Bischof WS06/07, 12/1 N. Bischof: Einführung in das Studium der Psychologie 12. Ordnung und Organisation (II) Beispiele für "galileische" Denkweise in der Psychologie Nomologische Reduktion GUTHRIE "Eine Kombination von Reizen, die mit einer Bewegung einhergeht, zieht beim erneuten Auftreten diese Bewegung nach sich." SCHNEIRLA 1.Hinbewegung und Wegbewegung sind die einzigen objektiven Begriffe, die sich bei allen Lebewesen auf jede Art motivierten Verhaltens anwenden lassen. 2.Die Bewegungsrichtung wird allein von der Reizintensität determiniert: schwache Reizintensität löst Annäherung, starke Intensität Rückzug aus. HULL Principles of Behavior, adaptiert nach NEWTONs principia mathematica philosophiae naturalis. ca. 20 Postulate, die meisten davon mathematisch formuliert. ATKINSON A behavioral tendency, once aroused, will persist in its present state until acted upon by some psychological force that either increases or decreases its strength. Qualitative Reduktion 1. psychische Energie FREUD: "Libido" HULL, SPENCE: "General Drive" ("Faktor D") 2. neurale Energie Angeregt durch die Entdeckung der formatio reticularis im Hirnstamm (1943), einer Art unspezifischer Aktivitätsquelle für das gesamte Gehirn. BERLYNE, SCHACHTER: "activation", "arousal" (Erregung) 3. neurale Stoffgrundlage FREUD: "Protoplasma" SKINNER: "nerve tisue as such". Bischof WS06/07, 12/2 Exemplarische Forschung TOLMAN (1938) I believe that everything important in Psychology can be investigated in essence by the continued analysis of the determiners of rat behavior at a choice point in a maze. Ästhetische Heuristik Einfachheit DOLLARD & MILLER (1939) Alle Aggression beruht auf Frustration, Frustration führt immer zu Aggression. Erhaltung FREUD: • Libido wandert in der psychosexuellen Entwicklung durch den Körper, "besetzt" nacheinander verschiedene Organe, staut sich dabei vielleicht, fließt bei Behinderung zurück. • Das "Ich" muß die Energien, die es gegen das "Es" wendet, zuvor aus diesem abzweigen • Symptom, das bei direktem therapeutischem Zugriff verschwindet, taucht in anderer Gestalt an anderer Stelle wieder auf. REFLEXLEHRE und SR-THEORIE: Ablehung der Spontanaktivität des Nervensystems als unwissenschaftlich; denn irgendetwas, was nicht näher bestimmt wird, aber gleichsam substantiellen Charakter hat, muss in den Organismus erst "als" Reiz eingedrungen sein, um ihn "als" Reaktion wieder verlassen zu können. Symmetrie SCHNEIRLA: Alles Verhalten ist entweder Hin- oder Wegbewegung FREUD: Lebens- und Todestrieb Gleichgewicht Homöostase: Alles Verhalten ist "Triebreduktion". Bischof WS06/07, 12/3 Sonderfall Gestalttheorie Nur bei dualistischer Sichtweise kann man eine Reduktion auf eine genuin psychische "Energie" für möglich halten. Parallelistisch betrachtet, ist die psychologische Geschehensordnung aber die des Nervensystems. Wenn man dieses einer materiellen Reduktion unterwirft, so sind die Gesetze, bei denen man endet, eben die allgemeinen Gesetze der Physik, nicht unabhängig davon eine ähnlich allgemeine Axiomatik der Psychologie. KÖHLER (1920): "Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand". Wirft die (ionische) Frage auf, wie sich geordnete Form aus ungeformtem Stoff entfaltet. Nimmt damit eine Fragestellung vorweg, die heute unter den Etiketten "Synergetik", "Selbstorganisation" "dissipative Strukturen" abgehandelt wird. Die Gestalttheorie polemisiert mit Recht gegen die Meinung, der zweite Hauptsatz der Thermodynamik würde implizieren, daß natürliches Geschehen von sich aus keiner dauerhaften Ordnung fähig sei, dass diese vielmehr nur durch Schienen, Leitungen, Kanäle, Schablonen (in unserer Terminologie: durch "Strukturen") erzwungen und aufrechterhalten werden könne. Natürliche Ordnung kann vielmehr durchaus von selbst entstehen. Sie ist dann zwar mangels starrer Stützen leicht zu stören, stellt sich dafür aber nach Abklingen der Störung von selbst wieder her. KÖHLER erwägt als eine Art "Weltformel" der Gestaltbildung die sogenannte LAPLACEsche Differentialgleichung, ein Ansatz, der zu berechnen erlaubt, wie sich ein Segel wölbt, welche Form die Fettaugen auf der Suppe annehmen, wie die Stromlinien im Windkanal verlaufen oder wie das Feld eines Hufeisenmagneten aussieht. Auf Grund einer (allzu wörtlichen) Interpretation des Isomorphiebegriffs (als "Formgleichheit": ísos = gleich, morphé = Form) wird die gestalthafte Ordnung der Wahrnehmungsphänomene als geomentrisch deckungsgleich mit Hirnprozessen interpretiert und demgemäß für das Psychophysische Niveau ein Status postuliert, der sich durch die LAPLACEsche Gleichung beschreiben läßt. Auf diese Weise kam die gestalttheoretische Interpretation des Gehirns als eines homogeneen Elektrolyten zustande, bei dem kein Bedarf mehr für neuronale Leitungsbahnen besteht, da diese die Gestaltbildung nur stören oder gar verhindern würden. Das Versagen der "galileischen" Psychologie Die zentrale Voraussetzung des "galileischen" Denkansatzes, dass die Systemstruktur (und die dadurch bedingten Unterschiede der biologischen Artzugehörigkeit, der Antriebsthematik oder der Sinnesmodalität) nur als Randbedingungen zu betrachten seiern, ließ sich nicht halten. Die Systemstruktur erweist sich vielmehr als Träger von Wesensmerkmalen. "The Misbehavior of Organisms" Keller & Marian BRELAND (1960) die stillschweigenden Annahmen, dass das Tier als eine Art tabula rasa ins Laboratorium kommt, dass Artunterschiede bedeutungslos sind und dass alle Reaktionen etwa gleich gut auf alle Reize konditionierbar sind, lassen sich nicht länger aufrechterhalten. Nachdem wir 14 Jahre lang ununterbrochen Tausende von Tieren konditioniert und beobachtet haben, kommen wir widerstrebend zu dem Schluß, dass das Verhalten keiner Species angemessen verstanden, vorhergesagt oder kontrolliert werden kann, wenn man nicht ihre instinktiven Muster, ihre Stammesgeschichte und ihre ökologische Nische kennt. Wir sind jetzt bereit zuzugeben, dass ethologische Befunde und Ansätze in den vergangenen Jahren mehr dazu beigetragen haben, unsere praktische Kontrolle tierischen Verhaltens zu fördern, als die neueren Berichte aus amerikanischen "Lernlaboratorien". Bischof WS06/07, 12/4 "Conditioned taste avoidance" John GARCIA Widerlegung der Grundthese der klassischen Konditionierung, derzufolge jeder neutrale Reiz mit jeder bedingten Reaktion gleich gut assoziiert werden kann, sofern nur die Belohnung oder Bestrafung ideal zeitgleich (in "Kontiguität") mit diesem Reiz erfolgt ist. Frage fürs Arbeitsblatt Was läßt sich kritisch gegen das Programm einer "galileischen" Psychologie einwenden?