Plasmaphysik und Kernfusion

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Plasmaphysik und Kernfusion
Patrick Fahner
Seminarvortrag vom 22. Juni 2012
1 Einleitung
Wir kennen Materie in drei Zuständen: fest, flüssig und gasförmig. Wir erreichen diese Zustände in der eben genannten Reihenfolge, indem wir die Temperatur erhöhen.
Erwärmen wir die gasförmige Phase weiter, so beginnen die Moleküle zu dissoziieren
und die Atome werden ionisiert. In unserem Gas gibt es nun geladene Teilchen, wodurch
dieses elektrisch leitfähig wird. Dies hat völlig neue Eigenschaften zur Folge, sodass wir
hierbei vom 4. Aggregatzustand sprechen können: dem Plasma. Beispiele für Plasmen
stellen u.a. Kerzen, Blitze, Funken sowie die Sonne dar.
Analog zu Gasen beschäftigen wir uns hier mit idealen Plasmen. Sie kennzeichnen sich dadurch, dass die Teilchen nur durch direkte Stöße miteinander wechselwirken. Für hohe Temperaturen (ergo schnellen Teilchen) müssen wir relativistische Effekte
berücksichtigen, wir gehen also zu relativistischen Plasmen über. Als Grenze definiert man hier die Ruheenergie des Elektrons:
T ≥ me c2 = 511keV
Wird die Plasmadichte n groß, so spielt das Pauliprinzip eine Rolle: Jede Phasenraumzelle darf nur von zwei Teilchen mit antiparallelem Spin besetzt werden. Wir sprechen
dann von entarteten Plasmen. Hier definiert man als Grenze die Fermienergie:
T . EF ermi ∝ n2/3
Die Temperaturen bei einer Kernfusion sind so hoch, dass sie in Plasmen stattfindet. Möchten wir die Kernfusion zur Energiegewinnung nutzen, ist es also unabdingbar,
Plasmen kontrollieren und vor allem sie (im Fusionsreaktor) einschließen zu können. Da
ein Plasma aus geladenen Teilchen besteht, liegt es nahe, sie durch Magnetfelder (
Lorentzkraft) einzuschließen. Wir werden uns daher zunächst mit dem Verhalten von
geladenen Teilchen in Magnetfeldern beschäftigen. Mit diesen Kenntnissen können wir
uns dann über die Konfiguration der Magnetfelder und des Fusionsreaktors Gedanken
machen. Zum Abschluss werden wir uns dann mit den Grundlagen der Kernfusion und
möglichen Reaktionen im Reaktor beschäftigen.
1
Plasmaphysik und Kernfusion
2 Geladene Teilchen im Magnetfeld
2 Geladene Teilchen im Magnetfeld
2.1 Homogene Magnetfelder
~ = B e~z . Neben der Lorentzkraft soll dabei
Wir wählen uns ein Magnetfeld der Form B
auf das Teilchen eine zusätzliche konstante Kraft wirken, sodass wir folgende Differentialgleichung erhalten:
~ + F~
m~v˙ = q~v × B
(1)
Für die Komponenten senkrecht zum Feld enthalten wir nach Entkoppeln von (1):
2
qB
qB
v¨x = −
vx + 2 Fy
(2)
m
m
2
qB
qB
vy − 2 Fx
v¨y = −
(3)
m
m
Fall 1: keine zusätzliche Kraft (F=0) Die Gleichungen (2) und (3) entsprechen der
Differentialgleichung eines harmonischen Oszillators. Wir erhalten also eine Kreisbewegung (Gyration) senkrecht zum Magnetfeld mit den Kenngrößen:
ωc = qB
m Gyrationsf requenz
v⊥ mv⊥ ρL = ωc = qB Larmorradius
(4)
Hierbei bezeichnen ωc die Umlaufkreisfrequenz des Teilchens auf der Kreisbahn, ρL den
Radius der Kreisbahn und v⊥ den Geschwindigkeitsanteil des Teilchens senkrecht zum
Magnetfeld. Hat das Teilchen auch eine Geschwindigkeitskomponente parallel zum Magnetfeld vk 6= 0 So bewegt sich das Teilchen auf einer Schraubenbahn.
Fall 2: Einfluss einer zusätzlichen Kraft Wir erhalten aus (1) für die parallele Komponente:
Fz
(5)
m
Parallel zum B-Feld wird das Teilchen also gleichförmig beschleunigt. Interessanter ist
es, wenn die Kraft senkrecht zum B-Feld wirkt. Wir wählen eine Kraft F~ = Fx e~x und
erhalten für die Geschwindigkeitskomponenten:
v˙z =
vx = v⊥ cos ωc t
vy = −v⊥ sin ωc t −
(6)
Fx
qB
(7)
Diese Gleichungen führt zu einer Bahn, die nicht trivial ersichtlich ist. Uns wird später
aber nicht die genaue Bahn interessieren, sondern nur, wo sich das Teilchen im Mittel hinbewegt. Bei einer einfachen Kreisbewegung (keine Schraubenbahn) bleibt der Schwer”
punkt“ des Teilchens ja im Prinzip immer auf der gleichen Position. Man spricht hierbei
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vom Führungszentrum und wir erhalten seine Bewegung, wenn wir über eine Gyration mitteln.


2π/ω
Z c
0
ωc
Fx 
~vD = h~v it =
~v dt = − qB
(8)
2π
0
0
Das Teilchen driftet also in y-Richtung weg. Allgemein erhalten wir für die Teilchendrift:
~vD =
~
F~ × B
qB 2
(9)
Drift allgemein
Wird also zu einem homogenen Magnetfeld eine zusätzliche Kraft F angelegt, so driftet
das Führungszentrum. Naheliegenderweise wirken in einem Plasma Coulombkräfte
~
F~ = q E,
(10)
~ ×B
~ − Drif t erhalten.
die wir direkt in (9) einsetzen können, sodass wir die sog. E
~
~
E×B
~vD
=
~ ×B
~
E
2
B
~ ×B
~ − Drif t
E
(11)
An den Gleichungen (9) und (11) sieht man sofort einen bedeutenden Unterschied: Die
~ × B-Drift
~
Richtung der allgemeinen Drift hängt von der Ladung ab, während die E
ladungsunabhängig wird. Dies wird später noch wichtig, wenn wir den Einschluss von
Plasmen diskutieren.
2.2 Inhomogene Magnetfelder
2.2.1 Inhomogenität senkrecht zum Magnetfeld
~ = B(y)e~z zeigt weiterhin in z-Richtung, hat nun aber eine variable
Unser Magnetfeld B
Feldstärke in Abhängigkeit von y. Wir nehmen dabei an, dass die Feldstärkeänderung
klein über den Larmorradius ρL ist, d.h.
|∇B| ρL B
(12)
Wir können das Magnetfeld dann um das Führungszentrum im Ursprung entwickeln,
~ ≈ B0~ez + ∂B y~ez ,
B
∂y
(13)
was uns nach Einsetzen in die Lorentzkraft zu folgenden Kräften führt:
∂B
Fx ≈ +qvy B0 +
y
∂y
∂B
∂B
Fy ≈ −qvx B0 +
y = −qvx B0 −qvx
y
∂y
∂y
| {z } | {z }
(∗)
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(14)
(15)
(∗∗)
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2 Geladene Teilchen im Magnetfeld
(*) repräsentiert dabei die ursprüngliche Lorentzkraft wie wir sie bei den homogenen
Magnetfeldern behandelt haben, (**) kann als die zusätzliche Kraft interpretiert werden,
d.h. durch den Feldstärkegradienten wirkt eine Kraft die für eine Drift sorgen wird.
Wegen (12) können wir einen störungstheoretischen Ansatz machen, d.h. wir setzen die
Parameter der ungestörten Bahn ein
vx = v⊥ cos ωc t,
vy = −v⊥ sin ωc t,
v⊥
y=
cos ωc t
ωc
und erhalten damit für die Kräfte näherungsweise:
∂B v⊥
Fx = −qv⊥ sin ωc t B0 +
cos ωc t
∂y ωc
∂B v⊥
cos ωc t
Fy = −qv⊥ cos ωc t B0 +
∂y ωc
(16)
(17)
(18)
(19)
(20)
Wir wollen wieder nur die Bewegung des Führungszentrums betrachten und mitteln
wieder über eine Gyration:
hFx it = 0
(21)
hFy it = −
q 2 ∂B
mv 2 1 ∂B
1 ∂B
v⊥
=− ⊥
= −W⊥
2ωc ∂y
2 B0 ∂y
B0 ∂y
(22)
W⊥ bezeichnet dabei den Anteil der kinetischen Energie aus der zum Magnetfeld orthogonalen Geschwindigkeitskomponente. Allgemein erhält man
D E
~ ⊥B
∇
F~ = −W⊥
B0
t
(23)
~ ⊥ meint hier den Feldgradienten senkrecht zum Magnetfeld. Die Teilchen erfahren
∇
also eine Kraft in Richtung niedrigerer Magnetfeldstärke. Sie verhalten sich demnach
diamagnetisch. Diese Kraft können wir nun wieder in (9) einsetzen und erhalten:
~
∇B
~vD
=−
~ ⊥B × B
~
W⊥ ∇
q
B3
Gradientendrif t
(24)
2.2.2 Gekrümmte Magnetfeldlinien
Bei gekrümmten Magnetfeldlinien wenden wir einen Trick an. Wir gehen in das Koordinatensystem des Teilchens, das dort wegen der gekrümmten Feldlinie eine Zentrifugalkraft
F~ =
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mvk2
Rk
~er =
mvk2
Rk2
~ k = 2Wk R~k
R
Rk2
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(25)
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3 Einschlussmöglichkeiten
erfährt. Rk bezeichnet dabei den Krümmungsradius. Für eine genauere Betrachtung
siehe [1]. Wir erhalten mit Hilfe von (9) die sog. Krümmungsdrift:
K
~vD
=
~ ⊥B × B
~
W⊥ ∇
q
B3
Krümmungsdrif t
(26)
Aus den Maxwellgleichungen geht allerdings hervor, dass eine Krümmung von Feldlinien
auch immer einen Feldstärkegradienten zur Folge hat, weshalb wir unter Verwendung
von
~ ⊥ B ~k
∇
R
(27)
=− 2
B Rk
r=Rk
Gradienten- und Krümmungsdrift zu einer Drift zusammenfassen:
~vD = −(W⊥ + 2Wk )
~ ⊥B × B
~
∇
qB 3
(28)
3 Einschlussmöglichkeiten
Um Kernfusion betreiben zu können, müssen wir das Plasma in einem gewissen Bereich
einschließen. Wir wollen dazu Magnetfelder nutzen und in diesem Abschnitt mit unserem
Wissen aus Kapitel 2 überlegen, wie diese Magnetfelder konfiguriert sein müssen.
In einem homogenen Magnetfeld bewegen sich Teilchen auf einer Kreis-/Schraubenbahn.
Wir können die Teilchen also schon damit in gewissem Maße fangen“ , jedoch werden sie
”
bei einer nichtverschwindenden Geschwindigkeitskomponente parallel zum Feld (Schraubenbahn) irgendwann das Magnetfeld verlassen.
3.1 Spiegelmaschine
Die erste Idee zum Einschluss besteht daher in einem rotationssymmetrischen Magnetfeld, dessen Magnetfeldstärke in z-Richtung zunimmt. Man nennt diese Konfiguration
Spiegelmaschine oder auch magnetische Flasche (siehe Abbildung 1).
Aufgrund des Feldlinienverlaufs erfahren die Teilchen eine Lorentzkraft entgegen der zRichtung, sie werden also entgegen des sich verstärkenden Feldes beschleunigt. Überschreitet
die parallele Geschwindigkeitskomponente nicht einen bestimmten Grenzwert, so reicht
diese Beschleunigung aus, um das Teilchen zum Umkehren zu zwingen.
Um ein Einschlusskriterium zu bestimmen definiert man den sog. Pitchwinkel:
v⊥
(29)
tan α :=
vk
Wie eben schon erwähnt, darf vk nicht zu groß werden, α muss also über einem gewissen
Grenzwert liegen. Man findet dafür
r
Bmin
α > arcsin
,
(30)
Bmax
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Abbildung 1: Prinzip einer Spiegelmaschine (Quelle: Stroth)
wobei mit Bmin und Bmax die minimale und maximale Magnetfeldstärke in der Spiegelmaschine gemeint ist. Da es in einem Plasma ständig zu Stößen kommt, gibt es immer
Teilchen, deren Pitchwinkel zu klein ist und somit das Magnetfeld an seinen Enden
verlässt.
Daher liegt die Idee nahe, das rotationssymmetrische Magnetfeld zu einem Torus zu
schließen.
3.2 Torusförmiges Magnetfeld
Abbildung 2: torusförmiges Magnetfeld (Quelle: Stroth)
Wir betrachten nun also eine torusförmige Konfiguration, wie sie in Abbildung 2
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3 Einschlussmöglichkeiten
dargestellt ist. Aus den Maxwellgleichungen geht für das Magnetfeld die Beziehung
~ = R0 B0 ~eφ
B
R
(31)
hervor, wobei der Index 0 sich auf den Kreismittelpunkt des Torusquerschnitts bezieht.
Es ist also |B| ∝ 1/R. Dies bedeutet, dass wir einen Feldstärkegradienten zur Symmetrieachse des Torus hin haben (siehe Abb. 2). Teilchen erfahren also nach Gleichung
(28) eine Gradienten-/Krümmungsdrift abhängig von ihrer Ladung. In unserem Fall driften Elektronen nach unten und (positive) Ionen nach oben. Dadurch kommt es an der
Torusober- bzw. -unterseite zu Ladungsüberschüssen und es entsteht in der Folge ein
~ × B-Drift,
~
elektrisches Feld. Dieses bewirkt nach (11) eine E
die - wichtig - ladungsunabhängig ist. Ionen und Elektronen driften also in die gleiche Richtung; in unserem
Fall nach außen. Damit haben wir immer noch nicht die richtige Konfiguration zum
Einschluss des Plasmas gefunden.
3.3 Tokamak
Da unser Plasma im torusförmigen Magnetfeld zur Seite driftet, benötigen wir ein
(zusätzliches) Magnetfeld, welches das Plasma zusammenhält. Dazu betrachten wir zunächst
den sog. z-Pinch wie er in Abbildung 3 zu sehen ist. Im z-Pinch fließt ein Strom entlang
Abbildung 3: z-Pinch (Quelle: Stroth)
der z-Achse, der ein poloidales Magnetfeld (kreisförmige Feldlinien) erzeugt. Verwendet
man Zylinderkoordinaten, lässt sich leicht zeigen, dass eine Lorentzkraft
Fr (r) = −jz (r)BΘ (r)
(32)
zur Achse hin gerichtet wirkt. Das Plasma wird also so lange komprimiert, bis der Gegendruck des Plasmas diese Kraft ausgleicht. Ein Beispiel für z-Pinche sind Blitze.
Die Magnetohydronamik zeigt, dass diese Gleichgewichte nicht stabil sind und schon
kleinste Instabilitäten zu einem Zusammenbruch führen.
Interessant wird es aber, wenn wir den z-Pinch mit dem torusförmigen Magnetfeld
kombinieren, denn während das poloidale Feld des Pinches die Drift des Plasmas nach
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4 Kernfusion
außen verhindert, so sorgt das toroidale Feld für eine Stabilisierung des Pinches. Diese
Kombination erscheint optimal für einen magnetsichen Einschluss des Plasmas und wurde 1952 von den sowjetischen Physikern Sacharow und Tamm entwickelt. Diese Konfiguration wird Tokamak genannt, eine russische Abkürzung, die für Toroidale Kammer
”
mit Magnetfeldspulen“steht.
Abbildung 4: Aufbau eines Tokamaks (Quelle: Stroth)
Der Aufbau eines Tokamaks ist in Abbildung 4 zu sehen. Die Primärwindung nutzt
aus, dass ein Plasma elektrisch leitfähig ist, und induziert einen ringförmigen Strom, der
wiederum das poloidale Magnetfeld Bp erzeugt. Die Hauptfeldspulen erzeugen das toroidale Magntefeld Bt , welches sich mit dem poloidalen Magnetfeld zu schraubenförmigen
(helikalen) Feldlinien überlagert. Die Vertikalfeldspulen dienen der Stabilisierung und
Unterstützung.
Das Kennzeichen des Tokamaks ist, dass er das poloidale Magnetfeld durch den induzierten Strom erzeugt. Im Stellarator, einem Alternativkonzept zum Tokamak, versucht man hingegen die schraubenförmigen Magnetfeldlinien durch gewundene Hauptfeldspulen zu erzeugen.
Wir haben nun eine Möglichkeit gefunden, Plasmen einzuschließen, um Kernfusion zu
betreiben.
4 Kernfusion
Im Jahre 1919 beobachte Rutherford in seinem Labor die erste Kernfusion:
4
He +14 N −→17 O +1 H
Dank Einsteins E = mc2 konnte man sich auch das Freiwerden von Energie bei einer
Kernfusion erklären: Die Masse eines Atoms ist kleiner als die Summe der Massen seiner
Bestandteile. Dieser sog. Massendefekt muss nach Einstein demnach in Form von Energie
freigesetzt werden. Später erkannte man auch, dass die Sonne ihr Energie durch Fusion
(u.a. Proton-Proton-Fusion) gewinnt.
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4 Kernfusion
Allerdings gab es zunächst ein Problem. Damit zwei Teilchen fusionieren, müssen sie
die Coulomb-Barriere überwinden. Bei einer pp-Reaktion liegt diese bei ca. 1MeV. In
der Sonne herrschen aber nur Temperaturen von ca. 1keV. Wie kann es also dennoch
zur Fusion kommen?
Einen Grund liefert die Maxwell-Boltzmann-Verteilung. Für eine gegebene Temperatur hat ein gewisser Anteil der Teilchen die nötige Energie. Eine weitere Erklärung
lieferte die Entwicklung der Quantenmechanik: der Tunneleffekt. Es gibt eine endliche Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilchen mit niedrigerer Energie die Coulomb-Barriere
durchtunneln kann.
Jedoch ist sowohl der Anteil an energiereichen Teilchen und die Tunnelwahrscheinlichkeit sehr gering. Dass es dennoch in der Sonne zu Fusionen kommt, deren Energie
u.a. auch für die Versorgung der Erde reicht liegt an den immensen Bedingungen, die
in der Sonne herrschen, z.B. ein Druck von 200 Milliarden bar im Zentrum. Es ist klar,
dass wir solche Bedingungen im Labor nicht herstellen können und müssen uns deshalb
auf die Suche nach einer Alternative zur pp-Reaktion begeben, die auch unter irdischen
Bedingungen möglich ist.
Abbildung 5: Bindungsenergien (Quelle: Stroth)
In Abbildung 5 sehen wir die Bindungsenergien in Abhängigkeit der Nukleonenzahl
aufgetragen. Um bei einer Fusion möglichst viel Energie zu gewinnen, muss die Differenz
von unseren Edukten zu unserem Produkt möglichst groß sein. Wir sehen zwar, dass der
Energiegewinn bei der pp-Reaktion sehr groß ist, dennoch kommt für uns diese Reaktion aus oben genannten Gründen nicht in Frage. Wir müssen nämlich weiterhin den
Wirkungsquerschnitt betrachten, der in Abbildung 6 dargestellt ist. Der Wirkungsquerschnitt ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Kollision der Teilchen
kommt. Um also Kernfusion auf der Erde betreiben zu können, müssen wir einen Kompromiss aus Energiegewinn durch Bindungsenergien und Wirkungsquerschnitt finden.
Es zeigt sich, dass die Fusion von Deuterium und Tritium diese Kriterien am besten
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4 Kernfusion
erfüllt.
D + T −→4 He (3, 52MeV) + n (14, 06MeV)
(33)
Bei dieser Reaktion werden also insgesamt 17,59 MeV frei. Die Coulomb-Barriere liegt
mit 0,38 MeV deutlich tiefer als bei der pp-Reaktion. Zur Gewinnung von Energie durch
Kernfusion favorisiert man daher die Deuterium-Tritium(DT)-Fusion und nimmt dabei
eine höhere Radioaktivität als bei anderen Fusionsreaktionen in Kauf.
Die Verwendung von Tritium jedoch hat ein Problem: Tritium ist selbst radioaktiv und kommt natürlich
auf der Erde kaum vor. Es muss daher direkt vor
Ort aus Lithium erbrütet“werden. Dies ist durch
”
folgende Brutreaktionen möglich:
Li + n −→ 4He + T + n0
6
Li + n −→ 4He + T
7
(−2, 74MeV)
(+4, 78MeV)
(34)
(35)
Die zweite Reaktion (35) hat den Vorteil, dass zum
Fusionsprozess selbst zusätzlich Energie frei wird.
Das Plasma muss sich zur Energiegewinnung aber
selbst aufrechterhalten; dazu reichen die Neutronen aus der Fusionsreaktion (33) nicht aus. Man
nimmt deshalb die endotherme Reaktion (34) in
Kauf, verliert also wieder etwas an Energie, gewinnt dadurch aber ein zusätzliches Neutron zur
Abbildung 6: Wirkungsquerschnitte
Erbrütung von Tritium.
(Quelle: Kaufmann)
Um Energie aus der Kernfusion zu gewinnen,
muss es zur Plasmazündung kommen. Dies bedeutet, dass die Heizung durch die bei
der Fusion entstehenden Helium(α)-Teilchen die Wärmeverluste im Plasma ausgleichen
muss. Die Bedingungen, die für eine Plasmazündung erreicht werden müssen, werden
durch das Lawson-Kriterum festgelegt:
nT τe > F (T, σ)
(36)
Dabei bezeichnet n die Teilchendichte, T die Temperatur und τe die Energieeinschlusszeit. F ist ein Schwellwert, der unter anderem von der Temperatur und vom Wirkungsquerschnitt σ abhängt. Typische Werte für Reaktoren sind:
• Teilchendichte: 2 · 1020 m−3
• Temperatur: 15keV ≈ 170 Mio.◦ C
• Einschlusszeit: 3 sec
Umgangssprachlich müssen also möglichst viele Teilchen (hohe Dichte) möglichst heftig (hohe Temperatur) möglichst lange (hohe Einschlusszeit) fusionieren, damit es zur
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Literatur
Plasmazündung kommt. In den neuesten Experimenten kommt man nah an das LawsonKriterium heran, allerdings ist es bislang noch nicht gelungen, mehr Energie aus der
Kernfusion zu gewinnen als man zuvor hineingesteckt hat. Mit ITER wird derzeit im
französischen Cadarache ein Tokamak-Reaktor gebaut, der erstmals zeigen soll, dass dies
möglich ist.
Literatur
[1] U. Stroth, Plasmaphysik, Vieweg + Teubner, 2011
[2] M. Kaufmann, Plasmaphysik und Fusionsforschung, Vieweg + Teubner, 2003
[3] R.O.Dendy, Plasma Physics, Cambridge University Press, 1993
[4] J.D.Jackson, Klassische Elektrodynamik, 2006
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