Testversuch für Probevorlesung

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15. Richelsdorfer Gespräch, Mai 2012
Beginn der „speziellen“ Schmerztherapie
Multimodale Schmerztherapie
II. Weltkrieg, 1943
Monte-Cassino-Front, Italy
Prof. Dr. Michael Pfingsten
Schmerztagesklinik und –Ambulanz
im Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- u. Intensivmedizin
Universitätsmedizin Göttingen
(Psychologische) Schmerzverarbeitung
„Thus emotion can block pain; that is
common experience!“
Akuter Schmerz
vs. Chronischer Schmerz
Schmerzreiz
(z.B. Verletzung)
abhängig
von:Erleben,
Unser Denken,
unser
Modulation
durch:
a) unsere
direkten
situativen
Bedingungen
Ängste
und
unsere
Zentrale
Reizb) Kognitionen
(u.a.
Bewertungen)
Erfahrungen
Verarbeitung
c) habituellen
Merkmalen
beeinflussen
das ...
Schmerz-Erleben
???
Symptomatik der chronischen Schmerzkrankheit
• Auf somatischer Ebene
 Körperl. Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt
 Erhöhte psychophysische Reagibilität: nicht-spezifische,
organisch nicht erklärbare Beschwerden
 Diskrepanz zw. objektivem Befund u. subjektivem Befinden
Komplexe individuelle Interaktion aus
körperlichen
und
psychologischen Faktoren
 Depressivität und
Angst
• Auf psychischer Ebene (kognitive + emotionale Faktoren)
Das Schmerz-Erleben ist ein
multifaktorieller Prozess ...
... dabei KÖNNEN monomodale
Ansätze nicht wirksam sein!
 Ungünstige Kognitionen und Bewältigungsstrategien
 Somatisierung (im Zusammenhang mit Trauma/Konflikten)
• Auf (psycho-)sozialer Ebene (Verhaltensfaktoren)
 Häufige Inanspruchnahme des Gesundheitssystems
 Häufige AU-Zeiten
 Einschränkungen des Verhaltens-Spielraumes
Multimodale Therapie
1
FUNCTIONAL RESTORATION
„Multimodal“: Was ist das?
Tom Mayer & Robert Gatchel (JAMA 1986)
Pat., männlich, 53 Jahre mit LWS-Beschwerden
„Ab Aufnahmetag integrierte multimodale Schmerztherapie mit
Konzept-gesteuert
temporärer Immobilisation,
medikamentöser und balneophysikalischer
Therapie.Restoration,
Im Rahmenkognitiv-verhaltenstherap.)
der Schmerztherapie bekam
(Functional
der Pat. wiederholt intramuskuläre Analgetika / Antiphlogistika.
Alle ergänzenden Therapieformen,
wie Entspannungstraining,
Individualisiert
Elektrotherapie, Schlingentisch, Fangopackungen, Massagen
(orientiert
individuellen Status)
und dosierte Übungen
imam
Bewegungsbad
wurden von Hrn. B
gut toleriert und akzeptiert.
Evidenz-basiert
Leider konnte auch durch die intensive integrative und multi(wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit)
modale Behandlung
subjektiv keine Besserung der Beschwerden erreicht werden.“
Verlauf
Therapeutische
der Chronifizierung
Konsequenz ...

... zuIntensive
somatisch-funktionellen
körperliche Aktivierung
Defiziten

... Einschränkung
Verhaltenstherapeutische
der Leistungsfähigkeit
Methoden

... psycho-sozialen
Beeinträchtigungen
Ergo-/physiotherapeutische
Maßnahmen
Ziel: Schnelle
Reintegration in den
Dekonditionierungs-Syndrom
Arbeitsprozeß (in die Normalität)
Multimodale Behandlung nach FR-/FA-Konzept
im tagesklinischen Konzept der Univ.Klinik Göttingen
Merkmale:
Multimodale
Schmerztherapie
Medizin
- Interdisziplinär fachlich
gemeinsam getragen
- orientiert an Konzepten:
- Functional Restoration
- Graded Activity
- kogn.-verhaltenstherapeut.
- enge zeitliche, räumliche
und inhaltliche Vernetzung
- geschl. Gruppen (8)
- geschlossenes Team
- hohe Intensität (>100h)
- fortlaufende Abstimmung
während der Behandlung
Behandlungs-Inhalte eines multimodalen
Behandlungsprogramms für Schmerzpatienten
1. Unterricht (Edukation)
Vertrauensbildung, theor. Modell, Compliance
2. Intensive körperliche Aktivierung (KG + Sportler)
Gestuftes Ausdauer-, Koordinations- und
Muskelfunktionsverbesserungs-Training
3. Arbeitstraining („Work-Hardening“)
Verhaltensprävention (Verhältnisprävention)
4. Schmerz-Psychotherapie
Uhrzeit
Dauer
Behandlung
08.00 – 09.00
1 Std.
Ausdauer, Sport, Spiele
09.15 – 11.00
1½ Std.
Aufwärmen, Muskel-Funktionstraining,
Koordinationstraining
11.00 – 11.30
½ Std.
Pause
11.30 – 12.30
1 Std.
Gruppen-Psychotherapie
12:30 – 13:00
½ Std.
Entspannungstechniken
13:00 - 14:00
1 Std.
Mittagspause
14.00 – 15.00
1 Std.
Alltagsbewegungen / Work Hardening
15.00 – 15.30
½ Std.
Imagination/Körper-Wahrnehmung
ab 14:00
1,5 Std.
Einzeltherapie (Arzt / Psycho / Physio)
Inhalte multimodaler Schmerzbehandlung
1. Hoher körperlicher Anteil
Sport, Geräte-Training, Training von Alltags- u. Gebrauchsbewegungen, Physiotherapie (auch einzeln)
2. Hoher psychotherapeutischer Anteil
- Schmerzgruppe, weitgehend standardisiert
- Einzeltherapie
Verhaltenstherapeutische Prinzipien
- Gruppe („Schmerz-Bewältigung“)
- Einzeln (gemäß individueller Konfliktkonstellation))
2
Kognitiv-behavioraler Ansatz (Verhaltenstherapie)
Zielbereiche kogn.-verhaltenstherap. Schmerztherapie
Pfingsten & Kröner-Herwig 2011
z.B. Rachmann (2000)
Behaviorale Therapie:
Basiert auf den Lerntheorien (Konditionierung)
zur Verhaltensmodifikation
 Veränderung des (KH-)Verhaltens
(z.B. Aktivierung, Abbau v. Schon-/Vermeidungsverhalten)
Kognitive Therapie:
Bezieht sich auf Probleme, die durch inadäquate
Kognitionen zustande kommen
 Veränderung maladaptiver Kognitionen (Krank-
 Edukation, d.h. Erweiterung der subjektiven Schmerztheorie des
Patienten (Integration psychosozialer Aspekte) ( Information)
 Analyse schmerz- und stressfördernder Bedingungen
(auch indiv. Verhaltensmuster und Identifikation maladapt. Kognitionen)
 Stärkung der eigenen Ressourcen im Umgang mit dem Schmerz
(Optimierung eigener Schmerzbewältigungsfertigkeiten)
 Veränderung inadäquater Schmerzkommunikation und -Interaktion
 Erlernen v. Entspannung (Schmerz-/Stressbewältigungsverfahren)
 Optimierung des Aktivitätsniveaus (Balance v. Ruhe u. Aktivität)
Strategien Verhaltensmodifiktion (Verhaltenspläne, Umsetzungs-Strateg.)
 Abbau angstmotivierter Vermeidung und Aufbau von Aktivitäten
heitsmodellvorstellungen, Attributionen, Kontrollerleben)
 Einzeltherapie (individuelle psych. Belastungen)
Sport, Spiel, Bewegung Training d. Muskelfkt. „Work-Hardening“
Lernmechanismen
Angstabbau und
Verlernen der motorischen Hemmung
Fear-Avoidance Modell
(J. Vlaeyen 1995)
Akutes Schmerzerleben
Überzeugung: Aktivität  Schmerz
Kognition
Angst vor Schmerz / Verletzung
Emotion
Inaktivität / Vermeidungsverhalten
Verhalten
Phänomen Chronifizierung:
• Körperliche Dekonditionierung
Defizite in Muskelkraft und –Ausdauer,
Koordinationsverluste, schnelle Ermüdung
• Psychische Beeinträchtigung
Rückzug, Beeinträchtigungs-Erleben,
Emotionale Beeinträchtigung
Graded activity
Konsequenzen für die Therapie:
Voraussetzungen
„Graded-Activity-Ansatz
• Schmerz u. Beeinträchtigung nicht nur durch die (muskuloskelettale) Pathologie beeinflusst, sondern auch durch
Emotionen, Überzeugungen, Einstellungen, psych.
Belastung u. das Krankheitsverhalten.
operantes Konditionierungsmodell (Ostelo et al., 2005):
• W. Fordyce: Schmerz im Verhaltens-Kontext
Verhalten, das „bestraft“ wird, findet seltener statt
• Schmerzverhalten hat wenig mit Nozizeption zu tun.
Gewünschte Verhaltensweisen (hier: körperliche Aktivität)
werden durch ein Training langsam und stetig gesteigert,
wobei u.a. Belohnungsprinzipien (sog. „Verstärkung“)
eingesetzt werden.
• Schmerzverhalten ist durch Lernen beinflussbar.
• Behandlung sollte Lern-Prinzipien berücksichtigen.
• In der VT vielfache und erprobte Methoden, um Verhalten
zu ändern.
Verhalten, das belohnt wird, findet häufiger statt
3
Graded Activity Programm:
Nutzung des operanten Ansatzes, um Schmerzverhalten zu
beeinflussen
Ausführliche Messung der körperl. Fkt.-Fähigkeit im Vorfeld
Für jede Übung werden individuelle Quoten gesetzt
(orientiert an FunktionsMessung, Training erolgt bei 75% der individuellen
Ausgangswerte, dann systematische Steigerung)
Training wird durchgeführt:
- nicht nach „exercise-to-tolerance“: Erholung/Pause nach Schmerz)
- sondern „exercise-to-quota“: Erholung/Pause nach Quote
 Die Übungen werden nicht wg. des
Auftretens von Schmerz oder zu
großer Anstrengung beendet, sondern bei Erreichung einer Quote.
 Auf Übungen, die per Quote geregelt sind, folgt was pos. (Erholung)
und nicht etwas neg. (Schmerz).
Fordyce Model
exercise to quota,
not to pain (1973)
Quoten werden gesetzt für: Häufigkeiten, Bew.-Ausschläge, Runden,
Gewichte, Wiederholungen, Ausdauerzeit, etc. bei jeder Übung
Physios geben positive Rückmeldung
(Verstärkung) bei Quoten-Erreichung.
Effekte quoten-basierten Trainings
Training bei chronischen Schmerzen:
Don´t focus on pain! Don´t let pain guide!
Tut´s schon
weh?
Fahrrad, km
Joggen, m
Fordyce (1973)
Trainingsdauer, Tage
Vorteile des quotierten Trainings
Sagen Sie
Bescheid, wenn der
Schmerz kommt!
Löschung der Verhaltens-steuernden
Funktion des Schmerzes
VT-Prinzipien moderner Therapie von RS
Dolce et al. (1986), Harding et al. (1998), Pfingsten (2004)
 Patienten konkurrieren nicht gegeneinander, sondern
arbeiten an ihrer Quote.
• Training
 nach „Graded Activity“-Konzept
 Schmerz und Beschwerden werden als real betrachtet,
aber sie dominieren und regulieren NICHT die Behandlung.
• Fokus
 Funktions- statt Schmerzorientierung
• Information
 umfangreiche Wissensvermittlung
 Jeder Patient kann irgendetwas tun (und ist es noch so
wenig).
• Therapeutenverhalten
 kompetent, zugewandt, transparent,
sicher, „Verstärkungs“-orientiert
• Transfer (Sicherung der Nachhaltigkeit)
 versch. Strategien, u.a. Rückfallprophylaxe, Realitätsnähe des Trainings
4
Functional Restoration
Umkehrung der Abläufe
Edukation: Botschaften (Bsp.)
1. Rückenschmerzen sind normal und in den meisten Fällen
(mehr als 95% aller Betroffenen) kein Hinweis auf eine
ernste Erkrankung !
SCHMERZ
2. Aktivität reduziert Schmerz !
FUNKTION
FUNKTION
SCHMERZ
Arbeitsfähigkeit
Prinzipien moderner Therapie von RS
Dolce et al. (1986), Harding et al. (1998), Pfingsten (2000)
Therapeutenverhalten
•
•
•
•
Anfangs sehr enge Führung, dann lockern
Sicherheit & Gelassenheit ausstrahlen
Aufmerksam Beobachten, positives Feedback
Operante Strategien:
„Bestrafung“ für Schmerzverhalten
„Belohnung“ für schmerz-inkompatibles
Verhalten
• Konsistenz und Kommunikation im Team
Work-Hardening
3. Die Heilung von Weichteil-Verletzungen (Muskeln, Bänder,
Sehnen, Bindegewebe) wird durch Bewegung
beschleunigt!
4. Beeinflussung des Schmerzerlebens durch kognitive,
emotionale und Verhaltensfaktoren !
Aber: keine Psychopathologisierung !!!
VT-Prinzipien moderner Therapie von RS
Dolce et al. (1986), Harding et al. (1998), Pfingsten (2004)
Transfer
Voraussetzung für den Transfer
(Übertragung in den Alltag)
und Verhaltensänderung
ist die
Realitätsnähe der Übung !
Prinzipien moderner Therapie von RS
Dolce et al. (1986), Harding et al. (1998), Pfingsten (2000)
Transfer
Weiterführung der (sportlichen) Aktivitäten
- „Was wollen Sie weiter machen?“
- Was empfehlen wir?
(vorherige Besprechung im Team)
- Sportberatung – konkrete Pläne
- Umsetzung erfolgreich?
5
Therapiebausteine multimodaler Behandlung
Ziel: Selbst-Management
Es geht um die Hinführung, Akzeptanz,
Verinnerlichung und zukünftige Umsetzung
des Konzeptes:
Eigenverantwortliches Handeln
für sich, seinen Körper
und seine (Rücken-)Schmerzen
Diese „Behandlung“ ist NIE beendet!!!
(Arnold, Hildebrandt, Nagel, Pfingsten 2010)
1. Medizin. Therapie (medikam. Behandlung, Diagnostik, Sicherheit)
2. Intensive Information und Schulung
(n. biopsychosoz. Krankheitsmodell, Bezug zur individuellen Problematik)
3. Konsequente Steigerung der körperlichen Aktivität
(mit Motivierungs- u. Beratungselementen für Alltagsaktivitäten, nach
Quotensetzung und orientiert an verhaltenstherapeutischen Prinzipien)
4. Verbesserung der Wahrnehmung von Körpersignalen
(zur Vermeidung von Überforderung und zum Aufbau von Vertrauen in
die eigene Leistungsfähigkeit, Belastungs-Balance)
5. Psychotherap. Behandlungsmaßnahmen
(Veränderung des Krankheitsverhaltens, Stärkung v. Ressourcen im
Umgang mit Schmerz/Beeinträchtigung, Erlernen v. Entspannungs- u.
Stressbewältigungs-Techniken, ggf. störungsorientierte Einzeltherapie)
6. Arbeits- u. Alltags-orientiertes Training („Work Hardening“)
(unter Einbezug ergo-therapeutischer Maßnahmen)
Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz
Multimodale Behandlung
Aufwändige Meta-Analyse (bis 2004)
22 Studien genügten den Kriterien
„Multidisciplinary programs that included
psychological interventions
were superior to other active treatment conditions
at improving work-related outcomes
at both short-term and long-term follow-up.“
• ... spätestens nach 6 Wo Schmerzdauer und bei positivem
Nachweis von psycho-soz. Risikofaktoren soll die Indikation zu einer multimodalen Therapie geprüft werden
 Empfehlungsgrad (A)
• … bei Fortbestehen der Beschwerden von >12 Wochen
soll generell die Indikation zur multimodalen Therapie
geprüft werden
 Empfehlungsgrad (A)
• … bei chronischen Rückenschmerzen besteht die
Indikation zur multimodalen Therapie
 Empfehlungsgrad (A)
Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien
für Nachfragen:
[email protected]
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