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ESSAY
Sabine Töfferl
studierte Kultur- und Sozialanthropologie,
Internat. Entwicklung sowie
Musikwissenschaft, momentan PhD
Musikwissenschaft; wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Archiv der Zeitgenossen.
John Cage und die österreichische Avantgarde
Im Zusammenhang mit Avantgarde kommt sehr oft auch der Name John Cage vor – egal ob von
Konzertprogrammen, generellen Informationstexten oder spezieller Fachliteratur die Rede ist.
Was aber hat der Komponist mit der österreichischen Avantgarde zu tun? Gibt es Verbindungen,
und welche Auswirkungen hatten seine Werke auf die österreichische Musikgeschichte?
Beziehungsweise: Gab es Wechselwirkungen? Diesen Fragen möchte ich in meinem Beitrag
nachgehen.
Im Jahr 2012 stolpert man allerorts über John-Cage-Schwerpunkte: Ausstellungen, Konzerte,
Lesungen, Performances werden aufgrund des (theoretisch stattfindenden) 100. Geburtstages des
Künstlers, Komponisten, Musikers, … [die Liste kann wohl sehr lange fortgesetzt werden]
veranstaltet. Kaum jemand, der nicht irgendetwas zum Thema besucht, und selten jemand, dem
der Name John Cage nicht zumindest "etwas sagt". In Österreich war er lange Jahre ein eher
Unbekannter und zu großen Teilen auch Ungewollter, und seine Werke – so sie überhaupt zu
Gehör gebracht wurden – waren für das damalige Publikum aufregend genug, um bei deren
Aufführungen für Skandale zu sorgen. Ich möchte nun im Besonderen auf die österreichische
Erstaufführung des Klavierkonzertes von John Cage eingehen, die am 19.11.1959 im Wiener
Konzerthaus durch das Ensemble "die reihe" unter Friedrich Cerha stattfand.
Auch in diesem Zusammenhang ist in den Zeitungsberichten von Avantgarde die Rede, in einem
sogar von "extreme[r] Musikavantgarde".1 John Cage wird außerdem als "Oberhaupt dieser
überspitzten Moderne"2 bezeichnet. Was nach damaliger Meinung an dem Stück und an ihm so
"extrem" ist, kann man sich anhand der Pressekritiken einigermaßen ausmalen. Dazu aber später
– zuerst noch kurz zum Werk:
Das Klavierkonzert ist graphisch notiert und gewährt den Ausführenden große Freiräume,
beispielsweise was die Dauer angeht. Im Falle des Wiener Konzertes wurde es zwei Mal
aufgeführt – die erste Darbietung dauerte ungefähr fünf Minuten, die zweite 203. Die Instrumente
werden dabei nicht so gespielt, wie es "normal" wäre, sondern es werden ihnen mit verschiedenen
Methoden ganz neue Klänge entlockt. Hinzu kommt, dass auch Alltagsgegenstände als
Instrumente verwendet werden – so etwa wurden damals ein Deckel von einem Topf und ein
Schlüsselbund in der Hosentasche zum Klingen gebracht4. Die MusikerInnen agieren nicht nur auf
der Bühne, sondern sind auch im Publikumsraum verstreut, und der Dirigent gibt nicht den Takt,
sondern die Zeit an – die Arme übernehmen gewissermaßen die Funktion eines Uhrzeigers.
Was die Medienrezeption dieses Konzertes betrifft, ist sie durchwegs eher negativ. Man fragt sich,
was so ein Stück denn im Mozartsaal verloren hätte, und spricht von der "Entweihung der nach
dem großen Musikgenius benannten Kunststätte"5. Außerdem konnte man gar nicht verstehen,
dass "absurde Klangwirkungen als Musik ausgegeben wurden."6 Kritisiert wurde auch, dass in
einem „Klavierkonzert“ benannten Werk das Klavier eher selten zu hören war.7 Dieses wurde auch
des Öfteren bemitleidet, da es präpariert und vom Pianisten David Tudor angeblich malträtiert
wurde:
"[Es] wird mit der Handfläche, mit dem ganzen Unterarm oder mit einem Hammer bearbeitet:
seine Saiten werden gezupft oder geschlagen, mit dem Klavierdeckel wird geknallt – ganz wie es
dem ‚Interpreten’ einfällt. Und wenn ihm nichts einfällt, dann tut er eben nichts. David Tudor war
da der Hauptakteur: sein Klavierdeckel-Vibrato dürfte Schule machen. […] PS. Der Bösendorfer im
Mozart-Saal hat allen Demolierungsversuchen widerstanden: ein gutes Tier ist das Klavier."8
Interessant ist auch der Kommentar von Otto B[?]l: "Herr David Tudor stochert in seinem Klavier
herum, als sei es ein kariöses Gebiß nach einer Mahlzeit, während seine Kollegen versuchen, aus
einem Krixelkraxel von Notation – es sieht wie Zwirnsknäuel aus – spontane Inspirationen zu
empfangen und diese in Töne umzuwandeln."9
In der Arbeiterzeitung wird dem Konzert die Zuordnung zur Kunstform Musik abgesprochen: "Das
Interesse für die Veranstaltung war außerordentlich groß […], ihre Beurteilung fällt aber kaum
noch in das Ressort eines Musikkritikers."10 Dies wird folgendermaßen begründet: "Mit Musik
oder mit Kunst überhaupt haben diese Produktionen nichts mehr zu tun, ja man kann nicht einmal
von einem organisierten Chaos sprechen, da ja die Autoren selbst jede Bindung zwischen den
Tönen, den ‚Klebstoff’, wie sie es nennen, ablehnen."11 Musik wäre demnach also nur dann
vorhanden, wenn es klar erkennbare Zusammenhänge zwischen den Tönen gäbe – andernfalls
könne nicht kontrolliert werden, ob die Darbietung qualitativ gut oder schlecht sei. Dem Stück
wird also das hemmungslose Ausleben eines "kindische[n] Spieltrieb[es]" und der "Freude am
ausgiebigen Lärmen"12 attestiert. Das ist wohl unter anderem ein Grund dafür, warum "selbst die
Ausführenden nicht mehr ernst bleiben konnten."13
Diese Ausführenden wurden in demselben Pressebericht sehr gelobt: "Der Applaus als Zeichen
aufrichtiger Anerkennung gebührte nur den Mitgliedern des Ensembles ‚Die Reihe’ sowie der
jungen Sängerin Edith Urbanczyk, die an diesem Abend recht undankbare Aufgaben zu
bewältigen hatten."14 Der Autor sah die MusikerInnen also als unfreiwillige TeilnehmerInnen an
dem Geschehen an. Ob das wirklich der Fall war, lässt sich aus den Rezeptionsdokumenten leider
nicht herauslesen, sollte aber sicherlich kritisch hinterfragt und gegebenenfalls auch bezweifelt
werden.
Marcel Rubin jedenfalls fand, dass "die Objekte dieser Kritik […] keinen Tupf Druckerschwärze
wert"15 seien. Und im Wiener Samstag vom 5.12.1959 wünschte man John Cage in die
Gefangenschaft:
"Keiner unterzieht sich der Mühe und prüft einmal nach, was solch ein ‚Ultramoderner’, wie eben
der oben zitierte John Cage – zu deutsch [sic!] Johann Käfig – in den er auch hineingehört – schon
Positives geleistet hat. Es handelt sich meist um Leute, die von Kontrapunkt und Instrumentation
nicht die blasseste Ahnung haben. Aber sie müssen ein Klavierkonzert schreiben, denn sie sind
dazu "berufen"!"16
Außerdem wurde dieser Abend als Indiz dafür wahrgenommen, dass es mit der Musikstadt Wien
bergab ging: "Es geht einfach nicht an, daß in der Musikstadt Wien, die ohnehin immer mehr an
Niveau verliert, derartige Vorführungen, die nicht einmal als Experimente bezeichnet werden
können, vor einem zahlenden Publikum abgewickelt werden."17 Das Publikum hätte nicht einmal
gewusst, "wohin es seine Ohren richten sollte."18, da die MusikerInnen im ganzen Raum verteilt
waren und sich nicht nur auf der Bühne aufhielten.
Was vielfach kritisiert und auch als eine mögliche Ursache für den Skandal beim
Cage-Klavierkonzert angeführt wurde, waren die vielen Pausen, die es in dem Stück gibt. Der
Komponist ist ja bekannt dafür, gerne mit Stille experimentiert zu haben, und hat sie auch hier
eingesetzt. Ein paar Kommentare möchte ich hier zitieren: "[D]as scheint ja überhaupt die Zukunft
dieser ‚Raum’-Musikanten und Elektronischen zu sein: die Pausen werden allmählich so lang
werden, dass die Musiker auf Töne überhaupt verzichten können."19 "Länger währende Stille wird
als unerträgliche Spannung empfunden. Man muß sich Luft machen, und das geschieht durch
Lärm. Da in unserem Konzert die Pausen vorherrschten, blieben die Reaktionen nicht aus."20
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"Diese lang anhaltende Stille erzeugte unerträgliche Spannungen, und das Publikum machte sich
Luft."21
In einem Artikel wird ganz am Schluss festgestellt, dass man wohl in einer sehr seltsamen Zeit
lebe, "in der man in Wien derlei Darbietungen mit einer anderen Straßenbahnlinie als mit dem
Siebenundvierziger erreicht"22. Die Straßenbahnlinie 47 führte damals nach Steinhof, wo sich
auch heute noch ein psychiatrisches Krankenhaus befindet – mit diesem Hintergrundwissen kann
man auch genau verstehen, worauf der Autor hinaus wollte: Abgesehen davon, dass diese
Äußerung heute als politisch unkorrekt kritisiert würde, hat er diese Musik wohl als von psychisch
Kranken erdacht angesehen.
Ganz am Ende meiner Ausführungen über die Reaktion auf Cages Klavierkonzert in Wien möchte
ich ein Zitat von Franz Endler stellen und dieses auch bewusst unkommentiert lassen: "Leider
kann ich das einzige Wort, das ich als gerechte und durchaus ausreichende Kritik an ihrem Tun
empfinde, nicht drucken lassen. Ich bin aber gern bereit, es jedem Interessenten zu sagen."23
Die Frage, die sich für mich nach dem Lesen aller genannter Rezeptionsdokumente stellte, war:
Ist es denn notwendig, dass Musik im Konzertsaal immer humorlos und geordnet ablaufen muss?
Anscheinend sorgte es damals für große Irritationen, wenn dem nicht so war. Heute ist das
Publikum wohl etwas aufgeschlossener für humoristische und unkonventionelle Anlagen eines
Werkes, und auch KomponistInnen entscheiden sich bewusst dafür, die ZuhörerInnen zum Lachen
zu bringen24, wenngleich Skandale auch hier nicht immer von Vornherein ausgeschlossen werden
können.
Machen wir jetzt schnell noch einen zeitlichen Sprung, ins Jahr 2004: Damals widmete Wien
Modern, das Festival für Musik der Gegenwart, John Cage eine Retrospektive. Mittlerweile war er
im Musikleben fest verankert und hoch geschätzt, es stellte also nicht mehr eine solch große
Provokation dar, seine Werke aufzuführen. Es gab ein mehrtägiges John Cage Filmfestival, eine
John Cage Nacht, Texte von ihm wurden rezitiert, und es waren einige seiner Werke zu hören.
Kurzum, während der Zeitspanne von Wien Modern konnte man beinahe jeden Tag Cage in Form
seiner Werke, Texte und einiger Filme begegnen.
In seinem autobiographischen Statement im Programmbuch von Wien Modern 2004 schreibt Cage
etwas, das man auch als Replik zu den Kritiken von 1959 auffassen könnte, wenngleich das
sicherlich nicht die ursprüngliche Absicht war:
"Wir leben in einer Zeit, in der sich für viele Menschen das Bewusstsein von dem, was für sie
Musik ist oder sein könnte, geändert hat. Etwas, das nicht wie ein Mensch spricht oder redet, das
nicht seine Definition im Lexikon oder seine Theorie in den Schulen kennt, etwas, das sich nur
durch das Faktum seiner Schwingungen ausdrückt. Menschen, die auf den schieren
Schwingungsvorgang Acht haben, nicht in Bezug zu einer fixierten idealen Aufführung, sondern
jedes Mal gespannt darauf, wie es sich diesmal ereignet, nicht notwendigerweise zweimal in der
gleichen Weise. Eine Musik, die den Hörer zu dem Augenblick trägt, wo er ist."25
Man kann daran ablesen, dass sich das Publikum seit 1959 (der Text wurde im Jahr 1989 verfasst)
gewandelt hatte, was angesichts der dreißig Jahre, die dazwischen liegen, sehr plausibel klingt.
Auch in Österreich war er nun also geschätzt und gefeiert, was nicht zuletzt die
Wien-Modern-Retrospektive zeigt. Die Texte, die sich im Programmbuch finden, loben Cage und
weisen ihn als einen grundlegenden Erneuerer der Musik aus, berichten von seinen Verdiensten.
Man kann also davon ausgehen dass die "extreme" Avantgarde mittlerweile zur "Normalität"
geworden war und darf gespannt sein, was folgt.
1. P-er: Moderne Musiker müssen miauen… In: Arbeiterzeitung.
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P-er: Moderne Musiker müssen miauen… In: Arbeiterzeitung.
Marcel Rubin: Versuchte Jugendverdummung. Zeitungsartikel.
Zeitungsausschnitt: „Wenn das der Mozart hätt’ erleben müssen…“
Zeitungsausschnitt: „Wenn das der Mozart hätt’ erleben müssen…“
Dr. Norbert Tschulik in Tiroler Tageszeitung: Wohlklänge und Mißklänge. In: Tiroler Tageszeitung, 7.12.1959, S. 5.
Vgl. Dr. Norbert Tschulik: Wohlklänge und Mißklänge. In: Tiroler Tageszeitung, 7.12.1959, S. 5.
Rudolf Weishappel: Ein gutes Tier ist das Klavier. Gestern im Mozartsaal: III. Konzert der „reihe“ leider fast ein
Skandal. In: Kurier, 20.11.1959.
Otto B[?]l: Avantgarde auf fossilen Spuren. In: NÖ, 22.10.1959.
P-er: Moderne Musiker müssen miauen… In: Arbeiterzeitung.
P-er: Moderne Musiker müssen miauen… In: Arbeiterzeitung.
beide Zitate: P-er: Moderne Musiker müssen miauen… In: Arbeiterzeitung.
P-er: Moderne Musiker müssen miauen… In: Arbeiterzeitung.
P-er: Moderne Musiker müssen miauen… In: Arbeiterzeitung.
Marcel Rubin: Versuchte Jugendverdummung. Zeitungsartikel.
Das Reindl als Musikinstrument: Johann Käfig ließ den Wecker rasseln. In: Wiener Samstag, 5.12.1959.
Das Reindl als Musikinstrument: Johann Käfig ließ den Wecker rasseln. In: Wiener Samstag, 5.12.1959.
Das Reindl als Musikinstrument: Johann Käfig ließ den Wecker rasseln. In: Wiener Samstag, 5.12.1959.
Otto B[?]l: Avantgarde auf fossilen Spuren. In: NÖ, 22.10.1959.
Lothar Knessl: Tumult bei Schönberg und Cage. Pfiffe und Lärm bei zwei Klavierabenden. In: Salzburger Nachrichten.
Tumulte im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses. In: Neues Österreich, 21.11.1959.
Ach, wie so lächerlich… Zeitungsartikel.
Franz Endler: Ein Wort nur. Zeitungsartikel, 21.11.1959.
Manuela Kerer, der gerade ein Schwerpunkt auf terz gewidmet ist, baut bewusst Humor in ihre Werke ein.
John Cage (1989): Ein autobiographisches Statement. In: Bernd Odo Polzer, Thomas Schäfer (Hg., 2004): Wien
Modern Katalog. Saarbrücken: Pfau Verlag. S. 13.
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