STOFFWECHSEL Die Schilddrüse ist klein, aber im Stof fwechsel spielt sie eine grosse Rolle: Funktionier t sie nicht richtig, reichen die Symptome von Herzrasen bei Über funktion bis zu grosser Müdigkeit bei Unter funktion. I L L U S T R AT I O N : P E T E R WA N N E R Allerlei im Schilde 26 von Therese Schwender* ie ein Schmetterling liegt sie unterhalb des Kehlkopfs unmittelbar auf und neben der Luftröhre: die Schilddrüse (Thyreoidea). Eine normale Schilddrüse ist von aussen in der Regel nicht zu erkennen. Das kleine Organ wiegt bei einer Frau ungefähr 18 Gramm, beim Mann etwa 25 Gramm. Mikroskopisch betrachtet besteht die Schilddrüse aus vielen spezialisierten Zellen. Diese lagern sich aneinander und bilden viele kleine Bläschen, die so genannten Follikel. Im Innern der Follikel werden die Hormone der Schilddrüse bis zur Abgabe ins Blut zwischengelagert. Zwischen den Follikeln liegen zudem spezielle C-Zellen, welche ein weiteres Hormon freisetzen. Hinter der Schilddrüse liegen die Nebenschilddrüsen. In der Regel sind es vier Stück, die etwa so gross sind wie ein Pfefferkorn. In ihnen wird das Parathormon gebildet, das für die Regulation des Kalziumspiegels im Blut verantwortlich ist. diesen Vorstufen werden schliesslich zwei verschiedene Formen des Schilddrüsenhormons gebildet, das Tetrajodthyronin (T4) und das Trijodthyronin (T3). Die beiden Formen unterscheiden sich lediglich in ihrem Jodgehalt: T4 trägt vier Jodatome und T3, das biologisch aktive Hormon, drei. Die Abgabe der Schilddrüsenhormone ans Blut wird von einem Teil des Zwischenhirns, dem Hypothalamus, und von der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) gesteuert. Ist der Gehalt im Blut zu tief, so stimuliert der Hypothalamus über einen Botenstoff die Hirnanhangsdrüse. Diese setzt daraufhin einen weiteren Botenstoff frei (das «thyreoideastimulierende Hormon», kurz TSH), der die Schilddrüse zur Abgabe ihrer Hormone anregt und damit den Gehalt im Blut zum Ansteigen bringt. Ist der Hormonspiegel im Blut hoch genug, drosselt die Hirnanhangsdrüse ihre Botenstoffsekretion wieder. Ein unzertrennliches Paar Erkrankungen aufspüren Die von der Schilddrüse produzierten Hormone wirken in allen Organen und Zellen und sind an nahezu allen biologischen Prozessen beteiligt: an der Empfängnis, an der Entwicklung des Kindes im Mutterleib, an der Pubertät und den Wechseljahren. Zudem beeinflussen die Hormone unter anderem die Entwicklung und Leistung des Gehirns, die Herztätigkeit, den Kreislauf, die Darmtätigkeit und das Wachstum. Ein wichtiger Bestandteil der Schilddrüsenhormone ist das Spurenelement Jod. Jod muss dem Körper über die Nahrung zugeführt werden, da er selbst nicht in der Lage ist, es herzustellen. In der Schilddrüse wird Jod in unterschiedlichen Mengen zuerst an Aminosäuren – das sind die Bausteine der Eiweisse – gekoppelt. Aus Die Schilddrüse kann von verschiedenen Erkrankungen betroffen sein. Einerseits kann sie vergrössert sein (Kropf oder auch Struma genannt), andererseits kann sie aber auch zu viel oder zu wenig Hormone ans Blut abgeben (Über- oder Unterfunktion, Hyper- oder Hypothyreose genannt). Daneben treten auch Entzündungen oder Schilddrüsenkrebs auf. Etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung leidet an einer behandlungsbedürftigen Überfunktion und etwa 5 Prozent an einer Unterfunktion. Störungen der Schilddrüsenfunktion kommen bei Frauen etwa drei- bis fünfmal häufiger vor als bei Männern. Die Diagnose einer Schilddrüsenerkrankung basiert auf mehreren Untersuchungsmethoden. Standardmässig W 27 an erster Stelle steht das Patientengespräch, damit sich die Ärztin oder der Arzt ein Bild von der Art der Symptome und der Dauer der Beschwerden machen kann. Bei der anschliessenden körperlichen Untersuchung wird der Hals inspiziert und die Schilddrüse abgetastet, so ergibt sich ein Eindruck über Grösse, Konsistenz und allenfalls Schmerzhaftigkeit der Drüse. Durch eine Ultraschalluntersuchung lässt sich gegebenenfalls Grösse und Volumen der Schilddrüse noch genauer bestimmen und allenfalls vorhandene Knoten oder Zysten lokalisieren. Die Bestimmung der Blutspiegel der Hormone T3, T4 und der übergeordneten Botenstoffe dient dazu, den Zustand der Schilddrüsenfunktion genauer zu erfassen. Eine bei speziellen Fragestellungen angewandte Zusatzuntersuchung ist die Schilddrüsenszintigrafie. Diese Methode ermöglicht es, sich neben der Lage, Grösse und Form der Schilddrüse auch ein Bild von ihrer Funktion zu machen. So lassen sich beispielsweise Regionen mit erhöhter oder erniedrigter Aktivität erkennen. Mit Hilfe der Feinnadelpunktion schliesslich können bei begründetem Verdacht auf einen Tumor Zellen aus dem Innern der Schilddrüse gewonnen und mikroskopisch untersucht werden. Kropf: übermässiges Wachstum Wird dem Körper zu wenig Jod zugeführt, versucht er diesen Mangel mit einer Vergrösserung der Schilddrüse wettzumachen. Es entsteht ein Kropf. Dabei vergrössert sich die Schilddrüse anfangs häufig gleichmässig, sodass von aussen lange Zeit nichts zu sehen ist. Dann können sich aber einzelne Knoten bilden. Wächst der Kropf weiter, so kommt es mit der Zeit zur Beeinflussung der umliegenden Organe. STOFFWECHSEL Es treten Symptome wie ein Engegefühl im Hals, Schluckbeschwerden, eine Abneigung gegen enge Kragen oder Krawatten oder Atemnot bei Anstrengung auf. Die Behandlung eines Kropfs hängt davon ab, wie viel Probleme er verursacht und ob zusätzlich auch noch die Funktion der Schilddrüse gestört ist. Manchmal ist gar keine Behandlung nötig. Bei störender Grösse und bei Verdacht auf Krebs ist eine Operation angezeigt, bei der der Kropf ganz oder teilweise entfernt wird. Im Anschluss an die Operation ist es häufig nötig, Schilddrüsenhormone einzunehmen, um einen Hormonmangel auszugleichen oder eine erneute Vergrösserung des Organs zu verhindern. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war der Kropf auch in der Schweiz häufig anzutreffen, da die Böden und damit die Nahrungsmittel in unserem Land wenig Jod enthielten. Durch die Zugabe von Jod zum Speisesalz ist in der Schweiz der Jodmangel als Ursache für die Entstehung eines Kropfes jedoch nahezu eliminiert worden (siehe Kasten Seite 29). Überfunktion: zuviel des Guten Auch wenn sich ein Kropf gebildet hat, kann die Hormonproduktion der Schilddrüse weiterhin normal sein. Es kommt jedoch vor, dass sich einzelne Gruppen von Schilddrüsenzellen in einem Kropf nicht mehr an die normalen Regelkreise halten, sie werden «autonom» und formieren sich in einem oder mehreren Knoten innerhalb der Schilddrüse. Dadurch kommt es neben der reinen Vergrösserung der Schilddrüse auch zu einer Überproduktion an Hormonen. Eine Überfunktion der Schilddrüse kann zu vielen Symptomen führen. Zu den häufigsten gehören: Gewichtsverlust trotz vermehrtem Appetit (bei älteren Menschen eher Appetitlosigkeit), Herzjagen, Herzrhythmusstörungen, feuchte, warme Hände, Hitzegefühl, Schlafstörungen, Nervosität, Reizbarkeit, Durchfall und Überaktivität. Treten die Symptome bei Frauen im mittleren Alter auf, so werden die Beschwerden häufig fälschlicherweise den Wechseljahren zugeschrieben. Die Symptome einer Überfunktion lassen sich mit Medikamenten, welche die Schilddrüsenhormonproduktion hemmen, meistens beherrschen. Bei mehreren autonomen Knoten und grösseren Kröpfen ist die chirurgische Behandlung meist die Therapie der Wahl. 28 Neben einer Autonomie ist der Morbus Basedow die häufigste Ursache für eine Überfunktion der Schilddrüse. Die Ursache dieser Autoimmunerkrankung liegt in der Bildung von Autoantikörpern, die sich wie der von der Hirnanhangsdrüse produzierte Botenstoff verhalten und die Hormonproduktion der Schilddrüse dadurch ankurbeln. Was genau den Körper dazu bringt, die Autoantikörper zu bilden, ist nicht bekannt. Die Vererbung scheint jedoch eine Rolle zu spielen. Eine Überfunktion aufgrund eines Morbus Basedow äussert sich mit den gleichen Symptomen wie eine Überfunktion durch Autonomie. Allerdings lassen sich hier bei etwa 80 Prozent der PatientInnen die Autoantikörper im Blut nachweisen. Bei etwa 30 bis 60 Prozent der PatientInnen mit Basedow kommt es neben den Symptomen der Überfunktion zusätzlich zu Veränderungen am Gewebe der Augenhöhlen. Dies führt dazu, dass die Augäpfel verstärkt hervortreten, die Lider anschwellen, die Bindehaut gereizt ist und die Betroffenen Doppelbilder sehen. Auch bei dieser Form der Überfunktion können zur Behandlung Medikamente eingesetzt werden, die die Hormonproduktion hemmen. Sofern die Entzündung nicht von selber abheilt, was in etwa der Hälfte der Fälle vorkommt, bedarf es für eine Heilung einer Operation. Unterfunktion: ohne Antrieb Das Gegenteil der Überfunktion, die Unterfunktion der Schilddrüse, entwickelt sich meist schleichend, sodass die Betroffenen lange Zeit keine Symptome spüren. Erst bei einer stärkeren Unterfunktion klagen sie über Müdigkeit, Störungen der Konzentration, ein vermehrtes Bedürfnis nach Schlaf, Empfindlichkeit gegenüber Kälte sowie Verstopfung. Im Gewebe lagert sich vermehrt Flüssigkeit ein, die Haut ist teigig, trocken, kühl und blass. Die Stimme ist rau und heiser, und es fällt den Betroffenen manchmal schwer, deutlich zu sprechen. Bei älteren PatientInnen zeigt sich eine Unterfunktion der Schilddrüse oft 29 ILLUSTRATION: PETER WANNER Morbus Basedow nur durch Schwäche und Kraftlosigkeit, Kälteempfindlichkeit und Verstopfung. Diese Symptome werden dann häufig als «normale» Alterserscheinungen angesehen, wodurch eine Schilddrüsenunterfunktion gerade bei älteren Menschen oft übersehen wird. Eine Unterfunktion der Schilddrüse kann bereits angeboren sein. Wird diese nicht frühzeitig in der Schwangerschaft oder nach der Geburt entdeckt, so ist sowohl die körperliche wie auch die geistige Entwicklung des Kindes beeinträchtigt. Deshalb werden Neugeborene routinemässig auf eine Schilddrüsenunterfunktion hin untersucht. Daneben kann es auch nach einer Operation zu einer Unterfunktion kommen. Die häufigste «natürliche» Ursache der Unterfunktion ist die Hashimoto-Thyreoiditis, eine chronische Entzündung der Schilddrüse. Es handelt sich dabei um eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem des Körpers bildet in solchen Fällen Abwehrstoffe (Antikörper) gegen körpereigene Strukturen, hier gegen die Schilddrüsenzellen. Die Behandlung der Unterfunktion geschieht, indem die fehlenden körpereigenen Hormone durch Präparate mit künstlich hergestellten Hormonen ersetzt werden. *Therese Schwender ist ausgebildete Tierärztin und arbeitet heute als Medizinjournalistin. Sie lebt in Hünenberg (ZG). Die Sache mit dem Salz • Bereits vor etwa 4000 Jahren tauchten in Bildern Menschen mit einem Kropf auf, so zum Beispiel in alten ägyptischen Wandreliefs. • Im Mittelalter hat der grosse Künstler Leonardo da Vinci die Anatomie der Schilddrüse zeichnerisch dargestellt. • 1656 gab ihr der Londoner Arzt Thomas Wharton den wissenschaftlichen Namen «Glandula thyreoidea». • Felix Platter, Professor und Stadtarzt in Basel, beschrieb Anfang des 16. Jahrhunderts die Auswirkungen einer Über- und Unterfunktion der Schilddrüse. • Kropfoperationen gab es ebenfalls bereits im 16. und 17. Jahrhundert. Allerdings beschrieb erst 1834 der deutsche Chirurg Conrad Johann Martin Langenbeck die Operation detailliert mit allen anatomischen und chirurgischen Einzelheiten. • Dass durch die Einnahme von genügend Jod die Entstehung eines Kropfs verhindert werden kann, hat der französische Chemiker Jean-Baptiste Boussingault bereits 1825 erkannt. • Als erste politische Instanz der Welt beschloss aber nicht die französische Regierung am 20. Februar 1922 die Einführung des jodierten Kochsalzes, sondern die Regierung des Kantons Appenzell Ausserrhoden. 1952 folgten mit Aargau und Baselland auch die letzten Schweizer Kantone dem Beispiel.