Sieglinde Rosenberger / Gilg Seeber Forschungspraktikum: „Die Stimme abgeben?“ LV-Nr. 696578 WS 2004/05 – Wien, im Feber 2005 Strategien zur Steigerung der Wahlbeteiligung von JungwählerInnen Kathrin Brock, [email protected] Christine Frenkenberger, [email protected] Michaela Kampl, [email protected] Iris Simsa, [email protected] Martin Stelzl, [email protected] Miriam Walch, [email protected] INHALTSVERZEICHNIS Einleitung ................................................................................................................................2 1. Theorie und Begriffsbestimmungen.................................................................................4 1.1 Theoretischer Hintergrund ............................................................................................... 4 1.2 Begriffsbestimmungen ..................................................................................................... 5 2. Wahlenthaltung - Problematisierung................................................................................9 2.1 Österreichische Entwicklung.......................................................................................... 10 2.2 JungwählerInnen und Wahlenthaltung........................................................................... 12 2.3 Wertorientierung und Wertewandel ............................................................................... 13 2.4 Politisches und gesellschaftliches Engagement ............................................................. 15 2.5 Wahrnehmung von Politik und Politikern...................................................................... 18 2.6 Institutionenvertrauen..................................................................................................... 19 2.7 Demokratie ..................................................................................................................... 20 3. Szenarien ............................................................................................................................. 22 3.1 Einführung:..................................................................................................................... 22 3.2 Wahlaltersenkung........................................................................................................... 22 3.3 Erhöhung der Mitbestimmungsrechte ............................................................................ 24 3.4 Institutionalisierte politische Bildung, Politisierung, gesellschaftliche politische Bildung .............................................................................................................................................. 26 3.5 Jugendarbeit / Peer-Groups ............................................................................................ 29 3.6 Junge KandidatInnen/ jugendnahe KandidatInnen ........................................................ 30 4. Fazit ..................................................................................................................................... 32 Literaturverzeichnis............................................................................................................... 34 Anhang 1: Interview ÖVP ..................................................................................................... 36 Anhang 2: Interview FPÖ...................................................................................................... 40 Anhang 3: Interview Grüne .................................................................................................. 44 Anhang 4: Interview Chisholm ............................................................................................. 48 Anhang 5: Interview Zentner................................................................................................ 49 Anhang 6: Interview Schmid................................................................................................. 52 Seite: 1 Einleitung Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, konkrete Vorschläge für Politik zu erarbeiten, wie auf die zu beobachtende sinkende Wahlbeteiligung junger WählerInnen reagiert werden könnte. Um dem politikwissenschaftlichen Zugang gerecht zu werden, soll dabei vor allem Augenmerk auf politischinstitutionelle Maßnahmen und weniger auf das Auftreten von PolitikerInnen gelegt werden. Die Konzentration auf die Gruppe der JungwählerInnen bot sich für uns anfangs aufgrund der Komplexität der Gründe, die für Mitglieder unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen entscheidend sind, nicht zur Wahl zu gehen, an. Im Rückblick muss allerdings bemerkt werden, dass sich durch die Reduktion auf eine dieser Gruppen – eben die NichtwählerInnen zwischen 18 und 24 Jahren – nur eine geringe Reduktion dieser Komplexität ergeben hat: Die Gründe für jugendliche NichtwählerInnen, sich nicht zu beteiligen, sind ebenso zahlreich wie die der NichtwählerInnen insgesamt. Allerdings sind sie, zumindest zum Teil, andere. Die Konzentration auf junge Menschen hat sich allerdings aus anderen Gründen als richtig erwiesen: Da die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe stärker sinkt als in der Gesamtbevölkerung, könnten die dafür relevanten Gründe nämlich in Zukunft in Form eines “Generationeneffekts” Auswirkungen auf viel größere Bevölkerungsgruppen haben und somit die Wahlbeteiligung insgesamt senken und dadurch – in letzter Konsequenz – die Legitimität der repräsentativen Demokratie gefährden. Zudem kann argumentiert werden, dass aufgrund der geringen Wahlbeteiligung der JungwählerInnen die Interessen dieser Gruppe möglicherweise nur unzureichend in den Ergebnissen politischen Handelns repräsentiert sind. Die Entwicklung der Strategien zur Steigerung der Wahlbeteiligung geschieht anhand von “Szenarien”, die in der auf die Zukunft gerichteten – und für uns somit nicht empirisch überprüfbaren – Forschungsarbeit an die Stelle von Hypothesen treten. Die Verwendung von Szenarien bedeutet, dass mögliche politische Maßnahmen, die eine positive Auswirkung auf die Wahlbeteiligung haben könnten, gesucht, und gleichzeitig bereits im Hinblick auf Faktoren, die gegen eine solche Wirkung sprechen, in Frage gestellt werden. Probleme ergaben sich während der Arbeit am Forschungsprojekt hauptsächlich dabei, die einzelnen Bereiche auszuweiten bzw. einzuschränken, also zu entscheiden, was sinnvoller Weise zur Fragestellung gehört und was nicht. Dieses Problem stellte sich auf mehreren Ebenen: Die aufgestellten Szenarien werden von Politik und Öffentlichkeit anhand unterschiedlicher Dimensionen diskutiert – uns interessiert in diesem Rahmen ausschließlich ihre (mögliche) Auswirkung auf die Wahlbeteiligung. Wer sich mit Wahlen beschäftigt kommt selbstverständlich auch mit Informationen zu anderen politischen Partizipationsformen in Berührung. Auch wenn die Beschäftigung damit zum Teil sehr informativ und ergiebig war, durfte dabei die Fragestellung nicht aus den Augen verloren Seite: 2 werden. Besonders schwierig stellte sich die Definition einer relevanten Altersgruppe dar. Auch wenn man sich mit Jung-WählerInnen beschäftigt stellt sich nämlich die Frage nach der politischen Sozialisation vor Erreichung des Wahlalters. Die Altersgruppe musste also in Richtung der Jungendliche vergrößert werden. Seite: 3 1. Theorie und Begriffsbestimmungen 1.1 Theoretischer Hintergrund Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass eine sinkende Wahlbeteiligung die Legitimität einer Demokratie untergräbt und dass es daher erstrebenswert ist, die Wahlbeteiligung, soweit sie tatsächlich sinkt, wieder zu erhöhen. Im Sinne dieser Arbeitsthese lehnen wir uns an die partizipatorischen Demokratietheorie an, die die politische Beteiligung möglichst vieler in möglichst vielen Bereichen befürworten und in Folge dessen eine Maximierung der Partizipationsmöglichkeiten anstreben, sowie die Demokratie nicht nur als Staatsform, sondern auch als Lebensform sehen.1 Ebenso wird in der vorliegenden Arbeit das StaatsbürgerInnenmodell der partizipatorischen Demokratietheorie mitgedacht. Dieses geht davon aus, dass BürgerInnen durch eine richtige Organisation des Willensbildungsprozesses dazu befähigt werden, StaatsbürgerInnensinn zu entwickeln.2 Im Speziellen wird hier auf Barbers Theorie der starken Demokratie zurückgegriffen. Barber geht davon aus, dass die liberale repräsentative Demokratie, die er „magere Demokratie“ nennt, zur Zeit in einer Krise steckt. Diese macht sich anhand verschiedener Symptome, wie einer steigenden politischen Apathie und einem steigenden Desinteresse der BürgerInnen, einem Rückzug ins Private, einem steigenden Misstrauen gegenüber der Politik, einer zurückgehenden Parteienkonzentration, sowie einer sinkenden Wahlbeteiligung bemerkbar.3 Der Rückgang der Wahlbeteiligung ist besonders bedenklich, nachdem der Gang zur Wahl das Kernelement einer repräsentativen Demokratie darstellt. Durch ihn bestimmen die BürgerInnen ihre RepräsentantInnen bzw. bestätigen sie im Amt. Eine sinkende Wahlbeteiligung bedeutet daher eine geringere Bestätigung der politischen Eliten und schlussendlich die Untergrabung der Legitimität einer repräsentativen Demokratie.4 Auch für Barber sind sinkende Wahlbeteiligung, steigendes politisches Desinteresse, zunehmende Entfremdung von der Politik und offensichtliche Teilnahmslosigkeit Zeichen einer Krise der Demokratie. 1 vgl. Schmid, Manfred G. (2000). Demokratietheorien. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Augsburg., S. 251f. 2 vgl. ebd., S. 257f. 3 vgl. Sartori, Vera S. (2002). Partizipative Demokratie in Porto Alegre. Diplomarbeit Universität Innsbruck, Innsbruck http://igkultur.at/igkultur/kulturpolitik/1086020897/DiplArb_PartDemokr.pdf (27.12.2004)., S. 8ff. 4 vgl. ebd., S. 9. Seite: 4 Für ihn liegt der Grund dieser Entwicklung in der zu geringen Einbeziehung der BürgerInnen in den politischen Prozessen.5 Liberalismus, so Barber, impliziere individuelle Denkmuster, aufgrund derer jeder nur seine individuellen Interessen verfolge und so entstehe kein StaatsbürgerInnensinn, was die oben genannten Folgen (sinkende Wahlbeteiligung etc.) nach sich ziehe.6 Als Gegenmodell zur aktuellen mageren Demokratie schlägt Barber das Modell einer starken Demokratie vor, die eine Antwort auf die erwähnten Dilemmata der liberalen Demokratie darstellen soll. Politik ist für Barber eng mit Handeln verbunden7 und dementsprechend sieht er Politik auch als etwas, das BürgerInnen tun und nicht als etwas, das ihnen widerfährt.8 Folglich vertritt Barber ein Modell der aktiven Staatsbürgers/der aktiven Staatsbürgerin, der/die genügend Kompetenz besitzt, um am politischen Prozess teilzunehmen. Damit starke Demokratie aber funktioniert, muss unter anderem die Erziehung zum/r StaatsbürgerIn institutionalisiert werden.9 Im Gegensatz zu unserem Ansatz steht der Ansatz der Elitetheoretiker, die eine geringe Wahlbeteiligung sogar als stabilitätsfördernd erachten.10 Ihnen ist vorrangig wichtig, dass Eliten gewählt werden, die das Volk vertreten und für das Volk entscheiden. Diesem Theoriestrang zufolge hätte es keinen Sinn sich Strategien zur Steigerung der Wahlbeteiligung zu überlegen, da eine niedrige Wahlbeteiligung aus dieser Perspektive nicht als Problem erachtet wird. 1.2 Begriffsbestimmungen Hier sollen grundlegende bzw. häufig verwendete Begriffe geklärt werden, um dar zu legen, wie diese Begriffe in vorliegender Arbeit verstanden und verwendet werden. Da der Arbeitstitel des Forschungsprojektes „Strategien zur Steigerung der Wahlbeteiligung Jugendlicher“ lautet, ist es wichtig zu klären, was unter Strategie und Wahlbeteiligung verstanden wird und wie weit der Begriff Jugendliche gefasst wird bzw. welche besonderen Eigenschaften Menschen dieses Alters zugeschrieben werden. 1.2.1. Strategie Nach dem Brockhaus Lexikon stellt eine Strategie, betriebswirtschaftlich betrachtet, ein rationales, in sich stimmiges Maßnahmenbündel eines Unternehmens dar, das sich aus vielen Einzelaktivitäten zusammen setzt und dazu dient die grundsätzlichen Unternehmensziele zu erreichen. 5 vgl. ebd., S. 10. vgl. ebd., S. 10f. 7 vgl. Barber, Benjamin (1994). Starke Demokratie. Hamburg., S. 107. 8 vgl. ebd., S. 122. 9 vgl. ebd., S. 191. 10 vgl. Nohlen, Dieter (Hg.) (2001). Kleines Lexikon der Politik. München., S. 557. 6 Seite: 5 Folglich sind Entscheidungen über Strategien immer prinzipielle Entscheidungen, in welche Richtung das Unternehmen gehen soll. 11 In diesem Sinne wird der Begriff Strategie im vorliegenden Forschungsbericht verstanden, als ein Bündel von in sich stimmigen Maßnahmen, die eingesetzt werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. 1.2.2 Wahlbeteiligung Wahlbeteiligung, also das Verhältnis der Zahl der abgegebenen Stimmen zur Gesamtzahl der Wahlberechtigten, ist ein wichtiges Zeichen der Bereitschaft der Bevölkerung eines Landes an Politik zu partizipieren. Während Elitetheoretiker eine geringe Wahlbeteiligung als stabilitätsfördernd erachten, soll hier, wie schon eingangs erwähnt, im Sinne der partizipatorischen Demokratietheorie davon ausgegangen werden, dass eine geringe Wahlbeteiligung die Legitimität einer Demokratie untergräbt. Die Höhe der Wahlbeteiligung ist von formalen und individuellen Einflüssen bestimmt.12 Zu den formalen Rahmenbedingungen zählen unter anderem Wahlpflicht, Registrierungspflicht, Häufigkeit von Wahlen, Festlegung der Wahlkreise und Vorschriften über Ansässigkeitsdauer etc. im Wahlkreis. Für die individuelle Wahlenthaltung gibt es verschiedene Erklärungsmuster. Zum einen werden soziostrukturelle Faktoren wie Alter, Bildungsgrad oder sozialer Status genannt, zum anderen erklärt man sich die Nichtwahl auch als Protest gegen politische Verhältnisse und Politikverdrossenheit, sowie durch die Annahme, dass NichtwählerInnen grundsätzlich zufrieden mit dem politischen System sind und deswegen nichts ändern wollen.13 1.2.3. Politikverdrossenheit Oft wird die Nichtwahl auf Politikverdrossenheit zurückgeführt. Politikverdrossenheit beschreibt ein Phänomen, das in den letzten zehn Jahren besonders stark zu beobachten war – die Abwendung der BürgerInnen von der Politik, was Barber als die Krise der Demokratie bezeichnet. Riehl-Heyse kritisiert, dass sich der Inhalt des Begriffs Politikverdrossenheit im deutschen Sprachraum oft nur in der Analyse von Umfang und Zahl von NichtwählerInnen erschöpft.14 Obgleich definitorische Ungenauigkeiten des Begriffs gibt, steht fest, dass Politikverdrossenheit mehrere Komponenten umfasst, da die Teilbegriffe „Politik“ und „Verdrossenheit“ unscharfe Grenzen aufweisen. 11 vgl. Brockhaus Enzyklopädie. Stichwort: Strategie. 19. völlig neu bearbeitete Auflage 1993. vgl. Nohlen: a.a.O., S. 557. 13 vgl. ebd., S. 557. 14 vgl. Böhmer, Christian (2002). Politikverdrossenheit in Österreich. Eine Annäherung unter der besonderen Berücksichtigung der Werte- und Lebenswelt von Jugendlichen, Diplomarbeit Universität Wien, Wien., S. 27. 12 Seite: 6 Weil Politik im allgemeinen Politiker, Parteien, Institutionen und im westeuropäischen Fall nicht zuletzt Demokratie mit einschließt, kann man dementsprechend zwischen Politiker-, Parteien-, Institutionen- und Demokratieverdrossenheit unterscheiden. Wenn nun von Politikverdrossenheit die Rede ist, so meint die vorliegende Arbeit damit einen „Ausdruck mangelnder Unterstützung der Bevölkerung gegenüber unterschiedlichen [politischen Anm.] Objekten.“15 Dieser Entzug von Unterstützung kann kurzfristiger (Unzufriedenheit mit politischen Akteuren und Inhalten) oder langfristiger (Verlust des Vertrauens in das System) Natur sein.16 In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass die BürgerInnen nicht dem System als Ganzes die Unterstützung entziehen, das heißt nicht demokratieverdrossen sind, schon aber eine Unzufriedenheit mit der Performanz von Parteien und PolitikerInnen zu verspüren ist, weswegen anzunehmen ist, dass die BürgerInnen sehr wohl politiker- und parteienverdrossen sind. 1.2.4 Überlegungen zur Jugend Die Jugend ist eine Lebensphase, die mit der Pubertät beginnt und den Übergang vom Kind sein zum erwachsen sein bezeichnet. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist die Jugend als besonderer Lebensabschnitt zu behandeln, da es ‚typisch’ jugendliche Verhaltensweisen und Einstellungen gibt. Die Jugend ist außerdem eine Phase der Identitätssuche und der Persönlichkeitsentwicklung, in der ein Individuum Voraussetzungen für selbstständiges Handeln erwirbt. Ein Jugendlicher muss einen Standpunkt zu sich selbst und seiner Umwelt (Gesellschaft, Kultur,…) gewinnen. In diesem Prozess übernimmt der/die Jugendliche zum Teil gesellschaftliche Vorgaben, zum Teil werden diese aber auch völlig verworfen oder abgelehnt.17 Ein/e Jugendliche/r hat vier große Entwicklungsaufgaben zu lösen18: Er/Sie muss eine intellektuelle und soziale Kompetenz entwickeln. Sowie eine Geschlechterrolle entwickeln. Weiters muss er/sie einen eigenen Lebensstil und eigene Handlungsmuster entwickeln, was einen mündigen Umgang mit Medien und dem Konsummarkt zu lernen mit einschließt sowie ein Normen- und Wertesystem ebenso herausbilden muss, wie ein ethisches und politisches Bewusstsein. Für die politische Partizipation stellen die Herausbildung eines Normen- und Wertesystems und die Beziehung zu politischer Partizipation natürlich die relevantesten Entwicklungsaufgaben dar.19 15 Krimml, Iris (1999). Die Beurteilung von Politikern als ein Aspekt von „Politikverdrossenheit“, in: Fritz Plasser/Oskar W. Gabriel/Kürgen W. Falter/Peter A. Ulram (Hg.): Wahlen und politische Einstellungen in Deutschland und Österreich, Frankfurt am Main., S. 265. 16 vgl. ebd., S. 265. 17 vgl. Böhmer: a.a.O., S. 32f. 18 vgl. ebd., S. 34. Seite: 7 Was für die Betrachtung politischer Partizipation Jugendlicher noch erwähnenswert erscheint, ist die Tatsache, dass das Leben heutiger Jugendlicher auf einer abgesicherten ökonomischen Basis steht, die die Jugendlichen sich nicht selbst erarbeitet haben. Diese sichere ökonomische Basis ist aber von großer Bedeutung bei der Artikulation von Interessen und Einstellungen.20 Man kann also sagen, dass den Jugendlichen sozial und materiell gesehen viele Möglichkeiten offen stehen, sie aber keine wirklichen Herausforderungen bzw. Befriedigung ihrer Sinne, Gefühlswelten, Interessen und Bedürfnisse erfahren.21 19 vgl. ebd., S. 36. vgl. ebd., S. 36. 21 vgl. ebd., S. 37. 20 Seite: 8 2. Wahlenthaltung - Problematisierung Wer Strategien entwickeln will, um die Wahlbeteiligung zu steigern, muss sich zuerst die Frage stellen, wer die Nichtwähler überhaupt sind, wie sie sich also nach Alter, Geschlecht, sozioökonomischen und anderen Faktoren kategorisieren lassen. Damit stellt sich auch die Frage, welche Gründe für die jeweiligen Gruppen der Nichtwähler entscheidend sind, vom zentralen demokratischen Recht der Stimmabgabe keinen Gebrauch zu machen. Dabei wird schnell klar, dass man nicht – obwohl das in der Berichterstattung immer noch regelmäßig passiert – von der “Partei der Nichtwähler”22 sprechen kann. Im Folgenden soll anhand des aktuellen Standes der politikwissenschaftlichen Literatur versucht werden, Gründe für die Wahlenthaltung immer größerer Bevölkerungsgruppen darzustellen, und zwar sowohl für die Nichtwählerschaft an sich, als auch – in weiterer Folge – für jugendliche Nichtwähler, auf welche die dann zu entwickelnden Strategien zugeschnitten sein werden. Dabei soll vor allem gezeigt werden, dass Wahlenthaltung nicht automatisch mit Interesselosigkeit an Politik einhergeht, viele der NichtwählerInnen also wieder für die repräsentative Demokratie gewonnen werden können. Inwiefern Wahlenthaltung überhaupt als gesellschaftliches und politisches Problem wahrgenommen wird, hängt unmittelbar vom theoretischen Zugang zur repräsentativen Demokratie an sich ab:23 Für AnhängerInnen einer output-orientierten Demokratietheorie, die Wahlen vor allem als Mittel zur Machtzuweisung sehen, ist die Höhe der Wahlbeteiligung so lange irrelevant, wie der Machtanspruch der so Gewählten von den NichtwählerInnen nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Einzig die Stabilität des Systems als Output der Wahlen muss gewährleistet sein. Zum Teil wird sogar vertreten, eine geringe Wahlbeteiligung sei positiv, wenn und solange die Wahl von einer politisch klugen “Elite” vorgenommen wird, während sich politisch Ungebildete der Wahl enthalten. Die Existenz eines für eine solche Elite erkennbaren “Gemeinwillen” ist unseres Erachtens in modernen pluralistischen Demokratien allerdings kaum argumentierbar. Dem gegenüber muss steigende Wahlenthaltung selbstverständlich als Problem sehen, wer mit einer input-orientierten Demokratietheorie Wahlen als Artikulation des politischen Willens der (möglichst aller) WählerInnen sieht. Wahlen dienen demnach neben der Artikulation (der Interessen des Einzelnen) auch der Repräsentation (aller gesellschaftlichen Gruppen ihrer Größe entsprechend) und der Integration (des/der StaatsbürgerIns in das politische System).24 22 siehe z.B.: Feist, Ursula (1994). Die Macht der Nichtwähler. Wie die Wähler den Volksparteien davonlaufen, München., S. 14ff. 23 vgl. Eilfort, Michael (1994). Die Nichtwähler. Wahlenthaltung als Form des Wahlverhaltens, Paderborn/Wien., S. 27ff. 24 vgl. ebd., S. 31. Seite: 9 Alle drei Funktionen von Wahlen können somit nicht befriedigend erfüllt werden, wenn große Teile der Gesellschaft sich nicht bei Wahlen artikulieren: Die Interessen eines Teiles der Bevölkerung fließen nicht in die politischen Entscheidungen ein, die repräsentativen Organe entsprechen nicht dem Ideal eines Abbildes der Gesellschaft (auf die Bedeutung des Alters von RepräsentantInnen auch als Ursache von Wahlenthaltung wird im Laufe der Arbeit noch zurück zu kommen sein), zudem besteht die Gefahr, dass die Politik an Legitimität verliert, wenn nicht weite Teile der Bevölkerung ihre Verbundenheit mit dem System durch regelmäßige Stimmabgabe beweisen. Die Zahl der NichtwählerInnen ist in Österreich wie in praktisch allen anderen repräsentativen westlichen Demokratien in den letzten Jahrzehnten im Steigen begriffen. Wahlen fern zu bleiben ist verstärkt zu einer politischen Alternative geworden und wird von vielen NichtwählerInnen auch bewusst als Ausdruck ihrer politischen Meinung wahrgenommen. Die Interpretation von Wahlenthaltung als politisches Statement (und nicht als gänzliche Entfremdung von Politik) wird auch durch die Unterschiede in der Beteiligung an als wichtigen und als weniger wichtig dargestellten und wahrgenommenen Wahlen gestützt. Dies ist zu akzeptieren, wenn man der Meinung folgt, das Wahlrecht sei ein subjektives politisches Recht des/der StaatsbürgerIn, seine Interessen durch die “Entsendung” von VertreterInnen in der Gesellschaft einzubringen, und nicht eine organschaftliche Pflicht dem Staat gegenüber. Das Wahlrecht wird also, trotz gewisser inhaltlicher Differenzen, weil neben dem individuellen auch ein gesellschaftliches Interesse an der Ausübung des Wahlrechts anerkannt ist (nämlich das Interesse am Funktionieren der repräsentativen Demokratie an sich), in die Reihe der liberalen Freiheitsrechte gestellt.25 Die Freiheit des Wahlrechtes beinhaltet damit auch die Freiheit, sich der Wahl zu enthalten. Die Akzeptanz dieser Freiheit spricht aber nicht gegen eine Problematisierung des Themas: Denn auch wenn Wahlenthaltung nicht automatisch Desinteresse am politischen Leben bedeutet, ergeben sich aus der Vergrößerung der Gruppe der NichtwählerInnen langfristig Probleme für die Legitimation des Staates, besonders dann, wenn dadurch bestimmte Bevölkerungsgruppen und ihre Interessen nur unzureichend in den repräsentativen Körperschaften vertreten sind. 2.1 Österreichische Entwicklung Eine sinkende Wahlbeteiligung ist in Österreich insbesondere seit den 80er Jahren bemerkbar. Konnte die Entwicklung bis dahin noch als “Normalisierung” auf ein mit anderen westlichen Demokratien vergleichbares Niveau interpretiert werden,26 muss man in der sinkenden Beteiligung der letzten beiden Jahrzehnte, besonders angesichts einiger besonders drastischer “Ausreißer” nach unten in 25 Zu dieser verfassungsrechtlichen Diskussion siehe: Poier, Klaus (2004). Nichtwählerstudie. Demokratiepolitische Aspekte, Ausmaß und Ursachen des Nichtwählens sowie mögliche Gegenstrategien, Graz., S. 10ff. 26 Für Deutschland argumentiert dies: Eilfort: a.a.O., S. 41f. Seite: 10 einzelnen Wahlen wie zum Europäischen Parlament und zum Österreichischen Bundespräsidenten die Gefahr des Legitimitätsverlustes der repräsentativen Demokratie sehen. 2.1.1 Zu den Zahlen:27 Die Beteiligung an österreichischen Nationalratswahlen ist in der 2. Republik im internationalen Vergleich traditionell sehr hoch. Bis 1986 lag die Beteiligung immer über 90%, der bisherige Tiefpunkt wurde 1999 mit immerhin noch 80,42% erreicht. Bei den “brisanten” Wahlen von 1995 und 2002 (jeweils Neuwahlen vor dem ursprünglich geplanten Termin) wurde sogar eine jeweils höhere Wahlbeteiligung als bei den voran gegangenen Urnengängen registriert. Eine negative Tendenz ist aber jedenfalls zu beobachten. Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch mit größeren Differenzen, zeigt sich bei anderen Wahlgängen: Bei Landtagswahlen in sämtlichen österreichischen Bundesländern ist ein Sinken der Wahlbeteiligung von unterschiedlicher Intensität zu beobachten. Besonders starke Einbrüche gab es auf dieser Ebene bei den letzten Landtagswahlen in Tirol (von 80,57% auf 60,91%!), Niederösterreich und der Steiermark. Ähnlich starke Rückgänge waren bei den vergangenen Bundespräsidenten-Wahlgängen und der “Ausnahmesituation” Europawahl (bei Wahlen zum europäischen Parlament lag die Wahlbeteiligung in Österreich von Beginn an deutlich niedriger als bei nationalen und regionalen Wahlgängen) zu verzeichnen. Diese Entwicklungen legen jedenfalls den Schluss nahe, dass sich das Bild der repräsentativen Demokratie unter den potentiellen WählerInnen ändert. Geht man weiters davon aus, dass diese Rückgänge nicht durch alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig getragen werden, sondern ganz im Gegenteil zu einer ungleichen Repräsentation in Hinblick auf Faktoren wie Einkommen und Alter führen, muss es die Aufgabe der Politik sein, zu überlegen, wie man möglichst viele WählerInnen zurück gewinnen kann. Ein solches Problembewusstsein konnten wir bei unseren Interviews mit ParteienvertreterInnen allerdings nur teilweise feststellen, meist werden die NichtwählerInnen nur strategisch im Hinblick auf zukünftige Wahlergebnisse problematisiert, eine geringe Wahlbeteiligung also in bestimmten Fällen – wenn eine Partei davon im Ergebnis profitiert – durchaus akzeptiert.28 Jedenfalls konnte beobachtet werden, dass von Seiten der ParteienvertreterInnen, auch dann, wenn durchaus Problembewusstsein bezüglich der Wahlbeteiligung herrscht, nicht immer zwischen den eigenen Interessen an Stimmenmaximierung und dem “überparteilichen” Interesse an der Wahlbeteiligung unterschieden wird. 27 28 Daten aus: Poier: a.a.O., S. 23ff. vgl. dazu die Interviews mit ParteienvertreterInnen im Anhang Seite: 11 2.2 JungwählerInnen und Wahlenthaltung Das Alter wird in der politikwissenschaftlichen Literatur durchwegs als relevantes Merkmal für die Kategorisierung von NichtwählerInnen erkannt. Unterschiedlichste Untersuchungen kommen dabei zu sehr ähnlichen Ergebnissen: Demnach zeigt sich ein bei der Darstellung der Wahlbeteiligung nach Lebensalter ein charakteristischer Kurvenverlauf, wonach die Höhe der Wahlbeteiligung mit steigendem Alter wächst, ihren Höhepunkt zwischen 40 und 65 Jahren erreicht und danach wieder fällt.29 Auch eine in manchen quantitativen Untersuchungen beobachtete stärkere Beteiligung der ErstwählerInnen liegt jedenfalls deutlich unter der Beteiligung anderer Altersgruppen.30 Während sich diese “Grundstruktur” möglicherweise noch mit der geringeren Einbindung junger, zum Teil noch in Ausbildung stehender Menschen, ins öffentliche Leben erklären lässt, das sich mit steigendem Lebensalter “normalisiert”, zwingt eine andere Beobachtung zur Problematisierung der Wahlbeteiligung von JungwählerInnen: Die Beteiligung dieser Gruppe (auch wenn diese nicht immer einheitlich definiert wird) geht nämlich in besonders starkem Ausmaß zurück. Als aktuellster Beleg für diese Entwicklung sei die Wahl zum europäischen Parlament 2004 genannt, bei der die Gruppe der 18 bis 24-jährigen EU-weit mit nur 33% (gesamt: 46%) die geringste Wahlbeteiligung aufzuweisen hat.31 2.2.1 Gründe für die Wahlenthaltung Auch wenn es kaum empirische Untersuchungen zu NichtwählerInnen in Österreich gibt, und die einschlägige deutsche und angelsächsische wissenschaftliche Literatur nicht auf aktuellen Daten aufbaut,32 lassen sich aus der Literatur dennoch die beobachteten Gründe für Wahlenthaltung und die aus der Kombination solcher Gründe entwickelten Kategorisierungen von NichtwählerInnen verwenden. Für unser Thema relevant ist einerseits die Kategorisierung der NichtwählerInnen nach der Häufigkeit ihrer Wahlenthaltung:33 Demnach kann man unechte NichtwählerInnen, die ihre Stimme unfreiwillig nicht abgeben konnten (weil sie zum Beispiel nicht zur Wahl zugelassen waren), grundsätzliche NichtwählerInnen, die aus Gegnerschaft oder Gleichgültigkeit nie (bzw. mehrmals hintereinander nicht) zur Wahl gehen, und konjunkturelle NichtwählerInnen, für welche die Wahlenthaltung eine bewusste, auf eine konkrete Wahl bezogene Entscheidung ist. Letztere (unter den JugendwählerInnen) 29 vgl. Kleinhenz, Thomas (1995). Die Nichtwähler. Ursachen der sinkenden Wahlbeteiligung in Deutschland, Opladen., S. 100f. 30 vgl. Völker, Marion/Völker, Bernd (1998). Wahlenthaltung. Normalisierung oder Krisensymptom? Wiesbaden., S. 102ff. 31 vgl. Europäische Kommission: Post European elections 2004 survey. http://europa.eu.int/comm/public_opinion/flash/FL162en.pdf (08.01.2005)., S. 10. 32 Zu Deutschland siehe: Eilfort: a.a.O; Feist: a.a.O.; Kleinhenz: a.a.O.; Völker/Völker: a.a.O. 33 vgl. z.B. Eilfort: a.a.O., S. 57ff. Seite: 12 sind für die Politik somit noch nicht “verloren” und können also durch politisches Handeln angesprochen werden. Andererseits gibt es zahlreiche Versuche, NichtwählerInnen nach den Gründen ihrer Wahlenthaltung zu kategorisieren. Diese Gründe können außerhalb (wie die insgesamt mangelnde Integration in die Gesellschaft – vgl. die “Randständigkeitshypothese”34) oder innerhalb des politischen Geschehens liegen. Zu letzteren – politisch beeinflussbaren – Faktoren gehören die Bedeutung der Politik im Leben des Einzelnen (Individualisierung und Wohlstand, Bürgerverantwortung, die der Politik zugesprochene Problemlösungsfähigkeit35), die (Selbst-)Darstellung der Politik (und das davon abhängige Vertrauen in Institutionen, Personen und Parteien) sowie persönliche Erfahrungen (positive und negative Auswirkungen von Politik sowie eigenem politischem Handeln). Die Art und Weise, wie Politik diese Faktoren beeinflussen kann, ist sehr unterschiedlich. So kann Vertrauen kaum durch institutionelle Maßnahmen geschaffen werden. Ebenso können positive Erfahrungen nur in sehr geringem Maß durch konkrete Maßnahmen generiert werden. Dem entsprechend sind auch die bearbeiteten “Szenarien” bewusst breit gestreut. Sie beinhalten institutionelle, gesetzgeberische Maßnahmen ebenso wie solche, die die Außendarstellung von Politik verändern sollen. Das Hauptaugenmerk soll allerdings Inhalte der politischen Arbeit und deren Bedeutung für das Leben der einzelnen WählerInnen gelegt werden. Zusammenfassend kann man also sagen, dass es in weiterer Folge vor allem um die Wahlenthaltung gehen soll, die durch sinkendes Institutionen-, Politiker- und Parteienvertrauen verursacht wird. Auf den in diesem Zusammenhang häufig gebrauchten Begriff “Politikverdrossenheit” und die davon abgeleiteten Begriffe wie “Politiker- und Institutionenverdrossenheit” ist dazu umfassend einzugehen. 2.3 Wertorientierung und Wertewandel „Als Wertorientierungen werden wesentliche Elemente der menschlichen Psyche bezeichnet, die festlegen, was im Leben wichtig ist, was im Leben angestrebt wird.“36 Im Zuge des Strukturwandels jugendlicher Erfahrungsfelder wird in der Literatur sowohl von einer Ausweitung als auch vom frühzeitigen Ende der Jugend gesprochen. Einerseits werden Kinder bzw. Jugendliche durch zunehmende Mediennutzung sehr früh mit gesellschaftlichen Problemkonstellationen konfrontiert. Andererseits wird die Freiheit zur uneingeschränkten Selbstentfaltung, die vormals konstitutiv für die Jugend war, vermehrt von Erwachsenen, beispielsweise in Form von Midlife Crisis und anderen Krisen in Anspruch genommen. 34 vgl. Kleinhenz: a.a.O., S. 29f. vgl. Poier: a.a.O., S. 95. 36 Deutsche Shell (Hg.) (2002). Jugend 2002. Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus, Frankfurt/Main., S. 139. 35 Seite: 13 So kommt es möglicherweise zu einer zeitlichen Verschiebung der Auslebung der Jugendphase, und diese wird zunehmend eine Frage der Einstellung als eine des Alters. Der Wandel einer „produktionistischen“ Sozialisation hin zur „konsumistischen“ Sozialisation bedeutet für Jugendliche eine „verspätete“ Übernahme von Verantwortung für die eigene materielle Existenzsicherung. Die zunehmend lernbezogene Adoleszenz lässt Jugendliche länger in altershomogenen Gruppen verweilen. Individuelle Leistungsmuster sind in dieser Zeit kollektiven Leistungsmustern vorgezogen. Eine weitere mittlerweile vorherrschende Sozialisationsbedingung nennt die Literatur das „Kollektivschicksal der Vereinzelung“. Individualisierung impliziert eine Vergrößerung von Handlungsspielräumen, die gleichzeitig die Chance auf Bündelung von Interessen verringert. Jugendlichen erscheinen gesellschaftlichen Institutionen distanzierter. Die individuelle Verfügung über Zeit verringert die kollektiv geteilte Zeit. Es kommt zu einer Schwächung des sozialen Zugehörigkeitsgefühls. Die Enttraditionalisierung macht den Einzelnen zunehmend zum Träger von immer komplexer werdenden Entscheidungen. Diese neue Unübersichtlichkeit mündet möglicherweise in eine neuerliche Innerlichkeit, Hedonismus, Konsumismus und andere Rückzugserscheinungen.37 In Konkurrenz mit anderen Lebensbereichen rangiert Politik im Prioritätenranking bei den meisten Jugendlichen weit hinter der privaten Lebensführung. Laut aktueller Shell Jugendstudie sind es die Bereiche Freundschaft Partnerschaft und Familienleben, die Jugendlichen zwischen zwölf und 25 am wichtigsten sind. Ein Bereich der von den Jugendlichen mehrheitlich als unwichtig bewertet wurde ist „politisches Engagement“. 56 Prozent erachten dieses als unwichtig. Nur Althergebrachtes und Konformität liegen noch niedriger im Kurs. Im längerfristigen Vergleich zwischen 1987 und 2002 zeichnet sich ein durchaus dominantes Muster ab: die Entwicklung einer neuen pragmatischen Haltung der Jugendlichen. Leistungs-, macht und anpassungsbezogene Wertorientierungen nehmen zu, engagementbezogene, ökologische, soziale und politische Werte ab.38 Dieser Prioritätenwechsel der in diesem Ausmaß nur bei der Jugend zu beobachten ist, beschreibt die Abwendung von den übergreifenden Zielen der Gesellschaftsreform. Was zählt ist die Bewältigung persönlicher und praktischer Probleme. Mit dieser Tatsache kämpfen laut Manfred Zentner vom Österreichischen Institut für Jugendforschung auch politische Jugendorganisationen, die ihre Zielgruppe nicht mehr treffen. Ab dem Moment, an dem Partizipation gefordert wird, wird sie uninteressant; durch 37 vgl. Roggenland, Yvette Marlene (1994). Die Einstellung von Erstwählern zu den österreichischen Parteien, zu Politik und zu unserer Gesellschaft, Wien., S. 20-23. 38 vgl. Deutsche Shell: a.a.O., S.139 ff. Seite: 14 „psychologisierte“ Gesellschaft wenden sich Jugendliche ab, weil ihnen der entscheidende persönlich erlebbare Vorteil fehlt.39 2.4 Politisches und gesellschaftliches Engagement Während politisches Engagement in den 60er Jahren als Protest- als auch Reformbewegung aufgewertet wurde, wird politisches Engagement heute als unwichtig eingestuft. Jugendliche halten Engagement eher im sozialen Sinne für wichtig. Zu beachten bleibt: nicht das Engagement selbst hat an Bedeutung verloren, vielmehr die Politik. Allein der Begriff Politik löst vermehrt negative Assoziationen aus, was sich deutlich auf das klassische Engagement Jugendlicher in Parteien und Organisationen auswirkt. Politik hat ihren Reiz verloren. Jugendliche konzentrieren ihre Prioritäten darauf, was sie in der gesellschaftlichen Agenda als wichtig wahrnehmen, nämlich den Erfolg in einer Leistungsgesellschaft. Gesellschaftliche, nicht politische Aktivität stellt sehr wohl ein Element des jugendlichen Lebensstils dar. Das negative Image, das der Politik anhaftet verhindert ein Überschwappen des jugendlichen Engagements in ihren Bereich. Die Unregierbarkeitstheorie erklärt Politikversagen mit politischen Folgen des Wertewandels bzw. Werteverfalls und der folgenden systematischen Überforderung. Religiöse Werte schwinden, es entwickelt sich eine individualistisch-hedonistische Alltags-Gegenkultur. Der Politik wird eine neue Aufgabe zugewiesen indem Glücksansprüche vom religiösen Bereich in den politischen transferiert und zu politisch einklagbaren, neuen „sozialen Rechten“ erklärt werden. Dieser Entwicklung steht aber keine Zunahme verpflichtender sozialer Bindungen gegenüber. Vielmehr ist ein Rückgang traditioneller, staatsbürgerlicher Pflichten zu verzeichnen. Der Staat wird systematisch überfordert. 40 Politischer Wandel beinhaltet Verdrossenheit, wenn mit dem politischen Anspruchsniveau der WählerInnen nicht gleichzeitig die Bereitschaft zur Selbstverpflichtung steigt.41 Ronald Inglehart beschreibt, dass sich der Grad an allgemeiner Politisierung in der postmodernen Gesellschaft erhöht hat. Das Interesse an Politik nimmt in jüngeren Generationen einen höheren Stellenwert als in der Vergangenheit ein. Trotz zunehmender Politisierung ist eine immer schwächere Parteibindung von Jugendlichen erkennbar. Politikverdrossenheit ist für Iglehart eine nur wahrgenommene Veränderung der politischen Beteiligungsformen, die nicht mehr wahrgenommen werden kann, wenn neue Formen der Partizipation anerkannt werden. 39 vgl. Zentner, Manfred: Interview mit Manfred Zentner, am 17.12.2004, Transkription siehe Anhang. vgl. Ulram, Peter (1990). Hegemonie und Erosion. Politische Kultur und politischer Wandel in Österreich, Wien., S. 51f. 41 vgl. Böhmer: a.a.O., S. 76f. 40 Seite: 15 Iglehart fokussiert sich nicht auf Links-Rechts-Schemen und verwendet anstatt alter Lagerperspektiven neue Kategorien von Materialisten, Postmaterialisten und Mischtypen. Die Parteien erleiden so ein enormes Legitimationsproblem. „Durch die Ausbreitung postmaterialistischer Wertvorstellungen sind bestehende Parteiensysteme einem permanenten Druck ausgesetzt. In den meisten Ländern spiegelt die Parteienlandschaft weder die gesellschaftliche Basis wieder, welche Veränderungen anstrebt, noch die Polarisierung bei den umstrittenen Problemen.“42 Im Iglehart’schen Verständnis ist Politikverdrossenheit eine durch gesellschaftlichen Wandel wahrgenommene Erscheinung, die existiert, wenn politische Raster nicht mehr den kritischen Anforderungen jüngerer Generationen entsprechen. Es lässt sich zwischen Jugendlichen mit materialistischer und jenen mit postmaterialistischer Werthaltung unterscheiden. Unter materialistischen Werten werden in diesem Zusammenhang Pflicht und Akzeptanzwerte, wie Disziplin, Gehorsam, Leistung, Ordnung, Pflichterfüllung, Unterordnung, eine „bürgerliche Modalpersönlichkeit“, die die Legitimität des Systems bestätigt, die Anpassungsbereitschaft, passives politisches Verhalten und negative Einstellungen zu politischem Engagement an den Tag legt, verstanden. Postmaterialistische Werte definiert Josef Lins durch einen systemkritischen Persönlichkeitstyp, der die Loyalität des Systems verweigert, der eher bereit ist, sich aktiv an Politik zu beteiligen, idealistische humane, gewaltfreie, basisdemokratische Werte, soziale Bedürfnisse und Selbstverwirklichung vertritt. Die Wertewandelstudie von Klages verzeichnet einen Wertewandel, er sich in einer Bewegung von materialistischen hin zu postmaterialistischen Einstellungen bei Jugendlichen vollzieht.43 Statt von Politikverdrossenheit der Jugend zu sprechen wäre es auch möglich den Spieß umzudrehen, und von einer Jugendverdrossenheit der Politik zu sprechen. Politikerinnen und Politiker setzen sich nach dem Empfinden Jugendlicher nicht mehr für ihre direkten Belange und Interessen ein. Ebenso zweifeln sie die Funktionalität der Parteien als Apparat an. Sie vermissen das Angebot einer effektiven Problemlösung und positiver Zukunftsvisionen, die den Jugendlichen Sinnkrisen besser überwinden ließen. So teilen viele Jugendliche ein skeptisches Verhältnis zur Parteien. Dies sollte als Herausforderung für die „offizielle“ Politik gelten, sich neuen Formen politischer Teilnahme zu öffnen und auch dazu zu ermuntern. Die primäre Handlungsmotivation für Jugendliche ist die Aussicht auf Selbstentfaltung. In diesem Punkt widerspricht das Eigeninteresse nicht zwangsläufig dem Gemeininteresse. Sie wollen sich allerdings in erster Linie unmittelbar einbringen, eigene Kompetenzen weiterentwickeln und dabei Spaß haben und Kontakte knüpfen44. 42 Iglehart, Ronald: zit. n. ebd., S. 77f. vgl. Roggenland: a.a.O., S. 32f. 44 vgl. ebd., S. 44. 43 Seite: 16 Auch hoher Bildungsgrad und Interesse für Politik führen nicht mehr zu einer gestiegenen Bereitschaft sich zu beteiligen. Die Gründe dafür liegen darin, dass die Jugendlichen kaum Nutzen in einem Engagement sehen. Es wäre ja ohnehin nichts zu ändern, Engagement zahle sich nicht aus. 45 Fragt man Jugendliche nach der Wichtigkeit von Politik im Vergleich mit anderen Lebensbereichen, wie etwa Partnerschaft, Schule, Ausbildung und Beruf, ist der Stellenwert von Politik überaus gering. Etwa ein Viertel der Jugendlichen gehören zu „mitwirkungsbezogenen“ Jugendlichen, die als weitgehend politisiert bezeichnet werden können.46 Für sie zählen Normen der Demokratie, sie stehen für Mitbestimmung und Engagement. Dabei handelt es sich häufig um etwas ältere und besser gebildete Jugendliche, die studieren oder die Oberstufe eines Gymnasiums besuchen. Ein weiteres Viertel, etwa 24% der Jugendlichen sind als „politikkritisch“ einzustufen. Bei ihnen herrscht die größte Distanz zur Politik und sie bezeichnen sich selbst als am stärksten „politikverdrossen“. Obwohl sie sich selbst als politisch kompetent einstufen, ist ihr politisches Interesse gering. Sie bringen trotz Unzufriedenheit eine hohe Akzeptanz gegenüber unserem politischen System auf. Auch diese Gruppe Jugendlicher ist etwas älter, überproportional häufig erwerbstätig, außerdem vermehrt in Ausbildung, arbeitslos bzw. aus sonstigen Gründen nicht erwerbstätig. Die „politisch desinteressierten“ Jugendlichen stellen mit 31% die größte Gruppe. Sie hegen so gut wie kein Interesse an Politik und schreiben sich auch selbst die geringste politische Kompetenz zu. Dabei handelt es sich allerdings vermehrt um sehr junge Jugendliche, die Hauptschule bzw. die Unterstufe eines Gymnasiums besuchen. 23% der Jugendlichen werden als im weitesten Sinn als „ordnungsorientiert“ bezeichnet. Diese Gruppe bekennt sich zwar mehrheitlich zur Demokratie hat aber ein weniger intensives Verhältnis zu demokratischen Freiheiten. Für sie ist es wichtig, dass politische Angelegenheiten straff und ohne große Debatten geregelt werden. Der Schluss, nur die Jugend sei politikverdrossen ist, wenn man die Wichtigkeit von Lebensbereichen im Vergleich heranzieht, nicht zulässig.47 Auch die niedrige Wahlbeteiligung Jugendlicher und die geringe Bereitschaft sich in der Politik zu engagieren wird oft vorschnell als Politikverdrossenheit der Jugend interpretiert. Der Schluss liegt nahe, die Wahrheit ist allerdings, wie immer, um einiges komplexer. So gelten bisherige Erklärungsmuster nur mehr bedingt. Die Zusammenhänge zwischen beispielsweise politischem Wissen und politischem Engagement sind nicht mehr eindeutig. Es ist nicht mehr möglich in Gegensatzpaaren, wie politisch-unpolitisch, engagiert-passiv, zu denken. 45 vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.) (1997). Zukunftsperspektiven. Gesellschaftliches Engagement, Politische Orientierungen, Opladen., S. 16f. 46 vgl. Deutsche Shell: a.a.O., S. 23. 47 vgl. Gille, Martina/Winfried Krüger/Johann De Rijke/Helmut Willems (1998). Politische Orientierungen. Werthaltungen und die Partizipation Jugendlicher, Veränderungen und Trends in den 90er Jahren, in: Christian Palentien/Klaus Hurrelmann (Hg.): Jugend und Politik. Ein Handbuch für Forschung Lehre und Praxis, Berlin., S. 151. Seite: 17 Die Lebenswelten Jugendlicher sind komplexer geworden. Einfache Schemata werden der Realität nicht mehr gerecht. „Politikverdrossenheit“ impliziert eine Stimmungsänderung, die eine Abwendung, Frustration oder Verärgerung von Politik ausdrückt, der eine zumindest neutrale Einstellung vorangegangen sein muss. Zu hinterfragen ist, wie Jugendliche der Politik überdrüssig geworden sind, wenn sie diese nicht aus Erfahrung kennen. Der Zustand der „Politikverdrossenheit“ müsste sich aus einer vormals „Politikzufriedenheit“ heraus entwickelt haben.48 Im Zuge der Interviews mit ParteienvertreterInnen hat sich herausgestellt, das unterschiedliche Parteien das Phänomen Politikverdrossenheit unterschiedlich wahrnehmen. Michaela Sburny von den Grünen spricht in diesem Zusammenhang eher von Parteipolitikverdrossenheit. „Ich glaube man kann nicht von einer allgemeinen Politikverdrossenheit sprechen. Es gibt vielmehr eine Parteipolitikverdrossenheit, das kann man auch immer wieder in Umfragen feststellen. So sind die Menschen, offensichtlich junge Menschen in besonderem Ausmaß, nicht damit zufrieden, wie die Parteien agieren, die ParteienvertreterInnen. Das ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Ausgangspunkt. Allgemeine Politikverdrossenheit würde ja heißen, dass die Leute nicht an Politik interessiert sind, das scheint aber so nicht zu sein. Es gibt etwa große Bewegungen wie ATTAC und jede Menge NGOs, wo sich gerade auch junge Menschen sehr engagieren. Diese haben sehr wohl ein Ziel und eine Vorstellung. Wir müssen uns fragen, was wir als Parteien und ParteienvertreterInnen falsch machen. Ich würde sagen, eine Sache ist sicher die, wie Themen behandelt werden. Oft wird in einer Art „Sprechblasenpolitk“ gesprochen, also in Marketingformeln. Da ist sehr vielen Leuten klar, dass das keine Probleme löst.“49 Werner Windisch, Kommunikationsbeauftragter der FPÖ unterscheidet dabei nicht zwischen Politikund/oder Politikerverdrossenheit. Als Grund für mangelndes Interesse an der Politik sieht er den Eindruck mangelnder Einflussmöglichkeiten. „Also ein klassischer Indikator ist das Gefühl der Machtlosigkeit, also es ist sowieso egal wen ich jetzt wähle, es ändert sich sowieso nichts.“50 Elmar Pichl von der ÖVP sieht Politikverdrossenheit als Resultat gesellschaftlicher Veränderungen. Der Stellenwert der Politik ist seiner Ansicht nach im Vergleich zu anderen Lebensbereichen gesunken. „Man ist am Wochenende eben lieber mit dem Mountainbike im Gebirge als dass man in der Stadt bleibt und wählen geht.“51 2.5 Wahrnehmung von Politik und Politikern Ein recht einheitliches Bild ergab sich auf die Frage nach der Wahrnehmung von Politik und PolitikerInnen. Politik und PolitikerInnen werden von Jugendlichen nicht als Teil ihrer Lebenswelt wahrgenommen. 48 vgl. Böhmer: a.a.O., S. 88. Sburny, Michaela: Interview mit Michaela Sburny, am 10.01.2005, Transkription siehe Anhang. 50 Windisch, Werner: Interview mit Arno Eccher und Werner Windisch, am 16.12.2004, Transkription siehe Anhang. 51 Pichl, Elmar: Interview mit Elmar Pichl, am 16.11.2004, Transkription siehe Anhang. 49 Seite: 18 PolitikerInnen seien außerdem gar nicht an den Bedürfnissen Jugendlicher interessiert, sondern im Gegenteil, es gehe ihnen nur um ihre eigenen Interessen. Politik und PolitikerInnen werden zudem auch nicht als relevante EntscheidungsträgerInnen gesehen, diese machen die Jugendlichen vielmehr im Bereich der Wirtschaft aus.52 In der Lebenswelt Jugendlicher spielt Politik kaum eine Rolle. Viel eher sind FreundInnen und PartnerInnen, Ausbildung, Schule und Freizeit Themen, die von den Jugendlichen als wichtig erachtet werden. Institutionelle Politik und deren VertreterInnen wecken bei Jugendlichen nicht das Gefühl, als würde das was dort passiert für sie relevant sein. Politik ist weit weg. Jugendliche finden sich in dieser institutionellen Politik nicht wieder.53 In der Auffassung Jugendlicher von Politik spielen Emotionen, persönliche Bedürfnisse und eigene Interessen eine mindestens ebenso große Rolle wie sachliche Überlegungen und vernunftorientierte Entscheidungen. Sie haben den Eindruck in dem verfassten politischen System könne man ohnehin wenig bis kaum etwas ändern. Die Art wie Politik vermittelt wird schreckt Jugendlicher ab sich einzubringen. Sie gewinnen den Eindruck man unterliege unabänderlichen Sachzwängen und Politikerinnen seien an nichts, außer an ihnen selbst, interessiert. Obwohl ihnen das politische System fremd und weit weg erscheint, spüren sie dessen Auswirkungen hautnah. Zwischen dem Eindruck, dass Politik und PolitikerInnen weit weg und fremd sind, die Auswirkungen aber trotzdem hautnah spürbar, entsteht ein ungelöster Widerspruch, der nicht nach Auflösung drängt.54 Wird die junge Generation allerdings nicht ernst genommen, birgt das zum einen die Gefahr einer voranschreitenden Abwendung der Jugend von der etablierten Politik und damit zum anderen die Gefährdung der Demokratie selbst. 2.6 Institutionenvertrauen Untersucht man das Vertrauen Jugendlicher in verschiedene Institutionen wird schnell klar, dass dabei zwischen den Institutionen verfasster Politik (Parteien, Regierung) und Institutionen, die außerhalb des verfassten Politiksystems stehen (wie etwa Greenpeace und Bürgerinitiativen), unterschieden werden muss. Während die formellen Institutionen, allen voran die Parteien, wenig Vertrauen genießen, werden NGOs und Bürgerinitiativen vergleichsweise großes Vertrauen entgegen gebracht wird. Es ist aber nicht so, dass Vertrauen in die formelle bzw. informelle Politikformen sich gegenseitig ausschließt. Vielmehr ist es so, dass die Befragten, die den etablierten Formen Vertrauen entgegen bringen, auch den alternativen Formen nicht ablehnend gegenüberstehen.55 52 vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell: a.a.O., S. 34. vgl. ebd., S. 39. 54 vgl. ebd., S. 40-42. 55 vgl. Gille et. al.: a.a.O., S. 157f. 53 Seite: 19 Es zeigt sich auch, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Grad an Vertrauen in Institutionen und der generellen Zufriedenheit mit der Demokratie gibt. Je geringer das Institutionenvertrauen, desto geringer auch der Grad der Zufriedenheit mit der Demokratie. Das geringe Institutionenvertrauen resultiert unter anderem daraus, dass Jugendliche das Gefühl haben ihre Interessen werden kaum berücksichtigt. Ein Eindruck von Macht- und Einflusslosigkeit kann entstehen und resultiert in einer sinkenden Zufriedenheit mit der Demokratie. Es gibt demnach einen Zusammenhang zwischen der von vielen Jugendlichen empfundenen mangelnden Responsivität des politischen Systems und dem geringen Institutionenvertrauen.56 Fragt man nach den Gründen für das mangelnde Vertrauen, darf nicht übersehen werden, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Vorraussetzungen und Rahmenbedingungen für das Funktionieren von Politik gravierend geändert haben. Sozialpolitische Bindekräfte, wie Konfession und Klassenzugehörigkeit, haben an prägender Wirkung verloren. Die heutigen Jugendlichen treffen auf veränderte Bedingungen in ihrer politischen Sozialisation, was in weiterer Folge auch ihren Zugang zur Politik verändert. Mit diesen Veränderungen einher geht ein Wertewandel, der sich weg von traditionellen, materialistischen Werten, hin zu einer postmaterialistischen Werteordnung bewegt. Freiheitliche, individualistische Werte stehen im Vordergrund. Die Zunahme der PostmaterialistInnen unter den Jugendlichen führt auch zu einer anderen Demokratiekonzeption und zu veränderten Zugängen und Erwartungen an Politik.57 2.7 Demokratie 2.7.1 Politische Partizipation Besonders im Bereich institutionalisierter Politik lässt sich eine abnehmende Beteiligungsbereitschaft Jugendlicher feststellen. Dies äußert sich durch die niedrige Wahlbeteiligung und abnehmende Parteienidentifikation Jugendlicher. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist, ob die Jugendlichen der verfassten Politik wirklich skeptischer gegenüberstehen, oder ob es durch die Zunahme der Partizipationsmöglichkeiten zu einer Angleichung zwischen alternativen und institutionalisierten Beteiligungsformen gekommen ist. Die Daten des DIJ-Jugendsurveys von 1992 bestätigen, dass zur Wahl zu gehen immer noch von 90% der Befragten als Möglichkeit gesehen wird, sich in den politischen Prozess einzubringen. Hingegen wäre die Möglichkeit durch Parteiarbeit oder die Übernahme eines politischen Amts Einfluss auszuüben nur für 18-24% der Befragten denkbar. 56 57 vgl. ebd., S. 158f. vgl. Hoffmann-Lange, Ursula (1998). Jugend zwischen politischer Teilnahmebereitschaft und Politikverdrossenheit, in: Christian Palentien/Klaus Hurrelmann (Hg.): Jugend und Politik. Ein Handbuch für Forschung Lehre und Praxis, Berlin., S. 178-182. Seite: 20 Trotz der prinzipiell vorhandenen Bereitschaft wählen zu gehen, wird die Stimmabgabe nur als eine von vielen möglichen Formen der Partizipation gesehen. Problemorientierte und informelle Partizipationsmöglichkeiten (Unterschriftensammlungen, Demonstrationen) spielen eine wichtige Rolle.58 Auch die 14. Shell Jugendstudie beschreibt, dass die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen immer noch an Wahlen interessiert ist, für einen bestimmten Teil hat diese Beteiligungsform aber eine nur geringe Bedeutung. Die Bedeutung von Wahlen muss den Jugendlichen von der Politik immer wieder neu vermittelt werden. Die Zunahme von Partizipationsmöglichkeiten, vor allem im informellen Partizipationsbereich, hat aber nicht zu einer Verdrängung der konventionellen Beteiligungsformen geführt, sondern sie werden von Jugendlichen als zusätzliche und gleichwertige Möglichkeit sich einzubringen wahrgenommen.59 2.7.2 Andere Beteiligungsformen - Gegenwelt zur „verfassten“ Politik Auch die Shell-Studie kann nicht erklären, welche Faktoren zu politischem Engagement führen. Elternhaus, Kirche und andere gesellschaftliche Organisationen spielen auf jeden Fall eine Rolle. Ein politisches Elternhaus führt aber nicht zwingend zu politisch ebenso engagierten Jugendlichen. Ebenso sind Erfahrungen, die in jungen Jahren mit Engagement gemacht werden, nicht in jedem Fall prägend. Die Autoren der Studie konnten allerdings einen Zusammenhang zwischen zunehmendem Alter und der Bereitschaft sich zu beteiligen feststellen. Zwischen 13 und 16 spielen andere Themen, beispielsweise Auseinandersetzungen mit den Eltern, aber noch eine größere Rolle.60 „Möglicherweise muss einem die Realität in der Welt draußen schon etwas näher rücken, damit man sich mit ihr befasst.“61 Die Bereitschaft sich zu beteiligen und politisch aktiv zu werden steigt dann, wenn Jugendliche schon in jungen Jahren die Möglichkeit erhalten, sich mit Politik zu beschäftigen und auch sich einzubringen.62 58 vgl. Gille et. al.: a.a.O., S. 168f. vgl. ebd., S. 170f. 60 vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell: a.a.O., S. 70. 61 vgl. ebd., S. 70. 62 vgl. Sohr, Sven/Klaus Boehnke/Claudia Stromberg (1998). Politische Persönlichkeiten – eine aussterbende Spezies?, in: Christian Palentien/Klaus Hurrelmann (Hg.): Jugend und Politik. Ein Handbuch für Forschung Lehre und Praxis, Berlin., S. 231. 59 Seite: 21 3. Szenarien 3.1 Einführung: Wie bereits zu Beginn dieses Berichtes erwähnt, war es für dieses Forschungsprojekt nicht möglich Hypothesen, in der üblichen Form, aufzustellen. Daher hat sich die Forschungsgruppe dazu entschieden, Szenarien zu entwickeln. Im folgenden Abschnitt sollen diese verschiedenen Szenarien, die eine Steigerung der Wahlbeteiligung im Bereich der Jugendlichen zur Folge haben können, erläutert werden. Die Erstellung der Szenarien ergaben sich zum einem aus der Literaturrecherche und zum anderen aus den durchgeführten Interviews mit ParteienvertreterInnen und ExpertInnen aus Politikwissenschaft und Jugendforschung. Folgende Szenarien haben sich ergeben: - Wahlaltersenkung - Mitbestimmungsrechte - Politische Bildung - Jugendarbeit / Jugendorganisationen - Junge/Jugendnahe KandidatInnen Folgende Personen haben sich für ein Interview bereiterklärt und dieses auch durchgeführt: Mag. Elmar Pichl (ÖVP), Bundesgeschäftsführer Arno Eccher und Mag. Werner Windisch (Kommunikationsbeauftragter) (FPÖ), Bundesgeschäftsführerin Michaela Sburny (Grüne), Univ.-Prof. Lynne Chisholm (Institutsvorständin am Institut für Erziehungswissenschaften Uni Innsbruck, Pädagogin), Manfred Zentner (mitverantwortlich für die österreichische Jugend-Wertestudie 19902000), Dr. Gerhard Schmid (Direktor der Abteilung für Berufsschulen am Pädagogischen Institut in Wien, sowie Lektor am Institut für Politikwissenschaft und Berufsschullehrer). 3.2 Wahlaltersenkung 3.2.1 Allgemeines Laut der österreichischen Bundesverfassung besitzt jede/r österreichische StaatsbürgerIn das aktive Wahlrecht, d.h. „...die vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet haben...“ .63 Diese Bestimmung wurde zumindest auf kommunaler Ebene, bereits in mehreren Bundesländern, dahingehend verändert, dass bereits Personen ab 16 wählen dürfen. 63 vgl. Klecatsky, Morscher: B-VG. Bundes-Verfassungsgesetz mit Nebenverfassungsgesetzen, Art.117 Abs.2 Seite: 22 Erste Ergebnisse liefern die kommunalen Wahlen in der Steiermark, Kärnten und im Burgenland.64 Die Wahlbeteiligung in diesen Bundesländern war recht unterschiedlich. Die Kleine Zeitung Kärnten vom 13. März 2003 berichtet dazu folgendes: Die Wahlbeteiligung der ErstwählerInnen lag in der Steiermark (Gemeinderatswahlen vom 18.03.2003 in Graz) bei 75,5 % (Gesamtwahlbeteiligung 57 %), im Burgenland (Gemeinderatswahl vom 06.10.2002) bei 85 % (Gesamtwahlbeteiligung 85,5 %) und in Kärnten (Gemeinderatswahl vom März 2003) lag der Anteil der Wahlbeteiligung von ErstwählerInnen bei 66,8 % (Gesamtwahlbeteiligung 75,7 %).65 Mit dem Beschluss des Wiener Demokratiepakets von 2002 wurde auch in Wien die Weichenstellung für die Partizipation von Jugendlichen verändert. Junge Menschen ab 16 Jahren sind ab 2006 bei der Wiener Gemeinderatwahl wahlberechtigt. Aber auch in Salzburg wurde die Senkung des Wahlalters bereits beschlossen. Dort dürfen 16-jährige ab 2009 wählen. 3.2.2 Ergebnisse der Interviews zur Wahlaltersenkung Die Österreichische Volkspartei sieht in einer Wahlaltersenkung sowohl positive als auch negative Auswirkungen, „die zusammengezählt vermutlich eine Flat-Line ergeben“66 würden. Die Bedenken der ÖVP sind dahingehend, dass es zum einen an (politischer) Betroffenheit unter den Jugendlichen mangelt und zum anderen, dass diese Personengruppe einer zu frühen Parteipolitisierung ausgesetzt wäre. Eine Wahlaltersenkung käme für die ÖVP nur auf Gemeindeebene in Frage, da nur dort die nötige Betroffenheit gegeben sei. Einer Wahlaltersenkung auf Landtagsebene oder gar auf Bundesebene wolle man nicht zustimmen Die Grünen hingegen sprechen sich für eine Wahlaltersenkung auf Bundesebene aus. Sie sind sich aber auch der Tatsache bewusst, dass damit nicht alle Jugendlichen erreicht werden können. Die Freiheitliche Partei steht der Wahlaltersenkung auf kommunaler Ebene ebenfalls positiv gegenüber und ist überzeugt, dass diese Strategie tendenziell zu einer Steigerung der Wahlbeteiligung führen kann. Im Bezug auf eine bundesweite Ausdehnung gibt es innerhalb der der Fraktion/Partei noch keine Einigung. GegnerInnen der bundesweiten Wahlaltersenkung wären der Meinung, dass „je weiter die Politik von der kommunalen Ebene weg geht, umso komplexer ist natürlich das Themenfeld“.67 Eine Entscheidung in diesen Themenfeldern von Jugendlichen im Alter von 16 sei daher zu komplex. 64 2001 und 2002 wurde in diesen Bundesländern die Wahlaltersenkung beschlossen vgl. Bergman, Andrea: Die Erstwähler zeigten wenig Bock auf die Politik in: Kleine Zeitung Kärnten vom 13.03.2003 66 vgl. Pichl: a.a.O. 67 Eccher und Windisch: a.a.O. 65 Seite: 23 Dr. Schmid vom Pädagogischen Institut, Befürworter der Wahlaltersenkung, ist der Ansicht, dass eine Wahlaltersenkung mit Begleitmaßnahmen, wie der politischen Bildung, versehen werden muss. „Man kann nicht das Wahlalter senken und alles andere so belassen wie es ist.“68 Schmid sieht die politische Bildung als eine Form der Begleitmaßnahme, um so die Jugendlichen zu den Wahlurnen zu bewegen. Aber auch bei der Wahlaltersenkung könnte sich Schmid vorstellen, dass die Jugendlichen aktiv werden indem sie sich mit 16 selbst entscheiden können, ob sie wählen gehen möchten. Diese Selbstentscheidung sieht er darin, dass sich die Jugendlichen von sich aus, also auf eigenen Wunsch in die Wählerevidenz eintragen lassen können. Manfred Zentner steht der Wahlaltersenkung eher kritisch gegenüber. Er ist der Meinung, dass sie „keinen Effekt auf die Wahlbeteiligung bei 16-jährigen“ hätte, sondern „das politische Interesse würde sich um zwei Jahre vorverlegen. Es gingen dann eben mehr 18 bis 23 jährige wählen, als dies im Moment der Fall ist. Zudem merken die Jugendlichen, dass es bei einer Wahlaltersenkung nicht um sie sondern lediglich um Stimmenmaximierung geht.“69 3.3 Erhöhung der Mitbestimmungsrechte 3.3.1 Allgemeines Junge Menschen sollen nicht erst bei ihrem ersten Wahlgang mit der Möglichkeit der Mitbestimmung konfrontiert werden. Der Prozess der Mitbestimmung soll bereits sehr früh beginnen, d.h. bereits in Schulprojekten, Berufschülertagungen, Junger Gemeinderat – Stadtparlament, auf ihre Mitwirkungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht werden, beziehungsweise erlernt werden, dass Partizipation als ein laufender Prozess verstanden wird. Die bereits vorhandenen Möglichkeiten für Jugendliche und junge Menschen sollen am Beispiel von Wien aufgezeigt und vorgestellt werden. Die Stadt Wien unterstützt Projekte in den Wiener Bezirken wie beispielsweise das Wiener Schülerparlament, Kinder- und Jugendparlament in den Bezirken, Projekt Word up (eingeleitet vom Verein Wiener Jugendzentren und den Bezirksjugendbeauftragten), Projekt Arthaberbad, Rein ins Rathaus etc. Im Bereich der Stadt Wien, im Landesjugendreferat der Magistratsabteilung 13, wurde eine Koordinationsstelle „Mitbestimmung“ eingerichtet. Zu den Sitzungen des SchülerInnenparlaments werden alle Wiener SchülerInnen, jedes Schultyps im Alter zwischen 14 und 23 Jahren von der LandesschülerInnenvertretung eingeladen. Dieses Parlament tagt fünfmal im Jahr im Sitzungssaal des Wiener Gemeinderates und Landtages über bestimmte Themenbereiche. Die Wiener amtsführenden StadträtInnen sowie VizebürgermeisterInnen stehen den Jugendlichen zur Diskussion zur Verfügung. Zur Diskussion standen z.B. Themen der Schuldemokratie sowie die Wahlaltersenkung. Die Delegierten des Parlaments können Anträge 68 Schmid, Gerhard: Interview mit Gerhard Schmid, am 11.01.2005, Transkription siehe Anhang. Seite: 24 einbringen, über diese kann diskutiert und abgestimmt werden. Die LandesschülerInnenvertretung ist an die beschlossenen Anträge gebunden. Alle im Parlament beschlossenen Anträge werden veröffentlicht. Sie werden am Ende des Schuljahres zusammengefasst und dem Gemeinderat, den städtischen Jugendeinrichtungen sowie auch dem Stadtschulrat übermittelt.70 Zu den Kinder- und Jugendparlamenten werden Kinder ab der 3. Schulstufe eingeladen. Die Sitzungen finden zweimal jährlich statt. Parlamente dieser Art gibt es in den Wiener Gemeindebezirken Wieden, Margareten, Hietzing, Penzing und Ottakring. Andere Projekte dieser Art gibt es weiters in den Bezirken Neubau, Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus. Anliegen, die von den Kindern aus diesem Gremium geäußert werden, werden vom jeweiligen Bezirk verbindlich behandelt. D.h. die Anliegen werden an die entsprechenden Bezirksgremien, wie z.B. Ausschüsse und Kommissionen, weitergeleitet. Der Vorsteher des jeweiligen Bezirkes leitet seinerseits wiederum Rückmeldungen, Ergebnisse, etc. aus diesen Gremien an die Kinder weiter.71 Das Projekt „Word up“ wurde gemeinsam mit den Wiener Jugendzentren, den Bezirksjugendbeauftragten, Bezirksvorstehungen, sowie den Schulen aus dem 2. und 22. Wiener Gemeindebezirk für Jugendliche der 7. und 8. Schulstufe eingeleitet. In vorab veranstalteten Workshops und Meetings werden Wünsche, Anliegen und Forderungen formuliert, die per E-Mail an den Bezirksvorsteher z.B. des 2. bzw. 22. Bezirkes gesendet werden. Dieser ist bei den Plenarsitzungen der beteiligten Schulen anwesend und steht den SchülerInnen neben eventuell teilnehmenden anderen ExpertInnen zur Seite.72 Das Projekt „Arthaberbad“ ist nur ein exemplarisches Beispiel für ein Projekt, in das Jugendliche im Bereich der Stadtplanung und Bezirksgestaltung miteinbezogen werden. Unter Miteinbeziehung von Jugendlichen aus dem Bezirk Favoriten, Mitglieder eines Teams des Jugendprojektes „be a part @ jugendtreff arthaberbad“, wird das ehemalige Freibad am Arthaberplatz in einen Jugendtreffpunkt umgestaltet. Ein weiteres Beispiel für Mitbestimmungsrechte ist „Rein ins Rathaus“. Hier haben Kinder im Alter zwischen 6 und 13 die Möglichkeit im Rahmen des Wiener Ferienspiels die Wiener Stadtverwaltung sowie die Stadtpolitik spielerisch kennen zu lernen. 69 Zentner: a.a.O. vgl. Häupl, Michael/Christian Oxonitsch/Gerd Millmann (2004). Wiener Jahrbuch für Politik 2003/2004. Wien., S. 37ff. 71 ebd. 72 ebd. 70 Seite: 25 3.3.2 Ergebnisse der Interviews zu Mitbestimmungsrechten Mitbestimmungsrechte sind laut den Grünen zwar wichtig, können aber nur einen Teil der Jugendlichen erreichen. Für jene die sich ohnehin schon an Politik interessieren sind die momentanen existierenden Projekte gut um zu sehen wie es funktionieren kann. Jedoch ist dies nur ein kleiner Anteil der Jugendlichen, der so erreicht werden kann. Die ÖVP sieht eine Möglichkeit der Partizipation in Schulen – Politik innerhalb der Schule. Hier können Jugendliche – so Pichl – konkret in Entscheidungen eingebunden werden. Schmid behauptet von sich selbst ein großer Fan von Kinder- und Jugendparlamenten zu sein. Er weist darauf hin, dass es absolut notwendig sei, diese Veranstaltungen gut vorzubereiten und zu moderieren. Wenn diese Faktoren gegeben sind, dann ist es auch möglich eine breitere Gruppe an Jugendlichen anzusprechen. Weiters sollte man darauf achten, dass diese Projekte nicht zu einer Bühne für politische Parteien werden. Es sollten die Jugendlichen und ihre Anliegen und nicht die Parteien im Vordergrund stehen. Zentner spricht ganz allgemein von der Partizipation und ist der Ansicht, dass die heutige Jugend die erste Generation sei, bei der Partizipation erwünscht und sogar gefordert ist. Allerdings wird erwartet, dass die Formen der Partizipation nach den Spielregeln der Erwachsenenwelt erfolgen. Jugendliche sollen an Demonstrationen teilnehmen und „sich Gedanken machen, wo das Joghurt herkommt“.73 Erwachsene, beispielsweise jene, die an der Hainburg-Besetzung teilgenommen haben, wünschen die Partizipation der Jugend. Diese sollten aber ein ähnliches Frustrationserlebnis durchleben, um zu sehen, dass man sich zwar für etwas einsetzen kann, aber dies nicht zwangsläufig zum Erfolg führt. Die Reaktion Jugendlicher zur Partizipation im „erwachsenen“ Sinn sei dann eben das berühmte „ist mir egal“. Für Chisholm ist Partizipation viel komplexer geworden. Es geht nicht mehr nur darum ob und wie ich wählen gehe, sondern „man muss es erlernen“.74 Jene Formen der politischen Partizipation, in denen einige BürgerInnen in der Zivilgesellschaft sozialpolitisch aktiv sind, gehören nach Meinung von Chisholm gefördert, damit sich diese positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken können. 3.4 Institutionalisierte politische Bildung, Politisierung, gesellschaftliche politische Bildung 3.4.1 Definition: „Politische Bildung geht davon aus, dass jeder Mensch als ein zoon politikon (Platon, Aristoteles) in ein Geflecht von sozialen Beziehungen (z.B. Familie, Nachbarschaft, Gemeinde, Kirche, Schule, 73 74 Zentner: a.a.O. vgl. Chisholm, Lynne: Interview mit Lynne Chisholm, am 03.12.2004, Transkription siehe Anhang. Seite: 26 Betrieb, Vereine, Parteien, Berufsverbände usw.) in Gesellschaft und Staat eingebunden ist. Auf dem Weg seiner (polit.) Sozialisation und Erziehung wird das Individuum zum Aufbau eigener Positionen und schließlich zu dezidierten Stellungnahmen gegenüber seiner gesellschaftlichen und politischen Umwelt veranlasst.“75 Das Szenario „politische Bildung“ geht davon aus, dass durch schulische und institutionalisierte politische Bildung die Wahlbeteiligung zu steigern ist. In Österreich wurde mit dem Grundsatzerlass „Politische Bildung“ 1978 zum Unterrichtsprinzip erhoben.76 Das bedeutet, dass grundsätzlich in (fast) allen Schultypen quer über alle Fächer politische Bildung angestrebt werden soll. Darin enthalten ist auf der einen Seite, dass SchülerInnen Demokratieverständnis entwickeln sollen, die politischen Institutionen und ihr Funktionieren kennen lernen sollen und auf der anderen Seite demokratisches Bewusstsein entwickeln. In der Realität sieht dies oft anders aus. 3.4.2 Ergebnisse der Interviews zu Politischen Bildung Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass politische Bildung die Wahlbeteiligung steigern kann. Dazu muss politische Bildung junge Menschen dazu befähigen, sich als aktive Bürgerinnen und Bürger zu begreifen.77 Laut Chisholm ist es wichtig, dass junge Leute Selbstbewusstsein entwickeln und lernen, dass die persönliche Meinung Gewicht hat. Wichtig wäre, dass Aktivität der jungen Menschen gefördert wird. Denn jene, die auch in der Zivilgesellschaft sozialpolitisch tätig sind, sind auch die, die eher wählen gehen werden. Chisholm sieht im formellen Bildungssystem viele Inhalte, die als politische Bildung gelten, auch wenn sie nicht so heißen. Das Problem in formalen Bildungssystemen sieht Chisholm in deren kognitiven Zugang. So wird die affektive Dimension und die Handlungsdimension meist wenig beachtet. In nicht formellen Konzepten der politischen Bildung, etwa bei der Jugendarbeit und in Räumen des sozialpolitischen Engagements, sind Lernprozesse eher begleitend. Dort liegt der Akzent auf affektiven und handlungsbezogenen Dimensionen. Daher ist auch die politische Bildung in nicht formellen Lernkonzepten erfolgreicher, weil „diese Bildung die Herzen der Menschen erreicht und nicht nur die Köpfe“. Insgesamt sieht Chisholm die ideale politische Bildung als ein Konzept aus den drei Elementen: kognitiver Zugang, Handlungsdimension und affektive Dimension. Wenn man also Demokratie erlernt, mit gesatztem Wissen und auch zu handeln befähigt wird, wird man sich eher wünschen, dies auch im großen Rahmen umsetzen zu wollen und wählen gehen. 75 Mickel, Wolfgang W. (o.J.). Stichwort Politische Bildung. http://www.politikwissen.de/lexikon/politischebildung.html (04.01.2005). 76 vgl. GZ33.464/6-19a/78 bzw. http://www.schule.at/ (4.1.2005) 77 vgl. Chisholm: a.a.O. Seite: 27 Auch die Freiheitliche Partei spricht sich für politische Bildung in den Schulen aus. So wäre es für die FPÖ wünschenswert, dass die Abläufe der Politik vermittelt werden, etwa wie direkte Demokratie funktioniert. Man sollte also die Institutionen in der Schule kennenlernen und die Möglichkeiten, die man als Staatsbürger hat. Für nicht richtig hielte es die FPÖ, wenn im Unterricht Parteipolitik vermittelt würde. Man sollte den Schülern die Möglichkeit geben, sich durch Wissen ein eigenes Bild der Abläufe zu machen und sie befähigen, selbst zu entscheiden, was besser was schlechter wäre.78 Die ÖVP spricht sich konkret für das Pflichtfach politische Bildung aus, hat aber Bedenken, wie dies umgesetzt werden könnte. So kann man etwa die Sorge vor politischer Beeinflussung nennen, da Jugendliche noch „leicht formbar“ sind. Generell wäre es aber wünschenswert, Jugendliche mit den Institutionen und den Möglichkeiten als Staatsbürger vertraut zu machen. Eine weitere Möglichkeit wäre diesbezüglich auch, junge Menschen verstärkt in den Entscheidungsablauf in den Schulen einzubinden, um politisches Bewusstsein zu stärken und damit Jugendliche auch an die Urnen zu bringen, erklärt Elmar Pichl von der ÖVP.79 Die Grünen wiederum betrachten „politische Bildung“ als Grundvoraussetzung für demokratisches Verständnis.80 Doch ortet Sburny ein grundsätzliches Problem: Der Aufbau des Schulsystems an sich sei demnach der Forderung nach der Entwicklung von demokratischen Werten entgegengesetzt. Das Fach Politische Bildung kann es laut Sburny höchstens vereinfachen, gewisse Lehrinhalte zu überprüfen. Grundsätzlich kann sich Sburny vorstellen, dass es der Wahlbeteiligung zuträglich wäre, wenn Jugendliche „von klein auf“ an Konfliktlösung, Diskussion und Entscheidung herangeführt werden und ihren Lebensbereich demokratisch mitbestimmen dürfen. Schmid vom Pädagogischen Institut bemängelt, dass in Österreich grundsätzlich zu wenig in politische Bildung investiert wird.81 Politische Bildung darf seiner Meinung nach nicht auf reine Institutionenlehre beschränkt sein, sondern muss „ein Prozess sein, der darauf abzielt, bestimmte Einstellungen zu vermitteln, zu sozialem Handeln und verantwortungsbewusstem Denken anregt.“82 Für Schmid bedeutet politische Bildung, dass das Verhalten eines Individuums in Richtung gewisser Werte verändert wird. „Da gibt es den Wert einer solidarischen Gesellschaft, einer Sozialgesellschaft, Demokratie“.83 Wenn dies alles gegeben ist, kann Jugendlichen laut Schmid auch leichter klar gemacht werden, dass jede Stimme wahlentscheidend sein kann und man deswegen die Möglichkeit als StaatsbürgerIn 78 vgl. Eccher und Windisch: a.a.O. vgl. Pichl: a.a.O. 80 vgl. Sburny: a.a.O. 81 vgl. Schmid: a.a.O. 82 ebd. 83 ebd. 79 Seite: 28 nutzen muss, eine Entscheidung bei Wahlen zu treffen. Als Problem in Bezug auf den Grundsatzerlass von 1978 sieht Schmid, dass es nur wenige Schultypen gibt, in denen auch politische Bildung auch konkret als Unterrichtsfach in den Lehrplänen verankert ist.84 Etwas anders betrachtet Manfred Zentner vom Österreichischen Institut für Jugendforschung den Bereich Politische Bildung in der Schule. Seiner Meinung nach könnte mehr politische Bildung auch einen gegenteiligen Effekt haben. Denn Bewusstsein allein schaffe nicht mehr Leute an die Urnen. So gab es etwa in Graz einen Schulversuch, mit politischer Bildung als Pflichtfach. Die SchülerInnen, die ein vergleichsweise hohes Wissensniveau hatten, erklärten, sie würden mit 16 dennoch nicht wählen gehen - mit der Begründung, sie wüssten zu wenig von Politik.85 3.5 Jugendarbeit / Peer-Groups 3.5.1 Ergebnisse der Interviews zu Jugendarbeit / Peer-Groups Die Jugendarbeit ist ein Teil der nicht formellen politischen Bildung. Durch Jugendorganisationen kann man an die Jugendlichen herankommen. Dabei ist zu beachten, wie Zentner meint, dass vor allem die JVP im ländlichen Raum gut an die Jugendlichen herankomme. Es werde nicht versucht, mit politischen Inhalten zu ködern, sondern viel mehr werde im konkreten Lebensraum der Jugendlichen agiert. Wenn man Jugendliche in Organisationen einbinde, ihnen eine Heimat gibt, ohne sie zu ideologisieren, könne man sie für Politik „über Umwege“ begeistern.86 Hier zeichnet sich eine klare Parallele zu Pichl von der ÖVP ab. Er sieht die Arbeit der JVP in vielen Bereichen wichtig für die Politisierung, vor allem um der Jugend ein „Du bist wichtig“ zu signalisieren.87 Das Problem der SJ/JG sieht Zentner vor allem darin, dass die Jugendorganisationen vorwiegend jene erreichen, die sich bereits für Politik interessieren. Das heißt, die Politisierung ist bereits vom Elternhaus übernommen worden. Jugendarbeit kann auch erfolgen, indem Jugendliche in politische Entscheidungen auf kommunaler Ebene bewusst eingebunden werden.88 Die FPÖ sieht ihre Jugendarbeit durch den RFJ vertreten und meint dadurch mehr Jugendliche für Politik interessieren zu können, was auch eine faktische Auswirkung auf die Wahlbeteiligung haben könne.89 Durch den direkten Kontakt mit Abgeordneten könne man junge Menschen zu den Urnen bringen, weil Politik angreifbarer wird. Auch Veranstaltungen und Seminare, die abgehalten werden, 84 vgl. ebd. vgl. Zentner: a.a.O. 86 vgl. ebd. 87 vgl. Pichl: a.a.O. 88 vgl. Zentner: a.a.O. und Sburny: a.a.O. 89 vgl. Eccher und Windisch: a.a.O. 85 Seite: 29 seien hier ein wichtiger Teil der Jugendarbeit. Wichtig für die Freiheitlichen: dass sich die Aktionen, die gesetzt werden, am Zeitgeist orientieren.90 Um junge Menschen zu erreichen, setzen die Grünen bei der Jugendarbeit auf mehrere Bereiche. So sei es zum einen die Grüne Jugend, die als Jugendorganisation ganz klar politisiere und auf der anderen Seite versuchten die Grünen bewusst mit verschiedenen NGOs zusammenzuarbeiten. Sburny nennt hier etwa die ATTAC-Bewegung.91 Ebenfalls wichtig sind für die Grünen verschiedene Veranstaltungen, bei denen man junge Leute erreichen kann, wie etwa das „Grüne Inlineskating am Freitag“, das für Sburny „klassische grüne Politik“ verkörpere.92 Auch durch die Grüne Bildungswerkstätte versuchen die Grünen demokratische Werte zu vermitteln.93 „Für mich ist es nicht das Ziel, alle müssen in einer Jugendorganisation sein. Für mich ist es das Ziel, für Politik zu sensibilisieren.“ 94 3.6 Junge KandidatInnen/ jugendnahe KandidatInnen 3.6.1 Definition Als „junge Kandidaten“ definiert die vorliegende Arbeit bis 30-jährige PolitikerInnen. Das Szenario geht davon aus, dass sich Jugendliche eher angesprochen fühlen, wenn ihre Interessen durch PolitikerInnen vertreten werden, die aufgrund ihres Alters auch glaubwürdig wirken. Durch eine ähnliche Ebene ist Politik und damit auch wählen interessanter. 3.6.2 Ergebnisse der Interviews zu junge KandidatInnen/ jugendnahe KandidatInnen Gemeinhin wird diese Meinung nicht nur von den politischen Parteien sondern auch von den PolitexpertInnen geteilt. So sind etwa die Freiheitlichen davon überzeugt, dass junge KandidatInnen einen Vorteil beim Anteil von jungen WählerInnen bringen und setzen dies auch bewusst um. 95 Die FPÖ konnte laut eigener Aussage gerade durch junge WählerInnen im Oktober 1999 auf Bundesebene zur zweitstärksten Partei werden. Die ÖVP meint hierzu „(...) ist die Bundesliste der ÖVP sehr jung dominiert, was eine sehr bewusste Entscheidung war“96. Als Problem jedoch könne sich hierbei das langwierige Nachrücken auf der Liste gestalten. So räumt Pichl diesbezüglich auch ein, dass sich ein Wechsel auf den Listen sehr langsam vollziehe, „nur manchmal in Schüben“.97 Als gute Strategie, junge Menschen anzusprechen sehen auch die Grünen das Aufstellen junger KandidatInnen. Auch wenn man keine messbaren Erfolge dadurch habe – so 90 vgl. ebd. vgl. Sburny: a.a.O. 92 vgl. ebd. 93 vgl. ebd. 94 ebd. 95 vgl. Eccher und Windisch: a.a.O. 96 Pichl: a.a.O. 97 vgl. ebd. 91 Seite: 30 seien die Grünen tendenziell schon eine Partei die junge Menschen anspricht – könne es laut Sburny einen Effekt geben. Doch, so räumt Sburny ein, gehe es nicht nur um das Alter „so wie es nicht nur entscheidend ist, ob Mann oder Frau (aufgestellt wird, Anm.)“.98 Wichtig sei hier vor allem, dass JungwählerInnen ihre Interessen glaubhaft vertreten sehen und dass den Jugendlichen klar gemacht wird: „Du bist wichtig!“99 Geht man nach Zentner, spielen das Alter und der Auftritt der PolitikerInnen eine sehr wichtige Rolle bei der Mobilisierung. Abzuraten ist den Parteien von „peinlichen Jugendwahlkämpfen“.100 „Nichts ist peinlicher als ein Heinz Fischer, der krampfhaft versucht auf jugendlich zu machen.“101 Schmid bemerkt diesbezüglich, dass man den Effekt junger KandidatInnen nicht überbewerten dürfe. „Politische Parteien werden bei Jugendlichen nicht sympathischer, weil sie 21-, 22-, 23jährige KandidatInnen in den Landtag oder Nationalrat schicken.“102 Entscheidender wäre es, „dass politische Parteien Angebote für Jugendliche entwickeln“ und da sieht Schmid allerdings großen Nachholbedarf in Österreich. Als Beispiele nennt Schmid etwa die hohe Jugendarbeitslosigkeit oder besondere Unterstützung, die junge Menschen bedürften, etwa im Wohnungsbereich.103 98 vgl. Sburny: a.a.O. vgl. Pichl: a.a.O. 100 Zentner: a.a.O. 101 ebd. 102 Schmid: a.a.O. 103 ebd. 99 Seite: 31 4. Fazit Wie in den vorhergehenden Szenarien dargelegt, bedarf es offenbar mehrerer Grundvoraussetzungen, um Jugendliche an institutionalisierte Politik teilnehmen zu lassen und Interesse zu erwecken. So kann politische Bildung nicht nur als ein Schulfach vermittelt werden, sondern muss in ihrer umfassendsten Form gelernt und gelebt werden und somit verinnerlicht werden. Während es auf der einen Seite wichtig wäre, dass SchülerInnen mit dem Funktionieren der Demokratie und ihrer Institutionen vertraut gemacht werden und ihre Abläufe kennen lernen. Es ist aber ebenso entscheidend, dass SchülerInnen Demokratie am konkreten Handeln lernen, wie beispielsweise die Lösung von Konflikten, das Vertreten der eigenen Meinung, sowie die Wahrung von Minderheitenrechten. Dies sollte vorwiegend das formelle Bildungssystem leisten, setzt sich aber in Form von außerschulischen oder informellen Einrichtungen fort. Hierzu erwähnen wären etwa die Kinder- und Jugendparlamente, das Wiener SchülerInnenparlament, Berufsschülertage, sowie Mitbestimmungsprojekte auf kommunaler Ebene. Auf parteipolitischer Ebene kommt den Jugendorganisationen eine entscheidende Rolle bei der Politisierung zu. Neben den erwähnten Jugendveranstaltungen im Freizeit- und Bildungsbereich ist es ebenso Aufgabe der politischen Parteien die Anliegen der Jugend ernst zu nehmen und jugendspezifisch zu artikulieren. Um Jugendliche für Politik zu begeistern muss „Jugendpolitik“ auch glaubwürdig präsentiert und durch geeignete KandidatInnen repräsentiert werden. Geeignet hieße in dem Fall, dass KandidatInnen sich auf einer ähnlichen (Kommunikations)Ebene mit dem jungen Zielpublikum befinden; was nicht zwingend heißen muss, dass der/die KandidatIn selbst noch ins Jugendalter fällt. Ein weiterer Punkt der Mitbestimmung wäre die oft zitierte Wahlaltersenkung auf 16, was aber nicht als Allheilmittel angesehen werden kann. Sinn könnte eine Wahlaltersenkung dann machen, wenn der/die interessierte JungwählerIn sich beispielsweise mit 15 selbst in die Wählerevidenz eintragen lassen kann. All diese Maßnahmen müssen aber unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, dass sie lediglich eine Möglichkeit darstellen, Politik interessanter zu gestalten. Nicht vergessen werden darf, dass Jugendliche sehr wohl an Politik partizipieren. Dies geschieht allerdings in Formen, die von der „erwachsenen“ Gesellschaft als solche nicht akzeptiert oder gar wahrgenommen werden. Es handelt sich bei der heutigen Jugend um die erste Generation, bei der Partizipation erwünscht und sogar gefordert wird. Jugendliche merken allerdings, dass sie nach den Spielregeln der Erwachsenen funktionieren sollen und lehnen dies ab.104 Jugendliche haben eine sehr konkrete Vorstellung wie Politik funktionieren sollte. Die Parteipolitik und die staatlichen Institutionen müssten sich den dynamischen Gesellschaftsprozessen anpassen. Jugendliche werden von direktdemokratischen Instrumenten mehr angesprochen als von „verstaubter Ideologie“. Das derzeitige Politikangebot ist für (junge) NichtwählerInnen offenbar nicht zufrieden 104 vgl. Zentner: a.a.O. Seite: 32 stellend. Somit ist Politik nicht an den „KonsumentInnen“ orientiert und gerade für Jugendliche sind Entbürokratisierung und schnelles Agieren der Politik entscheidend. Das Sinken der Wahlbeteiligung von JungwählerInnen ist nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern spiegelt eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung wieder. So kann man bei Kindern und Jugendlichen durch die oben genannten Maßnahmen einer sinkenden Wahlbeteiligung möglicherweise entgegenwirken, doch bedarf es einer eingehenden Auseinandersetzung mit der derzeit herrschenden Demokratievorstellung und gegebenenfalls einer Adaption. Seite: 33 Literaturverzeichnis Barber, Benjamin (1994). Starke Demokratie. Hamburg. 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