72 | Kliniken handelszeitung | Nr. 41 | 13. Oktober 2011 Wenn Ängste zur Gefahr werden Stephan n. trier D er häufig wohlmeinend ange­ brachte Mutmacher «Nimms dir nicht so sehr zu Herzen» ist nur ein Beispiel, wie sich die enge Verbindung zwischen der Psyche eines Menschen und dem «Motor des Lebens» offenbart. Oft­ mals verstärken sich Herzprobleme und psychische Störungen gegenseitig. Besonders evident ist der Zusammen­ hang von Erkrankungen der Psyche und solchen des Herzens bei Angststörungen. aNzeigeN So zeigen sich Angststörungen unter an­ derem in Form von Brustschmerzen und einer übermässig erhöhten Pulsfrequenz. Betroffene interpretieren dies oft als An­ zeichen eines Herzinfarkts und suchen den Notarzt auf; das EKG und weitere kör­ perliche Untersuchungen sind unauffällig. Zum Kardiologen oder zum Psychiater? Angstsymptome können aber durch körperliche Erkrankungen oder Drogen bedingt sein, weshalb eine umfassende Abklärung bei erstmaligem Auftreten immer angezeigt ist. Angina Pectoris, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen und Lungenembolien gehen meist mit inten­ siven Angstzuständen einher. Schilddrü­ senüberfunktionen oder Unterzuckerung können auch Angstattacken hervorrufen. Zudem muss an Entzugssyndrome und Intoxikationen mit Stimulantien oder Hal­ luzinogenen gedacht werden. Die früher als Herzphobie oder Herz­ angstsyndrom bezeichneten Phänomene werden heute der Panikstörung zugeord­ net. Diese kommt bei Frauen etwa doppelt Fotolia Psyche Menschen mit angststörungen und Depressionen tragen ein erhöhtes risiko, eine herz-Kreislauf-erkrankung zu erleiden. Seinem Herz Luft machen: Sich von Ärger und Ängsten zu befreien, hilft nicht nur der psyche. es schont auch vor herz-Kreislauf-erkrankungen. so häufig vor wie bei Männern, der Beginn liegt meist im dritten Lebensjahrzehnt. Das Lebenszeitrisiko, an einer Panikstö­ rung zu erkranken, liegt zwischen drei und vier Prozent. Bei der Entstehung von Pa­ nikstörungen spielen anlagebedingte und auslösende Faktoren eine Rolle. Letztere können traumatische Ereignisse, man­ gelnde soziale Fertigkeiten, plötzliche oder länger dauernde Belastungen wie beispielsweise Verlust (Trennung, Schei­ dung, Tod), Stress am Arbeitsplatz oder Mobbing sein. Ein ungesunder Lebensstil kann zur Entstehung beitragen. Bei der Panikstörung besteht unbehan­ delt eine hohe Chronifizierungsgefahr. Klassischerweise fürchten sich die Betrof­ fenen in grossen Menschenansammlun­ gen, beispielsweise im Kino, empfinden Panik beim Gedanken, dort plötzlich ei­ nen Angstanfall zu erleiden – hilflos, ohne sofort nutzbaren Fluchtweg, weit entfernt von sicheren, beschützenden Orten wie zu Hause. Sie haben Angst, alleine im Zug, Bus, Tram oder Flugzeug zu reisen; in Be­ gleitung einer vertrauten Person fällt dies leichter. Diagnose einer Panikstörung Für die Diagnose einer Panikstörung bedarf es mindestens einer Panikattacke pro Woche über einen Monat oder mehr. Die Panikattacke ist ein Zustand überwäl­ tigenden Bedrohtseins, intensiver Angst und Unbehagens. Die Attacken beginnen typischerweise plötzlich. Im Vordergrund stehen vegetative Symptome (körperliche Komponente der Angst) wie Herzklopfen, Engegefühl in der Brust, Kurzatmigkeit/ Atemnot, Mundtrockenheit, Kribbel­/ Taubheitsgefühle, Zittern, Schweissaus­ brüche, Hitzegefühl, Kälteschauer, Schwä­ che und Schwindel. Ein Grossteil dieser Beschwerden ist durch die fast immer vor­ handene Hyperventilation (oft nicht be­ wusst!) verursacht. Die Panik erreicht innerhalb weniger Minuten ein Maxi­ mum; die einzelnen Episoden dauern in der Regel 10 bis 30 Minuten. Während der Panikattacke nimmt die Angst crescendo­ artig zu, um dann wieder langsam ab­ zuklingen. Zwischen den Panikattacken liegen weitgehend angstfreie Räume, die aber von Erwartungsangst vor dem nächs­ ten Angstanfall geprägt sind. Eines der Hauptprobleme bei Panik­ störungen besteht darin, dass Betroffene angstauslösende Situationen meiden (Vermeidungsverhalten). Dies entlastet in der Situation, führt aber langfristig zu einer Verstärkung der Angststörung. Zu­ nehmende soziale Isolation bis hin zur Invalidisierung kann die Folgen sein. Angststörungen sind gut therapierbar Aktuelle Studien zur Therapie von Angststörungen zeigen, dass die Erfolgs­ quote einer Kombinationsbehandlung mit Verhaltenspsychotherapie und Medi­ kamenten (Serotoninwiederaufnahme­ hemmer) bei über 80 Prozent liegt. Im Rahmen der verhaltenspsychothe­ rapeutischen Behandlung müssen sich Betroffene ihren Ängsten stellen (Exposi­ tion) und dabei die positive Erfahrung machen, dass die Angst in der angstauslö­ senden Situation wieder abnimmt. Diese Lernerfahrung muss wiederholt erfolgen, was zu einer Abnahme der Angst führt (Habituation). Einen weiteren Fokus der Behandlung einer Angststörung bildet die Reduktion des sehr hohen inneren Anspannungs­ niveaus der Betroffenen. Dies kann einer­ seits mittels Entspannungstechniken, an­ dererseits medikamentös erreicht werden. Bei Letzterem ist jedoch Vorsicht geboten, da die sehr gut angstlösenden Beruhi­ gungsmittel (Gruppe der Benzodiazepine) bei längerem Konsum zu einer körperli­ chen Abhängigkeit führen können. Bei rechtzeitiger Behandlung in hierfür spezialisierten Kompetenzzentren sind die Aussichten also gut, eine Angststörung erfolgreich bewältigen zu können. Stephan n. trier, Ärztlicher Direktor, privatklinik aadorf, aadorf.