Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka, anlässlich des Spatenstichs für den Neubau des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am 6. Mai 2013 in Bonn Es gilt das gesprochene Wort! Anrede Vor vier Jahren wurde das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) als erstes der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG) gegründet. Vier Jahre sind eigentlich ein sehr kurzer Zeitraum, um Strukturen so zu schaffen, dass diese Einrichtung in der Forschungsszene angesehen und international wahrgenommen wird. Dass wir heute den Spatenstich für den DZNE-Neubau machen und damit nach so kurzer Zeit eine beträchtliche Investition getätigt wird, zeigt, dass der Aufbau des DZNE bisher sehr gut gelaufen ist. I. In der Hightech-Strategie haben wir fünf Themenfelder festgelegt, auf die wir Forschung konzentrieren wollen: Klima/Energie, Mobilität, Kommunikation, Sicherheit und Gesundheit/Ernährung. Durch die Hightech-Strategie und die Schwerpunktsetzung auf Gesundheit hat die Gesundheitsforschung einen enormen Schub erfahren. Insbesondere die DZG leisten hierzu einen wichtigen Beitrag. Die Gesundheitszentren widmen sich der Erforschung der großen Volkskrankheiten. Das erste Zentrum erforscht neurodegenerative Erkrankungen, die anderen fünf Zentren widmen sich der Infektions-, Lungen- und Diabetesforschung, der Herz-Kreislauf-Forschung sowie der Translationalen Krebsforschung. Die DZG, die erstmalig in einer so konzentrierten Form und so breit gefächert Deutschlands außeruniversitäre und universitäre Kompetenzen bündeln, stehen für einen Paradigmenwechsel. Ich würde sagen, es ist fast eine kleine Revolution im Bereich der Gesundheitsforschung. Es geht vor allem um Translation: Forschungsergebnisse sollen schneller aus der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung in die medizinische Versorgung, das heißt direkt zum Patienten gelangen. Dass dies ein erfolgsversprechender Ansatz ist, zeigt die Entwicklung des DZNE. Ein international besetztes Expertengremium hat vergangenes Jahr eine erste Bilanz gezogen. Das Ergebnis: Das DZNE setzt die richtigen Schwerpunkte. Es ist gelungen, Synergien zwischen den weit verstreuten Standorten bundesweit herzustellen. Um konkret zu werden: Seit 2009 sind beispielsweise mehr als 900 Publikationen in international anerkannten Fachmagazinen erschienen. Rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden an neun Standorten rekrutiert. Ein Drittel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommt aus dem Ausland. Das DZNE ist ein Flaggschiff, es ist ein Aushängeschild für die Idee der Gesundheitszentren. Es funktioniert und deshalb glaube ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Forschung zu neurodegenerativen Erkrankungen ist für unsere Gesellschaft außerordentlich wichtig. Die Art und Weise, wie wir miteinander leben, wie wir miteinander umgehen in den nächsten Jahren, hängt in ganz starkem Maße davon ab, wie es uns gelingt, die demografische Veränderung, die sich natürlich auch in der Gesundheit der Bevölkerung niederschlägt, zu gestalten. Auch das diesjährige Wissenschaftsjahr widmet sich der demografischen Entwicklung und sieht diese als Chance. Die zusätzlichen Lebensjahre, die die Medizin uns schenkt, wollen wir nutzen und aktiv gestalten. Diese Jahre sollen eine echte Chance und keine von Krankheiten geprägte Zeit werden. II. Neben dem Fokus auf Volkskrankheiten ist die individualisierte Medizin ein wichtiges Themenfeld. Die individualisierte Medizin bildet ein eigenständiges Aktionsfeld im aktuellen Rahmenprogramm Gesundheitsforschung. Sie ist eines der vielversprechendsten Felder unserer modernen Medizin und eine der zentralen Herausforderungen der Gesundheitsforschung. Die individualisierte Medizin eröffnet die Möglichkeit, Diagnostik zu präzisieren und wirksamere Therapien abzuleiten. Vor zwei Wochen habe ich den Aktionsplan „Individualisierte Medizin: Ein neuer Weg in Forschung und Gesundheitsversorgung“ vorgestellt. Er wird flankiert von einem Maßnahmenpaket zur Forschungsförderung der individualisierten Medizin. Die individualisierte Medizin ist nicht mehr nur eine ferne Zukunftsvision. In einigen Anwendungsgebieten, allen voran in der Onkologie, ist diese Vision bereits in ersten Ansätzen Realität geworden. Für mich ist die individualisierte Medizin ein Thema, das nicht nur in der Onkologie wichtig ist oder wenn es um Erbgut geht. Ich fasse individualisierte Medizin als ein sehr breit angelegtes Feld auf. Bei neurodegenerativen Erkrankungen steht die individualisierte Medizin noch am Anfang. Sie, die Forscherinnen und Forscher des DZNE, haben diesen Handlungsbedarf erkannt und bereits erste Projekte gestartet. Ich weiß, dass Sie zum Beispiel in einem Projekt in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) untersuchen, wie man für ältere Patienten das individuell höchstmögliche Maß an therapeutischer Sicherheit und Wirksamkeit erreichen kann. Dabei geht es gleichzeitig darum, unerwünschte Nebenwirkungen zu minimieren. Das ist ein guter und wichtiger Anfang. Hier müssen Sie am Ball bleiben. III. Ich glaube, dass der Neubau, den wir heute mit dem Spatenstich beginnen, in dreierlei Hinsicht für die Gesundheitsforschung bundesweit von Interesse sein wird und zu einer erfolgreichen Gesundheitsforschung beitragen kann. Erstens: Die Zusammenarbeit zwischen dem DZNE und dem Universitätsklinikum Bonn wird dadurch intensiviert. Wir hatten in Deutschland die Diskussion: Sollen wir die einzelnen außeruniversitären Forschungseinrichtungen weiter betreiben oder sollen wir ihre Stärke wieder in die Universitäten hineinbringen? Ich bin froh, dass die Diskussion beendet wurde und es bei dieser Struktur bleibt. Ansonsten wären wir zehn bis 15 Jahre damit beschäftigt, die außeruniversitäre Forschung wieder in die Universitäten einzugliedern. Es kommt jetzt vielmehr darauf an, diese spezielle Struktur in Deutschland noch zu verbessern und zu verstärken. Da ist dieses Gebäude ein Beispiel, dass es zwischen Universität und außeruniversitärer Institution sehr gut funktionieren kann, dass man hier gemeinsame Exzellenzcluster etablieren kann, dass man hier gemeinsame Plattformen hat. Eine Sorge besteht immer, wenn man eine solche Struktur etabliert: Wird da nicht viel Personal aus den Universitäten abgezogen? Beim DZNE ist das nicht der Fall. Der rasche Aufbau der personellen Ressourcen im DZNE hat nicht zu einem Schwinden der Talente bei der Universität geführt. Drei Viertel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am DZNE wurden neu und in einem kompetitiven Auswahlverfahren geholt. Zweitens: Der Neubau ist für mich ein Beispiel, dass Bund und Länder – wenn sie wollen – gut zusammenarbeiten können – insbesondere auch, was die Finanzierung betrifft. Ich denke, dass es unabhängig von politischen Regierungskonsultationen ein gemeinsames Interesse sein muss, bestmögliche Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in Deutschland zu schaffen. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass die Menschen in unserem Land 1,2 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen – aufgrund der demografischen Entwicklung wird der Anteil noch weniger werden –, dann ist klar, dass wir diesen Platz nur halten können, wenn wir vernünftige Rahmenbedingen für Wissenschaft und Forschung haben. Bund und Länder müssen sich dabei gegenseitig unterstützen. Drittens: Mit dem Neubau rückt der Austausch mit Patienten und deren Familienangehörigen mehr in den Fokus. Das finde ich persönlich sehr wichtig. Es werden so genannte „Forschungsbetten“ entstehen, das heißt stationäre Patienten können so in klinische Studien eingeschlossen werden. Außerdem finden pflegende Angehörige mit dem neuen Informationszentrum eine Anlaufstelle und kompetente Ansprechpartner. Dass pflegende Angehörige künftig ein Informationszentrum haben werden, zeigt, dass es nicht um abgehobene Grundlagenforschung geht, sondern man von Anfang an auch an die Patienten und die Familie denkt. Das DZNE forscht zu einem Thema, das alle etwas angeht. Ich danke allen, die am Bau beteiligt sind. Der Spatenstich gilt nicht nur einem neuen Gebäude, sondern auch symbolisch unseren Erfolgen in der Forschung. Er ist verbunden mit dem Wunsch nach Durchbrüchen in der Demenzforschung. Allen, die hier wissenschaftlich arbeiten, wünsche ich alles Gute und viel Erfolg. Vielen Dank.