Zwei Erinnerungsberichte über die

Werbung
Zwei Erinnerungsberichte über die
Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
2
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Bericht des deutschen ehemaligen Häftlings August Bruns.
August Bruns war ab April 1941 im KZ Neuengamme inhaftiert.
Wie ich das KZ Neuengamme erlebte
Sofort nach dem Eintreffen im Lager begann die Aufnahme
mit der Belehrung durch den Oberscharführer Lüetgemeier
[Lütkemeyer], der den Neuankömmlingen [...] erklärte, die
SS habe alle Mittel, auch die der Prügelstrafe, um die Häftlinge zur Ordnung und Disziplin zu erziehen. Dann erschien
der Lagerschreiber Herbert Sch[emmel] und der Lagerälteste Köbes, verlas die Namen der Neulinge, ging mit ihnen zur Kammer, wo die Einkleidung und die Abgabe der
eigenen Sachen erfolgte. Selbst die Trauringe wurden abgenommen. Jeder bekam einen gestreiften Häftlingsanzug,
Unterhemd, Unterhose, Strümpfe (alles Lumpen) und Holzschuhe. Anschließend erfolgte die Einweisung auf die
Blocks [...].
Am nächsten Tag ging es zur Aufnahme, zur SS-Schreibstube, wo man „eingestuft“ wurde, einen roten, grünen
oder schwarzen Winkel und die Häftlingsnummer bekam.
Jeder wurde nach Vorstrafen, seiner bisherigen Tätigkeit
usw. gefragt und wer zögernd antwortete, bekam Ohrfeigen, oder auch Fußtritte. [...]
3
4
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Jeder Block hatte einen Tages- und einen Schlafraum und
war durchschnittlich mit etwa 250–300 Häftlingen belegt.
[Diese Angabe betrifft die Zeit um 1941; später waren die
Unterkünfte sehr viel stärker belegt.] Dem Schlafzimmer
angeschlossen war der Waschraum, und sofort daneben
waren die Klosetts (Gruben). Das Waschwasser wurde von
Häftlingen mittels Schwungrad hochgepumpt, und da es
unmittelbar neben den Klos war, war es verseucht und
durfte nicht getrunken werden. Eine einzige Trinkwasserleitung für das ganze Lager war damals auf dem Appellplatz.
Etwa 15 Minuten nach der Kaffeeausgabe hieß es schon:
„Antreten!“ Dann war Zählappell, anschließend Formierung
der Arbeitskommandos und Ausrücken zum Arbeitsplatz.
Bei der Formierung der Kommandos kam es häufig zu trostlosen Zwischenfällen. Brach ein oder mehrere Kumpel vor
Schwäche oder Krankheit zusammen, dann eilte der Lagerälteste (Köbes) (pol. Häftling) herbei und versuchte durch
Fußtritt, die am Boden Liegenden zum Aufstehen zu
zwingen und somit zur Arbeit mit auszurücken. An den
Außenwänden der Baracken, zum Appellplatz hin, stand
der Spruch:
„Es gibt einen Weg in die Freiheit, seine Meilensteine heißen: Arbeit, Fleiß, Ordnung, Gehorsam, Sauberkeit, Liebe
zum Vaterland.“
Welch beißende Ironie!
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Abends, nach Arbeitschluß, rückten die Kommandos ins Lager ein, wo dann wieder ein Zählappell stattfand und der
dann oft sehr lange dauerte, weil angeblich ein oder einige
Häftlinge fehlen sollten. Sobald es hieß: „Wegtreten!“, begann der Sturm aufs Revier zur ambulanten Behandlung
und auf die Blocks. Das Abendessen wurde erst ausgegeben, nachdem sich die Häftlinge gewaschen und ihre
Körper und ihre Klamotten nach Läusen abgesucht hatten.
Lange zu suchen brauchte da keiner, denn Läuse gab es
jede Menge. Das geschah auf Veranlassung der Blockältesten, die darauf bedacht waren, die Läuseplage möglichst
einzudämmen. Der Erfolg war natürlich bescheiden. Gelegentlich wurde auch mal ein ganzer Block, Schlafdecken,
Hosen, Jacken, Wäsche und Stiefel, soweit Häftlinge welche
hatten, entlaust. Aber auch dadurch hörte die Läuseplage
nicht auf. Um 22 Uhr mußten wir uns schlafen legen.
Nachts, bei Fliegeralarm, durfte keiner den Block verlassen.
Vor jedem Block lag ein kleiner Sandhaufen, der gegebenenfalls zum Löschen eines Brandes verwendet werden
sollte. Später, nachdem es zwei massive Häuser mit riesigen
Kellerräumen gab, wurden alle Häftlinge bei Fliegeralarm in
diese Keller getrieben, mit Gebrüll und Schlägen […]. Besonderer Schikane waren Häftlinge ausgesetzt, die wegen
Wassersucht arbeitsunfähig waren. Viele dieser Kranken
hatten so geschwollene Beine, daß sie nur mit Mühe die
Hosen noch darüberbekamen. Während der Arbeitszeit,
also den ganzen Tag, mußten sie vor dem Block stehen.
Das war das „Stehkommando“. Gelegentlich kamen SSBewacher ins Lager, die „Spindrevisionen“ durchführten.
5
6
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Sie nahmen Wäsche und Briefe fort. Jeder durfte nur zwei
Garnituren Wäsche besitzen und den letzten Brief aufbewahren. Aber auch, um sich die Zeit zu vertreiben, kamen
sie, ließen die Häftlinge Kniebeugen machen, oder sie mußten in Holzschuhen hüpfen. [...]
Zu dem allgemeinen inneren Tagesablauf gehörten auch die
täglichen Liquidierungen im Bunker: Erhängen, Erschießen
und Vergasen von einem bis zu 200 Häftlingen am Tage. Es
gab auch Künstler und Geistliche, die abgesondert untergebracht wurden. Etliche Geistliche trugen ihre Amtstracht.
Später waren auch eine Anzahl Kinder im Lager. Über deren
Schicksal liegt ein Bericht vor bzw. ist es aus Gerichtsurteilen bekannt. Tausende ausländische Häftlinge aus 28 Nationen, unter ihnen einige hundert Juden, bevölkerten das
Lager. Es gab auch tausend russische Kriegsgefangene, die
in zwei durch Maschendraht abgesonderte Blocks für einige
Monate im Lager waren. Durch ein Schild waren diese
Blocks als „Kriegsgefangenen-Lager“ kenntlich gemacht.
Etwa 350 von ihnen, die Neuengamme überlebt hatten,
kamen dann später auf Transport, um in einem anderen Lager ins Jenseits befördert zu werden. Für diese russischen
Gefangenen wurde extra gekocht, und da das Essen äußerst
schlecht war, starben 652 einen elenden Hungertod.
Kameraden-Diebstahl wurde äußerst hart geahndet. Wurde
einer beim Diebstahl erwischt, so bekam er nicht nur Prügel, sondern wurde am nächsten Morgen, auf Veranlassung
der betreffenden Blockältesten, in die Strafkompanie ge-
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
schickt und dort so geschunden, bis er körperlich und seelisch zusammenbrach und dann aus Verzweiflung über die
Postenkette ging. „Auf der Flucht erschossen“, hieß es
dann. [...] Der oder die SS-Posten wurden sofort abgelöst,
bekam drei Tage [Urlaub], Zigaretten und Schnaps als Belohnung. Das erlebte ich auf dem Elbe-Kommando
1941/42.
Das Zusammenleben der Häftlinge unter- und miteinander
unter den gegebenen Verhältnissen muß ich als gut, als
durchaus solidarisch bezeichnen. Unter den Tausenden von
Lagerinsassen war es nur eine sehr kleine Minderheit, die
ich als korrupt, brutal und verkommen, als Lumpenproletariat bezeichnen muß, und das waren keineswegs nur jene
BVer, mit dem grünen Winkel gekennzeichnet. [...] Unter
den sogenannten Funktionshäftlingen gab es natürlich auch
BVer, und wenn es zwischen ihnen und politischen Häftlingen dieser Funktionen wegen zum „Kampf“ gekommen ist,
so ist der doch geräuschlos ausgetragen [worden]. Ob das
immer mit Fairneß geschah, wage ich zu bezweifeln.
Jeder Funktionshäftling war bestrebt, seinen Posten möglichst zu festigen und lange zu behalten, so brauchte er persönlich keine körperliche Arbeit zu leisten. Mancher von ihnen wurde so zum Handlanger der SS-Bewacher. [...]
Geschäfte mit Brot und Mittagessen betrieben hauptsächlich Vorarbeiter und Kapos. Es wurden aber auch alle mög-
7
8
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
lichen andere Dinge gehandelt. […] Es gab auch Kumpel,
die abends auf dem Block für Unterhaltung sorgten durch
Vortrag oder Musik. Später gab es auch Theatervorstellungen, Fußballspiele und auch Boxkämpfe. Auf meinem Block,
1942/43, gab es auch ein illegales Empfangsgerät
[Radio]. [...] Viele Lagerinsassen haben aber Solidarität geübt, haben kranken und schwachen Kameraden bei der
Arbeit geholfen, auch mal ein Stück Brot, eine Zigarette, ein
Stück Kautabak ohne jede Gegenleistung gegeben. [...] Lag
ein Kumpel vom Block [...] im Revier, dann waren stets Kameraden da, die ihn besuchten, sich um ihn kümmerten.
[...]
Mit einem lila Winkel versehen waren die Bibelforscher [...].
Wegen ihres Glaubens lehnten sie den Wehrdienst ab, und
dabei blieben sie fest, auch wenn man ihnen die Freilassung
versprach. Bei jeder zusätzlichen Arbeit hieß es meistens:
„Bibelforscher raustreten!“ Immer waren sie darauf bedacht,
für ihre Glaubensanhänger zu werben. Als Kumpel haben
sie sich sehr fair benommen, und unter sich übten sie Solidarität.
Ende 1941, Anfang 1942 war es wohl, als der Appellplatz
betoniert wurde. Jeden Abend mußten wir vom Arbeitsplatz
große Steine, die als Packlage gebraucht wurden, ins Lager
schleppen, und das wochenlang. Täglich nach Feierabend
und auch an jedem Sonntag bis zur Fertigstellung, mußten
alle Häftlinge daran arbeiten. Das war eine zusätzliche Belastung für jeden nach dem schweren Arbeitspensum des
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Tages. Von Zeit zu Zeit hieß es abends beim Einmarsch ins
Lager: Kommando, z. B. „Messap“, bleibt nachher stehen.
Dann wurde gefilzt. Ungeachtet des Wetters, ob Regen
oder Schnee, je nach Laune der SS, mußten sie, die Häftlinge, sich ausziehen oder nur die Taschen leeren und alle
Habseligkeiten vor sich in die Mütze packen. Mit Vorliebe
wurden Tabakdosen und Feuerzeuge abgenommen. Mancher kontrollierte die Hosen, ob eine, die erlaubt war, oder
gar zwei Hosentaschen vorhanden waren. Wer zwei Hosentaschen hatte, mußte eine zunähen und sich dann melden.
Was Schikanen anbetraf, so waren die Bewacher einfallsreich. Das betraf auch den Haarschnitt. Mal mußte es ganz
kurz oder streichholzlang sein. Häufig wurde bei „langem“
Haar dann mit der Maschine ein breiter Scheitel von der
Stirn bis zum Nacken geschnitten, und das nannte man
„Autobahn“. Wenn abends nach Feierabend ein oder gar
mehrere Häftlinge öffentlich gehängt werden sollten, dann
erfuhren wir das mittags, wenn das Essen zum Arbeitsplatz
gebracht wurde. Es gab zwei Galgen im Lager, und die
Essenträger sahen ja, ob einer oder beide Galgen auf dem
Appellplatz aufgestellt waren. Bei diesen Exekutionen stand
das ganze Lager angetreten und mußte zusehen. […]
Genau erinnere ich mich aber auch an ein grauenhaftes Ereignis, das wohl 1944 geschehen ist. Ein angeblicher Türmer [Geflohener] war von den Hunden der SS völlig zerfleischt, lag auf dem Appellplatz und wir alle mußten an ihm
vorbeimarschieren. Den grauenhaften Anblick werde ich
nie vergessen.
9
10
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Ab Mitte 1942 gab es im Lager auch ein ordentliches „Badehaus“ mit zwei Ankleideräumen und etwa 20 Duschen.
Etwa zur gleichen Zeit war auch das Lager-Krematorium mit
zwei, nachher wohl vier Öfen fertiggestellt. [...]
Gegen Ende 1941 bis zum 31.3.1942 war über das Lager,
wegen Flecktyphus, Quarantäne verhängt. Grausam räumte
der Tod unter den ohnehin anfälligen, ausgemergelten Häftlingen auf. Es war ein Massensterben. [...] Alle sechs oder
zwölf Monate präsentierte die Lagerleitung die Rechnung
für die angeblich in dieser Zeit verlorengegangenen Schlafdecken. Der geforderte Betrag mußte dann von den Häftlingen aufgebracht werden. Eine Anzahl Decken ging, speziell
im Winter, dadurch verloren, weil sie zu Fußlappen und
Bauchbinden als Kälteschutz verwendet wurden. 1941/42
habe ich erlebt, wie ein jüdischer Häftling in den elektrisch
geladenen Draht gesprungen war und so Selbstmord verübte. Einige Zeit später tat das noch ein anderer Häftling.
[…] Wenn Erschießungen von Wehrmachtsangehörigen bei
der Kläranlage durchgeführt wurden, dann durfte in dieser
Zeit kein Häftling den Block verlassen.
Beim Brotempfang für den Block – empfangen wurde es
vom Blockdienst –, hat einmal eine Gruppe, etwa 10–12
junge Russen, eine Trage umgekippt, sie schnappten sich einige Brote und wie der Blitz waren sie verschwunden. Ich
bin davon überzeugt, daß sie dieses Brot unter den Russen
im Lager aufgeteilt haben. Sie übten immer Solidarität.
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Ich selbst habe 1943 mit nur noch 78 Pfund Gewicht
schlappgemacht. Die Arbeitskommandos rückten aus, und
ich hatte mich in der Nähe der Küche vor einem Block
niedergesetzt. Nach etwa 15–20 Minuten kam der „lange
Fritz“ – heute weiß ich, es war Fritz Schön, pol[itischer]
Häftling, betrachtete mich und sagte: „Ist ja ein Alter!“,
nahm mich auf die Arme und trug mich auf seinen Block.
Fritz Schön war derzeit in der Leichenhalle tätig. Noch am
gleichen Tage sprach ich mit einem im Lager beschäftigten
BVer, und durch seine Fürsprache fing ich am nächsten
Morgen in der Kartoffelschälküche an zu arbeiten. Er wurde
später in ein anderes Lager abgeschoben, seinen Namen
habe ich vergessen. Die mir von beiden bewiesene Solidarität werde ich aber niemals vergessen. Einige Monate blieb
ich dort und erholte mich wieder. Das war meine Rettung.
Von dort kam ich zur „Messap“ und dort blieb ich bis zum
Schluß, Ende April 1945.
Seit 1942/43 gab es eine 20–25 Mann starke Kapelle. Die
Musiker gehörten durchweg zum Blockdienst, unter ihnen
viele Tschechen. […] Seitdem rückten wir früh mit Marschmusik aus und bei klingendem Spiel wieder ein. Im Sommer
1944 wurde auch ein Bordell eingerichtet. Die Frauen kamen aus einem Frauenlager, aber wie viele es waren, das
weiß ich nicht. Sicher versprach man sich von der Lagerleitung eine noch bessere Arbeitsleistung von den Häftlingen.
Täglich wurde in kleinen Gruppen diskutiert. Dies war so
selbstverständlich, daß ich es fast zu erwähnen vergessen
habe. Da wurde die gegenwärtige Lage besprochen, mit
11
12
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Spanienkämpfern über ihre Erfahrungen und Erlebnisse diskutiert. Recht lebhafte Aussprachen gab es zu der Zeit, als
der Pakt zwischen „Stalin“ und „Hitler“ abgeschlossen und
bekanntgeworden war. Geradezu schockiert war die Wachmannschaft. [...] Durch das ständige Vordringen alliierter
Streitkräfte [1944] wurden viele Strafanstalten geräumt, und
so kamen [...] viele solcher Massentransporte im Lager an.
Wir mußten zu dritt in zwei Betten schlafen, zeitweilig auch
zu zweit in einem Bett. Man hat die Häftlinge aus den Transporten möglichst rasch weitergeschickt. Wohin? Im April
begann dann auch die Räumung unseres Lagers. Fußkranke, Marschunfähige wurden mit der Bahn abtransportiert, andere zu Fuß in Marsch gesetzt. Alle Transporte gingen in den Norden, wo hätte man sonst noch hingekonnt?
[...]
Noch erwähnen muß ich einen Transport uniformierter, dänischer Polizeibeamter, die einige Zeit im Lager festgehalten
wurden. Bei der sogenannten „Gewitteraktion“ [„Aktion Gewitter“: Verhaftungsaktion der Gestapo nach dem Aufstandsversuch vom 20. Juli 1944] waren eine Anzahl SPDLeute, unter ihnen Kurt Schumacher, für einige Wochen im
Lager. [...]
An den Wänden im Tagesraum der Neubau-Blocks waren
lebensgroße Bilder, die Häftlinge (Moorsoldaten) darstellten, sowie eine aufgehende Sonne gemalt. Unter der Sonne
stand: „Uns geht die Sonne nicht unter!“ In farbig sind sie
von einem französischen Künstler (Häftling) gemalt worden,
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
so wurde mir erzählt. Unvergessen bleibt mir auch Andree
Madrucks [André Mandrycxs]. Ihn kann man einfach nicht
vergessen, weil er jedem half und zu jeder Zeit hilfsbereit
war. Er war ein Mensch, wie man ihn nur äußerst selten antrifft.
23 bis 27 Jahre nach all den Erlebnissen ist es sehr schwer,
genaue Fakten und Daten anzugeben. Was und wie es mir
gerade einfiel, so habe ich es niedergeschrieben. Es hätte
zwanzig Jahre früher geschehen müssen.
August Bruns.
Bericht „Wie ich das KZ Neuengamme erlebte“,
nicht datiert [1968]. (ANg)
13
14
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Bericht des deutschen ehemaligen Häftlings Fritz Bringmann
Fritz Bringmann war von September 1940 bis April 1944
im KZ Neuengamme inhaftiert.
Allgemeine Lagerverhältnisse
1942 standen 16 Baracken für die Unterbringung der Häftlinge zur Verfügung. Sie waren ca. 52 × 8 m groß und enthielten zwei Schlaf- und Aufenthaltsräume, in denen sich
fünf große Tische, Bänke und Spinde sowie ein Ofen befanden. Darüber hinaus war jeweils ein Wasch- und Toilettenraum vorhanden. Im Lager [waren] alle Blocks weit überbelegt […]. Betten standen auch nicht ausreichend zur Verfügung, und die Mehrzahl der Gefangenen mußte auf
Strohsäcken schlafen, die dicht nebeneinander auf dem
Boden lagen. Mußte nachts die Toilette aufgesucht werden,
war es sehr schwer, hinterher den alten Platz wieder einzunehmen. 1942/1943 wurden in etlichen Blocks weitere Betten (dreistöckige Pritschen mit Strohsäcken) aufgestellt. Bei
einer Belegung des Blocks mit bis zu 700 Häftlingen (vor
Beginn des Zweiten Weltkrieges 140 Inhaftierte) war auch
die morgendliche Benutzung der Waschanlagen und Toiletten – je Block standen 12 Latrinen und acht Wasserleitungshähne zur Verfügung – ein ständiges Problem. Im Häftlingsbad konnte nur alle vier bis sechs Wochen geduscht
werden.
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
1943/1944 wurden zwei einstöckige massive Steinbauten
errichtet, und zwar am Anfang und Ende des Lagers; dazwischen befanden sich die Baracken. Die Steinbauten waren
ursprünglich für 1000 Häftlinge vorgesehen, belegt waren
sie jedoch mit bis zu 4000 Gefangenen. Gegen Ende des
Krieges war die Überbelegung der Blocks am größten. Oft
lagen drei Häftlinge in einem Bett.
Durch das Kriegsgeschehen 1944 nahm der Häftlingsbestand im KZ Neuengamme außerordentlich zu. Die Zahl der
mit einer Häftlingsnummer versehenen Gefangenen stieg
von 26 000 auf 69 000. Es wurden 46 größere Transporte
innerhalb dieses Jahres registriert. Es trafen Großtransporte
aus Griechenland, Frankreich und anderen Ländern ein,
z. B. kam aus dem KZ Salaspils bei Riga ein Transport mit
500 bis 600 Jungen im Alter von neun bis 12 Jahren. Für einen Teil dieser Kinder wurde von politischen Häftlingen ein
schulmäßiger Unterricht organisiert, der nicht unwesentlich
dazu beitrug, ihren Überlebenswillen zu stärken.
Noch beengter wurden die Verhältnisse nach dem Attentat
vom 20. Juli 1944, als etwa 800 Deutsche aus dem nordwestdeutschen Raum nach der sogenannten Aktion Gitter
[„Aktion Gewitter“: Verhaftungsaktion der Gestapo nach
dem Aufstandsversuch vom 20. Juli 1944] eingeliefert wurden. Es handelte sich vorwiegend um Funktionäre und Ab-
15
16
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
geordnete der SPD, KPD und des ADGB (Allgemeiner
Deutscher Gewerkschaftsbund). Es folgten Transporte aus
Frankreich, die Präfekten, Bischöfe und Minister ins Lager
brachten, für deren Unterbringung ein Sonderlager eingerichtet wurde. Danach kamen im September die ersten
Dänen, darunter am 19. September dänische Polizisten in
Uniform.
Der Tagesablauf im Lager sah wie folgt aus:
4.15 Uhr Aufstehen, um 5.00 Uhr gab es „Kaffee“, um 6.00
Uhr hieß es „Abrücken zur Arbeit!“. Von 9.00 bis 9.15 Uhr
war die erste Pause, und von 12.00 bis 13.00 Uhr war Mittagszeit. Danach wurde bis 18.00 Uhr durchgearbeitet.
Nach dem Wiedereinrücken der Kommandos fand der Zählappell statt. Es mußte blockweise auf dem Appellplatz angetreten werden. Zunächst prüfte der Blockälteste, ob die angetretenen Häftlinge mit dem Bestand im Blockbuch
übereinstimmten. Dann ließ er sie strammstehen und meldete dem jeweiligen Blockführer die Stärke der angetretenen Häftlinge. Dieser nahm die Kontrolle vor und gab die
Meldung dem Rapportführer weiter. Stimmte der Häftlingsbestand des Konzentrationslagers, mußte der Rapportführer es dem Schutzhaftlagerführer melden. Zuvor gab es das
Kommando „Stillgestanden! Mützen ab!“ Die Mütze mußte
dabei vom Kopf gerissen und gegen den rechten Oberschenkel geschlagen werden. Erklang es nicht wie ein einziger Schlag, mußte nach dem Appell das „Mützen ab!“ so
lange geübt werden, bis der Rapportführer zufrieden war.
Danach konnten die Blocks aufgesucht und das Abendbrot
eingenommen werden.
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Die Verpflegung bestand 1942/43 aus morgens dreiviertel
Liter sogenannter Milchsuppe, besser gesagt: warmes Wasser mit etwas Magermilchpulver in einem 50-Liter-Kessel
oder auch einem halben Liter Ersatzkaffee. Mittags gab es
eineinviertel Liter Suppe, meist Weißkohl, Rotkohl oder
Steckrüben mit wenig Kartoffeln, Fleisch- oder Fetteinlage.
Abends wurden 300 Gramm Brot, abwechselnd 20 Gramm
Margarine oder ein Löffel Marmelade oder eine Scheibe
Wurst oder Käse ausgegeben. Von Ende 1942 bis Ende
1943 wurde die sogenannte Schwerarbeiterzulage eingeführt, die es aber nur in der Mittagszeit auf dem betreffenden Arbeitskommando gab. Sie bestand meistens aus zwei
Scheiben Brot mit einer Scheibe Wurst oder Käse in der
Mitte als Belag. Diese Zulage erhielten alle Fach- und
Schwerarbeiter, nur etwa 20 Prozent der Häftlinge.
1944/45 gab es morgens, wie beschrieben, die Suppe, mittags einen bis eineinviertel Liter Suppe, noch weniger Fettoder Fleischeinlage oder Kartoffeln – meistens Steckrüben –, abends 300 Gramm Brot und etwas Zubrot, dessen
Qualität immer schlechter wurde. Es war naß und glitschig
und nicht mehr, wie früher, trockenes Schwarzbrot.
Die Verpflegung stand in keinem Verhältnis zur körperlichen Belastung. Ein Gewichtsverlust hatte schwere körperliche Schäden zur Folge. Hungerödeme waren sehr verbreitet, geschwollene Füße und Gesichter zeigten den
Gesundheitsverfall an. Trotz dieser Krankheiten trieb die SS
die Häftlinge zur Arbeit. Oft brachen die Kranken schon am
17
18
Zwei Erinnerungsberichte über die Lebensbedingungen im KZ Neuengamme
Vormittag zusammen. Sie wurden auf die Seite gelegt und
nach Beendigung der Arbeit ins Lager getragen oder auf
Rollwagen transportiert, die von Mithäftlingen gezogen
werden mußten. Sie wurden dann aber nicht ins Krankenrevier gebracht, sondern mußten während des Appells auf
dem kalten und nassen Betonboden liegen.
Aus: Fritz Bringmann: KZ Neuengamme. Berichte,
Erinnerungen, Dokumente, Frankfurt am Main 1981, S. 27–29.
Herunterladen