Deckblatt für Manuskript

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Volker Bernius
WISSENSWERT
Räume für Musik Zum 200. Geburtstag der Komponistin und Pianistin Fanny Hensel
Von Birgit Kiupel
Montag, 14.11.2005, 08.30 Uhr, hr2
Sprecher:
Sprecherin:
05-151
COPYRIGHT:
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1
Musik-Nr.
Zitat:
Gestern Sonntag 15. Sept. 1833 hatten wir Musik. Ich spielte Tripelconcert von Beethoven, dann
sang die Decker meine Szene “Hero und Leander”, dann spielte Felix wunderschön sein
Klavierconcert op. 25 und das Klavierkonzert BWV d-moll von Bach. Unendlich phantastisch und
eigenthümlich. Abends packte Felix , wir waren noch recht vergnügt. Heute früh um 1/2 6 fuhr er
weg. Er kam erst noch an mein Bett, dann stand ich auf, und im Augenblick des Wegfahrens kam
er noch vors Fenster. Aber die paar Tage haben mich doch wieder für lange Zeit erfrischt.
O-Ton-Nr.
Prof. Dr. Beatrix Borchard
Ich denke, es ist ziemlich wichtig, für welche konkreten Räume etwas geschrieben ist – dass die
Räume sozusagen mitklingen. Das beginnt bei der Größe und endet mit dem sozialen Gefüge,
für das diese Räume stehen. Das ist natürlich ein Unterschied, ob man Musik komponiert, die
man sich denkt für einen großen Konzertsaal – oder ob man Musik schreibt, die man gemeinsam
mit Freunden und Bekannten ausführt – als sogenannte Umgangsmusik.
Musik-Nr.
Fanny Hensel Gartenlieder: Seid gegrüßt!
O-Ton-Nr.
Prof. Dr. Beatrix Borchard
Wenn ich an den Garten denke, dann würde ich da nicht an Aufführungen Vorführungen sprechen
– sondern dass man sich trifft mit Freunden – die Leute
kriegen die frisch geschriebenen Noten in die Hand gedrückt und man probiert die Sachen aus –
bewegt sich dabei, man spricht – man rudert vielleicht noch im Kahn –die Spree runter –da gibt es
ein sehr schönes Zitat von Felix Mendelssohn, dass er spricht von der natürlichsten Musik, die
man sich überhaupt vorstellen kann .
Musik-hoch
O-Ton-Nr.
Prof. Dr. Beatrix Borchard
Natürlich ist das alles komponierte Musik, aber die Idee ist halt, das Musik als genuiner
emotionaler Ausdruck funktioniert – und als gleichberechtigte Kommunikationsform mit dem
Gespräch,
Sprecherin:
Beatrix Borchard, Professorin für Musikwissenschaft an der Hamburger Hochschule für Musik und
Theater beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Fanny Hensels Werk, zu dem auch Duette,
Terzette und Chorsätze gehören: zum “Singen im Freien.” Aus diesen Freiluftgesängen wählte
Fanny Hensel sechs Chorstücke aus, die sie 1847 als Gartenlieder op. 3 veröffentlichte. Robert
Schumann war so begeistert, dass er sie im selben Jahr als Dirigent der Dresdner Liedertafel
aufgeführt hat. Stolz vermerkt Fanny Hensel in ihrem Tagebuch:
Zitatorin:
Ich kann wohl nicht läugnen, dass die Freude an der Herausgabe meiner Musik auch meine gute
Stimmung erhöht, bis jetzt habe ich, unberufen keine unangenehmen Erfahrung damit gemacht –
und es ist sehr pikant, diese Art von Erfolg zuerst in einem Alter zu erleben ist, wo sie für Frauen,
wenn sie sie je gehabt, gewöhnlich zu Ende sind.”
2
O-Ton-Nr.
Prof. Dr. Beatrix Borchard
Dann gibt es die Gelegenheitswerke, die anlässlich von Familiengeburtstagen oder Jubiläen
geschrieben wurden – voller Anspielungen, die wir gar nicht mehr entschlüsseln können - auch
das gehört dazu- dass sich da die Räume, die Anlässe eingeschrieben haben..
Musik-Nr. Fanny Hensel Musik hoch
O-Ton-Nr.
Prof. Dr. Beatrix Borchard
Ich meine mit “Raum” auch Raum im übertragenen Sinne – also Raum, der
sich durch Bildung ergibt – also diese Familie hat einen unglaublichen Bildungshorizont gehabt –
dass ist wirklich unvorstellbar für heutige VerhältnisseUnd zwar in allen Bereichen – nicht nur musikalisch – das ist ein Raum, der natürlich auch durch
etwas anders, was auch Raum schafft – entsteht: natürlich durch ein bestimmtes Bewusstsein –
aber auch durch Geld - auch Geld schafft Raum für Bildung – für Musik – das wollte ich alles mit
diesem Raumbegriff ins Bewusstsein rücken.
Sprecherin:
Fanny Hensels Leben und musikalische Arbeit sind nur zu verstehen vor dem Hintergrund der
besonderen Bedeutung jüdischer Familien für das Berliner Kulturleben. Sie förderten und
organisierten Konzert-Veranstaltungen im privat-öffentlichen Raum. Dabei spielten Frauen eine
wichtige Rolle. So war Fanny Hensel auch geprägt von musikalischen und gebildeten Frauen wie
ihre Mutter Lea Mendelssohn, geb. Salomon, die sie und Bruder Felix unterrichtete. Die Großtante
Sara Levy trat als Cembalistin auf, war eine Schülerin von Wilhelm Friedemann Bach und
sammelte Handschriften von Johann Sebastian Bach. Fanny Hensel knüpfte an diese Traditionen
an mit ihren Sonntagsmusiken, die sie im Gartenhaus des elterlichen Anwesens in der Leipziger
Straße 3 veranstaltete - aber auch bei weiteren geselligen musikalischen Zusammenkünften –
allesamt Glanzlichter und Kreativzellen des bürgerlichen Musiklebens.
(Musik – beginnt unter Text: Fanny Hensel – Introduktion des Oratoriums)
Doch im Zuge der Herausbildung des öffentlichen, von männlichen Dirigenten und Komponisten
dominierten Musiklebens geriet diese spezifisch “weibliche” Tradition in Vergessenheit. Dabei
wurde gerade bei diesen “Hausmusiken” etlichen Werken alter und neuer Meister der Weg
gebahnt.
O-Ton-Nr.
Prof. Dr. Beatrix Borchard
Dann waren das ganz normale Konzerte – da gabs auch nix zu essen, höchstens hinterher- so
weit wir das wissen- es wirklich darum, Musik so gut wie möglich, so professionell wie möglich zu
Gehör zu bringen – vor geladenen Gästen ..
Und da war Fanny Hensel entweder als Interpretin aktiv oder sie hat dirigiert – der Vater hat ihr ab
und zu ein kleines Orchester organisiert bezahlt vom Königstädtischen Theater – d.h sie konnte
dann auch Orchestererfahrung machen - das waren natürlich die Sternstunden – das normale
waren Kammermusik Lieder etc, weil man die eben mit wenigen Leuten ausführen kann .. das
sind die Konzerte .
Sprecherin:
Es waren im wahrsten Wortsinne "Gesprächskonzerte", die Fanny Hensel
aufführte. Die
3
Programme waren nach heutigem Geschmack recht ungewöhnlich zusammengestellt:
beispielsweise mit Werken des damals keineswegs allseits geschätzten Ludwig van Beethoven,
des verehrten Johann Sebastian Bach, ihres Bruders Felix Mendelssohn und Kompositionen aus
eigener Feder. Hier kam auch die Musik miteinander ins Gespräch – ergaben sich Bezüge und
Verweise - für und mit Menschen, für die Musik und Musizieren eine Form der Kommunikation
war. Johann Sebastian Bachs Werke wurden schon lange in der Familie geschätzt, Neckerein
inbegriffen
Zitatorin:
An Mutters Geburttag hatten wir einen tollen Maskenspaß vor, den ich arrangiert hatte und worin
ich Sebastian Bach, Felix Friedrich II figurierte. Mein Sohn Sebastian war ein kleines
Bauernmädchen und zum Fressen niedlich.
Musik-Nr.
Sprecherin: Fanny Hensel: Das Jahr : Nachspiel-Choral
Bereits als Teenager, mit 13 Jahren, hatte Fanny ihrem Vater die 24 Präludien aus dem ersten
Teil des Wohltemperierten Claviers auswendig vorgespielt.
Zitatorin:
Winter 1837. Diese Morgenunterhaltungen erreichten dem Winter ihren größten Glanz, es ist
unglaublich, wie die Leute dazu drängten, und wie wir nur immer abzuwehren hatten, weil unsere
Räume beständig überfüllt waren. Oft hatten die Sängerinnen keinen Platz zum Sitzen, kaum zum
Stehen.
Sprecherin:
Das Gebäude steht zwar nicht mehr – aber die Sonntagsmusiken wurden kürzlich wieder zum
Leben erweckt – samt ihrer besonderen Atmosphäre.
O-Ton-Nr. Prof. Dr. Beatrix Borchard
Man kann ähnliche Räume benutzen, wir haben es in Berlin gemacht im Konzerthaus am
Gendarmenmarkt und zwar in dem kleinen Saal und das war schon ein verrückter Effekt – weil
das Orchester unglaublich eng gedrängt da saß und die haben auch erst fürchterlich gemurrt –
weil wir auch zwei Flügel brauchten weil es ein Doppelkonzert gab – es war unglaublich
eindrucksvoll, wie anders die Kommunikation auch zwischen den Musikern läuft und natürlich
auch mit dem Publikum – in dem Moment wo der Raum relativ beengt ist – entsteht einfach ne
andere Vorführ/Aufführsituation .. es ist was äußerliches es schlägt dann aber in eine ander
Qualität dann um ..
Sprecherin:
Fanny Hensel hat ebenso wie ihr rund 3 1/2 Jahre jüngerer Bruder Felix den besten Unterricht
erhalten. Musik war eine Art Nähr- und Bindemittel für die Geschwister
- sie tauschten sich
aus, berieten sich, Felix integrierte Ideen und Kompositionen Fannys in sein Werk. Denn nur Felix
sollte nach dem Willen des Vaters Musik zu seinem Beruf machen, öffentlich auftreten. Fanny
hingegen sei für den Beruf der Hausfrau und Mutter bestimmt – die Musik für sie nur “Zierde.”
Dies sorgte zeitlebens bei Fanny für Konflikte. Obwohl Musik ein Lebensmittelpunkt für sie war,
sperrten sich Vater und Bruder lange gegen die Veröffentlichung ihrer Werke. Bestärkt wurde
4
sie aber von ihrem Mann, dem preußischen Hofmaler Wilhelm Hensel – und vielen Freunden
und Bewunderern. Fanny Hensel hat zwar unentwegt komponiert- aber nur wenig selbst in Druck
gegeben. Deshalb müssen auch hier scheinbar so eindeutige Begriff wie "Werk", "Autorschaft"
auf den Prüfstand- denn rund 450 Stücke unterschiedlichster Gattung stehen den publizierten
gegenüber.
O-Ton-Nr. Prof. Dr. Beatrix Borchard
Die andere Seite ist – und die finde ich sehr, sehr interessant - dass vieles ist in einer
musikalischen Kommunikation entstanden ist - d.h. die Frage der Autorschaft ist sowieso immer
auch bei jemandem wie Felix Mendelssohn, Schumann oder Schubert – ne Konstruktion insofern
als alles ausgeblendet wird – nämlich die ganzen menschlichen Beziehungen, die mit einfließen in
die Formulierung eines Stücks.
Sprecherin:
Ein Beispiel für den Umgang mit Fanny Werk bietet der Klavierzyklus: “Das Jahr”, von dem es
einige Einspielungen gibt – nach differierenden handschriftlichen Fassungen von Fanny Hensel.
Denn die Originalhandschrift galt lange als verschollen – bis der Zufall eingriff:
Musik-Nr. Fanny Hensel: Das Jahr : November
Sprecherin:
1992, bei einem Empfang im Brahmshaus in Baden-Baden, kam Beatrix Borchard mit einem der
graumelierten Herren über Komponistinnen ins Gespräch - über die oft abenteuerliche Suche
nach ihren Werken, – wie etwa nach Fanny Hensels Klavierzyklus: “Das Jahr” – dessen Original
offensichtlich von der Familie zurückgehalten werde:
O-Ton-Nr.
Prof. Dr. Beatrix Borchard
Und dann sagt er: wie heißt das Stück? Und dann hab ich ganz hochoffiziell gesagt: “Das Jahr
-12 Charakterstücke für das forte piano” – und dann sagte er:’ ich glaub ich hab das’ - das war
so ein Moment, wo mir das Herz stehen geblieben ist.. bei ihm aber auch – da waren ganz viele
Leute in dem Raum - und es war als ob die ganze Welt versinken würde – er hat dann gesagt, er
hätte geerbt – und hätte sich mit seinen Schwestern zerstritten, die hätten dann miteinander
gelost, wer welche Stücke kriegt und er wäre total sauer gewesen – dass er nichts von Felix
geerbt habe ... sondern nur von Fanny und habe das dann in irgendeinen Tresor geschmissen –
und damit war die Sache erledigt für ihn..
Sprecherin:
Mittlerweile ist die Handschrift vom Mendelssohn-Archiv in der Staatsbibliothek Berlin angekauft
worden und im Faksimile erschienen. Und sie bot etliche Überraschungen und mehr als Noten –
denn jeder Monat des Jahres war auf einem andersfarbigen Papier geschrieben, eingeleitet
durch eine Zeichnung von Wilhelm Hensel und mit einem Gedicht kommentiert -
Musik hoch
Fanny Hensel starb während der Vorbereitungen zu einem Sonntagskonzert am 14. Mai 1847 –
im Alter von 41 Jahren.
Musik :
5
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Hr2
Sendung: 14.11.2005
Redaktion: Volker Bernius
Produktion: 2.11.2005 NDR
“Räume für Musik"
Zum 200. Geburtstag der Komponistin, Pianistin und Dirigentin Fanny Hensel
Eine Sendung von Birgit Kiupel
Mit:
Sprecherin: Birgit Kiupel
Zitatorin: Beate Kiupel
O-Ton:
Prof. Dr. Beatrix Borchard, Hochschule für Musik und Theater in Hamburg
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