http://mugi.hfmt-hamburg.de/FannyHenselRaeume Texte Sonntagsmusiken Tagebucheintrag von Fanny Hensel zur Sonntagsmusik vom 15. September 1833: Gestern hatten wir Musik. Ich spielte das Tripelconc. v. Beeth., dann sang die Decker meine Scene, dann spielte Felix wunderschön sein Concert und d-moll v. Bach. Unendlich phantastisch und eigenthümlich (zit. nach Klein, Hans-Günter: Das verborgene Band. Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Schwester Fanny Hensel. Ausstellung der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz zum 150. Todestag der beiden Geschwister. 15. Mai bis 12. Juli 1997. Katalog. Wiesbaden 1997. S. 190.), schrieb Fanny Hensel am Tag nach der Sonntagsmusik vom 15. September 1833 in ihr Tagebuch. Das Programm enthielt nicht nur die Uraufführung ihrer dramatischen Szene „Hero und Leander“, sondern auch Werke der drei Komponisten, die für ihre künstlerische Entwicklung die größte Bedeutung hatten. Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und Felix Mendelssohn Bartholdy waren bei den Matineekonzerten in ihrem Haus die am häufigsten vertretenen Komponisten. Welchen Ehrenplatz die drei in Fanny Hensels Leben einnahmen, zeigt sich auch darin, dass sie 1830 ihren Sohn nach ihnen benannt hatte: Sebastian Ludwig Felix. Tripelkonzert von Beethoven Berlin zählte zu den wichtigsten Orten der frühen Beethoven-Rezeption. An der Berliner Diskussion um Beethovens Musik nahmen Fanny und Felix in Worten und Werken lebhaft teil. Beethoven-Zitate finden sich nicht nur in ihren Streichquartetten. Der bedeutende Beethoven-Kenner Adolf Bernhard Marx bemerkte bei einem Vergleich zwischen Fannys und Felix' Klavierspiel, dass sie ihrem Bruder, wenn es um Beethovens Werke ging, „in Zartheit und sinnvoller Auffassung“ nicht selten den Rang ablief. Bei der Sonntagsmusik am 15. September 1833 übernahm sie den Klavierpart in Beethovens Tripelkonzert. Beethoven schrieb das Werk 1804, im Jahr vor Fanny Hensels Geburt. Ganz neu war damals die Gegenüberstellung von Klaviertrio und Orchester. Das betonte der Komponist gegenüber seinen Verlegern Breitkopf & Härtel. Trotzdem blieb der Erfolg aus. Die öffentliche Uraufführung fand erst vier Jahre später in Wien statt und wurde recht gelangweilt aufgenommen. Wir kennen keine Belege dafür, dass das Konzert für Violine, Violoncello, Klavier und Orchester C-Dur op.56 zu Beethovens Lebzeiten noch ein zweites Mal erklang. Als Fanny Hensel das Werk sechs Jahre nach Beethovens Tod auf das Programm ihrer Sonntagsmusik setzte, gehörte es keineswegs zu den Standardwerken des Musiklebens. Sie engagierte sich für eine Rarität, sie half mit, Beethovens Werke in der Öffentlichkeit durchzusetzen. meine Scene Fanny Hensel schrieb nach der Hochzeit mit Wilhelm Hensel und der Geburt ihres Sohnes in rascher Folge mehrere große Orchesterwerke, unter anderem das Stück „Hero und Leander“. Den Text zur dramatischen Szene „Hero und Leander“ für http://mugi.hfmt-hamburg.de/FannyHenselRaeume Singstimme und Orchester verfasste ihr Ehemann nach der gleichnamigen Ballade von Friedrich Schiller. Die Geschichte geht auf eine griechische Sage zurück: Jede Nacht entzündet die Priesterin Hero ein Positionslicht, damit ihr Geliebter Leander vom anderen Meeresufer zu ihr hinüberschwimmen kann. Eines Abends bläst ein Sturm die Fackel aus, die Liebenden finden nicht mehr zueinander und ertrinken. In opernhaftem Stil schildert die Komponistin lautmalerisch die dramatische Entwicklung bis zur Katastrophe. Differenziert fängt sie Natur- und Seelenstimmungen ein, stellenweise angeregt von Beethovens Pastoral-Sinfonie. Rezitative und Arien gehen attacca ineinander über. „Hero und Leander“ hat die 26-jährige Fanny Hensel als ihre letzte Komposition mit Orchester vom 4. bis 21. Januar 1832 geschrieben. Die Uraufführung bei der Sonntagsmusik gestaltete ihre Freundin, die renommierte Opernsängerin Pauline Decker. http://mugi.hfmt-hamburg.de/FannyHenselRaeume Hero & Leander Hero & Leander Still ruht das Meer und hat den ersten Farbenbogen vom fernen Blau bis zu des Ufers Gold als liebliche Verkündigung gezogen, daß er den Wünschen meiner Liebe hold. Wasserfrische, lebend Gluten, lustiger Delphinen Scherz. ach! Bringet bald, ihr hellen kühlen Fluten, mir den geliebten Freund ans treue Herz. Heißes Sehnen löst in Tränen, liebessel'gen Tränen mir den Blick. Bald in diesen Armen wird erwarmen meine Wonne, mein Glück. Nach kalten Fluten der Liebe Gluten, o kehre dann nimmer der Morgen zurück. Hinab ihr Sonnenrosse! Herauf stille Nacht. Willkommen dem Herzen, das liebend wacht, leih deinen Schleier gegen Verrat dem Wagenden auf dem gewohnten Pfad. O Dank, schon naht das Dunkel, der Fackel Gefunkel sei ihm, dem Teuren, ein leitender Stern. Aber wehe! Von fern hör' ich Donnerrollen, die Wogen grollen, bäumen herauf. Alle meergewohnten Vögel fliegen fern, nirgendmehr ein Vogel, es blinkt kein Stern, http://mugi.hfmt-hamburg.de/FannyHenselRaeume die Fackel erlischt, nur der Blitz zischt über die schäumende Fläche, und Wetterbäche stürzen in des Meeres Schoß. Weh mir! Alle Schrecken sind los, fassen mit tausend Armen nach meinem Haupte, ach! Daß ich glaubte der trügenden Flut. Dräuender rollt es rings um mich her. Schreckender grollt drunten im Meer . Weh! Weh! Alle Schrecken sind los. Götter, schützet meine Liebe. Erbarmen! Errettung! ihr Fluten, raubet mir ihn nicht! Himmel, dort naht es und kämpft, das ist er Leander! Leander! Leuchtet ihr Blitze! Weh! Er sinkt. Ich folge! Concert von Felix Ein schnell hingeworfenes Ding nannte Felix Mendelssohn Bartholdy sein Konzert für Klavier und Orchester Nr.1 g-moll op. 25 in einem seiner Briefe. Im Oktober 1831 spielte er die Uraufführung in München mit großem Erfolg. „Gestern ist denn nun mein Concert gewesen, und brillanter und vergnügter ausgefallen, als ich es erwartet hatte“, berichtet er selbst. Danach interpretierte er es immer wieder: in Paris, in London und bei einem Konzert, in dem er sich in Leipzig als neuer Gewandhauskapellmeister präsentierte. Natürlich stellte Fanny Hensel das Stück ihres Bruders, das in ganz Europa Furore gemacht hatte, den Gästen ihrer Sonntagsmusik vor. Die Gelegenheit war günstig: Für ein paar Tage war Felix zuhause in Berlin. Er kam aus London und spielte bei ihrer Matinee, bevor er nach Düsseldorf abreiste und seine erste Stelle antrat. d-moll von Bach Bach war für die Geschwister seit ihrer Kindheit ein Fixstern am musikalischen http://mugi.hfmt-hamburg.de/FannyHenselRaeume Horizont. Die Familie Mendelssohn hatte lebendigen Anteil an der besonderen Berliner Bach-Tradition. Mit dreizehn Jahren überraschte sie ihren Vater damit, dass sie ihm die 24 Präludien aus dem ersten Band des „Wohltemperierten Klaviers“ auswendig vorspielte. Fanny klebte ein Bach-Porträt in ihr Notenalbum, das sie bis 1829 führte. Fanny Hensels 1831 entstandene drei Kantatenwerke sind Zeugnisse der kompositorischen Bach-Rezeption. „Ich kenne keinen eindringlicheren Prediger als den alten Bach“ (Im Familienbrief vom 30. November – 25. Dezember 1834, zit. nach: Citron, Marcia J. (Hg.): The letters of Fanny Hensel to Felix Mendelssohn, [New York] 1987. S. 479.), schreibt Fanny 1834 in einem Brief an ihren Bruder. Bach gilt als „Erfinder“ des Klavierkonzerts. Als erster Komponist befreite er das Cembalo aus seiner Basso-Continuo-Rolle und vertraute ihm solistische Konzertpartien an. Er schuf damit ein Genre, das sich schnell verbreitete, hundert Jahre später - zur Zeit von Fanny Hensels Sonntagsmusik - längst im Musikleben etabliert war und bis heute anhaltend populär geblieben ist. Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel begann mit der Arbeit an der Klavierkonzertfassung, der Vater vollendete sie um 1738. Das Klavierkonzert in dieser Fassung gehörte zu den Standardwerken in Fanny Hensels Repertoire. Auf ihrer Italienreise versuchte sie, junge französische Komponisten (darunter Charles Gounod) mit diesem Konzert von Bachs Musik zu überzeugen. Auch Felix, der Interpret bei der Sonntagsmusik, spielte Bachs erstes Klavierkonzert besonders gern und oft. Organisatorin Am Anfang des 19. Jahrhunderts ist das öffentliche Musikleben in Berlin vergleichsweise dürftig. Es gibt zwar Orchester, aber ob Konzerte stattfinden, hängt vor allem von privater Initiative ab. Die Fülle von öffentlichen musikalischen Aufführungen, die wir heute kennen, gibt es damals nicht. So ist es üblich, dass sich wohlhabende Leute Musiker ins Haus einladen, um selbst Musik zu hören oder ihre Gäste zu unterhalten. Als die Familie Mendelssohn Bartholdy 1825 das Grundstück in der Leipziger Straße 3 kauft, finden sie dort im Gartenhaus den idealen Raum für ihre Sonntagsmusiken. Vom Vater eingerichtet um dem Sohn eine professionelle Startbasis zu bieten, nimmt auch die Tochter Fanny an diesen Hauskonzerten teil, als Chorsängerin, Korrepetitorin und als Solistin am Klavier. Nach dem Weggang ihres Bruders, ihrer Hochzeit mit Wilhelm Hensel und der Geburt ihres Sohnes Sebastian führt sie die Sonntagsmusiken in eigener Regie durch. Damit bieten sich ihr nicht nur neue Möglichkeiten, künstlerisch zu arbeiten, sondern unter ihrer Leitung werden die Sonnstagsmusiken ab 1833 groß angelegte Musikereignisse, zu denen häufig bis zu 200 Gäste geladen sind. Hier dirigiert Fanny Chöre und Orchester, führt zuweilen eigene Kompositionen auf und spielt selbst Klavier, wobei die Werke Felix Mendelssohns, Ludwig van Beethovens und Johann Sebastian Bachs zu den meist gespielten Werken gehören. Neben Kammermusikwerken werden Teile aus Opern, Oratorien und Kantaten aufgeführt. Die Sonntagsmusiken finden zwischen 11.00 Uhr und 14.00 Uhr statt und sind oft so stark frequentiert, dass der Gartensaal aus allen Nähten zu platzen scheint. Zu Gehör gebracht wird sowohl Instrumental- als auch Vokalmusik. Die Proben für die Sonntagsmusiken finden meist am Samstagabend statt und sind wegen der guten http://mugi.hfmt-hamburg.de/FannyHenselRaeume Musiker wenig zeitaufwändig. Viele berühmte Künstler dieser Zeit gestalten die Sonntagsmusiken mit. Es singen beispielsweise die Opernsängerin Pauline Decker und der Sänger Eduard Devrient. Eduard Rietz, Dirigent und Geiger, und natürlich Carl Friedrich Zelter wirken ebenso mit. Auch von außerhalb kommen namhafte Künstler und Künstlerinnen wie Pauline Viardot-Garcia, Clara Wieck und Robert Schumann oder Franz Liszt. Für Fanny Hensel, die nicht, wie ihr Bruder, mit ihrer Musik an die Öffentlichkeit gehen kann, sind die Sonntagsmusiken die geeignete Plattform, sich als Komponistin, Dirigentin und Pianistin verwirklichen zu können. Die Sonntagsmusiken spiegeln ihre absolute Hingabe an die Musik wieder. Pianistin Fanny Hensels pianistische Fähigkeiten lassen sich sehr gut belegen. So ist zum Beispiel bekannt, dass sie ihrem Vater bereits im Alter von 13 Jahren zu dessen Geburtstag die 24 Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach auswendig vorspielt. Bereits hier offenbart sich Fannys fantastisches musikalisches Gedächtnis und ihr Talent. Bei den Sonntagsmusiken im elterlichen Hause wirkt Fanny schon als Kind als Pianistin mit. Ein Teil der hier präsentierten Werke ist ihren Tagebüchern und Briefen zu entnehmen. Daraus lassen sich immer wieder Rückschlüsse ziehen auf ihre hervorragenden pianistischen Fähigkeiten und Repertoirekenntnisse. Auffällig ist jedoch, dass Fanny fast ausschließlich im privaten Kreis als Pianistin wirkt. Ihre öffentlichen Auftritte beschränken sich auf die Teilnahme an drei Wohltätigkeitskonzerten, wo sie jeweils Werke ihres Bruders spielt und nicht mit eigenen Kompositionen an die Öffentlichkeit tritt. Dirigentin In ihren Sonntagsmusiken kann Fanny Hensel auch ihre Fähigkeiten als Dirigentin beweisen, ein eigener Chor und ein ab und zu vom Vater extra engagiertes Orchester stehen bei diesen Matineen häufig unter ihrer Leitung. Die Bonner Komponistin Johanna Kinkel (1810-1858) formulierte es, nachdem sie Fanny Hensel als Dirigentin im Rahmen einer Sonntagsmusik erlebt hatte, so: Mehr als die größten Stimmen, die ich dort hörte, galt mir der Vortrag Fanny Hensels, und ganz besonders die Art, wie sie dirigierte. Es war ein Aufnehmen des Geistes der Komposition bis zur innersten Faser und das gewaltigste Ausströmen desselben in die Seelen der Sänger und Zuhörer. Ein Sforzando ihres kleinen Fingers fuhr uns wie ein elektrischer Schlag durch die Seele und riß uns ganz anders fort, als das hölzerne Klopfen eines Taktstocks auf ein Notenpult es tun kann. Zit. nach: Olivier, Antje: Mendelssohns Schwester - Fanny Hensel: Musikerin, Komponistin, Dirigentin. Düsseldorf 1997. S. 90. http://mugi.hfmt-hamburg.de/FannyHenselRaeume Wie ungewöhnlich und außergewöhnlich eine Frau am Dirigentenpult zu damaliger Zeit gewesen sein muss, kann man heute noch gut nachvollziehen. So sind in Deutschland zur Zeit nur vier bis sechs Prozent aller Dirigenten weiblich. In Österreich sind es sogar nur zwei Prozent. Eine seltene Erscheinung ist also auch heute noch eine Frau als Dirigentin von großen Orchestern, immer noch ist dies ein von Männern dominierter Beruf: Nur zwei Generalmusikdirektorinnen finden sich in den 76 deutschen Opernhäusern und nur eine einzige Frau dirigiert eines der Symphonieorchester, von insgesamt 34 (2002). Komponistin Wir begeben uns ins frühe 19. Jahrhundert, in die Zeit der Romantik, in eine Epoche des Natürlichen, des Wunderbaren und des Märchenhaften… Die gesellschaftlichen Bedingungen und die Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit tragen dazu bei, dass Fanny im Gegensatz zu ihrem Bruder Felix kaum Gelegenheiten hat, in der Öffentlichkeit künstlerisch tätig zu sein. Ihr Vater Abraham Mendelssohn weist sie bereits in jungen Jahren darauf hin, dass die Musik niemals ihr Beruf werden könne, sondern stets „Zierde“ bleiben müsse. Das Komponieren wird ihr zwar nicht verboten, aber ihre Werke entstehen ausschließlich für den privaten Bereich. Sie sind nicht für die Veröffentlichung bestimmt und werden nur im Rahmen der sogenannten Sonntagsmusiken aufgeführt. Dennoch hinterlässt Fanny zahlreiche Werke, darunter vor allem Klaviermusik (Lieder ohne Worte) sowie klavierbegleitete Sololieder. Felix ist von der Qualität der Werke seiner Schwester äußerst angetan. Und auch Diether de la Motte schreibt in seiner „Liebeserklärung für Fanny“: Nein, keine Blattspielmusik, die gibts ja genug bei Felix. Aber romantische Klaviermusik auf höchstem Niveau, und als persönliches Kennzeichen immer diese vibrierende Vitalität der großen Bögen, der harmonischen Weiträumigkeit. Motte, Diether de la: Liebeserklärung für Fanny (Fanny Hensel, geb. Mendelssohn, 1805-1847). In: Musica 41, 1987. S. 41.