Technische Mechanik - Europa

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Peter Hagedorn
Technische Mechanik
Band 3
Dynamik
Websites zum Buch
http://www.harri-deutsch.de/1835.html
http://www.dyn.tu-darmstadt.de/pub/tm/band3/
Der Autor
Professor Peter Hagedorn vertritt an der Technischen Universität Darmstadt das
Fach Technische Mechanik in Lehre und Forschung. Er hält seit mehreren Jahrzehnten Vorlesungen über Technische Mechanik und über Technische Schwingungslehre
für Hörer unterschiedlicher Fachrichtungen.
Verlag Harri Deutsch
Gräfstr. 47
60486 Frankfurt
www.harri-deutsch.de
[email protected]
Fax: 069 77 01 58 69
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978-3-8171-1835-9
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Der Inhalt des Werkes wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autor und
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4., überarbeitete Auflage 2008
c
Wissenschaftlicher
Verlag Harri Deutsch GmbH, Frankfurt am Main, 2008
Druck: fgb – freiburger graphische betriebe <www.fgb.de>
Printed in Germany
Vorwort
Dieser Band entspricht dem dritten Teil einer dreisemestrigen Vorlesung, die ich
seit mehr als 30 Jahren für Hörer verschiedener Fachrichtungen an der Technischen Universität Darmstadt halte; zwei weitere Bände behandeln die Statik und
die Festigkeitslehre. Niveau und Aufbau der drei Bücher orientieren sich an den
Lehrveranstaltungen, wie sie besonders für Ingenieur–Studenten an praktisch allen
Hochschulen angeboten werden.
Die unterschiedliche Vorbildung, die unsere Studenten von der Schule mitbringen,
hat zur Folge, daß in den Vorlesungen für die Erstsemester Grundbegriffe und mathematische Hilfsmittel sehr elementar eingeführt werden müssen. Ich war in dem
vorliegenden Buch bemüht, das Gebäude der Mechanik auf dem soliden Fundament
dieser Grundlagen systematisch aufzubauen. Die freundliche Aufnahme des Buches,
die sehr schnell Neuauflagen notwendig machte, zeigt mir, daß dies zumindest teilweise gelungen ist.
Dank des Einsatzes der Herren Dr.–Ing. Daniel Hochlenert und Dipl.–Ing. Florian
Fischer war es möglich, die gesamte Reihe von Grund auf zu überarbeiten, so daß
die drei Bände jetzt in einem neuen Layout vorliegen. Dabei wurden in allen drei
Bänden zahlreiche Verbesserungen, neue Beispiele und – bei der numerischen Behandlung von Aufgaben mittels Matlab, insbesondere in den Bänden 1 und 3 –
eine Reihe von Ergänzungen vorgenommen. Viele dieser Änderungen gehen direkt
auf Anregungen der Herren Hochlenert und Fischer zurück, die auch die Erstellung der reproduktionsfähigen Vorlagen überwacht haben. Ich danke beiden für
den unermüdlichen Einsatz.
Mit der vorliegenden Auflage des Bandes 3 wurde Kapitel 5 (Dynamik der Systeme)
vollkommen überarbeitet. Dies betrifft sowohl die Darstellung als auch teilweise die
Notation. Weiterhin wurden in Kapitel 3 neue Beispiele zu Stößen starrer Körper
mit und ohne Reibung eingefügt, die klar die Schwierigkeiten der Behandlung von
Stößen in der Starrkörpermechanik belegen. Diese Änderungen wurden im wesentlichen durch Dr. Hochlenert angeregt, der sie dann auch eingearbeitet hat.
Manche Kollegen und viele Studenten haben mich in der Vergangenheit auf mögliche Verbesserungen hingewiesen, die hier eingearbeitet wurden. Ihnen allen sei an
dieser Stelle gedankt.
Dem Verlag Harri Deutsch danke ich für die bewährt gute Zusammenarbeit.
Darmstadt, im Juli 2008
Peter Hagedorn
[email protected]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1
2 Kinematik
2.1 Kinematik des Punktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Die geradlinige Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2 Erste Bemerkungen zu Differentialgleichungen . . . . .
2.1.3 Die allgemeine („krummlinige“) Bewegung . . . . . . .
2.2 Kinematik des starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung des
ren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Ebene Bewegung starrer Körper, der Momentanpol . .
2.2.3 Relativbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.4 Ergänzungen zur Kinematik des starren Körpers∗ . . .
2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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star. . . .
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3
3
3
4
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25
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30
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43
52
3 Dynamik des Massenpunktes und des Punkthaufens
3.1 Das Newtonsche Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Freie und geführte Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Der Arbeitssatz für den Massenpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Der Punkthaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.1 Der Schwerpunktsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2 Arbeitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.3 Impulssatz, Anwendung auf den Stoß . . . . . . . . . . . . . .
3.4.4 Drallsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.5 Umrechnungsformeln für Impuls, Drehimpuls und kinetische
Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.6 Das Zweikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
100
107
4 Dynamik des starren Körpers
4.1 Ebene Bewegung starrer Körper . . . . . . . . . .
4.1.1 Schwerpunktsatz und Drallsatz . . . . . .
4.1.2 Arbeitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.3 Stoß und Drehstoß . . . . . . . . . . . . .
4.2 Allgemeine räumliche Bewegung starrer Körper∗
4.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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111
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71
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78
81
83
91
153
5 Dynamik der Systeme∗
5.1 Eine Umformung der Bewegungsgleichungen (D’Alembertsche
Trägheitskräfte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
5.2 Das Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . 160
II
Inhaltsverzeichnis
5.3
5.4
Lagrangesche Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
6 Einführung in die Schwingungslehre
6.1 Systeme mit einem Freiheitsgrad . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1.1 Freie ungedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . .
6.1.2 Freie gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . .
6.1.3 Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Systeme mit zwei Freiheitsgraden . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2.1 Freie ungedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . .
6.2.2 Erzwungene ungedämpfte Schwingungen . . . . . . . .
6.3 Der Balken: Ein System mit unendlich vielen Freiheitsgraden
6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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212
7 Elemente der Hydromechanik
7.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2 Das Grundgesetz der Dynamik für ideale Flüssigkeiten
7.3 Die Bernoullische Gleichung . . . . . . . . . . . . .
7.4 Der Sonderfall der Hydrostatik . . . . . . . . . . . . .
7.5 Der Impulssatz für stationäre Bewegung . . . . . . . .
7.6 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 Aufgaben mit Lösungen
8.1 Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.1 Roboterarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.2 Geführter Bolzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.3 Geführte Dreieckscheibe . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.4 Ebenes Getriebe aus zwei Stangen . . . . . . . . .
8.1.5 Planetengetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.6 Durch zwei Muffen geführte Stange . . . . . . . . .
8.1.7 Verriegelungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . .
8.1.8 Kurbeltrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.9 Sonnenschirm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1.10 Ebenes Getriebe mit einer Stange und zwei Rädern
8.2 Dynamik von Massenpunkten und starren Körpern . . . .
8.2.1 Katapultwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.2 Radrennfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.3 Bowlingbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.4 Zylindrische Walze auf glatter und rauher Bahn . .
8.2.5 Schweres Seil auf Rolle . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.6 Walze auf Schlitten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.7 Walze auf Förderband . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.8 System aus zwei Rollen und Seil . . . . . . . . . .
8.2.9 Kreisscheibe auf schiefer Ebene . . . . . . . . . . .
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260
262
264
267
269
272
274
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III
Inhaltsverzeichnis
8.3
8.4
8.2.10 Kippender Stab auf beschleunigtem Wagen .
8.2.11 Stoß von Hantel auf starre Unterlage . . . . .
8.2.12 Walze auf Knüppeldamm . . . . . . . . . . .
8.2.13 Stoß von elastischer Hantel auf Stab . . . . .
8.2.14 Hochlauf eines Elektromotors . . . . . . . . .
8.2.15 Stoß einer rollenden Kugel gegen eine Stufe .
8.2.16 Stoß einer Kreisscheibe auf ein Drehkreuz . .
8.2.17 Stoß einer Laufkatze auf einen Puffer . . . . .
8.2.18 Kippender Quader . . . . . . . . . . . . . . .
8.2.19 Stoß zwischen Stab und Massenpunkt . . . .
8.2.20 Blockieren eines Rotors . . . . . . . . . . . .
8.2.21 Stoß auf rollenden Ring . . . . . . . . . . . .
8.2.22 Stab auf Transportwalze . . . . . . . . . . . .
Schwingungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.3.1 Wagen mit Federkombination . . . . . . . . .
8.3.2 System mit zwei Wagen . . . . . . . . . . . .
8.3.3 System zweier Körper . . . . . . . . . . . . .
8.3.4 Walze auf einer schiefen Ebene . . . . . . . .
8.3.5 Drehelastisch gelagerter Rotor . . . . . . . .
8.3.6 Schwingende Walze . . . . . . . . . . . . . . .
8.3.7 Kiste auf LKW . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.3.8 Schwingende Quadratscheibe . . . . . . . . .
8.3.9 Schwingender, lotrechter Balken . . . . . . .
8.3.10 Schwingende Hantel . . . . . . . . . . . . . .
8.3.11 Klingel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.3.12 Balken mit Drehfeder . . . . . . . . . . . . .
8.3.13 Halbzylinder auf Rütteltisch . . . . . . . . . .
Hydromechanik idealer Flüssigkeiten . . . . . . . . .
8.4.1 Reduzierstück . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.4.2 Düsenmundstück . . . . . . . . . . . . . . . .
8.4.3 Flüssigkeitsmanometer . . . . . . . . . . . . .
8.4.4 Zylindrische Klappe . . . . . . . . . . . . . .
8.4.5 Radialdiffusor . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.4.6 Springbrunnen . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.4.7 Druckbehälter . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.4.8 Offener Behälter mit zwei Ausflüssen . . . . .
8.4.9 Fernwärmeleitung . . . . . . . . . . . . . . .
8.4.10 Behälter mit Verteilerrohr . . . . . . . . . . .
8.4.11 Ausflußrohr mit veränderlichem Querschnitt .
8.4.12 Wasserstrahlpumpe . . . . . . . . . . . . . . .
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283
285
286
288
291
293
295
297
299
301
304
304
306
307
309
310
313
314
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318
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322
323
325
327
327
328
330
332
334
336
338
340
341
344
346
349
A MATLAB-Aufgaben
351
A.1 ARCHIMEDISCHE Spirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
A.2 Gelenkviereck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
A.3 Schiefer Wurf mit Luftwiderstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
IV
Inhaltsverzeichnis
A.4
A.5
A.6
A.7
A.8
Massenpunkt am Ende eines sich verkürzenden Fadens
Punkt auf rauher, schiefer Ebene (räumlich) . . . . . .
Schwingung auf rauher, schiefer Ebene . . . . . . . . .
Rutschende Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beschleunigung eines PKW . . . . . . . . . . . . . . .
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358
362
366
369
373
B Massenträgheitsmomente starrer Körper
385
C Beweis der Identität (5.140)
391
Index
393
Die mit ∗ gekennzeichneten Abschnitte können bei einer ersten Lektüre weggelassen
werden.
1
Einleitung
In diesem Buch befassen wir uns mit der Bewegung von Massenpunkten und starren
Körpern unter dem Einfluß von Kräften, d.h. wir behandeln die Kinetik einfacher
mechanischer Systeme. Im internationalen Sprachgebrauch hat sich hierfür allerdings statt des korrekten Ausdrucks „Kinetik“ die Bezeichnung Dynamik (englisch:
dynamics) durchgesetzt. Eigentlich bedeutet Dynamik ja „Lehre von den Kräften“,
während hier die Bewegung unter der Wirkung von Kräften im Mittelpunkt unserer Betrachtungen steht. Wir schließen uns dem modernen Sprachgebrauch an und
verwenden die Bezeichnung „Dynamik“ anstelle von „Kinetik“.
Als Lehre von den Bewegungen und den Kräften verwendet die Dynamik Begriffe
der Statik, d.h. der Geometrie der Kräfte, und der Kinematik, also der Geometrie
der Bewegung. Mit der Statik haben wir uns schon in TM 1 (= Technische Mechanik, Bd. 1) beschäftigt. Die Kinematik wurde bisher noch nicht behandelt. Wir
müssen uns daher zunächst der Beschreibung der Bewegungen, d.h. also der Kinematik, widmen, bevor wir dann in der Dynamik den Zusammenhang zwischen den
Kräften und den Bewegungen genauer untersuchen. Zu den Grundbegriffen aus der
Statik (TM 1) und der Festigkeitslehre (TM 2) tritt dabei als zusätzlicher, neuer Begriff die Zeit auf. Damit sind Raum, Zeit, Masse und Kraft die wichtigsten
Grundbegriffe der Dynamik. Der Kraftbegriff kann allerdings durch die ersten drei
Größen erklärt werden. Wir beschränken uns in der Dynamik hier im wesentlichen
auf Massenpunkte und auf starre Körper. Diese Begriffe sind aus TM 1 und TM 2
bekannt.
In der klassischen Newtonschen Mechanik1 , die für eine hinreichend genaue Behandlung der meisten mechanischen Probleme der Technik ausreicht, geht man von
der Existenz einer absoluten Zeit sowie eines absolut ruhenden Bezugssystems, eines sogenannten Inertialsystems, aus. Lediglich bei wenigen, speziellen Problemen
der Technik muß man über den Rahmen dieser klassischen Mechanik hinausgehen,
um auf zufriedenstellende Lösungen zu kommen.
Wir fassen die Grundlagen der klassischen Mechanik in den Newtonschen Gesetzen
zusammen, die in etwas anderer Form auch schon in TM 1 angegeben wurden.
Sie sind zwar nicht in dieser Formulierung bei Newton zu finden, es ist jedoch
heute allgemein üblich, sie mit seinem Namen zu verbinden. Das erste Gesetz, auch
Trägheitsgesetz genannt, besagt:
Es existiert ein Bezugssystem (Inertialsystem), bezüglich dessen jeder
Massenpunkt in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung bleibt, wenn er
1 Nach
dem Physiker und Astronom Sir Isaac Newton, *1643 in Woolsthorpe, †1727 in Kensington (heute London).
2
1 Einleitung
nicht durch Kräfte gezwungen wird, diesen Zustand zu ändern.
Das zweite Gesetz (= Bewegungsgesetz, Grundgesetz der Dynamik) lautet:
In diesem Inertialsystem gilt für einen Massenpunkt der Zusammenhang
#„
F = m #„
a,
(1.1)
d.h. der Kraftvektor ist proportional zum Beschleunigungsvektor; die Proportionalitätskonstante ist die Masse (träge Masse).
Das dritte Gesetz (= Gegenwirkungsgesetz, Gesetz von actio & reactio) besagt:
Die wechselseitigen Beeinflussungen zweier Körper sind immer gleich und
entgegengerichtet: Übt ein Körper 1 eine Kraft auf einen Körper 2 aus,
so ist diese gleich groß und entgegengerichtet zu der Kraft, die der Körper
2 auf den Körper 1 ausübt.
Dieses dritte Newtonsche Gesetz wird auch oft prägnant durch die Gleichung
actio = reactio
(1.2)
formuliert. Wir nehmen im folgenden an, daß die drei Gesetze für Massenpunkte
gelten und werden daraus dann Aussagen für andere Körper herleiten. Als von
den Newtonschen Gesetzen unabhängiges Axiom führen wir in Kapitel 3 und 4
noch den Drehimpulssatz oder Drallsatz ein, den man nur für Spezialfälle aus diesen
„Gesetzen“ ableiten kann.
2
Kinematik
2.1
Kinematik des Punktes
2.1.1
Die geradlinige Bewegung
In der Kinematik beschränken wir uns darauf, die Lage von Körpern in Abhängigkeit von der Zeit, d.h. die Bewegung zu beschreiben. Zunächst behandeln wir
die Kinematik eines Punktes und führen die Grundbegriffe Geschwindigkeit und
Beschleunigung anhand der geradlinigen Bewegung ein.
Gemäß Abb. 2.1 betrachten wir einen sich auf einer gegebenen Geraden bewegenden Punkt P . Seine Lage wird auf der Geraden durch die einzige Koordinate x
beschrieben. Als Bewegung bezeichnen wir die Funktion x(t), also die Abhängigkeit
der Variablen x von der Zeit t. Graphisch kann sie z.B. wie in Abb. 2.2 dargestellt
werden.
x
α Δx
O
P
x(t)
2.1: Zur geradlinigen Bewegung eines
Punktes
t
t + Δt
t
2.2: Zum Begriff der mittleren Geschwindigkeit
Die mittlere Geschwindigkeit in dem Zeitintervall von t bis t + Δt ist durch den
Quotienten
vm =
Δx
x( t + Δt) − x( t )
=
Δt
Δt
(2.1)
definiert (Δ = „Delta“). Gemäß Abb. 2.2 ist die mittlere Geschwindigkeit in dem gegebenen Zeitintervall proportional zur Steigung der Sekante an die gegebene Kurve
x(t):
vm ∼ tan α
(2.2)
(α = „alpha“). Als momentane Geschwindigkeit oder auch einfach Geschwindigkeit
4
2 Kinematik
zum Zeitpunkt t = t bezeichnen wir den Grenzwert
v( t ) := lim
Δt→0
Δx
= ẋ( t )
Δt
(2.3)
der mittleren Geschwindigkeit für Δt → 0. Wie man sieht, ist dies die Ableitung
von x(t) nach t. Die Geschwindigkeit v(t) ist demnach proportional zur Steigung
der Tangente an der Stelle t = t in Abb. 2.2.
Die mittlere Beschleunigung in dem Zeitintervall (t, t + Δt) ist als
am =
Δv
Δt
(2.4)
definiert und die (momentane) Beschleunigung zum Zeitpunkt t als
a( t ) := lim
Δt→0
Δv
= ẍ( t ) .
Δt
(2.5)
Kennt man die Bewegung x(t), so kann man Geschwindigkeit ẋ(t) und Beschleunigung ẍ(t) durch Differentiation bestimmen. Die Formelzeichen v und a für Geschwindigkeit und Beschleunigung sind international gebräuchlich, sie entsprechen
den englischen Bezeichnungen „velocity“ bzw. „acceleration“, die ihrerseits aus dem
Lateinischen kommen. Definitionsgemäß werden Geschwindigkeit und Beschleunigung im SI–System in m/s bzw. m/s2 gemessen.
2.1.2
Erste Bemerkungen zu Differentialgleichungen
Im Newtonschen Grundgesetz (1.1) sind die Kräfte in der Regel nicht konstant;
auch nur in wenigen Fällen sind sie vorgegebene Funktionen der Zeit. Meist hängen
die Kräfte vom Ort und auch von der Geschwindigkeit ab. Die Luftwiderstandskraft
ist ein typisches Beispiel einer solchen geschwindigkeitsabhängigen Kraft. Nehmen
wir an, daß die Kraft als Funktion des Ortes, der Geschwindigkeit und der Zeit gegeben ist, so nimmt das Newtonsche Grundgesetz (1.1) für die geradlinige Bewegung
die Form
m ẍ(t) = F (x(t), ẋ(t), t)
(2.6)
an, wobei die Funktion F (x, ẋ, t ) bekannt und gleich der Summe aller auf den
Massenpunkt in x–Richtung wirkenden Kräfte ist.
Das Grundgesetz der Dynamik führt also auf eine Gleichung der Art
ẍ(t) = a(x(t), ẋ(t), t) ,
(2.7)
wobei die rechte Seite eine Funktion von x, ẋ und t ist. Wir nehmen jetzt an, daß
die Funktion a(x, ẋ, t ) bekannt und die Bewegung x(t) zu bestimmen ist. Gleichungen der Art (2.7), die einen Zusammenhang zwischen den Ableitungen einer
5
2.1 Kinematik des Punktes
(unbekannten) Zeitfunktion, der Funktion selbst und der Zeit herstellen, bezeichnet
man als Differentialgleichungen. Eine Lösung der Differentialgleichung (2.7) ist eine
Funktion x(t), die – in (2.7) eingesetzt – diese für alle Zeiten erfüllt.
In der Mechanik, aber auch in vielen anderen Bereichen der Physik und der Technik,
spielen Differentialgleichungen eine zentrale Rolle, und entsprechend viel Aufmerksamkeit wird ihnen in den Mathematik–Vorlesungen gewidmet. Da dies aber oft
erst zu einem späteren Zeitpunkt geschieht, werden wir (2.7) an dieser Stelle etwas
näher beleuchten. Zunächst stellen wir fest, daß die Differentialgleichung (2.7) von
zweiter Ordnung ist (Die Ordnung einer Differentialgleichung ist die Ordnung der
höchsten in ihr auftretenden Ableitung). Der Grund dafür ist, daß im Grundgesetz
der Dynamik zwar Beschleunigungen, aber keine höheren Zeitableitungen von x(t)
auftreten.
Beschleunigung als Funktion der Zeit
Im folgenden besprechen wir die wichtigsten Spezialfälle von (2.7). Zunächst betrachten wir den Fall, in dem die Beschleunigung lediglich Funktion der Zeit ist.
Dann reduziert sich (2.7) zu
ẍ(t) = a(t) ,
(2.8)
wobei die rechte Seite eine gegebene Funktion der Zeit t ist. Die Integration dieser
Gleichung bezüglich t liefert
(2.9)
v(t) = ẋ(t) = a(t) dt + C1 .
Die Geschwindigkeit kann also durch Integration aus der Beschleunigung ohne weiteres bestimmt werden, wenn a(t) vorgegeben ist. Die Integrationskonstante C1 ist
dabei noch festzulegen. Anstelle des unbestimmten Integrals kann man auch das
bestimmte Integral
v(t) − v(0) =
t
a(t) dt
(2.10)
0
schreiben, bzw.
v(t) =
t
a(t) dt + v(0) ,
0
(2.11)
wobei
v(0) = ẋ(0) = v0
(2.12)
6
2 Kinematik
jetzt die Bedeutung der Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t = 0, d.h. der Anfangsgeschwindigkeit hat. Ganz analog liefert eine zweite Integration nunmehr
t
x(t) =
v(t) dt + x0
(2.13)
0
mit x0 als Anfangslage.
Als erstes Beispiel zu (2.8) betrachten wir den Sonderfall der Bewegung mit
konstanter Beschleunigung
a(t) ≡ a0 = const .
(2.14)
v(t) = a0 t + v0
(2.15)
Dies führt mit (2.11) auf
und daraus folgt mit (2.13)
t2
+ v0 t + x0 ,
(2.16)
2
d.h. die Koordinate x(t) ist eine quadratische Funktion der Zeit, während die Geschwindigkeit v(t) = ẋ(t) linear in t ist (s. Abb. 2.3).
x(t) = a0
ẍ
a = ẍ
â
a0
π/ω
2π/ω
t
t
ẋ
v = ẋ
â/ω
v0
t
(für v0 = −â/ω)
t
x
x
â/ω 2
t
x0
2.3: Zur Bewegung (2.16)
t
(für x0 = 0)
2.4: Zur Bewegung (2.20)
Als zweites Beispiel behandeln wir die Bewegung mit harmonischer Beschleunigung
a(t) = â sin ωt ,
(2.17)
7
2.1 Kinematik des Punktes
wobei ω (ω = „omega“) und â gegebene Konstanten sind. Hier ergibt die Integration
der Beschleunigung
t
t
1
sin ωt dt + v0 = − â cos ωt + v0 ,
(2.18)
v(t) = â
ω
0
0
so daß
â
(cos ωt − 1) + v0
ω
ist. Eine weitere Integration liefert schließlich
â t
(cos ωt − 1) dt + v0 t + x0
x(t) = −
ω 0
â
â
t + x0
= − 2 sin ωt + v0 +
ω
ω
v(t) = −
(2.19)
(2.20)
Der Verlauf der Beschleunigung a(t), der Geschwindigkeit v(t) und der Bewegung
x(t) ist für x0 = 0, v0 = −â/ω in Abb. 2.4 dargestellt. Man bezeichnet eine solche durch trigonometrische Zeitfunktionen beschriebene Bewegung als harmonische
Schwingung. Offensichtlich gehören zu einer harmonischen Schwingung x(t) eine
Geschwindigkeit und eine Beschleunigung, die ebenfalls harmonisch sind.
Beschleunigung als Funktion der Geschwindigkeit
Als zweiten Sonderfall von (2.7) betrachten wir
ẍ(t) = a ẋ(t) ;
(2.21)
hier ist die Kraft bzw. die Beschleunigung als Funktion der Geschwindigkeit vorgegeben, wie es z.B. beim Luftwiderstand der Fall ist. Mit
v = ẋ
(2.22)
schreibt sich (2.21) als
dv
= a(v)
dt
und dies kann auch als
dv
= dt
a(v)
(2.23)
(2.24)
geschrieben werden („Trennung der Veränderlichen“). Auf der linken Seite steht in
(2.24) jetzt ein Ausdruck, der lediglich von v abhängt, während die rechte Seite nur
t enthält. Beide Seiten können daher gemäß
t
v
dv
=
dt
(2.25)
v0 a(v)
0
8
2 Kinematik
integriert werden. Bezeichnet man die Stammfunktion (d.h. das Integral) von 1/a(v)
mit G(v), so folgt
(2.26)
G(v) − G(v0 ) = t
aus (2.25). Damit ist t als Funktion von v bekannt. Gelingt es, (2.26) nach v aufzulösen, so ergibt sich daraus
(2.27)
v(t) = f (v0 , t) .
Eine weitere Integration liefert dann
x(t) = x0 +
t
f (v0 , t) dt .
0
(2.28)
Im Gegensatz zu dem ersten Sonderfall (2.8) der Differentialgleichung (2.7) war es
hier nicht möglich, beide Seiten von (2.21) ohne weiteres zu integrieren, da in (2.21)
die rechte Seite nicht als Funktion von t vorliegt. Es war daher notwendig, zunächst
die Trennung der Veränderlichen durchzuführen.
Als Beispiel zu (2.21) behandeln wir die Differentialgleichung
ẍ(t) = g − k ẋ2 (t) ,
(2.29)
wobei g und k konstant sind. Diese Differentialgleichung beschreibt einen Körper
im freien Fall unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes, der in guter
Näherung quadratisch in der Geschwindigkeit ist. Trennung der Veränderlichen in
(2.29) liefert zunächst mit ẋ = v
dv
= dt ,
g − k v2
und die Integration mit v0 = 0 ergibt
v
t
dv
dt ,
2 =
0 g −kv
0
woraus
1
k
√
=t
artanh v
g
gk
folgt. Auflösung nach v liefert
g
v(t) =
tanh t g k ,
k
(2.30)
(2.31)
(2.32)
(2.33)
und der Verlauf dieser Funktion ist in Abb. 2.5 wiedergegeben. Man erkennt an
(2.29) (durch Nullsetzen von ẍ) und auch an (2.32), daß für große Zeiten die Ge-
9
2.1 Kinematik des Punktes
v
vend
α
t
2.5: Verlauf der Geschwindigkeit gemäß (2.33)
schwindigkeit gegen den endlichen Grenzwert
g
vend := lim v(t) =
t→∞
k
(2.34)
strebt. Die Beschleunigung zum Zeitpunkt t = 0 entspricht der Steigung im Koordinatenursprung in Abb. 2.5, und es gilt tan α ∼ g. Eine weitere Integration von
(2.33) ergibt x(t).
Beschleunigung als Funktion der Lage
Als dritten Sonderfall von (2.7) untersuchen wir noch die Differentialgleichung
ẍ(t) = a x(t) ,
(2.35)
die sich ergibt, wenn die Beschleunigung als Funktion der Lage gegeben ist. Dabei
schreiben wir (2.35) zunächst als
dv
= a(x)
dt
(2.36)
dv = a(x) dt .
(2.37)
bzw.
Multiplikation beider Seiten mit v ergibt
v dv = a(x) v dt ,
(2.38)
wobei nun auf der rechten Seite das Produkt vdt durch dx ersetzt werden kann.
Damit kann (2.38) gemäß
v
x
v dv =
a(x) dx
(2.39)
v0
x0
integriert werden. Mit H(x) als der Stammfunktion von a(x) folgt hieraus
v 2 − v02
= H(x) − H(x0 ) ,
2
(2.40)
10
2 Kinematik
und Auflösung nach v bzw. ẋ (sofern möglich) liefert
(2.41)
ẋ = h(x, x0 , v0 ) .
Hier kann nun wieder die Trennung der Veränderlichen durchgeführt werden, und
die Integration von
x
x0
dx
=
h(x, x0 , v0 )
t
dt
(2.42)
t0
ergibt schließlich t(x), also die Zeit t als Funktion der Ortskoordinate x.
Als Beispiel betrachten wir die Bewegung mit zum Weg proportionaler Beschleunigung, die auf die Differentialgleichung
(2.43)
ẍ(t) = − ω 2 x(t)
mit der positiven Konstanten ω 2 führt. Das Minuszeichen in (2.43) zeigt an, daß
die Beschleunigung dem Weg entgegengerichtet ist. Wir schreiben (2.43) als
dv
= − ω 2 x(t) ,
dt
(2.44)
integrieren gemäß
v
2
v dv = − ω
v0
x
(2.45)
x dx
x0
und erhalten so
v 2 − v02
= − ω2
2
x2 − x20
2
,
(2.46)
was wir als
ẋ2 = v02 − ω 2 (x2 − x20 )
schreiben. Die Trennung der Veränderlichen führt schließlich auf
x
t
dx
=
dt
(v02 + ω 2 x20 ) − ω 2 x2
x0
0
(2.47)
(2.48)
mit der Lösung
x(t) = x0 cos ωt +
v0
sin ωt .
ω
(2.49)
Auch hier hat sich als Lösung der Differentialgleichung eine harmonische Schwingung ergeben, wobei x(t) durch trigonometrische Funktionen beschrieben wird.
11
2.1 Kinematik des Punktes
Die Berechnung des Integrals (2.48) ist allerdings etwas mühevoll und hier auch gar
nicht notwendig. Es gibt nämlich einen viel einfacheren Weg zur Lösung von (2.43).
Diese Differentialgleichung, die wir auch als
ẍ(t) + ω 2 x(t) = 0
(2.50)
schreiben, ist linear (in der unbekannten Funktion x(t) und deren Ableitungen) und
besitzt konstante Koeffizienten. Für solche Differentialgleichungen mit konstanten
Koeffizienten kann man stets mit Hilfe des Exponentialansatzes
x(t) = eλt
(2.51)
Lösungen finden, wobei λ (λ = „lambda“) eine noch zu bestimmende Konstante ist.
Einsetzen von (2.51) in (2.50) führt auf
(λ2 + ω 2 ) eλt = 0 .
(2.52)
Soll (2.51) eine Lösung sein, so muß (2.52) für alle t gelten, so daß die Konstante λ
der Gleichung (charakteristische Gleichung)
λ2 + ω 2 = 0
(2.53)
genügen muß. Die Konstante λ muß daher einen der Werte
λ1 = + i ω ,
(2.54)
(2.55)
√
annehmen, wobei i := −1 die imaginäre Einheit ist. Der Lösungsansatz (2.51)
erfüllt also die Differentialgleichung, sofern λ einen der beiden Werte λ1 , λ2 (Eigenwerte) annimmt. Damit wurden zwei partikuläre Lösungen von (2.50) gefunden.
Die Differentialgleichung ist aber linear, so daß auch jede Linearkombination dieser
partikulären Lösungen wieder eine Lösung von (2.50) ergibt. Da die Exponentialfunktion hier komplexe Werte annimmt, lassen wir komplexe Konstanten G und H
zu und erhalten so die allgemeine Lösung
λ2 = − i ω
x(t) = G eiωt + H e−iωt
(2.56)
(komplexe Größen werden hier durch Unterstreichung gekennzeichnet). Für beliebige G und H ist (2.56) eine Lösung von (2.50). Durch geschickte Wahl der komplexen
Integrationskonstanten G und H gelingt es, die durch (2.56) dargestellte Lösung
reell zu machen. Dazu wählen wir die Integrationskonstanten gemäß
H = G∗
(2.57)
komplex konjugiert zueinander. Bezeichnet man den Real– und den Imaginärteil
von G jeweils mit C, S, so ist (2.57) gleichbedeutend mit
1
(C − i S) ,
2
1
H = (C + i S) .
2
G=
(2.58a)
(2.58b)
12
2 Kinematik
Da G und H beliebig sind, können auch C und S beliebige Werte annehmen. Damit
folgt wegen eiα = cos α + i sin α und e−iα = cos α − i sin α mit α = ωt aus (2.56)
x(t) = C cos ωt + S sin ωt .
(2.59)
Dies ist für C = x0 , S = v0 /ω mit (2.49) identisch.
Wir schließen diesen Abschnitt mit der Bemerkung, daß sich die Differentialgleichungen der Mechanik, die sich aus dem Grundgesetz der Dynamik ergeben, selbst
in dem einfachen Fall (2.7) (geradlinige Bewegung) im allgemeinen nicht analytisch lösen lassen. Die oben angegebenen Sonderfälle bilden Ausnahmen. Heutzutage bereitet es andererseits meist keine Schwierigkeiten, numerische Lösungen von
gewöhnlichen Differentialgleichungen zu vorgegebenen Anfangsbedingungen zu berechnen. Selbst auf einfachen PCs ist dies eine leicht zu bewältigende Aufgabe. Für
die numerische Lösung gewöhnlicher Differentialgleichungen stehen in dem schon
in der Statik besprochenen Softwarepaket Matlab verschiedene Algorithmen zur
Verfügung, die z.B. über die Befehle ode23 oder ode45 (ode = ordinary differential equation) aufgerufen werden können. Im Anhang A werden wir eine Reihe von
Beispielen dynamischer Probleme mittels Matlab behandeln. Trotzdem kommt
den analytischen Lösungen, dort wo sie möglich sind, eine große Bedeutung zu: Sie
gewähren Einblick in die allgemeinen Zusammenhänge und dienen als Testfälle für
numerische Verfahren.
2.1.3
Die allgemeine („krummlinige“) Bewegung
In diesem Abschnitt befassen wir uns mit der Beschreibung der räumlichen Bewegung eines Punktes auf einer beliebigen (krummlinigen) Bahn. Die Lage eines
Punktes P im dreidimensionalen Raum wird durch den von einem Bezugspunkt O
# „
aus definierten Ortsvektor #„
r (t) = OP (t) als Funktion der Zeit beschrieben. Geschwindigkeit und Beschleunigung des Punktes P werden dann durch die Ableitungen des Ortsvektors nach der Zeit definiert. Wir müssen also jetzt Vektorfunktionen
ableiten, und dabei spielt das Bezugssystem eine wesentliche Rolle. Es ist unmittelbar einsichtig, daß sich die Bewegung eines Punktes einem ruhenden Beobachter
anders darstellt, als einem, der in einem sich bewegenden Fahrzeug sitzt.
Wir legen nun ein Bezugssystem dadurch fest, daß wir die Einheitsvektoren (Basis#„ #„ #„
vektoren) k1 , k2 , k3 angeben. Die Ableitung eines Vektors #„
r (t) nach t bezüglich des
Bezugssystems K wird dann folgendermaßen definiert. Wir schreiben den Vektor
#„
r (t) als
#„
#„
#„
#„
r (t) = r1 (t) k1 + r2 (t) k2 + r3 (t) k3
(2.60)
und definieren die Ableitung von r(t) nach t in K als
#„
#„
#„
#„
ṙ (t) = ṙ1 (t) k1 + ṙ2 (t) k2 + ṙ3 (t) k3 .
(2.61)
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