Konquistadoren. Von Ann Tizia Leitich. Lieber Dick! Mich wunderts ja nicht, daß Du begierig bist, etwas Näheres und mehr als bloße Daten über den großen Oelskandal zu hören, und ich wollte, meine Feder wäre scharf genug, mein Blick weit genug und mein Pinsel so kühn, um in einem gewaltigen Orbis pictus Dir dieses Drama vor Augen zu führen. Entstanden aus dem mehr oder weniger leidenschaftlichen Gehechel zwischen den Parteien, an der Tagesordnung im Jahre der Präsidentenwahl, hat es sein ursprüngliches Ziel weit überflogen und ist wie eine Lawine angeschwollen, die unter sich begräbt, was da kreucht und fleucht: Existenzen, Karrieren, Reputationen, Ideale, Pretensionen; dem Bürger aber – sofern er nicht gedankenlos in den Tag hineinlebt, eingelullt von bequemen Oberflächlichkeiten – ist ein übler Geschmack auf der Zunge zurückgeblieben, den das Bewußtsein zu geben pflegt, daß er unter allen Umständen der Gelämmerte ist. Ueber das Trümmelfeld der öffentlichen Meinung schreitet wie ein [fünfter] apokalyptischer Reiter, Zügel verhängt und nachtdunkle Schatten werfend, die alles in sich hineinzwingen, in sich hineinbeugen: die riesengroße Macht Amerikas, die Macht, die Geld gibt. Während man in Washington vor Angst auf den Fußspitzen geht und keine Bewegung zu machen sich getraut, weil es am Ende als Korruption ausgelegt werden könnte, während es in den Regierungsdepartements kracht und splittert wie im Sturm, während die Oelstaaten – Texas, Wyoming, Oklahoma – das schlechteste Jahr ihrer Geschichte verzeichnen, schifft sich die „Macht“ Sinclair geruhsam für eine Kreuzfahrt auf ihrer Vergnügungsfahrt ein. – – Vor vierhundert Jahren war es das Gold Mittelamerikas, gleißendes, hartes Gold, das Menschen zu Hyänen machte, Cortez, Pizarro und ihre Gefährten und Nachahmer: Konquistadoren. Heute ist eine häßliche, dunkle Flüssigkeit: Oel, das flüssige Gold des zwanzigsten Jahrhunderts. Oel, das imstande scheint, beiden politischen Parteien (Republikaner und Demokraten) zu diktieren, hohe Beamte zu kaufen, Gesetze seinem Ermessen sich zu beugen und der Kritik den Mund zu stopfen. Die ganze Welt beherrscht von Oel, weil Oel Reichtum ist, und Reichtum Macht ist. Inmitten der Oede der Petroleumfelder im Staate Wyoming steht der berühmt gewordene „teapot rock“ (Teekannefelsen), 75 Fuß hoch. Der, durch dessen Hände das flüssige Gold rann, kannte dieses Wahrzeichen, ansonst, wer kümmerte sich darum? Da fiel es einem demokratischen Senator ein, ein bißchen Schmutz aufzurühren vor den Fenstern der republikanischen Partei, um in Anbetracht der Präsidentenwahl im Herbst der herrschenden Partei (Republikaner) einen Hieb zu versetzen und Glorie zu sammeln auf dem Haupt der Demokraten. Gelegenheit bot die Untersuchung der Petroleumfelderpachtungen für den United States-Marinedienst. Man kam auf die Spur einiger von geheimen und von schweren Bestechungen begleiteten Abkommen zwischen Mitgliedern der Regierung – oder deren Strohmännern – und den Oelkonquistadoren Sinclair und Doheny. Eine unangenehme Ueberraschung folgte der anderen, und während der Bohrer erst nur für einen kleinen und wohlberechneten Spritzer angesetzt gewesen, sprudelte es bald hervor in unaufhaltsamen Wellen, die schon mehr als einen mitgerissen: Albert Fall, Denby, den Marinesekretär (Sekretär entspricht unserem Minister) Daugherty, den Attorney General (Hauptstaatsanwalt). Der Korruption nun einmal auf der Spur, scharrte man tiefer und tiefer, die Zeitungen schwollen an mit seitenlangen Berichten und – nachdem das erste lohende Sprühfeuer der Empörung verraucht war und es nur in gewissen Schichten der Bevölkerung brenzelnd und beharrlich weiter glimmte – genoß die ganze Nation den großen „thrill“, die große Affäre; man wartete auf die täglichen Berichte, wie das Fabriksmädel wartet auf die Fortsetzung des Romans aus der Lebewelt im Abendblatt, so, als solche kopf- und gedankenlos ist; wenn sie hungert, wird sie zum reißenden Tier, aber erst dann, wenn der Hunger ihr ins Mark gefressen hat; gibt man ihr jedoch zu essen und den Frauen hübsche Kleider, damit sie etwas zu besprechen und zu beneiden haben, ist sie gläubig wie ein Kind, wenn auch nicht immer gefügig. Außerdem darf man nicht vergessen, daß der Amerikaner ein geborner Heroworshipper ist, ein Heldenverehrer, wobei das Wort „Held“ so wortwörtlich nicht genommen werden kann. Der Amerikaner betet Sukzeß an, Erfolg, Sukzeß, der handgreiflich ist, rauschend, in die Augen springend; deswegen verehrt er seine Baseball- und Fußballchampions und seine Kinokönige und -königinnen, und deswegen seine Krösusse. Al Jennings, der auch im Oeldrama eine Rolle spielt, war ein erfolgreicher Holdupman, er hielt Züge auf und beraubte sie. Mut, oft auch Spekulationstollheit, Witz, Schlagfertigkeit, schlaues und restloses Ausnutzen des Augenblicks imponiert, reißt hin, und ob es zum guten oder bösen Zweck, kommt erst in zweiter Linie in Betracht. Das alte Pionerblut, das drauf und dran durch dick und dünn mußte, regt sich da wohl noch im unwillkürlichen Anerkennen jener Eigenschaften, die einst den Brauchbarsten überleben ließen. Aus der Tiefe des aufgescharrten Schachtes aber steigt nicht nur triumphierend die Macht des Oels hervor, sondern auch Merkwürdigkeiten der Spezies Homo sapiens werden ans Licht befördert, die nicht allein den Politiker, vielmehr den Schürfer im Menschlichen desgleichen zu Studium und Betrachtung anziehen. Da ist das merkwürdige Freundespaar Daugherty und Jesse Smith. Der Schatten, Amanuensis, der immer bereite, immer mehr oder weniger blinde und bis in den Tod getreue Gefährte des Attorney General, Jesse Smith, schoß sich eine Kugel vor den Kopf, als seine Hilfsbereitschaft für die Pläne seines Freundes und Herrn ihn in solch gewundenen Gängen gestrandet hatte, daß er nicht mehr ein noch aus konnte, er wußte zu viel und er wußte zu wenig. Die Zeugenaussagen seiner geschiedenen Frau, Roxie Stinson, von deren Existenz niemand eine Ahnung gehabt, und die – obwohl seit Jahren von ihm geschieden – über all seine, respektive Daughertys Kreuz- und Querzüge durch Smith selbst unterrichtet gewesen ist, waren nicht immer heiter für Daugherty und setzten ein Denkmal der blind vertrauenden Freundschaft des Jesse Smith, dessen einfaches, eingeleisiges Gehirn den verwickelten Kombinationen der Politik und Profitgier nicht gewachsen war. Und dann der merkwürdigste der Konquistadoren selbst, Doheny. Der Mann mit den „klarsten blauen Augen und der größten Sanftmut. Ich hätte mich versucht gefühlt, von ihm den Kindern als Muster im Schulbuche zu erzählen.“ So meint sein ehemaliger Sekretär und Publicity Agent, der übrigens für seine Dienste die Kleinigkeit von 10.000 Dollar jährlich bekommen hatte. Allerdings konnte er’s nicht lange aushalten, denn Mr. Doheny litt, wie der Sekretär sich nachher ausdrückte, an „Napoleonischem Größenwahnsinn“. Mit Vierzig war Doheny „broke“, er hatte nicht mehr als zehn Cent, nach einem Leben, das auf und ab gegangen war, zwischen Prozessen und Revolverkämpfen, aus denen ihn sein sprichwörtliches Glück – welches wohl vor allem seine Kaltblütigkeit ist – immer heil irgendwo landen ließ. Auch Schulmeister war er eine Zeitlang gewesen, wie so viele Ratlose und auf die Suche nach Lebensunterhalt Getriebenen. Er war, wie gesagt, schon über Vierzig, da fand er den Stein der Weisen, plötzlich, zufällig, nicht wie Henry Ford, der auch bis zum selben Alter ein armer Mann gewesen war, aber sein ganzes Leben konsequent einem Studium und einem Ziele gewidmet hatte. Doheny sah einen Neger in Kalifornien einen Schubkarren mit einer dunklen, riechenden Masse fahren. „What is that?“ fragte er den Mann. „Pitch“ (Teer), grinste der. „Wo kommt das her?“ Der Neger beschrieb ihm die Stelle. Doheny verwendete fünf Cent seiner zehn Cent für eine Tramwayfahrt dort hinaus. Dreißig Fuß unter der Erde rauschte dort das Petroleum. Doheny stand an Beginn seiner Billionen und seiner Macht. Er wird heute als der drittreichste Mann Amerikas geschätzt, Ford und Rockefeller sind möglicherweise reicher als er – ganz genau läßt sich das nicht abstecken bei solchen ungeheuren Besitzungen in Land, Gebäuden, Brunnen, Fabriken, Maschinen, Eisenbahnen, MonsterPetroleumtanks usw. Er ist Herr über riesengroße Felder, über Städte und Dörfer im Osten Mexikos. Er ist es, der Tampico zum zweitgrößten Ausfuhrhafen dieses Kontinents gemacht hat. Er hat das Drittel einer Billion Dollar auf Landschaft und Straßenverbesserungen in Mexiko verwendet. Er ist heute ein alter Mann, und man bot ihm einst sechzig Millionen für seine Interessen an. Er schlug es aus. „Was will er mit noch mehr Geld? Wo will er hin?“ fragten die Leute. Geld an sich ist ihm nichts, nur die Macht, die es gibt, die berauscht ihn. Er ist einer von jenen Millionären, die märchenhaft freigebig sind. Er gibt, um sich zu baden, um sich wollüstig zu räkeln im Geriesel des goldenen Regens, den er um sich niedergehen läßt. Er leiht dem Präsidenten von Mexiko 25,000.000 Dollar, nicht weil ihm dieser Mann oder seine Sache besonders sympathisch ist, aber weil er die Situation genießt, einen Präsidenten zum Schuldner zu haben; er gibt einem Mitglied des Kabinetts 100,000 Dollar, der ihm dafür eine wertvolle Pachtung bringen soll; er gab den Iren reichlich und es machte ihm ein kompliziertes und erlesenes Vergnügen, auf diese Weise Krieg gegen ein Weltreich zu führen; im Kampfe der Parteien unterstützte er nicht nur die Republikaner, sondern auch die Demokraten; jetzt baut er eine katholische Kirche in Los Angeles, die gegen eine Million Dollar kosten wird. Eine Zeitung bringt einen gelungenen cartoon (Karikatur): Singende Männchen stehen auf einer öden Fläche – High public officials (hohe Beamte). Sie singen, vielmehr wäre es, dem Gesichtsausdruck zufolge angemessener, zu sagen, sie plärren: „dough-re-mi-fasol-la-si-dough“; „dough“ ist nämlich „Teig“, und von oben träufelt auch Teig auf sie herab aus einen harten, willensstarken Hand, Dohenys Hand. Und die armen singenden Männchen sind schon über und über mit Teig beschmiert, durch den nur mehr der plärrende Mund maskenhaft hervorschaut. Der Teig aber trägt das Dollarzeichen.