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Christian Dürnberger
Eine kurze Guideline für besseres Argumentieren in der Gentechnikdebatte
Die kurze Guideline entstammt der ethischen Begleitforschung im Rahmen des
Bayerischen Forschungsverbundes ForPlanta. Inhaltlich verantwor tlich zeichnet
Christian Dürnberg er, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für
Philosophie und am Institut TTN. Kommentare, Kritik und Erg änzung en erwünscht.
In hitzigen Debatten werden oftmals – ob gewollt oder ungewollt – Argumentationsfehler begangen.
Und zwar auf beiden Seiten. Dies gilt nicht nur für unmittelbare Streitgespräche wie
Gruppendiskussionen oder Podiumsdebatten; die Diagnose stimmt auch mit Blick auf schriftlich
fixierte Auseinandersetzungen, wie sie gegenwärtig vor allem webbasiert in Foren, Blogs und Social
Media stattfinden. Anschaulich wird dies an einer Kontroverse, die in Deutschland seit Jahrzehnten mit
großer Emotionalität geführt wird: die Debatte über die so genannte „Grüne Gentechnik“.
Insofern sich in der Ideengeschichte bestimmte Argumentationsfiguren als heikel bzw. unzulässig
erwiesen haben, liegt es nahe, spezifische Argumente, wie sie in der Gentechnikdebatte immer wieder
vorkommen, zusammenzutragen und sie kritisch zu prüfen. Ein derartiges Vorgehen kann im Idealfall
zu einer Erhöhung der Qualität der Diskussionskultur beitragen und erliegt der naiven Hoffnung, dass
– unabhängig davon, ob man nun mit seiner Position pro oder contra oder „dazwischen“ liegt –
besseres Argumentieren in der Gentechnikkontroverse möglich ist.
Literaturempfehlungen zu Beginn
Als zentrale Ausgangspunkte und Möglichkeiten der vertiefenden Lektüre sei zu Beginn auf zwei
Quellen verwiesen: Bleisch und Huppenbauer widmen in ihrem Buch „Ethische Entscheidungsfindung.
Ein Handbuch für die Praxis“ (Zürich, 2011) fehlerhaften Argumentationsfiguren in moralisch
relevanten Debatten ein lesenswertes Kapitel. Im Web kann der ratioblog.de als zentrale Anlaufstelle und
Sammelpunkt von rhetorischen Figuren genannt werden.
Über Rhetorik in ethischen Debatten
Ethik und Rhetorik – das klingt nach einem evidenten Zusammenhang wie auch nach einem
Widerspruch. Evident ist der Zusammenhang insofern, als ethische Auseinandersetzungen
notwendigerweise auf Wort und Argument zurückgreifen, um in einer moralischen Streitfrage zu
überzeugen. Ethik braucht die Rhetorik; und zwar nicht nur aus praktischen, sondern auch aus
theoretischen Gründen, die sichtbar machen, dass eine perspektivenlose Ethik „im luftleeren Raum“
kein uns zugänglicher Standpunkt ist.
Zugleich sperrt sich die Gegenüberstellung dieser Begriffe: Der Ethik geht es um das „Richtige“, das
„Unbedingte“; Rhetorik hingegen erinnert viele an „Manipulation“ und „sprachliche Tricks“. Ein
rhetorisch Begabter kann in eleganter Wortwahl und mit starken Metaphern jenen in Grund und Boden
reden, der aus moralphilosophischer Sicht vielleicht im Recht wäre.
Dieses Spannungsverhältnis schlägt sich in der Philosophiegeschichte wirkmächtig nieder: Schon
Aristoteles geht der Frage nach, ob im Streitgespräch jedes Mittel recht ist, um seine Position
durchzusetzen. Kant sieht die Rednerkunst denn als „gar keiner Achtung würdig“ (Kritik der
Guideline: Besseres Argumentieren in der Gentechnikdebatte
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Urteilskraft, Akademie-Ausgabe, Fußnote auf S 327) an, da sie die Schwächen der Zuhörerschaft
ausnütze.
Nicht überreden, sondern überzeugen
Wer gegenwärtig „Rhetorik“ nicht als Schmähbegriff verwendet, der steht in der Regel in loser
Tradition von Aristoteles: Dieser unterscheidet zwischen „Überredung“ und „Überzeugung“: Wer bloß
überredet, der setzt alle Mittel ein und zielt vor allem auf die Emotionen des Publikums ab. Wer
hingegen wahrhaft überzeugt, der wendet zwar den einen oder anderen rhetorischen Kniff an, im
Zentrum seiner Darlegung steht aber eine überzeugende Argumentation. (Vgl. Aristoteles, Rhetorik I 1)
Was ist ein „gutes“ Argument?
Ein „gutes“ Argument zu bestimmen, ist schwierig. Wir meinen damit in der Regel mehr als nur eine
Aussage über die formallogische Korrektheit eines Arguments. Ein gutes Argument sollte relevant für
den Kontext sein und auf empirisch belastbaren Daten basieren. Mit Blick auf die Gentechnikdebatte
sollte ein gutes Argument Studien auf seiner Seite haben, die der kritischen wissenschaftlichen Prüfung
stand gehalten haben. Darüber hinaus vermag ein gutes Argument im Idealfall auf – auch von der
Gegenseite – geteilte Prämissen zurückzugreifen. Leichter – und auch amüsanter – ist es jedoch,
fehlerhafte Argumentationstypen herauszuarbeiten.
Neun kritisch zu diskutierende Argumente in der Gentechnikdebatte
Die im Folgenden genannten Beispiele sind idealtypische Verdichtungen von Argumentationsweisen,
wie sie in der Gentechnikdebatte in steter Regelmäßigkeit vorkommen; sie können entsprechend als
exemplarisch verstanden werden. Die Exempel können dabei in einem adäquaten Kontext durchaus
gewinnbringende Aspekte in die Diskussion einbringen, als alleinstehende Argumente sind sie jedoch
kritisch zu diskutieren.
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5.1 Argumentum ad hominem
Bei der Argumentationsfigur „Ad hominem“, also „auf den Menschen gerichtet“, wird nicht der
Standpunkt zum Thema, sondern die Person, die diesen Standpunkt vertritt.
In beiden Beispielen wird auf Akteure fokussiert, die Argumente vorbringen – nicht jedoch auf deren
Argumente selbst. Das hierbei häufig zu vernehmende „Interessen-Argument“ ist insofern zu
problematisieren, als in der Regel alle Beteiligten an einer Diskussion Interessen aufweisen und das
Aufweisen von Interessen noch keinen ethischen Skandal per se bedeutet. Das Sichtbarmachen von
impliziten Interessen kann einen Gewinn an höherer Transparenz bedeuten, die Kritik an Akteuren
darf jedoch nicht mit Kritik an deren Argumentationen verwechselt werden.
5.2 Argumentum ad verecundiam
Das Gegenteil der erstgenannten Argumentationsfigur, dabei jedoch ebenso fehlerhaft, ist das
Argument „Ad verecundiam“, also das Argument „aus Ehrfurcht“. Hier wird der eigene Standpunkt
durch die Berufung auf eine Autorität bewiesen bzw. erhärtet.
Es ist an zahllosen Stellen in Debatten ohne Zweifel sinnvoll und notwendig, sich auf die Argumente,
Studien und Ergebnisse von Expertinnen und Experten zu berufen – der Hinweis auf eine Autorität
allein ist jedoch keine Garantie für die Wahrheit einer Position und stellt damit auch nur bedingt ein
triftiges Argument dar.1
5.3 Sein-Sollen-Fehlschluss
Der Sein-Sollen-Fehlschluss gehört zu den meist diskutierten Argumentationsfiguren der
Philosophiegeschichte. Im Folgenden soll eine simple, verständliche Form dieser rhetorischen Figur
dargelegt werden, die im Wesentlichen besagt: Eine ethische Forderung, wie etwas sein soll, lässt sich
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Nota bene: Die Positionen der Kirchen in Deutschland zum Thema Gentechnik lassen sich nicht derart pauschalisieren.
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nicht allein aus deskriptiven Beschreibungen gewinnen, wie etwas ist.
In beiden Beispielen wird aus einer Deskription eine unmittelbare Norm abgeleitet: Im ersten Fall dient
die Historie, im zweiten Fall die Natur als Ausgangspunkt der Deskription. Kritische Gegenstatements
hätten auf Folgendes hinzuweisen: Ad B1: Nur weil etwas immer schon gemacht wurde, ist daraus
nicht abzuleiten, dass man es weiterhin machen soll. Ad B2: Hier zeigt sich die oft zu diagnostizierende
Gleichsetzung von „natürlich“ und „gut“. Nicht zuletzt Mill hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass
„die Natur“ oder „das Natürliche“ in ihrer Widersprüchlichkeit nicht als moralisches Vorbild taugt.
(Vgl. Mill 1984) Mill wörtlich: „Fast alles, wofür die Menschen, wenn sie es sich gegenseitig antun,
gehängt oder ins Gefängnis geworfen werden, tut die Natur so gut wie alle Tage.“ (Mill 1984, 30)
(Darüber hinaus sei ergänzt: Die vorgebrachten Deskriptionen sind in der Regel höchst strittig.)
5.4 Das „Strohmann-Argument“
Beim so genannten „Strohmann-Argument“ stellt man die Gegenposition verzerrt und überzeichnet
dar, um den eigenen Standpunkt im besseren Licht erscheinen zu lassen.
In beiden Exempeln wird die Position der Gegenseite karikiert, um die eigene Argumentationsweise als
die reflektiertere und adäquatere darzustellen. Die kritische Rückfrage hat hier zu problematisieren,
inwieweit die dargestellte Position tatsächlich jemand vertritt bzw. in einem zweiten Schritt, inwieweit es
– plakativ gefasst – klug und angemessen ist, sich stets mit den „dümmsten“ Vertretern der Gegenseite
auseinanderzusetzen, oder ob es einer Diskussion – und auch der Schärfung der eigenen Position –
nicht eher hilft, sich mit den reflektierten und klugen Kommentatoren der Gegenseite
auseinanderzusetzen.
5.5 Das Dammbruch-Argument oder „Slippery Slope“
Beim so genannten „Dammbruch-Argument“ wird wie folgt argumentiert: Ein (relativ kleiner) erster
Schritt wird zu einer Kettenreaktion an ähnlichen Ereignissen führen. Am Ende werden wir uns in
einer moralisch nicht-akzeptablen Situation wiederfinden. Im Englischen wird dieses Argument
„Slippery Slope“ genannt, also rutschiger Abhang. Das Bild soll den Kern der Argumentationsfigur
kommunizieren, der besagt: Wenn wir nun diesen einen Schritt auf den Abhang setzen, gibt es kein
Halten mehr.
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Die Argumentationsfigur des „Slippery Slope“ bezieht seine rhetorische Kraft aus der Illustration einer
meist düsteren, dystopischen Zukunft, die mit einer Entscheidung in der Gegenwart in Zusammenhang
gebracht wird. Die Fragen lauten hierbei: Führt der erste Schritt tatsächlich notwendigerweise zur
skizzierten Endsituation? Welche Regulierungen sind denkbar, um das „Hinunterrutschen am Abhang“
nicht Realität werden zu lassen?
5.6 Das „Falsche Dilemma“
Bei der Argumentationsfigur des „Falschen Dilemmas“ wird suggeriert, es gäbe nur eine limitierte
Anzahl an möglichen Handlungsoptionen (oftmals nur zwei).
In beiden Fällen werden nur zwei Möglichkeiten präsentiert; die Entscheidung wird zu einem schlichten
„Entweder – oder“ pauschalisiert. (Insofern sich die Argumentationsfigur in der Regel auf zukünftige
Prozesse richtet, ist sie oftmals mit Dammbruch-Argumentationsweisen angereichert.) Bei derartigen
„Falschen Dilemmata“ bedarf es stets der kritischen Rückfrage nach weiteren Handlungsoptionen bzw.
nach Szenarien, die Graustufen jenseits der bloßen „Ja oder Nein?“-Fragestellung zulassen.
5.7 Argumentum ad populum
Bei der Argumentationsfigur „Ad populum” wird die eigene Position durch den Hinweis gestärkt, dass
eine Mehrheit der Beteiligten diesen Standpunkt teilen.
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Die Tatsache, dass eine Mehrheit einen Standpunkt vertritt, ist selbst noch keine Aussage über die
Qualität des Standpunktes. Zugleich gilt: Wenn die Debatte das Fahrwasser politischer Regulierung
erreicht, können Mehrheitsverhältnisse entscheidend werden. (So nimmt die gegenwärtige
Kennzeichnungspflicht beispielsweise darauf Rücksicht, dass ein Großteil der Bevölkerung die
Wahlmöglichkeit zwischen Produkten mit und ohne GVO haben möchte.)
5.8 Anekdote statt Argument
Eine beliebte rhetorische Figur ist der Rückgriff auf Erzählungen von Anekdoten und Beschreibungen
von Einzelfällen.
Derartige Anekdoten führen zu einer Fragestellung, die bereits Aristoteles beschäftigt hat, nämlich:
Inwieweit darf man in Debatten die Emotionen des Publikums ansprechen? Die Antwort des antiken
Philosophen scheint auch heute noch tauglich: Emotionen anzusprechen ist ein erlaubtes Mittel, jedoch
dürfen derartige Einzelfallbeschreibungen nicht mit Argumenten verwechselt werden. Sprich: Die
Diskussion darf sich nicht in einem Austausch solcher Anekdoten erschöpfen, allenfalls können
Anekdoten empirisch belastbares Material von durchgeführten Studien veranschaulichen.
5.9 „Galileo-Gambit“
Die Argumentationsfigur „Galileo-Gambit“ mag auf den ersten Blick amüsant klingen, sie taucht – in
weniger zugespitzter Form – jedoch durchaus häufig in Debatten auf. Die Figur weist folgendes Muster
auf: Person A stellt eine Behauptung auf, zu der die wissenschaftlichen Belege fehlen bzw. zu der die
derzeitigen Daten sogar in Widerspruch stehen. Entsprechend wird die Behauptung von Person B
widerlegt. Daraufhin kontert Person A:
Der wissenschaftliche Nachweis wird demnach in die Zukunft verschoben. Man inszeniert den eigenen
Standpunkt als den Standpunkt eines Missverstandenen, der seiner Zeit voraus ist. Die Ideengeschichte
mag einem dabei – wie im Falle von Galileo sogar langfristig Recht geben –; das Argument ist jedoch
kein adäquates für eine Debatte, die notwendigerweise in der Gegenwart stattfindet.
Die kurze Guideline (und ihre Diskussion fehlerhafter Argumentationstypen) soll als Instrument der
(Selbst)Überprüfung von Argumentationen in der Gentechnikdebatte dienen.
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