Das Neugeborenen-Screening Substitution bei primärer Hypothyreose

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Quelle: Giuliana/bmp
von
Klaus Wilhelm
Sie wirkt wie ein kleiner Motor – steuert Grundumsatz und Herzschlag, Blutdruck, Wachstum
und Reifung des zentralen Nervensystems. Ihre
Hormone Thyroxin (T4) und das daraus gebildete Trijodthyronin (T3) beeinflussen Fett- und
Eiweißstoffwechsel und Fertilität. Keine Frage:
Die Schilddrüse (SD) ist für einen reibungslosen Ablauf vieler Körperfunktionen oder Stoffwechselprozesse unverzichtbar. „Entsprechend
schwer sind die Folgen, wenn ihre Funktionen
gestört sind“, sagt Privatdozent Dr. Heiko Krude vom Otto-Heubner-Centrum für Kinderund Jugendmedizin des Berliner Universitätsklinikums Charité.
Das Neugeborenen-Screening
Tatsächlich zählen Funktionsstörungen der
Schilddrüse zu den häufigsten endokrinologischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Nur ihre rechtzeitige Erkennung und eine
adäquate Substitutionstherapie kann ein altersgerechtes Wachstum und eine entsprechende
psychomotorische Entwicklung sichern. Die angeborene primäre Hypothyreose tritt mit einer
Inzidenz von 1:3 500 bis 1:4 000 auf. Die Symptome der Säuglinge sind sehr unspezifisch,
vor allem muskuläre Hypotonie, große Zunge,
Nabelhernie und Trinkschwäche, so dass die
Diagnose klinisch meist nicht gestellt wird.
Dank des bundesweit eingeführten Neugeborenen-Screenings gilt die frühzeitige Erkennung
der angeborenen primären Hypothyreose inzwischen aber als gesichert. Meist sporadisch
auftretend, aber auch mit verschiedenen familiären, erblichen Formen vorkommend, wird
sie durch Fehlbildungen der SD verursacht, in
wenigen Fällen auch durch einen Schilddrüsenhormon-Synthesedefekt.
Substitution bei primärer
Hypothyreose
„Definiert ist die primäre Hypothyreose durch
niedrige T4- und erhöhte TSH-Werte“, erklärt
Heiko Krude. TSH nimmt als sensitiver Parameter eine entscheidende Rolle in der Früherkennung von SD-Funktionsstörungen ein. Die
entsprechende, in das Screening eingebettete
Diagnose erfolgt in den ersten Lebenstagen.
Bei positivem Ergebnis muss aus medizinischer
Sicht die Substitutionstherapie mit Thyroxin
sobald wie möglich beginnen. Der Berliner
Hormonspezialist rät anfangs zu einer hohen
Dosis von täglich 10 bis 15 Mikrogramm pro
Kilogramm Körpergewicht. Zwar landen die
rasch behandelten Kinder auch mit niedrigeren Dosen meist im Normalbereich der menta-
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Verlaufsbeobachtung
Um den Verlauf der Therapie in den folgenden
Jahren zu kontrollieren, reicht bei den klassischen kongenitalen Hypothyreosen die Bestimmung des TSH aus. Bei Änderungen der Dosis
sollte man allerdings die peripheren Hormone
mitmessen, um eine mögliche Überdosierung
zu beurteilen. Die Untersuchungsintervalle
variieren mit dem Alter: Bis zum zweiten Lebensjahr sind dreimonatige Kontrolltermine
ratsam, danach halbjährliche. In der Pubertät,
wenn die Jugendlichen oft ihre Therapie vernachlässigen, ist wieder eine engmaschigere
Betreuung angesagt. „Die primäre Dosis sollte
ein erfahrener pädiatrischer Endokrinologe ermitteln“, betont Heiko Krude. Wenn die Substitutionsdosis einmal gefunden ist „und sich
alles im ruhigen Fahrwasser bewegt“, dann
kann meist der niedergelassene Pädiater die
Behandlung fortführen – im Kontakt zu einem
endokrinologischen Zentrum, um Therapieentscheidungen bzw. Dosisänderungen gemeinsam zu besprechen.
Sekundäre und tertiäre Hypothyreose
nicht übersehen!
Das gilt auch für die Behandlung der zentralen Hypothyreose, die üblicherweise auf einer
funktionellen Störung von TSH oder dem Thyreotropin-Releasing-Hormon TRH basiert. Mit
einer Inzidenz von 1:20 000 bis 1:50 000 kann sie
sich als isolierter Mangel von TSH zeigen – etwa
weil bestimmte Proteine zur TSH-Synthese verändert sind – oder als kombinierte Hypophyseninsuffizienz, wobei diese auf Mutationen
in bestimmten Transkriptionsfaktoren beruhen
oder als Teil komplexer Hirnfehlbildungen auftreten können. Bei den kombinierten Formen
geht mit der Hypothyreose ein Wachstumshor-
monmangel einher oder ein kompletter oder
partialer Hypogonadismus und Hypokortisolismus. Gemäß Daten einer neuen Studie aus
den Niederlanden, kann es zu einer sekundären transienten Hypothyreose kommen, wenn
das Kind von einer Mutter mit einer starken
unbehandelten oder nicht gut eingestellten Basedowschen Hyperthyreose geboren wurde [2];
auch daran sollte man denken.
„Patienten mit zentraler Hypothyreose“,
erklärt Krude, „werden durch das Neugeborenen-Screening nicht erfasst.“ Deshalb sollten
Pädiater bei Routineuntersuchungen stets die
Situation der Schilddrüse im Blick haben und
auf klinische Zeichen achten wie beispielsweise eine verlängerte Hyperbilirubinämie oder
eine Trinkschwäche bei Muskelhypotonie und
offener kleiner Fontanelle. Insgesamt gilt, dass
die Therapie nicht von der genauen Ursache
abhängt. „Wenn nachweislich ein niedriger T4Spiegel vorliegt und hierbei vor allem die für
Neugeborene altersabhängigen Normalwerte berücksichtigt werden, dann sollte man auf
jeden Fall substituieren“, sagt der Berliner Endokrinologe. Knifflig wird es bei Kindern mit
grenzwertig niedrigen T4-, aber leicht erhöhten
TSH-Werten: „Das ist dann deutlich schwieriger
zu beurteilen; da muss man schauen, an welchem Punkt man die Kinder behandelt. Denn
bei ihnen liegen zum Teil Störungen der hypothalamischen Regulation vor, die sich zum Beispiel bei frühgeborenen Kindern im Verlauf normalisieren. Kurzfristige Verlaufskontrollen sind
daher wichtige Entscheidungshilfen vor einem
Behandlungsbeginn.“
Schilddrüse
len Entwicklung. Aber erst die Behandlung mit
einer höheren Dosis gewährleistet IQ-Werte,
die sich nicht mehr von einer Kontrollgruppe
unterscheiden. Daher gehen auch alle bisherigen internationalen Empfehlungen von höheren Dosen aus. Doch bedarf „die Anpassung
im höheren Dosisbereich einer gewissen Erfahrung in dem Sinne, dass man nicht vorschnell
eine Dosis reduziert, wenn der TSH-Wert einmal supprimiert vorliegt“. Im Gegenteil: Neue
Daten haben gezeigt, dass Kinder mit wiederholt supprimierten TSH-Werten die besten Entwicklungsdaten aufweisen [1].
Die angeborene
Hypothyreose
beruht meist auf
einer primären
Störung der Schilddrüsenfunktion
(primäre Hypothyreose). Sie wird
durch das Neugeborenen-Screening
erfasst.
Da eine zentrale
Hypothyreose im
NeugeborenenScreening nicht
erfasst wird, ist es
wichtig, bei Routineuntersuchungen auf
typische klinische
Zeichen zu achten.
Diagnostik der HashimotoThyreoiditis...
Die häufigste Ursache einer erworbenen Hypothyreose im Kindesalter ist eine Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis). Typischerweise tritt sie bei einer Prävalenz von etwa 3,5
Prozent vor allem bei jugendlichen Mädchen
auf, hat aber, entgegen mancher Vermutungen, in den vergangenen Jahren insgesamt
nicht nachweislich zugenommen. Dennoch
gehen Kinderärzte der Universität Erlangen um Hellmuth G. Dörr davon aus, dass
die Autoimmunthyreoiditis oft unerkannt
bleibt.
Chronisch infiltrieren bei der HashimotoThyreoiditis Lymphozyten die Schilddrüse,
wodurch die Funktion des Organs langsam
progredient verkümmert. War früher eine
Priv. Doz. Dr.
Heiko Krude
Quelle: privat
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Abb. 2:
Abb. 3:
Abb. 4:
Schilddrüse
Abb. 1:
Abb. 1 - 4: Hypervaskularisation („vaskuläres Inferno“) bei Hyperthyreose
Quelle: www.sonographiebilder.de / Albertinen-Krankenhaus, Hamburg
Morbus Basedow verursacht eine deutliche Immunreaktion im SD-Gewebe. Die daraus folgende Entzündung führt zu einer Hypervaskularisation, die diese bunten Bilder erzeugt. Die
Farbe auf den oberen Bildern wird durch den gerichteten Doppler (rot: auf den Schallkopf
zu, blau: vom Schallkopf weg) bewirkt und die unteren Bilder zeigen den Power-Doppler,
der empfindlicher für Strömungen ist, aber keine Richtung zeigt.
Struma meist Spiegel eines Jodmangels, nährt
sie heute in Zeiten weitaus besserer, aber bundesweit noch nicht optimaler Jodversorgung
den Verdacht auf eine Thyreoiditis. Auch eine
veränderte Echostruktur der Schilddrüse kann
darauf hindeuten; dann sollten die Antikörper
gegen die Schilddrüsenperoxidase bestimmt
werden. Für Patienten mit Typ-1-Diabetes nehmen Prävalenz der Autoimmunthyreoiditis
und das Hypothyreoserisiko mit steigendem
Alter zu.
Auch bei einer Struma und einem positiven
Antikörpernachweis liegt vielfach noch keine
Unterfunktion vor. In solchen Fällen können
Symptome wie eine Obstipation und besonders eine Wachstumsverzögerung in der Pubertät die Diagnose am besten erhärten. Eine
Kontrolle der basalen Schilddrüsenwerte und/
oder eine sonografische Untersuchung sind bei
jeder Jugendvorsorgeuntersuchung erforderlich – besonders bei positiver Familienanamnese oder bei Erkrankungen wie beispielsweise
Typ-1-Diabetes, Morbus Edison, Vitiligo oder
Alopezie, die mit einer Hashimoto-Thyreoiditis assoziiert sein können.
...und deren Behandlung
Wann sollte substituiert werden? Bei bestehender Hypothyreose in jedem Fall. Auch bei
erhöhtem TSH und noch normalem T4 ist die
Therapie ratsam. Allerdings sollte man regelmäßig kontrollieren, ob die TSH-Werte vielleicht nur vorübergehend erhöht sind. Bei „nur“
bestehender Struma oder positivem Antikörpernachweis oder beidem mit (noch) euthyreoter SD-Funktion fehlen bislang prospektive
kontrollierte Studien, die zeigen, ob die Kinder
wirklich von einer Substitutionstherapie profitieren – in dem Sinne, dass etwa eine manifeste
Hypothyreose hinausgezögert wird oder gar
völlig ausbleibt. Tatsächlich, das belegen ältere
Daten aus den USA, heilt die Hashimoto-Thyreoiditis bei etwa einem Drittel der betroffenen
Jugendlichen spontan [3, 4].
Zu viel Hormon: Morbus Basedow
Im Gegensatz zur Hypothyreose wird die Hyperthyreose durch eine gesteigerte SD-Hormonsekretion und deren Wirkung auf den
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welche Zeichen bei Krankheitsbeginn eine spätere Spontanheilung wahrscheinlich machen.
In jedem Falle sei eine kurze Behandlung kaum
sinnvoll – die Therapie sollte, so Krude, mindestens 18 bis 24 Monate dauern. Meist vertragen
die jugendlichen Patienten die Behandlung gut
– beschriebene Nebenwirkungen sind Hautveränderungen, Arthralgien, gastrointestinale Beschwerden, Hepatitis oder Cholestase und sehr
selten, aber besonders gefährlich, eine Störung
der Granulozytenbildung.
Konsequenzen beim Rezidiv
Stellt sich nach Absetzen des Medikaments ein
Rezidiv ein – was Studien zufolge bei 30 bis 50
Prozent der Patienten eintritt –, ist nicht mehr
mit einer spontanen Heilung zu rechnen. In
dieser Situation bleibt nur die Entfernung von
Schilddrüsengewebe mit anschließender Thyroxin-Substitution. Entweder erfolgt eine Operation oder eine Radiojod-Therapie, die bislang
in Europa zwar nicht üblich ist, was sich jedoch
bald ändern könnte. Einer neuen Langzeitstudie aus den USA zufolge sinkt das Risiko gegen
Null, mit der Radiojodtherapie eine Tumorbildung auszulösen, sofern man mit einer hohen
Strahlendosis wirklich alle SD-Zellen abtötet
[5]. Krude: „Für betroffene Kinder ab 12 Jahren
diskutieren wir jetzt in unserem Zentrum die
Möglichkeiten einer solchen Therapie mit den
Eltern.“
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Schilddrüse
Organismus definiert. Meist liegt im Kindesalter eine Stimulation der Schilddrüse durch
Autoantikörper zugrunde – so beim Morbus
Basedow mit einer Häufigkeit von 1:50 000
bis 1:100 000. Wie die Hashimoto-Thyreoiditis
ist er eine Autoimmunerkrankung vor allem
jugendlicher Mädchen. Unruhe, Nervosität,
vermehrtes Schwitzen, Gewichtsabnahme und
Leistungsminderung als wichtige Symptome
korrelieren nur teilweise mit dem biochemischen Schweregrad der Hyperthyreose. Differentialdiagnostisch gesehen gilt Wachsamkeit.
„Auch die Hashimoto-Thyreoiditis kann bei
Jugendlichen mit Struma zu einer vorübergehenden hyperthyreoten Phase führen“, sagt
Heiko Krude. Deshalb müsse man besonderes
Augenmerk auf die Antikörper-Titer des TSHRezeptors legen.
Die Beschwerden vieler Patienten erfordern
die Therapie mit einem Thyreostatikum, das die
SD-Funktion unterdrückt. „Die entscheidende
Frage in der Behandlung des Morbus Basedow
ist, inwieweit man hoffen kann, dass die oft
mit Pubertätsbeginn auftretende Überfunktion
wieder zur Ruhe kommt – im Sinne einer Spontanheilung bei Veränderung der immunologischen Grundsituation im Verlauf der Pubertät“,
erklärt Krude. Wie bei der Hashimoto-Thyreoiditis erlebt bis zu einem Drittel der Patienten
das Glück einer solchen Spontanheilung. Noch
immer ist aber ungeklärt, wie lange man die
thyreostatische Therapie fortführen soll und
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Literatur kann in der
Redaktion erfragt
werden.
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