Zeitschrift „Gesundheit in Sachsen“ Ausgabe Herbst/2004 www.gesundheit-in-sachsen.de Angst und Depressionen Neue Volkskrankheit Ein Beitrag von Reiner Kroymann und CHA Dr. med. Tauber Unsere Gesellschaft begegnet psychischen und psychosomatischen Erkrankungen nach wie vor mit vielen Vorbehalten. Obwohl fast 25 % der Bevölkerung einmal in ihrem Leben selbst an einer psychischen Störung erkranken, berichten viele Betroffene, dass sie mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen werden oder dass es schwierig war, geeignete Hilfe bei der Bewältigung dieser zu finden. Dabei gehören depressive Erkrankungen und Angsterkrankungen zu den häufigsten psychischen Störungen unserer Zeit. Oftmals werden Depressionen und Angsterkrankungen nicht oder viel zu spät erkannt und daher auch nicht rechtzeitig einer adäquaten Behandlung zugeführt. Auch ist viel zu wenig bekannt, dass es heute geeignete und wissenschaftlich überprüfte Be-handlungsmöglichkeiten gibt oder wo und wie diese zur Verfügung stehen. Woran erkennt man eine Depression? „Was ist nur los mit mir“ Ich kann mich zu nichts aufraffen, habe an nichts mehr Freude, zu jeder Kleinigkeit muss ich mich zwingen, fühle mich wie ein Versager.“ Solche Gedanken kennt sicherlich jeder Mensch. Für einen Depressiven sind dies allerdings typische Gedanken, die den Betroffenen belasten und leiden lassen. Eine Depression ist eine richtige Krankheit und sie ist nicht selten. Ungefähr jeder Zehnte erkrankt zumindest einmal im Leben an einer Depression. Dies bedeutet, dass in Deutschland in diesem Moment ca. 5 Millionen Menschen depressiv erkrankt sind. Typische Anzeichen einer Depression sind Lustlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit Versagensgefühle, manchmal erlebt der Betroffene aber auch ein Gefühl der Gefühllosigkeit oder eine starke Gereiztheit. Depressive Menschen berichten darüber, dass sie über lange Zeit müde, erschöpft und energielos sind, schlecht schlafen oder einschlafen und häufig auch Schmerzen haben. Selbst die behandelnden Hausärzte wissen oft nicht, dass diese und andere körperliche Symptome das Anzeichen einer Depression sein können. Häufig ziehen sich depressive Menschen auch aus dem sozialen Leben zurück, manchmal so weit, dass sie den ganzen Tag im Bett verbringen, weil sie sich zu nichts mehr aufraffen können. Gedanklich grübeln sie stark über das eigene Versagen, Sinnlosigkeit oder über die Vorstellung an vielen Dingen Schuld zu haben. Die Selbstvorwürfe und die erlebte Hoffnungslosigkeit gehen gegebenenfalls so weit, dass depressive Menschen Selbstmordgedanken haben oder sogar einen Selbstmord begehen. Was kann man gegen Depressionen tun? Da bekannt ist, dass eine Depression sowohl biologische als auch psychosoziale Ausgangspunkte haben kann und auch die Fähigkeiten einer betroffenen Person mit Belastungen umzugehen eine Rolle spielt, sollte die adäquate Behandlung dieser psychischen Störung auch ganzheitlich erfolgen. Sie besteht aus einer Kombination von medizinischen, psychotherapeutischen, sozialtherapeutischen und ergänzenden Therapiemaßnahmen. Wann spricht man von einer Angststörung? Angst ist zunächst einmal ein vollkommen normales und von jedem Menschen oft erlebtes Gefühl, wie z.B. auch Freude, Trauer oder Ärger. Jeder Mensch kennt also Angst und dieses Gefühl ist biologisch in unser Verhaltens- und Erlebensrepertoire „eingebaut“. Sie wird zwar als unangenehm empfunden ist aber für den Körper nicht gefährlich. Im Gegenteil, sie erfüllt eine Schutzfunktion, indem sie uns darauf vorbereitet in einer Gefahrensituation angemessen zu reagieren. Das Kennzeichen einer Angststörung ist dagegen die Existenz von Angst ohne eine ersichtliche äußere Gefahr. Aus dieser massiven irrationalen Angst ergeben sich für viele Betroffene erhebliche Einschränkungen in beruflichen, familiären und anderen sozialen Bereichen. Es gibt diverse Angststörungen, so etwa die Angst vor sozialen oder Leistungssituationen, in denen die Betroffenen befürchten, sich peinlich oder auffällig zu verhalten und die sie deshalb vermeiden (Soziale Phobie). Oder die Angst vor Plätzen oder Situationen, in denen Flucht nicht möglich wäre oder Hilfe nicht sofort verfügbar ist (Agoraphobie) Besonders dramatisch stellt sich die Panikstörung dar, bei der meist plötzliche, „wie aus heiterem Himmel“ kommende Attacken auftreten, in denen körperliche Beschwerden wie Kurzatmigkeit, Herzrasen, Schwindel oder Schweißausbrüche im Vordergrund stehen. Oftmals geht damit das Gefühl drohenden Unheils einher, und die Betroffenen erleben intensive Angst, „verrückt zu werden“ oder sogar zu sterben. 1 Die angstbesetzten Situationen oder Orte werden dann von den Patienten vermieden. Die Vermeidung kann dabei soweit gehen, dass Patienten ihre Wohnung nicht mehr verlassen können oder permanente Bestätigung von Ärzten oder Angehörigen brauchen, nicht ernsthaft körperlich krank zu sein. Die Vermeidung oder die Unterstützung dieser Vermeidung durch Verwandte oder Helfer untermauert und stabilisiert allerdings die Angsterkrankung, indem es die Betroffenen davon abhält, die Erfahrung zu machen, dass die befürchteten Ereignisse gar nicht eintreten und die Angst damit unbegründet ist. Was passiert bei der stationären Reha-bilitationsbehandlung? Hilft bei leichten Depressionen oder Ängsten meist die Betreuung durch den Hausarzt oder eine kurzfristige Behandlung eines Psychotherapeuten, ist eine stationäre Behandlung sinnvoll, wenn eine schwerer ausgeprägte Depression oder Angststörung vorliegt oder der Betroffene zeitgleich an mehreren psychischen Störungen leidet. In der Klinik für Psychotherapie und Verhaltensmedizin in Kreischa werden Patienten mit Depressionen, Ängsten oder anderen psychischen Störungen mit einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Therapiekonzept behandelt. In diesem Konzept werden medizinische, psychologische und psychotherapeutische Ansätze integriert. Die Klinik orientiert sich dabei an den Behandlungsverfahren, mit denen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die besten Erfolgsaussichten für die Betroffenen verbunden sind. Bei der psychotherapeutischen Behandlung hat jeder Patient einen Bezugstherapeuten (entweder ein Arzt oder ein Psychologe). Zweimal in der Woche findet mit diesem die Einzelpsychotherapie statt. Dabei werden z.B. die Vorgeschichte des Patienten erhoben und eine Bedingungsanalyse durchgeführt, eine angemessenes Krankheitsmodell und ein Konzept zur Krankheitsbewältigung erarbeitet. Besonderheiten der Depressionsbehandlung Ein besonderer Schwerpunkt der einzeltherapeutischen Behandlung der Depression stellt die kognitive Therapie dar, bei der Gedanken, Gefühle und Einstellungen des Patienten analysiert, erörtert und diskutiert werden. Ziel dabei ist, dass der Patient wieder lernt, sich, seine Umwelt und seine Zukunft wieder realistischer und positiver zu sehen, um so auch wieder Einfluss auf seine Stimmungslage zu nehmen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Steigerung angenehmer Aktivitäten. Durch die positive Wirkung z.B. sportlicher Betätigung oder sozialer Kontakte lernt der Patient aus dem Depressionskreislauf (siehe Abbildung) auszubrechen und allmählich immer mehr angenehme Aktivitäten selbständig zu planen und aufzunehmen Besonderheiten der Angstbehandlung Um die Verstärkung und Stabilisierung der Angst durch das Vermeidungsverhalten nicht zu unterstützen werden die Betroffenen in der professionellen Behandlung in der Angsttherapie der Klinik für Psychotherapie und Verhaltensmedizin den angstbesetzten Situationen ausgesetzt. Man spricht dabei von Exposition. Dabei soll sich der Patient - nach entsprechender therapeutischer Vorbereitung angstauslösenden inneren und äußeren Reizen stellen. Hat jemand Angst vor großen Höhen, so wird er in der Behandlung z.B. einen Kirchturm oder eine hohe Treppe besteigen, ein sozial phobischer Patient wird Situationen mit vielen Menschen aufsuchen, z.B. ein Kino oder eine öffentliche Veranstaltung besuchen. Liegt z.B. eine starke Angst vor Spinnen vor (Arachnophobie) wird der Patient in der Therapie z. B. auch Spinnen berühren (siehe Bild oben). Vermeidendes Verhalten soll dabei verhindert und eine Gewöhnung an angstauslösende Reize ermöglicht werden. Bei dieser Exposition soll der Patient die Erfahrung machen, dass es in vorher hoch angstprovozierenden Situationen zu einem Abfall der Angst kommt, wenn er lange genug darin verbleibt. Außerdem soll er dabei feststellen bzw. erleben, dass die befürchteten negativen Ereignisse (Herzinfarkt, „verrückt werden“) nicht eintreten. Ist dies gewährleistet kommt es zu einer Umbewertung der bedrohlichen Situation und damit zu einer Wiedererlangung früherer Lebensqualität. Da dieses Vorgehen für einen Außenstehenden oftmals unverständlich oder sogar grausam erscheint, soll hier noch einmal betont werden, dass dieses Vorgehen therapeutisch sehr gut vorbereitet wird, dass der Patient nicht gezwungen wird sich in angstbesetzte Situationen zu begeben, sondern dies aus freien Stücken tut, und das die Wirksamkeit dieser Behandlung wissenschaftlich gut belegt ist. Die Erfolgsquoten hierbei liegen zwischen 80 % und 90 %. Biofeedback Als ein besonderes Charakteristikum werden in der Klinik Biofeedbackverfahren in die Behandlung der Angststörungen integriert. Die Biofeedbackabteilung in Kreischa ist die größte Abteilung im Großraum Dresden. Beim Biofeedback handelt es sich um ein wissenschaftlich gut unterlegtes Verfahren, dass es ermöglicht, körperliche Parameter (z. B. Muskelanspannung, Herzrate, Blutdruck, innere Anspannung etc.), die nur schlecht oder überhaupt nicht wahrgenommen werden können, bewusst zu 2 machen (Siehe Bild unten). Der Patient kann durch Biofeedback lernen, die physiologische Parameter selber direkt zu verändern und damit körperliche Beschwerden zu beeinflussen oder tiefe Entspannung zu erreichen. Bei Patienten mit Angststörungen kommt es z.B. häufig vor, dass sie durchgängig stark erregt sind. Diese erhöhte Erregung kann eine Bedingung für die Auslösung einer Panikattacke darstellen. Hier bietet sich das Training eines Entspannungsverfahrens an, indem die „innere Anspannung“ (gemessen über den Hautwiderstand) als Kurve abgeleitet wird. Gemeinsam mit dem Therapeuten erarbeitet der Patient dann Strategien, die Anspannung zu senken. Dies hat einen Einfluss auf das allgemeine Anspannungs- oder Stressniveau und damit die Anfälligkeit des Betroffenen für Panikanfälle insgesamt. Mit diesem Verfahren werden neben Angststörungen z.B. auch Migräne, Spannungskopfschmerzen, Rückenschmerzen, Inkontinenz und viele andere Beschwerden erfolgreich behandelt. Auch die Rückfallprophylaxe und die Weiterbetreuung wird mit dem Einzeltherapeuten geplant. Die Einzelpsychotherapie ist das Herzstück der Gesamtbehandlung. Daneben gibt es aber auch noch spezielle Gruppentherapien (etwa gegen Depressionen oder gegen Ängste, siehe Bilder), Entspannungsverfahren (Progressive Muskelentspannung), Sport- und Bewegungstherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, Kunst- und Musiktherapie, Soziotherapie, Diät- und Ernährungsberatung, medikamentöse und physikalische Therapie sowie eine umfassende medizinische und apparativ-technische Diagnostik. Wie kommen Patienten in eine ambulante Behandlung bzw. in eine stationäre Rehabilitationsbehandlung? Beim Verdacht einer depressiven Erkrankung oder einer Angststörung kann sich der Betroffene an den Hausarzt oder direkt an einen Psychiater oder Psychotherapeuten wenden. Falls nötig wird dieser weitere Schritte veranlassen, z. B. eine medikamentöse Behandlung einleiten oder eine ambulante Psychotherapie beantragen. Die Kosten hierfür werden von den Krankenkassen übernommen. Reicht eine ambulante psychotherapeutische Behandlung nicht mehr aus oder bestehen keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten, kann der Arzt eine stationäre psychotherapeutische Behandlung beantragen (siehe Seite 57 oben). Herr Reiner Kroymann ist leitender Psychologe und Psychotherapeut der Klinik Bavaria in Kreischa. www.klinik-bavaria.de Was sind die konkreten Voraussetzungen für eine stationäre psychotherapeutische Rehabilitationsbehandlung? Für Patienten im arbeitsfähigen Alter: Ein Antrag eines ambulant behandelnden Arztes (Hausarzt oder Facharzt) an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (z.B. LVA oder BfA). Wichtig dabei ist eine Aussage über die Ausrichtung der Rehabilitationsmaßnahme (psychosomatische Rehabilitation). Auch das Benennen einer „Wunscheinrichtung“ ist möglich. Die Antragsbegründung sollte medizinische (Vorhandensein bestimmter Therapiemaßnahmen, Funktionseinrichtungen) oder wichtige soziale Gründe (Wohnortnähe, Mitaufnahme von Kindern) beinhalten. Das Ziel hierbei ist die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Für berentete Patienten: (Altersrentner, Erwerbsminderungsrentner in Dauerrente) Bei diesen Patienten ist der Träger der Rehabilitationsmaßnahme die Krankenversicherung. Dort sollte bei Bedarf ein Antrag gestellt werden. Das Ziel einer Behandlung ist die Minderung oder Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bzw. Chronifizierung einer Erkrankung Für Patienten, die noch nicht berufstätig waren: Träger der Rehabilitationsmaßnahme kann entweder die Krankenkasse oder die Rentenversicherung eines Elternteils sein. 3