PRO DIREKTE DEMOKRATIE CONTRA DIREKTE DEMOKRATIE

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ZUSAMMEN-LEBEN
ZUSAMMEN-LEBEN
03/2012
bruno
PRO
DIREKTE DEMOKRATIE
D
ie Debatte um mehr direkte
Demokratie
gleicht
dem
berühmten
„Steh-auf-Manderl“.
Diskutieren, fallen lassen und zu
gegebener Zeit wieder aufnehmen.
Dann tauschen GegnerInnen und
BefürworterInnen ihre Standpunkte
aus. Teils mit haarsträubender
Sachkenntnis
der
Faktenlagen
und flachen Argumenten. Und das
Ergebnis? Bis dato hat sich nichts
verändert.
D
abei hätte mehr direkte
Demokratie
einen
entscheidenden Vorteil: Gesetze
können mitgestaltet werden. Derzeit
werden die WählerInnen in der
Regel alle fünf Jahre aufgefordert,
über die Zusammensetzung des
Nationalrates, des Landtages oder
des Gemeinderates zu befinden. Man
entscheidet sich für eine Partei bzw.
für deren Wahlprogramm. Diese
Festlegung hat dann mehrere Jahre
Gültigkeit. Damit endet aber auch die
Entscheidung über die politischen
Weichenstellungen
der
nahen
Zukunft. Bin ich mit meiner Partei
unzufrieden, stehe ich spätestens
beim nächsten Wahltermin vor
einem Dilemma: Soll mein Kreuzerl
zur Konkurrenz wandern? Soll ich
tatsächlich mein Vertrauen einer
anderen Partei schenken, obwohl
ich vielleicht nur mit einzelnen
Punkten unzufrieden war? Das ist
das Dilemma der repräsentativen
Demokratie: Sie verlangt eine
Kosten-Nutzen-Analyse. Wie viele
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konträre
Standpunkte
darf eine Partei einnehmen
und/oder umsetzen, bevor der/die
bisherige Wähler/in einen Wechsel
vornimmt? Welche Themen sind
mir wichtig, welche sehr wichtig?
Hier kann die direkte Demokratie
Abhilfe schaffen. Sie ermöglicht es,
auch während der Legislaturperiode
seine Meinung mittels Abstimmung
deutlich
zu
artikulieren.
Die WählerInnen haben die
Möglichkeit, Entscheidungen der
Volksvertretung zu korrigieren oder
über einen neuen Gesetzesvorschlag
direkt abzustimmen.
D
as österreichische System
direkter
Demokratie
(Volksbegehren, Volksabstimmung)
leidet
an
einem
schweren
Geburtsfehler: Ob eine verbindliche
Volksabstimmung
angesetzt
wird, liegt in der Hand der
Volksvertretung. Sie entscheidet
darüber mit einfacher Mehrheit.
Nachdem in der Regel
die
Parlamentsmehrheit gleichgerichtet
mit der Regierung ist, liegt auch der
oben erwähnte Geburtsfehler auf
der Hand: Die Regierungsparteien
werden sich tunlichst davor hüten,
strittige Themen direkt einer
Volksabstimmung zu unterziehen.
Ähnlich verkorkst ist die Lage bei den
Volksbegehren. Zwar können 100.000
Wahlberechtigte das Parlament
zwingen, einen vorformulierten
Gesetzestext gleichwertig wie eine
Regierungsvorlage zu behandeln,
CONTRA
DIREKTE DEMOKRATIE
damit endet die direkte Demokratie
aber bereits wieder. Es obliegt
wiederum der Parlamentsmehrheit,
den Vorschlag der BürgerInnen
in ein Gesetz zu gießen oder eine
Volksabstimmung anzusetzen.
E
in Vorschlag für den Ausbau
direkter Demokratie könnte
wie folgt aussehen. Erstens:
Eine
Volksabstimmung
muss
verpflichtend
durchgeführt
werden,
wenn
mindestens
10 % der Wahlberechtigten
eine
entsprechende
Petition
unterstützen. Auf Basis der letzten
Nationalratswahlen wären das
gut 630.000 UnterstützerInnen.
Zweitens: Das Ergebnis der
Abstimmung ist bindend, wenn
die Wahlbeteiligung mehr als 40 %
beträgt. Mit dieser Klausel ließe sich
auch das Argument der GegnerInnen
entkräften, dass eine kleine
Minderheit der Bevölkerung den
Gesetzgebungsprozess beeinflussen
könnte. Aber das Parlament verliert
das alleinige Recht, nach Gutdünken
per Mehrheit eine Volksabstimmung
über Themen oder Gesetzesvorlagen
anzusetzen. Somit wird verhindert,
dass
die
Regierungsmehrheit
willkürlich auswählen kann, über
was abgestimmt werden soll. Denn
direkte Demokratie soll von den
BürgerInnen ausgehen, und nicht
vom Parlament. In diesem Sinne:
Mehr Demokratie wagen.
D
irekte Demokratie ist in
aller Munde; sie scheint zum
Allheilmittel
gegen
politische
Blockaden geworden zu sein.
Doch so schön ein Mehr an
demokratischer
Mitbestimmung
mittels
Volksabstimmungen
auch sein mag, geht es doch
völlig am Ziel vorbei, damit die
Politik(er)verdrossenheit in der
österreichischen
Bevölkerung
bekämpfen zu wollen. In einer
repräsentativen Demokratie werden
MandatarInnen auf Zeit gewählt,
um Entscheidungen zu treffen und
gegebenenfalls auch für unpopuläre
Maßnahmen
einzustehen.
Gewiss, für grundsatzpolitische
Entscheidungen wie EU-Beitritt,
Atomkraft oder die Wehrpflicht
gab bzw. gibt es auch in
Österreich
Volksabstimmungen
– unsere Verfassung sieht ja mit
Volksbegehren,
Volksbefragung
und Volksabstimmung explizit
drei derartige Instrumentarien
vor. Bezeichnend dabei, dass die
Abstimmung über die Wehrpflicht
im Jänner 2013 die erste
„Volksbefragung“ 20 Jahre nach
ihrer gesetzlichen Einführung ist.
I
n seltener Einigkeit diskutierten
in den vergangenen Wochen
die fünf Parlamentsparteien über
einen Automatismus, bei dem
Volksbegehren (ab Erreichen einer
bestimmten Unterschriftengrenze)
automatisch ein entsprechendes
bindendes
Plebiszit
nach
sich ziehen. Dass damit das
Parlament bei der Gesetzgebung
völlig umgangen werden kann,
wurde meist unter den Teppich
gekehrt. Abgesehen davon, dass
ein
derartiger
Automatismus
eine
Gesamtänderung
der
österreichischen Bundesverfassung
darstellen würde, der seinerseits
zuerst mit einer verpflichtenden
Volksabstimmung
wie
beim
EU-Beitritt
Österreichs
legitimiert werden müsste, ist
dieser Vorschlag grundsätzlich
abzulehnen. Komplexe politische
Herausforderungen können in
den seltensten Fällen einfach mit
„Ja“ oder „Nein“ beantwortet
werden; mit Emotionen kann nicht
über ernste Themen abgestimmt
werden.
Versachlichung
ist
gerade in Österreich mit seinen
rechtspopulistischen
Parteien
FPÖ und BZÖ mehr als schwierig.
Hätten wir dieses Instrumentarium
bereits in der Vergangenheit
gehabt, Demagogen wie Jörg
Haider hätten mit Hilfe des
Boulevards wohl das eine oder
andere Abstimmungsergebnis mit
massiven Nachteilen für unser Land
erreicht: Ein per Plebiszit erreichter
„Zuwanderungsstopp“ wäre wider
jede ökonomische Vernunft wohl
ebenso wahrscheinlich gewesen
wie ein Nein zu Eurozone oder
Schengener Abkommen, ein Veto
gegen den EU-Beitritt Tschechiens
(Temelín) oder ein noch schärferes
Asylund
Fremdenrecht.
Abstimmungsergebnisse, die gerade
für Minderheiten ohne Wahlrecht
massive Nachteile mit sich brächten.
M
ehr Demokratie wagen“ im
Brandt‘schen Sinn ja, aber
das bedeutet nicht automatisch
mehr direkte Demokratie. Es
sollte vielmehr eine Aufwertung
des
Parlamentarismus
und
der gewählten MandatarInnen
bedeuten.
In
Deutschland
beispielsweise
vergibt
jede/r
Wahlberechtigte
bei
der
Bundestagswahl zwei Stimmen: mit
einer wird ein/e Mandatar/in aus
dem jeweiligen Wahlkreis, mit der
anderen wird – wie bei uns – eine der
kandidierenden Listen (Parteien)
gewählt. Eine Aufwertung der
Direktmandate im Nationalrat
würde auch in Österreich den
Parlamentarismus stärken und
gleichzeitig die Abhängigkeiten
einzelner MandatarInnen von
ihrer Partei reduzieren. Auch über
einen „dreistufigen Volksentscheid“,
wie er in einigen deutschen
Bundesländern bereits praktiziert
wird, sollte ernsthaft nachgedacht
werden. Ein Modell, das auch
Nationalratspräsidentin
Barbara
Prammer favorisiert. Eine der
wenigen übrigens, die die derzeit
diskutierten Vorschlägen auch
öffentlich kritisch hinterfragt. Zu
Recht.
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