Früherkennung von psychiatrischen Störungsentwicklungen

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2004 Oktober
Forum
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Wir brauchen neue
Anlauf- und
Abklärungsformen
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für
Die Behandlung von
Frühsymptomen bleibt
ein selten realisierbares
Ziel
die
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Psychiatrieregion
Die Identifikation von
Störungen im Frühstadium ist eine Herausforderung
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Kinder und ihre Eltern,
Eltern und ihre Kinder
Winterthur
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Früherkennung und
Frühintervention:
Aus der Sicht eines
Winterthurer Hausarztes
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Kurz und bündig
Früherkennung von psychiatrischen Störungsentwicklungen
Editorial
Wussten Sie, dass
das Kommunikationsbedürfnis zwischen 16
und 19 Jahren am höchsten ist?
Genau die Altersgruppe, auf welche Früherkennung besonders
zielt! «Communicare» bedeutet
«etwas gemeinsam machen, gemeinsam beraten, einander mitteilen». Jugendliche, die sich in ihren
Peer- Gruppen bewegen, tun genau dies – sie teilen sich einander
mit. Die lateinische Bedeutung des
Wortes Kommunikation vermittelt
das Bild eines lebendigen Flusses
von Mitteilen, Zuhören, Verstehen
und gemeinsamem Tun. Wieso
teilen gerade diese Jugendlichen
aber aufkommende psychische
Symptome nur ungern mit und
lassen die Chance frühzeitiger,
rascher und kostengünstiger Hilfe
verstreichen?
In unserem Berufsalltag ist das
Kommunizieren immer mehr das
Hauptgeschäft. Das heisst zum
Beispiel, Patienten und ihren
Familien dialogisch gegenüberzutreten und die jeweils eigene,
unverwechselbar subjektive Welt
anzuerkennen. Kommunikation als
eine Kunst verstanden, braucht
ein ständiges und geduldiges
Einüben – wie alle Kunstformen.
Als Netzwerk sind wir auf einem
guten «Übungsweg» und wagen
uns auch an die hohe Kunst einer
Kommunikation über frühzeitige
Zeichen von Problemen und Störungen heran.
Sibylle Schröder
Leitende Sozialarbeiterin ipw
Mitglied der Redaktion
Von Maja Ingold
Stadträtin und Vorsteherin des Departementes Soziales, Winterthur
Jahrzehntelang wurde an den Netzwerken des Sozialstaates Schweiz gebaut,
umgebaut und verbessert. Heute ist
das Sozialbarometer am Sinken. Die
öffentlichen Haushalte sind unter Druck. Der Staat
muss schlanker werden. Vom Wünschbaren muss
Abschied genommen werden. Auf der andern Seite
sind fast alle Leistungsbereiche der Sozial- und Ge-
reiche unter die Räder, deren Nutzen nicht kurzfristig
ausgewiesen und deren Zweck nicht leicht in Zahlen
belegt werden kann. Ist Prävention denn Wunschbedarf? Ist Früherkennung Wunschbedarf? Sie sind wirkungsvolle Instrumente, um die Kostensteigerungen
im Gesundheits- und Sozialbereich nachhaltig einzudämmen. Wenn die frühen Stadien von Entwicklungskrisen oder Krankheiten der Jugendlichen erkannt
sundheitsämter Wachstumsbereiche: mehr Sozialfälle, mehr Notwohnungen, mehr Problemfamilien, mehr
Sozialisierungsdefizite, mehr Integrationsbedarf,
mehr Gewaltbereitschaft, Sucht und Krisen. Es klafft
eine immer grössere Lücke zwischen Aufwand und
zur Verfügung stehenden Mitteln.
werden, können viel eher Verdichtungen aufgelöst
und Entlastungen herbeigeführt werden, ohne gleich
zu psychiatrisieren. Deshalb dürfen Prävention und
Gesundheitsförderung auch in Zeiten der knappen
Finanzen nicht in der Schublade landen.
Die Regierungen müssen alle Aufgaben auf ihre Notwendigkeit und ihren Nutzen prüfen und auf jeder
Ebene Sparpakete schnüren. Kein Wunschbedarf
mehr! Da geraten wichtige nachhaltige Aufgabenbe-
Ich denke konkret an Jugendliche in ihrer krisenanfälligen Entwicklungsphase der Ablösung von den Eltern,
des Übergangs von der Schule in ein eigenständiges
selbstverantwortetes Erwachsenenleben und der
schwierigen Entscheidungen um ihre persönliche
und gesellschaftliche Identität. In der Stadt Winterthur hat eine Evaluation
der gesamten offenen Jugendarbeit und Schulsozialarbeit gezeigt, dass
die Schlüsselpersonen vorhanden und bereit sind, als Primärerfasser zu
einer frühen Intervention beizutragen. Mit dem Jugendsekretariat und ipw
verfügt die Stadt über ein ausgezeichnetes Netzwerk, um die vielfältigen
und qualifizierten Ressourcen miteinander zu verbinden und so optimal zu
nutzen. Ich wünsche allen Fachpersonen, die sich der Aufgabe der Früherkennung annehmen, einen erfolgreichen Start in eines der nachhaltigsten
Projekte zugunsten der Integration von Jugendlichen, die eine lange Zukunft vor sich haben und die Gesellschaft von morgen ausmachen.
Wir brauchen neue Anlauf- und Abklärungsformen
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Von Christine Gäumann
Co-Leiterin Suchtbehandlung und Projektbeauftragte
Früherkennung ipw
Erfahrungsgemäss melden sich Menschen mit psychischen Problemen erst dann für eine Behandlung, wenn
sich eine Krise zuspitzt oder die Symptome bereits ein
lebenseinschränkendes Ausmass angenommen haben.
Im Unterschied zur Behandlung/Therapie aber ist die Früherkennung auf
Menschen ausgerichtet, die sich «erst» in einem frühen Stadium der Problem- und Symptomentwicklung befinden. Ziel der Früherkennung ist die
Auflösung oder die frühe Behandlung eines werdenden Störungsbildes.
Primärerfasser brauchen unkomplizierte Zuweisungsverfahren,
Informations-, Schulungs- und Coachingangebote.
Die Versorgungsstruktur der Früherkennung von psychiatrischen Störungsentwicklungen ist in unserer Versorgungsregion, insbesondere in
der Stadt Winterthur, im schrittweisen Aufbau. Auf methodischer Ebene
stellen sich uns Fachleuten dabei neue Herausforderungen. Die Konzepte
und Instrumente unseres allgemeinen Behandlungsangebotes greifen für
die Erfüllung des Früherkennungsauftrags ungenügend. Wir sind angehalten, neue Anlauf- und Abklärungsformen zu entwickeln, damit wir Jugendliche, die von sich aus kaum professionelle Unterstützung erwägen,
früher erreichen. Auf struktureller Ebene ist dabei ein systemisches und
Netzwerk orientiertes Handeln erforderlich. Eine Versorgungsstruktur aufzubauen ist mehr als das zur Verfügung stellen spezifischer Instrumente
und Angebote einzelner Fachstellen.
Erfolg versprechende Massnahmen bedingen den Schulterschluss zwischen psychiatrischen, sozialen, präventiven, schulischen, soziokulturellen
und hausärztlichen Organisationen und privaten Fachpraxen. Es müssen
über Sub-Versorgungseinheiten hinaus umfänglichere Erfassungssysteme (Netze) geschaffen werden. Beispielsweise durch die ergänzende
Zusammenarbeit zwischen im Feld tätigen Bezugspersonen und den Behandlungseinrichtungen. Ohne die aktive und vermittelnde Mitarbeit dieser Bezugspersonen gelingt es nicht, Jugendliche, die auffällig werden, in
einem frühen Stadium der Problementwicklung abzuholen. Lehrpersonen
und AusbildnerInnen etwa sind besonders wichtige Primärerfasser. Sie
sind es, die neben den Eltern als Erste teilhaben, wenn sich ein Jugendlicher verändert, und sie sind es, die den Jugendlichen ermuntern können,
sich professioneller Hilfe gegenüber nicht zu verschliessen. Damit sie diese vermittelnden Aufgaben übernehmen können, benötigen sie von den
Behandlungseinrichtungen unkompliziertere Zuweisungsverfahren sowie
Informations-, Schulungs- und Coachingangebote.
Zwischen Therapeuten und Lehrpersonen, Ausbildner, Schulsozialarbeiter, Jugendarbeiter, Sporttrainer, etc. soll eine funktionale
Vernetzung entstehen.
Auf Initiative von ipw wurde eine interdisziplinär zusammengesetzte
Arbeitsgruppe mit Teilnehmenden aus einem breiten Spektrum der Jugend- und Schularbeit ins Leben gerufen. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist
es, ergänzende Formen des Zusammenwirkens zu entwickeln, damit zwischen Therapeuten und Lehrpersonen, Ausbildner, Schulsozialarbeiter,
Jugendarbeiter, Sporttrainer, etc. eine funktionale Vernetzung entsteht.
Arbeitsgruppe «Früherkennung
psychiatrischer Störungsentwicklungen»
Tösstalstrasse 19
8400 Winterthur
Telefon: 052 267 59 06
E-Mail: [email protected]
Die Behandlung von Frühsymptomen bleibt ein selten realisierbares Ziel
Von Dr. med. Andreas Pfarrwaller
Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie FMH
In meinem Beitrag will ich nicht mit neuen Erkenntnissen zur Früherkennung aufwarten. Das überlasse ich
berufeneren Vertretern meines Fachs. Ich möchte lediglich einige persönliche Gedanken als frei praktizierender Psychiater/Psychotherapeut (FP) äussern.
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Ich beginne mit dem Schluss. Die Früherkennung psychischer Störungen
wäre zweifellos eine gute Sache: Den Betroffenen und Angehörigen könnte
viel Leid erspart bleiben. Die Kosten im Gesundheitswesen würden sinken.
Aber so einfach ist es nicht. Früherkennung und -behandlung sind aufwändig. Die Absichten der Therapeuten decken sich oft nicht mit jenen der
Betroffenen, die sich mit Frühsymptomen selten so krank fühlen, dass sie
eine Behandlung wünschen. Nur selten wird das Frühsymptom einer psychischen Störung so beunruhigend erlebt wie eine Darmblutung oder ein
Brustknoten. Der adoleszente Kiffer mit Wahngedanken auf der Akutstation will nicht als Schizophrener behandelt, sondern auf der Stelle entlassen
werden. Der Mensch mit erstmaliger Panikattacke in der Seilbahn während
der Ferien in den Bergen will ein EKG und einen Tranquilizer vom Hausarzt,
aber noch lange keine kognitive Verhaltenstherapie. Verdrängung scheint
hier im Spiel zu sein – oder doch gesunder Selbstheilungswille? Wer weiss
zu diesem Zeitpunkt, ob eine gesundheitliche Störung harmlos ist oder
ein «Schuss vor den Bug»? Es wird vermutet, dass ein grosser Teil solcher
Episoden einmalig ist und die befürchtete Krankheit ausbleibt.
Angst-, Panik- und Zwangsstörungen werden in vielen Fällen
diagnostisch und therapeutisch verschleppt.
Während sich die wissenschaftliche Psychiatrie intensiv mit der Früherfassung der Schizophrenie befasst, ist diese für den FP von untergeordneter
Bedeutung. Das hat Gründe: Eine zuverlässige Diagnostik von Frühsymptomen ist nur bei grösseren Fallzahlen (Erfahrung!) und mit einigem diagnostischen Aufwand sinnvoll; in der Praxis jedoch kaum durchführbar. Als
FP bin ich selten in der Lage, auf Vermutung hin mögliche Frühsymptome
einer psychotischen Störung zu behandeln. Der Gang zum Psychiater ist
immer noch heikel. Die meisten Patienten kommen dann, wenn eine Störung bereits ausgebrochen ist oder schon seit Jahren besteht. So werden
Behandlungen oft erst bei fortgeschrittener Krankheit durchgeführt. Zudem lässt der diagnostische Scharfsinn des FP hinsichtlich psychotischer
Erkrankungen nach, da die Praxisdichte mehr und mehr zu-, die Zahl psychotisch Erkrankter in der einzelnen Praxis aber abnimmt. Das Kerngebiet
der Psychiatrie – die Behandlung psychotischer Störungen – ist im Lauf
der Zeit an die öffentlichen Ambulatorien und die Hausarztmedizin abgetreten worden. Viele FP beschäftigen sich in Praxisalltag und Fortbildung
vorwiegend mit der Psychotherapie neurotischer- und Persönlichkeitsstörungen.
Die Absichten der Therapeuten
decken sich oft nicht mit jenen der Betroffenen.
Daher sind für den FP hinsichtlich Früherkennung vor allem Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen von Bedeutung. Aktives Handeln ist für
mich aber auch auf diesen Gebieten eher selten gefragt. Viele depressive
Menschen kommen – bereits mit modernen Antidepressiva anbehandelt –
wegen Ausbleibens der stimmungsaufhellenden Wirkung in meine Praxis.
Angst-, Panik- und Zwangsstörungen werden trotz erheblich verbesserter
Behandlungsmöglichkeiten immer noch in vielen Fällen diagnostisch und
therapeutisch verschleppt und führen erst im Stadium der Chronifizierung
zum FP.
Was bedeutet das konkret? Die Behandlung von Symptomen, die dem
Krankheitsausbruch direkt vorausgehen, bleibt für den FP aus den genannten Gründen ein selten realisierbares Ziel. Im Minimum sollten jedoch
Störungen in einem frühen Stadium ausserhalb der psychiatrischen Praxis
erkannt werden: Sobald eine Diagnose möglich ist, beziehungsweise eine
Behandlung dann erfolgreicher ist, wenn sie frühstmöglich einsetzt. Das
gilt sowohl für Psychosen wie für Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen. Die Aufgabe des FP ist es hier, Hausärzte, Betroffene und Angehörige über diese Möglichkeiten zu informieren.
Die Identifikation von Störungen im Frühstadium ist eine Herausforderung
Von Dr. med. Ramon Meier
Oberarzt, Leiter der Beratungsstelle
für Jugendprobleme ipw
Dass psychiatrische Erkrankungen, und im speziellen
Psychosen, besser auf eine Therapie ansprechen und
einen günstigeren Verlauf nehmen könnten, je früher sie
behandelt werden, ist eine Idee welche schon vor Jahrzehnten formuliert
wurde. Einen Vorteil verspricht dieser Ansatz aber nur, wenn für die in der
Frühphase erfassten Krankheiten wirksame und schonende, sowie bezogen auf die frühe Krankheitsphase stadiengerechte Interventionsmöglich-
keiten zur Verfügung stehen. Ansonsten droht mehr Schaden als Nutzen,
beispielsweise durch Stigmatisierung.
Früherkennung in der Psychiatrie sollte sich nicht auf die
Schizophrenie beschränken.
Über die letzten Jahre wurden gerade im Bereich der Psychosen hinsichtlich Psychopharmakologie sowie Psychotherapie bedeutende Fortschritte
erzielt. Ist somit der Weg frei für die Früherkennung? Grundsätzlich ja,
doch gilt es mindestens drei wichtige Hürden zu nehmen:
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Erstens beginnen viele psychische Störungen mit zwar längeren, doch unspezifischen Frühstadien, so dass die Identifikation der wirklich gefährdeten jungen Menschen eine grosse Herausforderung darstellt. Ein Lehrling
wirkt bedrückt, erbringt plötzlich nicht mehr die gewohnten Leistungen,
zieht sich aus dem Turnverein zurück und will mit den Eltern nicht mehr
sprechen: Hinter diesen Phänomenen kann sich ganz normaler Liebeskummer, eine beginnende Depression, neu aufgetretener Drogenkonsum,
die Prodromalphase einer Schizophrenie oder manch anderes Problem
verbergen. Aktuelle Forschungsanstrengungen konzentrieren sich daAbklärungsstellen müssen ein altersspezifisches Angebot
bereitstellen und sich nach aussen orientieren.
rauf, hier spezifische Risikomerkmale in Erleben und Verhalten zu identifizieren. Diese sollen einen Beitrag leisten zu einer verlässlichen Wahrscheinlichkeitsaussage über Eintreten oder zumindest über Ausbleiben
des Übergangs der besagten Probleme in eine spezifische psychiatrische
Erkrankung. Solche auf empirischen Befunden basierende Phänomene
(psychopathologische oder neuropsychologische Merkmale sowie Risikoindikatoren aus der Vorgeschichte) wurden zu neuen Instrumenten zusammengefasst, von denen wir einige in der Früherkennungssprechstunde der
Beratungsstelle für Jugendprobleme einsetzen.
Zweitens beginnen psychische Erkrankungen am häufigsten in der späteren Jugend und im jungen Erwachsenenalter, so dass sich Früherkennung
stark auf diese Lebensphase ausrichten sollte. Gerade bei jungen Menschen bestehen aus verständlichen Gründen Berührungsängste, geht es
um die Abklärung psychischer Schwierigkeiten. Wie motiviert man den genannten Lehrling zu einer Abklärung, wenn er selber das Problem bei der
Freundin oder den Kopfschmerzen sieht? Sicher ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Grundversorgern und den weiteren Fachpersonen
im Netz nötig. Abklärungsstellen müssen ein altersspezifisches Angebot
bereitstellen und sich vermehrt nach aussen orientieren. Vielleicht könnte
ein erstes gemeinsames Gespräch beim Hausarzt stattfinden?
Schliesslich sollte sich Früherkennung in der Psychiatrie nicht auf die Schizophrenie beschränken. Zwar wissen wir dank moderner bildgebender
Verfahren, dass kurz vor und während der ersten psychotischen Phase
einer Schizophrenie das Hirn strukturell geschädigt wird. Von der Frühintervention erhofft man sich, gerade diesen Schaden vermeiden zu können.
Doch kann auch ein Lehrabbruch bei Liebeskummer oder übermässigem
Cannabiskonsum zu deutlichen, wenn auch eher psychosozialen Folgeschäden führen, welchen es frühzeitig vorzubeugen gilt.
Wir streben deshalb für unser Versorgungsgebiet ein jugendgerechtes,
niederschwelliges, breitgefächertes und trotzdem empirisch abgesichertes Früherkennungsangebot innerhalb gut vernetzter Strukturen an.
Sprechstunden für Früherkennung
Beratungsstelle für Jugendprobleme ipw
Trollstrasse 18
Postfach 8408 Winterthur
Telefon: 052 267 68 55
E-Mail: [email protected]
Öffentliche Weiterbildungsveranstaltung
für die Psychiatrieregion Winterthur zum
Thema. Siehe Seite 6, Notizen.
Kinder und ihre Eltern, Eltern und ihre Kinder
Von Sonja Barth
Oberärztin, Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst
des Kantons Zürich, Regionalstelle Winterthur
Kinder sind unsere Investition in die Zukunft. Die meisten von ihnen wachsen behütet und umsorgt in ihren
Familien auf. Jeder wünscht für sich und seine Kinder
eine unbeschwerte und glückliche Zeit. Leider hat dieser Wunsch in der Realität nicht immer Bestand. Kinder und Jugendliche können neben körperlichen auch an psychischen
Störungen erkranken. Aufgrund der lebensgeschichtlichen Situation sind
psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen Frühdiagnosen. Die
Überprüfung der Erkrankung erfolgt vom Lebensalter abhängig. Als Kinder- und Jugendpsychiater ist man somit auch im Bereich Früherkennung
und Früherfassung tätig.
Für die richtige Einschätzung der Symptomatik ist das Bezugssystem des
Kindes ernorm wichtig. Zuvorderst stehen die Eltern, die meistens zuerst
Veränderungen bei ihren Kindern bemerken. Da die Grenze zwischen ge-
sund – normal und beeinträchtigt – krank schmal und fliessend ist, erleben
Eltern eine Verunsicherung, wie Veränderungen bei ihren Kindern einzuordnen sind. Hier ist der Kinder- und Jugendpsychiater gefragt, um für
die Überprüfung der Wahrnehmungen und Sorgen der Eltern zur Seite
zu stehen. Bei jeder Abklärung werden die Eltern intensiv mit einbezogen,
Es gilt, den Eltern als wichtigen Primärerfasser für Veränderungen
bei ihren Kindern entgegenzukommen.
da sie ihre Kinder am besten kennen. Leider erleben viele Eltern Fehlentwicklungen und psychische Erkrankungen ihres Kindes als Zeichen eigenen Ungenügens. Zudem kommt noch die Angst vor Stigmatisierung, die
psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft nach wie vor erfahren.
Somit scheuen manche Eltern und ihre Kinder den Weg zum Kinder- und
Jugendpsychiater. Es gilt, den Eltern als wichtige Primärerfasser für Veränderungen bei ihren Kindern entgegenzukommen und Schwellenängste
abzubauen.
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Ein Zugangsportal für die in Sorge geratenen Eltern stellt die im Frühjahr
2004 ins Leben gerufene offene Sprechstunde des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes (KJPD) dar. Im Rahmen von Gesprächen klären
wir die aktuelle Situation, nehmen Ängste auf und versuchen, anhand der
familiär vorhandenen Ressourcen mit den Eltern ein Kooperationssystem
zu bilden. Informationen, wann von einer Erkrankung gesprochen werden
kann und eine Behandlung erfolgen soll, sind wichtige Punkte, die in der
Zusammenarbeit mit den Eltern transparent gemacht werden. Es bedarf
zweigtes, interdisziplinäres Arbeiten mit allen Beteiligten ist im Rahmen
der Früherkennung und Früherfassung bei Kindern angezeigt. Nur so sind
wir in der Lage, das Motto «Prävention ist besser als Intervention» erfolgreich in die Tat umzusetzen.
Viele Eltern erleben Fehlentwicklungen und psychische
Erkrankungen ihres Kindes als Zeichen eigenen Ungenügens.
unterstützender Angebote, um Eltern in ihrer Sorge und Wahrnehmung
zu tragen, Ressourcen zu erschliessen und um sich anbahnende Schwierigkeiten besser zu bewältigen. Neben dem Focus auf die Eltern ist das
weitere Bezugssystem des Kindes wie Kindergarten oder Schule in seiner Bedeutung zur Früherkennung nicht zu vernachlässigen. Ein weit ver-
Früherkennung und Frühintervention: Aus der Sicht eines Winterthurer Hausarztes
Von Dr. med. Urs Aemissegger
Praxis für Allgemeinmedizin FMH
Schon wieder hat sie den Termin verpasst, den zweiten nacheinander. Ich weiss um ihre Probleme zuhause,
mit den Eltern, mit dem Drogenkonsum und den Beziehungsschwierigkeiten. Ich weiss auch, dass sie fast immer notfallmässig kommt und die von mir angebotenen
Termine regelmässig nicht wahrnimmt. Aber eigentlich weiss ich nicht, wie
ihr zu helfen ist. Eigentlich fühle ich mich völlig hilflos.
Spezialsprechstunden stellen meist eine zu grosse Hürde
für die Betroffenen dar.
Was ist es, das mich in der hausärztlichen Praxis an die Möglichkeit einer
psychotischen Störungsentwicklung denken lässt? Am ehesten wohl ein
Gefühl, das sich während oder nach der (versäumten) Konsultation bildet oder haften bleibt. Ein Gefühl der Irritation, des «Nicht-richtig-Drauskommens», des «Nicht-Verstehens»; etwas, das ein Kopfschütteln auslöst.
Dieses Gefühl ist dem Gegenüber nicht unbekannt und hat vielleicht schon
zu Kränkungen durch Worte, Taten oder Rückweisungen geführt, bevor die
Patientin oder der Patient bei mir vorstellig wurde. Häufig verstecken sich
die Zeichen einer solchen möglicherweise psychotischen Fehlentwicklung
hinter mannigfaltigen körperlichen Symptomen. Hier hellhörig und wach
zu sein, hier behutsam und sensibel vorzugehen braucht viel FingerspitDie aufsuchende Psychiatrie ist gefordert, dorthin zu kommen,
wo die Hemmschwelle am geringsten ist.
zengefühl und Ausdauer. Das Gegenüber ist misstrauisch und verletzlich;
merkt ja, dass «mit mir etwas nicht stimmt». (Weitere) Kränkungen können
zu (weiteren) Kontaktabbrüchen führen, und auch Weiterweisungen werden häufig als Rückweisungen erlebt.
Spezialsprechstunden sind nicht hilfreich, denn sie stellen meist eine zu
grosse Hürde für die Betroffenen dar. Hier ist die aufsuchende Psychiatrie
gefordert, dorthin zu kommen, wo die Hemmschwelle für diese Menschen
am geringsten ist: Zum Hausarzt. In diesem geschützten Rahmen können
Gespräche geführt, Konzepte entworfen und Vereinbarungen getroffen
werden. Bei dieser Zusammenarbeit können wir abwarten, wie die Entwicklung weiter verläuft und in welche Richtung sie geht. Häufig sind es ja Krisen,
und das «Gute» an Krisen ist, dass sie
vorübergehen. Wenn nicht, ist der Gang
zum Spezialisten, den der Patient in der
Hausarztpraxis vielleicht bereits kennen
gelernt hat, wohl viel einfacher.
Notizen
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Referatsabend im Rahmen des World Mental Health Day
zum Thema «Gesund an Leib und Seele» vom 10. Oktober 2004.
27. Oktober 2004, 19.00 Uhr
Restaurant Neumarkt, Neumarkt 6, Winterthur
Referat I: Schatten über der Kindheit in der neuen Heimat
Wie sich Migration auf Kinder auswirkt.
Sefika Garibovic, freischaffende Expertin für interkulturelle Kommunikation und Konfliktlösung, Sozialpädagogin und Mediatorin
Referat II: Die Langzeitwirkung des Ausdauertrainings bei
Depressionen ist besser als eine medikamentöse Therapie
Frank Vroomen, Leiter Physiotherapie, ipw Klinik Schlosstal
Öffentliche Weiterbildungsveranstaltung. «Früherkennung und
Frühintervention bei psychischen Auffälligkeiten im Jugend- und
Jungerwachsenenalter».
Dr. med. Ramon Meier, Leiter Beratungsstelle für Jugendprobleme ipw
23. November 2004, 14.00 – 16.00 Uhr, Kantonsspital Winterthur
Standortwechsel SOMOSA. Die Sozialpädagogisch-psychiatrische
Modellstation für schwere Adoleszentenstörungen in Winterthur,
SOMOSA , wechselt Ende November ihren Standort. SOMOSA besteht
seit 10 Jahren und nimmt einen überregionalen Leistungsauftrag in der
frühzeitigen Behandlung und Förderung von älteren Jugendlichen und
jungen Erwachsenen mit psychiatrischer Störungsentwicklung und
Sozialisationsentgleisung wahr. Die bisher an der Neuwiesenstrasse
eingemietete Spezialeinrichtung erweitert mit dem Bezug eines Neubaus im Sulzerareal Oberwinterthur ihr Angebot auf zwanzig Betten.
Die Eröffnungsfeier wird im Frühjahr 2005 statt finden.
ipw Info
Dr. med. Martin Bachofen, Leitender Arzt des Bereiches Allgemeine
Psychiatrie der ipw im Psychiatriezentrum Rheinau und Mitglied der
Geschäftsleitung, verlässt die ipw per Ende Oktober 2004. Martin
Bachofen eröffnet eine eigene Praxis im Raum Basel. Die Stelle wird
erst nach Umzug der stationären Angebote in Rheinau nach Wülflingen
neu besetzt. Dr. med. Andreas Andreae, Chefarzt ipw, übernimmt die
ärztliche Leitung des Bereichs ad interim.
Am 1. Juli hat med. prakt. Tobias Maag seine Stelle als Oberarzt auf der
Akutstation in der Allgemeinen Psychiatrie in Rheinau angetreten. Nach
Tätigkeiten im Psychiatrie-Zentrum Hard, dem EPD Aargau und in der
Forensik der Psychiatrischen Klinik Königsfelden hat sich Tobias Maag
zum Spezialarzt FMH in Psychiatrie und Psychotherapie ausgebildet.
Dr. med. Thomas Ihde nimmt per 1. November 2004 seine Arbeit als
Oberarzt der neu entstehenden Depressions- und Angststation ( DAS )
der ipw auf. Nach einer Assistenzzeit in Basel hat er seine Spezialausbildung in den USA absolviert. Danach war er Oberarzt an der MayoLuther-Clinic und zuletzt in leitender Stellung am Aufbau eines neuen
Angebots in Alaska beteiligt.
Tag der offenen Tür bei ipw. Mit dem Umbau des H-Trakts der Klinik
Schlosstal für die Eröffnung eines neuen gemeindenahen akut- und
spezialstationären Angebots ist das physische ipw-Netz vollendet. Die
neuen Stationen nehmen im Februar 2005 anstelle des bisherigen
Standortes Rheinau ihren Betrieb auf. Um Umbau, Umzug und die
neuen Angebote in Wülflingen zu feiern, organisiert ipw am 20. und
22. Januar 2005 Tage der Offenen Tür zur Besichtigung des umgebauten Klinikteils. Dabei werden ipw und Netzwerkpartner ihre Angebote und Dienstleistungen präsentieren. Am Nachmittag des 20. Januars 2005 sind alle Fachleute zu Besuch eingeladen. Der 22. Januar
gilt der Öffentlichkeit. Notieren Sie sich doch schon mal die Daten.
Einladungen und Publikation folgen rechtzeitig.
Regionale Psychiatriekommission
Winterthur
Ein wichtiger Zweck der Regionalen Psychiatriekommissionen ist die
Förderung der Vernetzung und Zusammenarbeit bzw. die Optimierung
des bestehenden Helfernetzes. Dabei sollen auch Lücken im Angebot
lokalisiert und Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Einen ersten
Schwerpunkt bilden die Fragestellungen rund um die Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Migration. In der praktischen Arbeit erfahren wir,
dass bei Menschen aus fremden Kulturen die üblichen Behandlungsstrategien oft nicht wie gewünscht greifen und für alle Beteiligten als
Belastung empfunden werden. Aus diesem Grund führt die Regionale
Psychiatriekommission eine Impulstagung durch, welche diesem Themenkreis gewidmet ist:
Migrationspsychiatrie – ein optimales Netzwerk?
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 13.30 bis 18.00 Uhr,
Alte Kaserne Winterthur
Inputreferate durch:
– Rainer Fritz, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie,
Oberarzt Psychiatrische Klinik Münsterlingen
– Dr. Hanna Wintsch, Fachpsychologin für Psychotherapie /
Kinder- und Jugendpsychologie FSP, Zürich
In Workshops besteht die Möglichkeit, sich mit dem Tagungsthema
auseinanderzusetzen und Potenziale und Lücken in der Psychiatrieregion Winterthur rund um das Thema Migration auszuloten.
Informationstische diverser sozialer Institutionen und Vereine geben zudem einen Überblick über bestehende Angebote an der Schnittstelle
von Psychiatrie und Migration. Mit einem Apéro wird die Tagung abgeschlossen.
Es erfolgt eine separate Ausschreibung. Sollte Sie diese nicht erreicht
haben, so wenden Sie sich bei Interesse doch an das Sozialamt der
Stadt Winterthur (Tel: 052 267 69 20, Email: [email protected]).
Ernst Schedler, Präsident RPK Winterthur
IMPRESSUM: Ausgabe: 2/2004 Auflage: 3000 Exemplare Erscheint: 3 x jährlich Satz und Gestaltung: Kurt Seiler, Zürich Druck: Fotorotar Egg/ZH
Herausgeberin: ipw Integrierte Psychiatrie Winterthur, Postfach 144, 8408 Winterthur. Telefon 052 224 35 31, [email protected]
Redaktion: Dr. med. Andreas Andreae (Vorsitz), Helmut Bernt, Susanne Gimmi, Christof Kempgen, Sibylle Schröder
Anmerkung der Redaktion: Zu Gunsten der Leserfreundlichkeit wurde im vorliegenden Forum auf eine konsequente männliche und weibliche Schreibweise verzichtet.
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