Tränenfilmproteine, weiche Kontaktlinsen und Lösungen Die Interaktion der Tränenfilmproteine mit Kontaktlinsen und Lösungen ist ein wichtiger Aspekt beim Tragen von Kontaktlinsen. Dr. Philip Morgan und Dr. Curtis Dobson erläutern den derzeitigen Wissensstand im Zusammenhang mit diesen Wechselwirkungen Seit den Anfängen der Hydrogel-Kontaktlinsen ist bekannt, dass sich Komponenten des Tränenfilms auf und im Kontaktlinsenmaterial ablagern (Abbildung 1).1 Vor allem Tränenfilmproteine wurden mit verringertem Tragekomfort2, verringerter Sehleistung3 und entzündlichen Reaktionen wie z.B. einer papillaren Konjunktuvitis4 beim Kontaktlinsentragen in Verbindung gebracht. Das Verständnis des Zustands und der Rolle der Tränenfilmproteine und ihrer Interaktion mit Kontaktlinsen und Lösungen ist ein wichtiger Faktor, wenn unerwünschte Ereignisse beim Kontaktlinsentragen verringert werden sollen. Abb. 1 Ablagerungen auf weichen Kontaktlinsen (mit freundlicher Genehmigung der Bausch & Lomb Image Library) Das grundsätzliche Verständnis des Aufbaus von Proteinen ist ein guter Ausgangspunkt. Proteine sind Moleküle, die aus linearen Ketten aus etwa 20 Aminosäuren bestehen, die durch Peptidbindungen zwischen dem Carbonyl und den Aminogruppen benachbarter Aminosäuren verbunden sind. Der Begriff Peptid wird häufig verwendet, um kürzere Ketten (etwa 40 Aminosäuren oder weniger) zu beschreiben; mit zunehmender Länge der Ketten wird auch die Molmasse größer. Die Proteinstruktur wird in vier Ebenen eingeteilt, die den Aufbau einzelner Proteinmoleküle und Mehrfachmoleküle widerspiegeln. Die Primärstruktur (auch: Sequenz) bezieht sich auf die Anordnung der Aminosäuren auf einer einzelnen Proteinkette. Die Sekundärstruktur bezeichnet die lokale Faltung dieser Kette in verschiedenen Konfigurationen, häufig innerhalb desselben Proteinmoleküls, mit Hilfe von Wasserstoffbrückenbindungen. Die Tertiärstruktur beschreibt die Faltung der Bestandteile der Sekundärstruktur sowie deren Anziehung untereinander innerhalb eines einzelnen Proteinmoleküls, während die Quartärstruktur sich aus mehreren Proteinmolekülen zusammensetzt. „Denaturierung“ bezeichnet wichtige Veränderungen in der Struktur der Proteine, die keine Auswirkungen auf die Primärstruktur haben, jedoch die anderen Formen des strukturellen Aufbaus verändern können. Im denaturierten Zustand verlieren die meisten Proteine ihre biologische Funktion, dieser Vorgang kann allerdings unter Umständen rückgängig gemacht werden. Unveränderte Proteine werden im Allgemeinen als in „natürlichem“ Zustand bezeichnet. „Proteinkonformation“ bezeichnet die sekundären, tertiären oder quartären Formen, die ein Protein unter bestimmten Bedingungen annehmen kann. Der Wechsel zwischen diesen Zuständen (Konformationsänderung) wirkt sich häufig auf die Funktion eines Proteins aus. Proteine können auf Grund von Veränderungen der Temperatur, des pH-Werts, der Strahlung, der Oberflächenhydrophobie sowie durch peroxidierende Lipide und andere chemische Stoffe denaturieren. Unter solchen Bedingungen werden die für die Aufrechterhaltung der Sekundär- oder Tertiärstruktur erforderlichen Verbindungen und Interaktionen destabilisiert. Ein alltägliches Beispiel für eine irreversible Denaturierung eines Proteins kann man beobachten, wenn das Eiweiß beim Braten eines Spiegeleis undurchsichtig und hart wird. Tränenfilmproteine Im menschlichen Tränenfilm wurden fast 500 verschiedene Proteine gefunden, von denen jedoch lediglich vier – Lysozym, Lipocalin, Lactoferrin und sekretorisches Immunoglobulin A (sIgA) – in hohen Konzentrationen vorkommen (Tabelle 1). Alle wichtigen Tränenfilmproteine werden in der Tränendrüse erzeugt; Lysozym, Lipocalin und Lactoferrin werden von den Azini (traubenartige Zellmassen innerhalb der Tränendrüse) abgesondert., während sIgA von interstitiellen Plasmazellen produziert wird, die innerhalb der Drüse, jedoch außerhalb der Azini liegen. Protein Molmasse (in Dalton) Konzentration (mg ml-1) Lysozym 14,000 2.07 Lipocalin 17,500 1.55 Lactoferrin 90,000 1.65 Sekret-IgA 385,000 1.93 Tabelle 1: Die wichtigsten Tränenfilmproteine5 Die unterschiedliche Herkunft der Tränenfilmproteine wirkt sich auch auf ihr Vorkommen zu verschiedenen Tageszeiten aus. Die Azini produzieren ein wässriges Sekret, dessen Volumen sich über Nacht verringert, d.h. dies trifft auch auf die drei in den Azini produzierten Proteine zu. Im Gegensatz dazu wird sIgA im Schlaf weiter produziert, was in Verbindung mit dem geringeren Wasservolumen zu einem deutlichen Anstieg der Konzentration führt. Der veränderte Zustand des Tränenfilms beim Tragen von Kontaktlinsen über Nacht inklusive Anstieg der sIgA-Konzentration und Anzahl polymorphkerniger weißer Blutkörperchen hat einige dazu veranlasst, das über Nacht geschlossene Auge als „subklinische Entzündungszustand“ zu bezeichnen. Die Rolle der wichtigen Proteine Jedes der wichtigen Proteine im Tränenfilm spielt eine Rolle bei der Prävention von Infektionen und der Erhaltung der Augengesundheit. Lysozym ist ein hochwirksames antibakterielles Enzym, das die Bindungen in den Bakterienzellwänden spaltet, vor allem bei gram-negativen Bakterien. Die wichtigsten von Lysozym attackierten Bakterien im Tränenfilm sind bestimmte Arten von Streptococcus und Staphyloccus, die eine Bindehautentzündung hervorrufen können. Lipocalin scheint innerhalb des Tränenfilms eine lipidbindende Wirkung zu haben und hat eine starke Affinität zu Fettsäuren. Das verleiht ihm zwei wichtige Eigenschaften: Die Bindung zwischen Lipocalin und Lipiden bestimmt die Oberflächenspannung der Tränen und verhindert, dass Lysozym durch langkettige Fettsäuren deaktiviert wird. Auf diese Weise wird die antibakterielle Wirkung des Tränenfilms indirekt verbessert. Lactoferrin kann sowohl an gram-positive als auch an gram-negative Bakterienmembranen binden und verhindert das Wachstum verschiedener Bakterien wie z.B. Escherichia coli, Haemophilus influenzae sowie bestimmte Arten von Streptococcus, Staphylococcus und Pseudomonas. Es gibt zudem Belege für eine synergetische Wirkung von Lactoferrin und Lysozym. So ist beispielsweise Staphylococcus epidermidis nur dann anfällig gegenüber Lactoferrin, wenn auch Lysozym vorhanden ist. Die antibakterielle Wirkung von Lactoferrin wird durch seine Fähigkeit, an freies Eisen im Tränenfilm zu binden, weiter verstärkt. Auf diese Weise steht weniger Eisen für bakterielles Wachstum zur Verfügung. Lysozym, Lipocalin und Lactoferrin sind für die natürlichen Verteidigungsmechanismen des Tränenfilms verantwortlich, aber sIgA ist wichtig für das adaptive Reakti- onssystem. Es schützt das Auge, indem es die Anlagerung von Bakterien an die Augenoberfläche verhindert und ihre Zerstörung ermöglicht. Kontaktlinsenmaterialien und Proteine Tränenfilmproteine lagern sich während des Tragens von Kontaktlinsen schon nach kurzer Zeit, manchmal schon nach wenigen Stunden, an (und in) dem jeweiligen Kontaktlinsenmaterial ab.6 Diese Ablagerung steht in engem Zusammenhang mit dem Materialtyp: Ionische Linsen, die Methacrylsäure enthalten, ziehen Proteine deutlich stärker an als andere Materialien, darunter auch nichtionische Linsen, die N-Vinylpyrrolidon enthalten.7 Vor allem Lysozym hat eine erhebliche positive Ladung und wird von der negativen Ladung einiger Materialien angezogen. Zwar wird aus klinischer Sicht die Anziehung von Proteinen auf und in weiche Kontaktlinsen im Allgemeinen als negativ bewertet, allerdings kann eine Ansammlung von Proteinen mit antibakteriellen Eigenschaften in einer Kontaktlinse durchaus als wünschenswert erachtet werden. Diese Hypothese stützt sich auf die Anzahl der Bakterien, die sich auf getragenen und ungetragenen Kontaktlinsen befinden; die Anzahl lebensfähiger gramnegativer Bakterien ist auf getragenen Linsen geringer als auf neuen, ungetragenen Linsen.8 Wenn man bedenkt, dass diese Bakterien zu unerwünschten Ereignissen beim Tragen von Kontaktlinsen führen können, kann sich hieraus ein eindeutiger klinischer Vorteil ergeben. Da sich das Verhalten von Proteinen durch die Denaturierung verändert, könnte sich jeder mögliche Nutzen von Proteinablagerungen auf Kontaktlinsen auf den Zustand der Tränenfilmproteine zurückführen lassen. Die Denaturierung von Lysozym verursacht beispielsweise eine Verringerung der bakteriellen Aktivität.9 Papillare Konjunktivitis steht im Zusammenhang mit dem Vorhandensein denaturierter Proteine4, und auch andere negative Reaktionen auf das Tragen von Kontaktlinsen wie z.B. verringerter Tragekomfort2 und verringerte Sehleistung3 können mit dem Ausmaß der Proteindenaturierung im Zusammenhang stehen. Um diese Effekte vollständig zu verstehen ist weitere Forschung erforderlich. In verschiedenen Studien wurde die Beziehung zwischen Proteinen und verschiedenen Kontaktlinsenmaterialien untersucht. Etafilcon-Linsen weisen nach dem Tragen ein relativ hohes Maß an Lysozym auf (1mg/Linse) im Vergleich zu Linsen aus Balafilcon (10µg/ Linse) und Lotrafilcon (2µg/ Linse.10 Auch das Ausmaß der Denaturierung variiert innerhalb der Linsentypen; das auf Linsen aus Lotrafilcon, Balafilcon und Etafilcon angelagerte Protein wurde als 80%, 50% bzw. 22% denaturiert gemessen. Legende: AA Acuvue Advance AO Acuvue Oasys AV2 Acuvue 2 FND Focus Night & Day O2 Air Optix PC Proclear PV PureVision 10000 Total HEL (µg/lens) 1000 100 10 1 AA A0 AV2 FND O2 PC PV Abb. 2a: Lysozym-Gesamtmenge auf einer Vielzahl von Konktaktlinsenmaterialien11 Legende: AA Acuvue Advance AO Acuvue Oasys AV2 Acuvue 2 FND Focus Night & Day O2 Air Optix PC Proclear PV PureVision 100 90 80 70 60 % Activity 50 40 30 20 AA A0 AV2 FND O2 PC PV Abb. 2b: Menge des denaturierten Lysozyms (weniger Aktivität bedeutet höheres Ausmaß der Denaturierung) auf einer Vielzahl von Kontaktlinsenmaterialien11 Suwala et al11 untersuchten die Menge des abgelagerten Lysozyms und das Ausmaß der Denaturierung auf einer Vielzahl weicher Kontaktlinsenmaterialien und kamen zu dem Ergebnis, dass das Aktivitätsniveau ausgesprochen variabel ist (Abbildung 1a und 2b). Auch andere Forscher berichteten über die Denaturierung von Lysozym beim Tragen weicher Kontaktlinsen.12 Kontaktlinsenlösungen und Proteine Im Vergleich zu den Wechselwirkungen zwischen Proteinen und Linsenmaterialien wurde über das Zusammenspiel mit Lösungen bislang nur wenig berichtet. Eine Studie unter No-Rub-Bedingungen kam zu dem Ergebnis, dass mehr Protein von Kontaktlinsen entfernt wird, die in OptiFree Express gelegt wurden als von solchen, die in ReNu MultiPlus oderr SOLO-care Plus aufbewahrt wurden.13 Andere Wissenschaftler untersuchten die Zusammensetzung der Tränenproteine in der Tränenflüssigkeit von Kontaktlinsenträgern, die verschiedene Linsenpflegemittel verwendeten.14 Sie kamen zu dem Schluss, dass die „Proteinmuster“ mit einigen Pflegemitteln dem bei Nicht-Kontaktlinsenträgern auftretenden Muster ähnlicher sind als mit anderen Pflegemitteln. Eine neuere Studie ergab, dass OptiFree Express im Vergleich zu ReNu with MoistureLoc, Complete MoisturePlus und AQuify die meisten Proteine entfernt und dass dieses Ergebnis auch vom Kontaktlinsenmaterial abhängt.15 Lösung und Linsenmaterial hatten auch Auswirkungen darauf, welche Arten von Proteinen entfernt wurden. Bislang scheint es in der Literatur nur wenig Informationen über den Konformationszustand der Tränenfilmproteine in Bezug zur Kontaktlinsenlösung zu geben. In weiteren Studien sollen etwaige Unterschiede in der Wirksamkeit der Lösungen bei der Verringerung der Denaturierung von Proteinen und die klinische Signifikanz dieser Unterschiede untersucht werden. Schlussfolgerungen Tränenfilmproteine spielen eine wichtige physiologische Rolle. Die mögliche Denaturierung von Proteinen auf Kontaktlinsenoberflächen sowie durch Kontaktlinsenlösungen steht mit einigen negativen Folgeerscheinungen des Kontaktlinsentragens im Zusammenhang. Ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Tränenfilmproteinen, weichen Kontaktlinsen und Lösungen könnte neue Strategien hervorbringen, wie das Ausmaß unerwünschter Ereignisse verringert und die natürliche antibakterielle Aktivität des Tränenfilms aufrechterhalten oder verbessert werden kann. Literaturverweise: 1. Eriksen S. Cleaning hydrophilic contact lenses: an overview. Annal Ophthalmol 1975; 7: 1223-6, 1229-32. 2. Jones L, Franklin V, Evans K, Sariri R and Tighe B. Spoilation and clinical performance of monthly vs. three monthly Group II disposable contact lenses. Optom Vis Sci 1996; 73: 16-21. 3. Gellatly KW, Brennan NA and Efron N. Visual decrement with deposit accumulation of HEMA contact lenses. Am J Optom Physiol Opt 1988; 65: 937-941. 4. Skotnitsky C, Sankaridurg PR, Sweeney DF and Holden BA. General and local contact lens induced papillary conjunctivitis (CLPC). Clin Exp Optom 2002; 85: 3 193-197. 5. Tiffany J. The normal tear film. 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