Neue Süchte und Geschlecht

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Neue Süchte und Geschlecht
Glückspiel, Kaufsucht, Online-Sucht
Dipl.-Psych. Chantal P. Mörsen
Kompetenzzentrum Verhaltenssucht
Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
XVIII. Niedersächsische Suchtkonferenz
Geschlechtsgerechte Ansätze in
Suchtarbeit und Prävention
Definition Verhaltenssucht
Verhaltenssucht = stoffungebundene Sucht:
Exzessive belohnungssuchende und autonom
gewordene Verhaltensweisen, die die diagnostischen
Kriterien einer Abhängigkeitserkrankung erfüllen
19. Jahrhundert: Gleichsetzung allgemeiner Merkmale stoffgebundener und
stoffungebundener Suchterkrankungen (Trunk-, Morphium-, Kokain- und Spielsucht)
Gabriel (1936): „Tätigkeitssüchte“
v. Gebsattle (1954): „Jede Richtung des menschlichen Interesses vermag süchtig zu
entarten...“
Definition Verhaltenssucht
Merkmale der Verhaltenssucht:
• Eingeengtes Verhaltensmuster: Das Verhalten dominiert
das Denken, die Gefühle und das Verhalten der Betroffenen
•
•
•
•
Funktion: Regulation von negativen Gefühlszuständen
Kontrollverlust
Toleranzentwicklung
Entzugssymptome
• Schädliche
Konsequenzen:
Verfall der sozialen,
beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen,
psychische und körperliche Folgeschäden
Klassifikation Verhaltenssucht
In Klassifikationssystemen keinen Eingang
als eigenständiges Störungsbild
Störungen der Impulskontrolle, nicht anderorts
klassifiziert (DSM IV-TR, 2003)
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, abnorme
Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
(ICD-10, 2000)
Pathologisches Glücksspiel
weitere: Pyromanie, Trichotillomanie, Kleptomanie,
Intermittierende explosible Störung
Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung
Süchtiges Verhalten ist erlerntes Verhalten
Klassische/ Operante Konditionierung, Modellernen
Neuroadaptation („Suchtgedächtnis“)
Umweltfaktoren
Verfügbarkeit, soziale Normen
Prädisposition/ Vulnerabilität
Genetik, Neurobiologie, Persönlichkeit, kognitive Faktoren
Auslösende Bedingungen
Belastung/Stress, psychische Erkrankung, kritische Lebensereignisse
Aufrechterhaltende Bedingungen
Kognitive Verzerrungen, Psychopathologie, Persönlichkeit
Glücksspielsucht
„Die Störung besteht in häufig wiederholtem episodenhaftem Glücksspiel, das die Lebensführung der betroffenen
Person beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen
und familiären Werte und Verpflichtungen führt.“ (ICD-10)
Kriterien pathologischen Glücksspiels (PG, DSM-IV-TR):
Geschlecht und Glücksspielsucht
Prävalenz
Pathologisches Glücksspiel :
Problematisches Glücksspiel:
In Deutschland:
Pathologisches Glücksspiel:
Problematisches Glücksspiel:
0,1 – 2,0%
0,5 – 12,0%
0,2 – 0,5%
0,3 – 1,0%
Männer sind 2 bis 3 mal häufiger betroffen
In Deutschland: ca. 33% Frauen
Geschlecht und Glücksspielsucht
Phänomenologie und Verlauf
Frauen:
• Automatenspiele, Lotterien, Casinospiele
(geringe Fähigkeitsanforderungen)
• späteres Erkrankungsalter: 35-40 Jahre, rascheres
Fortschreiten
• rascherer finanzieller Bankrott, geringere absolute
Schulden
• Spielen wird häufiger als Coping-Strategie eingesetzt
Männer:
• Kartenspiele, Sport- und Pferdewetten, Automatenspiele
(hohe Fähigkeitsanforderungen)
• früheres Erkrankungsalter: 20-25 Jahre
• stärkerer Zusammenhang zwischen Spieleinsatz,
Risikobereitschaft und irrationalen Kognitionen
• Spielmotivation häufiger „Sensation Seeking“
Geschlecht und Glücksspielsucht
Neurobiologie und Genetik
Frauen:
• Assoziation zwischen D4-DopaminRezeptors-Gen und Vulnerabilität für PG
• geringere Wirksamkeit von SSRI
Männer:
• gemeinsame genetische Vulnerabilität für
PG und Alkoholabhängigkeit
• Assoziation zwischen Vulnerabilität für PG
und Serotonin-Transponder-Gen
Geschlecht und Glücksspielsucht
Komorbidität, Risikofaktoren und Folgen
Frauen:
• häufiger Suizidversuche
• stärkere Belastung durch soziale Folgeschäden des
Spiels
• häufiger Angst- und affektive Störungen
• häufiger Traumata und Missbrauch in der Kindheit
Männer:
• häufiger substanzbedingte Störungen
• höheres Risikoverhalten (z.B. Sexualität)
• häufiger rechtliche Schwierigkeiten aufgrund des
Spielverhaltens
Geschlecht und Glücksspielsucht
Intervention/ Therapie
Frauen:
• häufiger in Behandlung aufgrund von anderen
psychischen Störungen bzw. Gesundheitsproblemen
• geringe Nutzung von glücksspielbezogenen
Behandlungs- und Beratungsangeboten bzw.
Selbsthilfegruppen
Männer:
• in Behandlungseinrichtungen überrepräsentiert
• längere Zeitspanne zwischen dem Auftreten
Glücksspielbezogener Probleme und einer
Behandlung bzw. Selbstsperre
Geschlecht und Glücksspielsucht
Als Ursache für die
Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der
Prävalenz, des Spielverhaltens und der
Risikofaktoren werden genetische,
soziologische, motivationale und
ökonomische Faktoren angenommen.
Bislang fehlt jedoch ein integratives
Erklärungsmodell und Präventions- und
Interventionskonzepte der
Glücksspielsucht, die
geschlechtsspezifische Faktoren
berücksichtigen.
Kaufsucht
Kraepelin (1915), Bleuler (1924): „Omniomanie“
Kriterien der Kaufsucht (McElroy, 1994):
• Kaufimpulse
• exzessives Kaufen von unnötigen Dingen
• intensive Beschäftigung mit dem Kaufen
• finanzielle und soziale Folgeschäden
• Leidensdruck
Geschlecht und Kaufsucht
Prävalenz und Phänomenologie
Prävalenz: 1,0 – 8,0 %
80 – 90% der Kaufsüchtigen sind Frauen
} Überrepräsentation der Frauen in Befragungen
} Koran et al. (2007): keine
Geschlechtsunterschiede
Erkrankungsalter: 25-30 Jahre
Frauen: Schmuck, Schminke, Kleidung, Schuhe
} äußeres Erscheinung, sozialer Status
Männer: elektronische Geräte, Autos
} persönliche Identität und Werte
Online-Sucht
Griffiths (1995): „technological addictions“
} Internet als Medium zur Befriedigung einer
anderen Verhaltenssucht
Häufigste Formen:
Internetsucht (Surfen/ Chatten),
Computerspielsucht (Online-Rollenspiele)
Kriterien der Online-Sucht
•
•
•
•
•
•
unwiderstehliches Verlangen/ Zwang
Kontrollverlust
Toleranzentwicklung
Entzugserscheinungen
Vernachlässigung anderer Interessen
Folgeschäden aufgrund der Internetnutzung
Geschlecht und Online-Sucht
Prävalenz und Phänomenologie
Internetsucht:
6-12% der Nutzer
Computerspielsucht:
6-9% der Spieler
80-90% der Betroffen sind junge Männer (16-25 J.)
Frauen:
• häufiger negative Einstellungen zum Computer
• soziale Motive stehen im Vordergrund
Männer:
• häufigere und Längere Nutzung des Computers
• höhere Selbstsicherheit, positive Einstellungen
• Unterhaltung, Informationserwerb, Leistung
} Prävalenzraten und Nutzungsverhalten gleichen sich an
Zusammenfassung
} Geschlechtsunterschiede wurden bislang fast
ausschließlich für pathologisches Glücksspiel
untersucht, empirische Daten zu anderen
Verhaltenssüchten fehlen
} Studien bei pathologischen Glücksspielern legen
nahe, dass sich Männer und Frauen hinsichtlich
der Genese, der Phänomenologie und
Neurobiologie
süchtigen
Verhaltens
unterscheiden
} Geschlechtsunterschieden zu Grunde liegende
Mechanismen und kausalen Faktoren sind
bislang weitgehend ungeklärt
} Geschlechtsspezifische Ansätze sollten bei der
Prävention und Behandlung einbezogen werden
Herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
XVIII. Niedersächsische Suchtkonferenz
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