Innovationen 1/09 Mit ganzem Herzen Entwicklung resorbierbarer Verschlusssysteme für die Herzscheidewand Vereinigung zur Förderung des Instituts für Kunststoffverarbeitung in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen Lebenswichtiger Muskel Innovationen 1/09 D as menschliche Herz ist ein sehr komplexer, faustgroßer Muskel, durch dessen periodische Kontraktionen der gesamte Blutkreislauf des Menschen angetrieben wird. Es wird durch eine Scheidewand der Länge nach in zwei Teile – die rechte und die linke Herzhälfte – geteilt. Ungewollte Verbindungen zwischen linker und rechter Herzhälfte sind die am häufigsten auftretenden angeborenen Herzfehler. Solche Herzscheidewanddefekte machen rund 40 Prozent aller Herzfehler aus. Sie verursachen eine Mehrbelastung von Herzmuskel und Lungengefäßen, die ohne Therapie zu irreversiblen Veränderungen des Herzens sowie der Lungengefäße und infolgedessen zu einer herabgesetzten Lebensqualität, aber auch zu einer geringeren Lebenserwartung führt. Pro Jahr kommen in Deutschland durchschnittlich 7.000 bis 8.000 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Die häufigsten, angeborenen Defekte der Herzscheidewand Obere Hohlvene Obere Hohlvene Lungenschlagader Lungenschlagader Untere Hohlvene Atrium-Septum-Defekt (ASD) Lungenschlagader Implantate auf Zeit E s ist bekannt, dass die bislang verwendeten permanenten Implantate nach einigen Monaten vollständig eingewachsen sind. Damit übernimmt körpereigenes Gewebe die den Defekt verschließende Funktion und macht das eingesetzte Implantat überflüssig. Aufgrund dieser Erkenntnis sollte in einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) über die AiF geförderten Vorhaben der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) ein vollständig resorbierbares Implantat für Herzscheidewanddefekte entwickelt werden. In enger Zusammenarbeit haben Wissenschaftler der Pädiatrischen Kardiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Göttingen und des Instituts für Kunststoffverarbeitung in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen (IKV) dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. Untere Hohlvene Ventrikel-Septum-Defekt (VSD) Aktuelle Behandlungsmöglichkeiten D ie Standardtherapie bei Herzscheidewanddefekten bestand bis vor wenigen Jahren in einem operativen Verschluss des Defektes am offenen Herzen. Inzwischen lassen sich die Mehrzahl dieser Defekte alternativ auch im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung verschließen. Dazu wird ein Katheter von der Leiste aus bis zum Herzen geschoben und durch diesen hindurch ein Implantat in den Defekt eingesetzt. Eine Operation am offenen Herzen und die dadurch entstehenden Belastungen und Gefahren für den Patienten können damit vermieden werden. Die gegenwärtig verfügbaren Systeme für diesen sogenannten interventionellen Verschluss bestehen aus einer Kombination eines Metallrahmens mit einer synthetischen Kunststoffbespannung bzw. -füllung, die lebenslang als Fremdkörper im Organismus verbleiben. Dadurch kann es zu Langzeitkomplikationen kommen wie zum Beispiel Infektionen, Blutgerinnselbildung, Reibungsläsionen oder Herzrhythmusstörungen. Werkstoff für kleinste Details E ntsprechend den medizinischen Anforderungen und Randbedingungen des Herstellungsprozesses wählten die Wissenschaftler zunächst aus marktgängigen resorbierbaren Polymeren geeignete Werkstoffe aus. Die geeigneten Polymere wurden dann hinsichtlich ihrer Verarbeitbarkeit unter anderem im Spritzgießprozess untersucht. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Möglichkeit zur Abformung kleiner Details, da es sich bei dem angestrebten Implantat um ein Bauteil handelt, welches fein strukturierte Elemente aufweist. Außerdem erfolgte eine In-vitro-Untersuchung der Polymere hinsichtlich ihrer Biokompatibilität. Parallel dazu entwickelten die Wissenschaftler das Design des Implantats. Eine wichtige Rahmenbedingung dabei war, dass das System durch ein vorhandenes Kathetersystem mit einem Innendurchmesser von 4 mm geführt werden kann, sich gleichzeitig aber im Herzen so aufspannen und verankern lässt, dass es einen bis zu mehreren Zentimeter messenden Defekt verschließt. Aus Sicherheitsgründen muss schließlich gewährleistet sein, dass das System im Falle von Fehlpositionierungen und Komplikationen mit dem Katheter wieder entfernt werden kann. Unterwegs zum marktfähigen Produkt D ie Funktionsfähigkeit des Implantats aus resorbierbarem Kunststoff konnte bereits an einem Modellherzen gezeigt werden. Sofern sich diese Funktionsfähigkeit im Tierversuch anhand eines funktionalen Labormusters belegen lässt, kann bei weiterer Optimierung des Produktdesigns in ca. zwei Jahren der Eingang in eine vorklinische Erprobungsbzw. Zulassungsstudie erfolgen. Gemeinsam mit mittelständischen Industriepartnern können dann marktfähige Implantate entwickelt werden. Die Ergebnisse dieses IGF-Vorhabens verhelfen damit mittelständischen Medizintechnikunternehmen nicht nur zu Innovationsimpulsen, sondern sie leisten gleichermaßen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung effizienter und schonender Behandlungsverfahren für Patienten. Erfolgversprechender Lösungsansatz D as im Rahmen des IGF-Vorhabens entwickelte vollständig resorbierbare Implantat entspricht in gefaltetem Zustand einem Röhrchen, welches in zwei Bereichen mit regelmäßigen Schlitzen versehen ist. So können zwei Speichenscheiben aufgespannt werden, indem man die Röhrchenenden aufeinander zuzieht. Um die Abdichtung des Scheidewanddefektes sicherzustellen, wird zusätzlich jeweils ein kreisrundes Kollagenvlies an den Stegen befestigt. An den Enden des Röhrchens ist ein Ringschnappverschluss angebracht. Um die Röhrchenenden aufeinander zuziehen zu können, ist in der Kugel des Schnappverschlusses eine Bohrung vorgesehen, in der ein Führungsdraht verankert werden kann. Mithilfe des Führungsdrahts wird darüber hinaus das Implantat durch den Katheter zum Defekt vorgeschoben. Befindet sich das Implantat im gefalteten Zustand im Defekt, werden durch Zug am Führungsdraht die zwei Scheiben aufgespannt. Das innovative Implantat besteht aus (Co-) Polymeren auf Polylactid-Basis sowie einem Kollagenvlies. Beide sind im Körper vollständig abbaubar. Darüber hinaus kann eine Übertragung des Konzepts der Bioresorbierbarkeit auf der Basis der Projektergebnisse auch auf andere Bereiche der interventionellen Therapie von Erkrankungen untersucht und ggf. realisiert werden – ob bei anderen angeborenen Herzfehlern, bei Gefäßersatz oder Gefäßstützen oder in anderen medizinischen Fachgebieten wie der Urologie, Radiologie oder Chirurgie. Weitere Informationen zum Thema dieser Ausgabe sind über die folgende Forschungsvereinigung der AiF erhältlich: Vereinigung zur Förderung des Instituts für Kunststoffverarbeitung in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen Pontstraße 49 52062 Aachen Tel.: 0241 8093806 Fax: 0241 8092262 E-Mail: [email protected] Fotos: IKV, Herzzentrum Göttingen Wir forschen gemeinsam. 1/09 D as zentrale Anliegen der AiF besteht in der Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Die AiF hat zu diesem Zweck seit ihrer Gründung im Jahr 1954 eine einzigartige Infrastruktur aufgebaut. Diese besteht aus einem industriegetragenen Innovationsnetzwerk, das Wirtschaft und Wissenschaft miteinander verzahnt und dabei partnerschaftlich mit dem Staat kooperiert. Es umfasst über 100 industrielle Forschungsvereinigungen mit etwa 50.000 Unternehmen, weit überwiegend KMU, rund 700 eingebundene Forschungsstellen sowie zwei Geschäftsstellen der AiF in Köln und Berlin. Die Forschungsvereinigungen und die Geschäftsstellen der AiF bieten praxisnahe Innovationsberatung. Als Kompetenzzentrum für die mittelstandsbezogene FuE-Förderung setzt sich die AiF sowohl für die branchenweite industrielle Gemeinschaftsforschung als auch für firmenspezifische und fachhochschulorientierte Förderprogramme des Bundes und eines Landes ein. International engagiert sich die AiF für eine stärkere Beteiligung von KMU an den FuE-Maßnahmen der Europäischen Union. Außerdem koordiniert sie das von der Europäischen Union geförderte ERA-NET CORNET II zur transnationalen Gemeinschaftsforschung. KMU sind aus eigener Kraft kaum in der Lage, Forschungsvorhaben zur Weiterentwicklung ihrer Leistungsfähigkeit zu finanzieren und durchzuführen. Im Rahmen der Forschungsvereinigungen der AiF, die nach Industriebranchen oder Technologiefeldern aufgegliedert sind, können diese Unternehmen gemeinsame – und folglich vorwettbewerbliche – Forschung betreiben. Diese industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) ist für zahlreiche Branchen ein wirksames Instrument zur laufenden Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Sie wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie unterstützt. Voraussetzung dieser öffentlichen Förderung ist ein industrielles Eigenengagement für Zwecke der Gemeinschaftsforschung. Die Reihe „Innovationen“ präsentiert in loser Folge Ergebnisse aus Forschungsvorhaben, die über die AiF mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. Herausgeber: AiF Hauptgeschäftsstelle Bayenthalgürtel 23 50968 Köln Tel.: 0221 37680-0 Fax: 0221 37680-27 E-Mail: [email protected] Geschäftsstelle Berlin Tschaikowskistraße 49 13156 Berlin Tel.: 030 48163-3 Fax: 030 48163-401 E-Mail: [email protected] Internet: www.aif.de Text und Redaktion: Alexandra Dick Gestaltung: heimbüchel pr, kommunikation und publizistik GmbH, Köln/Berlin www.heimbuechel.de