Übergewicht Welche Rolle spielen die Hormone? Prof. Dr. Ludwig Schaaf Max-Planck-Institut für Psychiatrie Arbeitsgruppe Innere Medizin, Endokrinologie, Klinische Chemie, München Übersicht 1. Allgemeines zum Hormonsystem Was ist ein Hormon? primäre, sekundäre, tertiäre Hormonstörungen 2. Hormone und Übergewicht Beispiele Schilddrüsenhormone (Hypophyse, Schilddrüse) Cortisol (Hypophyse, Nebennierenrinde) 3. Hormone und Stoffwechselstörungen Beispiele Fettstoffwechselstörungen: sekundäre Fettstoffwechselstörungen Beispiel: Schilddrüsenunterfunktion Hypercortisolismus 4. Appetit und Heißhunger Praktische Ratschläge Was sind Hormone? • Altgriechisch: in Bewegung setzen, antreiben • Körpereigene Wirkstoffe, die der Informationsübertragung im Körper dienen • „Che is he Bote “ Blut ah • Dauer der Signalübermittlung Sekunden (z. B. Nebennierenmarkhormon Adrenalin) bis mehrere Stunden (z. B. Schilddrüsenhormon) Mechanismus der Hormonwirkung • Rezeptor: im weiteren Sinne eine auf spezifische Einflüsse reagierende "Signaleinrichtung" innerhalb eines Organs oder Organsystems Andockstelle einer Zelle, reagiert nur auf dazu passende Einflüsse • Nur ganz bestimmte Zellen (endokrine Zellen) in ganz bestimmten Organen (Hormondrüsen) sind zur Hormonbildung fähig. z. B. Radiosender sendet Signale, die zu hören sind, falls der richtige Kanal eingestellt ist. • Nicht alle Zellen des Körpers reagieren auf ein Hormon. Hormonsystem Exokrine Drüse Das Sekret gelangt über einen Ausführungsgang auf eine innere (z. B. Speicheldrüsen) oder äußere (z. B. Schweißdrüsen) Körperoberfläche Endokrine Drüse Einzelne Organe wie z. B. Schilddrüse oder Zellhaufen in anderen Organen (Inselzellen der Bauchspeicheldrüse) geben ihr Sekret (Hormon) direkt in das Blut ab www.wissen.de Gewebs- und Neurohormone Wirkung nicht über den Blutweg an weit entfernte Organe, sondern an benachbarte Zellgruppen. parakrine/autokrine Sekretion neurokrine Sekretion (Neurotransmitter) www.commons.wikimedia.org Signalübermittlung im Hormonsystem Gemeinsam mit de Gehir größte „S hlei drüse“ des Körpers) regelt das Hormonsystem • Ernährung • Stoffwechsel • Wachstum • körperliche und psychische Entwicklung • Fortpflanzung • Leistungsanpassung Die 3 Ebenen des Hormonsystems und ihre Regelkreise die sog. Hierarchie des Hormonsystems „Chef“ „Vorar eiter“ „Ar eiter“ Störungen im Hormongleichgewicht • Hormonkonzentrationen befinden sich im gesunden Körper im Gleichgewicht, dem jeweiligen Bedarf des Körpers angepasst. www.wikipedia.de www.diakonie-klinik.de • Wird eines dieser Hormone (unabhängig vom Bedarf des Körpers) zu viel oder zu wenig produziert, resultiert eine Verschiebung des Gleichgewichts → endokrine Erkrankung (Unterfunktion/Überfunktion) Unterfunktion • teilweise oder vollständige Zerstörung einer Drüse • primäre, sekundäre oder tertiäre Unterfunktionen, z. B. durch Unfallfolgen, Tumorerkrankungen, Infektionen, Autoimmunerkrankungen Übersicht 1. Allgemeines zum Hormonsystem Was ist ein Hormon? primäre, sekundäre, tertiäre Hormonstörungen 2. Hormone und Übergewicht Beispiele Schilddrüsenhormone (Hypophyse, Schilddrüse) Cortisol (Hypophyse, Nebennierenrinde) 3. Hormone und Stoffwechselstörungen Beispiele Fettstoffwechselstörungen: sekundäre Fettstoffwechselstörungen Beispiel: Schilddrüsenunterfunktion Hypercortisolismus 4. Appetit und Heißhunger Praktische Ratschläge Hormone und Gewicht Schilddrüse Nebennieren Eierstöcke Hoden www.wissen.de Hormone und Übergewicht BMI: Body Mass Index - Körpermassenindex BMI (kg/m²) 18-25 Normalgewicht 25-30 Übergewicht 30-35 Adipositas Grad I 35-40 (Fettleibigkeit) Adipositas Grad II >40 Adipositas Grad III Berechnungsformel KDP/KN KDP/KN KDP/KN Warum ist Übergewicht schädlich? Arteriosklerose - Risikofaktoren für Metabolisches Syndrom: Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen, Hypertonie führen alle zu Arteriosklerose, Begünstigung von Herzinfarkt/Schlaganfall Quelle: www.herzstiftung.de - Erkrankungen des Bewegungsapparates (Arthrosen), Schlafapnoe, hormonelle Störung u.v.m. Erhöhtes Operationsrisiko Einschränkungen im alltäglichen Leben Mortalität (Sterblichkeit) steigt mit dem BMI! Lebenserwartung um 2 – 4 Jahre kürzer bei Patienten mit einem BMI von 30 – 34,9 kg/m² (44%) Quelle: www.heilpraxisnet.de Körperfett • Braunes Fettgewebe: Wärmeerzeugung Bei Erwachsenen nur gering vorhanden • Weißes Fettgewebe: Speicherfett, Wärmeisolation, Hormonproduktion (z.B. Adopokine) • Viszerales Fett: Fett innerhalb des Bauchraums Bauchfett Fettverteilungsmuster Apfeltyp Birnentyp Zentrale (androide) Fettverteilung Periphere (gynoide) Fettverteilung Quelle: Der Weg aus der Adipositas – weil jeder Tag zählt! Flyer von Ethicon (Johnson&Johnson Medical GmbH) Apfeltyp: erhöhtes Risiko für Herzkreislauferkrankungen durch viszerales Fett! Wodurch kommt es zum Übergewicht? Positive Energiebilanz Aufnahme von zu viel Nahrung (Energie) und/oder zu geringer Energieverbrauch (Aktivität/Bewegung) • Quelle: www.ifw-kiel.de Andere Ursachen (Beispiele): • Stoffwechselerkrankungen (z.B. Schilddrüsenunterfunktion) • psychiatrische Erkrankungen (Essstörungen wie Binge-Eating-Störung) • Medikamente (manche Psychopharmaka) • Begünstigt durch genetische Veranlagung oder Stress Sitz und Aufgabe der Schilddrüse Die Schilddrüse ist ein gut tastbares Organ im Hals, wiegt zwischen 15 und 60 g, besteht aus 2 durch eine Brücke (Isthmus) verbundenen Lappen und liegt unterhalb des Kehlkopfes bds. der Luftröhre. Die in der Schilddrüse gebildeten Hormone sind Thyroxin (T4, Tetrajodthyronin) und Trijodthyronin (T3) www.nuklearmedizin.ukw.de Regulation der Schilddrüsenhormonproduktion aus: schilddruesenkrebs.de Bildung der Schilddrüsenhormone • aktive Aufnahme von Jodid in die Schilddrüsenzelle und Oxidation zu Jod • Über Vorläuferstufen Bildung der SD-Hormone Trijodthyronin (T3) und Tetrajodthyronin (T4, LThyroxin) • Speicherung von T3 und T4 in der Schilddrüse durch Thyreoglobulin (Speichereiweißstoff) • im Blut zu 99,9 % an Eiweiß gebunden, also inaktiv www.tugendheim.de Wirkung der Schilddrüsenhormone • • • • • steigern Energieumsatz und Stoffwechsel fördern Wachstum und Entwicklung erhöhen Erregbarkeit des Nervensystems fördern Kalzium- und Phosphatumsatz machen Herz empfindlicher für Katecholamine Eine Schilddrüsenunterfunktion besteht bei 5 % aller übergewichtigen Menschen Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) 1. Primäre Funktionsstörung Autoimmunthyreoiditis Nach Schilddrüsenoperation oder Radiojodtherapie 2. Sekundäre Funktionsstörung Hypophysenerkrankung Weiteres Beispiel einer hormonellen Ursa he on Ü erge i ht…. www.debeste.de Nebennieren • Mark: Katecholamine • Rinde: Cortisol www.conn-register.de www.thieme.de Cortisolwirkungen im Körper • Das Wirkungsspektrum dieses Hormons ist sehr vielfältig. Cortisol ist unter anderem beteiligt an – der Regulation des Wachstums – sowie an zahlreichen Stoffwechselvorgängen wie dem Fettstoffwechsel, dem Proteinumsatz und dem Kohlenhydrathaushalt. • Ziel der Stoffwechselaktivierung durch Cortisol ist die Steigerung der verfügbaren Energie im Körper, um einmaligen oder wiederholten körperlichen und psychischen Belastungen besser begegnen zu können. Cortisol steht also im engen Zusammenhang mit körperlichem und geistigem Stress und kann als das wichtigste Stress-Hormon angesehen werden. • Unter dem Einfluss von Cortisol – – – – steigt die Körpertemperatur, der Energiestoffwechsel wird aktiviert, Schmerzreaktionen werden ebenso gehemmt wie mögliche Entzündungen, man kann sogar von einer Hemmung der Immunabwehr sprechen. Ursachen der Überproduktion von Cortisol • Hormonproduzierende Tumore der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) • Hormonproduzierende Tumore der Nebenniere • Was kann der Patient bemerken? z.B. Appetitsteigerung Veränderte Fettverteilung Muskelschwund Übersicht 1. Allgemeines zum Hormonsystem Was ist ein Hormon? primäre, sekundäre, tertiäre Hormonstörungen 2. Hormone und Übergewicht Beispiele Schilddrüsenhormone (Hypophyse, Schilddrüse) Cortisol (Hypophyse, Nebennierenrinde) 3. Hormone und Stoffwechselstörungen Beispiele Fettstoffwechselstörungen: sekundäre Fettstoffwechselstörungen Beispiel: Schilddrüsenunterfunktion Hypercortisolismus 4. Appetit und Heißhunger Praktische Ratschläge Cholesterin • • • • Lebensnotweniger Baustein aller Körperzellen Vorstufe von Steroidhormonen Ausgangssubstanz für Gallensäuren notwendig für Bildung von Vitamin D in der Haut • wichtig für Wachstum und Entwicklung des Gehirns Blutfette • Triglyzeride: Energiespeicher, wird zum Teil vom Körper eigenständig produziert • Gesamtcholesterin • LDL-Cholesterin: Cholesterintransport z.B. zum Abbau in der Leber • HDL-Cholesterin: sammelt überschüssiges Cholesterin und entsorgt es Fettstoffwechselstörungen - Primäre Fettstoffwechselstörungen: • genetisch bedingte Störung - Sekundäre Fettstoffwechselstörungen: Beispiele: Krankheit/Faktor Lipidveränderung Kommentar Hypothyreose Chol. ↑, LDL ↑ verminderter Abbau von LDL-Partikeln, auch bei subklinischer Hypothyreose Hypercortisolismus Chol. ↑, TGL ↑, HDL ↓ Überproduktion von Lipoproteinen Östrogene Chol. ↓ , TGL ↑, LDL ↑, HDL ↑ Bei vorbestehender Hyperlipoproteinämie können Östrogene (Kontrazeptiva, Schwangerschaft) zu schweren Hypertriglyceridämien führen. Übersicht 1. Allgemeines zum Hormonsystem Was ist ein Hormon? primäre, sekundäre, tertiäre Hormonstörungen 2. Hormone und Übergewicht Beispiele Schilddrüsenhormone (Hypophyse, Schilddrüse) Cortisol (Hypophyse, Nebennierenrinde) 3. Hormone und Stoffwechselstörungen Beispiele Fettstoffwechselstörungen: sekundäre Fettstoffwechselstörungen Beispiel: Schilddrüsenunterfunktion Hypercortisolismus 4. Appetit und Heißhunger Praktische Ratschläge Kontrolle des Appetits Neuropeptid Y Nucleus arcuatus Nucleus paraventricularis Interleukin-1 Tryptophan Stress-Esser • Griff zu Süßigkeiten oder Knabbereien • Erfahrung: Diese Lebensmittel spenden Trost und beruhigen • Schlemmen nebenbei baldige Gewichtszunahme + schlechtes Gewissen noch mehr Stress • Teufelskreis: • Stress Essen Gewichtszunahme Stress… • Ausstieg aus der Stressfalle: kleine Schritte gehen, Entspannungsübungen, regelmäßig Essen, Beratu g … Stress Esser- Was tun? • Regelmäßig essen, Mahlzeitenstruktur schaffen • Gesunde Snacks vorbereiten • Entspannungsübungen, bevor zu Süßigkeiten etc. gegriffen wird • Süßigkeiten erst gar nicht einkaufen • Kleine Mengen genießen, Tempo beim Heißhunger verlangsamen Menge sinkt • Langfristig Stressoren erkennen und möglichst beheben Definitionen • Heißhunger: Heißhunger ist ein extremes Verlangen nach sofortiger Nahrungsaufnahme. • Sättigung: der Körper signalisiert bei der Nahrungsaufnahme, dass genügend Nahrung zugeführt wurde und die Mahlzeit beendet werden kann. Das Gefühl des Sattseins wird durch die Magenfüllung im Gehirn ausgelöst. Ursachen von Heißhunger • Unregelmäßiges Essen • Zu viele Lebensmittel mit schnell resorbierbaren Kohle hydrate z.B. Weiß ehlprodukte, Ho ig, Ku he … • Einseitige Ernährungsformen (z.B. Low Carb) • Stressbewältigungsstrategie • Ko pe satio vo Gefühle Frust, Trost… Ernährung zur Heißhungerprophylaxe • • • • Reichlich Gemüse und Obst (5 am Tag) Vollkornprodukte bevorzugen Fettarme Milchprodukte ausreichend Flüssigkeit (> 2 Liter/Tag) • … Empfehlungen bei auftretenden Heißhunger (1) • Mahlzeitenstruktur schaffen und einhalten • Süßes direkt nach der Hauptmahlzeit essen geringere Blutzuckerschwankungen (eine Portion pro Tag fest einplanen) • War e Mahlzeite häufig sättige der als „ei e Brotzeit“ • Trinkverhalten - Trinkmenge überprüfen - warme Getränke besser [Heißer Tee, selbst gemachter Kakao (Backkakao+ Milch, wenig Zucker)] • Süßes außer Sicht- und Reichweite räumen bzw. nicht einkaufen • Zähne putzen! • Zuckerfreie Kaugummis kauen Empfehlungen bei auftretenden Heißhunger (2) • Nahrungsmittel mit hohem Sättigungswert essen wie z.B. Kartoffeln, Haferflocken, Hülsenfrüchte • Auf Nährstoffrelation achten Kombination aus Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate sättigt am Besten • Kauzeit verlängern (ca. 30 mal pro Bissen) • Entspannungs- oder Genussübungen!! Fazit • Bei Übergewicht und Stoffwechselstörungen immer an Hormonstörungen denken! • Basisdiagnostik: Schilddrüse: TSH Nebenniere: Cortisol, ACTH „Blutu tersu hu ge “ Diabetes mellitus: Blutglukose, HbA1c Gonaden: Testosteron • Ziel: mögliche Besserung oder sogar Heilung der Erkrankungen durch Korrektur eines Überschusses oder eines Mangels an bestimmten Hormonen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!