Schokolade bei Depression?

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Schokolade bei Depression?
Dr. med. Peyman Satrapi
RRby_Grace Winter_pixelio
Schon seit langer Zeit hören und lesen
wir immer wieder, dass der Konsum von
Süßigkeiten oder Schokolade gegen Liebeskummer helfen soll. Nicht nur, dass in
Filmen und Serien diese Erkenntnis propagiert wird, darauf baut sogar die Werbestrategie eines ganzen Industriezweigs
auf.
Durch einige Publikationen in den letzten
Jahren fühlte man sich in seiner Erwartung bestätigt. Süßigkeiten, insbesondere Schokolade, soll gegen Verstimmungen oder sogar Depression wirksam sein.
Diese Evidenz machte in den letzten Jahren in den Print- und Digitalmedien die
Runde.
Wir wollen nun der Frage nachgehen,
was wir tatsächlich aus diesen Studien
lernen können und ob und wie Schokolade gegen Depression hilft. Um diese
Frage beantworten zu können, sollten
wir uns zunächst um den Begriff Depression kümmern. Was verstehen wir Psychiater unter „Depression“? Wie entsteht
sie und welche Symptome müssten vorliegen, damit wir diese Diagnose stellen,
und wie können wir am besten die Depression behandeln?
Depression
Unter Depression verstehen wir eine
Kombination aus diversen Symptomen
mit dem Leitsymptom einer niedergedrückten Stimmung, deutlicher Antriebsminderung, formalen Denkstörungen
und vegetativen Beschwerden. Die Patienten klagen über schlechte Stimmung,
Lustlosigkeit, ein Empfinden von Gefühllosigkeit, aber auch Ängstlichkeit, übertriebene Sorge um Zukunft und Schuldgefühle. Meistens berichten sie zusätzlich
über Gedankenkreisen und Grübeln und
können im Kontaktverhalten unkonzentriert und abwesend wirken. Weiterhin
klagen fast alle Patienten über diffuse
somatische Beschwerden. Einige leiden
unter Ein- und Durchschlafstörungen,
andere haben einen gesteigerten oder
aber auch einen verminderten Appetit.
Kopfschmerzen, eine ständige Müdigkeit
oder Magen-Darm-Beschwerden können
die Lebensqualität der Patienten deutlich einschränken. Die Depression hat
selten ein einheitliches Bild, so dass unterschiedliche Symptomkombinationen
die Diagnosestellung erschweren. Wie
bei allen psychiatrischen Erkrankungen
muss eine organische Ursache zunächst
ausgeschlossen werden. Wenn danach
immer noch die oben genannten Symptome durchgehend mindestens über
zwei Wochen bestehen sollten, kann die
Verdachtsdiagnose einer Depression gestellt werden.
Die Depression kann in allen Altersstufen
auftreten, wobei die Diagnose zwischen
dem 30. und 40. Lebensjahr am häufigsten auftritt. Ein zweiter Erkrankungsgipfel befindet sich bei Menschen ab dem
60. Lebensjahr. Frauen sind fast doppelt
so häufig betroffen wie Männer. Die Erkrankung verläuft meist in Phasen und in
der Regel ohne Residualzustände*. Als
Ursache für die Entstehung der Depression wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen. Auf einer Seite stehen
die neurobiologischen und auf der anderen Seite die psychosozialen Ursachen.
Es gibt ausreichende Hinweise, dass eine
genetische Disposition eine Rolle bei der
Entstehung der Erkrankung spielt. In diesem Zusammenhang wird ein Mangel an
den Botenstoffen Serotonin sowie Noradrenalin diskutiert. Weiterhin könnten
Übertragungsstörungen der Botenstoffe,
eine gestörte Schlaf- und Wachregulation sowie Einfluss der Stresshormone als
mögliche Faktoren benannt werden.
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Andere Mechanismen, die ebenfalls ihre
Rolle bei der Regulation des Affektes und
damit der Entstehung einer Depression
haben können, sind noch nicht ausreichend erforscht. In diesem Zusammenhang könnte die Rolle der endogenen
Cannabinoidrezeptoren genannt werden. Vor einigen Jahren wurde in den
USA ein Cannabinoidrezeptorblocker
als Medikament zur Gewichtsreduktion
zugelassen. Dieses Medikament musste nach wenigen Jahren aufgrund von
Nebenwirkungen wie Angstzuständen
sowie depressiven Reaktionen und Suizidversuchen vom Markt genommen
werden. Somit liegt es nahe, dass neben
den oben genannten Botenstoffen auch
andere Mechanismen für die Affektregulation wichtig sind und eine Störung dieser Systeme eine depressive Erkrankung
begünstigt.
Neben den biologischen Ursachen spielen psychosoziale Belastungssituationen wie Verlust des Arbeitsplatzes, die
Trauer um nahestehende Personen oder
chronische Überlastung eine wesentliche
Rolle bei der Entstehung einer Depression. Schwere, chronische somatische Erkrankungen wie Diabetes mellitus führen
häufig zur Entstehung einer Depression.
Durch viel Aufklärungsarbeit und gezielte Anti-Stigma-Kampagnen konnten
Ärzte und Gesellschaft für dieses Thema
sensibilisiert werden. So können depressive Patienten besser und schneller erkannt und versorgt werden. Die Erkrankung Depression hat sich in den letzten
Jahren zu einer wichtigen gesundheitsökonomischen Größe entwickelt. Bereits
heute stehen psychische Erkrankungen
– allen voran die Depression – an vierter
Stelle der Gründe für Arbeitsunfähigkeit
in Deutschland.
Eine jüngst publizierte Kombination von
publizierten epidemiologischen Studien
durch den European Brain Council (EBC)
und das European College of Neuropsychopharmacology (ECNP) zur Relevanz
von psychischen und neurologischen
Störungen in Europa (Wittchen et al.
2011, Gustavsson et al. 2011) zeigte,
dass die Belastungen durch psychische
und neurologische Erkrankungen bisher
massiv unterschätzt wurden. Im Berichtsjahr waren demnach 38 Prozent aller
Einwohner der EU (plus Schweiz, Norwegen, Island) an einer klinisch bedeutsamen psychischen Störung erkrankt.
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RRQuelle: Rheinisches Ärzteblatt 9/2009
Nach Angststörungen mit 14 Prozent
stehen die unipolaren Depressionen mit
sieben Prozent an zweiter Stelle der in
der EU am weitesten verbreiteten psychischen Erkrankungen.
Ein wichtiger Aspekt der Depression ist
die Möglichkeit, dass bei einer Nichtoder unzureichenden Behandlung die
Erkrankung im Rahmen eines Suizides
tödlich enden kann. Allein in NRW haben sich 2010 insgesamt 1816 Menschen (466 Frauen, 1350 Männer) selbst
getötet. Die Suizidrate – das ist der Anteil
der Bevölkerung, der durch Selbsttötung
stirbt – lag im Jahr 2010 bei durchschnittlich 10,2 Suizidopfern pro 100 000 Einwohner. Die Suizidrate bei Männern liegt
dreimal so hoch wie bei Frauen.
Therapie
Trotz Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung und möglichem tragischen Ende
einer depressiven Erkrankung lautet die
gute Nachricht, dass die Depression sich
gut behandeln lässt. Es stehen diverse
Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, um die Patienten erfolgreich therapieren zu können. Unter Berücksichtigung des Schweregrads der Erkrankung
und der Leitsymptomatik, kann aus einer
großen Auswahl auf das optimale Antidepressivum zugegriffen werden.
Fast niemand nimmt gerne Medikamente
ein, daher muss die Verordnung der Medikation immer unter Berücksichtigung
einer Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.
Es gibt wohl kein Medikament, das keine
Nebenwirkungen aufweist, somit sollten
Antidepressiva dann eingesetzt werden,
wenn der Nutzen der Einnahme deutlich
das Nebenwirkungsprofil übersteigt.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass bei Einnahme
von Antidepressiva keine Abhängigkeit
entsteht und keine Toleranzentwicklung
zu verzeichnen ist. Als zweite wichtige
Säule der Behandlung ist die Psychotherapie zu erwähnen. Im Hinblick auf die
psychosozialen Ursachen bei der Entstehung von Depressionen sollte immer
eine begleitende, unterstützende und
aufklärende Psychotherapie stattfinden.
Weiterhin kommen Interventionen wie
Schlafentzugstherapie, Lichttherapie und
Elektrokonvulsionstherapie erfolgreich
zum Einsatz.
Schokolade
Auch die Ernährung spielt bei Depression
eine Rolle. Zum einen kann eine Appetitminderung oder auch eine Appetitsteigerung ein Symptom einer depressiven
Erkrankung sein. Weiterhin können wenige Antidepressiva als Nebenwirkung zu
Heißhungerattacken führen.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen
Ernährung und Stimmung. Folgend drei
Schlussfolgerungen, die gezogen werden können (Benton et al. 1992):
Die Aufnahme von Kohlenhydraten führt
zu einer Stimmungsaufhellung.
Schlechte Stimmung führt zu vermehrtem Konsum von „Comfort Food“.
Ein Mangel an Spurenelementen sowie
Vitaminen führt zu einer Stimmungsverschlechterung.
Die Schlussfolgerung, dass Kohlenhydrate zu einer Stimmungsaufhellung führen,
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basiert auf der Wurtman-Hypothese. Sie
besagt, dass eine vermehrte Kohlehydrataufnahme zu erhöhter Insulinausschüttung führt. Insulin würde wiederum
eine vermehrte Aufnahme von Tryptophan (eine Vorstufe von Serotonin) in die
Nervenzellen veranlassen. Damit wären
die Nervenzellen in der Lage mehr Serotonin produzieren zu können.
Die zweite Schlussfolgerung stammt
aus der Essverhaltensforschung. Bei der
Klärung der Frage, wie beziehungsweise
welches neurologische Korrelat das Essverhalten regulieren würde, gab es deutliche Hinweise, dass die körpereigenen
Endorphine für genau diese Regulation
zuständig sein sollten. Verhaltensbeobachtungen und Befragungen zeigten,
dass Menschen, die unter einer schlechten Stimmung oder zunehmendem
Stress litten, mehr „Comfort food“ aufnahmen als andere. Unter diesem Begriff
verstehen wir hochkalorische, aber auch
leicht zugängliche Nahrungsmittel.
Schlussendlich zeigten Menschen mit
isoliertem Thiamin- beziehungsweise
Eisenmangel ebenfalls depressive Symptomatik, so dass ein Einfluss dieser Substanzen auf die Stimmung nicht zu ignorieren ist.
Das kalifornische Forscherteam um Natalie Rose untersuchte im Rahmen einer
Patientenbefragung den direkten Zusammenhang zwischen Stimmung und Schokoladenkonsum. Dabei wurden 1018 Erwachsene (694 Männer und 324 Frauen)
aus San Diego, Kalifornien, die nicht an
Diabetes mellitus oder einer Herzerkrankung litten, untersucht. 931 der Probanden nahmen zum Zeitpunkt der Befragung keine Antidepressiva ein. Neben
der Auskunft über ihren Schokoladenkonsum mussten diese Teilnehmer einen
Standardtest für Depressionssymptome
absolvieren (CES-D: Center for Epidemiologic Studies Depression Scale). Das
Ergebnis zeigte, dass die Probanden, die
am meisten Schokolade aßen (11,8 Tafeln pro Monat), auch die höchste Punktzahl auf der Depressionsskala aufwiesen
(CES-D score > 22). Eine geringe Depressionsneigung (CES-D score >16) korrespondierte mit mittlerem Schokokonsum
(8,4 Tafeln monatlich). Am wenigsten
Schokolade (5,4 Tafeln pro Monat) verspeisten die Versuchsteilnehmer ohne
Depressionsmerkmale. Weiterhin konnte kein signifikanter Unterschied beim
Schokoladenkonsum zwischen Frauen
und Männern festgestellt werden. Diese veröffentlichten Daten sorgten weltweit für Aufsehen, da sie die landläufige Vermutung, dass Menschen dann zu
Schokolade griffen, wenn sie sich „deprimiert“ fühlten, nun bestätigte. Auf
den ersten Blick scheinen die Ergebnisse
sehr plausibel. Auf den zweiten Blick fällt
jedoch auf, dass die Probanden, die bei
der Befragung auf der Depressionsskala
keine Depression aufwiesen, bereits viel
Schokolade zu konsumieren scheinen.
Weiterhin wird nicht ersichtlich, ob der
Schokoladenkonsum zeitlich mit der Depression in Zusammenhang steht. Nun
könnte man sogar spekulieren, ob der
Konsum der Schokolade nicht eine Depression hervorrufen kann.
* Ein Residualzustand ist eine nachhaltige Beeinträchtigung der körperlichen
oder psychischen Leistungsfähigkeit
nach einer Krankheit, z.B. Aufmerksamkeitsstörungen nach Abklingen einer
schizophrenen Episode (Psychose, Schizophrenie).
Take home message
Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn
solche Erkrankungen wie Depression sich
durch richtiges beziehungsweise gesundes Essen vermeiden oder therapieren
ließen. Depression ist eine ernsthafte
Erkrankung und kann unterschiedliche
Ursachen haben. Sie führt meist zu Niedergeschlagenheit, Antriebsminderung
und diversen somatischen Beschwerden.
Ohne eine adäquate Behandlung kann
Depression sogar zum Suizid führen. Das
frühzeitige Erkennen und Behandeln der
Depression verringert das Risiko einer
Chronifizierung. Die moderne Medizin
bietet den Menschen, die an einer Depression leiden, gute Therapieoptionen.
Durch medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsformen kann die
Depression effektiv behandelt werden.
Schokolade scheint über unser Belohnungssystem Einfluss auf unsere Emotionen zu haben. Der Wirkmechanismus
ist jedoch nicht endgültig geklärt. Unklar
bleibt aber auch, welchen Einfluss die
Schokolade auf die Krankheit hat. Fest
steht jedoch, dass ein ausgewogenes
Essen die Lebensfreude, die Gesundheit
und damit die Lebensqualität fördert.
ƒƒ Benton D. et al.: The effects of nutrients on mood.
Public Health Nutrition, 1999 Sep; 2(3A): 403-9
ƒƒ Rose et al.: Mood food: chocolate and depressive
symptoms in a cross-sectional analysis. Archives of
internal medicine, 2010 Apr 26; 170(8): 699-703
ƒƒ Schneider: Facharztwissen, Psychiatrie und Psychotherapie, Springer Verlang
ƒƒ Wittchen HU, Jacobi F, Rehm J: The size and burden of mental disorders and other disorders of
the brain in Europe 2010. European Neuropsychopharmacology 2011; 21: 655–79
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