Kommt nach dem MP3Player das Hörgerät?

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::Prävention
Kommt nach dem MP3-Player das Hörgerät?
Von Markus Fischer und Sabine Knauer-Fischer
Keywords: Schwerhörigkeit – Lärmexposition – Freizeitlärm – Gehörschutz –
Jugendalter
In den letzten Jahren konnte anhand von epidemiologischen Studien eine Zunahme von Jugendlichen mit messbaren irreversiblen Innenohrschäden beobachtet
werden. Ursache hierfür scheint besonders die verstärkte Lärmexposition durch
lautes Musikhören mit Kopfhörern zu sein, wobei Dauer und Lautstärke eine
große Rolle spielen. Eine Schädigung der Haarzellen des Innenohres kann frühzeitig durch moderne audiologische Verfahren (CEOAE und DPOAE) diagnos­
tiziert werden. Um irreversible Schäden am Innenohr zu vermeiden, sind die
Aufklärung der Jugendlichen und der Appell, seltener und weniger laut Musik
zu hören sowie bei Lärmexposition (z. B. in Diskotheken, bei Konzerten) einen
geeigneten Gehörschutz zu tragen, von großer Bedeutung. Eine EU-Norm zur
Begrenzung der Lautstärke tragbarer M
­ usik­geräte (zumeist MP3-Player) existiert bereits. Eine gesetzliche Regelung allerdings fehlt bisher.
Seit 15 Jahren treten Folgen des sogenannten Freizeitlärms immer mehr ins Bewusstsein. Neben verschiedenen endogenen Ursachen für Schwerhörigkeiten im Jugendalter
gewinnt eine exogene Ursache zunehmend
an Bedeutung. Immer häufiger gehört das
Tragen sogenannter In-Ears, aber auch von
normalen Kopfhörern (Schalen-Kopfhörer)
zum Musikhören mittels MP3-Player bei
Kindern und Jugendlichen zur täglichen Gewohnheit (Abb. 1a und b). Aber auch Freizeitlärm beim Besuch von Diskotheken und
sportlichen Aktivitäten muss hier Beachtung
finden. Deren Einfluss auf das Entstehen
von Schwerhörigkeit ist zwar teilweise noch
umstritten, aber zumindest besteht hier ein
nicht zu vernachlässigendes Gefährdungspotenzial.
Aus dieser Sorge heraus entstanden einige Studien, die sich mit dieser Thematik beschäftigen.
Physiologische und audiologische
Grundlagen
Lärm schädigt insbesondere die äußeren
Haarzellen des Innenohres. Diesen kommt
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Abb. 1a: In-Ear-Kopfhörer
sind weit verbreitet
ATOSnews
eine besondere Funktion bei der aktiven
Wanderwellenbewegung zu. Infolge dieser Schädigung verschlechtert sich die Frequenzdiskrimination des Innenohres.
Die Schädigung der Haarzellen durch
Lärm lässt sich typischerweise im Tonschwellenaudiogramm im Bereich von 4 kHz
nachweisen. Der resultierende Schwellenabfall wird als C5-Senke bezeichnet.
Heute ist es möglich, durch moderne audiologische Diagnostik (TEOAE und DPOAE)
frühzeitig Schäden der Haarzellen zu detektieren. Ein Abfall der Amplituden der sogenannten otoakustischen Emissionen (OAE)
zeigt bereits eine Schädigung der Haarzellen
an, bevor ein pathologischer Befund im Tonschwellenaudiogramm nachweisbar ist.
Das Ohr nimmt Töne unterschiedlicher
Frequenz verschieden intensiv wahr. Dieser
Besonderheit wird bei der Messung durch
die Anwendung elektronischer Filter Rechnung getragen. Es kommt zumeist ein Filter
mit der A-Bewertung zum Einsatz. Aus diesem Grund werden in diesem Zusammenhang die Messwerte mit dB(A) angegeben.
Bei 90dB(A) ist eine Schädigung des Gehörs wahrscheinlich. Auch bei Werten zwischen 85dB(A) und 89dB(A) ist diese bei längerer Einwirkzeit möglich. Die individuelle
Empfindlichkeit gegenüber Lärm variiert. Es
gibt Menschen, welche ein sogenanntes vulnerables Innenohr haben und schneller Gehörschäden erleiden als andere. Dies lässt
sich jedoch nicht vorhersagen. Da es sich
bei der Einheit dB(A) um ein logarithmisches
Maß handelt, entspricht eine Erhöhung des
dB(A)-Wertes um 3dB(A) einer Verdopplung
der Lautstärke und damit des Risikos einer
Innenohrschädigung.
Die Dauer der Lärmexposition und der
Schallpegel sind bestimmend für das Risiko der Schädigung. Basierend auf den arbeitsmedizinischen Untersuchungen wurden
Grenzwerte erarbeitet, ab denen mit einer
Gefährdung gerechnet werden muss und ein
Gehörschutz getragen werden sollte. Legt
man einen 8-stündigen Arbeitstag zu Grunde, so muss ab einem Wert von 80dB(A) mit
einer Schädigung gerechnet werden. Hierbei
ist zu beachten, dass aufgrund der logarithmischen Einheit bei einer Erhöhung um nur
3dB die Einwirkdauer halbiert werden muss,
um das Ohr der gleichen Menge Schallenergie auszusetzen.
Im Bereich der Unfallverhütungsvorschrift
„Lärm“ werden Beurteilungspegel über 90 dB(A)
als Lärmbereiche ausgewiesen. Ab 85dB(A)
muss persönlicher Schallschutz zur Verfügung
gestellt werden. Beispiele für durchschnittliche
Lärmpegel unterschiedlicher Lärmquellen zeigt
Tabelle 1.
Aktuelle Daten zur Lärmexposition
Jugendlicher
18- und 19-jährige gaben an, im Mittel 6,2
Stunden/Woche eine Disco zu besuchen und
11,4 Stunden/Woche laute Musik zu hören.
Der durchschnittliche Lärmpegel in Discotheken wurde mit 102,3 dB(A) bestimmt.
Durchschnittliche Lärmpegel
dB(A)
Flugzeugstart
140
Kettensäge
110
LKW
80
Staubsauger
70
Flüstern
30
Tabelle 1: Mittlere Lärmpegel
Abb. 1b: Lauter Musikgenuß via SchalenKopfhörer gehört für viele Jugendliche zum
Alltag, schädigt aber das Innenohr
Bei Nutzung von MP3-Playern o. ä. von mehr
als 5 Stunden mit über 89dB(A) pro Woche
werden die für den Arbeitsplatz geltenden
Grenzwerte überschritten und nach 5 Jahren
besteht das Risiko einer dauerhaften Hörschädigung. In Europa zeigen etwa 2,5–10
Millionen Nutzer ein solches Konsumverhalten.
Beim Musikhören mittels Kopfhörer lag
der Schallpegel um 6 dB höher als beim Hören der Musik via Lautsprecher. Der mittlere
Pegel lag beim Musikhören, falls diese nicht
als Hintergrundmusik gewählt wurde, bei ca.
83dB(A). Diese Pegel führen zu keiner Hörschädigung. Allerdings gaben 10% der Jugendlichen an, 100dB(A) und mehr als bevorzugte Lautstärke einzustellen. 10% der
Jugendlichen hören pro Tag 3 Stunden Musik
oder mehr. Es fand sich eine interessante Abhängigkeit des gewählten Schalldruckpegels
mit dem von den Jugendlichen besuchten
Schultyp. Gymnasiasten wählen einen deutlich niedrigeren Schalldruckpegel als Hauptschüler.
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::Prävention
In Diskotheken werden Schallpegel von bis
zu 100dB(A) gemessen. Bereits bei einer wöchentlichen Expositionsdauer von 1,25 Stunden ist hier eine Innenohrschädigung möglich.
Besonders fatal wird die Exposition mit
Freizeitlärm bei gleichzeitiger Ausübung einer Lärmarbeit. Hier wird die geforderte
werktägliche 10-stündige Gehörerholungszeit mit Pegeln unter 70dB(A) nicht mehr
eingehalten.
Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass
digitale Musikgeräte mit In-Ears bereits nach
einmaligem Gebrauch von 4 Stunden zu einer temporären Verschlechterung der Hörschwelle führen können.
Der Hörverlust nach der Exposition gegenüber Freizeitlärm kann in Form eines temporären oder permanenten Hörverlusts (TTS
temporary threshold shift/ PTS permanent
threshold shift) auftreten. Bei einer 30-minütigen Exposition gegenüber 100dB(A)
muss im Mittel mit einem temporären Hörverlust von 14dB gerechnet werden.
Mehr als 2/3 der Diskothekenbesucher
klagen über einen temporären Tinnitus.
Diese Daten belegen das Risiko einer
bleibenden Schädigung des Hörvermögens
durch Freizeitlärm. Hauptfaktor ist hier die
Zunahme der Nutzung tragbarer Musikgeräte, meist in Kombination mit Kopfhörern.
Daneben besteht eine erhebliche Lärmbelastung beim Besuch von Diskotheken und
Rockkonzerten. Aber selbst Kinderspielzeug
kann erhebliche Lärmpegel erreichen.
Bisherige Studien konnten zwar keine signifikante Zunahme von Innenohrschäden durch
Freizeitlärm unter Jugendlichen nachweisen.
Dies ist jedoch kein Grund zur Entwarnung,
da die Studien sehr heterogen sind und methodische Schwächen aufweisen. Ein weiterer Punkt ist die oft fehlende Vergleichbarkeit des Studiendesigns. Ferner sind die
Folgen des Freizeitlärms sehr wahrscheinlich
erst später nachweisbar. Prospektive Studien, die hier mehr Klarheit schaffen sollen,
wurden bereits initiiert (ohrkan).
Take home message
Die Gefahr einer irreversiblen Schädigung des Innenohres durch den in der
heutigen Zeit zunehmenden Freizeitlärm
ist groß. Hauptlärmquelle sind hierbei
tragbare elektronische Musikgeräte mit
Kopfhörern, aber auch der Besuch von
Diskotheken und Konzerten. Effektive
Möglichkeiten der Prophylaxe von
Innenohrschäden
Maßnahmen zur Lärmexposition exi-
Es existiert eine DIN-Norm, welche den
Schutz von Publikum vor Lärm regelt (DIN
15905-5). Diese wurde kürzlich überarbeitet. Die Lärmexposition innerhalb eines bestimmten Beurteilungszeitraumes (30 bzw.
120 Minuten) darf nicht mehr als 99 dB(A)
betragen.
Auch eine EU-Norm, welche den Herstellern vorschreibt, ihre MP3-Player bzw. die
entsprechenden Kopfhörer auf 100dB zu begrenzen, gibt es bereits. Allerdings hat diese
Norm keinen Gesetzescharakter in Deutschland. Dennoch halten sich erfreulicherweise
die meisten Produzenten an diese Norm, die
in Frankreich bereits in einem Gesetzt umgesetzt wurde.
Technische Maßnahmen zur Begrenzung
der Lärmexposition beim Hören mit MP3Playern sind erforderlich, zusätzlich ist aber
selbst akzeptiert und angewandt wer-
stieren, müssen aber vom Jugendlichen
den. Aufklärung der Jugendlichen und,
wo möglich, gesetzliche Vorgaben zur
Verringerung der Lärmexposition sind
erforderlich.
auch die Kontrolle des eigenen Hörverhaltens von großer Bedeutung.
Die Möglichkeit einer Hörschädigung
durch das Hören mit sogenannten MP3-Playern ist Eltern mit höherer Schulbildung bewusst. Hier ist ein Einwirken auf die Hörgewohnheiten der Kinder häufig.
In der heutigen Zeit werden sehr häufig
Umweltfaktoren und negative Auswirkungen
Abb 2:
Gehörschutz für Situationen
mit Lärmexposition:
a) Gehörschutz mit Filter;
b) Gehörschutz in situ.
a
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b
ATOSnews
des Verhaltens Dritter als Ursache für Erkrankungen und körperliche Schäden angeprangert. Zunehmende Reglementierungen zur
Vermeidung dieser Schädigungen werden
oft vehement gefordert. Daneben existieren
jedoch durchaus auch Möglichkeiten, sich
durch individuelle selbstbestimmte Maßnahmen gegen auf das Gehör schädigend einwirkende Faktoren zu schützen.
Ganz entscheidende Bedeutung kommt
der Prophylaxe der Hörschäden zu. Zunächst
ist hierbei der Jugendliche selbst gefragt. Ein
selbstverantwortlicher Umgang mit Lärm
sowie die Begrenzung der Lautstärke und
der Dauer der Exposition sind hier die wichtigsten Faktoren. Daneben sind technische
Begrenzungen im Bereich der MP3-Player
schon teilweise realisiert.
Weiterhin ist das Tragen von Gehörschutz
bei z. B. Rockkonzerten und in Discos etc.
dringend zu empfehlen. Hier existieren verschieden Typen. Einfacher Verschluss des
Gehörgangs z. B. durch Kunststoffstöpsel
ist effektiv (Abb. 2a und b). Sinnvoller und
oft angenehmer sind professionelle Gehörschutzmaßnahmen mit individuell angepassten Ohrpassstücken und verschiedenen
Filtersystemen, so dass der Musikgenuss damit nicht wesentlich leidet. Solcher Gehörschutz ist bei Hörgeräteakustikern erhältlich
und auch erschwinglich.
Eine chronische Lärmschädigung der
Haarzellen des Innenohres ist irreversibel.
Auch wenn es heute viele Möglichkeiten der
Rehabilitation schwerhöriger Menschen gibt,
werden zu Recht die erforderlichen Hilfsmittel (Hörgeräte, implantierbare Hörsysteme
bis hin zum Cochlea Implantat) von den meisten Menschen als unbefriedigender Ersatz
bzw. als eine Krücke für ein nicht mehr gut
funktionierendes Sinnesorgan angesehen.
Daher sollte der Zeitpunkt des physiologischen Eintritts der Innenohrschwerhörigkeit nicht durch Leichtsinnigkeit im Jugendalter unnötig nach vorne verlegt werden.
Konsequenz wäre die Notwendigkeit einer
Hörgeräteversorgung zu einem deutlich früheren Zeitpunkt als bei Altersschwerhörig-
keit sonst im Durchschnitt üblich. Durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen kann mit
großer Wahrscheinlichkeit der Zeitpunkt des
Eintritts einer Schwerhörigkeit hinausgeschoben werden. Trotz aller positiver technischer Innovationen liefert das gesunde eigene Ohr noch immer das bei Weitem beste
Hören und ist frei von eventuellen Stigmata.
Prof. Dr. Markus Fischer
Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Plastische Operationen
Spezielle Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie
Audiologe und Neurootologe (BV HNO)
Stimm- und Sprachstörungen
[email protected]
Dr. Sabine Knauer-Fischer
Praxis für Kinder-Endokrinologie und
-Diabetologie
[email protected]
ATOS Klinik Heidelberg
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