AKUTE PANKREATITIS (AP)

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W. Schepp, Akute Pankreatitis
AKUTE PANKREATITIS (AP)
Wolfgang Schepp
Definition, Epidemiologie, Verlauf: Die AP ist eine akute Entzündung des Pankreas mit
variabler Einbeziehung benachbarter Gewebe oder entfernt liegender Organe. Bildgebend
finden sich keine charakteristischen Veränderungen der chronischen Pankreatitis. Die
Inzidenz der AP liegt bei 5-25 : 100.000. Die Mortalität beträgt insgesamt bis zu 5%. Für
Hospitalisierte wird sie mit 2-22% angegeben, für nekrotisierende Verläufe bis zu 30%. Im
Regelfall kommt es jedoch nach AP zur vollständigen histologischen und funktionellen
Erhohlung des Pankreas. Die endokrine Funktion erhohlt sich rasch, die exokrine benötigt
gelegentlich bis zu 1 Jahr. Nur nach nekrotisierender AP kann dauerhafte exo- und endokrine
Insuffizienz eintreten. Ätiologie: In 60-75% der Fälle sind Alkoholabusus oder
Gallengangssteine < 5 mm bzw. Mikrolithiasis und Sludge die Ursache der AP, wobei in
weiblichen Patienten die biliäre, in männlichen die äthyltoxische Genese häufiger ist. Alkohol
könnte die pankreatische Enzymsynthese überstimulieren oder zu einer Steigerung der
Empfindlichkeit gegenüber CCK führen. Gallengangsobstruktion führt wahrscheinlich über
biliären Reflux in den Pankreasgang zur AP, alternativ durch Aufstau und Druckerhöhung.
Weitere gallengangsobstruktive Ursachen der AP sind Ascariasis, periampulläre Divertikel,
narbige Papillenstenosen (auch bei Zöliakie-bedingter Papillitis) oder Malignome,
Choledochocele Typ V sowie Duodenalstenose. Auch ERCP (3%), v.a. mit EPT (5%) oder
Sphinctermanometrie (bis zu 25%), sowie Traumata (Pankreasruptur bei Kontusion gegen die
Wirbelsäule) erhöhen das Risiko der AP. In bis zu 30% der AP ist die Ursache weder biliär
noch äthylisch und nur durch aufwändige Zusatzdiagnostik zu ermitteln (ungeklärte AP;
UAP). Mögliche Ursachen sind Pancreas divisum, Dyskinesie des Sphinkter Oddi,
angeborene Genmutationen für kationisches Trypsinogen (PRSS1), pankreatischen
sekretorischen Trypsininhibitor (PSTI, SPINK1) oder für den Zystische Fibrose
Transmembran Conductance Regulator (CFTR) sowie α1-Antitrypsinmangel. Weitere
mögliche Ursachen der UAP sind Hyperlipidaemie Typ I, II oder V (Triglyceride > 1.000
mg/dL; 1,3-3,8% der UAP), Hyperkalzämie z.B. bei primärem Hyperparathyreoidismus
(Intrapankreatische Kalziumpräzipitate? Intraparenchymatöse Trypsinogenaktivierung durch
Kalzium?), Medikamente (Oft erst nach freiem Intervall! z.B. Didanosin, Furosemid,
Valproat, Metronidazol, 5-ASA, Azathioprin), Infektionen (Mumps, HIV, HSV, CMV,
Coxsackie, Salmonellen) und Ischämie (Vasculitis, hypotensiver Schock). Erst nach
Ausschluß auch dieser Ursachen sollte von einer idiopathischen AP gesprochen werden (wohl
< 5%), darunter auch Autoimmun-AP. AP in den ersten beiden Lebensjahrzehnten weist auf
infektiöse, traumatische oder angeborene Ursachen hin. Klinische Symptome:
Charakteristisch ist ein akut einsetzender Schmerz im mittleren Epigastrium oder im rechten
Oberbauch. Bandförmige Ausstrahlung in den Rücken ist häufig. Bei biliärer AP ist der
Schmerzbeginn oft postprandial, bei alkoholischer AP kann er dem Alkoholexzess mit 1-3
Tagen Verzögerung folgen. Im Gegensatz zur Gallenkolik ebbt der AP-Schmerz nicht nach 68 Stunden ab, sondern hält tagelang an. Schmerzlose Verläufe sind möglich (postoperative AP
nach NTX; Peritonealdialyse; Legionellose) und betreffen 5-10% aller AP! Anhaltende
Übelkeit mit Erbrechen, Ruhelosigkeit und Agitation, Schmerzlinderung durch Vorbeugen
des Oberkörpers sind typisch. Körperliche Befunde: Sie reichen vom epigastrischen
Druckschmerz, Fieber und Tachycardie bis zu Schock und Koma. Häufig sind ein geblähtes
und gespanntes Abdomen mit aufgrund eingeschränkter Zwerchfellbeweglichkeit abgeflachter
Atmung bis hin zur Dyspnoe. Ikterus ist als Ausdruck einer Gallengangsobstruktion durch
Konkremente oder entzündliche Schwellung des Pankreaskopfes zu werten. Retroperitoneale
Blutungen werden als Ekchymosen in den Flanken erkennbar (Grey-Turner Zeichen),
Blutungen in die Bauchhöhle periumbilical (Cullen Zeichen). Sie sind als prognostisch
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ungünstig zu werten. Schmerzhafte subkutane noduläre Fettgewebsnekrosen (Panniculitis)
treten meist auf den distalen Extremitäten auf. Tastbare Hepatomegalie weist auf
aethyltoxische Ursachen der AP hin, Xanthome auf eine Hyperlipidämie, Parotisschwellung
auf Mumpsvirusinfektion. Pseudozysten können, meist erst Tage nach Krankheitsbeginn,
abdominell getastet werden. Labordiagnostik: Eine Entkoppelung von fortbestehender
Produktion und zusammenbrechender Sekretion pankreatischer Ezyme führt zu deren
Übertritt ins Interstitium und in die systemische Zirkulation, wo ihre ansteigenden
Konzentrationen im Serum als Parameter der AP bestimmt werden können. Eine Erhöhung
der Amylaseaktivität i.S. kann durch zahlreiche differentialdiagnostisch zu bedenkende
Ursachen bedingt sein (u.a. Parotitis, Niereninsuffizienz, Makroamylasaemie), die Spezifität
für die Diagnose der AP ist daher unzureichend. Die Spezifität steigt durch Bestimmung der
pankreatischen Isoamylase (P-Amylase), die 35-50% der totalen Amylaseaktivität i.S.
repräsentiert. Ein Anstieg über das Dreifache der Norm wird gefordert. Er wird bei
Hypertriglyceridämie-assoziierter AP häufig nicht erreicht. Die Messung der AmylaseCreatinin-Clearance-Ratio verbessert die Spezifität und Sensitivität der alleinigen
Bestimmung der P-Amylase nicht. Die Bestimmung der Lipase ist jetzt technisch verbessert
und erleichtert worden und ist hochsensitiv und –spezifisch. Ihr Anstieg im Serum beginnt
früher, ihre Ausscheidung im Urin hält länger an als die der P-Amylase. Lipasebestimmungen
sind daher v.a. bei Patienten mit aethylischer Pankreatitis nützlich, die erst mit mehrtägiger
Latenz zum Alkoholexzess symptomatisch werden und den Arzt aufsuchen. Kombinierte
Bestimmung von P-Amylase und Lipase verbessert die diagnostische Aussage nicht.
Trypsinogen-2 in Serum und Urin ist wahrscheinlich zur Frühdiagnose einer z..B. PostERCP-Pankreatitis geeignet. Non-enzymatische Pankreasprodukte wie Pankreatitisassoziiertes Hitzeschockprotein PAP) oder das Trypsinogen-Aktivierungsprotein (TAP) sind
möglicherweise als Verlaufsparameter für den Schweregrad der Pankreatitis ebenso geeignet
wie Zytokine, v.a. IL-8, oder C-reaktives Protein (CRP; > 150 mg/ dL). GPT > 150 IU/L
weist mit 96% Spezifität auf eine biliäre Pankreatitis hin. Bildgebende Diagnostik: Die
Röntgenübersicht des Abdomens dient zum Ausschluß anderweitiger Schmerzursachen
(Obstruktion, Perforation). Sie können den lokalisierten Ileus einer Dünndarmschlinge zeigen
oder das „cut-off sign“ des luftleeren absteigenden Colons infolge der reflektorischen
Kontraktion oder entzündlichen Schwellung des von pankreatitischen Exsudaten erreichten
Dickdarms. Die Röntgenübersicht des Thorax kann reflektorischen Zwerchfellhochstand,
basale Atelektasen oder Infiltrate sowie Pleuraergüsse zeigen. Der abdominelle Ultraschall
zeigt ein vergrößertes, echoarmes Pankreas und versucht, Gallenblasen- oder –
gangskonkremente sowie eine Gallengangsstauung bei biliärer Pankreatitis nachzuweisen. In
nahezu 50% ist die Beurteilung jedoch durch Gas im paralytischen Dünndarm erschwert.
Daher führt in der Diagnostik das oral und – bei ausreichender Nierenfunktion - i.v.
kontrastierte CT, v.a. in der Diagnostik von Pankreasnekrosen. Deren Ausprägung wird durch
ionisches Kontrastmittel nicht verstärkt, auch nicht durch Gadolinium bei Kontrast-MRT.
Dieses ist dem CT in der Beurteilung von Exsudaten, Nekrosen, Abszessen und Blutungen
überlegen, ermöglicht eine der ERCP gleichwertige Beurteilung von Gallen- und
Pankreasgang und birgt kein nephrotoxisches Risiko. Aufgrund ihres inhärenten AP-Risikos
ist die ERCP zur reinen Diagnostik der AP nicht indiziert. In Zweifelsfällen ist EUS das
sensitivste Verfahren zur Detektion von Gallengangssteinen. Therapie: Bei milder
interstitieller AP genügen i.v. Volumensubstitution (auch zur Prävention hypovolämischer
Mikrozirkulationsstörungen im Pankreas), Analgetika ohne opiattypische Erhöhung des
Sphincter Oddi Druckes und Nahrungskarenz. Die orale Ernährung kann stufenweise ab dem
3.-7. Krankheitstag wiederaufgenommen werden. Schwere exsudative und nekrotisierende
Verläufe mit dem Risiko systemischer Komplikationen incl. Multiorganversagen erfordern
dagegen intensivmedizinische Behandlung. Aggressive i.v. Volumensubstitution (5-10 L/Tag)
der ausgeprägten exsudativen Verluste, auch mit Dextran-60, ist vordringlich, um akute
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Tubulusnekrosen und oligurisches Nierenversagen zu vermeiden. Albuminersatz und
Erythrozytentransfusion können hierunter erforderlich werden. Wenn nasale bzw.
Maskenoxygenierung nicht mehr ausreichen, sind Intubation und maschinelle Beatmung
indiziert. Durch Einschwemmkatheter wird unterschieden, ob Hypoxie durch kongestives
Herzversagen (erhöhter pulmonalarterieller Wedge-Druck) oder pulmonal (normaler oder
erniedrigter pulmonalarterieller Wedge-Druck) verursacht wird. Ein ARDS kann sich
zwischen 2. und 7. Behandlungstag entwickeln infolge gesteigerter alveolärer
Kapillarpermeabilität mit interstitiellem Ödem. Beatmung mit positivem endexspiratorischem
Druck ist hier entscheidend. Dopamin i.v. kann bei Hypotension verabreicht werden, ohne,
wie andere Vasokonstriktoren, die pankreatische Mikrozirkulation zu beeinträchtigen.
Bakterielle Infektion pankreatischer und peripankreatischer Nekrosen kann sich im Verlauf in
bis zu 30% mit schwerer AP entwickeln. Prophylaktische selektive Darmdekontamination mit
nichtresorbierbaren Antibiotika senkt Infektionsrate und Mortalität der nekrotisierenden AP.
Systemisch sind nur Antibiotikakombinationen wirksam, die in pankreatische Nekrosen
eindringen können (Imipenem, Zephalosporine der 3. Generation, Piperacillin, Mezlocillin).
Sie ziehen jedoch häufiger Pilzinfektionen nach sich. Prophylaktische antifungale Therapie
(z.B. Fluconazol) ist daher sinnvoll. Eine weitere Prophylaxe infizierter Nekrosen besteht im
Beginn mit enteraler Ernährung bei nachlassendem Ileus. Über eine endoskopisch
eingebrachte nasojejunale Sonde wird eiweißreiche, fettarme Nahrung instilliert. Hierdurch
werden die Integrität der antibakteriellen Darmbarriere unterstützt und der Übertritt enteraler
Erreger in Zirkulation und Exsudate erschwert und das Infektionsrisiko zentraler
Venenzugänge vermieden. Bei V.a. eingetretene Infektion pankreatischer Nekrosen kann
diese durch CT-gezielte Punktion mit Kultur des Punktats auf aerobe und anaerobe Erreger
sowie auf Pilze nachgewiesen werden. Meist handelt es sich um monobakterielle Infektionen
mit enteralen Erregern (E. Coli, Pseudomonas, Klebsiellen, Enterokokken). Interventionellradiologischer CT-gezielter oder aber endoskopischer Einbringung von Spüldrainagen wird
aktuell der Vorzug gegeben vor offen-chirurgischem Debridement mit anschließender
Spülung über retroperitoneale Drainagen. Sterile Nekrosen bedingen keine interventionelle
oder chirurgische Therapie. Bei ausreichendem V.a. biliäre Ursache der AP ist die ERCP zur
Papillotomie und Extraktion von Steinen oder Sludge schnellstmöglich, spätestens binnen 72
Stunden indiziert. Postinterventionell sind Antibiotika zur Prophylaxe bzw. Therapie einer
Cholangitis sinnvoll. Ca. 4 Wochen nach Abklingen der AP folgt die laparoskopische
Cholecystektomie. Nur bei massiven postentzündlichen Verwachsungen wird auf das offene
Verfahren umgestiegen. Bei belassener Cholecystolithiasis erleiden 30-50% der Patienten ein
AP-Rezidiv, im Mittel 108 Tage nach Entlassung. Rezidiv-AP nach Cholecystektomie sind
dagegen auf < 2% reduziert. Bei Behinderung der Pankreassekretion durch die Minorpapille
in AP-Patienten mit Pancreas divisum kann, nach Ausschluß anderer Ursachen der AP, die
Minor-Sphincterotomie in 60% die Symptome lindern und in 80% die Rezidiv-AP vermeiden.
Maior-Sphincterotomie kann bei Sphincterdyskinesie oder narbiger Papillenstenose die
Rezidiv-AP verhindern. Längerfristiges Pankreasstenting kann dagegen chronischentzündliche Gangveränderungen hervorrufen und sollte vermieden werden. Nach schwer
verlaufender, auch nekrotisierender AP wird die orale Nahrungszufuhr schrittweise
wiederaufgenommen, sobald der Patient schmerzfrei ist und keine Komplikationen mehr
bestehen. Nach initialer Gabe kalorienfreier Flüssigkeit über 1-3 Tage kann über weitere 4-7
Tage eine normalkalorische Kost schrittweise aufgebaut werden. Vollständige
Renormalisierung der laborchemischen Parameter (P-Amylase) muß nicht abgewartet werden.
Sterile asymptomatische Pseudozysten bedingen unabhängig von ihrer Größe keine
chirurgische oder interventionelle Therapie, da sie sich über 6-12 Monate meist spontan
zurückbilden. Persistierende, gut abgekapselte, dem Magen oder Duodenum breit anliegende
Pseudozysten können durch EUS-gezielte Drainage zystogastro- oder –duodenostomiert und
entleert werden.
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