den eigenen Fuß vom Körper", den jungen Genossen zu tö- . ten, um ihre Aufträge ausführen zu können. Im Lehrstück stellen die Agitatoren, zurückgekehrt, die einzelnen Situationen vor dem Parteigericht dar, das ihre Maßnahme billigt. Der Kontrollchor schließt: Aber auch euer Bericht zeigt uns; wievie1 Nötig ist. die Welt zu verändern: Zorn und Zäliigkeit. Wissen und Empörung Schnelles Eingreifen. tiefes Bedenken Kaltes Dulden. endloses Beharren Begreifen des einzelnen und Begreifen des Ganzen: Nur belehrt von der Wirklichkeit. können wir Die Wirklichkeit ändern. In diesem Lehrstück führte Brecht Probleme des revolutionären Proletariats vor, indem er es selbst zum Handlungsträger machte. Der Kontrollchor .vernahm und beurteilte nicht nur die Verhaltensweisen der Agitatoren, sondern gab dem Publikum direkte Impulse;' so in den Lobliedern, dem "Lob der UdSSR", dem "Lob der illegalen Arbeit" oder dem Lob der Partei Der Einzelfie·hat zwei Augen Die Partei hat tausend Augen. Die Partei sieht sieben Staaten Der Einzelne sieht eine Stadt. Der Einzelne hat seine Stunde Aber die Partei'hat viele Stunden. Der Einzelne kann vernichtet werden Aber die Partei kann nicht vernichtet werden. Denn sie ist der Vortrupp der Massen Und führt ihren Kampf Mit den Methoden der Klassiker, welche geschöpft sind Aus der Kenntnis der Wirklichkeit. Im Lehrstück "Die Maßnahme" heit dar, die konstruiert wirken Entscheidung zum Inhalt hatte. fassung von der Beziehung des stellte Brecht eine Begebenmußte, weil sie eine abstrakte Nur eine undialektische AufIndividuums zur Gesellschaft mußte zu, einer solchen selbstmörderischen ••Maßnahme" führen. Brecht hatte wohl Verbindungen zu Arbeitern und zum Marxismus, aber noch nicht in ausreichendem Maße zu ihren tatsächlichen Kämpfen und Problemen, zur revolutionären Praxis. Die idealistische Verabsolutierung der "Umstände" und der Notwendigkeit war im vorliegenden Lehrstück nicht nur falsch, sondern die verfochtene "Lösung", die ja ausdrücklich zur Einübung eines bestimmten Verhaltens gedacht war, konnte in den Reihen des Proletariats Verwirrung hervorrufen. Dennoch waren die Aufführungen 1930 mit Helene Weigel, Ernst Busch und dem Arbeiterchor Groß-Berlin, ein Jahr später in der Berliner Philharmonie durch den Arbeitersängerbund große politische Demonstrationen für das Proletariat. "Die Rote Fahne", Organ der KPD, schrieb: "Wir müssen politisch Ja sagen, weil die Vorzüge der propagandistisch-positiven Gesamtwirkung die Nachteile der ideologischen Unklarheiten größtenteils aufwiegen." Die Polizei überwachte die Aufführungen. In einem Polizeibericht von 1932 wurde das Lehrstück "Die Maßnahme" als außerordentlich gefährlich hingestellt: "Es wurde in ihm unter anderem gezeigt, wie der revolutionäre Gedanke in die Polizei- und Militärkasernen zu tragen sei. In eine';Danderen Bilde wurde dargestellt, wie verbotene Druckschriften verteilt und die Polizei dabei hinters Licht geführt werden könne ... Mit allen Mitteln wird anscheinend versucht, die Parteimitglieder für die Zerseezungsarbejt; zu gewinnen und anzulernen." Gegen die Veranstalter, die in Erfurt "Die Maßnahme" aufführen wollten, wurde ein ••Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat" eingeleitet. Lehren des dialektischen Materialismus gab Brecht nicht nur Erwachsenen, sondern auch der Jugend. Einige der frühen Lehrstücke waren schon "für Kinder" geschrieben, ihnen folgte .Die Ausnahme und die Regel" (1929/30). Dieses in der Weimarer Republik nicht mehr aufgeführte Stück . griff in einer einfachen Fabel den imperialistischen Terror in den Kolonien an. Brecht stellt dar, wie ein weißer Kaufmann mit zwei Eingeborenen, einem Führer und einem Gepäckträger, durch die Wüste hastet, um sich die Konzession für ein Ölvorkommen zu sichern. Da ihm die Karawane eines Konkurrenten folgt, fühlt er sich zu großer Eile angetrieben. Von seinen Leuten verlangt er äußerste Kraftanstrengungen, fürchtet aber gleichzeitig den Haß der Ausgebeuteten. In der letzten bewohnten Station entläßt er den ortskundigen Führer, um in der Wii,ste nur einen vermeintlichen Gegner in seiner Nähe zu wissen. Der Kuli verfehlt den Weg. Weil der Kaufmann den Kuli mehrfach geschlagen hat und daran schuld ist, daß er sich den Arm brach, wächst seine Furcht vor einer möglichen Rache. Als ihm der Kuli dann eine verborgene Wasserflasche reicht, meint der Kaufmann, er wolle ihn mit einem Stein ermorden, und erschießt ihn. - Das durch die Anklage der Witwe des Kulis einberufene Gericht legt den Fall zugunsten des Kaufherrn aus. Er habe, begründet es, zu Recht in Notwehr gehandelt, da er unter den gegebenen Umständen.die berechtigte Rache des Lastträgers fürchten mußte. In einem Prolog forderte Brecht die Zuschauer auf: Betrachtet genau das Verhalten dieser Leute: Findet es befremdend, wenn auch nicht fremd Unerklärlich, wenn auch gewöhnlich Unverständlich, wenn auch die Regel. I In der kritischen Beobachtung und Beurteilung von Verhaltensweisen lag eine der pädagogischen Absichten aller Stücke Brechts. In diesem Lehrstück kann man erkennen, daß im kapitalistischen System Menschlichkeit die Ausnahme und Unmenschlichkeit die Regel sind. Das Lehrstück schließt mit einer Mahnung, die das Publikum zu direkter Aktivität aufruft: Was die Regel ist, das erkennt als Mißbrauch Und wo ihr den Mißbrauch erkannt habt .Da schafft Abhilfe I Wie in den "Lehrstücken für Kinder" wollte Brecht auch in den Gedichten Einfluß auf die Erziehung der Jugend nehmen • .1932 veröffentlichte er "ein Kinderbuch" und dem Titel .Die drei Soldaten", illustriert von George Grosz. Diese drei Soldaten sind eine Verkörperung von "Hunger, Unfall und Husten", Erscheinungen des Elends, die das ausgebeutete Proletariat ständig bedrohen. Brecht läßt in dem Kinderbuch die drei Soldaten in den verschiedensten sozialen und beruflichen Bereichen wüten. Immer, wenn die drei feststellen, daß sich die Notleidenden mit ihrem. Elend abfinden, werden sie, wütend und erschießen sie. Die drei Soldaten und die W obnungsnot Viel mehr als jemals durch die Kanonen Sterben Leute, die in schlechtenHäusern wohnen. Das sind Häuser, an denen sieht jedes Kind. Daß darinnen zu viele Wohnungen sind. Und daß es darin so viel Wohnungen gibt Ist, damit der Hausherr die Miete einschiebt. Und in jedem Zimmer finster und klein Müssen recht viele Leute sein Die ganz eng aufeinanderpappen Und sich die wenige Luft wegschnappen Aber so viele müssen es sein Damit der Hausherr ihr Geld steckt ein. Doch eines Tages im Monat Mai Kommen die drei Soldaten vorbei Die sehen den großen Haufen voll Stein Und sagen: ,,Da gehen wir hinein." Und traben hinauf die engen Stiegen Die SQ, laut sehrein und sich gleich biegen Und schauen hinelnin die dunklen Löcher Und sagen: ••Hier wohnen, scheint's, lauter Verbrecher." Und sehen viele Leute drin: Mann, Frau und Kind Und daß wieder so viele in einem Zimmer sind. Und werden gleich ganz wutentbrannt Und stellen gleich die Leute an die Wand Und schießen schrecklichauf sie ein Und schießen alles tot und schrein: ••Wer so wohnt, groß oder klein Der will anscheinend erschossen sein." Wer in ein solches Haus hineingeraten Den erschießen eben die drei Soldaten. Sie schießen ihn nämlich in seine Lungen Und so wird er von ihnen gezwungen Daß er wieder heraus muß aus dem Haua Und wenn auch mit seinen Füßen voraus. Daß aber die dr:ei das wirklich TIIIlchm Das beweisen die Tatsachen: In solchen Häusern weit und breit Herrscht eine große Sterblichkeit. Im letzten Gedicht des Zyklus läßt Brecht die drei Soldaten; nachdem sie allerorts wenig Änderungsbereitschaft finden, nach Moskau ziehen. In dieser Stadt werden die drei Soldaten nicht geduldet und von den Arbeitern, die die Macht in den Händen haben, erschossen: Und als sie sahen in den Stahl Da lachten die Drei, zum erstenmal Und sagten: ••Jetzt haben wir hier gesprochen mit allen Und keiner läßt sich das Elend gefallen. Das sind Leute, die haben einen Verstand Die stellen uns einfach an die Wand." Sie sehrien noch mitten im Erschießen Daß sie sich's gern gefallen ließen. Brecht Schuf in dem Kinderbuch von den "Drei Soldaten" ein einprägsames Bild 'vom Elend im· Kapitalismus und seinen Ursachen. Im letzten Gedicht zeigte er den Ausweg, der das Elend der Massen in Wirtschaftskrisen, im Kapitalismus überhaupt, beseitigen kann. Außer dem 1934 geschriebenen Lehrstück "Die Horatier und die Kuriatier", einem "Lehrstück über Dialektik für Kinder", hat Brecht dieses Genre in diesem engeren Sinn nicht mehr aufgegriffen. Mit den Lehrstücken fand Brecht thematisch endgültig zum revolutionären Proletariat. Die vielfach vereinfachte Darstellung der komplizierten Vorgänge und die lebensfremde Abstraktion in den Lehrstücken erkannte er bald als Mangel. Auch hier unermüdlich an einer Verbesserung seiner M;ethoden arbeitend, überwand er diese Phase seiner Arbeit mit einem Stück, das noch Lehrcharakter trägt, aber in dem bereits Gestalten mit individuellen Zügen in konkreten Situationen auf- treten: "Die Mutter". Diese Arbeit gelang ihm, nachdem er viele lebendige Kontakte mit Arbeitern und ihrem Kampf gefunden hatte. Gelegenheit zu einer direkten Verbindung mit der Arbeiterklasse gab die Arbeit an einem Film. Brecht und seine Mitarbeiter Hanns Eisler, Slatan Dudow undErnst Ottwalt nahmen sich vor, eine Handlung zu zeigen, die in der Arbeiterklasse spielte; dabei sollte die Arbeiterklasse, ihre Lage, die Anschauungen ihrer verschiedenen Angehörigen deutlich gernacht werden. Das Arbeitskollektiv sammelte auch viel Material, suchte Gespräche mit Arbeitern in Arbeiterwohnurigen und Wochenendplätzen. Ergebnis dieser Arbeit war der Film "Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?" (1931/32). Die Mitarbeiter hatten von einem jungen Arbeiter gelesen, der, durch die Wirtschaftskrise lange Zeit arbeitslos, keinen anderen Ausweg fand als den Selbstmord. Durch den Freund des Arbeiters fand die verzweifelte vaterlose Familie Anschluß an Arbeitersportier, die am Müggelsee die Zeltstadt Kuhle Wampe gegründet hatten. Im Film wurden Details dieses Vorfalls, etwa daß sich der Arbeitslose, ehe er sich aus dem Fenster stürzt, die Uhr abbindet, benutzt: Ein junger stellungsuchender Arbeitsloser jagt mit ,anderen nach einer Arbeitsstelle. Seine Bemühungen bleiben ohne Erfolg. Um dem Elend und den Vorwürfen seines Vaters zu entgehen, stürzt er sich aus dem Fenster. Ungerührt vö·~ Tod des Jungen, setzt der Hauseigentümer die Familie wegen Mietrückständen auf die Straße. Aber Fritz, der Freund der Tochter Anni, verschafft der exmittierten Familie ein vorläufiges Heim in der Zeltstadt Kuhle Wampe. Als Anni ihm sagt,daß sie ein Kind von ihm erwartet, kann sich Fritz nur nach Zureden des Vaters zu einer Verlobung entschließen. 'Bei dem Freß- und Saufgelage, das aus diesem Anlaß stattfindet, kommt es zum Bruch zwischen den Verlobten. Das' Mädchen wird vorübergehend in- einem Betrieb aufgenommen. Im Kreise von J ungkommunisten hilft sie bei den Vorbereitungen zu einem großen Sportfest. Fritz verliert seine Stelle und schließt sich nun auch der proletarischen Arbeiterjugend an. Beim Sportfest, auf dem die Arbeiter nicht nur ihre sportlichen Leistun- gen, sondern auch ihre politische Stärke demonstrieren, findet Fritz Anni wieder. Das Lied, das Brecht die Arbeitersportier singen läßt, ist seitdem eines der bekanntesten Arbeitedieder. Es wird hier in der später von Brecht bearbeiteten Version wiedergegeben: Solidaritätslied Auf, ihr Völker dieser Erde! Einigt euch in diesem Sinn: Daß sie jetzt die eure werde Und die große Nährerin. Vorwärts, und nicht vergessen Worin unsre Stärke besteht! Beim Hungern und beim Essen Vorwärts, nie vergessen Die Solidarität! Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber! Endet ihre Schlächterein ! Reden erst die Völker selber Werden sie schnell einig sein. Vorwärts, und nicht vergessen Worin unsre Stärke besteht I Beim Hungern und beim Essen Vorwärts, nie vergessen Die Solidarität! Wollen wir es schnell erreichen Brauchen wir noch dich und dich. Wer im Stich läßt seinesgleichen Läßt ja nur sich selbst im Stich. Vorwärts, und nicht vergessen Worin unsre Stärke besteht I Beim Hungern und beim Essen Vorwärts, nie vergessen Die Solidarität! Unsre Herrn, wer sie auch seien Sehen unsre Zwietracht gern Denn solang sie uns entzweien Bleiben sie doch unsre Herrn. Vorwärts, und nicht vergessen Worin unsre Stärke besteht! Beim Hungern und beim Essen Vorwärts, nie vergessen Die Solidarität I Proletarier aller Länder Einigt euch, und ihr seid frei. Eure großen Regimenter Brechen jede Tyrannei! Vorwärts, und nie vergessen Und die Frage konkret gestellt Beim Hungern und beim Essen: Wessen Morgen ist der Morgen? Wessen Welt ist die Welt? Wie in diesem Lied die vereinigten Arbeiter zu revolutionären Veränderungen angehalten werden, begnügten sich Brecht und Dudow auch im Film nicht mit einem Wochenend idyll am Müggelsee, das gewissermaßen am Rande der Kampffronten liegt. Die Unterbringung Obdachloser in einer Wochenendsiedlung war eine Möglichkeit, die Not Einzelner zu lindern.Worauf es jedoch ankam, war eine große gesellschaftliche Umwälzung. "Und wer wird die Welt ändern?" fragt ein Arbeiter im Film. Ein Mädchen antwortet: "Die, denen sie nicht gefällt!" Der Film schließt nach der Darstellung eines Sporttestes mit . einer eindrucksvollen Szene. "Eine Fahrt im überfüllten Stadtbahnwagen vom Arbeitersportfest nach Berlin", schrieb 1932 der Kritiker Herbere Jheringd8tÜber, "ist sogar ungewöhnlich gut. Einer liest aus der Zeitung vor, daß Kaffee in Brasilien ins Meer geschüttet worden sei. Sofort entzünden sich hieran die Gespräche, ins Politische, ins Private: Klatschende Frauen sprechen vom Ksfleekochen, Bürger und Arbeiter vertreten ihre Meinungen. Worte fliegen hin und her. Schichten und Typen werden deutlich. Das ist ausgezeichnet gemacht." Mitwirkende dieses Films, der von Slatan Dudow inszeniert wurde, waren vor allem Arbeiter. Die Mitarbeiter suchten Kontakt mit den Arbeitersportverbänden und fanden, als diese den Zweck des Films erfuhren, begeisterte Helfer. 4 000 FichteSportler stellten sich für den Film zur Verfügung. Die Hauptrollen wurden von Herta Thiele und Ernst Busch gespielt. Die Musik zu "Kuhle Wampe" schrieb Hanns Eisler, mit dem Brecht seit 1930 eng zusammenarbeitete. Eislets Musik gab keine Illustrationen zu den Bildern, sondern nahm dazu Stellung. Als beispielsweise verwahrloste ärmliche Hinterhöfe gezeigt wurden, gab Eislers Musik nicht nur düstere, melancholische Akkorde (wie das im Film üblich ~ar), sondern energische, harte Rhythmen drückten musikalisch eine Opposition gegen solche Verhältnisse aus. In der deutschen Filmgeschichte zählt "Kuhle Wampe" zu den Höhepunkten der ersten Jahre des Tonfilms. Doch 1932 bereitete es Schwierigkeiten, diesen Arbeiterfilm herauszubringen. Kurz vor der Premiere sah sich eine Gutachterkommission, die aus Mitgliedern des preußischen Innenministeriums und Kulturministeriums bestand, den Film an und verbot die Aufführung "wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung". Trotz Protesten von allen Seiten schloß sich eine "Film-Oberpriifstelle", bei der Berufung eingelegt worden war, diesem Verbot an. der Begründung heißt es u. a. : In "Einzelne Szenen fordern zum Widerstand gegen die Staatsgewalt und zum Ungehorsam auf... Durch den Film werden lebenswichtige Interessen des Staates verletzt. Die Justiz wird als Einrichtung verächtlich gemacht. .. Die mehrdch wiederholte Aufforderung zum Umsturz und ZU! Gewalt, die Aufforderung zur Solidarität läuft durch den ganzen Film und gipfelt in dem Aufruf zur Änderung der Welt." Auf diese Entscheidung hin begann ein Proteststurm in der Öffentlichkeit. Die demokratischen Kräfte in Deutschland versuchten in letzter Minute einen Kampf gegen den sich anbahnenden faschistischen Terror. Kommunistische und linke bürgerliche Zeitungen sprachen sich gegen den "Schandspruch" der Film-Oberprüfsteile aus. Die "Deutsche Liga für Menschenrechte" protestierte in einer Kundgebung gegen das Verbot. Diese breite Solidaritätsbewegung zwang die Behörde gegen den Einspruch ihrer faschistischen Mitglieder, den Film mit einigen Kürzungen freizugeben. Aber der Film "Kuhle Wampe" konnte nur wenige Monate laufen, die Nazis zogen ihn sofort aus dem Verleih. Als der Film in der DDR wieder zurAufführong gelangte, bewies er seine starke Wirkung und Anziehungskraft. Nach einer Voraufführung am Todestag Rosa Luxemburgs fand am 17. Januar 1932 im Berliner Komödienhaus .die öffentliche Premiere des Stücks "Die Mutter" statt. Es war die letzte Uraufführung eines Brechtsehen Stückes vor der Machtübernahme der Nazis. In einem Brief an das Arbeitertheater "Theatre Union" in New York gab Brecht 1935 unter anderem eine kurze Zusammenfassung der Fabel: I 1. Als ich das Stück ••Die Mutter" schrieb Nach dem Buch des Genossen Gorki und vielen Erzählungen proletarischer Genossen aus ihrem Täglichen Kampf, schrieb ich es Ohne allen Umschweif, in kärglicher Sprache Reinlich die Worte setzend, alle Gesten Meiner Gestalt sorgsam wählend, wie man Die Worte und Taten der Großen' berichtet. . Nach bestem Vermögen Stellte ich jene alltäglich erscheinenden 'rausendfachen Vorgänge in verachteten Wohnungen Unter' den Vielzuvielen als historische Vorgänge dar. Keineswegs weniger bedeutend als aie berühmten Taten der Feldherren und Staatsmänner der Lesebücher, Für meine Aufgabe hielt id! es, von einer großen historischen Gestalt zu berichten: Dem unbekannten Vorkämpfer der Menschheit, Zur Nacheiferurig. 2. , So seht ihr also die proletarische Mutter den Weg gehn Langen, gewundenen Weg ihrer Klasse, seht, wie zuerst Ihr der Pfennig fehlt am Lohn ihres Sohnes: sie kann ihm Seine Suppe nicht schmackhaft kochen. So verwickelt sie sich In einen Kampf mit ihm, fürchtet, ihn zu verlieren. Dann Hilft sie ihm widerwillig bei seinem Kampf um den Pfennig Ständig befürchtend, ihn nun im Kampf zu verlieren. Langsam Folgt sie dem Sohn in das Dickid!t der Lohnkämpfe. Dabei Lernt sie lesen. Verläßt ihre Hütte, betreut noch andere Als den Sohn, doch in gleicher Lage befindliche, gegen die sie Einstmals kämpfte um ihren Sohn; nun kämpft sie mit ihnen. So beginnen die Wände zu fallen um ihren Herd. IheTisch beherbergt .Mancher anderen Mutter Sohn. Zum Versammlungsraum Wird die Hütte, die einmal für zwei zu klein war. Aber den Sohn Sieht sie nur selten. Der Kampf entführt ihn ihr. Und sie selber steht im Gedränge der Kämpfenden. Das Gespräch Zwischen dem Sohn und der Ml,Itterwird zum Zuruf Während der Schlacht. Am Ende fällt der Sohn. Nicht mehr Möglich war ihr's, ihm die Suppe zu schaffen auf dem einzigen Weg, den es gab. Aber nun steht sie schon Im dichtesten Getümmel der unaufhörlichen Riesigen Klassenschlacht. Immer noch Mutter Mehr noch Mutter jetzt, vieler Gefallenen Mutter Kämpfender Mutter, Ungeborener Mutter, räumt sie Jetzt im Staatswesen auf. Gibt den Herrschenden Steine In das erpreßte Mahl. Reinigt Waffen. Lehrt Ihre vielen Söhne und Töchter die Sprache des Kampfes Gegen den Krieg und die Ausbeutung, Mitglied einer Heeresmacht über den ganzen Planeten, Verfolgte und Verfolgerin Nichtgeduldete und Unduldsame. Geschlagene und Unerbittliche. Die Auswirkungen der Krise hatten eine revolutionäre Situation heranreifen lassen. Die KPD sah deshalb ihre Aufgabe darin, alle Kräfte für die Befreiung des Proletariats zu mobilisieren. Im Mai 193t' gab das ZK der Partei eine Resolution heraus, in der unter anderem auf die Gewinnung von Frauen für die Ziele des revolutionären Proletariats hingewiesen wurde: .,Wirklich konkrete praktische Arbeit zur Erfassung, Mobilisierung und Eingliederung der Frauen in alle Kämpfe - das ist. uns besonders jetzt möglich, wo unter den Auswirkungen der Krise, der Erwerbslosigkeit, der Teuerung, des Unternehmerangriffs, der Kulturreaktion die Arbeiterinnen, Angestellten und Hausfrauen noch schwerer betroffen sind als die Männer." Brecht stellte in seinem Stück "Die Mutter" dar, wie eine Proletarierfrau den Anschluß an die revolutionären Arbeiterkreise findet. Er benutzte als Vorlage den in Deutschland bekannten Roman Maxim Gorkis, Die bürgerlichen Parteien betrieben in der Krisenzeit. als sich das Proletariat zunehmend am Beispiel der Sowjetunion orien- tierte, eine wilde Hetze gegen den jungen, sozialistischen Staat. Brecht hatte in Gedichten und im "Lob der UdSSR" seine Verbundenheit mit der Sowjetunion ausgedrückt; er nahm jetzt öffentlich gegen diese "subjektiv hetzerischen Reden" mit anderen .fortschrittlichen Schriftstellern und Wissenschaftlern Stellung. Es war gleichfalls ein Bekenntnis, wenn er unmittelbar nach Gorkis Rückkehr in die Sowjetunion einen .Stoff aus seinem Schaffen zum Gegenstand eines revolutionären Stückes machte. Zusammen mit Slatan Dudow, Hanns Eisler und Günther Weisenborn schrieb er ein Stück, des wohl auf dem Gorkischen Roman beruhte, aber die Besonderheiten der deutschen Verhältnisse und Kämpfe, ein Vierteljahrhundert nach der Entstehung des Buches, weitgehend berücksichtigte. Jede Szene wurde auf ihre Wirksamkeit im politischen Tageskampf überprüft. In einigen Details mußte aus diesem Grunde das Gorkische Vorbild verändert werden. Brecht nahm in sein Stück den Kampf gegen den Revisionismus in der Arbeiterbewegung auf .. Die Agitation auf dem Lande ließ Brecht in deutschem Milieu spielen. Schließlich konnte er die Handlung bis zur Oktoberrevolution weiterführen. Brecht schrieb eine Szene, in der die Mutter gegen den imperialistischen Raubkrieg kämpft, indem sie an einer "Vaterländischen Kupfersammelstelle" unter opferbereiten Frauen verschiedener Schichten agitiert, eine der schönsten Szenen des Stückes. Der Wlassowa gelingt es zunäChst mit List, einige Frauen. von dem Metallopfer abzubringen. Als ihre Agitation durchschaut war, spricht die Bolschewikin offen zu ihren Feinden: "Ja. ich bin eine Bolschewikin.Aber ihr seid Mörderinnen, wie ihr da stehtl Kein Tier würde sein Junges hergeben. so wie ihr das eure: ohne Sinn und Verstand. für eine schlechte Sache. Euch gehört der Schoß ausgerissen. Er soll verdorren. und ihr sollt unfruchtbar werden. wie i!Ir da steht. Eure Söhne brauchen nicht wiederzukommen. Zu solchen Mattern? Schießend für eine schlechte Sache. sollen sie erschossen werden für eine schlechte Sache. Aber ihr seid die Mörderinnen ." Brechts ••Mutter" schließt mit dem festen Bewußtsein, daß die Kräfte des revolutionären Proletariats, zum Kampf vereint, siegen werden: Wer noch lebt, sage nicht: niemals! Das Sichere ist nicht sicher So, wie es ist, bleibt es nicht. Wenn die Herrschenden gesprochen haben Werden die Beherrschten sprechen. Wer wagt zu sag!;!!: niemals? An wem liegt es, wenn die Untcr,l:trückungbleibt? An uns; An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns. Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich! Wer verloren ist, kämpfe! Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein? Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen Und aus niemals wird: heute noch. Dieses Stück (das in diesem Buch bei der Darstellung von Brechts Arbeit an der Inszenierung im Jahre 1951 behandelt wird) war Höhepunkt der Bemühungen um ein sozialistischrevolutionäres Theater. Mit dem Stück fand Brecht auch in seinen praktischen schriftstellerischen Arbeiten den in der Theorie schon vorher vollzogenen Anschluß an die revolutionäre Arbeiterklasse. Diese Entwicklung wird deutlich, wenn man rückblickend solche Stücke wie "Mann ist Mann", "Die Dreigroschenoper", auch "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" betrachtet. Mit der "Mutter" waren aber auch die Lehrstückversuche zu einer neuen Qualität umgeschlagen. In der "Maßnahme" traten noch abstrakte Personen als Agitatoren auf: die Mutter war die erste große proletarische Frauenfigur, die Brecht für das Theater geschaffen hat, mit einer Fülle von individuellen Zügen. Den Weg von den Lehrstücken zur Darstellung des "Lebens der Revolutionärin Pelagea Wlassowa aus Twer", wie der Untertitel lautete, war Brecht mit Anregungen aus der Arbeiterklasse, dem neuen Publikum, gegangen. Nach Aufführungen des Lehrstücks "Die Maßnahme" hatte er Diskussionen beigewohnt, teilweise waren Zettel verteilt worden mit der Frage: "Hat die Aufführung der ,Maßnahme' einen politischen Lehrwert für die Zuschauer und die Aufführenden?" Die geäußerten Meinungen und die Zusammenarbeit mit den Sportlern bei "Kuhle Wampe" hatten ihn zu neuen Darstellungsformen angeregt. Die Aufführung von 1932 war eine große Demonstration das Proletariat. Brecht schrieb darüber: für ••Die Aufführung der .Mutter' wurde von großen proletarischen '.Organisationen herausgebracht. Sie verfolgten den Zweck. ihre Zuschauer gewisse Formen des pontischen Kampfes zu lehren, Sie wandten sich hauptsächlich an Frauen. Etwa 150000 Berliner Arbeiter&lluen wohnten der Aufführung des Stückes bei. das Methoden des illegalen revolutionären Kampfes demonstriert. ce Bei der Uraufführung spielte Helene Weigel die Titelrolle. In den übrigen Rollen spielten unter anderem Ernst Busch (Pawel), Theo Lingen, Gerhard Bienert, Caspar Neher hatte mit wenigen Dekorationsteilen charakteristische Szenenbilder ge-. schaffen, leicht montierbar auf anderen Bühnen. Die Musik hatte Hanns Eisler geschrieben. Auch diese Aufführung versetzte die reaktionären Kräfte in Panik. Die bürgerliche Presse entfachte eine wilde Hetze gegen das Stück, um ein Verbot durch das Polizeipräsidium zu erreichen. Die Polizei hatte Brecht schon lange "beschattet". In einem geheimen Bericht wurde festgestellt, daß "Die Mutter" "als kommunistisches Propagandastück für die legale und illegale Vorbereitung eines bewaffneten Aufstandes gewertet werden muß". Man ging mit "legalen" Mitteln gegen das Stück vor. Als im Moabiter Gesellschaftshaus eine Aufführung stattfinden sollte, zog die Polizei 24 Stunden vorher die Erlaii"bnis aus "baulichen Sicherheiesgründen" zurück; außerdem, hieß es in dem Schreiben, liege "kein Bedürfnis für die Aufführung" vor. Die Schauspieler spielten trotzdem, ohne Kostüme und Kulissen, schließlich, als auch das Aufziehen des Vorhanges verboten wurde, auf Stühlen sitzend, unter dem Beifall der zuschauenden Arbeiter. Der Terror wurde bereits offen durchgeführt. Brecht, einst Opponent gegen das Bürgertum, war zum Revolutionär geworden, der vom Standpunkt des Proletariats sch,rleb. Für einen solchen Schriftsteller war kein Platz mehr im faschistischen Deutschland.