Bohmsche Mechanik - Philosophie der Physik Seminar Prof. Lyre, apl. Prof. Mertens, WS 2011/2012 – Handout von Andre Kalnassy und Alexander Eberspächer Bohmsche Mechanik Verborgene Variablen Die Bohmsche Mechanik (BM) ist eine Umformulierung beziehungswei- Die Bohmsche Mechanik ist eine „hidden variable theory“. Historisch werse Uminterpretation der Quantenmechanik (QM). Sie macht die selben den die Teilchenorte r als die verborgenen Variablen aufgefasst. Da allerVorhersagen wie die QM. dings in der BM den Teilchenorten Realität zugesprochen wird und diese Die BM definiert sich durch folgende Bestandteile (hier notiert für ein als die einzig zugänglichen Größen betrachtet werden, erscheint es eher angemessen, das Feld ψ als die verborgene Variable anzusehen. Teilchen ohne Spin; Erweiterung ist aber einfach möglich): 0. Ein Punktteilchen und ein Feld ψ, wobei das Feld die Teilchenbewegung „führt“. Das Messproblem iS(r,t)/~ 1. Das Feld ψ(r, t) = R(r, t) e , das der zeitabhängigen Schrödingergleichung in Ortsdarstellung In der Bohmschen Mechanik werden wie in den Dekohärenz-Ansätzen 2 die Wellenfunktionen von zu messendem Objekt und Messapparat als ∂ ~ ∆ + V (r) ψ(r, t) = i~ ψ(r, t) (1) untrennbar behandelt. − 2m ∂t Betrachten wir eine Messung an einem Objekt mit der Wellenfunktion genügt. ψ = c1 ψ1 + c2 ψ2 mit den beiden Eigenzuständen ψ1 und ψ2 durch einen 2. Den Teilchenort r, der sich gemäß der „Führungsgleichung“ Messapparat mit Wellenfunktion Φ mit den beiden Zeigerstellungen Φ1 und Φ2 , die jeweils bedeuten, dass die Eigenwerte zu ψ1 beziehungsweise 1 ~ ψ ∗ ∇ψ ṙ = ∇S(r, t) bzw. ṙ = Im ∗ (2) ψ gemessen wurde. 2 m m ψ ψ ändert. Diese Gleichung legt die Teilchenbahn für einen Anfangsort In der Bohmschen Beschreibung ist nach (3) neben der Wellenfunktion r0 komplett fest. auch die Verteilung von Teilchenorten zu betrachten, die zu jedem Zeitpunkt 3. Der Quantengleichgewichtshypothese, nach der sich ein Teilchen mit 2 2 2 2 2 2 2 der Wahrscheinlichkeit |c1 ψ1 ⊗ Φ1 + c2 ψ2 ⊗ Φ2 | = |c1 | |ψ1 | |Φ1 | + |c2 | |ψ2 | |Φ2 | 2 3 2 3 |ψ(r, t)| d r = R (r, t) d r (3) + Interferenzterm zur Zeit t um den Ort r herum tatsächlich befindet. In der üblichen Interpretation der QM hingegen ist (3) die Wahrscheinlichkeit dafür, das Teilchen im Falle einer geeigneten Messung um den Ort r herum zu finden). Diese Bedingung sorgt dafür, dass alle Bewegungen, die für verschiedene Anfangsorte r0 nach (2) möglich sind, mit der Anfangsverteilung R02 = R2 (r, t = 0) verträglich sind. Die BM ist demnach eine realistische, deterministische Theorie. erfüllt. Die Zustände Φ1 und Φ2 beschreiben makroskopisch verschiedene Zustände, die im Konfigurationsraum nur wenig Überlapp haben (Φ∗1 Φ2 1), weswegen der Interferenzterm vernachlässigt werden kann. 2 Mit der Wahrscheinlichkeit |ci | ergibt sich also der Eigenwert zu ψi als Ergebnis. Die Unkenntnis über den genauen Ausgang der Messung ist der Unkenntnis über die Anfangsbedingung geschuldet. Der Prozess, der auf die möglichen Ergebnisse führt, ist kontinuierlich und deterministisch. Das Doppelspaltexperiment in der Bohmschen Mechanik Nicht-Lokalität Da sich nach (2) Teilchenbahnen nicht schneiden können, bleibt in ein Teilchen je nach Anfangsbedingung in der oberen oder der unteren Halbebene. Die Interferenzmuster ergeben sich durch die „Führung“ durch die (Interferenz-) Wellenfunktion ψ. Die Wellenfunktion ψ(r, t) hängt im Allgemeinen von Randbedingungen an entfernten Orten sowie den Ortskoordinaten entfernter Teilchen ab. Eine Veränderung der Randbedingungen wirkt sich so beispielsweise über die Wellenfunktion instantan auf das Bohmsche Teilchen aus. Analog kann ein Teilchen in verschränkten Systemen eine Beeinflußung eines anderen (verschränkten) Teilchens spüren. Die Bohmsche Mechanik ist damit in Übereinstimmung mit den Bellschen Ungleichungen eine nicht-lokale Theorie. Kritik an der Bohmschen Interpretation der QM • Weniger symmetrisch als (Kopenhagen-) QM • Beschreibung komplizierter (Schrödinger- und Führungsgleichung) • „Empty waves“ (Abbildung nach [1]) Das Bohmsche Teilchen geht stets durch genau einen der Spalte, die führende Welle hingegen durch beide. Kontext-/Zustandsabhängigkeit • Verallgemeinerung auf relativistische Feldtheorie fehlt • ∃ semiklassische Systeme (Eigenschaften definiert durch klassische, nicht Bohmsche Trajektorien) Die ersten beiden Kritikpunkte sind vor allem ästhetischer Natur. Literatur In der klassischen Mechanik ist die Physik durch die Art der betrachteten [1] S. Goldstein, “Bohmian mechanics,” Stanford Encyclopedia of Philosophy, 2006. Teilchen und deren Wechselwirkung festgelegt (zum Beispiel stehen geladene Teilchen wie Elektronen und Protonen in Coulomb-Wechselwirkung [2] D. Bohm and B. Hiley, The undivided universe - an ontological intermiteinander). pretation of quantum theory. London: Routledge, 1993. In der Bohmschen Mechanik hingegen wird die Wechselwirkung von ψ [3] P. Holland, The quantum theory of motion. Cambridge: Cambridge University Press, 1993. bestimmt – und hängt damit nur indirekt und nicht-eindeutig von den Teilcheneigenschaften ab. [4] O. Passon, Bohmsche Mechanik. Frankfurt: Harri Deutsch, 2004. Das bedeutet auch, dass Messungen, die notwendigerweise ψ verändern, [5] J. Bell, Speakable and unspeakable in quantum mechanics. Cambridge: Cambridge University Press, revised ed., 2004. auch den Ausgang weiterer Messungen beeinflußen.