiner größten Vorteile ausspielen, das sind das geringe Gewicht und die
leichte Bearbeitbarkeit“, betont Yves Schihin, Architekt bei Burkhalter Sumi Architekten. Er ist sicher: „Man kann eine Aufstockung aus Holz beinahe auf jedes Gebäude
draufsetzen – und fördert damit auch dessen Nachhaltigkeit.“ Das Pile-Up in Zürich
ist das beste Beispiel für den Erfolg dieser
Denkweise.
-
Baukoste n :
10,5 Mio. Schweizer Franken
P roje ktl e itung:
Steffen Sperle
I n be trie bn ah m e :
Mai 2013
Ho l zbau:
Hector Egger Holzbau,
CH-4900 Langenthal
Bauze it:
2011 bis 2013
Bauh e rr:
SZU AG, CH-8045 Zürich
Statik/Brandschutz:
Makiol+Wiederkehr,
CH-5712 Beinwil am See
Arc h ite kt:
burkhalter sumi architekten
GmbH, CH-8001 Zürich
Totalun te rnehmer:
Unirenova AG,
CH-8050 Zürich
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