Allerlei im Schilde

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STOFFWECHSEL
Die Schilddrüse ist klein, aber im Stof fwechsel spielt sie eine grosse Rolle:
Funktionier t sie nicht richtig, reichen
die Symptome von Herzrasen bei
Über funktion bis zu grosser
Müdigkeit bei Unter funktion.
I L L U S T R AT I O N : P E T E R WA N N E R
Allerlei
im Schilde
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von Therese Schwender*
ie ein Schmetterling liegt
sie unterhalb des Kehlkopfs unmittelbar auf und neben der
Luftröhre: die Schilddrüse (Thyreoidea). Eine normale Schilddrüse ist
von aussen in der Regel nicht zu erkennen. Das kleine Organ wiegt bei einer Frau ungefähr 18 Gramm, beim
Mann etwa 25 Gramm. Mikroskopisch
betrachtet besteht die Schilddrüse aus
vielen spezialisierten Zellen. Diese lagern sich aneinander und bilden viele
kleine Bläschen, die so genannten Follikel. Im Innern der Follikel werden
die Hormone der Schilddrüse bis zur
Abgabe ins Blut zwischengelagert. Zwischen den Follikeln liegen zudem spezielle C-Zellen, welche ein weiteres
Hormon freisetzen. Hinter der Schilddrüse liegen die Nebenschilddrüsen.
In der Regel sind es vier Stück, die etwa
so gross sind wie ein Pfefferkorn. In ihnen wird das Parathormon gebildet,
das für die Regulation des Kalziumspiegels im Blut verantwortlich ist.
diesen Vorstufen werden schliesslich
zwei verschiedene Formen des Schilddrüsenhormons gebildet, das Tetrajodthyronin (T4) und das Trijodthyronin (T3). Die beiden Formen
unterscheiden sich lediglich in ihrem
Jodgehalt: T4 trägt vier Jodatome und
T3, das biologisch aktive Hormon,
drei.
Die Abgabe der Schilddrüsenhormone
ans Blut wird von einem Teil des Zwischenhirns, dem Hypothalamus, und
von der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) gesteuert. Ist der Gehalt im Blut
zu tief, so stimuliert der Hypothalamus über einen Botenstoff die Hirnanhangsdrüse. Diese setzt daraufhin
einen weiteren Botenstoff frei (das
«thyreoideastimulierende Hormon»,
kurz TSH), der die Schilddrüse zur Abgabe ihrer Hormone anregt und damit
den Gehalt im Blut zum Ansteigen
bringt. Ist der Hormonspiegel im Blut
hoch genug, drosselt die Hirnanhangsdrüse ihre Botenstoffsekretion wieder.
Ein unzertrennliches Paar
Erkrankungen aufspüren
Die von der Schilddrüse produzierten
Hormone wirken in allen Organen
und Zellen und sind an nahezu allen
biologischen Prozessen beteiligt: an
der Empfängnis, an der Entwicklung
des Kindes im Mutterleib, an der Pubertät und den Wechseljahren. Zudem
beeinflussen die Hormone unter anderem die Entwicklung und Leistung des
Gehirns, die Herztätigkeit, den Kreislauf, die Darmtätigkeit und das Wachstum. Ein wichtiger Bestandteil der
Schilddrüsenhormone ist das Spurenelement Jod. Jod muss dem Körper
über die Nahrung zugeführt werden,
da er selbst nicht in der Lage ist, es herzustellen. In der Schilddrüse wird Jod
in unterschiedlichen Mengen zuerst
an Aminosäuren – das sind die Bausteine der Eiweisse – gekoppelt. Aus
Die Schilddrüse kann von verschiedenen Erkrankungen betroffen sein. Einerseits kann sie vergrössert sein
(Kropf oder auch Struma genannt), andererseits kann sie aber auch zu viel
oder zu wenig Hormone ans Blut abgeben (Über- oder Unterfunktion, Hyper- oder Hypothyreose genannt). Daneben treten auch Entzündungen oder
Schilddrüsenkrebs auf.
Etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung leidet an einer behandlungsbedürftigen
Überfunktion und etwa 5 Prozent an
einer Unterfunktion. Störungen der
Schilddrüsenfunktion kommen bei
Frauen etwa drei- bis fünfmal häufiger
vor als bei Männern.
Die Diagnose einer Schilddrüsenerkrankung basiert auf mehreren Untersuchungsmethoden. Standardmässig
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an erster Stelle steht das Patientengespräch, damit sich die Ärztin oder der
Arzt ein Bild von der Art der Symptome und der Dauer der Beschwerden
machen kann. Bei der anschliessenden
körperlichen Untersuchung wird der
Hals inspiziert und die Schilddrüse abgetastet, so ergibt sich ein Eindruck
über Grösse, Konsistenz und allenfalls
Schmerzhaftigkeit der Drüse. Durch
eine Ultraschalluntersuchung lässt
sich gegebenenfalls Grösse und Volumen der Schilddrüse noch genauer bestimmen und allenfalls vorhandene
Knoten oder Zysten lokalisieren. Die
Bestimmung der Blutspiegel der Hormone T3, T4 und der übergeordneten
Botenstoffe dient dazu, den Zustand
der Schilddrüsenfunktion genauer zu
erfassen.
Eine bei speziellen Fragestellungen angewandte Zusatzuntersuchung ist die
Schilddrüsenszintigrafie. Diese Methode ermöglicht es, sich neben der
Lage, Grösse und Form der Schilddrüse
auch ein Bild von ihrer Funktion zu
machen. So lassen sich beispielsweise
Regionen mit erhöhter oder erniedrigter Aktivität erkennen. Mit Hilfe der
Feinnadelpunktion schliesslich können bei begründetem Verdacht auf einen Tumor Zellen aus dem Innern der
Schilddrüse gewonnen und mikroskopisch untersucht werden.
Kropf: übermässiges Wachstum
Wird dem Körper zu wenig Jod zugeführt, versucht er diesen Mangel mit
einer Vergrösserung der Schilddrüse
wettzumachen. Es entsteht ein Kropf.
Dabei vergrössert sich die Schilddrüse
anfangs häufig gleichmässig, sodass
von aussen lange Zeit nichts zu sehen
ist. Dann können sich aber einzelne
Knoten bilden. Wächst der Kropf weiter, so kommt es mit der Zeit zur Beeinflussung der umliegenden Organe.
STOFFWECHSEL
Es treten Symptome wie ein Engegefühl im Hals, Schluckbeschwerden,
eine Abneigung gegen enge Kragen
oder Krawatten oder Atemnot bei Anstrengung auf. Die Behandlung eines
Kropfs hängt davon ab, wie viel Probleme er verursacht und ob zusätzlich
auch noch die Funktion der Schilddrüse gestört ist. Manchmal ist gar
keine Behandlung nötig. Bei störender
Grösse und bei Verdacht auf Krebs ist
eine Operation angezeigt, bei der der
Kropf ganz oder teilweise entfernt
wird. Im Anschluss an die Operation
ist es häufig nötig, Schilddrüsenhormone einzunehmen, um einen Hormonmangel auszugleichen oder eine
erneute Vergrösserung des Organs zu
verhindern.
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war
der Kropf auch in der Schweiz häufig
anzutreffen, da die Böden und damit
die Nahrungsmittel in unserem Land
wenig Jod enthielten. Durch die Zugabe von Jod zum Speisesalz ist in der
Schweiz der Jodmangel als Ursache für
die Entstehung eines Kropfes jedoch
nahezu eliminiert worden (siehe Kasten
Seite 29).
Überfunktion: zuviel des Guten
Auch wenn sich ein Kropf gebildet hat,
kann die Hormonproduktion der
Schilddrüse weiterhin normal sein. Es
kommt jedoch vor, dass sich einzelne
Gruppen von Schilddrüsenzellen in einem Kropf nicht mehr an die normalen Regelkreise halten, sie werden «autonom» und formieren sich in einem
oder mehreren Knoten innerhalb der
Schilddrüse. Dadurch kommt es neben
der reinen Vergrösserung der Schilddrüse auch zu einer Überproduktion
an Hormonen.
Eine Überfunktion der Schilddrüse
kann zu vielen Symptomen führen. Zu
den häufigsten gehören: Gewichtsverlust trotz vermehrtem Appetit (bei
älteren Menschen eher Appetitlosigkeit), Herzjagen, Herzrhythmusstörungen, feuchte, warme Hände, Hitzegefühl, Schlafstörungen, Nervosität,
Reizbarkeit, Durchfall und Überaktivität. Treten die Symptome bei Frauen
im mittleren Alter auf, so werden die
Beschwerden häufig fälschlicherweise
den Wechseljahren zugeschrieben. Die
Symptome einer Überfunktion lassen
sich mit Medikamenten, welche die
Schilddrüsenhormonproduktion hemmen, meistens beherrschen. Bei mehreren autonomen Knoten und grösseren Kröpfen ist die chirurgische
Behandlung meist die Therapie der
Wahl.
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Neben einer Autonomie ist der Morbus Basedow die häufigste Ursache für
eine Überfunktion der Schilddrüse.
Die Ursache dieser Autoimmunerkrankung liegt in der Bildung von Autoantikörpern, die sich wie der von der
Hirnanhangsdrüse produzierte Botenstoff verhalten und die Hormonproduktion der Schilddrüse dadurch ankurbeln. Was genau den Körper dazu
bringt, die Autoantikörper zu bilden,
ist nicht bekannt. Die Vererbung
scheint jedoch eine Rolle zu spielen.
Eine Überfunktion aufgrund eines
Morbus Basedow äussert sich mit den
gleichen Symptomen wie eine Überfunktion durch Autonomie. Allerdings
lassen sich hier bei etwa 80 Prozent
der PatientInnen die Autoantikörper
im Blut nachweisen. Bei etwa 30 bis
60 Prozent der PatientInnen mit Basedow kommt es neben den Symptomen
der Überfunktion zusätzlich zu Veränderungen am Gewebe der Augenhöhlen. Dies führt dazu, dass die Augäpfel verstärkt hervortreten, die Lider
anschwellen, die Bindehaut gereizt ist
und die Betroffenen Doppelbilder sehen. Auch bei dieser Form der Überfunktion können zur Behandlung Medikamente eingesetzt werden, die die
Hormonproduktion hemmen. Sofern
die Entzündung nicht von selber abheilt, was in etwa der Hälfte der Fälle
vorkommt, bedarf es für eine Heilung
einer Operation.
Unterfunktion: ohne Antrieb
Das Gegenteil der Überfunktion, die
Unterfunktion der Schilddrüse, entwickelt sich meist schleichend, sodass
die Betroffenen lange Zeit keine Symptome spüren. Erst bei einer stärkeren
Unterfunktion klagen sie über Müdigkeit, Störungen der Konzentration, ein
vermehrtes Bedürfnis nach Schlaf,
Empfindlichkeit gegenüber Kälte sowie Verstopfung. Im Gewebe lagert
sich vermehrt Flüssigkeit ein, die Haut
ist teigig, trocken, kühl und blass. Die
Stimme ist rau und heiser, und es fällt
den Betroffenen manchmal schwer,
deutlich zu sprechen.
Bei älteren PatientInnen zeigt sich
eine Unterfunktion der Schilddrüse oft
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ILLUSTRATION: PETER WANNER
Morbus Basedow
nur durch Schwäche und Kraftlosigkeit, Kälteempfindlichkeit und Verstopfung. Diese Symptome werden
dann häufig als «normale» Alterserscheinungen angesehen, wodurch
eine Schilddrüsenunterfunktion gerade bei älteren Menschen oft übersehen wird.
Eine Unterfunktion der Schilddrüse
kann bereits angeboren sein. Wird
diese nicht frühzeitig in der Schwangerschaft oder nach der Geburt entdeckt, so ist sowohl die körperliche
wie auch die geistige Entwicklung des
Kindes beeinträchtigt. Deshalb werden
Neugeborene routinemässig auf eine
Schilddrüsenunterfunktion hin untersucht. Daneben kann es auch nach
einer Operation zu einer Unterfunktion kommen. Die häufigste «natürliche» Ursache der Unterfunktion ist
die Hashimoto-Thyreoiditis, eine
chronische Entzündung der Schilddrüse. Es handelt sich dabei um eine
Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem des Körpers bildet in solchen
Fällen Abwehrstoffe (Antikörper) gegen körpereigene Strukturen, hier
gegen die Schilddrüsenzellen. Die
Behandlung der Unterfunktion geschieht, indem die fehlenden körpereigenen Hormone durch Präparate
mit künstlich hergestellten Hormonen
ersetzt werden.
*Therese Schwender ist ausgebildete Tierärztin
und arbeitet heute als Medizinjournalistin. Sie
lebt in Hünenberg (ZG).
Die Sache mit dem Salz
• Bereits vor etwa 4000 Jahren
tauchten in Bildern Menschen mit
einem Kropf auf, so zum Beispiel
in alten ägyptischen Wandreliefs.
• Im Mittelalter hat der grosse
Künstler Leonardo da Vinci die
Anatomie der Schilddrüse zeichnerisch dargestellt.
• 1656 gab ihr der Londoner Arzt
Thomas Wharton den wissenschaftlichen Namen «Glandula
thyreoidea».
• Felix Platter, Professor und Stadtarzt in Basel, beschrieb Anfang
des 16. Jahrhunderts die Auswirkungen einer Über- und Unterfunktion der Schilddrüse.
• Kropfoperationen gab es ebenfalls bereits im 16. und 17. Jahrhundert. Allerdings beschrieb erst
1834 der deutsche Chirurg Conrad Johann Martin Langenbeck die
Operation detailliert mit allen anatomischen und chirurgischen Einzelheiten.
• Dass durch die Einnahme von
genügend Jod die Entstehung eines Kropfs verhindert werden
kann, hat der französische Chemiker Jean-Baptiste Boussingault bereits 1825 erkannt.
• Als erste politische Instanz der
Welt beschloss aber nicht die französische Regierung am 20. Februar 1922 die Einführung des jodierten Kochsalzes, sondern die
Regierung des Kantons Appenzell
Ausserrhoden. 1952 folgten mit
Aargau und Baselland auch die
letzten Schweizer Kantone dem
Beispiel.
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