Bei Ulcus cruris: Diagnostik und Therapie „Ulcus cruris“ ist keine Diagnose, sondern die Folge einer Wundheilungsstörung am Unterschenkel, die durch unterschiedliche Faktoren bedingt sein kann. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist daher die exakte Diagnostik. Sie als Podologen und medizinische Fußpfleger sollten die wichtigsten Verfahren kennen und wissen, wann sie zum Einsatz kommen. enn Körpergewebe durch bestimmte krankhafte Prozesse vorgeschädigt ist, besteht meist eine schlechte Heilungstendenz. Ist ein Ulcus cruris entstanden, muss man fragen: Vor welchem pathologischen Hintergrund konnte sich dieses Unterschenkelgeschwür entwickeln? Als mögliche Ursache kommen in Frage eine: ❚ chronisch venöse Insuffizienz (CVI) ❚ periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ❚ periphere Neuropathie (häufig bei Diabetes mellitus, aber auch nach Nervenverletzungen, bei perniziöser Anämie und anderen Erkrankungen). Steckt eine Autoimmunerkrankung dahinter wie etwa eine Vaskulitis (Entzündung der Blutgefäße) oder gar ein Malignom? In seltenen Fällen sind auch Infektionen wie beispielsweise tiefe Mykosen oder Mykobakteriosen für ein Unterschenkelgeschwür verantwortlich. Aber auch Kalziumablagerungen im Gewebe (Kalziphylaxie) bei chronischer Niereninsuffi- W © Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download 2/2010 (Foto: ©Klaus von Wirth) Venenerkrankungen zienz sowie bei einer Überfunktion der Nebenschilddrüse (Hyperparathyroidismus) sind möglich. Ulcus cruris – aber was für eines? Venös, arteriell oder „gemischt“? Finden sich die typischen Zeichen der chronisch venösen Insuffizienz wie Varikose, Stauungsdermatitis oder gelbbraune Hautverfärbungen? Schmerzt das Bein beim Gehen? Oder weist das Bein eine Deformität wie ein umgekehrter Flaschenhals auf – Zeichen dafür, dass anhaltender Blutstau zur chronischen Entzündung der Haut und tieferer Gewebe geführt hat und schließlich eine Dermatoliposklerose den Knöchel wie eine Manschette umschnürt. Wenn auch manchmal auf den ersten Blick alles nach einer chronisch venösen Insuffizienz aussieht, muss stets durch Palpation der peripheren Arterienpulse bzw. durch die dopplersonographische Messung der peripheren Arteriendrucke 1 Venenerkrankungen eine arterielle Verschlusskrankheit ausgeschlossen werden. Besteht der Verdacht einer Vaskulitis oder einer Neoplasie (der gut- oder bösartigen Neubildung von Körpergewebe), muss eine Biopsie vom Ulkusrand genommen werden. Außerdem hat es sich in jedem Fall bewährt, Blutwerte zu bestimmen wie die Blutkörperchensenkungszeit (BKS), den Entzündungsparameter Creaktives Protein (CRP), Elektrolyte, Gesamteiweiß, Harnstoff, Kreatinin, Stoffwechsel- und Gerinnungsparameter. Weitere „Ermittlungen“ übernimmt die apparative Diagnostik. Diagnostische Verfahren beim Ulcus cruris venosum Die Mehrzahl der varikösen Veränderungen kann man bei aufrechter Körperhaltung des Patienten erkennen. Liegen Varizen allerdings tief im subkutanen Fettgewebe, beispielsweise bei einer Stammvarikose der V. saphena magna im Oberschenkelbereich, ist die Erfassung nicht sicher möglich. Die typische Lokalisation des Ulcus cruris venosum ist der Bereich des medialen Knöchels. Das Geschwür ist meist wenig schmerzhaft. Die Haut in der Umgebung wirkt verhärtet (Dermatoliposklerose) und zeigt häufig ein Ekzem. Nicht selten ist auch das „kroExperten raten: Bei nenartige“ Geflecht jedem Patienten mit der oberflächlichen einem Ulcus cruris Knöchelvenen („Cosollte eine Doppler- rona phlebectatica Sonographie zur paraplantaris“) sichtUntersuchung des oberflächlichen und bar. Bei manchen Patiefen Venensys- tienten sind münztems durchgeführt bis handtellergroße werden weiße Flecken zu se2 Ultraschall oder Röntgen? Bevor es die moderne Ultraschalltechnik gab, war die Phlebographie die beste Möglichkeit, die Beinvenen darzustellen. Dabei handelt es sich um eine Röntgenaufnahme der Beinvenen, in die zuvor ein Kontrastmittel gespritzt worden ist. Heute wird die Phlebographie nur noch bei speziellen Fragestellungen durchgeführt. Die moderne Ultraschalltechnik macht krankhafte Veränderungen der Venen und ihrer Klappen ohne Strahlenbelastung sehr genau sichtbar. Es lässt sich farblich darstellen, wie schnell und in welchen Bahnen das Blut in den Gefäßen fließt. Bei den bildgebenden Verfahren steht in der Varikosediagnostik die Duplexsonographie, gegebenenfalls in der eben angesprochenen farbkodierten Variante, an erster Stelle. hen („Atrophieblanche“).Gleichzeitigkönnen gelbbraune Hautverfärbungen durch Hämosiderineinlagerung auffallen. Die Frage, ob ein Ödem von insuffizienten Venen oder von einem überforderten Lymphsystem herrührt, ist schnell beantwortet: Bei der Unterscheidung von Phlebödem und Lymphödem hilft das so genannte Stemmer-Zeichen. Bei Vorliegen eines Lymphödems gelingt es nicht, die Haut über dem Grundgelenk der zweiten Zehe als Falte abzuheben. Zur genaueren Abklärung eines Lymphödems werden die indirekte Lymphographie und weitere spezielle Verfahren herangezogen. ❚ Der Doppler-Ultraschall ist ein Verfahren der Gefäßdiagnostik, bei dem man mit Ultraschallwellen von außen das Strömungsverhalten des Blutes in den © Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download Gefäßen beurteilen kann. Bei dieser Methode handelt es sich nicht um ein bildgebendes Verfahren, sodass komplexe anatomische Situationen hiermit nicht entschlüsselt werden können. Physiologische und pathologische Gegebenheiten hingegen lassen sich jedoch gut differenzieren. So gelingen mit dieser Methode in aller Regel die Bestimmung der Rückfluss-(Reflux-)länge bei der kompletten Stammvarikose sowie der Refluxnachweis im Bereich der Krosse. Krosse oder „Crosse“ heißen auch „Venensterne“. „Leisten-Krosse“ nennt man beispielsweise die Region, in welcher die Stammvene in die tiefe Vene in der Leiste (V. saphena magna) mündet. Entsprechendes gilt für den Bereich der Kniekehle („KniekehlenKrosse“; V. saphena parva). Zu den provozierten Signalen gehört zum Beispiel das so genannte Valsalvamanöver: Im Ultraschallbild sieht man deutlich, wie beim Pressen der Blutfluss umkehrt und ins Bein zurückfließt. Dabei entsteht vor allem im Bereich der Knöchelregion von innen auf die Haut ein immenser Druck, der die Hauternährung nachhaltig stört. (Foto: © Capio Mosel-Eifel-Klinik) Venenerkrankungen Lichtreflex-Rheographie ❚ Die Lichtreflex-Rheographie ist eine weitere Untersuchungsmöglichkeit. Mit diesem Verfahren gelingt die Beurteilung des venösen Abstroms durch Betätigung der Wadenmuskelpumpe. Hierzu werden die Volumenschwankungen des Venengeflechts, das direkt unter der Haut liegt, mit einer Sonde, die eine Infrarotlichtquelle und einen Sensor für das reflektierte Licht enthält, registriert. Was geschieht bei der Doppler-Sonographie? Die Doppler-Sonographie beruht auf dem so genannten Doppler-Prinzip. Dabei geht es um die Veränderung der wahrgenommenen oder gemessenen Frequenz von Wellen, während sich Geräuschquelle und Beobachter einander nähern oder voneinander entfernen. So können wir beispielsweise hören, dass ein Auto herannaht, ohne dass wir es sehen, denn es vermittelt nun höhere Töne. Entfernt es sich, gibt es entsprechend tiefere Töne wieder. Bei der Doppler-Sonographie wird eine Sonde auf die Haut aufgesetzt, welche die Blutkörperchen beschallt. Deren Bewegung wird von dem Gerät in Zischlaute umgesetzt, die man als Patient bei der Untersuchung mithören kann. Der Arzt kann anhand bestimmter Eigenschaften der Zischlaute erkennen, wie groß das Ausmaß von Verengungen ist. Denn in den Verengungsstellen ändert sich die Geschwindigkeit des Blutflusses. © Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download 3 Venenerkrankungen ❚ Bei plethysmographischen Verfahren werden Volumenänderungen von Extremitäten mit Hilfe von Quecksilberdehnungsmessstreifen, elektrischen Widerstandsfühlern oder luft- bzw. wassergefüllten Manschetten gemessen. Der Umfang der Volumenänderungen gibt Aufschluss über Ausmaß und Lokalisation arterieller und venöser Blutflussbehinderungen. Diagnostische Verfahren beim Ulcus cruris arteriosum Besteht der dringende Verdacht, dass es sich (auch) um eine arterielle Verschlusskrankheit handelt, bringen andere Verfahren Klarheit. Immer sollte auch der brachiotibiale Index (Knöchel-Arm-Quotient; siehe Kasten) ermittelt werden. Ein Unterschenkelgeschwür, das durch eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) verursacht und unterhalten Knöcheldruck zeigt Sauerstoff-Not Die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (Quotient aus systolischem Knöchel- und Oberarmblutdruck) ist sehr bedeutsam für die Beurteilung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Die Messung des Knöchel- und Armarteriendrucks wird am liegenden Patienten vorgenommen. Dieser muss vor der Untersuchung mindestens eine Viertelstunde geruht haben. Ein Index unter 0,9 gilt als beweisend für die periphere arterielle Verschlusskrankheit. Misst man 80mmHg oder mehr am Knöchel des Patienten, kann man Entwarnung geben. Ein Druck unter 50mmHg bedeutet äußerste Gefahr für den Fuß! Bei einem Wert zwischen 0,5 und 0,8 muss im Einzelfall ärztlich abgewogen werden, ob eine Kompressionstherapie durchführbar ist. 4 wird, sitzt oft an der Außenseite des Unterschenkels und ist meist sehr schmerzhaft. Die Ulzera sind tief, meist nekrotisch belegt. Das Bein zeigt Zeichen der arteriellen Unterversorgung (kühl, pulslos, blass). ❚ Die Oszillographie zeichnet Volumenschwankungen an den Oberschenkeln, Unterschenkeln und Zehen auf. „Bei der Oszillographie werden die pulsatilen Lumenschwankungen der Extremitäten im Seitenvergleich aufgezeichnet“, schrieb Prof. Dr. med. Jörg Piper, Chefarzt der Inneren Abteilung der Meduna-Klinik in Bad Bertrich, im Fachblatt „Facharzt“ (1/2008). „Zur Registrierung werden paarige Stauungsmanschetten an den verschiedenen Etagen der Extremitäten angelegt (Oberschenkel, Unterschenkel, Fußrücken, Zehen). Die Untersuchung der Zehen wird als akrale Oszillographie bezeichnet. Bei Anwendung der so genannten 50mmHG-Technik werden die jeweiligen Luftmanschetten mit einem Druck von 50mmHg gefüllt. Die pulssynchronen Lumenschwankungen führen zu gleichgerichteten Druckschwankungen in den Manschetten, welche EKG-synchron aufgezeichnet werden. Die erhältlichen Pulsationskurven sind prinzipiell im Seitenvergleich zu beurteilen. Arterielle Stenosen oder Verschlüsse führen zu charakteristischen Veränderungen der Oszillogramme in den nachgeschalteten Extremitätenabschnitten.“ ❚ Mit Hilfe der B-Bild-Sonografie (auch „BMode“ genannt, wobei B, englisch, für „brightness modulation“ steht) wird die © Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download (Foto: © Capio Mosel-Eifel-Klinik) Venenerkrankungen Information des Amplituden-Modus anders aufgenommen, sodass die Echointensität in Helligkeit umgesetzt wird. Damit lässt sich ein Gefäß mit seinem Hohlraum direkt darstellen. Verengungen werden so direkt bildhaft sichtbar, während sie bei der Doppler-Sonographie aufgrund schnelleren Blutflusses indirekt erschlossen werden. ❚ Die Duplex-Sonographie vereint die Vorteile von Doppler-Sonographie und BBild. Auf dem Bildschirm sieht man einerseits die Gefäßbegrenzungen, zusätzlich jedoch farbig überlagert den Blutfluss innerhalb des Gefäßes. Gefäßeinengungen lassen sich so sehr präzise beurteilen und man kann eventuelle Verschlechterungen der Situation bis hin zum drohenden Gefäßverschluss rechtzeitig erkennen. Therapie des Ulcus cruris venosum ❚ Verödung und operative Therapie: Werden insuffiziente oberflächliche Venen, die infolge Reflux zu einer Überlastung der tiefen Venen führen, entfernt, erreicht man meist eine allgemeine Verbesserung der venösen Funktion. Auch insuffiziente Verbindungsstellen zwischen oberflächlichem und tiefem Venensystem (Krosse) können gleichzeitig ausgeschaltet werden. Die Verödung (Sklerosierung) eignet sich vor allem bei kleineren Krampfadern. Mit einer feinen Nadel wird ein Mittel injiziert, das – unterstützt durch einen Kompressionsverband – eine Verklebung der Venenwände verursacht. Nach einigen Monaten hat der Körper diese Venen resorbiert. Eine Verödung erfolgt ambulant. © Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download Vor allem Besenreiser und kleine Krampfadern können verödet werden. Beim so genannten Stripping werden über kleine Einschnitte in der Leistenbeuge, in der Kniekehle oder am Fußknöchel ganze Stämme oberflächlicher Venen mittels einer Sonde aus der Unter- Unter der Voraushaut gezogen („ge- setzung, dass die strippt“). Andere Ve- tiefen Stammvenen nen übernehmen ih- intakt sind, erreicht man durch das re Funktion. Strippen oberflächBei der Crossektomie licher Venen eine (operative Behand- deutliche Verbesselung der Stamm- rung der Situation veneninsuffizienz) wird die große Rosenvene an ihrer Eintrittsstelle ins tiefe Venensystem durchtrennt. Je nachdem, ob die große (V. saphena magna) oder die kleine Stammvene (V. saphena parva) oder beide defekt sind, wird nach der Betäubung entweder in der Leiste oder in der Kniekehle ein wenige Zentimeter großer Schnitt gemacht und die defekte Stammvene freigelegt. Anschließend unterbindet der Operateur alle dort in die Vene einmündenden kleinen Seitenäste (so genannter Venenstern). Abschließend wird die Stammvene an der Einmündung zur tiefen Beinvene ebenfalls unterbunden und durchtrennt. Im 5 Venenerkrankungen Anschluss daran führt der Arzt eine flexible Sonde in die abgetrennte Stammvene ein und schiebt diese bis knapp zur gesunden Stelle vor. Mit Hilfe der Sonde wird die Vene gezogen (Stripping). Die Restkrampfadern lassen sich später veröden. Der Eingriff wird meist in örtlicher Betäubung, in der sogenannten Tumeszenzlokalanästhesie durchgeführt. Vorteilhaft dabei ist, dass der Patient während des Eingriffs beweglich bleibt und dadurch das Thrombose-Risiko im Vergleich zur Vollnarkose verringert wird. Ulkus-Chirurgie Gewebeschäden, die durch das Absterben von Zellen entstehen, blockieren die Wundheilung. Unzureichend durchblutetes Gewebe muss entfernt werden. Nach einem chirurgischen Debridement des Ulkus kann eine plastische Deckung mit Meshgraft (freier Vor einer plasti- Hautlappen aus Spaltschen Deckung haut mit zahlreichen sollten jedoch urfeinen Einschnitten, sächliche insuffiziente Venenab- damit dieser netzartig schnitte saniert und auseinander gezogen Infektionen behan- werden kann, um eidelt sein ne möglichst große Fläche zu erhalten) sowie mit Spalt- oder Vollhaut durchgeführt werden. Lokaltherapie Neben der Behandlung der die Ulzeration auslösenden Erkrankung(en) muss auch auf eine ungestörte Wundheilung geachtet werden. Ein optimaler Wundverband leistet: ❚ Verminderung von Schmerzen und Juckreiz 6 ❚ Aufnahme von Wundsekret, ohne die Wunde auszutrocknen ❚ inertes bzw. nicht irritatives Material ❚ größtmögliche Schonung der Wunde beim Verbandswechsel ❚ Durchlässigkeit für Sauerstoff und Kohlendioxid (O2/CO2) ❚ Schutz gegenüber physikalischen, chemischen und mikrobiellen (Bakterien, Pilze, Viren) Einflüssen ❚ Adaptionsfähigkeit an die jeweiligen Wundheilungsphasen. Physikalische Therapie und Kompression Manuelle Lymphdrainage und apparativ intermittierende Kompression stehen ebenso auf dem Plan wie gegebenenfalls die krankengymnastische Mobilisierung des Patienten unter besonderer Hervorhebung der Sprunggelenksbeweglichkeit. Sobald als möglich erfolgt ein intensives kontrolliertes Gehtraining. Eine konsequente Kompressionsbehandlung mit Kompressionsverbänden oder Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse II-III ist zweckmäßig. Arterielle Durchblutungsstörungen im Anwendungsbereich müssen im Rahmen der Indikationsstellung als Kontraindikationen berücksichtigt werden (nach Schweregrad relativ bzw. absolut). Das gilt ganz besonders für ihre Anwendung bei peripheren Neuropathien mit Verminderung der Sensibilität. Die medizinische Kompressionstherapie ist zusammen mit der Bewegung Grundlage der nichtinvasiven Therapie und kann für sich allein bzw. in Kombination mit invasiven Strategien angewendet werden. Ihre Hauptwirkung entfaltet sie bei Aktivierung der Muskel-Gelenk© Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download Venenerkrankungen Pumpen, weshalb auch die regelmäßigen Gehübungen so außerordentlich wichtig sind. Therapie des Ulcus cruris arteriosum Je früher eine arterielle Verschlusskrankheit entdeckt wird, umso aussichtsreicher ist die Behandlung. Aber auch in fortgeschrittenen Stadien können die modernen medikamentösen Basismaßnahmen sowie gefäßchirurgische Eingriffe das Risiko einer drohenden Amputation verringern. Daneben gewinnen angioplastische Eingriffe immer mehr an Bedeutung. Basis jeder Therapie sind aber nichtinvasive (= konservative) Maßnahmen, die allein oder in Kombination mit den anderen Behandlungen angewandt werden. Hierauf weist beispielsweise die Poliklinik für Angiologie des Universitätsklinikum Essen (www.uk-essen.de/angiologie) auf ihren Internetseiten explizit hin. Besonders zurückhaltend sollte man gegenüber einer Bypass-Operation im Stadium II (Claudicatio intermittens ohne Ruheschmerz oder Gewebsdefekte) sein, heißt es dort. „Denn hier besteht noch keine akute Gefährdung der Extremität und die zeitliche Offenheitsrate der chirurgischen Bypässe ist nicht nur begrenzt, sondern nach einem Verschluss des Bypasses ist die klinische Symptomatik häufig schlechter als vor dem Eingriff.“ Die therapeutischen Möglichkeiten richten sich nach den Erkrankungsstadien (Klassifizierung nach Fontaine): ❚ Stadium I (Beschwerdefreiheit): „Hausgemachte“ Risikofaktoren wie Fehlernährung, Bewegungsmangel, Rauchen © Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download sollte der Patient mit Hilfe einer Art Lebensstil-Therapie in den Griff bekommen. Hierzu gehören auch die Blutdrucknormalisierung bei Hypertonie, die diätetische bzw. medikamentöse Behandlung einer Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie und eventuell eines Diabetes mellitus. Besteht ein entsprechendes Risikoprofil (Hypertonie kombiniert mit Diabetes mellitus oder mit Hyperlipidämie, Nikotinabusus) wirken Thrombozytenaggregationshemmer prophylaktisch. ❚ Stadium II (Claudicatio intermittens): Eine der wichtigsten konservativen Maßnahmen ist ein konsequentes Gehtraining, sofern keine Gegenanzeigen bestehen. Dies fördert die Bildung von Umgehungsbahnen (Kollateralisation) der Gefäße und reduziert das Fortschreiten der pAVK. Neben Lebensstil-Therapie und Gehtraining kommen für Patienten mit ei- Regelmäßige Erregersuche Die Erregersuche ist bei Erstvorstellung eines Ulcus-cruris-Patienten obligat und sollte etwa alle drei Monate wiederholt werden. Besteht der Verdacht, das Geschwür sei infiziert, müssen mikrobiologische Abstriche in engmaschiger Folge vorgenommen werden. Dabei gilt es auch, nach Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA) und Mykobakterien zu fahnden. Ein Epikutantest deckt auf, ob bereits Kontaktsensibilisierungen bestehen. Da Beingeschwür-Patienten im Lauf der Jahre oft mit diversen Pasten, Salben und Tinkturen behandelt worden sind, sollte man dies bei der Auswahl der Testallergene berücksichtigen. 7 Venenerkrankungen ner bereits durch schmerzhafte Claudicatio eingeschränkten Gehstrecke auch vasoaktive Medikamente zur Steigerung der maximalen Gehstrecke in Frage. So konnte die Wirksamkeit der so genannten Prostanoide in vielen Studien nachgewiesen werden. Diese Mittel erhöhen die Fließeigenschaft der Erythrozyten, reduzieren die Thrombozytenaggregation und die Aktivierung der Leukozyten, haben Endothelprotektive Effekte, hemmen die Proliferation glatter Muskelzellen der Gefäßwand und haben wahrscheinlich einen günstigen Einfluss auf den Lipidstoffwechsel. Auch an begleitende Veränderungen der Wirbelsäule sollte gedacht werden. Die bei vielen Patienten zusätzlich vorhandenen Wurzelirritationen im Lendenwirbelsäulen-Bereich können zu zusätzlichen Schmerzen beim Gehen und zu Komplikationen führen, so dass auch begleitende physikalische Maßnahmen (Krankengymnastik, Massagen, Fango) erforderlich sind. ❚ Stadium III (Ruheschmerz ohne Gewebsdefekt): Wegen der inzwischen hohen Amputationsgefahr haben ab diesem Stadium diejenigen Therapien Vorrang, welche die durch Stenosen und Verschlüsse beeinträchtigte Blutversorgung wieder normalisieren. Weiterhin behalten aber auch die konservativen Maßnahmen ihren unterstützenden Effekt, der nicht unterschätzt werden sollte. Woran zudem gedacht 8 werden muss: Der im Stadium III bestehende Ruheschmerz kann eine Schonhaltung der Gelenke hervorrufen, die ohne krankengymnastische Übungen und richtiger Lagerungskorrektur zu Kontrakturen der beteiligten Gelenke führen können. Ein „Wattestrumpf“ sorgt bei verminderter Sensibilität und dem verringerten Schmerzempfinden der ischämischen Extremität dafür, die extrem erhöhte Gefahr von Verletzungen zu reduzieren. Ferner fördert er auch eine Weitstellung der Hautkapillaren und damit die Gewebedurchblutung der ischämischen Extremität. Eine der häufigsten Ursachen von Wundstellen bei Diabetikern und pAVK-Patienten sind falsche oder zu enge Schuhe. Daher sollten für gefährdete Patienten speziell angepasste Therapieschuhe angefertigt werden. ❚ Stadium IV (chronische Wunden, Nekrosen bzw. Gangrän mit/ohne Ruheschmerz): Neben den Maßnahmen des Stadium III kommen hier die Lokalbehandlung der Ulzera (Wundreinigung und Regenerationsunterstützung) und Nekrosen sowie eine eventuelle systemische antiobiotische Therapie hinzu. Die Entfernung von Schorf und Nekrosen fördert den Abfluss von Wundsekret und Eiter und somit auch ein Abheilen der Wunde, ferner wird durch Abstriche der Wundsekrete und der daraus erstellten Antibiogramme eine gezielte Antibiose möglich. Dorothea Kammerer © Podologie Praxis, III, Heft 2/2010/Download