Projekt „Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung ALGUND“: Charakterisierung und Klassifizierung der Phänomene von langsamen kriechenden Verformungen in einem Talzuschub und ihrer Folgeerscheinungen im Rahmen einer geologischen Gefahrenzonierung sowie zur Projektierung von Monitoringsystemen im Rahmen des Interreg Projektes III B CADSES Monitor Bericht über das erste Bearbeitungsjahr des Projektes Verfasst von Dipl. Geol. Sebastian Willerich Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der Technischen Universität München [email protected] 30 Seiten, 36 Abbildungen München, den 31.03 2008 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Inhalt 1 Allgemeines ...............................................................................................................................1 2 Geografische Lage des Projektgebietes .......................................................................................1 3 Projektziele ................................................................................................................................3 4 Projektbeteiligte .........................................................................................................................3 5 Methodik....................................................................................................................................3 6 Gegenwärtiger Bearbeitungsstand des Projektes..........................................................................4 7 Geologischer Überblick ..............................................................................................................6 8 Festgesteine des Arbeitsgebietes .................................................................................................8 9 8.1 Paragneise und Glimmerschiefer, Gneis-Glimmerschiefer ..................................................8 8.2 Orthogneise........................................................................................................................8 8.3 Amphibolite.......................................................................................................................9 8.4 Magmatische Gänge...........................................................................................................9 Hydrogeologischer Überblick .....................................................................................................9 10 Bewegungsstrukturen im Bereich des Talzuschubs Algund...................................................10 10.1 Gliederung des Talzuschubs Algund.................................................................................12 10.2 Gründe für die Ausbildung des Talzuschubs Algund.........................................................13 10.3 Alter der Massenbewegung, Tiefenlage der Bewegungsflächen und Aktivität ...................15 10.4 Bewegungszentren ...........................................................................................................16 10.4.1 Vellau......................................................................................................................16 10.4.2 Leiteralm .................................................................................................................18 10.4.3 Gebiet zwischen Kienegger, den Forstwegen „Kienegg-Töllwald“ und „Töllwald“ sowie der Hofstelle Oberplatzer................................................................................20 10.4.4 Gampenkuhalm........................................................................................................22 11 Zukünftige Projektphasen.....................................................................................................25 12 Schlussbemerkung................................................................................................................26 13 Literatur ...............................................................................................................................27 Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr I Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 1 Allgemeines Mit der im September 2007 unter der Verzeichnisnummer 45 abgeschlossenen Konvention wurde eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zu oben genanntem Projekt zwischen der Autonomen Provinz Bozen und Technischen Universität München mit einer vertraglichen Laufzeit bis zum 30.06.2009 vereinbart. Die Zusammenarbeit findet auf Basis des entsprechenden Forschungsantrages vom April 2007 zwischen dem Amt 11.6 (Geologie und Baustoffprüfung) der Autonomen Provinz Bozen (im Folgenden bezeichnet als APB)und dem Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der TU München (im Folgenden bezeichnet als TUM) statt. An der TUM ist eine laufende Dissertation (Dipl. Geol. Sebastian Willerich) mit dem Projekt verbunden. 2 Geografische Lage des Projektgebietes Das Arbeitsgebiet befindet sich bei Algund auf dem Gebiet der APB, im Bereich der orografisch linken Talflanke der Etsch (öffentl. Gewässer APB Nr. A) etwa 6 km nordwestlich von Meran. Es erstreckt sich von der Talsohle auf Seehöhe ca. 400 m bis zum Grat der Talflanke auf SH ca. 2600 m und den Übergang ins nördlich gelegene Spronser Tal. Nach Westen wird das Arbeitsgebiet durch den Töllgraben (Nr. A.195) und nach Osten durch den Grabbach (Nr. A.165.20) begrenzt. Das gesamte Gebiet ist von tiefgründigen Massenbewegungen erfasst und wird daher aus geologischer Sicht als „Talzuschub Algund“ bezeichnet. Abb. 1: Lage des Projektgebietes (gelbes Rechteck, entnommen Microsoft Encarta Weltatlas). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 1 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 2: Laserscan-DGM des Talzuschubs Algund, der sich zwischen Etschtal, Gipfelgrat, Töllgraben und Grabbach ausgebildet hat. Abb. 3: Ansicht des Talzuschubs Algund (Abgrenzung rote Linie) von Meran aus. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 2 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 3 Projektziele Die wesentlichen Ziele für das Forschungsvorhaben lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Charakterisierung und Klassifizierung des „Talzuschub-Phänomens“ als Begriff für tiefgründige Massenbewegungen vor dem Hintergrund einer geologischen Gefahrenzonierung • Ausscheidung von Teilbereichen (Schollen) innerhalb der Massenbewegung, die sich ggf. separat und unabhängig von anderen Bereichen der gesamten Kriechzone „Talzuschub Algund“ bewegen können und Bewertung möglicher Wechselwirkungen zwischen einzelnen Teilschollen • Charakterisierung und Klassifizierung der Prozesskopplung Kriechen (Talzuschub) – Stürzen (Steinschlag, Felssturz), Rutschen (Fest-/Lockergesteinsrutschung) und Fließen (Schuttströme, Murgänge) vor dem Hintergrund einer geologischen Gefahrenzonierung • Darstellung und Integration in alpine Gefahrenzonenpläne in Zusammenarbeit mit dem Amt für Geologie und Baustoffprüfung der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol • Ausscheidung von Triggermechanismen (wenn möglich) und Bestimmung des Grenzgleichgewichtszustands der verschiedenen Hangbereiche auf dem Talzuschub Algund im Hinblick auf eine Ereignisprognose • Lokalisierung von Bewegungs- und Gefahrenbrennpunkten im Bereich des Talzuschubs Algund, die eine kontinuierliche Beobachtung (Monitoring) erfordern • Ausarbeitung von praktikablen Monitoringkonzepten für die fraglichen Areale und ggf. erste Umsetzung dieser Konzepte 4 Projektbeteiligte Das Projekt läuft in enger Kooperation unter Verantwortung und wissenschaftlicher Beteiligung folgender Personen ab: • Für die APB verantwortlich: Dr. Volkmar Mair, Amt für Geologie und Baustoffprüfung (Abt. 11.6) der APB, Koordination und wissenschaftliche Betreuung • Für die TUM verantwortlich: Prof. Dr. Kurosch Thuro, Ordinarius des Lehrstuhls für Ingenieurgeologie TUM, Koordination und wissenschaftliche Leitung und Betreuung, Erstbetreuer der mit dem Projekt verbundenen Dissertation Dipl. Geol. Willerich • Für die TUM vor Ort: Dipl. Geol. Sebastian Willerich, wissenschaftliche Bearbeitung und Ausarbeitung der Projektergebnisse, zeitweise unterstützt von Diplomanten der TUM • Als externer Wissenschaftler: Prof. Dr. Alessandro Corsini, Dipartimento di Scienze della Terra, Università di Modena e Reggio Emilia, wissenschaftliche Betreuung und Zweitbetreuer Dissertation Dipl. Geol. Willerich 5 Methodik Die wissenschaftliche Bearbeitung des Projektes und die daraus resultierende Bewertung der erhaltenen Ergebnisse im Rahmen der Zielsetzung des Projektes erfolgt unter Anwendung vielfältiger Untersuchungsmethoden. Die wesentlichen Arbeitsmethoden, die zur Ausarbeitung des vorliegenden Projekts (teilweise im Rahmen zukünftiger Projektphasen, siehe Kap. 6 und 11) zur Anwendung kommen sind: Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 3 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung • Erstellung einer geologischen Karte für das Arbeitsgebiet zwischen Gratregion und Talgrund, Kartierung der im Gebiet angetroffenen Bewegungsphänomene nach der Standardlegende der APB; jeweils Maßstab 1: 5.000. • Grundlegende petrografische Analyse der im Arbeitsgebiet anstehenden Festgesteine durch Dünnschliffauswertung • Erstellung von Profilschnitten auf Basis der erstellten Karten • Auswertung des Laserscan-DGM mit Rasterweite 2,5 x 2,5 m im Hinblick auf Detailmorphologie, geologische Störungszonen und Bewegungsstrukturen im Bereich des Talzuschubs Algund • Bewertung der hydrogeologischen Situation • GIS-basierte Darstellung der Kartierungsergebnisse auf Ortho-Foto (Befliegung 2006), 3DGeländemodell und topographischer Kartengrundlage mittels ArcGis 9.2, Erstellung von Detailkarten und thematischen Karten, Erfassung, Klassifizierung und Codierung von Bewegungsstrukturen in einer Datenbank (u.a. Zuordnung auf Teilschollen des Talzuschubs) nach den entsprechenden Kriterien der APB • Großflächige Bestimmung von Bewegungsvektoren durch Radarinterferometrie (D-InSAR). • Ermittlung der Materialeigenschaften der Fest- und Lockergesteine, insbesondere des entfestigten Materials in den hauseigenen Fels- und Bodenmechanik-Labors • Übertrag der Gesteinsparameter auf den Gebirgsverband nach HOEK (GSI-System), Erstellung von Eingangsparametern für eine Modellierung • Numerische Modellierung der Gesamtsituation, von Einzelereignissen und instabilen Bereichen mit geeigneten numerischen Codes, ggf. unter Mitwirkung weiterer externer Wissenschaftler. In Frage kommen gegenwärtig die Codes UDEC – Universal Distinct Element Code (Itasca), FLAC – Fast Lagrange Finite Elemet Code und FLAC Slide (Itasca), PFC – Particel Flow Code (Itasca), Slide – Grenzgleichgewicht (RocScience), Phase2 – Finite Element Code (RocScinence) • Wenn möglich: Altersdatierungen von Hölzern aus Rutschungs- und Mursedimenten, die durch Massenbewegungen transportiert oder überdeckt, um die Wiederkehrzeit von gekoppelten Ereignissen einzugrenzen oder abzuschätzen • Ggf. Projektierung eines Monitoring-Systems zur Erfassung der oberflächigen und tiefreichenden Bewegungen. 6 Gegenwärtiger Bearbeitungsstand des Projektes Die Geländeaufnahme ist bei gegenwärtigem Bearbeitungsstand zu etwa 90 % abgeschlossen und die Erfassung und Klassifizierung der im Bereich des Talzuschubs Algund auftretenden Phänomene ist vollständig erfolgt. Ebenso wurde eine detaillierte Auswertung des DGM durchgeführt. Im Zuge der Geländearbeiten konnten lokale Bewegungszentren innerhalb des Talzuschubs erfasst werden, die sich durch die Häufung von Bewegungsstrukturen erheblichen Ausmaßes und stellenweise bemerkenswerte Bewegungsbeträge von den durchschnittlich im Arbeitsgebiet zu beobachtenden Strukturen unterscheiden. In diesem Zusammenhang konnte der Talzuschub Algund anhand von strukturellen und morphologischen Kriterien in Teilschollen untergliedert werden, für die bei bisherigem Kenntnisstand zu vermuten ist, dass sie zum einen unabhängig von anderen Teilgebieten der gesamten Kriechmasse Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 4 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Bewegungen aufweisen können und dass zum anderen eine Destabilisierung umgebender Schollen durch ihre Einzelbewegung möglich wird. Die Übertragung der erhaltenen Daten und Ergebnisse der Geländeaufnahme in das GIS-System erfolgte bislang zu etwa 60-65 % und wird fortlaufend weitergeführt. Die geologische Karte wurde angesichts der Aufgabenstellung aus dem Themengebiet „tiefgründige Massenbewegungen / Gefahrenzonierung“ weitgehend abgedeckt erstellt. Das heißt, in der Regel wurde der für die tiefgründige Massenbewegung relevante Felsuntergrund in der Karte dargestellt, während die überlagernden Lockergesteine nur dort in der Karte wiedergegeben wurden, wo sie entweder erhebliche Mächtigkeiten erreichen oder sich als relevant für die Aufgabenstellung erwiesen haben. Relevanz für die Aufgabenstellung besitzt die Lockergesteinsdecke überall dort, wo an den Talzuschub gekoppelte Prozesse im Zusammenhang mit diesen Sedimenten auftreten (z.B. Remobilisierung von Sturzblöcken, Bereitstellung von Murmaterial und Geschiebe, induzierte Rutschungen und Kriechbewegungen, Präsenz von umgelagertem Material, etc.) oder wo sich eigene Bewegungsphänomene innerhalb der Lockergesteinsdecke entwickelt haben – dies betrifft vor allem flach- bis mittelgründige Kriechbewegungen an steilen Hängen und/oder auf der steil einfallenden Felsoberfläche. Das Kriterium „erhebliche Mächtigkeit“ wurde im Rahmen des vorliegenden Projekts mit rund 1,5 m und mehr definiert. Zur Zeit befinden sich folgende Arbeitsschritte in der Bearbeitungsphase: • Erfassung der gekoppelten Phänomene Sturzereignisse, Rutschungen, Murgänge und Wildbachereignisse • Auswertung der angefertigten Dünnschliffe zur grundsätzlichen Darstellung der lokalen Petrografie • Erstellung von Profilen durch die gesamte Kriechmasse des Talzuschubs Algund • Ausarbeitung der Gesteins- und Gebirgscharakteristik (Definition der felsmechanischen Parameter und Übertrag auf den Gebirgsverband durch geeignete Klassifizierungssysteme) • Kontaktaufnahme mit Prof. Dr.-Ing. habil. Tom Schanz, Professur Bodenmechanik an der Bauhaus-Universität Weimar, im Hinblick auf die vorgesehenen Modellierungen Abb. 4: Zum gegenwärtigen Bearbeitungszeitpunkt (Juni 2008) geologisch kartierte und im GIS umgesetzte Fläche (gelb, ca. 65 % des gesamten Projektgebietes), in der Südost-Ecke erkennt man Meran. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 5 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 7 Geologischer Überblick Das Arbeitsgebiet befindet sich am südlichen Rand des metamorphen Ötztal-Kristallin-Komplexes (Ostalpin, Mittelostalpin nach historischer Definition) innerhalb der Texelgruppe. Im Bereich des Ötztal-Komplexes lassen sich mehrere Metamorphosezyklen unterscheiden. Das jüngste Metamorphoseereignis ist Teil der alpinen Orogenese und fällt in die Kreidezeit (eoalpine Phase). Am Südost-Rand des Kristallinkomplexes wurden in der Regel Bedingungen der Grünschiefer- bis Amphibolitfazies erreicht (SÖLVA et al. 2001). Neue Forschungsergebnisse beschreiben aus dem Gratbereich der Texelgruppe nordwestlich von Meran auch Eklogite, die auf ein Alter von rund 86 Mio. Jahren datiert werden konnten (Daten Projekt CARG-Geologische Karte von Italien, Blatt 13 Meran, unveröffentlichter Vorauszug der Erläuterungen). Dem entsprechend muss angenommen werden, dass im Zuge der alpinen Gebirgsbildungsphasen im Bereich der Texelgruppe enorme Hebungsraten zu verzeichnen waren. Dies trug mit Sicherheit zu der enormen Zerbrechung, Klüftung und Zerrüttung des Gebirgsverbandes bei, die im Arbeitsgebiet an nahezu jedem Aufschluss zu beobachten ist. Diese starke Auflockerung begünstigt tiefgründige Massenbewegungen erheblich. Das Ötztal-Kristallin wird vor allem aus Para- und Orthogneisen sowie Glimmerschiefern und (bereits in deutlich geringerem Ausmaß) Amphiboliten aufgebaut. Daneben treten typische, „exotische“, metamorphe Serien wie der Schneeberger Zug auf. Im Projektgebiet sind die Festgesteine unterhalb etwa 1700 m in der Regel von mächtigen Lockergesteinen bedeckt. Dies sind neben Hangschutt und blockigen Sturzablagerungen vor allem Mursedimente, glaziale Ablagerungen und ausgedehnte Schwemmfächer am Fuß der Talflanke. Die Einzelgröße von Sturzblöcken kann 50 m³ überschreiten. Solche Großblöcke treten bis zum Talgrund bei Algund und Plars auf. Das Projektgebiet befindet sich unweit der periadriatischen Naht, die etwa 5 km entfernt durch Meran verläuft. Des weiteren befindet sich das Areal des Talzuschubs Algund unmittelbar benachbart zur sog. Thurnstein-Linie, einer regional bedeutenden Störungszone, die nordwestlich von Meran bei Gratsch in NE-SW-Richtung verläuft (VIOLA et al. 2001). Durch das Arbeitsgebiet selbst verlaufen keine bedeutenden Störungen, es konnten jedoch lokal kleinere Störungen beobachtet werden, die offensichtlich als Begleitstörungen der Thurnstein-Line aufzufassen sind. Tektonische Vorgänge spielen somit für die Zerlegung des Gebirges als Prädisposition für die Entwicklung einer tiefgründigen Massenbewegung im Projektgebiet praktisch keine Rolle. Im Arbeitsgebiet lassen sich zwei wesentliche Schieferungsrichtungen unterscheiden. Die Schieferungsflächen fallen zum einen in prinzipiell südliche Richtungen ein und zum anderen in nordwestliche bis nordöstliche Richtungen („gegen den Hang“). In der Regel beobachtet man die Zerlegung des Gebirgsverbandes an einem annähernd orthogonal ausgebildeten Kluftsystem, das zwei bis drei Hauptkluftscharen aufweist. Örtlich sind die Gesteine an weiteren, untergeordneten Trennflächen intensiver zerlegt. Die Klüftung ist (nach ISRM 1978 und IAEG 1981) eng- bis weitständig, mit einer Häufung im mittelständigen Bereich. Vereinzelt beobachtet man dichtständig geklüftete Partien. Im Gratbereich treten Großklüfte signifikant gehäuft auf, was für die Felssturzgefahr des Gebietes von Bedeutung ist. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 6 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 5: Gegenwärtiger Stand der angefertigten geologischen Karte, Ansicht ohne Phänomene der tiefgründigen Massenbewegung. • rot begrenzte Flächen: Lockersedimente Hang- und Sturzschutt, gemischte Schuttkegel; • grün umgrenzt: Schwemmkegel; • violett umgrenzt: Tille; • hellgelbe Fläche: Lockergestein, undifferenziert; • braune Fläche: Paragneis und Glimmerschiefer, undifferenziert, lokal mit geringmächtiger Lockergesteinsbedeckung; • hellbraune Fläche: Glimmerschiefer; • violette Fläche: Orthogneise, lokal mit geringmächtiger Lockergesteinsbedeckung; • grüne Flächen: Amphibolite; • orange Flächen: andesitische Porphyre (oligozäne Gänge); • schwarz umgrenzt mit Gittersignatur: anthropogene Aufschüttungen/veränderte Flächen; • blaue Linien: Oberflächenabfluss/Gerinne, permanent und temporär aktiv Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 7 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 8 Festgesteine des Arbeitsgebietes Im Bereich des Talzuschubs Algund konnten folgende Gesteine auskartiert werden: • Paragneise und Glimmerschiefer (zusammen flächenmäßig weit überwiegend) • Orthogneise • Amphibolite • magmatische Gänge 8.1 Paragneise und Glimmerschiefer, Gneis-Glimmerschiefer Paragneise und Glimmerschiefer bauen den Großteil der Talflanke im Untersuchungsgebiet auf, wobei Glimmerschiefer anteilig gegenüber den Paragneisen zurücktreten. Aus zwei Argumenten werden diese im Zuge des Projektes in der Regel nicht getrennt ausgewiesen. Zum einen sind beide Gesteine im Arbeitsgebiet häufig petrografisch und lithologisch derart ähnlich, dass ein Unterscheidung sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch kaum möglich ist. Diese Gesteine müssen dementsprechend als „Gneis-Glimmerschiefer“ angesprochen werden. Zum anderen treten beide Gesteine in gemeinsamen Abfolgen auf, in denen lithologische Wechsel im cm- bis dm-Bereich zu beobachten sind, die im Maßstab 1:5.000 nicht kartierbar sind. Die Gesteine sind grau und feinkörnig. Sie sind straff geschiefert und bereichsweise intensiv gefaltet. Aufgrund ihrer Textur könne sie als Bändergneise bezeichnet werden. Es treten sc-Gefüge und feine, interne, isoklinale Fältelungen auf. Die Metamorphosegrade sind den erfolgten Untersuchungen gemäß grünschieferfaziell. Die Auswertung der Dünnschliffe hat bislang ergeben: Paragneis: Hauptgemengteile (Hg): Qz, Bt (örtlich chloritisiert), untergeordnet Plg Nebengemengteile (Ng):Hellglimmer Akzessorien (Ak): Apatit, Granat Gneis-Glimmerschiefer: Hg: Qz, Plg, Hellglimmer, Bt Ng: Chlorit (Bt wird chloritisiert) Ak: Granat, Apatit, Turmalin Granate: zonar gebaut (einschlussreicher Kern, Rand einschlussfrei) 8.2 Orthogneise Die bereichsweise auftretenden Orthogneise sind häufig als helle, graue Augengneise ausgebildet. Lokal treten weißliche, äußerst hellglimmerreiche Orthogneise auf, so etwa im Umfeld der Hofstelle Kienegger. Die Gesteine sind mittel- bis feinkörnig, örtlich mit großkörnigen Blasten. Die Schieferung ist häufig undeutlicher Ausgebildet als bei den Paragneisen und Glimmerschiefern. Die Dünnschliffauswertung hat bislang ergeben: Augengneis: Hg: Qz, Plg, evtl. Mikroklin, Hellglimmer Ng: Amphibole Ak: Apatit, Turmalin, Titanit Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 8 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung weißlicher Orthogneis: Hg: Qz, Plg mit Serizitisierung, Hellglimmer Ng: Zoisit, Titanit, Hellglimmer aus Klein-Metasomatose, evtl. Alkalifsp, da Perthitlamellen, myrmekitische Verwachsungen 8.3 Amphibolite Amphibolite treten eingeschaltet in Paragneisen und Glimmerschiefern auf. Lokal handelt es sich um Granat-Amphibolite. Die Gesteine sind dunkelgrün bis graugrün, straff geschiefert und feinkörnig. Man beobachtet auch die Variationen Hornblendegneis (mehr als 50 % Fsp, dann auch grobkörniger) und Amphibolschiefer (Amphibolgehalte über 80 %). Die Dünnschliffauswertung hat bislang ergeben: Amphibolite: Hg: Amphibole, Plg, Chlorit Ng: Granat, Qz, Serizit und Titanit (Serizit bildet zusammen mit Titanit feine Schüppchen) Ak: lokal Epidot 8.4 Magmatische Gänge Im gesamten Gebiet der südliche Texelgruppe treten lokal magmatische Gänge innerhalb der metamorphen Serien auf. Im Arbeitsgebiet wurden solche Gänge an der Taufenscharte (Gratregion), talseitig der Leiteralm und zwischen den Hofstellen Kienegger und Saxner nachgewiesen. Das Alter dieser Gangintrusionen ist oligozän (Daten Projekt CARG-Geologische Karte von Italien, Blatt 13 Meran, Vorauszug der Erläuterungen). Die Magmatite weisen ein porphyrisches Gefüge auf und sie sind häufig alteriert. Ihre Farbe ist grau bis grünlich. Nach Streckeisen müssen sie im Fall der bislang für das Projekt ausgewerteten Dünnschliffe als andesitisch klassifiziert werden. Für diese Gesteine existiert offensichtlich auch der Lokalname „Töllite“. Die Dünnschliffauswertung hat bislang ergeben: Andesitische Porphyre Hg: Qz, Amphibole, Plg (kleinere, frische Fsp, große Fsp alt und stark alteriert, Laminierung tw. nicht mehr erkennbar), Hellglimmer, Chlorit (Alteration aus Amphibolen) Ng: Serpentin, Chlorit (aus mafischen Gemengteilen), Zeolithe 9 Hydrogeologischer Überblick Das gesamte Arbeitsgebiet ist, hydrologisch betrachtet, außerordentlich trocken. Bezogen auf die hochalpine Morphologie und die Größe des Arbeitsgebietes treten bemerkenswert wenige Quellen auf. Bekannt sind Quellaustritte nur unterhalb der Steilwände des Gipfelgrates (Wasserversorgung Gampenkuhalm), im Bereich des Töllgrabens, aus dem Grabbachtal (Versorgung Leiteralm und Plars, Grundwasserableitung auch über Trinkwasserstollen „Locherstollen“) und östlich Oberplatzer (Versorgung Vellau). Weitere Quellaustritte konnten im Zuge der Geländeaufnahme nicht beobachtet werden. Im Gegensatz dazu weisen zahlreiche Erosionsrinnen auf temporär intensiven Oberflächenabfluss hin. Diese Erosionsrinnen sind, abgesehen von Töllgraben und Grabbach, nur zeitweise aktiv. Die meisten Rinnen im zentralen Teil des Arbeitsgebietes sind so intensiv verwachsen, dass ein Reaktivierungsperiode von mehr als 10 Jahren vermutet werden muss. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 9 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass Niederschlagswasser sehr rasch in den intensiv geklüfteten Untergrund einsickern kann, wo es als Grundwasser abgeführt wird und nicht mehr als Quellwasser zu Tage tritt. Der Grundwasserspiegel kann angesichts des dichten und fichtendominierten Baumbestandes des Arbeitsgebietes im Mittel kaum mehr als zwei Meter unter GOK anzutreffen sein. Laut Forstwirtschaftsplan Algund der Forststation Meran wird für das Gebiet zwischen Vellau und der Gampenkuhalm eine Bestockung von 99 % Fichte und 1 % Lärche angebeben. Der mittlere Jahresniederschlag beträgt gemäß Aufzeichnungen der Messstation Gratsch (offizielle Messstation hydrografisches Amt APB) 700 mm bis 800 mm/m². Damit ist angesichts der zuvor geschilderten Beobachtungen und Daten davon auszugehen, dass im Arbeitsgebiet ein mächtiger zusammenhängender Grundwasserkörper im intensiv geklüfteten Fels existiert. Es ist weiter anzunehmen, dass dieses Grundwasser, aufgrund der bereichsweise auftretenden Trennflächen mit großer Erstreckung, in der Lage ist, nennenswerte Kluftwasserdrücke aufzubauen – zumal die Klüfte innerhalb von Bereichen tiefgründiger Massenbewegungen in der Regel bis in ungewöhnlich große Tiefen geöffnet sind und eine verhältnismäßig hohe Durchlässigkeit des Kluftaquifers bedingen. 10 Bewegungsstrukturen im Bereich des Talzuschubs Algund Großräumig betrachtet zeigt die Talflanke bergseitig Plars und Algund zahlreiche typische morphologische Anzeichen für eine ausgedehnte tiefgründige Massenbewegung die den gesamten Hangabschnitt zwischen Gipfelgrat der Texelgruppe und dem Etschtal erfasst hat. Unterhalb des Gipfelgrates folgt im Bereich der Gampenkuhalm eine erste weitläufige Verebnung. Aus der Entfernung betrachtet, bauchen Teile des Hangs talseitig der Gampenkuhalm aus. Die Verebnung bildet das Top der gesamten „Sackungsmasse“ des Talzuschubs Algund, die sich talseitig dieser Verebnung, geometrisch annähernd trapezförmig ausgebildet, bis zum Talgrund erstreckt und mit abnehmender Seehöhe stetig bis zum Fußbereich verbreitert. Die interne Morphologie dieses Sackungskörpers ist kleinteilig gegliedert, unruhig und geprägt von hangparallelen Rinnen und Tälchen sowie Terrassen, Geländerücken und abflusslosen Senken. Die Festgesteinsaufschlüsse sind intensiv geklüftet und die Klüfte wurden häufig durch die Kriechbewegungen klaffend geöffnet. Verstellungen des Gefüges sind häufig zu beobachten. Auffällig sind weiter die Häufigkeit von Sturzablagerungen und Ausbruchsnischen großflächiger Translationsrutschungen im Fels – sekundäre Phänomene, die durch tiefgründige Massenbewegungen und die damit einhergehende Auflockerung des Gebirgsverbands begünstigt werden. Die im Gelände auskartierbaren primären Bewegungsanzeiger der tiefgründigen Massenbewegung im Bereich des Talzuschubs Algund sind Nackentäler und große Bergzerreißungsgräben, Sackungen und Zugrisse. Abb. 6: Kartensymbole für Nackentälchen / Bergzerreißungsstrukturen allgemein; rosa: vermutet, rot: gesichert. Abb. 7: Kartensymbole für Sackungen / Sackungskanten; rosa: vermutet, orange: gesichert, inaktiv, rot: gesichert, aktiv. Abb. 8: Kartensymbole für Zugrisse; orange: inaktiv, rot: aktiv. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 10 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 9: Bsp. Nackentälchen/Bergzerreißung, südöstlich der Taufenscharte, Gratbereich. Abb. 10: Bsp. Sackung, bergseitig Holzlagerplatz / Ende Forstweg „Kienegg-Töllwald“. Abb. 11: Bsp. Zugriss, aktiv, zwischen Hofstelle Oberplatzer und Leiteralm (Foto: Weiersmüller). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 11 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.1 Gliederung des Talzuschubs Algund Die bislang vorliegenden Untersuchungsergebnisse führen zur Schlussfolgerung, dass sich die tiefgründig bewegte Masse anhand der Konfiguration der Bewegungsstrukturen und –anzeiger sowie des geologischen Aufbaus in fünf bis sechs Teilschollen untergliedern lässt. Die vorläufige Einteilung bedarf noch weiterer Überlegungen und Forschungsergebnisse aus zukünftigen Projektphasen. Im wesentlichen gilt es abzuklären: • wie die Teilscholle 1 talseitig der Gampenkuhalm weiter zu untergliedern ist • ob die postulierte Teilscholle 4 tatsächlich als eigenständige Einheit des Talzuschubs angesehen werden muss • ob der Grabbach tatsächlich auf seiner gesamten Länge als östliche Begrenzung des Talzuschubs Algund angesehen werden darf oder ob – zumindest für Scholle 5 – eine kinetische Verbindung zu den ebenfalls tiefgründig bewegten Bereichen jenseits des Bachlaufes im Bereich Muthöfe / Tirol besteht Abb. 12: Abgrenzung Talzuschub Algund (rote Linie) und weitere Differenzierung in Teilschollen (Grenzen orange Linien, gestrichelt: fraglich) gemäß gegenwärtigem Kenntnisstand. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 12 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.2 Gründe für die Ausbildung des Talzuschubs Algund Zum gegenwärtigen Bearbeitungsstand des Projekts können folgende Umstände angegeben werden, die aller Wahrscheinlichkeit nach in Summe und Kombination zur Ausbildung des Talzuschubs geführt haben. Die Erosionstätigkeit im Zuge der quartären Vereisungen hat zur einer außerordentlich steilen Talflanke geführt. Bei einer durchschnittlichen Neigung von über 30° steigt der Hang vom Etschtal auf rund 400 müNN bis auf rund 2600 müNN im Gratbereich an. Die Flanke wird aus straff geschieferten Metamorphiten aufgebaut. Die prinzipiellen Metamorphosebedingungen und die Präsenz von eoalpinen Eklogiten im Gratbereich der Texelgruppe legt den Schluss einer enormen Hebungsrate für die lokalen Gesteine nahe. Die Schieferungsflächen fallen in der Regel entweder in südliche Richtungen ein („aus dem Hang“) oder sie sind zwischen nordwestlichen und nordöstlichen Richtungen „pendelnd“ flach gegen den Hang geneigt. Diese Raumlage der Schieferungsflächen und die anzunehmende Klüftung des Gebirgsverbandes im Zuge der raschen Heraushebung haben zur Folge, dass die im Zuge der glazialen Tätigkeit übersteilte Talflanke prädisponiert ist für gravitative Ausgleichsbewegungen. Die südfallenden Schieferungsflächen ermöglichen dabei ein großflächiges Abgleiten von Gesteinspaketen bei Überschreitung der Trennflächenfestigkeit, während die nordfallenden Schieferungsflächen ein großflächiges gravitatives Aufspreizen in Folge talwärts gerichteter Zugkräfte ermöglichen (vgl. Abb. 15 und Abb. 16). Die vorangelegte Klüftung ermöglicht horizontale und vertikale Verstellungen. All diese Bewegungen zusammen münden in einem phasenweisen Kriechen diskreter Gesteinspakete bis in erhebliche Tiefen unter GOK. Hinzu kommt die zuvor erläuterte Möglichkeit, die Kriechbewegungen durch Kluftwasserdruck auszulösen oder zu verstärken. Die geschilderten Faktoren wechseln sich in ihrer Relevanz für die Einzelbewegungen je nach Bewegungsphase ab und verstärken sich teilweise und temporär sogar selbst (Kluftwasserschub sowie voranschreitende Klüftung und Auflockerung im Zuge der Bewegungen). Abb. 13: Straff geschieferte Paragneise / Glimmerschiefer im Gratbereich, konstant südwärts gerichtetes Einfallen der Schieferung (in Richtung Etschtal). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 13 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 14: Gratbereich östlich Taufenscharte, intensiv geklüfteter, aufgelockerter Gebirgsverband mit kleinen Sackungen. Abb. 15: Südfallende Schieferungsflächen im Gratbereich, Kriechbewegung parallel Schieferungsflächen mit Öffnung vertikaler Klüfte durch Aufspreizung und Nachsackung im zentralen Teil. Abb. 16: Durch Kriechbewegung geöffnete, klaffende Klüfte in annähernd orthogonalem Kluftsystem, Fußbereich der Talflanke nordöstlich Hofstelle Saxner; Schieferung nordvergent „gegen den Hang“ mit Aufspreizung der Schieferungsflächen (gelbe Linie) durch talwärts gerichtete Bewegungen. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 14 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.3 Alter der Massenbewegung, Tiefenlage der Bewegungsflächen und Aktivität Zum gegenwärtigen Bearbeitungsstand des Projektes können zu diesen entscheidenden Punkten nur prinzipielle Aussagen getroffen werden. Im Zuge der Geländeaufnahme wurden Belege dafür gefunden, dass der Talzuschub Algund bereits vor der letzten Vereisungsphase (Würm-Eiszeit) aktiv gewesen ist. An zwei Lokalitäten trifft man auf groß angelegte Bergzerreißungsstrukturen die eindeutig glazial überprägt wurden. Dies sind die Grabenstrukturen im Bereich der Leiteralm und um die Hofstelle Kienegger. In beiden Fällen wurden die durch Aufspreizung entstandenen hängparallelen Gräben mit Tillen ausgekleidet und aufgefüllt. Der talseitige Geländerücken des Bergzerreißungsgrabens beim Kienegger-Hof weist zudem typische Rundhöcker und Gletscherschliffe auf. Damit kann bislang ein Mindestalter der tiefgründigen Massenbewegung mit prä-würmeiszeitlich angegeben werden. Erste Näherungen zur Bestimmung der Tiefenlagen von Haupt-Bewegungsflächen der Kriechbewegung erfolgen derzeit mit der Erstellung erster Profilschnitte. Das Hangprofil und die gestaffelte Abfolge hangparalleler, E-W-verlaufender Bergzerreißungsgräben und Nackentäler legt bislang den Schluss nahe, dass es sich um mehrere diskrete Bewegungsbahnen handeln muss, die teilweise im Bereich der oberirdisch sichtbaren Sackungsmasse wieder ausstreichen (konkave Krümmung) und teilweise auch bis unter das Niveau des heutigen Etschtalbodens reichen (Stauchungswälle im Etschtal können anhand des DGM vermutet werden). Bewegungsflächen die weit unter heutiges Talniveau reichen sprechen prinzipiell ebenfalls für einen weit zurückliegenden Beginn der Aktivität des Talzuschubs. Es muss davon ausgegangen werden, dass die initialen Kriechbewegungen stattfanden, als die quartäre Füllung des Etschtales noch eine deutlich geringere Mächtigkeit aufgewiesen hat. Bislang existieren im Bereich des Talzuschubs Algund, abgesehen von der Rötelspitze, keine Maßnahmen zur Datenerfassung im Hinblick auf Bewegungen. Indirekte Anzeichen für rezente Aktivität der tiefgründigen Massenbewegung wurden bislang nur ganz vereinzelt gefunden. Es muss daher bei gegenwärtigem Bearbeitungsstand davon ausgegangen werden, dass der überwiegende Teil des Talzuschubs Algund seit mehr als etwa 50 Jahren keine nennenswerte Aktivität mehr aufgewiesen hat. Über diesen Zeitraum ließen sich Bewegungsphasen über Gebäudeschäden, den Bewuchs oder menschliche Erinnerung ermitteln. Dies liefert in der Regel für den Talzuschub Algund keine Bewegungshinweise. Anzeichen von rezenter Aktivität der Massenbewegung finden sich bislang in folgenden Bereichen: • Gratregion, Rötelspitze: fortschreitende Öffnung einer Felsspalte, von der APB erfasst und überwacht • talseitig Leiteralm in südwestlicher Richtung bis Oberplatzer: gespannte Wurzeln und Vegetationsschäden im Bereich von Sackungen und Zugrissen mit erheblicher Erstreckung, Schäden und Schrägstellung des Wohngebäudes Oberplatzer, gemäß Auskunft der Bewohner seit Beginn der 90er Jahre • untergeordnet: südlich und westlich Gampenkuhalm, gespannte Wurzeln in Zugspalten, Vegetationsschäden Damit muss gegenwärtig davon ausgegangen werden, dass der Talzuschub Algund in der Regel eine aktuell latente, „schlafende“ und örtlich auch blockierte Kriechmasse darstellt, die unter bestimmten Voraussetzungen (Auslösemechanismen) reaktiviert werden kann. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 15 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.4 Bewegungszentren Anhand der durchgeführten Untersuchungen konnten bislang vier Bewegungszentren bzw. „Brennpunkte“ im Bereich des Talzuschubs Algund identifiziert werden. Dies sind • das Gebiet um Vellau (Scholle 5) • das Gebiet um die Leiteralm (Grenze zw. Scholle 1 und 3) • das Gebiet zwischen Kienegger (Südwestrand Scholle 3), den Forstwegen „KieneggTöllwald“ und „Töllwald“ (Zentrum bis Nordrand Scholle 2) sowie der Hofstelle Oberplatzer (westl. Zentrum Scholle 3) und • das Gebiet um die Gampenkuhalm (Scholle 1 bzw. Grenze 1a/1b) 10.4.1 Vellau Die kleine Ortschaft Vellau liegt im Zentrum des Talzuschubs und stellt damit potentiell einen Raum mit hohem spezifischen Risiko dar. In diesem Bereich existieren ausgeprägte Bewegungsstrukturen mit großer Erstreckung bzw. Öffnungsweite und Tiefe. Aufgrund der Mächtigen Lockergesteinsauflage im Bereich Vellau und talseitig der Ortschaft, muss angenommen werden, dass weitere Zeugen intensiver tiefgründiger Hangbewegung überdeckt wurden und heute nicht mehr sichtbar sind. Abb. 17: Kartierte Bewegungsstrukturen um Vellau, Legende der wesentlichen Strukturen s. Abb. 6-Abb. 8. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 16 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 18: Vellau, gesehen vom Kienegger-Hof , mit markantem Nackental bergseitig der Häuser. Die Struktur zieht weiter in die rechte untere Bildecke. Abb. 19: große abflusslose Senke am nordwestlichen Ortsrand von Vellau im weiteren Verlauf der Bergzerreißungsstruktur aus Abb. 18. Das rote Haus im Hintergrund steht in der weiteren Fortsetzung des Nackentals. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 17 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.4.2 Leiteralm Eine der größten Bergzerreißungsstrukturen mit Öffnungsweiten bis über 80 m existiert unmittelbar südwestlich der Leiteralm. Im talseitigen Bereich der teilweise mit Tillen gefüllten Grabenstruktur beobachtet man Anzeiger schwach aktiver Bewegungen. Die begleitenden Bewegungsstrukturen – vor allem die tiefen Zugspalten – erreichen beträchtliche Ausmaße. Abb. 20: Kartierte Bewegungsstrukturen im Bereich Leiteralm, Legende d. wesentl. Strukturen s. Abb. 6-Abb. 8. Gebäude Leiteralm am ob. rechten Bildrand. Abb. 21: Markante, weite Talung südwestlich der Leiteralm – eine der am weitesten geöffneten Bergzerreißungsstrukturen im Projektgebiet, gefüllt mit quartären Tillen. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 18 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 22: Ausgelegter Kern einer Handbohrung in der Talung aus Abb. 21. Die Lockersedimente sind verdichtet, diamikt mit sandig-schluffiger Matrix und damit als Till anzusprechen. Abb. 23: Detailfoto des erbohrten Tills aus Abb. 22. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 19 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 24: Zugriss westlich der Leiteralm. Abb. 25: Zugriss mit beginnender Sackung westlich der Leiteralm. 10.4.3 Gebiet zwischen Kienegger, den Forstwegen „Kienegg-Töllwald“ und „Töllwald“ sowie der Hofstelle Oberplatzer Bergseitig des Holzlagerplatzes am Ende des neuen Forstweges „Kienegg-Töllwald“ sowie östlich und nordöstlich der Hofstelle Oberplatzer beobachtet man die meisten Anzeichen aktiver Bewegung. Die Hofstelle selbst wurde bereits beeinträchtigt. Im Bereich des Forstweges „Töllwald“ beobachtet man die (im Bereich dieser Massenbewegung) dichteste Drängung weit geöffneter, tiefer Nackentäler und Bergzerreißungsgräben. Die Kriechbewegungen vollzogen sich hier sowohl in westlicher Richtung zum tief eingeschnittenen Töllgraben, als auch südgerichtet zum Etschtal hin. Daher treten in diesem Bereich auch große abflusslose Senken auf, die auf die spreizenden Kriechbewegungen und damit verbundene Nachsackungen zurückzuführen sind. Die Bewegungsstrukturen in diesem Raum sind so groß, dass sie in der Regel eine kartierungsbasierte Bewertung der Aktivität unmöglich machen. Allerdings finden sich Zeugen rezenter Bewegung an den Kontakten zwischen jungen künstlichen Aufschüttungen (im Zuge des Forstwegbaus) und den talseitigen Geländerücken der großen Nackentäler, die der Forstweg durchquert. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 20 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 26: Kartierte Bewegungsstrukturen im Gebiet zwischen Kienegger (rechte untere Bildecke), den Forstwegen „Kienegg-Töllwald“ (untere blaue Linie) und „Töllwald“ (obere blaue Linie) sowie der Hofstelle Oberplatzer (mittl. rechter Bildrand), Legende d. wesentl. Strukturen s. Abb. 6-Abb. 8. Abb. 27: Ausgeprägte Bergzerreißungsstrukturen (Talungen und abflusslose Senke) im Bereich Forstweg „Töllwald“, 1490 müNN (Foto: Weiersmüller). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 21 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 28: Hang zwischen Hofstelle Kienegger (Talseite) und Hofstelle Oberplatzer mit zahlreichen Bewegungsstrukturen (rote Pfeile), Blickrichtung Westen (Foto: Weiersmüller). Abb. 29: Zugriss bergseitig Hofstelle Oberplatzer. 10.4.4 Gampenkuhalm Talseitig der Gampenkuhalm befinden sich die höchstgelegenen Bewegungsstrukturen im Bereich des eigentlichen Sackungskörpers des Talzuschubs. Diese sind stellenweise sehr stark ausgeprägt und weisen große Erstreckungen auf. Das Gebiet zwischen Gampenkuhalm und Grat stellt den Abrissbereich des Talzuschubs dar, der ausgehend von dieser Zone weiter talwärts aufspreizt. Es handelt sich damit um eine Schlüsselstelle zum Verständnis des Gesamtverhaltens der tiefgründig bewegten Talflanke zwischen Etschtal und Gipfelgrat. Der Abrissbereich ist zwischen den Steilwänden und der Gampenkuhalm durch mächtige Lockergesteine teilweise wieder aufgefüllt worden. Diese Sedimente sind unter anderem in einem bemerkenswert großen (wohl gemischten) Schuttfächer abgelagert worden (noch nicht in digitalisierter Karte erfasst). Daneben treten vor allem Sturzablagerungen auf. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 22 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 30: Kartierte Bewegungsstrukturen im Bereich Gampenkuhalm, Legende der wesentlichen Strukturen siehe Abb. 6-Abb. 8. Abb. 31: Markante Verebnung der Gampenkuhalm am Fuß der Steilwände des Gipfelgrats mit annähernd hangparallelen Gräben (Bergzerreißungsstrukturen, gelbe Linien) am talseitigen Ende. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 23 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 32: Ausgeprägte hangparallele Bergzerreißungsstrukturen mit großer Erstreckung östlich der Gampenkuhalm. Abb. 33: Paragneis / Glimmerschiefer an der Gampenkuhalm mit klaffenden Vertikalklüften, die durch die Kriechbewegungen geöffnet wurden; am unteren Bildrand erkennt man einen hangparallelen Graben im Vorfeld des Felsrückens. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 24 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 11 Zukünftige Projektphasen Die wesentlichen Aufgaben des zweiten Projektjahres lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Ermittlung von Gebirgsparametern durch Übertrag von Felsparametern nach der Methode von HOEK (GSI-System) • Modellierungen im Bereich der tiefgründigen Massenbewegung zur Bewertung von Bewegungsverhalten, Aktivität, Auslösemechanismen und Reaktivierbarkeit • Detailauswertung mit Abschätzung der Tiefenlage und Geometrie der Hauptbewegungsflächen des Talzuschubs Algund • Detailauswertung der gekoppelten sekundären Prozesse • Erstellung eines Gefahrenzonenplanes für das Gebiet zwischen Grat und Talboden • ggf. Konzeption, Planung und Installation von Monitoringsystemen und Vorschlag von Präventivmaßnahmen Abb. 34: Bsp. Prozesskopplung: durch tiefgründige Massenbewegung zerlegter, intensiv geklüfteter Fels mit vertikalen Großklüften an der Rötelspitze – signifikant erhöhte Felssturzgefahr. Abb. 35: Bsp. Prozesskopplung Sturz – rezenter Sturzblock am Forstweg „Kienegg-Töllwald“. Abb. 36: Bsp. Prozesskopplung Sturz – Steinschlag an der Verbindungsstraße VellauOberplatzer, März 2008. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 25 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 12 Schlussbemerkung Im ersten Bearbeitungsjahr des Projektes ist es gelungen, den geologisch Aufbau des Gebiets und die grundsätzlichen Gegebenheiten der tiefgründigen Massenbewegung „Talzuschub Algund“ zu erfassen und weitreichend zu klären. Im folgenden zweiten Projektjahr müssen nun auf Basis dieser Erkenntnisse jene Untersuchungen und Modellierungen durchgeführt werden, die ein detailliertes Verständnis der tiefgründigen Massenbewegung ermöglichen und letztlich in einer gesicherten und fundierten Bewertung der Situation im Zuge der Gefahrenzonenplanung münden. Im Zuge dieser Forschungen sollen rezente Aktivitätsbereiche erfasst und Reaktivierungsbedingungen der derzeit ruhenden Bereiche definiert werden. Es gilt in diesem Zusammenhang auch die komplexen Prozesskoppelungen mit sekundären lokal auftretenden Phänomenen vollständig zu erfassen und in die Gefahrenzonierung einfließen zu lassen. Auf Basis dieser weiteren Ergebnisse kann dann abschließend die Notwendigkeit von örtlichen Überwachungskonzepten bewertet werden und es können ggf. konkrete und zielgerichtete Maßnahmen im Rahmen des Projektes vorgeschlagen und eingeleitet werden. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 26 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 13 Literatur AUTONOME PROVINZ BOZEN - SÜDTIROL [ed.] (2004): Exkursionsführer Kurtatsch.- Im Rahmen der „Interpraevent“-Fachtagung vom 24. bis 28.05.2004 in Riva del Garda, Exkursion 3: „Das Risiko von Murgängen in der Städteplanung“, 24 S.; Bozen (Abt.30 – Wasserschutzbauten). BESTLE, K.-H. (2005): Geologie der Höhen westlich des Etschtales zwischen Kurtatsch und Fennberg mit der Erstellung eines Gefahrenzonenplanes für diesen Teil Südtirols.– unveröffentlichte Diplomkartierung und Diplomarbeit am Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der TU München, 1 geol. Kt. 1:10.000; München. COSTA, J.E. (1984): Physikal geomorphology of debris flows.– In: COSTA, J.E. & FLEISHER, P.J. [ed.]: Developments and applications of geomorphology; Berlin, Heidelberg, etc. (Springer), 268-317. COSTA, J.E. 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Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 29 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Inhalt 1 Allgemeines ...............................................................................................................................1 2 Geografische Lage des Projektgebietes .......................................................................................1 3 Projektziele ................................................................................................................................3 4 Projektbeteiligte .........................................................................................................................3 5 Methodik....................................................................................................................................3 6 Gegenwärtiger Bearbeitungsstand des Projektes..........................................................................4 7 Geologischer Überblick ..............................................................................................................6 8 Festgesteine des Arbeitsgebietes .................................................................................................8 9 8.1 Paragneise und Glimmerschiefer, Gneis-Glimmerschiefer ..................................................8 8.2 Orthogneise........................................................................................................................8 8.3 Amphibolite.......................................................................................................................9 8.4 Magmatische Gänge...........................................................................................................9 Hydrogeologischer Überblick .....................................................................................................9 10 Bewegungsstrukturen im Bereich des Talzuschubs Algund...................................................10 10.1 Gliederung des Talzuschubs Algund.................................................................................12 10.2 Gründe für die Ausbildung des Talzuschubs Algund.........................................................13 10.3 Alter der Massenbewegung, Tiefenlage der Bewegungsflächen und Aktivität ...................15 10.4 Bewegungszentren ...........................................................................................................16 10.4.1 Vellau......................................................................................................................16 10.4.2 Leiteralm .................................................................................................................18 10.4.3 Gebiet zwischen Kienegger, den Forstwegen „Kienegg-Töllwald“ und „Töllwald“ sowie der Hofstelle Oberplatzer................................................................................20 10.4.4 Gampenkuhalm........................................................................................................22 11 Zukünftige Projektphasen.....................................................................................................25 12 Schlussbemerkung................................................................................................................26 13 Literatur ...............................................................................................................................27 Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr I Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 1 Allgemeines Mit der im September 2007 unter der Verzeichnisnummer 45 abgeschlossenen Konvention wurde eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zu oben genanntem Projekt zwischen der Autonomen Provinz Bozen und Technischen Universität München mit einer vertraglichen Laufzeit bis zum 30.06.2009 vereinbart. Die Zusammenarbeit findet auf Basis des entsprechenden Forschungsantrages vom April 2007 zwischen dem Amt 11.6 (Geologie und Baustoffprüfung) der Autonomen Provinz Bozen (im Folgenden bezeichnet als APB)und dem Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der TU München (im Folgenden bezeichnet als TUM) statt. An der TUM ist eine laufende Dissertation (Dipl. Geol. Sebastian Willerich) mit dem Projekt verbunden. 2 Geografische Lage des Projektgebietes Das Arbeitsgebiet befindet sich bei Algund auf dem Gebiet der APB, im Bereich der orografisch linken Talflanke der Etsch (öffentl. Gewässer APB Nr. A) etwa 6 km nordwestlich von Meran. Es erstreckt sich von der Talsohle auf Seehöhe ca. 400 m bis zum Grat der Talflanke auf SH ca. 2600 m und den Übergang ins nördlich gelegene Spronser Tal. Nach Westen wird das Arbeitsgebiet durch den Töllgraben (Nr. A.195) und nach Osten durch den Grabbach (Nr. A.165.20) begrenzt. Das gesamte Gebiet ist von tiefgründigen Massenbewegungen erfasst und wird daher aus geologischer Sicht als „Talzuschub Algund“ bezeichnet. Abb. 1: Lage des Projektgebietes (gelbes Rechteck, entnommen Microsoft Encarta Weltatlas). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 1 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 2: Laserscan-DGM des Talzuschubs Algund, der sich zwischen Etschtal, Gipfelgrat, Töllgraben und Grabbach ausgebildet hat. Abb. 3: Ansicht des Talzuschubs Algund (Abgrenzung rote Linie) von Meran aus. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 2 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 3 Projektziele Die wesentlichen Ziele für das Forschungsvorhaben lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Charakterisierung und Klassifizierung des „Talzuschub-Phänomens“ als Begriff für tiefgründige Massenbewegungen vor dem Hintergrund einer geologischen Gefahrenzonierung • Ausscheidung von Teilbereichen (Schollen) innerhalb der Massenbewegung, die sich ggf. separat und unabhängig von anderen Bereichen der gesamten Kriechzone „Talzuschub Algund“ bewegen können und Bewertung möglicher Wechselwirkungen zwischen einzelnen Teilschollen • Charakterisierung und Klassifizierung der Prozesskopplung Kriechen (Talzuschub) – Stürzen (Steinschlag, Felssturz), Rutschen (Fest-/Lockergesteinsrutschung) und Fließen (Schuttströme, Murgänge) vor dem Hintergrund einer geologischen Gefahrenzonierung • Darstellung und Integration in alpine Gefahrenzonenpläne in Zusammenarbeit mit dem Amt für Geologie und Baustoffprüfung der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol • Ausscheidung von Triggermechanismen (wenn möglich) und Bestimmung des Grenzgleichgewichtszustands der verschiedenen Hangbereiche auf dem Talzuschub Algund im Hinblick auf eine Ereignisprognose • Lokalisierung von Bewegungs- und Gefahrenbrennpunkten im Bereich des Talzuschubs Algund, die eine kontinuierliche Beobachtung (Monitoring) erfordern • Ausarbeitung von praktikablen Monitoringkonzepten für die fraglichen Areale und ggf. erste Umsetzung dieser Konzepte 4 Projektbeteiligte Das Projekt läuft in enger Kooperation unter Verantwortung und wissenschaftlicher Beteiligung folgender Personen ab: • Für die APB verantwortlich: Dr. Volkmar Mair, Amt für Geologie und Baustoffprüfung (Abt. 11.6) der APB, Koordination und wissenschaftliche Betreuung • Für die TUM verantwortlich: Prof. Dr. Kurosch Thuro, Ordinarius des Lehrstuhls für Ingenieurgeologie TUM, Koordination und wissenschaftliche Leitung und Betreuung, Erstbetreuer der mit dem Projekt verbundenen Dissertation Dipl. Geol. Willerich • Für die TUM vor Ort: Dipl. Geol. Sebastian Willerich, wissenschaftliche Bearbeitung und Ausarbeitung der Projektergebnisse, zeitweise unterstützt von Diplomanten der TUM • Als externer Wissenschaftler: Prof. Dr. Alessandro Corsini, Dipartimento di Scienze della Terra, Università di Modena e Reggio Emilia, wissenschaftliche Betreuung und Zweitbetreuer Dissertation Dipl. Geol. Willerich 5 Methodik Die wissenschaftliche Bearbeitung des Projektes und die daraus resultierende Bewertung der erhaltenen Ergebnisse im Rahmen der Zielsetzung des Projektes erfolgt unter Anwendung vielfältiger Untersuchungsmethoden. Die wesentlichen Arbeitsmethoden, die zur Ausarbeitung des vorliegenden Projekts (teilweise im Rahmen zukünftiger Projektphasen, siehe Kap. 6 und 11) zur Anwendung kommen sind: Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 3 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung • Erstellung einer geologischen Karte für das Arbeitsgebiet zwischen Gratregion und Talgrund, Kartierung der im Gebiet angetroffenen Bewegungsphänomene nach der Standardlegende der APB; jeweils Maßstab 1: 5.000. • Grundlegende petrografische Analyse der im Arbeitsgebiet anstehenden Festgesteine durch Dünnschliffauswertung • Erstellung von Profilschnitten auf Basis der erstellten Karten • Auswertung des Laserscan-DGM mit Rasterweite 2,5 x 2,5 m im Hinblick auf Detailmorphologie, geologische Störungszonen und Bewegungsstrukturen im Bereich des Talzuschubs Algund • Bewertung der hydrogeologischen Situation • GIS-basierte Darstellung der Kartierungsergebnisse auf Ortho-Foto (Befliegung 2006), 3DGeländemodell und topographischer Kartengrundlage mittels ArcGis 9.2, Erstellung von Detailkarten und thematischen Karten, Erfassung, Klassifizierung und Codierung von Bewegungsstrukturen in einer Datenbank (u.a. Zuordnung auf Teilschollen des Talzuschubs) nach den entsprechenden Kriterien der APB • Großflächige Bestimmung von Bewegungsvektoren durch Radarinterferometrie (D-InSAR). • Ermittlung der Materialeigenschaften der Fest- und Lockergesteine, insbesondere des entfestigten Materials in den hauseigenen Fels- und Bodenmechanik-Labors • Übertrag der Gesteinsparameter auf den Gebirgsverband nach HOEK (GSI-System), Erstellung von Eingangsparametern für eine Modellierung • Numerische Modellierung der Gesamtsituation, von Einzelereignissen und instabilen Bereichen mit geeigneten numerischen Codes, ggf. unter Mitwirkung weiterer externer Wissenschaftler. In Frage kommen gegenwärtig die Codes UDEC – Universal Distinct Element Code (Itasca), FLAC – Fast Lagrange Finite Elemet Code und FLAC Slide (Itasca), PFC – Particel Flow Code (Itasca), Slide – Grenzgleichgewicht (RocScience), Phase2 – Finite Element Code (RocScinence) • Wenn möglich: Altersdatierungen von Hölzern aus Rutschungs- und Mursedimenten, die durch Massenbewegungen transportiert oder überdeckt, um die Wiederkehrzeit von gekoppelten Ereignissen einzugrenzen oder abzuschätzen • Ggf. Projektierung eines Monitoring-Systems zur Erfassung der oberflächigen und tiefreichenden Bewegungen. 6 Gegenwärtiger Bearbeitungsstand des Projektes Die Geländeaufnahme ist bei gegenwärtigem Bearbeitungsstand zu etwa 90 % abgeschlossen und die Erfassung und Klassifizierung der im Bereich des Talzuschubs Algund auftretenden Phänomene ist vollständig erfolgt. Ebenso wurde eine detaillierte Auswertung des DGM durchgeführt. Im Zuge der Geländearbeiten konnten lokale Bewegungszentren innerhalb des Talzuschubs erfasst werden, die sich durch die Häufung von Bewegungsstrukturen erheblichen Ausmaßes und stellenweise bemerkenswerte Bewegungsbeträge von den durchschnittlich im Arbeitsgebiet zu beobachtenden Strukturen unterscheiden. In diesem Zusammenhang konnte der Talzuschub Algund anhand von strukturellen und morphologischen Kriterien in Teilschollen untergliedert werden, für die bei bisherigem Kenntnisstand zu vermuten ist, dass sie zum einen unabhängig von anderen Teilgebieten der gesamten Kriechmasse Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 4 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Bewegungen aufweisen können und dass zum anderen eine Destabilisierung umgebender Schollen durch ihre Einzelbewegung möglich wird. Die Übertragung der erhaltenen Daten und Ergebnisse der Geländeaufnahme in das GIS-System erfolgte bislang zu etwa 60-65 % und wird fortlaufend weitergeführt. Die geologische Karte wurde angesichts der Aufgabenstellung aus dem Themengebiet „tiefgründige Massenbewegungen / Gefahrenzonierung“ weitgehend abgedeckt erstellt. Das heißt, in der Regel wurde der für die tiefgründige Massenbewegung relevante Felsuntergrund in der Karte dargestellt, während die überlagernden Lockergesteine nur dort in der Karte wiedergegeben wurden, wo sie entweder erhebliche Mächtigkeiten erreichen oder sich als relevant für die Aufgabenstellung erwiesen haben. Relevanz für die Aufgabenstellung besitzt die Lockergesteinsdecke überall dort, wo an den Talzuschub gekoppelte Prozesse im Zusammenhang mit diesen Sedimenten auftreten (z.B. Remobilisierung von Sturzblöcken, Bereitstellung von Murmaterial und Geschiebe, induzierte Rutschungen und Kriechbewegungen, Präsenz von umgelagertem Material, etc.) oder wo sich eigene Bewegungsphänomene innerhalb der Lockergesteinsdecke entwickelt haben – dies betrifft vor allem flach- bis mittelgründige Kriechbewegungen an steilen Hängen und/oder auf der steil einfallenden Felsoberfläche. Das Kriterium „erhebliche Mächtigkeit“ wurde im Rahmen des vorliegenden Projekts mit rund 1,5 m und mehr definiert. Zur Zeit befinden sich folgende Arbeitsschritte in der Bearbeitungsphase: • Erfassung der gekoppelten Phänomene Sturzereignisse, Rutschungen, Murgänge und Wildbachereignisse • Auswertung der angefertigten Dünnschliffe zur grundsätzlichen Darstellung der lokalen Petrografie • Erstellung von Profilen durch die gesamte Kriechmasse des Talzuschubs Algund • Ausarbeitung der Gesteins- und Gebirgscharakteristik (Definition der felsmechanischen Parameter und Übertrag auf den Gebirgsverband durch geeignete Klassifizierungssysteme) • Kontaktaufnahme mit Prof. Dr.-Ing. habil. Tom Schanz, Professur Bodenmechanik an der Bauhaus-Universität Weimar, im Hinblick auf die vorgesehenen Modellierungen Abb. 4: Zum gegenwärtigen Bearbeitungszeitpunkt (Juni 2008) geologisch kartierte und im GIS umgesetzte Fläche (gelb, ca. 65 % des gesamten Projektgebietes), in der Südost-Ecke erkennt man Meran. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 5 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 7 Geologischer Überblick Das Arbeitsgebiet befindet sich am südlichen Rand des metamorphen Ötztal-Kristallin-Komplexes (Ostalpin, Mittelostalpin nach historischer Definition) innerhalb der Texelgruppe. Im Bereich des Ötztal-Komplexes lassen sich mehrere Metamorphosezyklen unterscheiden. Das jüngste Metamorphoseereignis ist Teil der alpinen Orogenese und fällt in die Kreidezeit (eoalpine Phase). Am Südost-Rand des Kristallinkomplexes wurden in der Regel Bedingungen der Grünschiefer- bis Amphibolitfazies erreicht (SÖLVA et al. 2001). Neue Forschungsergebnisse beschreiben aus dem Gratbereich der Texelgruppe nordwestlich von Meran auch Eklogite, die auf ein Alter von rund 86 Mio. Jahren datiert werden konnten (Daten Projekt CARG-Geologische Karte von Italien, Blatt 13 Meran, unveröffentlichter Vorauszug der Erläuterungen). Dem entsprechend muss angenommen werden, dass im Zuge der alpinen Gebirgsbildungsphasen im Bereich der Texelgruppe enorme Hebungsraten zu verzeichnen waren. Dies trug mit Sicherheit zu der enormen Zerbrechung, Klüftung und Zerrüttung des Gebirgsverbandes bei, die im Arbeitsgebiet an nahezu jedem Aufschluss zu beobachten ist. Diese starke Auflockerung begünstigt tiefgründige Massenbewegungen erheblich. Das Ötztal-Kristallin wird vor allem aus Para- und Orthogneisen sowie Glimmerschiefern und (bereits in deutlich geringerem Ausmaß) Amphiboliten aufgebaut. Daneben treten typische, „exotische“, metamorphe Serien wie der Schneeberger Zug auf. Im Projektgebiet sind die Festgesteine unterhalb etwa 1700 m in der Regel von mächtigen Lockergesteinen bedeckt. Dies sind neben Hangschutt und blockigen Sturzablagerungen vor allem Mursedimente, glaziale Ablagerungen und ausgedehnte Schwemmfächer am Fuß der Talflanke. Die Einzelgröße von Sturzblöcken kann 50 m³ überschreiten. Solche Großblöcke treten bis zum Talgrund bei Algund und Plars auf. Das Projektgebiet befindet sich unweit der periadriatischen Naht, die etwa 5 km entfernt durch Meran verläuft. Des weiteren befindet sich das Areal des Talzuschubs Algund unmittelbar benachbart zur sog. Thurnstein-Linie, einer regional bedeutenden Störungszone, die nordwestlich von Meran bei Gratsch in NE-SW-Richtung verläuft (VIOLA et al. 2001). Durch das Arbeitsgebiet selbst verlaufen keine bedeutenden Störungen, es konnten jedoch lokal kleinere Störungen beobachtet werden, die offensichtlich als Begleitstörungen der Thurnstein-Line aufzufassen sind. Tektonische Vorgänge spielen somit für die Zerlegung des Gebirges als Prädisposition für die Entwicklung einer tiefgründigen Massenbewegung im Projektgebiet praktisch keine Rolle. Im Arbeitsgebiet lassen sich zwei wesentliche Schieferungsrichtungen unterscheiden. Die Schieferungsflächen fallen zum einen in prinzipiell südliche Richtungen ein und zum anderen in nordwestliche bis nordöstliche Richtungen („gegen den Hang“). In der Regel beobachtet man die Zerlegung des Gebirgsverbandes an einem annähernd orthogonal ausgebildeten Kluftsystem, das zwei bis drei Hauptkluftscharen aufweist. Örtlich sind die Gesteine an weiteren, untergeordneten Trennflächen intensiver zerlegt. Die Klüftung ist (nach ISRM 1978 und IAEG 1981) eng- bis weitständig, mit einer Häufung im mittelständigen Bereich. Vereinzelt beobachtet man dichtständig geklüftete Partien. Im Gratbereich treten Großklüfte signifikant gehäuft auf, was für die Felssturzgefahr des Gebietes von Bedeutung ist. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 6 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 5: Gegenwärtiger Stand der angefertigten geologischen Karte, Ansicht ohne Phänomene der tiefgründigen Massenbewegung. • rot begrenzte Flächen: Lockersedimente Hang- und Sturzschutt, gemischte Schuttkegel; • grün umgrenzt: Schwemmkegel; • violett umgrenzt: Tille; • hellgelbe Fläche: Lockergestein, undifferenziert; • braune Fläche: Paragneis und Glimmerschiefer, undifferenziert, lokal mit geringmächtiger Lockergesteinsbedeckung; • hellbraune Fläche: Glimmerschiefer; • violette Fläche: Orthogneise, lokal mit geringmächtiger Lockergesteinsbedeckung; • grüne Flächen: Amphibolite; • orange Flächen: andesitische Porphyre (oligozäne Gänge); • schwarz umgrenzt mit Gittersignatur: anthropogene Aufschüttungen/veränderte Flächen; • blaue Linien: Oberflächenabfluss/Gerinne, permanent und temporär aktiv Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 7 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 8 Festgesteine des Arbeitsgebietes Im Bereich des Talzuschubs Algund konnten folgende Gesteine auskartiert werden: • Paragneise und Glimmerschiefer (zusammen flächenmäßig weit überwiegend) • Orthogneise • Amphibolite • magmatische Gänge 8.1 Paragneise und Glimmerschiefer, Gneis-Glimmerschiefer Paragneise und Glimmerschiefer bauen den Großteil der Talflanke im Untersuchungsgebiet auf, wobei Glimmerschiefer anteilig gegenüber den Paragneisen zurücktreten. Aus zwei Argumenten werden diese im Zuge des Projektes in der Regel nicht getrennt ausgewiesen. Zum einen sind beide Gesteine im Arbeitsgebiet häufig petrografisch und lithologisch derart ähnlich, dass ein Unterscheidung sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch kaum möglich ist. Diese Gesteine müssen dementsprechend als „Gneis-Glimmerschiefer“ angesprochen werden. Zum anderen treten beide Gesteine in gemeinsamen Abfolgen auf, in denen lithologische Wechsel im cm- bis dm-Bereich zu beobachten sind, die im Maßstab 1:5.000 nicht kartierbar sind. Die Gesteine sind grau und feinkörnig. Sie sind straff geschiefert und bereichsweise intensiv gefaltet. Aufgrund ihrer Textur könne sie als Bändergneise bezeichnet werden. Es treten sc-Gefüge und feine, interne, isoklinale Fältelungen auf. Die Metamorphosegrade sind den erfolgten Untersuchungen gemäß grünschieferfaziell. Die Auswertung der Dünnschliffe hat bislang ergeben: Paragneis: Hauptgemengteile (Hg): Qz, Bt (örtlich chloritisiert), untergeordnet Plg Nebengemengteile (Ng):Hellglimmer Akzessorien (Ak): Apatit, Granat Gneis-Glimmerschiefer: Hg: Qz, Plg, Hellglimmer, Bt Ng: Chlorit (Bt wird chloritisiert) Ak: Granat, Apatit, Turmalin Granate: zonar gebaut (einschlussreicher Kern, Rand einschlussfrei) 8.2 Orthogneise Die bereichsweise auftretenden Orthogneise sind häufig als helle, graue Augengneise ausgebildet. Lokal treten weißliche, äußerst hellglimmerreiche Orthogneise auf, so etwa im Umfeld der Hofstelle Kienegger. Die Gesteine sind mittel- bis feinkörnig, örtlich mit großkörnigen Blasten. Die Schieferung ist häufig undeutlicher Ausgebildet als bei den Paragneisen und Glimmerschiefern. Die Dünnschliffauswertung hat bislang ergeben: Augengneis: Hg: Qz, Plg, evtl. Mikroklin, Hellglimmer Ng: Amphibole Ak: Apatit, Turmalin, Titanit Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 8 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung weißlicher Orthogneis: Hg: Qz, Plg mit Serizitisierung, Hellglimmer Ng: Zoisit, Titanit, Hellglimmer aus Klein-Metasomatose, evtl. Alkalifsp, da Perthitlamellen, myrmekitische Verwachsungen 8.3 Amphibolite Amphibolite treten eingeschaltet in Paragneisen und Glimmerschiefern auf. Lokal handelt es sich um Granat-Amphibolite. Die Gesteine sind dunkelgrün bis graugrün, straff geschiefert und feinkörnig. Man beobachtet auch die Variationen Hornblendegneis (mehr als 50 % Fsp, dann auch grobkörniger) und Amphibolschiefer (Amphibolgehalte über 80 %). Die Dünnschliffauswertung hat bislang ergeben: Amphibolite: Hg: Amphibole, Plg, Chlorit Ng: Granat, Qz, Serizit und Titanit (Serizit bildet zusammen mit Titanit feine Schüppchen) Ak: lokal Epidot 8.4 Magmatische Gänge Im gesamten Gebiet der südliche Texelgruppe treten lokal magmatische Gänge innerhalb der metamorphen Serien auf. Im Arbeitsgebiet wurden solche Gänge an der Taufenscharte (Gratregion), talseitig der Leiteralm und zwischen den Hofstellen Kienegger und Saxner nachgewiesen. Das Alter dieser Gangintrusionen ist oligozän (Daten Projekt CARG-Geologische Karte von Italien, Blatt 13 Meran, Vorauszug der Erläuterungen). Die Magmatite weisen ein porphyrisches Gefüge auf und sie sind häufig alteriert. Ihre Farbe ist grau bis grünlich. Nach Streckeisen müssen sie im Fall der bislang für das Projekt ausgewerteten Dünnschliffe als andesitisch klassifiziert werden. Für diese Gesteine existiert offensichtlich auch der Lokalname „Töllite“. Die Dünnschliffauswertung hat bislang ergeben: Andesitische Porphyre Hg: Qz, Amphibole, Plg (kleinere, frische Fsp, große Fsp alt und stark alteriert, Laminierung tw. nicht mehr erkennbar), Hellglimmer, Chlorit (Alteration aus Amphibolen) Ng: Serpentin, Chlorit (aus mafischen Gemengteilen), Zeolithe 9 Hydrogeologischer Überblick Das gesamte Arbeitsgebiet ist, hydrologisch betrachtet, außerordentlich trocken. Bezogen auf die hochalpine Morphologie und die Größe des Arbeitsgebietes treten bemerkenswert wenige Quellen auf. Bekannt sind Quellaustritte nur unterhalb der Steilwände des Gipfelgrates (Wasserversorgung Gampenkuhalm), im Bereich des Töllgrabens, aus dem Grabbachtal (Versorgung Leiteralm und Plars, Grundwasserableitung auch über Trinkwasserstollen „Locherstollen“) und östlich Oberplatzer (Versorgung Vellau). Weitere Quellaustritte konnten im Zuge der Geländeaufnahme nicht beobachtet werden. Im Gegensatz dazu weisen zahlreiche Erosionsrinnen auf temporär intensiven Oberflächenabfluss hin. Diese Erosionsrinnen sind, abgesehen von Töllgraben und Grabbach, nur zeitweise aktiv. Die meisten Rinnen im zentralen Teil des Arbeitsgebietes sind so intensiv verwachsen, dass ein Reaktivierungsperiode von mehr als 10 Jahren vermutet werden muss. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 9 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass Niederschlagswasser sehr rasch in den intensiv geklüfteten Untergrund einsickern kann, wo es als Grundwasser abgeführt wird und nicht mehr als Quellwasser zu Tage tritt. Der Grundwasserspiegel kann angesichts des dichten und fichtendominierten Baumbestandes des Arbeitsgebietes im Mittel kaum mehr als zwei Meter unter GOK anzutreffen sein. Laut Forstwirtschaftsplan Algund der Forststation Meran wird für das Gebiet zwischen Vellau und der Gampenkuhalm eine Bestockung von 99 % Fichte und 1 % Lärche angebeben. Der mittlere Jahresniederschlag beträgt gemäß Aufzeichnungen der Messstation Gratsch (offizielle Messstation hydrografisches Amt APB) 700 mm bis 800 mm/m². Damit ist angesichts der zuvor geschilderten Beobachtungen und Daten davon auszugehen, dass im Arbeitsgebiet ein mächtiger zusammenhängender Grundwasserkörper im intensiv geklüfteten Fels existiert. Es ist weiter anzunehmen, dass dieses Grundwasser, aufgrund der bereichsweise auftretenden Trennflächen mit großer Erstreckung, in der Lage ist, nennenswerte Kluftwasserdrücke aufzubauen – zumal die Klüfte innerhalb von Bereichen tiefgründiger Massenbewegungen in der Regel bis in ungewöhnlich große Tiefen geöffnet sind und eine verhältnismäßig hohe Durchlässigkeit des Kluftaquifers bedingen. 10 Bewegungsstrukturen im Bereich des Talzuschubs Algund Großräumig betrachtet zeigt die Talflanke bergseitig Plars und Algund zahlreiche typische morphologische Anzeichen für eine ausgedehnte tiefgründige Massenbewegung die den gesamten Hangabschnitt zwischen Gipfelgrat der Texelgruppe und dem Etschtal erfasst hat. Unterhalb des Gipfelgrates folgt im Bereich der Gampenkuhalm eine erste weitläufige Verebnung. Aus der Entfernung betrachtet, bauchen Teile des Hangs talseitig der Gampenkuhalm aus. Die Verebnung bildet das Top der gesamten „Sackungsmasse“ des Talzuschubs Algund, die sich talseitig dieser Verebnung, geometrisch annähernd trapezförmig ausgebildet, bis zum Talgrund erstreckt und mit abnehmender Seehöhe stetig bis zum Fußbereich verbreitert. Die interne Morphologie dieses Sackungskörpers ist kleinteilig gegliedert, unruhig und geprägt von hangparallelen Rinnen und Tälchen sowie Terrassen, Geländerücken und abflusslosen Senken. Die Festgesteinsaufschlüsse sind intensiv geklüftet und die Klüfte wurden häufig durch die Kriechbewegungen klaffend geöffnet. Verstellungen des Gefüges sind häufig zu beobachten. Auffällig sind weiter die Häufigkeit von Sturzablagerungen und Ausbruchsnischen großflächiger Translationsrutschungen im Fels – sekundäre Phänomene, die durch tiefgründige Massenbewegungen und die damit einhergehende Auflockerung des Gebirgsverbands begünstigt werden. Die im Gelände auskartierbaren primären Bewegungsanzeiger der tiefgründigen Massenbewegung im Bereich des Talzuschubs Algund sind Nackentäler und große Bergzerreißungsgräben, Sackungen und Zugrisse. Abb. 6: Kartensymbole für Nackentälchen / Bergzerreißungsstrukturen allgemein; rosa: vermutet, rot: gesichert. Abb. 7: Kartensymbole für Sackungen / Sackungskanten; rosa: vermutet, orange: gesichert, inaktiv, rot: gesichert, aktiv. Abb. 8: Kartensymbole für Zugrisse; orange: inaktiv, rot: aktiv. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 10 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 9: Bsp. Nackentälchen/Bergzerreißung, südöstlich der Taufenscharte, Gratbereich. Abb. 10: Bsp. Sackung, bergseitig Holzlagerplatz / Ende Forstweg „Kienegg-Töllwald“. Abb. 11: Bsp. Zugriss, aktiv, zwischen Hofstelle Oberplatzer und Leiteralm (Foto: Weiersmüller). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 11 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.1 Gliederung des Talzuschubs Algund Die bislang vorliegenden Untersuchungsergebnisse führen zur Schlussfolgerung, dass sich die tiefgründig bewegte Masse anhand der Konfiguration der Bewegungsstrukturen und –anzeiger sowie des geologischen Aufbaus in fünf bis sechs Teilschollen untergliedern lässt. Die vorläufige Einteilung bedarf noch weiterer Überlegungen und Forschungsergebnisse aus zukünftigen Projektphasen. Im wesentlichen gilt es abzuklären: • wie die Teilscholle 1 talseitig der Gampenkuhalm weiter zu untergliedern ist • ob die postulierte Teilscholle 4 tatsächlich als eigenständige Einheit des Talzuschubs angesehen werden muss • ob der Grabbach tatsächlich auf seiner gesamten Länge als östliche Begrenzung des Talzuschubs Algund angesehen werden darf oder ob – zumindest für Scholle 5 – eine kinetische Verbindung zu den ebenfalls tiefgründig bewegten Bereichen jenseits des Bachlaufes im Bereich Muthöfe / Tirol besteht Abb. 12: Abgrenzung Talzuschub Algund (rote Linie) und weitere Differenzierung in Teilschollen (Grenzen orange Linien, gestrichelt: fraglich) gemäß gegenwärtigem Kenntnisstand. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 12 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.2 Gründe für die Ausbildung des Talzuschubs Algund Zum gegenwärtigen Bearbeitungsstand des Projekts können folgende Umstände angegeben werden, die aller Wahrscheinlichkeit nach in Summe und Kombination zur Ausbildung des Talzuschubs geführt haben. Die Erosionstätigkeit im Zuge der quartären Vereisungen hat zur einer außerordentlich steilen Talflanke geführt. Bei einer durchschnittlichen Neigung von über 30° steigt der Hang vom Etschtal auf rund 400 müNN bis auf rund 2600 müNN im Gratbereich an. Die Flanke wird aus straff geschieferten Metamorphiten aufgebaut. Die prinzipiellen Metamorphosebedingungen und die Präsenz von eoalpinen Eklogiten im Gratbereich der Texelgruppe legt den Schluss einer enormen Hebungsrate für die lokalen Gesteine nahe. Die Schieferungsflächen fallen in der Regel entweder in südliche Richtungen ein („aus dem Hang“) oder sie sind zwischen nordwestlichen und nordöstlichen Richtungen „pendelnd“ flach gegen den Hang geneigt. Diese Raumlage der Schieferungsflächen und die anzunehmende Klüftung des Gebirgsverbandes im Zuge der raschen Heraushebung haben zur Folge, dass die im Zuge der glazialen Tätigkeit übersteilte Talflanke prädisponiert ist für gravitative Ausgleichsbewegungen. Die südfallenden Schieferungsflächen ermöglichen dabei ein großflächiges Abgleiten von Gesteinspaketen bei Überschreitung der Trennflächenfestigkeit, während die nordfallenden Schieferungsflächen ein großflächiges gravitatives Aufspreizen in Folge talwärts gerichteter Zugkräfte ermöglichen (vgl. Abb. 15 und Abb. 16). Die vorangelegte Klüftung ermöglicht horizontale und vertikale Verstellungen. All diese Bewegungen zusammen münden in einem phasenweisen Kriechen diskreter Gesteinspakete bis in erhebliche Tiefen unter GOK. Hinzu kommt die zuvor erläuterte Möglichkeit, die Kriechbewegungen durch Kluftwasserdruck auszulösen oder zu verstärken. Die geschilderten Faktoren wechseln sich in ihrer Relevanz für die Einzelbewegungen je nach Bewegungsphase ab und verstärken sich teilweise und temporär sogar selbst (Kluftwasserschub sowie voranschreitende Klüftung und Auflockerung im Zuge der Bewegungen). Abb. 13: Straff geschieferte Paragneise / Glimmerschiefer im Gratbereich, konstant südwärts gerichtetes Einfallen der Schieferung (in Richtung Etschtal). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 13 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 14: Gratbereich östlich Taufenscharte, intensiv geklüfteter, aufgelockerter Gebirgsverband mit kleinen Sackungen. Abb. 15: Südfallende Schieferungsflächen im Gratbereich, Kriechbewegung parallel Schieferungsflächen mit Öffnung vertikaler Klüfte durch Aufspreizung und Nachsackung im zentralen Teil. Abb. 16: Durch Kriechbewegung geöffnete, klaffende Klüfte in annähernd orthogonalem Kluftsystem, Fußbereich der Talflanke nordöstlich Hofstelle Saxner; Schieferung nordvergent „gegen den Hang“ mit Aufspreizung der Schieferungsflächen (gelbe Linie) durch talwärts gerichtete Bewegungen. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 14 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.3 Alter der Massenbewegung, Tiefenlage der Bewegungsflächen und Aktivität Zum gegenwärtigen Bearbeitungsstand des Projektes können zu diesen entscheidenden Punkten nur prinzipielle Aussagen getroffen werden. Im Zuge der Geländeaufnahme wurden Belege dafür gefunden, dass der Talzuschub Algund bereits vor der letzten Vereisungsphase (Würm-Eiszeit) aktiv gewesen ist. An zwei Lokalitäten trifft man auf groß angelegte Bergzerreißungsstrukturen die eindeutig glazial überprägt wurden. Dies sind die Grabenstrukturen im Bereich der Leiteralm und um die Hofstelle Kienegger. In beiden Fällen wurden die durch Aufspreizung entstandenen hängparallelen Gräben mit Tillen ausgekleidet und aufgefüllt. Der talseitige Geländerücken des Bergzerreißungsgrabens beim Kienegger-Hof weist zudem typische Rundhöcker und Gletscherschliffe auf. Damit kann bislang ein Mindestalter der tiefgründigen Massenbewegung mit prä-würmeiszeitlich angegeben werden. Erste Näherungen zur Bestimmung der Tiefenlagen von Haupt-Bewegungsflächen der Kriechbewegung erfolgen derzeit mit der Erstellung erster Profilschnitte. Das Hangprofil und die gestaffelte Abfolge hangparalleler, E-W-verlaufender Bergzerreißungsgräben und Nackentäler legt bislang den Schluss nahe, dass es sich um mehrere diskrete Bewegungsbahnen handeln muss, die teilweise im Bereich der oberirdisch sichtbaren Sackungsmasse wieder ausstreichen (konkave Krümmung) und teilweise auch bis unter das Niveau des heutigen Etschtalbodens reichen (Stauchungswälle im Etschtal können anhand des DGM vermutet werden). Bewegungsflächen die weit unter heutiges Talniveau reichen sprechen prinzipiell ebenfalls für einen weit zurückliegenden Beginn der Aktivität des Talzuschubs. Es muss davon ausgegangen werden, dass die initialen Kriechbewegungen stattfanden, als die quartäre Füllung des Etschtales noch eine deutlich geringere Mächtigkeit aufgewiesen hat. Bislang existieren im Bereich des Talzuschubs Algund, abgesehen von der Rötelspitze, keine Maßnahmen zur Datenerfassung im Hinblick auf Bewegungen. Indirekte Anzeichen für rezente Aktivität der tiefgründigen Massenbewegung wurden bislang nur ganz vereinzelt gefunden. Es muss daher bei gegenwärtigem Bearbeitungsstand davon ausgegangen werden, dass der überwiegende Teil des Talzuschubs Algund seit mehr als etwa 50 Jahren keine nennenswerte Aktivität mehr aufgewiesen hat. Über diesen Zeitraum ließen sich Bewegungsphasen über Gebäudeschäden, den Bewuchs oder menschliche Erinnerung ermitteln. Dies liefert in der Regel für den Talzuschub Algund keine Bewegungshinweise. Anzeichen von rezenter Aktivität der Massenbewegung finden sich bislang in folgenden Bereichen: • Gratregion, Rötelspitze: fortschreitende Öffnung einer Felsspalte, von der APB erfasst und überwacht • talseitig Leiteralm in südwestlicher Richtung bis Oberplatzer: gespannte Wurzeln und Vegetationsschäden im Bereich von Sackungen und Zugrissen mit erheblicher Erstreckung, Schäden und Schrägstellung des Wohngebäudes Oberplatzer, gemäß Auskunft der Bewohner seit Beginn der 90er Jahre • untergeordnet: südlich und westlich Gampenkuhalm, gespannte Wurzeln in Zugspalten, Vegetationsschäden Damit muss gegenwärtig davon ausgegangen werden, dass der Talzuschub Algund in der Regel eine aktuell latente, „schlafende“ und örtlich auch blockierte Kriechmasse darstellt, die unter bestimmten Voraussetzungen (Auslösemechanismen) reaktiviert werden kann. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 15 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.4 Bewegungszentren Anhand der durchgeführten Untersuchungen konnten bislang vier Bewegungszentren bzw. „Brennpunkte“ im Bereich des Talzuschubs Algund identifiziert werden. Dies sind • das Gebiet um Vellau (Scholle 5) • das Gebiet um die Leiteralm (Grenze zw. Scholle 1 und 3) • das Gebiet zwischen Kienegger (Südwestrand Scholle 3), den Forstwegen „KieneggTöllwald“ und „Töllwald“ (Zentrum bis Nordrand Scholle 2) sowie der Hofstelle Oberplatzer (westl. Zentrum Scholle 3) und • das Gebiet um die Gampenkuhalm (Scholle 1 bzw. Grenze 1a/1b) 10.4.1 Vellau Die kleine Ortschaft Vellau liegt im Zentrum des Talzuschubs und stellt damit potentiell einen Raum mit hohem spezifischen Risiko dar. In diesem Bereich existieren ausgeprägte Bewegungsstrukturen mit großer Erstreckung bzw. Öffnungsweite und Tiefe. Aufgrund der Mächtigen Lockergesteinsauflage im Bereich Vellau und talseitig der Ortschaft, muss angenommen werden, dass weitere Zeugen intensiver tiefgründiger Hangbewegung überdeckt wurden und heute nicht mehr sichtbar sind. Abb. 17: Kartierte Bewegungsstrukturen um Vellau, Legende der wesentlichen Strukturen s. Abb. 6-Abb. 8. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 16 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 18: Vellau, gesehen vom Kienegger-Hof , mit markantem Nackental bergseitig der Häuser. Die Struktur zieht weiter in die rechte untere Bildecke. Abb. 19: große abflusslose Senke am nordwestlichen Ortsrand von Vellau im weiteren Verlauf der Bergzerreißungsstruktur aus Abb. 18. Das rote Haus im Hintergrund steht in der weiteren Fortsetzung des Nackentals. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 17 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 10.4.2 Leiteralm Eine der größten Bergzerreißungsstrukturen mit Öffnungsweiten bis über 80 m existiert unmittelbar südwestlich der Leiteralm. Im talseitigen Bereich der teilweise mit Tillen gefüllten Grabenstruktur beobachtet man Anzeiger schwach aktiver Bewegungen. Die begleitenden Bewegungsstrukturen – vor allem die tiefen Zugspalten – erreichen beträchtliche Ausmaße. Abb. 20: Kartierte Bewegungsstrukturen im Bereich Leiteralm, Legende d. wesentl. Strukturen s. Abb. 6-Abb. 8. Gebäude Leiteralm am ob. rechten Bildrand. Abb. 21: Markante, weite Talung südwestlich der Leiteralm – eine der am weitesten geöffneten Bergzerreißungsstrukturen im Projektgebiet, gefüllt mit quartären Tillen. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 18 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 22: Ausgelegter Kern einer Handbohrung in der Talung aus Abb. 21. Die Lockersedimente sind verdichtet, diamikt mit sandig-schluffiger Matrix und damit als Till anzusprechen. Abb. 23: Detailfoto des erbohrten Tills aus Abb. 22. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 19 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 24: Zugriss westlich der Leiteralm. Abb. 25: Zugriss mit beginnender Sackung westlich der Leiteralm. 10.4.3 Gebiet zwischen Kienegger, den Forstwegen „Kienegg-Töllwald“ und „Töllwald“ sowie der Hofstelle Oberplatzer Bergseitig des Holzlagerplatzes am Ende des neuen Forstweges „Kienegg-Töllwald“ sowie östlich und nordöstlich der Hofstelle Oberplatzer beobachtet man die meisten Anzeichen aktiver Bewegung. Die Hofstelle selbst wurde bereits beeinträchtigt. Im Bereich des Forstweges „Töllwald“ beobachtet man die (im Bereich dieser Massenbewegung) dichteste Drängung weit geöffneter, tiefer Nackentäler und Bergzerreißungsgräben. Die Kriechbewegungen vollzogen sich hier sowohl in westlicher Richtung zum tief eingeschnittenen Töllgraben, als auch südgerichtet zum Etschtal hin. Daher treten in diesem Bereich auch große abflusslose Senken auf, die auf die spreizenden Kriechbewegungen und damit verbundene Nachsackungen zurückzuführen sind. Die Bewegungsstrukturen in diesem Raum sind so groß, dass sie in der Regel eine kartierungsbasierte Bewertung der Aktivität unmöglich machen. Allerdings finden sich Zeugen rezenter Bewegung an den Kontakten zwischen jungen künstlichen Aufschüttungen (im Zuge des Forstwegbaus) und den talseitigen Geländerücken der großen Nackentäler, die der Forstweg durchquert. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 20 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 26: Kartierte Bewegungsstrukturen im Gebiet zwischen Kienegger (rechte untere Bildecke), den Forstwegen „Kienegg-Töllwald“ (untere blaue Linie) und „Töllwald“ (obere blaue Linie) sowie der Hofstelle Oberplatzer (mittl. rechter Bildrand), Legende d. wesentl. Strukturen s. Abb. 6-Abb. 8. Abb. 27: Ausgeprägte Bergzerreißungsstrukturen (Talungen und abflusslose Senke) im Bereich Forstweg „Töllwald“, 1490 müNN (Foto: Weiersmüller). Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 21 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 28: Hang zwischen Hofstelle Kienegger (Talseite) und Hofstelle Oberplatzer mit zahlreichen Bewegungsstrukturen (rote Pfeile), Blickrichtung Westen (Foto: Weiersmüller). Abb. 29: Zugriss bergseitig Hofstelle Oberplatzer. 10.4.4 Gampenkuhalm Talseitig der Gampenkuhalm befinden sich die höchstgelegenen Bewegungsstrukturen im Bereich des eigentlichen Sackungskörpers des Talzuschubs. Diese sind stellenweise sehr stark ausgeprägt und weisen große Erstreckungen auf. Das Gebiet zwischen Gampenkuhalm und Grat stellt den Abrissbereich des Talzuschubs dar, der ausgehend von dieser Zone weiter talwärts aufspreizt. Es handelt sich damit um eine Schlüsselstelle zum Verständnis des Gesamtverhaltens der tiefgründig bewegten Talflanke zwischen Etschtal und Gipfelgrat. Der Abrissbereich ist zwischen den Steilwänden und der Gampenkuhalm durch mächtige Lockergesteine teilweise wieder aufgefüllt worden. Diese Sedimente sind unter anderem in einem bemerkenswert großen (wohl gemischten) Schuttfächer abgelagert worden (noch nicht in digitalisierter Karte erfasst). Daneben treten vor allem Sturzablagerungen auf. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 22 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 30: Kartierte Bewegungsstrukturen im Bereich Gampenkuhalm, Legende der wesentlichen Strukturen siehe Abb. 6-Abb. 8. Abb. 31: Markante Verebnung der Gampenkuhalm am Fuß der Steilwände des Gipfelgrats mit annähernd hangparallelen Gräben (Bergzerreißungsstrukturen, gelbe Linien) am talseitigen Ende. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 23 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung Abb. 32: Ausgeprägte hangparallele Bergzerreißungsstrukturen mit großer Erstreckung östlich der Gampenkuhalm. Abb. 33: Paragneis / Glimmerschiefer an der Gampenkuhalm mit klaffenden Vertikalklüften, die durch die Kriechbewegungen geöffnet wurden; am unteren Bildrand erkennt man einen hangparallelen Graben im Vorfeld des Felsrückens. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 24 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 11 Zukünftige Projektphasen Die wesentlichen Aufgaben des zweiten Projektjahres lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Ermittlung von Gebirgsparametern durch Übertrag von Felsparametern nach der Methode von HOEK (GSI-System) • Modellierungen im Bereich der tiefgründigen Massenbewegung zur Bewertung von Bewegungsverhalten, Aktivität, Auslösemechanismen und Reaktivierbarkeit • Detailauswertung mit Abschätzung der Tiefenlage und Geometrie der Hauptbewegungsflächen des Talzuschubs Algund • Detailauswertung der gekoppelten sekundären Prozesse • Erstellung eines Gefahrenzonenplanes für das Gebiet zwischen Grat und Talboden • ggf. Konzeption, Planung und Installation von Monitoringsystemen und Vorschlag von Präventivmaßnahmen Abb. 34: Bsp. Prozesskopplung: durch tiefgründige Massenbewegung zerlegter, intensiv geklüfteter Fels mit vertikalen Großklüften an der Rötelspitze – signifikant erhöhte Felssturzgefahr. Abb. 35: Bsp. Prozesskopplung Sturz – rezenter Sturzblock am Forstweg „Kienegg-Töllwald“. Abb. 36: Bsp. Prozesskopplung Sturz – Steinschlag an der Verbindungsstraße VellauOberplatzer, März 2008. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 25 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 12 Schlussbemerkung Im ersten Bearbeitungsjahr des Projektes ist es gelungen, den geologisch Aufbau des Gebiets und die grundsätzlichen Gegebenheiten der tiefgründigen Massenbewegung „Talzuschub Algund“ zu erfassen und weitreichend zu klären. Im folgenden zweiten Projektjahr müssen nun auf Basis dieser Erkenntnisse jene Untersuchungen und Modellierungen durchgeführt werden, die ein detailliertes Verständnis der tiefgründigen Massenbewegung ermöglichen und letztlich in einer gesicherten und fundierten Bewertung der Situation im Zuge der Gefahrenzonenplanung münden. Im Zuge dieser Forschungen sollen rezente Aktivitätsbereiche erfasst und Reaktivierungsbedingungen der derzeit ruhenden Bereiche definiert werden. Es gilt in diesem Zusammenhang auch die komplexen Prozesskoppelungen mit sekundären lokal auftretenden Phänomenen vollständig zu erfassen und in die Gefahrenzonierung einfließen zu lassen. Auf Basis dieser weiteren Ergebnisse kann dann abschließend die Notwendigkeit von örtlichen Überwachungskonzepten bewertet werden und es können ggf. konkrete und zielgerichtete Maßnahmen im Rahmen des Projektes vorgeschlagen und eingeleitet werden. Gefahrenzone tiefgründige Massenbewegung Algund - Bericht über das erste Projektjahr 26 Autonome Provinz Bozen – Südtirol Abt. 11.6 Amt für Geologie und Baustoffprüfung 13 Literatur AUTONOME PROVINZ BOZEN - SÜDTIROL [ed.] (2004): Exkursionsführer Kurtatsch.- Im Rahmen der „Interpraevent“-Fachtagung vom 24. bis 28.05.2004 in Riva del Garda, Exkursion 3: „Das Risiko von Murgängen in der Städteplanung“, 24 S.; Bozen (Abt.30 – Wasserschutzbauten). BESTLE, K.-H. (2005): Geologie der Höhen westlich des Etschtales zwischen Kurtatsch und Fennberg mit der Erstellung eines Gefahrenzonenplanes für diesen Teil Südtirols.– unveröffentlichte Diplomkartierung und Diplomarbeit am Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der TU München, 1 geol. Kt. 1:10.000; München. COSTA, J.E. (1984): Physikal geomorphology of debris flows.– In: COSTA, J.E. & FLEISHER, P.J. [ed.]: Developments and applications of geomorphology; Berlin, Heidelberg, etc. (Springer), 268-317. COSTA, J.E. 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