Diskussionspapier Forschungsgruppe Amerika Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ilona Laschütza Ergebnisse des Latinobarómetro 2003 Ludwigkirchplatz 3−4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org Diskussionspapiere sind Arbeiten im Feld der Forschungsgruppe, die nicht als SWPPapiere herausgegeben werden. Dabei kann es sich um Vorstudien zu späteren SWP-Arbeiten handeln oder um Arbeiten, die woanders veröffentlicht werden. Kritische Kommentare sind in jedem Fall willkommen. Diskussionspapier der FG 4, 2003/ 07, November 2003 SWP Berlin Inhalt Unterstützung für die Demokratie ..............................3 Vertrauensverluste und wachsende Unzufriedenheit.................................................................4 Wirtschaftliche Ängste.....................................................5 Auch in diesem Jahr lassen die Ergebnisse des Latinobarómetro darauf schließen, dass sich – von einem Einbruch im Jahr 2001 abgesehen – Demokratie in Lateinamerika als vorherrschendes und bevorzugtes System gefestigt hat. Das in Santiago de Chile ansässige Umfrageinstitut Latinobarómetro (www.latinobarometro.org/ano2003.htm) führt nach dem Vorbild des bekannteren Eurobarometer seit 1996 jedes Jahr repräsentative Erhebungen in 17 lateinamerikanischen zur Bewertung des politischen Systems sowie wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fragen durch. Unterstützung für die Demokratie Trotz einer verheerenden wirtschaftlichen Lage in einigen Ländern wird das demokratische System noch immer von einer knappen Mehrheit der Lateinamerikaner (53%) als bestes politisches System getragen. Andererseits würden immerhin 17% der Bevölkerung eine autoritäre Regierung unter gewissen Umständen dulden. In zehn Ländern ist zudem ein enormer Rückgang der Befürwortung des demokratischen Systems festzustellen, weshalb sie als potentiell autoritäre Staaten bewertet werden. 52% der Befragten in diesen Ländern würden eine nicht demokratische Regierung dulden, wenn sie in der Lage wäre, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Zustimmungsraten Demokratie - autoritäre Regierung Autoritäre Regierung ist u.U. vorzuziehen 1996 1997 1998 gleichgültig 2000-1999 2001 Demokratie ist vorzuziehen 2002 0 10 20 30 40 50 60 70 2003 Weitere 22% der Lateinamerikaner stehen der Regierungsform sogar gänzlich gleichgültig gegenüber. Seit 1996 ist eine Zunahme der Anzahl der Indifferenten festzustellen, was sich in Zukunft negativ auf die Unterstützung der Demokratie auswirken könnte. Brasilien und Argentinien stellen bei dieser Bewertung Ausnahmen dar. Während in Argentinien die Zustimmungsrate für die Demokratie von überdurchschnittlichen 65% auf 68% angewachsen ist, stieg gleichzeitig die Unterstützung der Regierung um 9 Punkte auf 86%. Diese Entwicklung ist auf die Wahl Präsident Kirchners zurück zu führen, der einen Großteil der Bevölkerung für sich gewinnen konnte. Die Wirtschaftskrise hingegen zeigte kaum Auswirkung auf die Zustimmungsrate zur Demokratie. In Brasilien unterstützen zwar nur 35% das demokratische System, aber 62% der Bevölkerung befürwortet die Regierung Lula und 42% vertrauen ihr. Wenig überraschend ist die Tatsache, dass in beiden Ländern die Meinung vorherrscht, Politik sei maßgeblich von den führenden Persönlichkeiten abhängig. Die Bevölkerung in Brasilien und Argentinien vertraut in erster Linie ihren Präsidenten, nicht aber dem System. SWP-Berlin Die Ergebnisse des Latinobarómeter November 2003 3 Vergleich Argentinien - Brasilien - Lateinamerika Unterstützung der Regierung Vertrauen in die Regierung Zufriedenheit mit Demokratie Unterstützung der Demokratie Politik ist von führenden Persönlichkeiten abhängig 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Argentinien Brasilien Lateinamerika Vertrauensverluste und wachsende Unzufriedenheit In Lateinamerika vertrauen im Durchschnitt mehr Menschen den Streitkräfte als den politischen Parteien. Obwohl nur 11% Vertrauen zu Politikern haben, gaben dennoch 42% an, eine politische Partei zu wählen. Die Ergebnisse zeigen einen Vertrauensbruch zwischen Bevölkerung und Institutionen bzw. den politischen Akteuren. Zurückführen lässt sich diese Entwicklung auf eine generelle Unzufriedenheit mit der Funktionsweise der Demokratie und auf die schlechte Wirtschaftslage. Dennoch ist eine Mehrheit der Befragten der Ansicht, dass es zur repräsentativen Demokratie keine Alternative gibt. Vertrauen in Parteien Wählerschaft von Parteien Unterstützung der Demokratie Zufriedenheit mit Demokratie 90 80 70 60 50 40 30 20 10 ie n Br as ili e El n Sa lv ad or Pe ru C os ta R ic a N ic ar ag ua Ko lu m bi en Ec ua do G r ua te m La al te a in am er ik a en tin C hi le Ar g ru gu ay Pa na m Ve a ne zu el a Bo liv ie n H on du ra s ko U M ex i Pa ra gu ay 0 SWP-Berlin Die Ergebnisse des Latinobarómeter November 2003 4 Auffällig in Lateinamerika ist die sehr geringe Zufriedenheit der Befragten mit der Demokratie. Während bereits im Vorjahr nur 32% der Bevölkerung mit der demokratischen Praxis in Lateinamerika zufrieden waren, sind es in diesem Jahr nur noch 28 %.1 Obwohl sie die Demokratie mehrheitlich unterstützen, geben 66 % der Lateinamerikaner offen zu, unzufrieden zu sein. Der Economist nannte dieses Phänomen das „trotzige Überleben von frustrierten Demokraten“2. Nicht nur im Bezug auf das politische System nahm die Zufriedenheit und das Vertrauen der Lateinamerikaner ab. Bei allen Institutionen ist im Vergleich zum Vorjahr ein negativer Trend zu verzeichnen, wobei Kirche, Fernsehen und Militärs die stärksten Einbußen verzeichneten. Im Hinblick auf das Fernsehen ist anzumerken, dass es trotz der geringen Zufriedenheit mit Abstand als das wichtiges Informationsmedium angesehen wird. V e rtr a u e n in In s titu tio n e n P a r te ie n K o n g re s s J u d ik a tiv e 2001 R e g ie r u n g 2002 M ilitä r 2003 P o liz e i F e rn s e h e n K ir c h e 0 20 40 60 80 Wirtschaftliche Ängste Das verminderte Vertrauen und die wachsende Unsicherheit spiegeln sich ebenfalls in den Ängsten der Bevölkerung wider. Als wichtigste Probleme werden Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, Armut und Korruption genannt, was sich wiederum auf die Zustimmungsraten und das Vertrauen in das politische System auswirkt. Auch wenn ein großer Anteil der Bevölkerung von wirtschaftlichen Problemen betroffen ist, herrscht die Meinung vor, dass Marktwirtschaft eine Voraussetzung für die Entwicklung Lateinamerikas ist. Die überwiegende Mehrheit der Lateinamerikaner ist nicht zufrieden mit der Funktionsweise des Systems und macht ihre Regierung für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich. Es gibt deshalb einen gewissen Zusammenhang zwischen ökonomischer Lage und Befürwortung der Demokratie. Wie das Beispiel Argentinien zeigt, ist die wirtschaftliche Situation hierfür aber kein allein Ausschlag gebendes Kriterium. So findet die Demokratie in Argentinien trotz der anhaltenden wirtschaftlichen Krise sehr große Unterstützung in der Bevölkerung. Insgesamt lässt sich festhalten, dass es in einigen Ländern aufgrund der nationalen Entwicklungen zu gewissen Schwankungen bezüglich der Bewertung der Demokratie kam, und die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung Anlass zur Beunruhigung gibt. Betrachtet man jedoch die Durchschnittsergebnisse der 17 Länder, so kommt man zu dem Schluss, dass das Latinobarómetro 2003 alte Trends bestätigt hat. Trotz nationaler Krisen und zum Teil großer Probleme unterstützt die Mehrheit der Lateinamerikaner das demokratische System 1 In Europa waren im Jahr 2002 immerhin 53% mit der Funktionsweise der Demokratie zufrieden, während 78% das demokratische System unterstützten 2 The Economist, London, 30.10.2003. SWP-Berlin Die Ergebnisse des Latinobarómeter November 2003 5 und die Marktwirtschaft. Bedenklich ist allerdings die unverändert hohe Anzahl von Indifferenten und Befürwortern einer autoritären Regierung. Nach Angaben des Latinobarómetro sind für eine weitere Festigung des demokratischen Systems in Lateinamerika neben wirtschaftlichem Fortschritt vertrauensbildende Maßnahmen und eine integrative Politik erforderlich. Bevölkerungsanteil mit wirtschaftlichen Problemen Angst vor Arbeitslosigkeit Marktwirtschaft ist für Entwicklung unumgänglich Demokratie ist für Entwicklung unumgänglich Pa ra gu ay M ex ik o U ru gu a Pa y na m Ve ne a zu el Bo a liv ie H on n du ra s C hi Ar le ge nt in ie n Br as ilie El Sa n lv ad or Pe ru C os ta R ic N a ic ar ag ua Ko lu m bi Ec en ua do G r ua te La m te al in a am er ik a 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Ilona Laschütza war Praktikantin in der Forschungsgruppe Amerika der SWP. SWP-Berlin Die Ergebnisse des Latinobarómeter November 2003 6