4.2 Gebundene Teilchen 4.3 Bornsche

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4.2 Gebundene Teilchen
17
(4.3)
pe = ~k
Die Wellenfront eines Elektronenstrahls (die Verbindungslinie zwischen gleichen Amplitudenwerten der
nebeneinander verlaufenden Elektronenwellen) verläuft senkrecht zu ~k
Abbildung 4.1: Wellenfront und Wellenvektor eines Elektronenstrahls.
Die Phase kx − ωt = konst bewegt sich mit der Phasengeschwindigkeit vp = λν = ωk
Die Phasengeschwindigkeit ist nicht messbar. Sie kann größer als die Lichtgeschwindigkeit sein.
Im Allgemeinen erfolgt die Beschreibung eines Elektrons im Elektronenstrahl nicht durch eine einzelne ebene
Welle, sondern durch eine Gruppe ebener Wellen mit einer Verteilung von k und ω.
Eine solche Gruppe wird als Wellenpaket bezeichnet.
Die Gruppengeschwindigkeit vg = dω
dk = ve ist eine messbare Größe.
4.2 Gebundene Teilchen
Auf das Elektron wirkt eine anziehende Kraft, z.B. die Coulombanziehungskraft durch den Atomkern.
Dadurch resultiert nach (1.8) ein attraktives V (x).
Als Konsequenz hält sich das Elektron bevorzugt in der Nähe des tiefsten Punkts von V (x) auf.
Daraus ergeben sich folgende Bedingungen für gültige Wellenfunktionen ψ(x)
1. ψ(x) muss quadratisch auf Eins normierbar sein.
Z∞
!
ψ ∗ (x)ψ(x) dx = 1
(4.4)
−∞
(dabei ist ψ ∗ (x) die komplex konjugierte Funktion zu ψ(x))
2. ψ(x) muss stetig differenzierbar sein (Ausnahme: Unendlichkeitsstellen des Potentials, z.B. ist im Atom
1
, so dass am Kernort eine Unendlichkeitsstelle existiert).
V ∝ − |x|
3. ψ(x) muss stetig für alle x sein (notwendige Voraussetzung für stetige Differenzierbarkeit)
4. ψ(x) muss eindeutig für alle x sein (notwendige Voraussetzung für Funktionscharakter)
Die letzten drei Bedingungen gelten auch für Wellenfunktionen freier Teilchen.
Beispiele für gültige Einelektronenwellenfunktionen sind
ψ(x) = N e−x
ψ(x) = N e
2
N : Normierungsfaktor
−|x|
4.3 Bornsche Wahrscheinlichkeitsinterpretation
Die Wellenfunktion selbst besitzt keine physikalische Bedeutung.
Nach Max Born ist die Elektronendichte, genauer die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des Elektrons,
die in den Beugungsexperimenten (Abschnitte 2.4,3.1) mit der gemessenen Intensität I verknüpft war, gegeben
durch das Betragsquadrat der Wellenfunktion:
18
4 Einteilchen-Wellenfunktionen
I(x) ∝ |ψ(x)|2 = ψ ∗ (x)ψ(x)
(4.5)
h
i
1
Die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte hat die Dimension Länge
.
∞
Z
|ψ(x)|2 dx = 1 an, dass sich ein Elektron irgendwo im Raum (hier: auf der x-Achse)
Anschaulich gibt
aufhält.
−∞
Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit, das Produkt der Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte und einem
infinitesimal kleinen Längenelement dx, ist daher dimensionslos.
W (x) = |ψ(x)|2 dx
(4.6)
Anschaulich gibt W (x) dx die Anzahl Elektronen im Längenbereich zwischen x und x + dx an.
4.4 Superpositionsprinzip
Mit Hilfe der Bornschen Wahrscheinlichkeitsinterpretation lässt sich die beim Doppelspaltexperiment (Abschnitt 3.1) beobachtete Abweichung der Gesamtintensität von der Summe der Einzelintensitäten erklären.
Allgemein wird die Wellenfunktion für ein Ereignis AB, das durch Kombination der Einzelereignisse A und
B entsteht, durch eine Linearkombination (Superposition) der Einzelwellenfunktionen zu einer Gesamtwellenfunktion erhalten:
ψAB = ψA + ψB
Dabei sind ψA , ψB die Wellenfunktionen für die Ereignisse/Zustände A und B.
Die Gesamtintensität IAB ergibt sich nach Gleichung 4.5 zu:
∗
∗
∗
IAB ∝ ψAB
ψAB = (ψA
+ ψB
)(ψA + ψB ) =
∗
∗
[ψA
ψ A + ψB
ψB ]
{z
}
|
Summe der Einzelereignisse
∗
∗
+ ψA
ψB + ψ B
ψA
{z
}
|
Interferenz
4.4 Superpositionsprinzip
19
In Verallgemeinerung des Doppelspaltexperimentes kann ein quantenmechanisches System aus einer Superposition aus beliebig vielen möglichen Zuständen bestehen:
ϕ=
∞
X
(4.7)
c n ψn
n
Dabei sind
ϕ die Gesamtwellenfunktion
cn die Entwicklungskoeffizienten
{ψn } ein Satz von Wellenfunktionen, die je einen Zustand n des Systems beschreiben (daher auch als
Zustandsfunktionen bezeichnet)
Im Sinne einer Reihenentwicklung kann mit diesem Ansatz (4.7) jede beliebige Wellenfunktion als Superposition der Zustandsfunktionen eines quantenmechanischen Operators berechnet werden (siehe späteren
Abschnitt 6). Dies wird später bei der Herleitung des Variationsprinzips ausgenutzt.
Nach der Bornschen Wahrscheinlichkeitsinterpretation muss auch eine solche Gesamtwellenfunktion auf Eins
normiert sein:
Z∞
!
ϕ∗ (x)ϕ(x) dx = 1
−∞
Daraus ergibt sich nach Einsetzen von (4.7)
∞ Z∞
∞ X
X
n
!
c∗n ψn∗ cm ψm dx = 1
m −∞
Quantenmechanische Zustandsfunktionen sind stets orthonormal (siehe Abschnitt 4.7). Das bedeutet, dass
alle Integrale mit verschiedenen Indizes m =
6 n Null sind, im anderen Fall m = n Eins. Daraus ergibt sich als
Forderung an die Entwicklungskoeffizienten, dass ihre Quadratsumme ebenfalls Eins ergibt.
∞
X
n
!
|cn |2 = 1
20
4 Einteilchen-Wellenfunktionen
4.5 Beispiele erlaubter Wellenfunktionen für gebundene Teilchen
Beispiel 1: Erlaubte (eindimensionale) Wellenfunktionen für gebundene Teilchen
2
Abbildung 4.2: Erlaubte Wellenfunktion ψ(x) = N e−x ; notwendige Bedingung für die Normierbarkeit
von ψ ist das Verschwinden an den Definitionsrändern: lim ψ = lim ψ = 0
x→−∞
x→∞
Abbildung 4.3: Erlaubte Wellenfunktion ψ(x) = N e−|x| ; bei x = 0 ist ψ nicht stetig differenzierbar, dort gilt
1 e2
in Atomen (V (x) = − |x|
4πǫ0 ) jedoch ist V (0) = −∞ und es gilt die Ausnahmeregel (siehe
Abschnitt 4.2)
Berechnung des Normierungsfaktors N :
Hierfür verwendet man die Bornsche Wahrscheinlichkeitsinterpretation (4.3)
Z∞
!
ψ ∗ (x)ψ(x) dx = 1
−∞
Dazu ist es zweckmäßig, die Wellenfunktion als Produkt des Normierungsfaktors und einer quadratisch
normierbaren dimensionslosen Funktion zu schreiben:
ψ(x) = N · f (x)
N muss so gewählt werden, dass das Normierungsintegral (4.4) zu Eins wird, daher gilt
|N |
2
Z∞
−∞
v
u
f (x)f (x) dx = 1 =⇒ N = u
u R∞
t
∗
1
(4.8)
f ∗ (x)f (x) dx
−∞
Der Normierungsfaktor (und damit die eindimensionale Wellenfunktion) hat die Dimension
i
h
1
.
Dreidimensionale Wellenfunktionen haben entsprechend die Dimension √Volumen
h
√ 1
Länge
i
.
21
4.6 Stationäre Zustände
Beispiel 2: Gegenbeispiele nicht erlaubter Funktionen
Abbildung 4.4: Nicht erlaubte Wellenfunktion ψ(x) =
N
x2 ;
nicht normierbar wegen lim ψ = ∞.
x→0
Abbildung 4.5: Nicht erlaubte Wellenfunktion ψ(x) = N e−x ; nicht normierbar wegen lim ψ = ∞.
x→−∞
Abbildung 4.6: Nicht erlaubte Wellenfunktion ψ(x) = N sin(x) (Imaginärteil einer ebenen Welle); nicht
normierbar wegen limx→±∞ ψ 6= 0. Wenn der Definitionsbereich von Sinus- oder Cosinusfunktionen jedoch auf ein endliches Intervall begrenzt wird, können sie erlaubt sein (siehe Teilchen
im Kasten).
4.6 Stationäre Zustände
Messbare Eigenschaften eines Systems wie z.B. die Elektronendichte ψ ∗ (x, t)ψ(x, t) sind zeitunabhängig,
auch wenn die Wellenfunktion orts- und zeitabhängig ist.
Dies ist stets dann der Fall, wenn auf das System keine äußeren Störungen wirken, z.B. bei freien Atomen
und Molekülen in verdünnten Gasen.
Die Stationarität wird durch einen speziellen Ansatz erreicht: die Zustandsfunktion wird als Produkt einer
Ortswellenfunktion ψ(x) und einer Zeitwellenfunktion Z(t) ≡ e−iωt angesetzt:
ψ(x, t) =
ψ(x)
| {z }
systemabhängige
Ortsfunktion
·
−iωt
|e {z }
aus
ebener Welle
4.1
Mit diesem Produktansatz wird z.B. die Elektronendichte zeitunabhängig:
(4.9)
22
5 Berechnung von Wellenfunktionen
I(x) = ψ(x, t)∗ ψ(x, t) = |ψ(x)|2 eiωt e−iωt = |ψ(x)|2
4.7 Orthonormierte Funktionen
Die Eigenschaft der Orthogonalität zweier Wellenfunktionen spielt in der Quantenmechanik eine zentrale
Rolle.
Für orthonormierte Funktionen ψ, ϕ gilt:
(
Z
Z
1 für ψ = ϕ
∗
∗
ψ (x)ϕ(x) dx = ϕ (x)ψ(x) dx =
(4.10)
0 für ψ 6= ϕ
Es besteht eine Analogie zu Vektoren: dort ist das Skalarprodukt zweier orthogonaler Vektoren null. Bei
Funktionen wird die diskrete Summation bei Bildung des Skalarprodukts durch Integration über den Definitionsbereich ersetzt.
Beispiel 3: Orthogonale Funktionen
In vielen der hier diskutierten Fällen sind zwei Funktionen deshalb orthogonal zueinander, weil sie unterschiedliches Vorzeichenverhalten aufweisen. Gerade Funktionen haben gleiches Vorzeichen bei Vorzeichenumkehr
des Arguments, ungerade Funktionen kehren dabei ihr Vorzeichen um.
2
2
So ist zum Beispiel eine Gaußfunktion ψ(x) = N1 e−x gerade, und die Funktion ϕ(x) = N2 xe−x ungerade.
Dadurch ist das Produkt ψ ∗ (x)ϕ(x) ebenfalls ungerade, d.h. es gilt:
ψ ∗ (x) = ψ ∗ (−x)
ϕ(x) = −ϕ(−x)
=⇒ ψ ∗ (x)ϕ(x) = −ψ ∗ (−x)ϕ(−x)
=⇒
=⇒
Z0
−∞
Z∞
ψ ∗ (x)ϕ(x) dx = −
Z∞
ψ ∗ (x)ϕ(x) dx
0
ψ ∗ (x)ϕ(x) dx = 0
−∞
5 Berechnung von Wellenfunktionen
Im Folgenden sollen Elementarteilchen durch Wellenfunktionen beschrieben werden.
Daher wird im nächsten Abschnitt die klassische Definitionsgleichung für Wellenfunktionen vorgestellt.
5.1 Wellengleichung
Die Wellengleichung für orts- und zeitabhängige Wellenfunktionen ψ(x, t) ist eine partielle Differentialgleichung
(Dgl.) der allgemeinen Form:
∂ 2 ψ(x, t)
1 ∂ 2 ψ(x, t)
= 2
2
∂x
v
∂t2
(5.1)
5.1 Wellengleichung
23
Dabei ist
v = vp = λν die Phasengeschwindigkeit
Verallgemeinert auf den dreidimensionalen Fall ergibt sich:
1 ∂2ψ
v 2 ∂t2
∂2
∂2
∂2
mit ∇2 ≡
+ 2+ 2
2
∂x
∂y
∂z
∇2 ψ =
(5.2)
Für die Lösung der partiellen Dgl. wird hier — wie auch mehrfach in den folgenden Abschnitten — ein
Produktansatz verwendet:
ψ(x, t) = ϕ(x)Z(t)
(5.3)
Damit lässt sich die Wellengleichung 5.1 umformen:
Z
1 d2 Z
d2 ϕ
=
ϕ
dx2
v 2 dt2
(5.4)
Mit dem Produktansatz soll eine Trennung der Veränderlichen (T dV ) erreicht werden:
alle längenabhängigen Größen (ϕ, x, λ) werden durch weitere Umformung auf die linke Seite gebracht, alle
zeitabhängigen Größen (Z, t, ν) auf die rechte Seite:
λ2 d 2 ϕ
1 dZ 2
= 2
2
ϕ dx
ν Z dt2
| {z } | {z }
F (x)
G(t)
⇒ F (x) = G(t) (G von x unabhängige Größe = Konstante1 für F)
genauso G(t) = F (x) (F von t unabhängige Größe = Konstante1 für G)
Da die Orts- (x) und Zeitkoordinaten (t) unabhängig voneinander sind, muss die in der ersten Zeile geforderte
Gleichheit für alle x, t gelten.
Daraus folgt, dass die beiden Konstanten identisch sein müssen (konstF = konstG = α).
Durch die TdV ist es möglich geworden, getrennte Dgl. für ϕ(x) und Z(t) aufzustellen:
a)
d2 ϕ
dx2
+ k 2 ϕ = 0 mit k 2 ≡ − λα2
b)
d2 Z
dt2
+ ω 2 Z = 0 mit ω 2 ≡ −ν 2 α
Die Größen k und ω sind der Wellenvektor und die Kreisfrequenz aus 4.1.
Die allgemeine Lösung für die Ortsfunktion (a) lautet:
ϕ(x) = A cos(kx) + B sin(kx)
= Ce
ikx
+ De
−ikx
(5.5)
(5.6)
Dabei können die Konstanten (A, B, C, D) komplexe Zahlen sein.
Die Werte der Konstanten (auch von k) werden durch die jeweiligen Randbedingungen festgelegt, die
durch das System gegeben sind.
Für die Zeitfunktion (b) wird im Folgenden für stationäre Zustände eine Beschränkung auf Z(t) = e−iωt
vorgenommen (siehe 4.9).
Zeitlich veränderliche Systeme werden durch Z(t) = cos(ωt) beschrieben. Im nachfolgenden Beispiel wird die
Zeitabhängigkeit jedoch nicht explizit behandelt.
25
Durch Inspektion lässt sich die Beziehung λ = 2b/n erkennen, aus der sich mit (5.10) die in (4.2) verwendete
Beziehung k = 2π/λ ergibt.
Abbildung 5.2: Nullstellen und Knotenpunkt der Grundschwingung und der ersten Oberschwingung;
λ = 2b/n =⇒ k = 2π/λ
6 Quantenmechanische Berechnung von Eigenschaften
Die Quantentheorie ermöglicht es prinzipiell, physikalische Eigenschaften vorherzusagen, also das Resultat
eines geplanten Experiments im Voraus zu berechnen.
Dazu wurde ein Formalismus entwickelt, der ausschließlich auf physikalischen Grundgrößen und der Kenntnis
der Randbedingungen des Systems basiert.
Das grundlegende Postulat der Quantenmechanik lautet:
Messbare Eigenschaften (Observable) eines Systems lassen sich durch Anwendung eines
quantenmechanischen Operators auf die Wellenfunktion erhalten.
Im Allgemeinen wirkt ein Operator  auf eine beliebige Funktion f (x) (die rechts vom Operator steht),
indem er eine andere Funktion g(x) erzeugt.
Âf (x) = g(x)
~ d
~
Beispiel :
· sin x = · cos x
i dx
i
Im quantenmechanischen Formalismus ist ein Spezialfall von großer Bedeutung, bei dem g(x) ein Vielfaches
von f (x) ist (und f (x) zudem eine gültige Wellenfunktion darstellt):
Âψ(x) = λψ(x)
(6.1)
(6.1) hat die Form einer Eigenwertgleichung. Die Wellenfunktion ψ ist in diesem Fall eine Eigenfunktion
des QM-Operators Â, λ ist der Eigenwert.
Ob die Anwendung eines Operators eine Eigenwertgleichung ergibt, hängt sowohl vom Operator als auch von
der Funktion ab.
Im Folgenden werden drei Typen von quantenmechanischen Operatoren behandelt:
• Differentialoperatoren: p̂, T̂ , L̂, Ĥ
• Multiplikative Operatoren: x, ~r, V (x), r112
• Matrixoperatoren: Spinoperator ŝ
Im quantenmechanischen Formalismus werden die quantenmechanischen Operatoren nur auf gültige
Wellenfunktionen (siehe Abschnitt 4.2) angewendet.
Nur Operatoren des ersten und dritten Typs können dabei Eigenwertgleichungen erzeugen.
26
6 Quantenmechanische Berechnung von Eigenschaften
Da es nach Abschnitt 4.4 für jedes System einen (i.A. unendlichen) Satz von Zustandsfunktionen gibt, gilt:
Zu jedem Differentialoperator gibt es für ein System mindestens einen vollständigen Satz von
Eigenfunktionen.
Âϕn = An ϕn
n = 1, . . . , ∞
∈N
(abzählbar unendlich)
Da die Eigenwerte An diskret sind, ergibt sich die im ersten Abschnitt vorgestellte Quantisierung physikalischer
Eigenschaften.
Die Eigenfunktionen ϕn eines Satzes sind vom gleichen Funktionstyp und hängen von mindestens einer
Quantenzahl (z.B. n) ab.
Die Operatoren können nach dem Korrespondenzprinzip aus der klassischen Physik abgeleitet werden:
Korrespondenzprinzip I
Jeder physikalischen Observable kann genau ein quantenmechanischer Operator zugeordnet werden, beispielsweise:
• Impuls p → p̂ =
~ ∂
i ∂x
bzw.
~
i∇
• Ort x → x̂ = x wirkt multiplikativ auf ψ
Die Basisgrößen p̂ und x̂ sind zueinander konjugiert, d.h. sie erfüllen eine bestimmte Kommutatorrelation
(siehe Abschnitt 8.3).
Alle anderen Operatoren können durch Anwendung der Relationen der klassischen Physik aus Orts- und
Impulsoperator abgeleitet werden.
• Kinetische Energie Ekin = T = 21 mv 2 =
p2
2m
−→ T̂ =
p̂2
2m
2
~
= − 2m
d2
dx2
~ = ~r × p~ −→ L̂ = r̂ × p̂~
• Drehimpuls L
Einen Operator für die Zeit behandeln wir hier nicht.
∂
Die alternative Impulsdarstellung behandelt p̂ als multiplikativen Operator und x̂ = − ~i ∂p
als Differentialoperator. Sie soll hier jedoch nicht verwendet werden.
6.1 Eigenwerte und Erwartungswerte
Ausgangspunkt: Ein Teilchen befindet sich im Zustand ψ, dieser wird durch die Wellenfunktion ψ(x) beschrieben.
ψ(x) soll die Bedingungen gemäß Abschnitt 4.2 erfüllen. Die Wellenfunktion muss jedoch nicht notwendigerweise eine Eigenfunktion des quantenmechanischen Operators  sein, mit dem die physikalisch messbare
Eigenschaft (Observable) A berechnet werden soll.
Es treten demnach zwei Fälle auf:
Fall a) ψ ist eine Eigenfunktion des Operators Â.
=⇒ der Wert von A wird als Eigenwert von ψ bezüglich  erhalten.
Âψ = Aψ
(6.2)
Quantenmechanische Interpretation: Das System befindet sich in einem Eigenzustand bezüglich
Â.
Physikalische Interpretation: Für jede Einzelmessung von A in einer Messreihe wird derselbe Wert
erhalten.
Fall b) ψ ist keine Eigenfunktion von Â.
=⇒ Es kann nur ein Mittelwert (Erwartungswert) der Observablen hAi berechnet werden.
hAi =
Z∞
−∞
ψ ∗ (x)Âψ(x) dx
(6.3)
6.2 Eigenschaften quantenmechanischer Operatoren
27
Dies wird formal erhalten durch Multiplikation der Eigenwertgleichung (a) mit ψ ∗ und Integration.
Unterschied zu Eigenfunktionen: Durch Anwendung des Operators  auf ψ(x) wird keine Konstante A,
sondern eine Funktion A(x) als Vorfaktor von ψ(x) erzeugt.
Die Integration über den Definitionsbereich liefert einen Mittelwert von A(x).
Quantenmechanische Interpretation: Für das System sind mehrere Eigenzustände möglich.
Physikalische Interpretation: Jede Einzelmessung gibt ein anderes Ergebnis. hAi ist der Mittelwert
über (unendlich) viele Messungen.
Beispiel 4: Superposition zweier Eigenfunktionen
Eine Gesamtwellenfunktion ψ sei eine Superposition zweier Zustandsfunktionen, die jeweils Eigenfunktionen
eines quantenmechanischen Operators  sind:
ψ = c 1 ϕ 1 + c 2 ϕ2
mit Âϕ1 = λ1 ϕ1
Âϕ2 = λ2 ϕ2
Mit diesem Ansatz folgt
Âψ = c1 λ1 ϕ1 + c2 λ2 ϕ2
(Â ist linear)
Dies ist jedoch keine Eigenwertgleichung, da sich – außer für den Spezialfall λ1 = λ2 – keine Konstante
ausklammern lässt.
R
⇒ Erwartungswert als gewichtetes Mitte hAi = ψ ∗ Âψ dx = c21 λ1 + c22 λ2
6.2 Eigenschaften quantenmechanischer Operatoren
Als allgemeine Bezeichnung für QM-Operatoren soll Â, B̂ verwendet werden.
ψ, ϕ sind quantenmechanische Wellenfunktionen, die alle Bedingungen unter (4.2) erfüllen.
Die Operatoren erfüllen folgende Bedingungen:
• Linearität
Definition:
!
Â(αψ + βϕ) = αÂψ + β Âϕ
dabei sind α, β Konstanten.
• Rechenregel beim nacheinander Ausführen:
ÂB̂ψ = Â(B̂ψ)
• Hermitezität
Diese zunächst abstrakte Eigenschaft quantenmechanischer Operatoren hat Konsequenzen für die
berechneten physikalischen Größen, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird.
Z
∗ Z
Z
Z
!
ψ ∗ (Âϕ) dx =
ϕ∗ (Âψ) dx = (Âψ)∗ ϕ dx = ψ ∗ (Â∗ ϕ) dx
(6.4)
Für reelle Operatoren und Wellenfunktionen kann auf die Bildung des Komplex Konjugierten in (6.4)
verzichtet werden. Es ergibt sich die einfachere Beziehung
Z
Z
!
ψ(Âϕ) dx = ϕ(Âψ) dx
Wenn diese Forderung erfüllt ist, bezeichnet man den Operator  als symmetrisch.
Die Hermitezität ist wegen Â∗ = Â sowie der Vertauschbarkeit von Faktoren für alle reellen multiplikativen
Operatoren erfüllt.
Im Folgenden soll die Hermitezität auch für einen Differentialoperator gezeigt werden:
28
6 Quantenmechanische Berechnung von Eigenschaften
Beispiel 5: Hermitezität des Impulsoperators
p̂ =
~ d
i dx
Z∞
−∞
∞
Z∞
dψ ∗ ~
~ ∗
~ dϕ
−
dx =
ψ ϕ
ϕ dx
ψ
|{z} |i {z
dx}
i
dx
i
−∞
|{z}
{z
}
|
{z
} −∞
|
u
′
′
∗
v
=0+
uv
Z∞
−∞
u
ϕ
~ dψ
i dx
∗
(6.5)
v
(6.6)
dx
Im bestimmten Integral wurde für ψ und ϕ die Wellenfunktionseigenschaft lim ψ = lim ψ = 0 ausgenutzt.
x→−∞
x→∞
Bei der Umformung des unbestimmten Integrals u′ v gemäß (AB)∗ = B ∗ A∗ wurde die Eigenschaft ( ~i )∗ = −( ~i )
verwendet.
6.3 Eigenwerte und Erwartungswerte hermitescher Operatoren
Die Messwerte aller physikalischen Experimente sind reelle Zahlen.
Wenn die Quantenmechanik physikalisch sinnvolle Resultate geben soll, müssen daher gemäß dem im letzten
Abschnitt vorgestellten Formalismus zur Berechnung von Observablen sowohl Erwartungswerte hAi als auch
Eigenwerte A quantenmechanischer Operatoren reelle Zahlen sein.
Dies ist durch die Bedingung der Hermitezität der Operatoren gewährleistet:
• Erwartungswerte hAi hermitescher Operatoren sind reelle Zahlen:
aus der Definition (6.4) ergibt sich mit ψ = ϕ
Z
ψ ∗ (Âψ) dx =
Z
Z
∗
∗
ψ Âψ dx =
ψ ∗ (Âψ) dx
bzw.
hAi = hAi∗
diese Bedingung ist ausschließlich für reelle Erwartungswerte erfüllt.
• Eigenwerte hermitescher Operatoren sind reelle Zahlen.
Die Eigenwertgleichung Âψ = Aψ wird mit ψ ∗ multipliziert und integriert.
Aufgrund der Normierung von ψ ergibt sich:
Z
A = ψ ∗ (Âψ) dx
(Da vorausgesetzt wurde, dass ψ Eigenfunktion von  ist, kann A vor das Integral gezogen werden.)
Damit ist dann der komplex konjugierte Eigenwert
Z
∗ Z Z
∗
A∗ =
ψ ∗ (Âψ) dx = ψ Âψ dx = ψ ∗ (Âψ) dx = A
aufgrund der Hermitezität von Â.
Diese Bedingung ist nur für reelle Eigenwerte A erfüllt.
6.4 Eigenfunktionen hermitescher Operatoren
 sei ein hermitescher Operator mit den Eigenfunktionen ϕa , ϕb und den zugehörigen Eigenwerten λa 6= λb
Die Ungleichheit der Eigenwerte verschiedener Eigenfunktionen wird im Folgenden vorausgesetzt.
Âϕa = λa ϕa
Âϕb = λb ϕb
Multiplikation der linken Gleichung mit ϕ∗b , Integration
R ∗
! R
ϕb (Âϕa ) dx = ϕa (Âϕb )∗ dx aus Definition der Hermitezität
6.4 Eigenfunktionen hermitescher Operatoren
29
Einsetzen der Eigenwertgleichungen
R
R
!
λa ϕ∗b ϕa dx = λ∗b ϕa ϕ∗b dx
λ∗b ≡ λb
Eigenwerte sind reell
R ∗
!
ϕb ϕa dx = 0
=⇒ (λa − λb )
gemäß
R Voraussetzung (siehe oben):
=⇒ ϕ∗b ϕa dx = 0
λa 6= λb
=⇒ Die Eigenfunktionen hermitescher Operatoren zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal.
Im Falle “entarteter“ Eigenfunktionen (zwei oder mehrere verschiedene Eigenfunktionen mit denselben
Eigenwerten) gilt die Orthogonalität nicht automatisch.
Durch geeignete Linearkombinationen lassen sich aber immer orthogonale Eigenfunktionen konstruieren.
Beispiel 6: Gram-Schmidt-Orthogonalisierung zweier Funktionen
R
Annahme: es gelte ϕ∗a ϕb dx ≡ Sab =
6 0 (das Überlappungsintegral Sab ≡ S zweier entarteter Funktionen sei
ungleich Null)
Ein Verfahren zur Konstruktion orthogonaler Funktionen ist die Gram-Schmidt-Orthogonalisierung.
Dabei wird willkürlich eine der beiden Funktionen als Referenz gewählt und die andere transformiert:
ϕ′a = ϕa
ϕ′b = √
1
(ϕb − Sϕa )
1 − S2
Die transformierten Funktionen ϕ′a , ϕ′b sind orthogonal zueinander:
Z
Z
Z
1
1
∗
∗
′
√
ϕ
ϕ
dx
−
S
ϕ
ϕ
dx
=√
ϕ′∗
ϕ
dx
=
[S − S · 1] = 0
a b
a a
a b
1 − S2
1 − S2
Auch ϕ′b ist dann eine Eigenfunktion von  mit demselben Eigenwert wie ϕb bzw. ϕa :
1
(ϕb − Sϕa )
1 − S2
Sλa ϕa
λ b ϕb
−√
=√
2
1−S
1 − S2
ϕb − Sϕa
(λa = λb )
= λa √
1 − S2
= λa ϕ′b
Âϕ′b = Â √
Die Wahl der Linearkombination ist in diesem Fall nicht eindeutig: alternativ möglich ist z.B. ϕ′b = ϕb
1
.
und ϕ′a = (ϕa − Sϕb ) √1−S
2
Da es zudem viele weitere Orthogonalisierungsverfahren gibt, sind mehrere vollständige Sätze von Eigenfunktionen möglich.
Insgesamt ergibt sich somit unter Berücksichtigung der Normierungsbedingung für gültige Wellenfunktionen:
Die Menge aller Eigenfunktionen {ϕa } (bzw. {ϕ′a }) bildet einen vollständigen orthonormalen
Satz von Eigenfunktionen.
Z∞
−∞
für alle a, b = 1, . . . , ∞
Dabei ist δab das Kronecker-Delta. Es gilt
ϕ∗a (x)ϕb (x) dx = δab
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