Executive Summary Deutungsmuster von Geschlechterungleichheiten Wie junge Erwachsene in der Schweiz Geschlechterungleichheiten wahrnehmen und deuten Masterarbeit, eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Universität Fribourg (CH) Departement für Sozialwissenschaften Studienbereich Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit Betreuung durch: Prof. Dr. Monica Budowski und Prof. Dr. Michael Nollert Melanie Nussbaumer, 10. Februar 2014 Inhaltsverzeichnis 1. Thematische Einbettung und Fragestellung ................................................................................. 2 2. Forschungsstand ....................................................................................................................................... 3 3. Theoretische Ansätze .............................................................................................................................. 5 4. Methodologie .............................................................................................................................................. 7 5. Darstellung der Ergebnisse .................................................................................................................. 8 6. Diskussion und Schlussbetrachtungen ......................................................................................... 11 Literaturverzeichnis ................................................................................................................................... 14 1 1. Thematische Einbettung und Fragestellung In der Schweiz wurde in den letzten dreissig Jahren bezüglich Gleichstellung von Frauen und Männern vor allem auf der rechtlichen Ebene viel erreicht. So ist die Gleichberechti-­‐ gung von Mann und Frau seit 1981 in der Verfassung verankert. Doch diese rechtlichen Fortschritte haben bis zum heutigen Tag noch nicht zu einer tatsächlichen Gleichstellung in allen Bereichen geführt. Geschlechtsspezifische Ungleichheiten können in vielfältigen Formen und in verschiedenen Lebensbereichen dokumentiert werden: „Sei es die Konzentration von Frauen in schlecht bezahlten sogenannten Frauenberufen, seien es Barrieren bei Karriere und Aufstieg in höhere Positionen, (...) die ungleiche Arbeits-­‐ teilung in Haushalt-­‐ und Familienarbeit oder die Gewalt gegen Frauen, um nur einige zu nennen“ (Cyba 2010:33). Die Analyse der objektiven Ungleichheitsstrukturen vermittelt Aufschlüsse über die Verteilung von wertvollen Gütern auf Frauen und Männer. Sie zeigt aber nicht auf, wie Schweizerinnen und Schweizer die Situation einschätzen oder ob sie etwas gegen geschlechtsspezifische Ungleichheiten unternehmen wollen. Die dieser Zusammen-­‐ fassung zugrundeliegende Masterarbeit hat folgende Fragestellung behandelt: Inwiefern nehmen junge Erwachsene in der Schweiz Geschlechterungleichheiten wahr und wie werden diese gedeutet? Das Forschungsinteresse liegt nicht nur darin, ob junge Erwachsene die Geschlechter-­‐ ungleichheiten wahrnehmen, sondern auch welches Verständnis sie von einzelnen Dimensionen haben. Weiter steht die Frage im Zentrum, wie junge Erwachsene die Ungleichheiten deuten respektive welche Erklärungen und Rechtfertigungen dafür herbeigezogen werden. Darüber hinaus geht es darum, die kollektiven sozialen Deutungsmuster zu verstehen. Das Konzept der sozialen Deutungsmuster geht von einem von mehreren Individuen geteilten Interpretationsmuster aus, welches sich auf ein bestimmtes Problem (hier: Geschlechterungleichheiten) bezieht. Deutungsmuster können analytisch auf eine kognitive sowie normative Dimension aufgeteilt werden. Bei der ersten Dimension geht es darum, inwiefern Ungleichheiten wahrgenommen und begründet werden. Die normative Ebene beinhaltet die Bewertung und Legitimation der wahrgenommenen Ungleichheiten. Ein Schwerpunkt liegt weiter darin, zu ergründen, wie die Ursachen sozialer Ungleichheiten interpretiert werden. Wird von einer grundsätzlichen Veränderbarkeit ausgegangen, bildet dies eine Basis für die Entwicklung delegitimierender, ungleichheitskritischer Perspektiven auf die sozialen Verhältnisse (Sachweh 2011:565–568). 2 2. Forschungsstand Das wissenschaftliche Vorwissen zur Thematik lässt sich in quantitative und qualitative Studien einteilen. Quantitative Studien zur Wahrnehmung von Ungleichheiten lassen sich vor allem in der klassischen soziologischen Ungleichheitsforschung ansiedeln. Dabei wird meistens eine Mikro-­‐ sowie eine Makroperspektive eingenommen. Die Mikroperspektive fragt danach, wie einzelne Individuen ihre Position in der Gesellschaft einschätzen. In der Makroperspektive geht es darum, herauszufinden, wie die Ungleichheitsstruktur der eigenen Gesellschaft wahrgenommen wird (Noll 1996:491). Für die Schweiz fanden Stamm, Lamprecht und Nef heraus, dass „was auf der allgemeinen Ebene der Strukturwahrnehmung konstatiert wird, (...) offenbar nicht oder nur sehr bedingt auf die eigene Situation übertragen [wird]“, was auf eine gewisse Fragmentierung der Wahrnehmung hinweist (Stamm et al. 2003:143). Diese Ergebnisse decken sich mehrheitlich mit Studien aus anderen Ländern. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass soziale Ungleichheiten von der Mehrheit der Bevölkerung als zu gross bewertet werden, wobei das Ausmass dabei noch unterschätzt wird (Sachweh 2009:36–37). Ein weiterer Forschungsstrang, der konkreter auf die Wahrnehmungen von Geschlechterungleichheiten eingeht, lässt sich in den USA verorten. Autoren einer älteren Studie fanden heraus, dass Frauen grundsätzlich Geschlechterungleicheiten stärker wahrnehmen. Weiter sind gut gebildete Personen sowie Frauen, die mit gut verdienenden Männern verheiratet sind, weniger für Massnahmen zur Reduzierung der Ungleichheiten zu gewinnen (Davis und Robinson 1991). Kane (1995, 1998, 2000) hat verschiedene Artikel veröffentlicht, die den Einfluss von Familienstatus und -­‐abhängig-­‐ keiten, Bildung sowie ethnische Herkunft auf die Wahrnehmungen von Geschlechter-­‐ ungleichheiten und deren Kritik untersuchen. Aktuellere Annäherungen an die Thematik sind in der Sozialpsychologie anzusiedeln (Stephens und Levine 2011; Kehn und Ruthig 2013). Der qualitative Forschungsstrang lässt sich in drei Untergruppen einteilen. Zum einen existiert in der soziologischen Ungleichheitsforschung eine Gruppe von Forschenden, die sich mit einer qualitativen Methodik an der Fragestellung versucht (vgl. Sachweh 2009:31). Die Ergebnisse einer ausführlichen Studie zu Deutungsmustern sozialer Ungleichheiten in Deutschland weisen darauf hin, dass sich die geteilten Interpretationsmuster über Klassen-­‐ und Geschlechtsgrenzen hinweg ähneln (Sachweh 2011). Weiter wird festgestellt, dass das Potenzial für Ungleichheitskritik im Vergleich 3 zu den legitimierenden Deutungen von Ungleichheiten gering ausfällt (Sachweh 2009:285) und obwohl eine latente Widersprüchlichkeit zwischen den einzelnen Deutungmustern besteht, kombinieren die Befragten diese in ihren alltagsweltlichen Erklärungen (Sachweh 2011). Die zweite Untergruppe von Studien beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von Geschlechterungleichheiten (von Alemann 2008; Puchert und Höyng 2000) sowie dem Bewusstsein von geschlechtsspezifischen Normen und sozialen Rollenbildern (Meuser 2004, 2006; Wolde 2007). Studien in diesem Bereich weisen auf ein Spannungsfeld zwischen traditionellen Normen und neuen Gleichheitsidealen auf (Kaufmann 2005; Koppetsch und Burkart 1999). Die dritte Untergruppe ist bei der Forschung von Lebensentwürfen von jungen Erwachsenen festzumachen. Studien hierzu haben gezeigt, dass junge Personen ver-­‐ mehrt das Gefühl haben, sie seien für ihre Erfolge oder Nicht-­‐Erfolge selbst verant-­‐ wortlich (Brannen und Nilsen 2005:423; du Bois-­‐Reymond 1998; Bertaux 1997). Ein ähnliches Fazit wird auch in Studien über junge Frauen gezogen: „Noch bestehende Ungleichheiten werden eher als ‚Altlast’ wahrgenommen, die sich im Zuge weiterer Modernisierungsprozesse gleichsam von selbst auflösen wird“ (Oechsle und Geissler 2004:201; vgl. auch Born et al. 1996; Keddi 2004). In einer aktuellen Studie aus der Schweiz wurde ein Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen entdeckt, bei dem ein Nebeneinander von einer "nicht-­‐geschlechtsgebundenen, indi-­‐ viduellen und einzigartigen Persönlichkeit" und dem "Fortbestehen vergeschlechtlichter Normen" besteht (Schwiter 2011:215; vgl. Geissler und Oechsle 2000). Grundsätzlich mangelt es somit in der Ungleichheitsforschung an qualitativen und umgekehrt bei der Geschlechterforschung an quantitativen Studien. Das mehrstufige methodische Verfahren, welches für die vorliegende Arbeit gewählt wurde, behebt diese beiden Defizite. Weiter sollten für Geschlechterstudien vermehrt Männer miteinbezogen werden, denn bisherige Forschungen zu ähnlichen Fragestellungen behandeln meistens nur die Sicht der Frauen. Theoretische Herleitungen und Erklärungen fallen in der bisherigen Forschungsliteratur zum Thema relativ spärlich aus. Ein Anliegen der Arbeit bestand somit auch darin, den theoretischen Rahmen innerhalb dieses Forschungs-­‐ bereichs zu öffnen. 4 3. Theoretische Ansätze Zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung wurden zwei theoretische Konzepte gewählt. Die neoliberale Gouvernementalitätstheorie von Foucault (1989, 1991) sowie das Konzept der rhetorischen Modernisierung von Wetterer (2003, 2004) bieten Erklärungsansätze an, um die individuellen und kollektiven Wahrnehmungen und Deutungen von Geschlechterungleichheiten zu ergründen. In der neueren Gouvernementalitätsforschung, welche im Anschluss an Foucault entstanden ist, wird vermehrt auf den Neoliberalismus als gegenwärtige Regierungs-­‐ weise verwiesen. Es geht im Konzept der Gouvernementalität darum, die sich transformierenden Beziehungen und Trennungen zwischen dem Sozialen, Politischen, Ökonomischen und dem Privaten zu analysieren (Schultz 2005:29). Die Neu-­‐ strukturierung des Neoliberalismus wird dadurch definiert, dass die Verantwortung für gesellschaftliche Risiken dem Individuum übertragen werden: „Da die Wahl der Handlungsoptionen innerhalb der neoliberalen Rationalität als Ausdruck eines freien Willens auf der Basis einer selbstbestimmten Entscheidung erscheint, sind die Folgen des Handelns dem Subjekt allein zuzurechnen und von ihm selbst zu verantworten“ (Lemke 2000:38). Im Gegensatz zum vorangehenden Fordismus, wo sich die Idealfigur „(...) durch Stabilität in den Identitätsdimensionen der sozialen Beziehungen, des Berufes, des Wohnorts und der Geschlechterrollen auszeichnete, ist die neoliberale Figur in all diesen Hinsichten flexibel“ (Ludwig 2011:237). Die Verantwortlichkeiten für die sozialen Probleme der modernen Gesellschaften werden dabei kollektiven oder individuellen Subjekten übertragen und von „sozialen Problemen“ zu „Problemen der Selbstsorge“ transformiert (Lemke 2000:38). Somit verlieren „soziale Markierungen wie Klasse, Herkunft, Geschlecht (...) an Relevanz, insofern das Versprechen kursiert, sie könnten individuell überwunden werden“ (Engel 20002:202). Beim Konzept der Privatisierung der Geschlechterverhältnisse wird davon ausgegangen, dass die Geschlechterstruktur nicht mehr als beeinflussende Grösse wahrgenommen wird, sondern jede Frau und jeder Mann sich selbst als verantwortungsbewusstes Subjekt sieht, das für die eigene soziale Stellung verantwortlich ist (Schwiter 2011). Der "Glaube der Selbstverantwortlichkeit" kann zum einen eine gewisse Freiheit bezüglich Abweichungen von Geschlechternormen mitsichbringen. Andererseits zieht dieser "Selbstbestimmungsglauben" nach sich, dass fortbestehende Normen und die insti-­‐ tutionalisierten Effekte von Geschlechterungleichheiten inkorporiert werden. Maihofer nennt dies die "Naturalisierung des Gesellschaftlichen" (Maihofer 2007:284). Der Pro-­‐ 5 zess führt zu einer Immunisierung der Geschlechterverhältnisse und damit zu einem Schutz fortbestehender Geschlechterungleichheiten gegen Kritik (Schwiter 2011:243; vgl. auch Brodie 2004; Wichterich 2010; Ludwig 2011; Bröckling 2002). Das Konzept der rhetorischen Modernisierung von Wetterer (2003, 2004) geht konkreter auf die Thematik der diskursiven Norm der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und auf die Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis ein. Die Autorin macht die Beobachtung, dass auf individueller Basis von den Akteuren Geschlechterpositionen reproduziert werden, „mit denen sie eigentlich nicht mehr das Geringste zu tun haben wollen“ (Wetterer 2003:303). Diese Diskrepanz nennt Wetterer die „rhetorische Modernisierung“: „Die latenten Geschlechternormen, die das praktische Handeln bestimmen, und die expliziten Geschlechternormen, an denen sich das Reden orientiert, klaffen weit auseinander“ (Wetterer 2004:62). Diese Analyse scheint für die Autorin deshalb als politisch und gesellschaftlich relevant, da der Prozess verschiedene Teil-­‐ aspekte der sozialen Wirklichkeit systematisch ausblendet: „Die rhetorische Modern-­‐ isierung, die Modernisierung des diskursfähigen Differenzwissens, schliesst als Kehrseite die De-­‐Thematisierung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ein“ (Wetterer 2003:290). Aus dem Zusammenwirken der oben genannten Theorien und Konzepten wird folgende allgemeine These abgeleitet: Durch neoliberale diskursive Vorgänge findet eine Privatisierung der Geschlechter-­‐ ungleichheiten statt. Dieser Prozess wird dadurch verstärkt, indem die explizite Norm der Gleichberechtigung von Frauen und Männern faktische Ungleichheiten verdeckt. Von dieser These ausgehend, wird angenommen, dass junge Erwachsene Ungleichheiten nur schwach wahrnehmen, da diese aufgrund der rhetorischen Modernisierung dethematisiert werden. Ungleichheiten werden auch deshalb weniger wahrgenommen, weil durch die vorherrschende neoliberale Gouvernementalität Geschlechter-­‐ verhältnisse privatisiert werden. Es wird von einem dominanten Erklärungsmuster der Selbstbestimmung ausgegangen. Strukturelle oder gesellschaftliche Ursachen für Ungleichheiten werden verdrängt und Erklärungen der „freien Wahl“ in den Vordergrund gerückt. Als Letztes wird angenommen, dass Geschlechterungleichheiten von jungen Erwachsenen als Probleme der Selbstsorge definiert werden. Aufgrund des Prozesses der rhetorischen Modernisierung ist davon auszugehen, dass bestehende Geschlechterungleichheiten akzeptiert werden, denn Frauen und Männer werden als grundsätzlich gleichgestellt verstanden. 6 4. Methodologie Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden zwei methodische Schritte durch-­‐ geführt. Als erster Schritt wurde aus bestehenden Daten des Schweizer Haushalt-­‐Panels (SHP 2011) eine multiple Regressionsanalyse berechnet. Das Ziel dabei war, verschiedene Einflussvariablen in Bezug auf die abhängige Variable des Bewusstseins von Geschlechterungleichheiten zu testen. Aus einer Gesamtstichprobe von 7’584 befragten Individuen wurden nur die 20-­‐ bis 30-­‐Jährigen – das heisst die in der Arbeit als junge Erwachsene definierten Personen – in die Berechnungen miteinbezogen. Das ergab eine Stichprobe von 1’346 Personen (SHP 2011). Aufgrund der professionell durchgeführten Datenerhebung wird von einer hohen Qualität der Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität ausgegangen (Vorpoostel et al. 2012). Die Analyse der multiplen Regression hat dabei einen explorativen Charakter angenommen. Das zu erklärende Konzept wurde als additiver Index aus drei Variablen gebildet, welche als Indikatoren für ein unterschiedlich hohes Bewusstsein von Geschlechterungleichheiten verstanden werden. Als unabhängige Variablen wurden neben persönlich-­‐familiären Merkmalen wie dem Alter, Geschlecht, ob man in einer Partnerschaft lebt, verheiratet ist und Kinder hat, verschiedene sozioökonomische Items (Einkommen, Bildungsniveau, Erwerbstätigkeit) sowie die politische Einstellung und das politische Interesse in die Analyse miteinbezogen. Die in der Regression signifikanten Einflussfaktoren dienten in einem zweiten Schritt als Grundlage für die Auswahl von zwölf jungen Erwachsenen, mit denen diskursive Interviews durchgeführt wurden. Durch die Analyse des Interviewmaterials konnte am Ende das Forschungsziel – die Rekonstruktion von Deutungsmustern von Geschlechter-­‐ ungleichheiten – erreicht werden. Deutungsmuster, welche eher auf der Makroebene zu verorten sind, können nicht direkt erfasst werden. Auf einer Mikroebene wird von Derivationen ausgegangen. Das sind konkretisierte oder adaptierte individuelle Deutungsmuster, deren Zweck darin besteht, Situationen zu erklären und zu begründen: „Die Rekonstruktion lebensweltlicher Deutungsmuster kann daher nur über den Umweg individueller Derivationen erfolgen, die so analysiert, verdichtet und typisiert werden müssen, dass sie konsistente Deutungsmuster erkennen lassen“ (Ullrich 1999:431). Das Ziel der Deutungsmuster-­‐ analyse ist eine Typologie der bezüglich des Bezugsproblems „Geschlechterungleich-­‐ heiten“ existierenden Deutungsmuster. 7 Die Auswahl der zu befragenden Personen basierte auf den signifikanten Merkmalen der quantitativen Analyse. Dabei wurde darauf geachtet, dass möglichst verschiedene Kombinationen abgedeckt sind. Die Auswertung der Interviews wurde anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2012:77–98) durchgeführt. Das Interviewmaterial wurde durch einen systematischen Vergleich von Stellungnahmen und Begründungen ausgewertet und interpretiert, wobei eine queranalytische Kontrastierung der Fälle als wichtigstes Merkmal der Auswertung fungiert. Im Allgemeinen orientiert sich das qualitative methodische Verfahren an den von Steinke (2005) empfohlenen Gütekriterien sowie an den Hinweisen von Ullrich (1999) zur Deutungsmusteranalyse. 5. Darstellung der Ergebnisse Das Regressionsmodell, welches die Stärke verschiedener Einflussfaktoren auf das Bewusstsein von Geschlechterungleichheiten berechnete, hat Folgendes ergeben: Alter und das politische Interesse haben einen signifikant positiven Einfluss auf das Bewusstsein von Geschlechterungleichheiten. Weiter ist die Problematik Frauen eher bewusst als Männern. Im Vergleich zu Singles nehmen Personen, die in einer Partner-­‐ schaft leben, Geschlechterungleichheiten stärker war. Andererseits ist Verheirateten im Vergleich zu ledigen Personen die Problematik weniger bewusst. Je höher jemand gebildet ist und je weiter rechts sich eine Person politisch einstuft, desto weniger werden Ungleichheiten wahrgenommen. Diese Ergebnisse bestätigen die Resultate der amerikanischen Studien zu diesem Thema. Auch dass das Modell eher wenig der Varianz des abhängigen Konzepts erklärt, entspricht Resultaten ähnlicher Studien. Die Annahme, dass sich mit einer quantitativen Methode nicht alle Widersprüchlichkeiten lösen lassen, wird somit bestätigt. Das Regressionsmodell ist jedoch signifikant und somit verall-­‐ gemeinerbar. Anhand diskursiver Interviews, welche mit zwölf jungen Erwachsenen geführt wurden, konnte zusätzlich erforscht werden, ob und welche Geschlechterungleichheiten wahrgenommen werden. Die meisten Befragten gehen von einer grundsätzlichen Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern aus. Dabei weisen sie auf ver-­‐ schiedene Hindernisse hin, welche vor allem Frauen in den Weg gelegt werden. Dies führt sie jedoch nicht zu einer negativen Beurteilung der Chancengleichheit. Unter „gleiche Chancen zu haben“ verstehen sie, dass Frauen und Männer theoretisch das 8 Gleiche erreichen können. Weiter wird zwar Männern grundsätzlich mehr gesell-­‐ schaftliche Macht zugeschrieben, doch auf der politischen Ebene wird ein sich Aus-­‐ gleichen der Machtverhältnisse wahrgenommen. Rechtliche Geschlechterungleichheiten erkennen die jungen Erwachsenen beim fehlenden Vaterschaftsurlaub oder bei der Wehrpflicht für Männer. Benachteiligungen von Frauen und Männern sehen sie in klar definierten männlichen und weiblichen Berufswegen, wobei man bei einer geschlechtsuntypischen Berufswahl mit stereotypen Vorurteilen konfrontiert wird. Die Zuschreibung der Frau zur häuslichen Sphäre setzen die jungen Erwachsenen mit einer Abwertung der Frau gleich. So zementieren sie das hierarchische Verständnis zwischen Produktions-­‐ und Reproduktionssphäre. Auch in der Erwerbssphäre werden Frauen als benachteiligt wahrgenommen. Den meisten jungen Erwachsenen ist bewusst, dass eine geschlechtsspezifische Einkommensungleichheit besteht. Dass Frauen auch bei Anstel-­‐ lungs-­‐ und Beförderungsverfahren benachteiligt werden, wird verschiedentlich erkannt. Auf der anderen Seite wird vor allem von Männern erwähnt, dass Frauen in Anstellungs-­‐ verfahren öfters bevorzugt werden, da sie für eine Durchmischung von Arbeitsteams gesucht sind. Dies führe wiederum zu einer Benachteiligung von Männern. Warum diese Ungleichheiten existieren, begründen die jungen Erwachsenen anhand von vier Erklärungsmustern. Das erste Set an Erklärungen fasst sich im Begriff der scheinbaren natürlichen Faktizität zusammen. Ungleichheiten werden entweder mit natürlichen Unterschieden zwischen Frauen und Männern erklärt oder damit, dass auf-­‐ grund einer historischen Kontinuität gewisse Benachteiligungen durch einen auto-­‐ matischen Prozess entstanden sind. Typische weibliche oder männliche Eigenschaften werden hierzu als natürliche Tatsachen begriffen. Im Gegenteil dazu weisen die Ursachenbegründungen aufgrund kultureller Umstände auf die von der Gesellschaft erwarteten Rollenbilder hin, welche wiederum zu diversen Ungleichheiten führen. Strukturelle Erklärungen werden beispielsweise in fehlenden Kindertagesstätten oder im fehlenden Vaterschaftsurlaub gesehen. Als letzte Gruppe von Ursachenbegründungen sind individualistische Erklärungen zu nennen. Hier wird davon ausgegangen, dass indi-­‐ viduelle und vor allem freie Entscheidungen die Ungleichheitsstruktur bestimmen. Nur zwei von zwölf befragten jungen Erwachsenen definieren Geschlechterungleich-­‐ heiten als gesellschaftliches Problem. Alle anderen stufen die Thematik als nicht allzu problematisch ein. Dabei meint die Mehrheit der Befragten, dass die Möglichkeiten für Frauen und Männer vorhanden sind, Ungleichheiten individuell zu überwinden. So werden auch sozialpolitische Massnahmen als nicht wünschenswert betrachtet. Weiter 9 wird von den jungen Erwachsenen zum einen angenommen, dass sich Ungleichheiten von alleine auflösen. Zum anderen besteht die Meinung, dass die Gleichheit der Ge-­‐ schlechter nie erreicht werden kann, weil Frauen und Männer immer verschieden sein werden. Diese kognitiven und normativen Einschätzungen von Geschlechterungleichheiten lassen sich zusammenfassend in vier soziale Deutungsmuster einordnen, welche in folgender Tabelle dargestellt werden. Tabelle 1: Überblick der vier Deutungsmuster von Geschlechterungleichheiten Kognitive Dimension: Kognitive Dimension: Normative Dimension: allgemeine Wahrnehmung Erklärungsversuche Bewertung & Massnahmen Deutungs-­‐ Betonung liegt auf Private, individuelle und Ungleichheiten werden muster der Chancengleichheit, die als selbstverantwortliche nicht als soziales Problem Selbst-­‐ gegeben eingeschätzt wird Entscheidungen führen zu bewertet, da individuell Ungleichheiten mit genügend Selbstver– verantwortung antwortung überwindbar. Massnahmen sind unnötig Deutungs-­‐ Es können Ungleichheiten Rollenaufteilung der Ungleichheiten werden muster der wahrgenommen werden, Steinzeit, Bibel oder mehrheitlich akzeptiert. historischen müssen aber nicht familiären Traditionen Massnahmen sind unnötig, führen zu Ungleichheiten. da sich Ungleichheiten Betonung der automatisch verringern Unvermeidbarkeit des (Fortschrittsglauben) Kontinuität historischen Prozesses Deutungs-­‐ Es können Ungleichheiten Ungleichheiten bestehen Ungleichheiten werden muster der wahrgenommen werden, wegen natürlichen akzeptiert, denn Frauen Natur-­‐ aber Betonung liegt auf den Unterschieden, die zu und Männer werden nie bedingtheit körperlichen definierten Charakter-­‐ gleich sein. Massnahmen Unterschieden zwischen eigenschaften und sind unnötig Frauen und Männern Geschlechterrollen führen Deutungs-­‐ Ungleichheiten werden Strukturelle Umstände Ungleichheiten werden als muster der wahrgenommen sowie kulturell soziales Problem bewertet System-­‐ und konstruierte Rollenbilder und Massnahmen sind Kulturbedingt-­‐ führen zu Ungleichheiten erwünscht heit Quelle: Eigene Darstellung 10 Die befragten Personen verwenden gleichzeitig verschiedene Elemente einzelner Deutungsmuster, auch wenn sich diese latent widersprechen. Somit sind die rekonstruierten Deutungsmuster nicht konkurrierend, sondern können im alltags-­‐ weltlichen Gebrauch koexistieren. 6. Diskussion und Schlussbetrachtungen Die Annahme einer sich durchsetzenden neoliberalen Gouvernementalität, welche eine Privatisierung der Geschlechterverhältnisse mit sich bringt und die Selbstverantwortung ins Zentrum stellt, kann anhand von zwei Deutungsmustern bestätigt werden. So entspricht das Deutungsmuster der Selbstverantwortung der von der Theorie und bisheriger Forschungsliteratur beschriebenen neoliberalen Rationalität: Geschlechterungleichheiten werden aufgrund individueller und privater Entscheidungen erklärt und gerechtfertigt. Strukturelle Einflüsse werden völlig ausgeblendet und staatlich oder wirtschaftliche Massnahmen zur Reduktion von Ungleichheiten werden für unnötig gehalten, denn jede Frau und jeder Mann kann diese individuell überwinden. Diese Annahme entspricht dem Leitbild der neoliberalen Gouvernementalität, welche besagt, dass jede und jeder UnternehmerIn ihrer/seiner selbst ist (Bröckling 2002) und somit selbstverantwortlich dafür „sorgen“ muss, gleichberechtigt zu sein. So wird die Verantwortung für gesellschaftliche Risiken individualisiert und von sozialen Problemen zu Problemen der Selbstsorge trans-­‐ formiert. Auch innerhalb des Deutungsmusters der Naturbedingtheit können Anzeichen neoliberaler diskursiver Vorgänge beobachtet werden. Durch den Verweis auf natürliche biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern als Begründung für bestehende Ungleichheiten werden wiederum Strukturen und gesellschaftliche Vorgänge vollständig ignoriert. Auch hier werden Massnahmen zur Verminderung von Geschlechterungleichheiten für unnötig gehalten, da es laut diesem Deutungsmuster sowieso nie zu einer Gleichheit der Geschlechter kommen kann. Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern werden somit durch das Deutungsmuster der Naturbedingtheit sowie der Selbstverantwortung ins Private gerückt, wie dies Schwiter für die Geschlechterverhältnisse durch die neoliberale Gouvernementalität beschreibt (Schwiter 2011). 11 Innerhalb des Deutungsmusters der historischen Kontinuität werden zwar Massnahmen zur Verminderung von Geschlechterungleichheiten als unnötig empfunden, aber nicht aufgrund eines Glaubens an die Selbstverantwortung oder an eine natürliche Ungleichheit, sondern wegen eines starken Fortschrittglaubens. Ähnlich geht auch das Deutungsmuster der Struktur-­‐ und Kulturbedingtheit von strukturellen oder kulturellen Ursachen für Geschlechterungleichheiten aus. Für diese zwei Deutungsmuster können die theoretischen Annahmen der neoliberalen Gouvernementalität nicht bestätigt werden. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass sich junge Erwachsene zum Teil neoliberaler Regierungsstrategien bedienen, aber auch andere Interpretationen ver-­‐ wenden. Hinweise auf die Existenz der rhetorischen Modernisierung lassen sich im Deutungs-­‐ muster der Selbstverantwortung und der historischen Kontinuität erkennen. Bei ersteren gehen die Personen davon aus, dass Chancengleichheit besteht. Theoretisch könnte eine Gleichstellung, wenn alle Individuen das wollten, heute schon bestehen. Beim Deutungsmuster der historischen Kontinuität weist ein starker Fortschrittsglaube auf die Vermutung hin, dass Geschlechterungleichheiten von Tag zu Tag abnehmen und die Gleichheit zwischen den Geschlechtern als einziges mögliches Zukunftsszenario auto-­‐ matisch erfolgt. Dieser positive Zukunftsglaube kann, wie das Konzept der rhetorischen Modernisierung besagt, zu einer Ignoranz der bestehenden Ungleichheiten führen. Dies wird in der Bewertung von staatlichen Massnahmen offensichtlich, welche als unnötig empfunden werden. Gegen die Annahmen der rhetorischen Modernisierung spricht das Deutungsmuster der Naturbedingtheit. Hier wird davon ausgegangen, dass Frauen und Männer nie gleich sein werden. Auch beziehen sich die jungen Erwachsenen in diesem Deutungsmuster vielfach auf geschlechtsspezifische Normen. So stimmt es zwar, dass Geschlechterungleichheiten als unproblematisch bewertet werden, wie dies das Konzept der rhetorischen Modern-­‐ isierung besagt. Jedoch geschieht dies nicht wegen einer grundsätzlichen Annahme der schon existierenden Gleichheit von Frauen und Männern, sondern eher aufgrund einer Akzeptanz der noch bestehenden Ungleichheiten. Auch beim Deutungsmuster der Struktur-­‐ und Kulturbedingtheit nehmen die Personen nicht an, dass Frauen und Männer gleichgestellt sind, was dem Konzept der rhetorischen Modernisierung widerspricht. In Bezug auf das Konzept der rhetorischen Modernisierung kann das Fazit gezogen werden, dass Hinweise auf einen solchen Prozess bestehen. Aufgrund der verbreiteten Annahme, dass Frauen und Männer natürlich unterschiedlich sind und deshalb von 12 einer Unvermeidbarkeit von Ungleichheiten ausgegangen wird, kann die These jedoch nicht ganzheitlich bestätigt werden. Da sich die meisten jungen Erwachsenen verschiedener Deutungsmuster gleichzeitig bedienen, wird davon ausgegangen, dass sie neoliberale Diskurselemente gebrauchen und sich auch der Prozess der rhetorischen Modernisierung aufgrund der hier vorgestellten Resultate bewahrheitet. Dies schliesst jedoch andere geteilte Inter-­‐ pretationen, die weder von einer Gleichstellung noch von einer individuellen Über-­‐ windbarkeit von Ungleichheiten ausgehen, nicht aus. Es zeigt sich also ein gleichzeitiges Nebeneinander von verschiedenen Deutungsmustern von Geschlechterungleichheiten, die sich auch gegenseitig widersprechen können. So wird am ehesten die These von Maihofer, die von einer paradoxen Gleichzeitigkeit von Relativierungen und Re-­‐Markierungen von Geschlechterdifferenzen ausgeht, bestätigt (Maihofer 2007). Die mehrheitliche Akzeptanz der Geschlechterungleichheiten impliziert einen gewissen Unvermeidbarkeitsglauben. So werden in den drei Deutungsmustern der Selbstver-­‐ antwortung, der Naturbedingtheit sowie der historischen Kontinuität Geschlechter-­‐ ungleichheiten als unproblematisch bewertet. Massnahmen zur Verminderung dieser Ungleichheiten werden nicht als wünschenswert erachtet. Im Deutungsmuster der historischen Kontinuität besteht zwar die Annahme, dass sich Ungleichheiten mit der Zeit verringern werden. Dass gesellschaftliche Handlungen dieser Prozess beschleunigen könnten, wird dabei aber nicht wahrgenommen. Es wird hier eher von einem quasi-­‐automatischen Prozess eines gesellschaftlichen Wandels ausgegangen. Nur im Deutungsmuster der Struktur-­‐ und Kulturbedingtheit lässt sich ein Verständnis der Vermeidbarkeit von Ungleichheiten beobachten. Hier muss jedoch darauf hinge-­‐ wiesen werden, dass sozialpolitische Massnahmen nur von einer kleinen Minderheit der Befragten als wichtig erachtet werden. So scheint das Potenzial für delegitimierende Bewertungen von Ungleichheiten im Vergleich zu den legitimierenden Interpretationen eher gering auszufallen, was bisherige Forschungsresultate bestätigt (vgl. Sachweh 2009:285). Das Veränderungspotenzial von Geschlechterungleichheiten durch junge Erwachsene wird somit als tief eingeschätzt, wobei dies zum einen auf die neoliberale Regierungsweise, aber auch auf einer Ursachenbegründung aufgrund natürlicher oder historischer Gegebenheiten zurückzuführen ist. 13 Literaturverzeichnis Alemann, Annette von (2008). 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