Altes Leiden - Akademie der Ärzte

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 Abschlussarbeit
ÖÄK Diplomlehrgang Geriatrie Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Franz Böhmer
Prim. Univ. Prof . Dr. Monika Lechleitner Rückfragen: österreichische akademie der ärzte Weihburggasse 2/5 A‐1010 Wien Tel.: +43 1 512 63 83‐40DW „Altes Leiden“ Praktische und theoretische Aspekte der Diagnostik und Therapie der Depression im Alter Abschlussarbeit für den ÖAK Diplomkurs Geriatrie der Akademie der Ärzte, 2010 Eingereicht von Dr. Karin Sodl Inhalt Einleitung........................................................................................................................................................... 3
Methodische Herangehensweise .................................................................................................................. 3
Biopsychosoziales Modell.............................................................................................................................. 3
Definition ........................................................................................................................................................... 4
Ätiologie............................................................................................................................................................. 5
Organische Ursachen..................................................................................................................................... 5
Somatische Faktoren ..................................................................................................................................... 5
Psychosoziale Faktoren ................................................................................................................................. 6
Überlegungen zum Alterungsprozess........................................................................................................ 6
Besondere Lebensereignisse ..................................................................................................................... 6
Klinik .................................................................................................................................................................. 7
Differentialdiagnose .......................................................................................................................................... 8
Organische Krankheiten ................................................................................................................................ 8
Trauer und Depression .................................................................................................................................. 8
Demenz.......................................................................................................................................................... 8
Psychose ........................................................................................................................................................ 9
Bipolare Erkrankung ...................................................................................................................................... 9
Therapie............................................................................................................................................................. 9
Medikamentöse Therapie ............................................................................................................................. 9
Unterscheidungen nach Funktion, chemischer Struktur und klinischem Effekt ....................................... 9
Fist‐Line und Second‐Line Therapie ........................................................................................................ 10
Neueste Empfehlungen ........................................................................................................................... 11
Mögliche Nebenwirkungen der Antidepressiva ...................................................................................... 11
Wechselwirkungen der Antidepressiva ................................................................................................... 12
Behandlungsleitfaden.............................................................................................................................. 13
Sozialpsychiatrische Therapie...................................................................................................................... 13
‐ 1 ‐ Psychotherapie ............................................................................................................................................ 14
Allgemeine Aspekte und Überlegungen.................................................................................................. 14
Methodenspezifische Aspekte ................................................................................................................ 16
Psychoanalyse.......................................................................................................................................... 16
Interpersonelle Therapie (IPT)................................................................................................................. 17
Familientherapie/Systemische Therapie................................................................................................. 18
Verhaltenstherapie (VT) .......................................................................................................................... 19
Weitere Ansätze der Psychotherapie ...................................................................................................... 21
Andere Therapiealternativen ...................................................................................................................... 21
Prognose.......................................................................................................................................................... 21
Suizidalität im Alter ..................................................................................................................................... 22
Schlussfolgerung.............................................................................................................................................. 23
Literaturverzeichnis ......................................................................................................................................... 25
‐ 2 ‐ Einleitung In dieser Arbeit soll ein Überblick gegeben werden über die Depression im Alter, ihre Besonderheiten und Therapiemöglichkeiten. Es werden Definition, Ätiologie, Differentialdiagnosen und Therapie erläutert. Wesentliches Gewicht wird dabei auf die praktisch wichtigen Aspekte sowie auf die klinische Problematik der Psychotherapie von Depression im Alter gelegt. Methodische Herangehensweise Es handelt sich hierbei um eine Übersichtsarbeit unter Heranziehung der relevanten Literatur und nicht um eine empirische Untersuchung. Ich versuche eine Zusammenschau von wissenschaftlicher Übersichtsliteratur (Reviews, Journals, Lehrbücher) mit klinisch‐ärztlichen Erfahrungstatsachen. Dabei greife ich auf meine persönliche Erfahrung als Turnusärztin sowie als vorübergehende Assistenzärztin an einer psychiatrischen Klinik zurück. Eine wesentliche Fragestellung hierbei ist, wie meine persönliche ärztliche Erfahrung und der Wunsch nach konkreten Handlungsgrundlagen mit der wissenschaftlichen Literatur in Zusammenhang gebracht werden kann. Das therapeutische Handeln verlangt allgemeine Grundsätze und Prinzipien, die in der Praxis eine Orientierung bieten, während die wissenschaftliche Literatur vor allem Einzeltatsachen nachgehen muss und daher naturgemäß zur Zersplitterung neigt. Die Arbeit an einer schriftlichen Übersicht des Themas war zugleich die Frage nach einer Syntheseleistung, die das Gelesene für die Praxis anwendbar machen soll. Es ging mir also darum, Wissen, Erfahrungen und Reflexionen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Biopsychosoziales Modell Die Frage nach der Einheit der verschiedenen Lebensaspekte des Menschen haben sich auch schon andere gestellt. So wurde in der Geschichte der psychosomatischen Medizin mehrfach bei Uexküll (1988, 1991) und anderen Autoren in Form des biopsychosozialen Krankheitsmodells dazu angeregt, biologische, psychologische und soziale Faktoren für sich genommen und in ihren komplexen Wechselwirkungen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheiten zu berücksichtigen. Egger fasst das Modell folgendermaßen zusammen: „Das biopsychosoziale Modell gilt inzwischen als die bedeutendste Theorie für die Beziehung zwischen Körper und Geist. Mit ihm ließ sich das über Jahrhunderte fortbestehende logische und empirischwissenschaftliche Problem der Psychosomatik auf systemtheoretischer (und semiotischer) Basis einigermaßen zufrieden stellend lösen. Nach diesem Modell eines ganzheitlichen Krankheitsverständnisses kann es keine psychosomatischen Krankheiten geben – genau so wenig wie es nicht‐psychosomatische Krankheiten gibt. Krankheit stellt sich dann ein, wenn der Organismus die autoregulative Kompetenz zur Bewältigung von auftretenden Störungen auf beliebigen Ebenen des Systems ,Mensch’ nicht ausreichend zur Verfügung stellen kann und relevante Regelkreise für die Funktionstüchtigkeit des Individuums überfordert sind bzw. ausfallen. Wegen der parallelen Verschaltung der Systemebenen ist es nicht so bedeutsam, auf welcher Ebene oder an welchem Ort eine Störung generiert oder augenscheinlich wird, sondern welchen Schaden diese auf der jeweiligen Systemebene, aber auch auf den unter‐ oder übergeordneten Systemen zu bewirken imstande ist. Krankheit und Gesundheit sind im biopsychosozialen Modell nicht als ein Zustand definiert, sondern als ein dynamisches Geschehen. So gesehen muss Gesundheit in jeder Sekunde des Lebens ,geschaffen‘ werden.“ (Egger 2005, S. 3) ‐ 3 ‐ Definition In ICD 10 sind folgende Kategorisierungen der Depression aufzufinden: •
Depression als singuläres Ereignis in einer Biographie fällt hier unter den Schlüssel F32 und wird als depressive Episode bezeichnet. •
Im Falle sich wiederholender Depressionen werden diese unter F33 klassifiziert und als rezidivierende depressive Störung bezeichnet Als Psychopathologische Leitsymptome werden im ICD beschrieben (vgl. ÖGPB 2007, S.6): 1. Deprimierter Affekt 2. Interessens und/ oder Freudlosigkeit 3. Antriebslosigkeit mit erhöhter Ermüdbarkeit 4. Konzentrationsstörungen 5. Vermindertes Selbstwertgefühl 6. Schuldgefühle, Gefühl von Wertlosigkeit 7. Hemmung/ Unruhe 8. Selbstschädigung 9. Schlafstörungen 10. Verminderter Appetit Für die Diagnose einer depressiven Erkrankung müssen 2 oder 3 der Symptome 1‐3 und 2‐4 der Symptome 4‐10 mindestens 2 Wochen lang vorhanden sein (vgl.ÖGPB 2007, S.6). Je nach Anzahl und Schwere der genannten Symptome unterscheidet man eine leichte, mittelgradige oder schwere depressive Episode (vgl. Ebert 2005, S.217). Ebert (2005, S. 210) betont weiters, dass Symptome der Depression häufig Tagesschwankungen unterworfen sind, meist mit einem Morgentief und einer abendlichen Aufhellung. Am Höhepunkt der Erkrankung kann diese Tagesschwankung allerdings nicht mehr festgestellt werden ‐ „alles ist schlecht“. Heuft/Kruse und Radebold (2000 S.125) unterscheiden in ihrem Werk weiters: •
Spätdepressionen: treten erstmals nach dem 45.Lebensjahr auf •
Altersdepressionen: treten jenseits des 60. Lebensjahres auf •
Depressionen im Alter: erneute Manifestationen einer depressiven Störung, die bereits zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr begonnen hat ‐ 4 ‐ Rothenhäusler und Täschner (2007, S. 335) unterscheidet je nach dominierendem Erscheinungsbild verschiedene syndromatologische Depressionsformen: •
wahnhafte oder psychotische Depression (mit synthymen psychotischen Phänomenen wie Verschuldungs‐, Verarmungs‐, Beziehungs‐, Versündigungs‐ oder Bestrafungswahn) •
melancholische Depression (emotionale Herabgestimmtheit ohne äußeren Ansatz, „Losigkeits‐
Syndrom“, fehlende Affizierbarkeit und Antrieb) •
lavierte, maskierte oder somatisierte Depression (somatische Phänomene im Vordergrund bei scheinbarem Fehlen typischer psychischer Symptome der Depression) •
gehemmte Depression (Denkhemmung, Antriebsarmut, Teilnahmslosigkeit) •
agitier‐ängstliche Depression (Angstzustände mit Spannung, innere Unruhe, Wehklagen) •
atypische Depression (allen gemeinsam ist der Wesenszug exzessiver Kränkbarkeit im Sinne einer Überempfindlichkeit gegenüber subj. Empfundenen Zurückweisungen, verbunden mit Hypersomnie und gesteigertem Appetit) •
anankastische Depression (verbunden mit Zwangsgedanken, Zwangshandlungen) •
nihilistische Depression (wahnhafte Fixierung darauf, nur zum Schein zu existieren, tot zu sein) Ätiologie Jeder Patient sollte von einem Arzt gesehen werden. Nur dadurch können organische Differentialdiagnosen erfasst werden (vgl. im Folgenden Rothenhäusler 2007, S.330). Organische Ursachen Bezüglich organischer Ursachen konnte ein Einfluss genetischer Faktoren nachgewiesen werden. Zwillingsstudien zeigten, dass die Konkordanzraten eineiiger Zwillinge im Mittel bei 50% liegen. Somatische Faktoren •
Störungen der Neurotransmission: Noradrenalin bzw. Serotoninmangelhypothese nach Schildkraut und Coppen (Verminderung von Noradrenalin bzw. Serotonin bei unipolar depressiven Patienten im ZNS im Vergleich zu Gesunden) •
Neuroendokrinologische Störungen: Störungen der Hypothalamus‐Hypophysen‐Nierenachse (path. Dexamethason‐Hemmtest bei 50% der depressiven Patienten) •
Medikamente: bei der Einnahme folgender Medikamente zeigt sich ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer Depression: Benzodiazepine (es gibt ein Spätsyndrom nach langjährigem Benzodiazepin‐Abusus, das sich durch affektive Labilität, kognitive und mnestische Einbußen und Depression auszeichnet), Antihypertensiva, Glucokortikoide, Interferon, hochpotentente Typika, Antibiotika ‐ 5 ‐ •
Somatische Erkrankungen: einige körperliche Erkrankungen zeigen eine klare Assoziation zu Depressionen (MCI (medikamentöse antidepressive Therapie reduziert die Mortalität), Pulmonalembolie, Insult, Hypothyreose, M. Cushing, Epilepsie, Diabetes mellitus) Psychosoziale Faktoren Überlegungen zum Alterungsprozess Jede und jeder altert. Zum Alterungsprozess gehört dazu, dass man nicht mehr ist, wer man einmal war. In Wirklichkeit gilt dies fürs das gesamte Leben (das kleine Kind ist z.B. irgendwann nicht mehr der Liebling der Mutter). Wie soll man eine Identität aufgeben? Identität ist eine Fluktuation. Ohne Lernprozess bleibt das Selbstbild gleich, aber die Realität verändert sich. Im Alter fällt nun das, was schon das gesamte Leben über passiert ist, auf. Es geht darum, als natürlich vorausgesetzte Identitäten (Körperwahrnehmung, beruflicher Status usw.) verlieren zu können und dies zu verkraften. Im Alter nimmt die Lernfähigkeit ab. Das heißt, man ist auf die erworbenen Lebensstrategien (z.B. Einstellungen, was man glaubt zu sein und was man tut, um glücklich zu sein) angewiesen und oft rächt sich die Realität (Kinder wenden sich ab, man versteht nicht, warum...). Im Alter erntet man, was man in jüngeren Jahren gesät hat – sowohl im Positiven als auch im Negativen. Man bekommt sozusagen „die Rechnung präsentiert“ durch die Beziehungen, die einem bleiben, durch die erreichten oder nicht erreichten Berufsziele, durch das biologische Alter (Missbrauch, Fitness...). Manchmal wird man mit einer Rechnung konfrontiert, die einem fremd erscheint – etwa wenn man meint, etwas nicht selbst durch den bisherigen Lebenswandel verursacht zu haben. Im Alter wird auch über die Dinge bilanziert, die man selbst getan hat. Das Leben war gerecht/ungerecht, hat gute oder schlechte Vorraussetzungen geboten. Im Endeffekt bleibt aber das Resultat des Hier und Jetzt, mit dem man sich im Alter zu befassen hat. Besondere Lebensereignisse Kritische Ereignisse wie Verlust des Ehepartners, Krankheit, Gebrechlichkeit, körperliche Funktionseinschränkungen, Vereinsamung gehen mit dem Alter einher. Es kommt zu soziale Einbußen, die Gedächtnisleistung nimmt ab, was wiederum die Abhängigkeit verstärkt, in die viele ältere Menschen ohnehin schon durch die körperlichen Einschränkungen schlittern. Das Ende der Berufstätigkeit, die für viele bis dahin soziale Achtung und auch wieder Kontakte garantierte, wird zur Belastung. Auch nicht mehr alles schaffen zu können, von großen Zielen Abstand nehmen zu müssen ‐ nicht weil man es nicht mehr will, sondern weil man nicht mehr kann – wird als zunehmende Belastung erlebt. Dabei hängt es natürlich von unterschiedlichen Faktoren ab, inwiefern diese zunehmenden Einschränkungen als Belastung erlebt werden. Die Bewertung der jeweiligen abnehmenden Körperfunktion spielt eine Rolle ‐ ein Sportler wird den Verlust der Kontrolle über seiner Gehfähigkeit beispielweise als weitaus schlimmer empfinden, als jemand, dessen Leidenschaft Lesen und Bücher sind. Für denjenigen würde wiederum ein Visusverlust eine sehr große Einschränkung darstellen. Auch die Bewertung der Umwelt – die Konfrontation mit den Vorurteilen gegenüber Älteren in unserer äußerst Jugend‐, Leistungs‐, und Gesundheitsorientierten Gesellschaft spielt eine Rolle. Weiters hängt es von den Erwartungen ab, die man bezüglich des Älterwerdens hat. Gehört es ins Bild, gewisse Verluste und Bedrohungen zu erleben oder ‐ 6 ‐ wird man davon völlig überrascht? Auch hängt es natürlich davon ab, ob mehrere Verluste kumulativ in kurzer Zeit oder vereinzelt und mit Abständen auftreten, sodass Zeit zum Verarbeiten bleibt. Mit der abnehmenden Leistungsfähigkeit werden auch die Interessen weniger. Die Vergangenheit wird wieder wichtig, es wird gegrübelt, alte Konflikte und Fehlentscheidungen gelangen wieder an die Oberfläche und werden wieder von Bedeutung (vgl. Eckert und Biermann‐Ratjen2008, S.34‐35) Aber auch der normale Lebensweg wird eigentlich oft als etwas Unerwartetes wahrgenommen, selbst der Tod ist eigentlich etwas Fremdes, wie es schon im zweiten Teil von Goethes Faust zu lesen ist. All diese Verluste erfordern Trauerarbeit, wobei auch Trauern in der Kindheit bereits erlernt wird. Nur so ist es möglich Veränderungen anzunehmen. Klinik Die klassischen Symptome der Depression sind unter Definition bereits beschrieben worden. Im Alter tritt die Depression jedoch oft mit anderen Symptomen zutage als bei jüngeren Patienten. Meist äußert sie sich durch somatische Symptome wie Tachycardie, Unruhe, Verstopfung, Rückenschmerzen, Obstipation bis hin zum Laxantienabusus oder hypochondrischen Ängsten, die die klassischen Symptome einer Depression verdecken. Die Gegenüberstellung von Rainer 2008 zeigt die Symptomatik im Vergleich mit jüngeren Patienten beispielsweise sehr anschaulich: Abbildung 1: Unterschiede in der Depressionssymptomatik zwischen jüngeren und älteren Patienten (Rainer 2008, o.S.) Weiters ist zu beachten, dass Depressionen auch als eine Form der unerwünschten Nebenwirkungen der vielen Medikamente (z.B. Betablocker, Steroide oder Interferone) auftreten kann, die im Alter meist einzunehmen sind. Auch bestimmte Krankheitsbilder wie z.B. Leber – und Niereninsuffizienz, Anämie oder Infektionskrankheiten gehen oft mit einer begleitenden Depression einher (vgl. Ebner/Hofmann, 2008, S.35). Die Klinik der Depression ist vielgestaltig. Normalerweise sucht man nach affektiver Gedrücktheit. Dabei kann genau der Mangel an affektiver Schwingungsfähigkeit als bedrückend erlebt werden und Zeichen ‐ 7 ‐ einer Depression sein. Auch Körperhaltung und Gesichtsausdruck sind zu beachten. Mimische Gesichtsstarre kann ein Zeichen der Depression sein aber beispielsweise auch beim Parkinsonoid auftreten. Die Frage nach Suizidgedanken ist essentiell und darf nicht verabsäumt werden. Psychotische Symptome sind in einer schweren Depression zu tolerieren und dann als solche zu diagnostizieren. Bei der wahnhaften Depression kann es hier zu Verschuldungs‐, Verarmungs‐, Versündigungs‐, Bestrafungswahn und weiters zu nihilistischem und hypochondrischen Wahn kommen (vgl. Rothenhäusler 2007, S. 335). Da diese psychotischen Episoden akut verlaufen, kommt es dabei im Gegensatz zu anderen psychotischen Erkrankungen, wenn sie länger bestehen, nicht zu einer dauerhaften Veränderung der Persönlichkeit im gesunden Stadium. Differentialdiagnose Organische Krankheiten Depression ist die häufigste psychische Störung bei Mb. Parkinson. Auch bei Menschen mit Epilepsie oder Multipler Sklerose gehören Depressionen zu den häufigsten psychischen Störungen. Weiters ist an Endokrinopathien zu denken: Mb. Cushing, Hypo‐/Hyperthyreose. Weiter sind Mb. Addison oder Nebenschilddrüsenleiden zu erwägen. Auch bei Neoplasien wie Pancreas‐ oder Bronchialkarzinomen gehen depressive Symptome oft dem klinisch fassbaren Tumor voraus (vgl. Rothenhäusler 2007, S. 341‐
342). Trauer und Depression Im Alter gibt es häufig Anlässe zur Trauer. Klinisch gibt es hier oft Probleme bezüglich der Differentialdiagnose zur Depression. Heuft/Kruse/Radebold (2000, S.131) äußern sich dazu wie folgt: Bei der Trauer sind Schuldgefühle und Erschöpfungszustände meist schwächer bzw. adäquater ausgeprägt als bei der Depression. Der Trauernde leidet weder unter einer depressiven Hemmung, noch dem Gefühl der Wertlosigkeit, der Hoffnungslosigkeit oder unter Suizidalität. Im Trauerprozess, der ein natürlicher ist, ist es wichtig, dass es zu einer Weiterentwicklung kommt und der Trauernde nicht „stecken bleibt“. Beim pathologischen Trauern kommt es zu einem Interessensverlust und einer mangelnden Weiterentwicklung im Prozess (beispielsweise tgl. Friedhofsbesuch auch noch nach einem Jahr). Dies stellt jedoch nicht unbedingt eine Behandlungsindikation dar: da die Trauerarbeit ein Eingeständnis über den unwiederbringlichen Verlust mit sich brächte, ziehen vor allem alte Menschen in diesen Fällen manchmal die Verbindung zum Verstorbenen über den seelischen Schmerz vor. Demenz Die Symptome der Demenz und Depression ähneln sich. Bei bis zu 50% der Patienten mit einer Demenz vom Alzheimer‐Typ liegen depressive Symptome vor. Die exakte Diagnose „Demenz vom Alzheimer‐Typ“ kann erst histologisch post mortem durch eine Biopsie gestellt werden, auch in bildgebenden Verfahren kann sie nicht zu 100% diagnostiziert werden. Daher ist man bei der Differentialdiagnose zur Depression auf klinische Verlaufsuntersuchungen und die Durchführung eines Mini‐Mental‐Tests angewiesen. Wichtig ist an dieser Stelle auch, Angehörige und Verwandte fremdanamnestisch in die Diagnose‐Stellung mit einzubeziehen(vgl. Heuft/Kruse/Radebold 2000, S.131). ‐ 8 ‐ Es gibt eine depressive Pseudodemenz, die eine Depression ist, bei der der Betroffene in der Testdiagnostik zwar ein fluktuierendes Leistungsniveau zeigt, sich aber sehr betroffen über bemerkte Funktionsverluste zeigt (vgl. Rothenhäusler 2007 S. 341‐342). Ein weiteres diagnostisches Problem bei der Diagnostik der Demenz ist, dass erkrankte Patienten mit einem hohen Bildungsniveau und ausgeprägten sozialen Kompetenzen in der Lage sind, beginnende Orientierungs‐, Merkfähigkeits‐ und Gedächtnisstörungen länger zu verbergen („Fassade“). Bei depressiven Patienten findet sich eine derartige Intention nicht ‐ im Gegenteil ‐, sie neigen dazu, Fehlleistungen mit Resignation nach außen zu präsentieren (vgl. Heuft/Kruse/Radebold 2000, S.131). Der depressive Patient beklagt sich also, dass er seine Funktionen verliert, ein dementer Patient bemerkt den Verlust nicht. Psychose Hier gibt es oft keine verlässliche Differentialdiagnose aus der Psychiatrie. In der Psychiatrie wird die Psychose oft mit der Depression mit psychotischen Symptomen verwechselt. Die wirkliche Differentialdiagnose ist klinisch: besteht eine affektive Störung, oder in erster Linie eine psychotische Störung? Hier ist eine genaue Anamnese bezüglich Vorgeschichte und Familienanamnese notwendig (vgl. Ebner 2005, S. 222). Bipolare Erkrankung Bereits im Erwachsenenalter werden manische Symptome stark unterdiagnostiziert. Wichtig ist es daher, aktiv nach manischen Symptomen zu fragen. Im Alter ist das Bild der bipolaren Erkrankung oft unklar und schwer zu erkennen. Therapie Psychotherapie und psychopharmakologische Therapie schließen sich nicht aus sondern gehören in individueller Gewichtung zusammen. Die Evidenz für eine kombinierte Behandlung in der Depression im Alter ist nach Mackin u. Aréan allerdings noch vorläufig. Gut abgesichert ist die Kombination von Medikation und Interpersoneller Therapie (IPT) bezüglich Rezidivprophylaxe der schweren Depression bei Älteren, vor allem bei rezidivierenden depressiven Episoden. (vgl. Mackin/Aréan 2005, S.815). Die Kombination von Psychotherapie und Antidepressiva zur Behandlung der leichten und schweren Depression ist weiterhin als Firstline‐Therapie anzusehen. In der älteren Population werden jedoch noch zusätzliche Studien benötigt, um eine sichere und wirksame Pharmakotherapie bei der Behandlung der Depression zu eruieren (Alexopoulos 2011, o.S.). Medikamentöse Therapie Unterscheidungen nach Funktion, chemischer Struktur und klinischem Effekt Prinzipiell unterscheidet man nach Funktion und chemischer Struktur folgende Untergruppen von Antidepressiva (vgl. Ebert 2005, S. 342): Trizyklische Antidepressiva: z.B. Amitryptilin, Desipramin, Clomipramin zeigen eine hohe antidepressive Wirkung, haben allerdings auch hohes Nebenwirkungspotential Tetrazyklische Antidepressiva: Dazu gehören z.B. Maprotilin und Mianserin. ‐ 9 ‐ Monoaminooxidase‐Hemmer (= MAO‐Hemmer): Hierzu zähle Transcyclopromin (irreversible Hemmung) und Moclobemid (reversible Hemmung). Antidepressiva mit anderen Strukturen und Wirkmechanismen: Hier wären zu erwähnen: •
Selektive Serotonin‐Wiederaufnahme‐Hemmer (SSRI) z.B. Fluvoxamin, Flupoxetin, Paroxetin, Sertralin, Citalopram, Nefazodontin •
Selektive Serotonin‐Noradrenalinwiederaufnahmehemmer (SSNRI) z.B. Venlafaxin, Duloxetin •
Selektive Noradrenalinwiederaufnahmehemmer (NRI) z.B. Reboxetin •
Selektive Noradrenalin‐Dopaminwiederaufnahmehemmer z.B. Bupropion •
Noradrenerge und spez. Serotonerge Antidepressiva (NSSA) z.B. Mirtazapin •
Tazodon Nach dem klinischen Effekt werden auf der anderen Seite unterschieden: •
Stark sedierend‐anxiolytische Antidepressiva (Doxepin, Amitryptilin), •
stark antriebssteigernde Antidepressiva (MAO‐Hemmer, Vanlafaxin, SSRI) und •
leicht sedierend/antriebssteigernde Antidepressiva. Fist­Line und Second­Line Therapie In den „Consensus‐Guidelines for Assessment and Management of Depression in the Elderly“ der Faculty of Psychiatry of Old Age (2001) wird anhand der Nebenwirkungsprofile der Antidepressiva eine First‐Line‐ von einer Second‐Line‐Therapie unterschieden. Wenn nicht anders angegeben, sind die folgenden Angaben diesen Guidelines entnommen. Zur Gruppe der First‐Line Therapie gehören demnach: •
SSRI – Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin •
SNRI – Venlafaxin •
MAO‐Inhibitoren – Moclobemid •
Nefazadone •
Mianserin •
Mirtazepin ‐ 10 ‐ Als Mittel in der Second‐line Therapie werden folgende Medikamente gezählt, die antidepressives Potential zeigen, dazu jedoch auch ein größeres Nebenwirkungsspektrum aufweisen, auf das später noch einzugehen ist: •
Trizyklische Antidepressiva – wobei im Alter Wirkstoffe ohne aktiven Metaboliten bevorzugt werden wie Nortryptilin oder Dothiepin •
MAO‐Inhibitoren – Phenelzine Die Wahl des adäquaten Antidepressivums richtet sich nach den Nebenwirkungen, dem Interaktionspotential, der Zielsymptomatik der Therapie und anderen Faktoren wie z.B. Flüssigkeitszufuhr oder Polypharmazie. Will man sedieren, wählt man Mirtazapin oder Trazodon, will man aktivieren sind z.B. SSRI das Mittel der Wahl. Ein weiterer Faktor ist die bisherige Erfahrung mit der Wirksamkeit einer Substanz beim gleichen Patienten in früheren Episoden. Beim alten Patienten erfordert die Therapie im speziellen Antidepressiva ohne anticholinerge Effekte (erhöhen u.a. Anfälligkeit für ein Delir bei Hochbetagten), ohne chinidinähnliche Wirkungen (erhöhte Inzidenz für kardiovaskuläre Erkrankungen) und ohne Risiko für orthostat. Hypotonie (Sturzgefahr mit dem Risiko von Schenkelhalsfrakturen(vgl. Rothenhäusler 2007, S. 345‐346). Sobald mehr als zwei Medikamente gegeben werden, was bei älteren Patienten der Regelfall ist, sollten weiters Substanzen mit erhöhtem Interaktionspotential (Trizyklika und Paroxetin) unbedingt vermieden werden. Außerdem gilt es, langsam zu steigern und auszudosieren, bevor man zum nächsten Medikament wechselt („start slow, go slow“). Neueste Empfehlungen D.G. Blazer fasste in einem Review die neuesten Empfehlungen zur pharmakologischen Behandlung der „Depression in Late Life“ zusammen (vlg. daher im Folgenden D. G. Blazer 2009, S.127‐129). Demnach bilden Antidepressiva die pharmakologische Behandlungsbasis der Depression. Vergleichsstudien zufolge gibt es keinen Unterschied im antidepressiven Effekt zwischen SSRI und beispielsweise trizyklischen Antidepressiva. Sehr wohl gibt es aber deutliche Unterschiede im Nebenwirkungs‐ und Wechselwirkungspotential. So haben SSRI ein deutlich kleineres Nebenwirkungs‐ und Wechselwirkungsspektrum und sind daher nach Blazer als Mittel der ersten Wahl anzusehen. Mit Venlafaxin, Mirtazapin und Bupropion sind weitere effektive Antidepressiva der neuen Generation zu nennen. Mögliche Nebenwirkungen der Antidepressiva First‐Line: SSRI und Venlafaxin (vgl. Blazer 2009, S.128) •
Hyponatriämie (Syndrom der inadäquaten ADH Sekretion; vor allem bei alten Pat. zu bedenken, daher sollten vor und nach Therapiebeginn eine Kontrolle der Elektrolyte erfolgen) •
Serotoninsyndrom (Unruhe, Hypomanie, Hypertonus, Rigor, Rabdomyolyse, Hyperthermie, Nierenversagen, Tod) ‐ 11 ‐ •
Gastrointestinale Blutung •
Andere (vgl. Ebert 2005, S. 344): Übelkeit, Kopfschmerzen, Unruhe, Hypertonie, Tachycardie, Schlafstörungen, Libidoverminderung, Durchfall Second‐Line: Trizyklische Antidepressiva (vgl. Faculty of Psychiatry of Old Age, 2001) •
Anticholinerge Effekte (z.B. Mundtrockenheit, Obstipation) •
Herzrhythmusstörungen •
Obstipation •
Orthostat. Hypotension •
Andere (vgl. Ebert 2005, S. 345): Delirante Syndrome, Tremor, Hypomanie, zerebrale Krampfanfälle, Gewichtszunahme, Libidoverminderung Wechselwirkungen der Antidepressiva D.G. Blazer schreibt in seinem Review (vgl. im Folgenden D. G. Blazer 2009, S.128), dass die Cytochrom P450‐Enzyme, die eine entscheidende Rolle bei der Metabolisierung der meisten Medikamente spielen, von einigen Antidepressiva gehemmt werden. Daher kann der Abbau bzw. die Wirkung anderer Medikamente beeinträchtigt werden. Am wenigsten inhibierend wirken hierbei die Gruppe der SSRI und Venlafaxin, was sie wiederum als Mittel erster Wahl bestätigt. In der Gruppe der SSRI werden bei Minor‐ und Major‐Depression als Mittel der ersten Wahl angegeben: Citalopram (20‐30mg), gefolgt von Sertralin (50‐100mg), gefolgt von Paroxetin (20‐
30mg) und Fluoxetin (20mg). Bei der Kombination von Antidepressiva ist nach Ebert (2005, S. 436) zu beachten, dass MAO‐Hemmer nicht mit SSRI oder Trizyklika kombiniert werden dürfen, da sich diese in ihrer Wirkung potenzieren und es dabei zu hypertensiven Krisen, plötzliche RR‐Abfällen und sogar zum Serotonin‐Syndrom kommen kann. Zusammenfassend kann man also bezüglich der Therapie mit SSRI sagen, dass Citalopram (Seropram) das geringste Interaktionspotential hinsichtlich der Cytochrom P450‐Enzyme besitzt, da es nur als Substrat umgebaut wird und die Enzyme nicht hemmt. Fluoxetin (Fluctine) und auch Paroxetin (Seroxat) sollte nicht in umfangreichen Kombinationen mit anderen Präparaten eingesetzt werden, da es einen sehr starken Inhibitor des CYP 2D6 darstellt und so zur Abbauhemmung und Plasmaspiegelerhöhung von anderen gleichzeitig verabreichten Wirkstoffen kommen kann. Dadurch erhöht sich wiederum das Risiko für das Auftreten anticholinerger, sedierender und kardiotoxischer Nebenwirkungen. Auch auf bestehende Begleiterkrankungen muss geachtet werden. So werden Fluvoxamin, Milnacipran, Mirtazapin, Sertralin und Venlafaxin über die Niere ausgeschieden und sind daher bei nephrologischen Funktionseinschränkungen zu vermeiden. Mirtazapin erhöht den Appetit und ist daher bei Diabetes mellitus nicht das Mittel der Wahl. ‐ 12 ‐ Benzodiazepine werden bei der Frage der Schlafinduktion von modernen Psychopharmaka wie Seroquel und Trittico abgelöst. Bei diesen gilt es jedoch im Alter die Alpha‐blockierende Wirkung zu beachten. Auch atypische Antipsychotika (Zyprexa, Abilify oder eben Seroquel) werden in der Behandlung der Depression in geringen Dosierungen durchaus angewendet; auch hier wird ihre sedierende, schlaffördernde Wirkung genutzt (ÖGPB 2007, S.11). Behandlungsleitfaden Im Konsensus „of practicing geriatric psychiatrists“ (Alexopoulos et al. 2001; zit.n. Moutier/ Loebach Wetherell/ Zisook 2003, S.3) wird folgender Behandlungsleitfaden empfohlen: •
bei leichter Depression mit Symptombeginn <2 Wochen: Psychoedukation, Beobachtung, Zuwarten •
bei persistierenden Symptomen: Kombination von SSRI und Psychotherapie •
bei weiterer Symptompersistenz: 3‐6 Wochen zuwarten, danach Wechsel zu Venlafaxin (75‐200mg) Handelt es sich um die 1. depressive Episode sollte ein Jahr kontinuierliche Medikamenteneinnahme erfolgen. Bei der 2. Episode sollte zwei Jahre lang, bei der 3. und mehr mindestens drei Jahre lang antidepressiv therapiert werden. Sozialpsychiatrische Therapie Für sozialpsychiatrische Interventionen ist eine ausführliche Anamnese wichtig. Dabei geht es u.a. um eine Sturzanamnese sowie die Außenanamnese durch Verwandte oder Nahestehende. Das Problem hierbei ist, dass es zwar Zentren gibt, in denen psychosoziale Hilfe angeboten wird, diese für den alten Menschen aber oft unerreichbar bleiben. Einen alten Menschen zum Kilometer weit entfernten Psychosozialen Zentrum (PSZ) zu bewegen, ist nicht leicht. Das bestehende Versorgungsnetz ist äußerst weitmaschig, Kapazitäten oft zu weit entfernt. Die verlangte Motivation für den alten Menschen erscheint unrealistisch. Daher sind in diesem Falle in erster Linie Nachbarn, Freunde, Hauskrankenpflege, Mobile sozialpsychiatrische Betreuung und letztendlich Hausbesuche durch den Hausarzt das, was für den betagten Menschen psychosoziale Therapie ausmacht. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Heimunterbringung. Die meisten Patienten wollen nicht ins Heim, wenn es indiziert ist. Es kommt dabei zu einem Entreißen aus der gewohnten Umgebung, was vom Patienten oft in der Weise erlebt wird, dass nun sein Leben aus ist. Oft ist damit auch eine Trennung vom Lebenspartner verbunden. Um Heimplätze zu finden, die für den Betroffenen passend erscheinen, erfordert es das aktive Involvieren des Therapeuten und eine gute Zusammenarbeit mit dem Sozialarbeiter im Spital. Die Angst vor dem Heimaufenthalt ist nicht unbegründet: meist gibt es zu viel Arbeit für zu wenig Personal, die Basispflege, wie z.B. Umlagerung, Mobilisierung, Ansprache, Physiotherapie, ist oft nicht gegeben. Andererseits muss man betonen, dass es auch Patienten gibt, die mobil und motiviert genug sind, um das bestehende System gut nützen zu können und z.B. eine Gesprächstherapie in einem PSZ aufsuchen. Der Besuch des PSZ bietet den meisten älteren Menschen auch die einzige Möglichkeit einer Psychotherapie, denn die Kosten beim niedergelassenen Therapeuten sind meist unerschwinglich. Weiters ist es eine gute Möglichkeit für den Patienten, Kontakte zu halten und mit diesen Strukturen Netzwerkarbeit zu betreiben. Ebert (2007, S.340) betont folgende Ziele sozialpsychiatrischer Behandlungsmethoden: ‐ 13 ‐ •
Kontakt mit der sozialen Umwelt fördern, Passivität, Schonung und Rückzugsverhalten verhindern •
Integration der Patienten in ihr gewohntes soziales Umfeld nach stationärem Aufenthalt bzw. primäre Behandlung dort •
Wenn dies nicht möglich ist: alternative Schaffung eines neues sozialen Umfelds Als Beispiele für sozialpsychiatrische Versorgungsstrukturen werden genannt (ebd.): •
Strukturierte Stationsaktivitäten •
Ergotherapie •
Bewegungstherapie •
Arbeitstherapie •
sozialpsychiatrischer Dienst •
geschützte Arbeitsplätze •
Tagesklinik •
therapeutische Wohngemeinschaften Psychotherapie Allgemeine Aspekte und Überlegungen In Folge der oben genannten Aspekte ist in der therapeutischen Situation zu ergründen, was der Patient braucht, und was er annehmen kann. In vielen Fällen wird sich das psychotherapeutische Wirken an die Versorgungsleistung anknüpfen. Die Versorgungsleistung bietet zusagen einen Vorwand, denn die meisten älteren Patienten wissen nicht, was Psychotherapie ist und können sich nichts darunter vorstellen. Prinzipiell unterscheiden sich der therapeutische Zugang und das Menschenbild der Psychotherapie beträchtlich von dem der Medizin. Die Psychotherapie beschäftigt sich mit autopoietischen Realitäten und den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen, während der Zugang der Medizin eher ein nomothetisch orientierter, gesetzmäßiger ist, basierend auf einem System aus empirischen Datenlagen. (Das dürfte auch mit ein Grund dafür sein, dass es so wenige Studien bezüglich der Evidenz der Psychotherapie gibt – dieser wissenschaftstheoretische Aspekt soll hier aber nicht näher erörtert werden.) So ist das Ziel der Psychotherapie im Allgemeinen, dem Menschen zu mehr psychischer Autonomie zu verhelfen. Je nach Schule sollen Strategien entwickelt, an der Persönlichkeit gearbeitet, Ressourcen entdeckt und gefördert werden, so dass das Individuum in Zukunft Problemsituationen und psychische Belastungen selbst besser bewältigen kann. Der Mensch wird also aktiv gefordert. Der Therapeut gilt zwar als Experte für den Prozess, nicht jedoch für das genaue Ziel der Therapie – dieses soll vom Klienten definiert werden. Die Psychotherapie ist ressourcenorientiert und fördert die Autonomie und aktive Mitarbeit des Klienten, um in der Zukunft ein selbstständiges Handeln zu ermöglichen, Probleme zu lösen bzw. selbstanalytische Fähigkeiten zu erhöhen. Das Symptom wird vor dem Hintergrund des Krankheitsbegriffs und der Persönlichkeitstheorie der jeweiligen Schule bezüglich Entstehung und Ursache ‐ 14 ‐ betrachtet. Dabei wird auf die individuellen Bedürfnisse des Menschen, seine vorhandenen Fähigkeiten, seine Geschichte und bisherigen Verarbeitungsstrategien eingegangen. Danach richtet sich in der Folge der jeweilige Therapie‐Ansatz. In der Medizin dagegen gibt es festgelegte Ziele für definierte Störungen, die es therapeutisch zu erreichen gilt. Für diese Ziele und ihr Erreichen werden allgemeine Richtlinien verfasst, die durch empirische Studien abgesichert werden (EBM). Der Arzt gilt somit als Experte für das Ziel und den Prozess der Therapie. Der Patient wird sozusagen an der Hand zum Ziel geführt, um nicht zu sagen „getragen“. Die Medizin ist also im Vergleich mit der Psychotherapie eine eher „verwöhnende Therapie“, in der der Patient in einer passiven Rolle gesund gepflegt wird. Ältere Menschen, die noch mehr als die jüngere Generation dem Arzt die „Allwissenheit der weißen Mäntel“ zuschreiben, sind daher von einem Vorschlag zur Psychotherapie leicht zu verunsichern. Wo der Arzt als Professionist dem Klienten die Verantwortung für das Wie des Heilungsprozesses abnimmt und Verhaltensanweisungen erteilt, fordert der Therapeut die Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben und den eigenen Gedanken und Empfindungen, gepaart mit der Übernahme von Eigenverantwortung, ein. Dieser gänzlich andere Therapieansatz dürfte daher gerade für ältere Menschen verunsichernd wirken. Darüber hinaus gibt es Ängste vor einer Psychotherapie, viele Patienten schämen sich ein psychisches Problem zu haben („ich bin doch nicht deppert“), gestehen sich die Therapie nicht zu oder verdrängen das Problem, um keine Therapie in Anspruch nehmen zu sollen. Der Vorschlag einer Therapie wird oft entgegen der gewohnten Verhaltens‐Muster wirken: viele sind es aus der somatische Medizin gewohnt, ein Medikament zu bekommen, mit dem sich das Problem von selbst löst bzw. lösen soll. Das kann befreiend sein, ist aber auch eine Haltung zur Therapie, die es im Falle einer angeratenen Psychotherapie erst zu überwinden gilt. In der Psychotherapie erscheint es auch wichtig, nicht mehr oder anderes erreichen zu wollen, als angemessen ist. Man muss dem Patienten zuhören, denn leider ist – gerade bei älteren Patienten – oft sonst niemand zum Zuhören da. Man muss auch bedenken, dass sich jeder Mensch anders ausdrückt – der Betroffene kann sich nicht auf den Therapeuten einstellen, die Empathie und Anpassungsleistung ist daher Aufgabe des Therapeuten. Patienten verdrängen ihr Problem allzu oft, weshalb ein genaues Hinhören erforderlich ist und auch Schweigen nicht als Vorwand für einen Therapieabbruch gelten sollte. In Studien (vgl. Heuft/Kruse/Radebold 2000, S. 123) konnte gezeigt werden, dass Psychotherapie bei älteren Patienten in 65% der Fälle zu einer Verbesserung der Symptomatik führt, somit bestätigt sich die häufig kolportierte These der schlechteren Prognose bei Depression im Alter im Vergleich zu der bei jüngeren Patienten nicht. Im Wesentlichen sind für betagte Menschen keine neuen Psychotherapieverfahren oder Behandlungstechniken an sich notwendig, da sich in der Psychotherapie ohnehin jede Therapie unabhängig vom Alter individuell gestaltet ‐ abhängig von den Problembereichen und der Veränderungsmotivation der zu Behandelnden. Dennoch müssen im Alter natürlich einige Interventionen modifiziert und auf die Bedürfnisse dieses Lebensabschnitts abgestimmt werden (vgl. Forstmeier/Maercker 2008, S.26). In dem man einen älteren Menschen kennenlernt, seine Geschichte erfährt und seine Möglichkeiten und derzeitigen Herausforderungen entdeckt, bietet sich in der Psychotherapie die Möglichkeit, vorhandene Ressourcen, Fähigkeiten und Fertigkeiten gemeinsam mit dem Patient zu entdecken und zu ihrer Erhaltung beizutragen (vgl. Heuft/Kruse/Radebold 2000, S.85). ‐ 15 ‐ Ein großes Problem ist nach D. G. Blazer (2009, S.129), dass Psychotherapie als Behandlung der Depression im Alter immer noch kaum verschrieben wird. Die Akzeptanz der Therapiemodalität hängt Forschungen zufolge mit der Stärke der Symptomatik zusammen: Je stärker die Symptome der Depression sind, desto höher ist die Akzeptanz einer medikamentösen Behandlung, umgekehrt je schwächer die Symptome, desto eher nehmen Patienten eine Psychotherapie in Anspruch. Methodenspezifische Aspekte Hinsichtlich der Psychotherapie von Depression im Alter ist die Literatur eher rar. In Studien wurden einige wenige Therapieformen bezüglich ihrer Effektivität (teilw. im Vergleich zur medikamentösen Therapie) untersucht, wobei die Ergebnisse eher karg ausfielen. Nach Angaben von Hautzinger und Welz stellt „…die kognitive Therapie […] die in Studien am meisten untersuchte Form der Psychotherapie bei Depression im Alter dar. Weiters gibt es Untersuchungen zu Reminiszenztherapie, tiefenpsychologischen Psychotherapie und Interpersoneller Therapie“ (Hautzinger/Welz 2004, S.428). Im Folgenden soll daher auf jene fünf psychotherapeutischen Schulen näher eingegangen werden, zu denen m.E. einigermaßen aussagekräftige Literatur bzw. Untersuchungen vorliegen, wobei auch auf die hier und da begrenzte Evidenz zu verweisen sein wird. Je nach vorliegender Literatur fällt dementsprechend auch die schriftliche Darlegung unterschiedlich umfangreich aus. Psychoanalyse Im Allgemeinen ist die Psychoanalyse eine konflikt‐ und vergangenheitsorientierte Schule, in der es um die Arbeit an der Persönlichkeit geht. Die Persönlichkeit wird dabei definiert durch die Auswahl und den Gebrauch von Abwehrmechanismen. Ziel ist die Förderung von intrapsychischer Autonomie und selbstanalytischen Fähigkeiten. Eine Psychoanalyse dauert mindestens drei Jahre und zeichnet sich durch eine hohe Frequenz (4‐5x wöchentlich) aus. Der Therapeut befindet sich dabei in einer passiven Rolle außerhalb des Blickfelds des Klienten und zeichnet sich durch gleichschwebende Aufmerksamkeit und emotionale Abstinenz aus. Der Klient wird im Setting aufgefordert, alles zu äußern, was ihm in den Sinn kommt (freies Assoziieren). Es wird dabei mit Deutungen von Widerstand und Abwehrmechanismen, Übertragung und Gegenübertragung, sowie folgender Konfrontation gearbeitet. Unbewusste Prozesse haben eine zentrale Bedeutung, die Symptomausbildung wird durch ein konflikthaftes Beziehungserleben erklärt. Durch regressionsfördernde Settings wird eine Übertragungsneurose angestrebt, in der Konfliktsituationen aus der Kindheit wieder erlebt werden. Der Patient wird dort abgeholt, wo er leidet (vgl. Hirsch, 2008 S.14) Unter dem Begriff der Übertragung: versteht man das „Umhängen“ der eigenen Beziehungsmuster auf sein Gegenüber. Der Klient versucht seine eigenen neurotischen Liebesbedingungen in der Beziehung zum Therapeuten zu realisieren. Ein Beispiel hierfür wäre die Sorge eines Patienten, vom Therapeuten geschlagen zu werden (=Beziehung zum Objekt). In dieser Situation, in der der Therapeut den Klienten natürlich nicht schlagen will, trägt der Klient sowohl die Erwartung, geschlagen zu werden (passiv), als auch seine Reaktion darauf (aktiv) in die therapeutische Situation hinein – er überträgt (vgl. Kriz, 2001, S37). Die Gegenübertragung ist eine Reaktion des Therapeuten auf die Übertragung des Klienten. Sie kann als therapeutisches Instrument genutzt werden, da diese aufkeimenden Gefühle im Setting analysiert werden können. Die Gegenübertragung sollte durch Eigenanalyse des Therapeuten in seiner Ausbildung jedoch soweit eingeschränkt werden, dass sie den Therapieprozess nicht stört (vgl. Kriz, 2001, S37). ‐ 16 ‐ Ein Konflikt entsteht, wenn im Inneren des Menschen zwei Bestrebungen in unterschiedlichen Bereichen bestehen (z.B. zwischen Trieben oder zw. Es und Über‐Ich). Unter Abwehrmechanismen versteht man unbewusst ablaufende psychische Vorgänge, die die „Aufgabe“ haben, unlustvolle und angsterzeugende Inhalte abzuwehren. Das bedeutet sie aus dem eigenen Bewusstsein fern zu halten, um die Integrität und das Selbstwertgefühl des Menschen möglichst wenig zu gefährden. Ein neurotisches Symptom entsteht bei zu großen Konflikten oder einer missglückten Abwehrdynamik. Neurosen sind sozusagen eine Selbstheilung, um das Gleichgewicht der Kräfte wieder herzustellen, allerdings mit einem unbefriedigenden Ergebnis (vgl. Kritz, 2001, S.32). Konflikte, Abwehrmechanismen und Neurosen sind Gegenstand der Analyse, damit der Therapie und auch der Diagnostik (prozessuale Diagnostik). Therapie im Alter: Psychoanalyse ist nach Hirsch (2008, S.13‐14) auch im Alter möglich. Es ist belegt, dass sich die Therapierfolge alter Menschen nicht von denen jüngerer unterscheiden. In der Psychodynamischen Entwicklungspsychologie wird Entwicklung als lebenslanger Prozess aus mehreren Teilbereichen gesehen. Anstehende Aufgaben in jedem Teilbereich müssen adäquat gelöst werden, da es in den kritischen Übergängen zu einem Entwicklungsstillstand oder Rückschritt kommen kann (Colarusso u. Nemiroff 1987, Erikson 1973, Radebold 1992; zit.n.Hirsch 2008). Im Alter geht es um die Weiterentwicklung und Nutzung der psychischen Strukturen, die primär in der Kindheit ausgebildet wurden. In der Psychoanalyse mit älteren Menschen ist nun besonders auf bestimmte Aspekte der Übertragung und Gegenübertragung einzugehen. Es kann z.B. beim Aufeinandertreffen mit einem jungen Therapeuten allein durch den Altersunterschied schon zu massiven Hass und Neidgefühlen kommen ‐ in Anbetracht des jüngeren, „unversehrten“ Therapeuten. Andererseits kann es beim Therapeuten z.B. zum Aufkommen eigener Ängste vor dem Altern kommen, zu einer Sicht auf Ältere als schwache hilfsbedürftige Eltern oder zum Wusch, Ältere als asexuelle Wesen zu sehen (Gegenübertragung). Ziele der psychodynamischen Therapie Älterer sind nach Heuft et al. (2006), Radebold und Hirsch (2003) die Bearbeitung alter und neuer (intrapsychischer, intra‐ und intergenerationeller) Konflikte, die Wiederherstellung der Beziehungsfähigkeit und Bejahung der eigenen Person und des eigenen alternden Körpers sowie die Förderung der Selbstständigkeit (zit.n. Hirsch 2008, S.16). Es wird in der Diagnostik die biopsychosoziale Gesamtansicht (Querschnittbetrachtung) sowie die bisherige Entwicklung (Längsschnittbetrachtung) miteinbezogen und in der Folge die geeignete Therapieform gewählt. Wichtig ist bei alten Menschen weiters, die aktive und selbstverantwortliche Einbindung in den therapeutischen Prozess hervorzuheben, da sie meist medizinisch‐versorgungsorientiert sozialisiert sind. Interpersonelle Therapie (IPT) Die IPT ist ein Kurzzeit‐Psychotherapieverfahren, keiner bestimmten Therapieschule zugeordnet und wurde speziell für ältere Personen adaptiert (Klerman et al. 1984 zit.n. Heuft/Kruse/Radebold 2000, S.291). Depressionen werden dabei unabhängig von den Ursachen stets im psychosozialen interpersonellen Kontext gesehen. Dieser Kontext und die Arbeit mit demselben stehen im Mittelpunkt der strukturierten Therapie. Interpersonelle Probleme, die mit dem Auftreten depressiver Symptome zusammenhängen, sollen behandelt werden durch die Identifikation interpersoneller Problembereiche, die mit der aktuellen ‐ 17 ‐ Depression in Zusammenhang stehen. In der Folge geht es um die Entwicklung von individuellen Strategien zur Klärung und Lösung interpersoneller Probleme (vgl.Heuft/Kruse/Radebold 2000, S.291). Therapie im Alter: Blazer (2009, S. 129) beschreibt vier Hauptproblembereiche, die mit IPT bearbeitet werden können: Trauer, Rollenwechsel, interpersonelle Defizite und interpersonelle Konflikte. Die IPT nimmt ihm zufolge noch keinen Stellenwert als alleinige Therapie der Depression im Alter ein. Eine Studie deutet jedoch die Effektivität einer Monotherapie mit IPT bei leichter Depression an. Die Untersuchungen über die IPT scheinen jedoch wenig verallgemeinerbar, weil sie bisher auf einer sehr kleinen Zahl älterer Probanden beruhen und die meisten Teilnehmer gesund sind und ambulant therapiert wurden (vgl. Mackin/Aréan 2005, S.813). Nach von Blazer ausgewerteten Studien stellt die IPT in Kombination mit Nortryptilin eine effektive Therapie der Depression im Alter dar (vgl. Blazer 2009, S.129‐
130). Familientherapie/Systemische Therapie Die systemische Therapie ist eine zukunft‐, ressourcen‐ und Kontext‐orientierte Psychotherapieschule. Der Blick in die Vergangenheit ist nur in Hinblick auf Bewältigungsstrategien von früheren Problemsituationen relevant. Der Mensch wird dabei als System gesehen, das sich prinzipiell in einem Gleichgewicht befindet und von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren beeinflusst wird. Der besondere Fokus wird auf den Kontext des Klienten gelegt, der ihn in seinem Erleben und seinen Ressourcen beeinflusst. In der Therapie werden daher auch Mitglieder des sozialen Systems mit einbezogen und man konzentriert sich auf die Interaktionen zwischen den System‐ bzw. Familienmitgliedern und ihrer sozialen Umwelt. (vgl. Sydow, Beher, Retzlaff und Schweitzer‐Rothers 2007, S.15) Im Vordergrund der syst. Therapie steht das zirkuläre Verständnis. Man geht davon aus, dass es nicht eine Ursache‐Wirkungsbeziehung in einem Krankheitsprozess gibt – vielmehr wird die Wechselwirkung zwischen Mensch, Umwelt und Symptomen zum Gegenstand des Verstehens und der Veränderung gemacht. Das heißt Symptome von Familienmitgliedern haben Auswirkungen auf andere Mitglieder und deren Interaktionen und umgekehrt. Unter System(en) wird dabei nicht nur die Familie an sich, sondern auch das gesamte soziale Netz, Nahestehende, Helfersysteme u.a. verstanden. In der Therapie geht es um die zentrale Frage welche Interaktionen zu welchen Überzeugungen führen, die dann die Grundlage der subjektiven Handlungsspielräume bilden. Ziel ist es, Kommunikations‐ und Interaktionsmuster zu erweitern und damit subjektive Handlungsspielräume zu vergrößern. Der Therapeut sieht sich dabei als neutral an, er ist dazu da, Wahlmöglichkeiten zu vergrößern, nicht aber eine Wahl vorzugeben. Der Blick in die Vergangenheit ist in der Therapie in Hinblick auf die Zukunft wichtig. Es geht darum, Ressourcen und aus der Vergangenheit mitgebrachte, erworbene Kompetenzen zu entdecken und diese hinsichtlich der Lösung des aktuellen Problems zu nutzen. Therapie im Alter: 1982 erschien erstmals eine Übersicht zur Familientherapie mit älteren Menschen (Radebold u.Schlesinger‐
Kipp 1982, zit.n. Johannsen 2008, S.21). Nach Johannsen gibt es auch hier bei der Behandlung der Depression im Alter Besonderheiten, die in der therapeutischen Situation zu beachten sind: ‐ 18 ‐ Krankheiten, ihre Bewältigung und Verarbeitung stehen mehr im Mittelpunkt, als die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander. Oft nehmen drei oder gar vier Generationen an Gesprächen teil. Auch ist zu beachten, dass Verwandte oft schon tot sind, oder es keine Kinder gibt und so Nahestehende aus dem sozialen Netzwerk stattdessen zu berücksichtigen sind. Im therapeutischen Setting ist es wichtig, den Altersunterschied und seine Bedeutung für den Klienten und andere Gesprächsteilnehmer anzusprechen. Weiters sollte der Therapeut über historische Kenntnisse verfügen, um den geschilderten Erfahrungen und Erlebnissen adäquat folgen zu können. Die zirkuläre Frage ist ein gutes Mittel, um ältere Menschen, die sich in der Gesprächssituation zum Konflikt nicht äußern möchten, zu begegnen. Sie ermöglicht einen Perspektivenwechsel. Lösungs‐ und ressourcenorientiertes Arbeiten steht in der systemischen Therapie im Vordergrund. Die Vergangenheit ist nur in Bezug auf die Zukunft zu betrachten, denn das Hängenbleiben an alten Schuld‐ und Wahrheitsfragen birgt die Gefahr, dass der Aspekt aktueller Interaktionen verloren geht. Die Betrachtung stattgehabter und überwundener Krisen in der Vergangenheit kann aber zweifellos hilfreiche Anstöße für das aktuelle Problem bieten. Heuft, Kruse und Radebold (2000, S. 283) beschreiben in ihrem Werk, dass die Behandlung älterer Menschen in systemischen Therapie problematisch sei, da diese Therapieform auf die Kernfamilie ausgerichtet ist und die Einbeziehung der Älteren hauptsächlich zur Klärung der Familiengeschichte dient. Die Älteren werden weitgehend als Informanten über die Familiengeschichte angesehen, es gibt laut den Autoren kaum Ansätze auf eine direkte Hilfestellung für Ältere selbst und es sei nicht das primäre Ziel diese zu behandeln. In einem aktuelleren Review über die Familientherapie bei Depression (vgl. Henken et al., 2009) werden von den Autoren folgende Schlüsse gezogen: Die Ergebnisse zur Effektivität von Familientherapie bei der Behandlung von Depression sind heterogen und eher karg. Daher seien psychologische Interventionen bei der Behandlung vorzuziehen, die bereits ausreichend evidenzbasiert sind. Dem entgegen schreibt Johannsen (2008, S. 21‐23), dass es im Laufe der Zeit sehr wohl eine Entwicklung innerhalb der systemischen Therapie gegeben hat, die die Integration der Behandlung älterer Menschen zur Folge hatte. Wir müssen daher davon ausgehen, dass für die systemische bzw. Familientherapie noch weitere Forschungen zu erfolgen haben, bevor man ein differenziertes Urteil über deren Eignung für die Behandlung von Depression im Alter treffen kann. Verhaltenstherapie (VT) Laut dem Ansatz der kognitiven Verhaltenstherapie spielen kognitive Strukturen, also Gedanken, Einstellungen und Wertsysteme eine wichtige Rolle in der Entstehung von Verhalten und Erleben. Es geht daher in der Therapie um die Veränderung dieser kognitiven Strukturen und um ein Umlernen von Verhaltensweisen entsprechend eines Reiz‐Reaktionsmusters. In der Therapie der Depression ist es Ziel, Gedanken, die die Depression aufrechterhalten, zu erkennen und diese zu verändern. Mit der Veränderung dieser Gedanken kommt es nach D.G. Blazer (2009, S.129) in der Folge zur einer Veränderung des Verhaltens und der Haltung an sich. Einen zentralern Bestandteil der Therapie stellt die Metakognition dar. Laut Untersuchungen von Mackin/Aréan (2005, S.810) ist die (kognitive) Verhaltenstherapie als psychotherapeutische Intervention bei der Depression im Alter von allen psychotherapeutische Schulen bisher am besten untersucht. Bei Studien, in denen Therapie‐Modalitäten untersucht wurden (nur VT/nur Antidepressiva/Kombination von beidem), stellte sich die Kombination von VT und begleitender Medikation als wirksamste Methode heraus (Heuft/Kruse/Radebold 2000, S.274). ‐ 19 ‐ Therapie im Alter: Die Forschungsergebnisse bezüglich Verhaltenstherapie bei alten depressiven Menschen zeigen ganz klar deren Effektivität bei der Behandlung dieser Erkrankung, und zwar auch in Langzeitstudien. Nicht ausreichende Daten gibt es allerdings bezüglich der Gruppe der kognitiv beeinträchtigten und gebrechlichen („frail“) älteren Personen (vgl. Mackin/Aréan 2005, S.812). Im Alter geht es darum, sich mit angelernten negativen Altersbildern auseinanderzusetzen und sich an die alterbedingten Veränderungen anzupassen. Die Vorteile der Verhaltenstherapie bei der Behandlung Älterer sind ‐ nach Heuft, Kruse und Radebold ‐ insbesondere rasche Erfolgserlebnisse, das Vermeiden von regressionsfördernden Settings und die Betonung der Kompetenzen, die der Klient mitbringt. Weiters gibt es bereits ein Methodenrepertoire, das an den Beeinträchtigungsgrad des Patienten anpassbar ist. Die Therapie wird als Problemlösungsversuch im Hier und Jetzt aufgefasst und ist daher mit dem Alter gut vereinbar. Empirischen Studien zufolge kommt es zu einer Verminderung der Belastung pflegender Angehöriger durch eine adäquate Lösung für den Umgang mit Verhaltensproblemen. Pflegekräfte erhöhen in der Pflegesituation durch ihre Zuwendung oft unbewusst das unselbstständige Verhalten des zu Pflegenden. Das selbstständige Verhalten wird dabei ungünstiger Weise ignoriert und in der Folge gelöscht. Durch die Verhaltenstherapie sollen dem dysfunktionalen Verhalten zu Grunde liegenden Zusammenhänge und Umweltbedingungen erkannt und so gestaltet werden, dass das angestrebte Verhalten erleichtert wird. Ziel ist die Steigerung der Handlungsfreiheit und des Selbsthilfepotentials (vgl. Heuft/Kruse/Radebold 2000, S.274‐277). In der Literatur gibt es mehrere Modelle zur Therapie Älterer in der Verhaltenstherapie. Hier möchte ich auf das Modell der selektiven Optimierung mit Kompensation (SOK‐Modell) näher eingehen (vgl. Forstmeier/Maercker 2008, S.26). Das SOK‐Modell wurde von Hautzinger (2000) entworfen und in die Verhaltenstherapie eingeführt. Dabei werden im Störungsmodell zusätzlich zu lerntheoretischen und kognitiven Ansätzen altersspezifische Veränderungen wie physiologische Veränderungen, kognitiver Abbau und soziale Veränderungen miteinbezogen. Das Modell sieht bei der Erreichung psychologischer Anpassungsprozesse drei Komponenten im Vordergrund: Selektion, Optimierung und Kompensation. Bei der Selektion geht es um Auswahl, Neuanpassung und Veränderung von Zielen, Erwartungsbereichen und Ansprüchen in Anbetracht der möglichen Alternativen und vorhandener, ev. begrenzter Ressourcen (Bearbeiten und Aufgeben alter Enttäuschungen und Hoffnungen). Die Optimierung sieht eine Stärkung und Nutzung eigener und in der Umwelt vorhandener, zielrelevanter Handlungsmittel und Ressourcen vor. Konkret geht es hier vor allem um die Gestaltung der physikalischen Umwelt (altengerechtes Wohnen) und darum, depressionsfördernde Bedingungen in der Alltagswelt zu beseitigen (z.B. Isolation). Die Kompensation schließlich sieht die Schaffung und das Training neuer Fertigkeiten und Handlungsmöglichkeiten vor, um Einschränkungen und Verlusten entgegen zu wirken und so neue Wege und Bewältigungsweisen zu erlernen (nicht‐depressives Verhalten verstärken, resignative Kognitionen abbauen und durch konstruktive ersetzen). ‐ 20 ‐ Weitere Ansätze der Psychotherapie Schließlich sollen noch reflektive Therapien wie Psychodynamik, Lebensrückblicktherapie und Reminiszenztherapie erwähnt werden, wobei nach D. G. Blazer (2009) die Psychodynamik die empirisch am schwierigsten zu untersuchende Therapieform darstellt. Die Lebensrückblicktherapie beschäftigt sich mit vergangenen Konflikten und deren Bedeutung. In der Reminiszenztherapie geht es um eine positive Lebensbilanzierung, die meist in der Gruppe stattfindet. Auch die Bibliotherapie ist zu erwähnen: Dabei werden Patienten angeregt, sich kreativ im literarischen Bereich zu betätigen und durch die Auseinandersetzung mit der Literatur (z.B. Selbsthilfe‐Bücher) Fähigkeiten zu erwerben, um gegen die Depression anzukämpfen. Auch sie ist Studien zufolge eine effektive Therapie der leichten Depressionsform. Andere Therapiealternativen Blazer (2009, S. 128) stellt einige weitere Verfahren zur Depressionstherapie im Alter vor: Die ECT (elektrokraniale Stimulationstherapie) bleibt nach Blazer weiterhin umstritten. In Studien und Forschungsberichten werden gegensätzliche Ergebnisse bezüglich der Wirksamkeit der ECT im Alter im Vergleich mit jüngeren Patienten präsentiert. Das größte Problem in der Behandlungsform stellen nach wie vor passagere Gedächtnisprobleme dar, die nach einer solchen Behandlung auftreten und von Patienten als sehr belastend erlebt werden. Sie sollen allerdings nach einigen Wochen regelmäßiger Behandlung wieder vergehen. Eine Alternative stellt die TMS (transkraniale magnetische Stimulation) dar, eine neue Methode, die das Verfahren der ECT eventuell ersetzen könnte. Damit kann sowohl eine Narkose als auch ein ausgelöstes Krampfgeschehen vermieden werden. In Studien, die jedoch nicht speziell auf ältere Patienten zugeschnitten wurden, zeigt die TMS gleich gute Ergebnisse wie die ECT. Auch die Lichttherapie (30 Minuten helles Licht täglich) kann zu einer Verbesserung der depressiven Symptomatik beitragen. Bei der Behandlung der Minor‐Depression wird in der Alameda‐Studie zudem auf den positiven Effekt von körperlicher Betätigung bei depressiven Patienten hingewiesen. Prognose Was darf man sich erwarten? Allgemein gilt bei der Depression nach Ebert (2000, S.227), dass die Mehrzahl der depressiven Episoden mit einer Vollremission enden. 5‐10% bleiben chronisch depressiv, 20‐30% behalten uncharakteristische depressive Residualsymptome mit verminderter Belastbarkeit, reduzierter Leistungsfähigkeit, rascher Erschöpfung und Neigung zu depressiven Reaktionen. 40‐50% depressive Episoden bilden sich meist innerhalb von 6 Monaten zurück, 25‐30% innerhalb eines Jahres, 20‐25% dauern länger als ein Jahr. Eine antidepressive Therapie verkürzt die vom Patienten wahrgenommene Symptomdauer. In einem Review von Mitchel (2005, Abstract o.S.) wird betont, dass sich die Langzeitprognose der Depression im Alter nicht von der Prognose der Depression im mittleren Alter unterscheidet. Bei älteren Patienten scheint jedoch das Risiko für weitere depressive Episoden erhöht, was die Diskussion über die Dauer der antidepressiven Therapie im Alter anfacht. Bestehende Komorbiditäten haben weiters einen ‐ 21 ‐ schlechten Einfluss auf das Ansprechen der Therapie. Insgesamt gibt es also keine Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Patienten bezüglich der Remissionsrate, sehr wohl ist aber für die Älteren die Rezidivrate höher. Nach Utzeri (2006, S.7f.), die eine Reihe von Studien zusammenfasste, ist die Prognose von Depressionen im Alter jedoch schlechter als bei jüngeren Patienten, wenn die Erkrankung nicht erkannt und therapiert wird. Der Anteil einer Chronifizierung der Depression Älterer liegt bei 18‐43 % und scheint höher als bei jüngeren Patienten zu sein, vor allem wenn es zu rezidivierenden depressiven Episoden kommt. Folgende Prädiktoren für einen ungünstigen Verlauf werden bei Utzeri (ebd.) genannt: Eine gleichzeitig vorhandene Persönlichkeitsstörung, höhere Angst‐ und Depressionseingangwerte, frühere depressive Episoden, lang anhaltende depressive Erkrankung vor einer Behandlung, schlechter Gesundheitszustand oder körperliche Beeinträchtigung und Multimorbidität. Natürlich kann eine Depression andererseits auch den Verlauf von bestehenden Komorbiditäten ungünstig beeinflussen. Utzeri resümiert, dass in der Literatur insgesamt weiterhin die Frage offen bleibe, ob die Prognose der Depression im Alter günstig, mäßig oder schlecht ist, da die vorliegende Datenlage sehr unterschiedlich und schwer zu vergleichen ist. Die gravierendste Komplikation der Depression ist aber ohne Zweifel der Suizid, weshalb in der Folge auf dieses Thema eingegangen werden soll. Suizidalität im Alter Nach Heuft/Kruse/Radebold (vgl. 2000, S.132ff) steigt die Anzahl der vollendeten Suizide im Alter an. Männer sind dabei zwei‐ bis dreimal häufiger betroffen als Frauen. Das Alter ist sogar die dritthäufigste Gefährdungskategorie für Suizid, nach der Depression und Suchtmitteln. Bilanzsuizide finden sich im Alter eher selten, dagegen erhöhen Suizide von nahestehenden Personen das Risiko eines Nachahmungssuizids des alten Menschen. Es ist daher ausgesprochen wichtig, das Thema Suizid dem alten Menschen gegenüber offen anzusprechen. Durch empathisches Nachfragen werden keine „schlafenden Hunde“ geweckt – vielmehr wird dieses Ansprechen des Suizid‐Themas in der Regel als Erleichterung empfunden. Es ist sehr schwer objektive Kriterien für Suizidalität zu definieren. Man sollte in jedem Fall das präsuizidale Syndrom von Ringel bedenken, das drei Merkmale umfasst, die dem Suizid vorangehen (vgl. Lindner, Fiedler u. Götze 2003, o.S.): •
die zunehmende Einengung der Wahlmöglichkeiten, bis nur noch der Suizid bleibt •
die Aggressionsumkehr, also erhöhte Aggression, die sich langsam gegen sich selbst richtet, und •
bewusste Suizidfantasien, mit denen man der Realität entflieht – eine Scheinwelt wird aufgebaut. Besonders achtsam sollte man nach Heuft, Kruse und Radebold (2000, S.135) weiters sein, wenn der Patient in der Therapiesituation plötzlich gelöst und fast heiter ist, da er dann befreit durch den endgültigen Vorsatz alles Belastende hinter sich zu lassen, unmittelbar vor einem Suizid stehen könnte. Im Notfall ist nicht mit einer stationären Einweisung im Sinne des Unterbringungsgesetzes zu zögern – dabei ist eine genaue Dokumentation von größter Wichtigkeit, um sich dabei als Arzt forensisch abzusichern. Die Unterbringung gegen den Willen des Patienten ist ein heikles Thema, das zudem auf keinen Fall benutzt werden soll, um dem Patienten zu drohen (ebd.). ‐ 22 ‐ An der Klinik ist es für den behandelnden Arzt verführerisch, Suizidalität zu übersehen, weil er ungestraft das Risiko vom Krankenhaus an andere Schauplätze verlagern kann. Der Patient ist ungehalten, wen er eingewiesen wird und immer dankbar, wenn er heimgehen darf. Es ist das Risiko abzuwiegen, dass der Suizid sich im Krankenhaus ereignen könnte, gegenüber dem, dass er woanders stattfindet. Eines der Risiken, dass es überhaupt passiert, ist das Heimgehen lassen des Patienten. Der Therapeut ist beim Einweisen zwar immer „der Böse“, der Patient jedoch überlebt. Risikoverlagerung ist nicht Risikoreduktion. Die Frage, ob eine Therapie mit Antidepressiva ‐ insbesondere der Gruppe der SSRI ‐ das Suizidrisiko erhöhen, beantwortet Möller (2010, o.S.) mit einem klaren Nein: „Derzeit gibt es keine Evidenz, dass Antidepressiva das Suizidrisiko erhöhen. Nicht auszuschließen ist, dass Antidepressiva zu Therapiebeginn das Risiko von suizidalen Gedanken und Suizidversuchen erhöhen, möglicherweise eher SSRI als andere. Deshalb muss den Patienten zu Therapiebeginn besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.“ Einen weiteren Faktor bez. erhöhtem Suizidrisiko im Alter stellt nach Heuft, Kruse und Radebold (2000, S.135‐137) die narzisstische Krise dar. Im Alter kommt es zu einer sensorischen Deprivation (Seh‐ und Hörbeeinträchtigung), dadurch kann es auch ohne depressive Symptome zu einer sozialen Desintegration kommen, was wiederum eine narzisstische Verletzung zu Folge haben kann (Selbstwertbeeinträchtigung). Diese drei Faktoren wirken beim alten Menschen in einer dynamischen Wechselbeziehung und werden durch protektive (religiöse Bindung, positiv besetztes Altersbild, Zukunftspläne) und fakultativ aggressive (Belastung, fehlende Zukunftsperspektiven u. a.) Faktoren beeinflusst. Wenn nun aggressive Faktoren überwiegen, führt dies, ohne eine depressive Symptomatik zu bedingen, zu einem erhöhten Suizidrisiko. Die motivierte Selbstaufgabe (ebd.), unter der ein plötzlicher Rückzug und Nahrungsverweigerung verstanden wird, ist ein weiterer Punkt, der uns bei älteren Patienten Kopfzerbrechen bereitet. Diese imponiert nämlich oft als Erlöschen der Lebenskraft. Der Therapeut hat sich dabei die Frage zu stellen, ob die vorliegende Symptomatik Teil eines physiologischen Sterbeprozess ist und in der Konsequenz eine würdige Sterbebegleitung in die Wege zu leiten ist, oder es sich um eine suizidale Krise handelt, die mit intensivmedizinischen Maßnahmen behandelt werden muss (z.B. PEG‐Sonde). Schlussfolgerung Die besondere Komplexität der Depression im Alter erfordert im einzelnen Behandlungsfall eine umfassende Berücksichtigung und Synthese ihrer biologischen, sozialen und psychotherapeutischen Aspekte im Sinne des biopsychosozialen Krankheitsmodells. Beim Vergleich der vorliegenden evidenzbasierten Untersuchungen erweist sich generell die Psychotherapie in Verbindung mit adäquater Medikation als offenbar erfolgreichstes Verfahren zur Therapie der Depression im Alter. In einzelnen Reviews wird die Verhaltenstherapie als besonders aussichtsreich herausgestellt, was jedoch aufgrund mangelhafter Untersuchungslage bei anderen Psychotherapieverfahren noch kein Indiz für bessere Behandlungserfolge ist. Wie schon eingangs festgestellt, tendiert die Wissenschaft zur Zerstückelung des Untersuchungsgegenstandes, weshalb leider keine eindeutigen, evidenzbasierten Aussagen zur Integration der therapeutischen Ansätze in ein biopsychosoziales Modell von Gesundheit getroffen werden können. Berücksichtigt man jedoch die Prädiktoren (wie z.B. Vereinsamung) für das Auftreten und das Rezitiv der Depression im Alter, so müssen psychosoziale bzw. sozialpsychiatrische Maßnahmen in der modernen ‐ 23 ‐ Therapie meines Erachtens ebenso gesetzt und gefördert werden. Wird dieser Gedanke konsequent weitergedacht, kann sich der Umgang mit Depression im Alter nicht nur auf therapeutische Maßnahmen beziehen, sondern muss adäquate Settings und Strukturen wie ein ausreichendes Angebot an Sozialer Arbeit, Betreuung und Pflege – auch zu Hause – beinhalten. ‐ 24 ‐ Literaturverzeichnis Alexopoulos, G. (2011): Pharmacotherapy for Late‐Life Depression. Journal of Clinical Psychiatry. Ausgabe 72(1). Blazer, D. (2003): Depression in Late Life: Review and Commentary. In: Focus. The Journal of Lifelong Learning in Psychiatry. Ausgabe 7, Nr.1., S.118‐136. Ebert ,D./Loew, Th. (2005): Psychiatrie systematisch. Bremen: UNI‐MED Verlag AG. Ebner, C./Hofmann, P. (2008): Besonderheiten in der Therapie von Depression und Psychosen im Alter. 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