Michael Heinzelmann - M. Buess Amiternum - Zwischenbericht zu den Arbeiten in 2010 Im Rahmen des 2006 begonnenen und vom Schweizer Nationalfonds geförderten Forschungsprojektes zur Untersuchung von Amiternum unternahm das Archäologische Institut der Universität zu Köln vom 26.7. bis 29.8.2010 eine weitere Kampagne. Wie im vergangenen Jahr wurden parallel geophysikalische Prospektionen und stratigraphische Sondagen durchgeführt Die Prospektionsarbeiten hatten zum Ziel, sämtliche noch fehlenden oder unvollständigen Flächen innerhalb der vermuteten Stadtanlage sowie an peripheren Zonen bzw. an den von Nekropolen gesäumt zu erwartenden Ausfallstrassen der Stadt, zu vervollständigen. Mittels Magnetometrie wurde das Umland der bereits im vorangehenden Jahr entdeckten suburbanen Villa nördlich des Theaters sowie einige in früheren Jahren landwirtschaftlich genutzte und nun freigewordene Felder in der südlichen Peripherie der Stadt erfasst. Mit der mutmaßlichen Entdeckung mehrerer Nekropolen östlich der Via Caecilia, die sich als große Tumuli im Prospektionsbefund darstellen, ergeben sich wertvolle Hinweise für die maximale, südliche Ausdehnung von Amiternum. Ebenfalls waren in der Sommerkampagne 2010 erstmals die Felder westlich der Staatsstrasse 80 frei von Getreideanbau geblieben, sodass diese geophysikalisch untersucht werden konnten. Hier hat sich allerdings gezeigt, dass mittels der Magnetometrie keine Bebauung auszumachen ist, was dem bereits letztjährig gezeichneten Bild einer nur noch wenig in die Tiefe entwickelten Bebauung dieser südlichsten Peripherie entsprechen würde. Ein interessante Beobachtung ergab sich durch die Weiterverfolgung einer bereits in früheren Jahren entdeckten ovalen Struktur im Süden des Stadtgebietes, die aus drei ineinander einbeschriebenen Ovalen besteht, von deren das größte etwa 90 m Durchmesser aufweist. Leider hat die für den 2009 in L’Aquila stattgefundenen G8-Gipfel in größter Eile angelegte Umgehungsstrasse verhindert, diese ovale Struktur vollständig zu erfassen. Dennoch lässt sich der Befund als Fundamentierung eines Amphitheaters interpretieren, einem offenbar unvollendet gebliebenen Vorgängerbau des später in identischer Größe weiter westlich ausgeführten Amphitheaters. Die stratigraphischen Ausgrabungen sollten in diesem letzten Förderjahr gesicherte Anhaltspunkte zur Datierung urbanistisch wichtiger Schlüsselpunkte innerhalb der Stadtanlage liefern. Dies betraf die Strasse vor der Front der großen Domus beim Theater (Sondage 1) sowie deren Eingangsbereich, wo die bereits früher begonnene, jedoch aufgrund der komplexen Stratigraphie erst in dieser Kampagne auf den gewachsenen Grund geführt werden konnte. Hier ergaben sich einerseits wichtige Erkenntnisse betreffend ihrer mehrphasigen Nutzung sowie der nach außen zur vorgelagerten Straße geöffnete Taberne. Die diesjährigen Arbeiten konzentrierten sich ausschließlich auf die ältesten Bauphasen und Vorgängerbauten. Hierbei wurde zum einen die vor dem Gebäude verlaufende Straße in ihrer frühesten Nutzungsphase untersucht, die mit dem Nutzungshorizont des im Innern der Domus festgestellten Vorgängerbaus aus spätrepublikanischer Zeit entsprechen müsste. Die wahrscheinlich in augusteischer Zeit errichtete große Domus setzte mit ihren Grundmauern auf den nicht viel mehr als in Fundamentlage erhaltenen ältesten Mauern an, wobei deren Ausrichtung jedoch noch immer exakt derjenigen des Vorgängerbaus entspricht. Der relativ große Niveauunterschied von Vorgängerbau und Domus muss im Verlauf der frühen Kaiserzeit wohl durch eine tiefgreifende urbanistische Reorganisation und Monumentalisierung der gesamten Zone zwischen neu errichtetem Forum mit Basilika und Theater erklärt werden, als die älteren Bauten einer gezielten Zerstörung und Einplanierung zum Opfer fielen. Mit der Öffnung von Sondage 10 unmittelbar südöstlich der bereits 2008 untersuchten Basilika sollte der Nachweis des mittels der Geomagnetik vermuteten Forums an dieser Stelle gelingen. Die Sondage wurde so angelegt, dass neben der Nordwestecke der Forumspflasterung die davor verlaufende Portikus ebenso gefasst werden konnte wie ein Abschnitt der dem Forum zugewandten Basilika-Längsmauer. Der angetroffene Befund ist trotz nachantiker Beraubungsvorgänge einigermaßen spektakulär, zeigte sich doch, dass die aus Ziegeln gefertigte Außenwand der Basilika vermutlich unter Erdbebeneinwirkung in gesamter Höhe nach außen auf die vorgelagerte Portikus und das angrenzende Forum umgestürzt war. Hierdurch ließ sich beobachten, dass die forumsseitige Außenwand der Basilika offenbar mittels breiter Türöffnungen zugänglich war, welche auf mehreren Pfeilern ruhend mit Entlastungsbogen gegliedert war. Die vor der Basilika-Außenwand befindliche Portikus mit einer Breite von ca. 5 erwies sich als bereits in der Spätantike weitgehend beraubt. So fehlten nicht nur der Fußboden, sondern auch die Säulen der Portikus. Erhalten waren aber Reste dreier massive Kalksteinstufen, die vom höher gelegenen Niveau der Portikus zum südöstlich anschließend Forum vermittelten. Letzteres konnte in der Südwestecke der Sondage mit einer vollständig erhaltenen Pflasterung aus großen Basaltplatten erfasst werden. Ebenfalls mit der Frage der Erschließung des Forums beschäftigte sich die südlich gelegene Sondage 13. Sie galt der Untersuchung und Datierung eines Wohngebäudes, das rund 130 m von der Basilika entfernt an einer schräg aufs Forum zulaufenden Seitenstrasse liegt, wobei die Fassade dieser Ausrichtung zu folgen scheint, die hinteren Räume des Gebäudes allerdings einer anderen Orientierung unterliegen. Diese Schlüsselstelle sollte weitere Anhaltspunkte zum Aufbau des Straßennetzes und dessen Neugestaltung während der frühkaiserzeitlichen Monumentalisierungsphase liefern. Tatsächlich ergab sich aufgrund einer ersten Grobdatierung durch die Mauertechnik das Bild einer frühen Bebauung, die nach Westen, vielleicht an eine hier verlaufende Strasse, orientiert war und dann in späterer Zeit der neugebauten, schräg zum Forum verlaufenden Strasse, angeglichen wurde. Der bereits im vergangenen Jahr untersuchte Podientempel (So. 8) war von einer vierseitig umlaufenden Potikus gerahmt, wie auf dem Prospektionsbefund zu erkennen ist. Eine rückseitig in der Hauptachse des Tempels gelegene aus der Portikus-Achse vorspringende Exedra war Untersuchungsgegenstand von Sondage 11. Mehrere nord-südlich verlaufende Mauerzüge waren bereits an der Oberfläche erkennbar und durch die bis vor wenigen Jahren anhaltenden landwirtschaftlichen Bewirtschaftung stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Wie sich schon sehr bald herausstellte, war von der Portikusmauer nur noch das Fundament erhalten, die darauf zu erwartenden Säulenbasen beraubt, sowie die Portikusrückwand mit rückspringender Exedra in Fundamentlage vorhanden. Zwischen den beiden Mauern waren von einem rötlichen Mörtelunterboden noch Reste erhalten. Möglicherweise war die Exedra durch eine Stufe nach oben zu betreten, da sich die rückwärtige Mauer durchzog sowie das ehemalige Nutzungsniveau bereits nicht mehr vorhanden war. Insgesamt bestätigte der Befund die Vermutung, dass in diesem Bereich der Stadt zum Schutz gegen den im Winter hochwasserführenden Fluss Aterno das Gelände mittels Terrassierungsmaßnahmen künstlich angehoben war. Ähnliche Beobachtungen bei der nahe gelegenen Sondage 9 (Kampagne 2009) liefern weitere Indizien. Unterhalb der gesamten Portikusanlage verlief die hier älteste zu fassende Mauer, die entsprechend einer vorläufigen Münzdatierung in die ausgehenden Jahre der späten Republik datiert werden kann. Aufgrund des schwachen Querschnitts und einfachen Bauweise ist sie als Begrenzungsmauer anzusprechen. Weitere lange Umfriedungsmauern zeichnen sich östlich auf dem Magnetogramm ab. Ihre Funktion bleibt unklar, aber sie dokumentieren eine spätrepublikanisch-frühkaiserzeitliche Aufteilung dieses Geländes südlich des Aterno. Seitlich an die Exedramauer fanden sich Reste zweier nachantiker Bestattungen, die wohl mit der unweit südlich gelegenen, seit dem frühen Mittelalter bezeugten Kirche S. Maria in Campo in Verbindung gebracht werden können. Die rund 300 m vom Amphitheater in der südlichen Peripherie der Stadt gelegene Sondage 12 galt der Untersuchung eines auf dem Magnetogramm erkennbaren Wohngebäudes, das sich westlich der in die Stadt führenden Via Caecilia unmittelbar an die Strasse gliederte. Die Sondage erfasste auf einem schmalen Abschnitt die gesamte Breite der Strasse, den Vorplatz und den der Strasse zugewandte erste Raum des Gebäudes. Die zentrale Frage, die zur Auswahl dieser stark abgelegenen Sondage führte betraf die Datierung des Gebäudes sowie die Chronologie der eigentlichen Strassen. Hier stellte sich heraus, dass die älteste, auf das 3./2. Jh.v.Chr. zurückgehende Phase der Via Caecilia leicht nach Westen verschoben auf einer stark erhöhten Trasse verlief. Eine zweite Phase, die nicht sicher gefasst werden konnte, scheint sich noch mehr nach Westen geschoben zu haben. Vermutlich etwa in augusteischer Zeit wurde die gut befestigte Via Caecilia mit sorgfältig eingepassten Straßenpflastersteinen auf einer Breite von mindestens 3.5 m verstärkt. Direkt darüber scheint in spätantiker Zeit eine via glareata aus stark verkleinerten Ziegelfragmenten und kleineren Kieselsteinen gleichmässig auf einer aus größeren Kieseln bestehenden Rollierungsschicht bestanden zu haben. Darüber sind aufgrund der ab diesem Niveau eingreifenden Plugzone nur noch vereinzelte Flickungen aber keine weitere Straßenphase fassbar. Das angrenzende Gebäude scheint aufgrund der stratigraphischen Verhältnisse und der nachlässigen Mauertechnik erst in später Zeit errichtet worden zu sein. Hierzu wurde beim Bau des Gebäudes ein Höhenunterschied von beinahe einem Meter mittels eines hohen Aufschüttung überbrückt. Es ist anzunehmen, dass es sich hier um ein Wohngebäude spätantiker Nutzung handelt, das in der Folge aufgelassen wurde. Die noch ausstehende Auswertung des reichen Fundmaterials lässt wichtige Aufschlüsse zur Chronologie der spätantik-frühmittelalterlichen Nutzung der Strasse liefern. Mit den in dieser letzten Kampagne neu gewonnenen Erkenntnissen lässt sich die städtebauliche Entwicklung der Talsiedlung von Amiternum deutlicher nachzeichnen: Durch den Abschluss der in diesem Jahr durchgeführten Sondagen konnte einerseits an wichtigen Knotenpunkten wie dem Forum, einer Zugangsstrasse und in der südlichen Peripherie der Stadt weitere Anhaltspunkte für die ursprüngliche Ausdehnung, Struktur und Chronologie der Stadt gefunden werden, andererseits bestätigte sich mit der Untersuchung des `sakralen Bezirks` zwischen Amphitheater und dem Aterno die Vermutung einer an dieser Stelle terrassiert abgestuften und teilweise mit wasserdichtem Außenverputz gegen Hochwasserschäden gesicherten Bebauung. Schließlich wurde mit den drei Sondagen bei der Domus ein überdurchschnittlich großes Privathaus untersucht und die wohl in die späte Republik zu datierende Vorgängerbebauung nachgewiesen. Wie bereits im letzten Zwischenbericht angesprochen, haben sich nun die Indizien verdichtet, dass es sich in Amiternum weniger um eine vollwertige Stadt als vielmehr um einen nur teilweise urban entwickelten Zentralort mit Verwaltungs- und Dienstleistungsfunktionen für ein größeres Einzugsgebiet handelte. Zugleich weisen die teilweise großen und reich ausgestatteten Wohnhäuser auf die starke Präsenz einer vermögenden Oberschicht hin, welche vermutlich zugleich Träger der bemerkenswerten Ausstattung der Siedlung mit öffentlichen und religiösen Bauten war. Die mittlerweile durch geophysikalische Prospektionen großflächig untersuchte Stadtanlage weist neben ausgeprägten öffentlichen Bauten (Basilika, möglicherweise mit Curia und/oder Sacellum für den Kaiserkult, Forum, Theater, Amphitheater, Thermen, mehrere Tempelanlagen)eine verhältnismäßig unterentwickelte Wohnbebauung kleinerer und mittlere Größe auf. Lediglich südlich des Amphitheaters sind kleinteiligere Gebäudestrukturen entlang der Westseite der Via Caecilia, doch erweisen sich diese entsprechend den stratigraphischen Untersuchungen in Sondage 12 als spätantike Besiedlungsphase. Dieses auffallende Ungleichgewicht zwischen zu geringer privater Wohnbebauung und überrepräsentierter öffentlicher Infrastruktur weist auf die Frage des Verhältnisses der Siedlung zu ihrem Umland, das offenbar durch zahlreiche Vici und Villen geprägt war. Teilnehmer der Kampagne 2010 Dozierende: Margrit Balmer (Keramik), Manuel Buess, Michael Heinzelmann, David Jordan (Geoarchäologie) Teilnehmer: Lisa Berger, Manuela Broisch (Geophysik), Vera Damen (Schnittleitung), Johanna Fuchs M.A. (Schnittleitung), Dan-Marvin Gluba, Maria Heitkamp, Simon Kaufmann, Jacqueline Lauper, Enrico Leoni (Restaurierung), Roberta Leuzzi, Shabnam Moshfegh Nia, Matthias Nieberle, Amela Puskar, Marc Rappe, Alexander Recht, Marcel Riedel, Mareike Röhl, Margarita Sardak, Julia Schmidt, Christian Schöne, Janine Seidel, Emanuela Spagnoli (Numismatik) Steffy Steidle (Schnittleitung), Benoit Thierry MSc, Patrick Welle. Abb. 1: Übersicht mit Magnetometrie-Ergebnissen (Stand 2010). Schwarze Zahlen: 1 Theater, 2 Straße zwischen Theater und Forum, 3/4 Wohnhäuser, 5 Aquaedukt, 6 Via Caecilia, 7 Forum, 8 Basilika, 9 Marktgebäude (?), 10 Südöstliche Ausfallstraße, 11 Uferbefestigung Aterno, 12 Tempel mit Portikus, 13 Tempel mit Portikus, 14/15 mögliche Heiligtümer, 16 Amphitheater, 17 Domus, 18 Fundamente Amphitheater, 19 Gräber. Rote Zahlen: Sondagen 2007-2010. Abb. 2: Sondage 1: Taberna der augusteischen Domus mit tieferliegendem Vorgängerbau Abb. 3: Sondage 1. Im Hintergrund Taberna der Domus, im Vordergrund Schnit durch die Theaterstraße mit frühester via glareata. Abb. 3: Sondage 10. Befundplan mit verstürzter Außenmauer der Basilika und Ziegelversturz über dem Plattenpflaster des Forums (rechts). Abb. 4: Sondage 10, Blick nach Norden. Abb. 5: Sondage 10, Blick nach Westen. Im Vordergrund Forumspflasterung und Stufen der Portikus vor der Basilika. Abb. 6: Sondage 11, Blick nach Westen. Im Hintergrund Fundamente der Portikus, im Mittelfeld rechteckige Exedra, im Vordergrund ältere Vorgängermauer. Abb. 7: Sondage 11, Ausschnitt mit Außenwand der Exedra (links) und Vorgängermauer. Abb. 8: Sondage 12, Blick nach Osten. Im Hintergrund Via Caecilia. Abb. 9: Sondage 12, Ausschnitt mit Via Caecilia, im Vordergrund kaiserzeitliche Pflasterung, im Hintergrund verschiedene spätantike Phasen. Abb. 10: Sondage 13, Blick nach NO. Abb. 11: Sondage 13, Ausschnitt mit südöstlicher Ausfallstraße