Stefanie Fischbach: Auf dem Weg zur Professionalisierung? Die ‚Verbetriebswirtschaftlichung‘ Sozialer Arbeit am Beispiel einer Behinderteneinrichtung ISBN 978-3-86618-640-8, ISBN 978-3-86618-740-5 (e-book pdf), Rainer Hampp Verlag, München u. Mering 2011, 239 S., € 24.80 In vielen sozialen Dienstleistungseinrichtungen findet gegenwärtig eine an betriebswirtschaftlichen Prinzipien orientierte Reorganisation statt. Dabei soll die verstärkte Anwendung von sogenannten Sozialmanagementkonzepten den Anforderungen der neu geschaffenen Wohlfahrts- und Sozialmärkte gerecht werden und eine Steuerung Sozialer Arbeit sowohl in fachlicher als auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht ermöglichen. Die vorliegende Arbeit geht anhand einer Fallstudie in einer Behinderteneinrichtung der Frage nach, ob diese Entwicklung mit einer Deprofessionalisierung oder Professionalisierung der Sozialen Arbeit einhergeht. Der Untersuchung liegt ein Verständnis von Professionalität als besondere Form der Organisation und Kontrolle von Arbeit zugrunde, die sich idealtypisch durch die Anwendung fachlichen Wissens mit hoher Autonomie und Diskretion auszeichnet und daher insbesondere für von Unsicherheit und Unbestimmtheit geprägte Tätigkeiten wie die Soziale Arbeit hohe Bedeutung besitzt. Gezeigt wird, dass die Reorganisation nicht nur in betriebswirtschaftlicher, sondern auch in fachlicher Hinsicht Impulse setzt, dass sie jedoch keineswegs zu einer Auflösung der Spannungen zwischen fachlichen und betriebswirtschaftlichen Prinzipien beiträgt. Im Gegenteil ist die „konfliktäre Konfigurierung“ Sozialer Arbeit der Kern dieser Reorganisation. Trotz in der Folge steigender Anforderungen an die Soziale Arbeit bedeutet diese Entwicklung eine Deprofessionalisierung Sozialer Arbeit. Schlüsselwörter: Sozialmanagement, Profession, Soziale Arbeit, Organisationssoziologie Stefanie Fischbach ist Soziologin und hat kürzlich an der Universität Tübingen promoviert. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Industrie- und Organisationssoziologie. Stefanie Fischbach Auf dem Weg zur Professionalisierung? Die ‚Verbetriebswirtschaftlichung‘ Sozialer Arbeit am Beispiel einer Behinderteneinrichtung Rainer Hampp Verlag München, Mering 2011 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-86618-640-8 (print) ISBN 978-3-86618-740-5 (e-book) DOI 10.1688/9783866187405 1. Auflage, 2011 © 2011 Rainer Hampp Verlag München und Mering Marktplatz 5 D – 86415 Mering www.Hampp-Verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. f Dieses Buch ist auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Liebe Leserinnen und Leser! Wir wollen Ihnen ein gutes Buch liefern. Wenn Sie aus irgendwelchen Gründen nicht zufrieden sind, wenden Sie sich bitte an uns. Für R. & R. Danksagung Das vorliegende Buch ist Resultat eines von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanzierten Promotionsstipendiums. Für die ideelle und materielle Förderung möchte ich mich herzlich bedanken. Dank gilt auch dem Management und den Beschäftigten der Einrichtung und den vielen Menschen, die mit Anregungen, konstruktiver Kritik und Unterstützung zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Besonders möchte ich hier meine Eltern erwähnen, die immer an mich geglaubt und mich unterstützt haben. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. INHALTSVERZEICHNIS I. EINLEITUNG .................................................................................................................... 7 1. Sozialmanagement: Zur Reorganisation Sozialer Arbeit ..................................... 7 2. Die Soziale Arbeit zwischen Ethik, Fachlichkeit und Ökonomie ......................... 9 3. Ziel und Aufbau der Arbeit.................................................................................. 14 II. PROFESSION, ORGANISATION UND SOZIALE ARBEIT .................................................... 18 1. Profession und Soziale Arbeit ............................................................................. 18 1.1. Merkmale einer gelungenen Professionalisierung ...................................... 18 1.2. Machttheoretische Ansätze ......................................................................... 20 1.3. Der Strukturkern professionellen Handelns ................................................ 21 1.4. Professionelles Handeln zwischen Klientenbezug, Markt und Bürokratie 25 2. Profession und Organisation ............................................................................... 27 2.1. Professionelle versus bürokratische Prinzipien .......................................... 28 2.2. Der Archetypus der professionellen Bürokratie .......................................... 32 3. Nonprofit-Organisationen als Paradigma einer professionellen Organisation?.. 36 3.1. Die institutionell-morphologische Definition des Nonprofit-Sektors ........ 37 3.2. Der Nonprofit-Sektor als Ort gesellschaftlicher Demokratisierung ........... 38 3.3. Die Logik des Nonprofit-Sektors ................................................................ 40 3.4. Das Konzept der Intermediarität ................................................................. 40 3.5. Zwischen Eigenlogik und Intermediarität ................................................... 41 4. „Bedingungen“ der professionellen Organisation ............................................... 45 4.1. Der institutionelle Kontext .......................................................................... 45 4.2. Der technische Kontext ............................................................................... 48 4.3. Rationaler Akteur oder „cultural dope“? ..................................................... 55 4.4. Dimensionen der Organisationslogiken ...................................................... 59 5. Das Programm ..................................................................................................... 61 III. DAS FORSCHUNGSDESIGN: DIE DURCHFÜHRUNG DER FALLSTUDIE ........................... 64 1. Die Fallauswahl ................................................................................................... 64 2. Die Erhebungsinstrumente .................................................................................. 69 3. Die Auswertung der Daten .................................................................................. 73 4. Die Diskussion der Methoden im Lichte der praktischen Erfahrungen.............. 75 IV. DIE TRANSFORMATION DES WOHLFAHRTSSTAATS ...................................................... 79 1. „Neokorporatismus“: Die sozialpolitische Ausgangssituation ........................... 81 1.1. Die quantitative Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege ........................... 81 1.2. Historische Entwicklung des neokorporatistischen Sozialstaatsmodells ... 87 1.3. Die Einbindung der Freien Wohlfahrtspflege in den bundesdeutschen Sozialstaat.................................................................................................... 89 2. Die Modernisierung des deutschen Wohlfahrtsstaates ........................................ 92 2.1. Europarechtliche Bezüge der sozialen Dienstleistungserbringung ............. 92 2.2. Sozialrechtliche und sozialpolitische Veränderungen in Deutschland ....... 95 2.3. Die kommunalpolitische Steuerung in der Behindertenhilfe ...................... 98 3. Die Folgen für die Wohlfahrtsverbände und Einrichtungen der Eingliederungshilfe ........................................................................................... 105 3.1. „Vermarktlichung“: Die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Leistungsempfänger, Kostenträger und Einrichtung................................. 106 3.2. „Verstaatlichung“: Wendemarke in den Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden.......................................................................... 109 3.3. Multifunktionalität unter Druck ................................................................ 112 3.4. Die „Verbetriebswirtschaftlichung“ der sozialen Dienstleistungseinrichtungen .................................................................... 114 V. DIE STRATEGIE DER BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHEN MODERNISIERUNG ...................... 115 1. Die Ausgangssituation in sozialen Dienstleistungseinrichtungen..................... 115 2. Veränderte Anforderungen an Behinderteneinrichtungen ................................. 119 3. Konzepte der Modernisierungspolitik ............................................................... 120 4. Instrumente der betriebswirtschaftlichen Modernisierung ............................... 122 4.1. Leitbild und Management by Objectives .................................................. 123 4.2. Qualitätsmanagement ................................................................................ 124 4.3. Regionalisierung und Dezentralisierung ................................................... 126 4.4. Personalpolitische Instrumente: Vom Entlohnungssystem bis zur Arbeitszeitplanung .................................................................................... 127 4.5. Controlling und Budgetierung .................................................................. 128 5. Die betriebswirtschaftliche Modernisierung: Rationalität oder Fiktion? ......... 130 VI. DIE MODERNISIERUNG DER ORGANISATIONSSTRUKTUR UND -PROZESSE ................. 136 1. Die Rahmenstruktur und Entscheidungsfindung .............................................. 136 1.1. Die Regionalisierung der Organisationsstruktur ....................................... 137 1.2. Der Aufbau einer Technostruktur .............................................................. 139 1.3. Zentralisierung durch Dezentralisierung ................................................... 139 2. Arbeitsteilung und Aufgabenspezialisierung .................................................... 143 2.1. Der Paradigmenwechsel – Eine neue Rolle für die Beschäftigten ........... 143 2.2. Die Fachkräfte als „Prozesseigner“ – Neue Aufgaben und Verantwortung .......................................................... 145 2.3. Vertikale Differenzierung zwischen Fach- und Hilfskräften .................... 149 2.4. Auf dem Weg zu einer neuen professionellen Fachlichkeit? .................... 156 3. Die Kontroll- und Koordinationsmechanismen ................................................ 160 3.1. Enteignung von Fachlichkeit? Die Standardisierung (semi-)professionellen Handelns ............................................................... 161 3.2. Von der gegenseitigen Abstimmung zum Management by Objectives .... 167 3.3. Vom Dienstprinzip zum Instrumentalismus .............................................. 173 3.4. Die manageriale Koordination und Kontrolle Sozialer Arbeit ................. 179 4. Deprofessionalisierung oder Professionalisierung? .......................................... 180 VII. DIE SOZIALE ARBEIT ZWISCHEN BETRIEBSWIRTSCHAFT UND BEDARFSWIRTSCHAFT.... ........................................................................................................................... 184 1. Spannungsfelder und Paradoxien in der Sozialen Arbeit .................................. 185 1.1. Das Zieldilemma ....................................................................................... 185 1.2. Das Kundendilemma ................................................................................. 187 1.3. Das Produktionsdilemma .......................................................................... 190 1.4. Das Unbestimmtheitsdilemma .................................................................. 193 1.5. Das Effizienzdilemma ............................................................................... 195 2. Sozialmanagement als neue Form der Bearbeitung von Dilemmata ................ 198 2.1. Die Verlagerung der Dilemmabearbeitung auf die Beschäftigten ............ 198 2.2. Scheitern als Normalzustand ..................................................................... 200 2.3. Die Handhabung des Unhandbaren........................................................... 202 3. Anpassung der Professionalität? Möglichkeiten der Realisierung professioneller Ansprüche ................................................................................. 204 VIII. RESÜMEE ............................................................................................................ 208 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................................ 216 TABELLENVERZEICHNIS ................................................................................................. 235 I. EINLEITUNG „Vom sozialen Wohltäter zum professionellen Dienstleister“ – dieses Zitat aus dem Vortrag des Geschäftsführers einer Behinderteneinrichtung bringt die keineswegs singuläre Wahrnehmung der Entwicklung von Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege nicht nur in der Behindertenhilfe sondern im gesamten Bereich der sozialen Dienstleistungen zum Ausdruck. Retrospektiv wird ein Bild der Vergangenheit gezeichnet, in der soziale Dienstleistungen überwiegend aus Mildtätigkeit und Barmherzigkeit erfolgten, demzufolge jedoch auch beliebige, intransparente und ineffiziente Tätigkeiten darstellten. Demgegenüber befänden sich Einrichtungen heute auf dem Weg zu einer professionellen, d.h. bedarfs-, kosten- und qualitätsorientierten sozialen Dienstleistungserbringung. 1. Sozialmanagement: Zur Reorganisation Sozialer Arbeit Deutlichen Ausdruck finden diese Bemühungen in der verstärkten Anwendung von Konzepten, die auf organisatorischer Ebene eine Steuerung Sozialer Arbeit sowohl in fachlicher als auch in ökonomischer Hinsicht erlauben sollen. Mit unter dem Stichwort „Sozialmanagement“ zusammengefassten Instrumenten wie Budgetierung, Dezentralisierung, Leitbildentwicklung, Controlling, Qualitätsmanagement sollen für notwendig gehaltene Innovationsprozesse gesteuert, Effektivität und Effizienz sichergestellt, Qualitätsstandards gesichert bzw. möglichst gesteigert sowie Dienstleistungen und Organisationsstrukturen unter Kosten-Nutzen-Aspekten überprüft werden können (vgl. MAELICKE 2003a: 438-9). Wenngleich die betriebswirtschaftliche Herkunft dieser Konzepte unverkennbar ist, verbindet sich mit dem Sozialmanagement der Anspruch, die Besonderheiten sozialer Dienstleistungsproduktion systematisch zu berücksichtigen und Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und der Fachlichkeit zu integrieren (vgl. SCHNURR 2005; MAELICKE 2003a: 442-6; PUCH & WESTERMEYER 1999: 23). Der Begriff „Sozialmanagement“ weckt, wie MERCHEL (1995: 299) hervorhebt, „die Hoffnung, dass betriebswirtschaftliche Instrumente auf eine Weise angewandt werden können, dass das Soziale nicht zerstört wird“. Die starke Betonung der Möglichkeit einer Integration dieser unterschiedlichen Prinzipien ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass in Übereinstimmung mit dem sozialpolitischen Verständnis eine Strukturierung Sozialer Arbeit entlang betriebswirtschaftlicher Prinzipien und eine Übernahme entsprechender Managementkonzepte lange Zeit abgelehnt wurden. Diese konzeptionelle und strukturelle Grenzziehung zum privatwirtschaftlichen Bereich wurde mit den Aufgaben sozialer Einrichtungen begründet. Die Bearbeitung von Integrations- und Solidaritätsproblemen und das Auffangen von Ungleichheit und Exklusion in einer kapitalistischen Gesellschaft (vgl. LANGE 2000: 84; KAUFMANN 1982: 479) erschien nur möglich durch Ausschluss der Prinzipien, die als eine wesentliche Ursache für diese gesellschaftlichen Probleme 8 EINLEITUNG betrachtet wurden, und durch eine strikte bedarfswirtschaftliche Ausrichtung an politisch und fachlich definierten Sachzielen. Seit den 1980er Jahren wird der Legitimation dieser Vorstellung sukzessive der Boden entzogen. Die Bedeutung des Sozialmanagements ist, wie SEIBEL (2002: 26, zit. n. MERCHEL 2006: 26) ausführt, auf den „Siegeszug des auf Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit orientierten ökonomischen Paradigmas im Bereich derjenigen Organisationen, die öffentliche Güter bereitstellen“ zurückzuführen. Das betriebswirtschaftliche Prinzip, das Verhältnis von Input und Output zu optimieren, bekommt in zuvor überwiegend bedarfswirtschaftlichen Organisationen ein neues Gewicht. Hintergrund dieser als „Verbetriebswirtschaftlichung“1 bezeichneten Entwicklung (vgl. auch MÖHRING-HESSE 2008) ist die Schaffung von Wohlfahrts- und Sozialmärkten, die einem effizienten, effektiven und kundenorientierten Angebot an sozialen Dienstleistungen neuen und in seinem Ausmaß ungeahnten Nachdruck verleihen sollen: Die durch Betonung des Selbstbestimmungsrechts und die Einführung der Subjektfinanzierung gestärkte Position der Klienten, die Umstellung der Finanzierung von der Kostendeckung hin zu prospektiv vereinbarten Entgelten, die Aufhebung der Vorrangstellung der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege sowie die wachsende Verantwortung, die den Bundesländern und Landkreisen im Zuge der Föderalismusreform und der baden-württembergischen Verwaltungsreform zufallen, bedeuten eine wesentliche Veränderung der Rahmenbedingungen für soziale Dienstleistungsorganisationen, die diese zu erheblichen Restrukturierungs- und Modernisierungsbemühungen sowie zu einer radikalen Transformation ihres Selbstverständnisses und der Dienstleistungskultur veranlassen. Sozialmanagement ist keineswegs ein randständiges Phänomen mehr. Die wachsende Anzahl von Publikationen und Ratgeberliteratur und die rasant ansteigende Anzahl von Studiengängen und Weiterbildungsangeboten zum Sozialmanagement spiegeln einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der Ökonomie Sozialer Arbeit wieder. Dementsprechend hält MERCHEL (2006: 27) „die in den Anfangszeiten der Sozialmanagement-Diskussion häufig vorgebrachte abstrakte Gegenüberstellung des ‚Sozialen‛ und des ‚Managements‛, verbunden mit der kritischen Frage, ob das Wirtschaftlichkeitsprinzip für Einrichtungen der Sozialen Arbeit, überhaupt gelten könne, für praktisch überholt“. Wenngleich über Charakter und Ausmaß der tatsächlichen Diffundierung nur wenig bekannt ist, kann Sozialmanagement heute als eine weitgehend akzeptierte Realität in sozialen Dienstleistungseinrichtungen bezeichnet werden. Die Inhalte der Debatte aus den Anfangszeiten des Sozialmanagements stellen jedoch Häufig wird von der „Ökonomisierung des Sozialen“ gesprochen. Ich halte den Begriff „Verbetriebswirtschaftlichung“ zwar für schwerfälliger, in der Sache aber exakter. Betrachten wir Ökonomie allgemein als Handlungen des Wirtschaftens, bleibt zunächst offen, unter welchen Prinzipien dieses Wirtschaften vollzogen wird. Der Begriff „Verbetriebswirtschaftlichung“ weist demgegenüber einen eindeutigen Bezug zum betriebswirtschaftlichen Effizienzprinzip auf. EINLEITUNG 9 nach wie vor wichtige Orientierungspunkte für die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Folgen des vermehrten Einsatzes betriebswirtschaftlicher Instrumente dar. 2. Die Soziale Arbeit zwischen Ethik, Fachlichkeit und Ökonomie Die Debatte über die Folgen der Anwendung betriebswirtschaftlicher Instrumente in sozialen Dienstleistungseinrichtungen verläuft in zwei Strängen, die sich inhaltlich überschneiden. Beide Diskussionsstränge befassen sich mit der Frage, ob die zunehmende betriebswirtschafliche Orientierung nicht zu einer Zerstörung der in sozialen Dienstleistungseinrichtungen – zumindest idealtypisch vorherrschenden – an Ethik und Fachlichkeit orientierten Prinzipien führen. Der eine – hier nur kurz zu erwähnende – Strang befasst sich mit den Folgen der bedarfswirtschaftlichen Ausrichtung dieser zum Nonprofit-Sektor gehörenden Einrichtungen. Die in der Literatur noch immer gepflegte strikte konzeptionelle und strukturelle Grenzziehung zu ForprofitOrganisationen scheint mit einer stärkeren betriebswirtschaftlichen Ausrichtung zumindest in Frage gestellt (vgl. ARNOLD 2003; ARBEITSKREIS NONPROFITORGANISATION 2003, 1998; PABST 2003; MERCHEL 1995) und feuert eine Debatte darüber an, ob mit den betriebswirtschaftlich orientierten Instrumenten und Prinzipien nicht auch deren Sinnzusammenhang übernommen wird und einer ökonomischen Kolonialisierung des Nonprofit-Bereichs Vorschub geleistet wird (z.B. WEX 2003, 1998) oder ob die betriebswirtschaftlichen Konzepte nicht doch prinzipiell übertragbar sind, ja sogar zu einer Explizierung der Mission dieser Organisationen führten (z.B. SCHUBERT 2003; KAPLAN 2001). Stehen im Mittelpunkt dieses Diskussionsstranges die Folgen für die „Besonderheiten“ (ARBEITSKREIS NONPROFIT-ORGANISATION 1998) dieser gemeinwohlorientierten und missionsgeleiteten Organisationen, befasst sich der andere Diskussionsstrang überwiegend unter einer professionalisierungstheoretischen Perspektive mit den Folgen für die ethische und fachliche Orientierung sozialarbeiterischer Handlungsvollzüge. Anknüpfungspunkt ist die seit den 1970er Jahren geführte Debatte über die Professionalisierungschancen der Semi-Profession Soziale Arbeit, die im Kontext der betriebswirtschaftlichen Modernisierungsbemühungen in eine weitere Runde schreitet. Die vor allem von Managementvertretern sozialer Dienstleistungseinrichtungen geäußerte Professionalisierungsprognose findet in der wissenschaftlichen Debatte sowohl Unterstützung als auch Widerspruch: Forderungen nach einer gegen diese als Ökonomisierung des Sozialen bezeichnete Transformation gerichteten Profilierung als „Menschenrechtsprofession“ (STAUB-BERNASCONI 1995) stehen den Prognosen eines Professionalisierungsschubs gerade aufgrund veränderter Anforderungen und der Reorganisation der sozialen Dienstleistungseinrichtungen (z.B. ARMBRUSTER & WERTZ 2004) gegenüber: Der Theologe KLIE und der Sozialwissenschaftler SCHMIDT (1998: 309-310) erwarten, dass der Prozess der Neupositionierung von Einrichtungen im Zuge der Entste- 10 EINLEITUNG hung von Wohlfahrtsmärkten mit einer erneuten Zuwendung zum methodischen Handeln der Sozialen Arbeit einhergehe und damit den zentralen Bereich der sozialarbeiterischen Professionalität reaktualisiere: „‚Moderne Soziale Arbeit’ lässt sich vielleicht so pointieren: schlank bei steigenden Profilanforderungen, in der Sache verbindlicher gefordert bei Etablierung gesetzlicher und fachlicher Qualitätsmaßstäbe.“ Jedoch nicht nur eine Verbesserung des methodischen Handelns, sondern auch eine Erhöhung der gesellschaftlichen Verantwortung wird durch das ökonomische Denken erwartet: Der Sozialwissenschaftler WENDT (2000: 69) kritisiert, dass „die Fähigkeit, Rechenschaft darüber abzulegen, was geleistet und erreicht wird, (…) in der Sozialen Arbeit unzureichend entwickelt“ sei. Ökonomisches Denken stehe demgegenüber „für die Darlegung, wie unternehmerisches Wirtschaften gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt, und auch für die Auslegung des Sozialen als eines Geflechts von Vorgängen wahrgenommener Verantwortung für Menschen und das Gemeinwesen“. Auch der Sonderpädagoge und Theologe WILKEN (1998: 226-30) begrüßt, dass die Soziale Arbeit durch die Zweifel an ihrer Finanzierbarkeit und Leistungsfähigkeit nun dazu aufgefordert sei, Leistungsprozesse „ökonomisch verlässlich und jederzeit nachvollziehbar“ zu erbringen. Eine evidenz-basierte und outcome-orientierte Soziale Arbeit könne sowohl die Effektivität der fachlichen Leistung als auch die Effizienz der Mittelverwendung darlegen und sei damit in der Lage, der Pflicht nachzukommen, „nicht mehr allein und ausschließlich das Wohl der Leistungsberechtigten in den Blick“ zu nehmen, sondern auch „die Sensibilisierung, Aufklärung und Motivation der unterschiedlichen Zuwendungsgeber zu berücksichtigen“. Sowohl WILKEN als auch WENDT äußern jedoch auch kritische Zwischentöne: Nach WENDT (2000: 70) ist „gegen die Ökonomie der gefälligen Abrechnung wieder das Regulativ sozialer Sensibilität nötig (…), die unmittelbar auf Ungerechtigkeit, Benachteiligung und Elend anspricht“. Seine Vision sei eine Wirtschaft, die Moral in ihre Handlung mit einbezieht, und ein sozialer Bereich der verstärkt ökonomische Verantwortung übernimmt. Auch WILKEN (1998: 229) betont, dass der „sozialwirtschaftliche Gestaltungswille“ konterkariert werde, wenn trotz des „tendenzielle(n) Transparenzdefizits“ fachlich notwendige Freiräume einer Taylorisierung unterworfen werden oder Standardabsenkungen als das entscheidende Mittel der Kosteneinsparung betrachtet werden. „Die mögliche Folge solcher Praxis ist nicht ein Mehr an Menschlichkeit, sondern Dehumanisierung durch Ökonomisierung.“ Auf Seiten der Kritiker sind die vorsichtigen Zwischentöne von Befürwortern wie WILKEN und WENDT das Hauptargument: Dem Sozialwissenschaftler HAUPERT (2002: 11) zufolge führe die „neoliberale Invasion“ zur „bessere(n) Kontrolle des professionellen Handelns, jedoch nicht unter fachlichen, sondern unter bürokratischen und ökonomischen Gesichtspunkten“ und damit „unmittelbar zur Einschränkung und mittelfristig zur Aufhebung professioneller Autonomie und zur zwangsweisen Entmenschlichung des Handlungsvollzugs“. Der Sozialethiker HENGSBACH befürchtet, dass der „Umbau des Wohlfahrtssektors zu einem ‚Wohlfahrtsmarkt’ und die Übernahme „unternehmensähnlicher Führungs- und Organisationsstrukturen“ auf die So- EINLEITUNG 11 ziale Arbeit einen „industrielle(n) Schatten“ werfe und verkenne, dass personennahe Dienste „sprachlich vermittelte, verständigungsorientierte Beziehungsarbeit (sind), die auf Gegenseitigkeit beruht“ (HENGSBACH 2003: 9-11). Des Weiteren berge laut GRAMS (1998: 231-3) die Ökonomisierung des Sozialen „die Gefahr in sich, die gesellschaftliche Kohäsionsfunktion der Sozialen Arbeit, ihre originäre Aufgabe des Herstellens von Integrationsleistungen zu konterkarieren“. Denn „ein florierender Markt des ‚Sozialen’ wird wohl kaum eine Ethik Sozialer Arbeit befördern, wohl aber die Auflösung der in Entstehung begriffenen Professionalität der Sozialen Arbeit“. Eine solche Gefahr der Dehumanisierung durch Ökonomisierung wird schließlich auch von einer dritten Position thematisiert, der es vor allem darum geht, die Reformchancen zu nutzen und Fehlentwicklungen abzuwenden. „Anstatt über die Ökonomisierung und BWL-isierung der Sozialen Arbeit bloß zu klagen“, so GAITANIDES, „sollte die Fachwelt in die Offensive gehen und eigene Standards entwickeln und propagieren“ (GAITANIDES 2000: 132-4). Auch ALBERT (2006: 104-5) formuliert Überlegungen, wie verhindert werden kann, dass die ökonomische Umgestaltung auf Kosten des berufsethischen Verständnisses vorgenommen werden kann. Für ihn bedeutet dies vor allem „die Integration von ethischen Ansprüchen und ökonomischer Zweckrationalität“. Trotz vieler Defizite könne das „Sozialmanagement als Vermittlungsinstanz zwischen Ethik und Ökonomie“ fungieren, wenn es dem Fach gelänge, eigene ethische Grundsätze zu entwickeln und diese „zum zentralen Bestandteil im konfliktreichen Prozess der ökonomischen Umgestaltung“ zu machen. Damit könne auch „ein konstruktiver Beitrag zur Weiterentwicklung der professionellen Sozialen Arbeit“ geleistet werden (ebd.: 119). Gemeinsam ist sowohl den Kritikern als auch den Befürwortern der Reorganisation Sozialer Arbeit, dass sie den wesentlichen Gehalt einer Sozialprofession in der ethischen und fachlichen Ausrichtung des beruflichen Handelns sehen. Während jedoch für die eine Seite die Umsetzung der Modernisierungsstrategien eine Auflösung fachlicher und ethischer Prinzipien riskiert, scheinen sie für die andere Seite das Wundermittel zu sein, mit dem fachliche, ethische und ökonomische Kriterien in die Praxis der Sozialen Arbeit harmonisch integriert werden können. Die Diskussion, ob eine betriebswirtschaftliche Ausrichtung des Sozialen letztendlich zu einer Weiterentwicklung der Fachlichkeit und damit Professionalisierung der Sozialen Arbeit oder zu einer Unterminierung einer ethisch orientierten Sozialarbeit beiträgt, wurde, wie dieser kurze Abriss veranschaulicht, lange Zeit überwiegend in essayistischer und manchmal auch appellativer Form mittels normativer Überlegungen zur Vereinbarkeit von Ethik und Fachlichkeit auf der einen Seite und betriebswirtschaftlichen Prinzipien auf der anderen Seite geführt. Erst in den letzten Jahren nimmt auch das Interesse an der faktischen Bedeutung, Umsetzung und Wirkung der betriebswirtschaftlich orientierten Sozialmanagementkonzepte zu. Große Aufmerksamkeit wird dabei der Frage zuteil, welchen Einfluss die betriebswirtschaftliche Rationalität auf die methodischen Ansätze, Konzepte, Per-