Text-Nummer: 0170 Schaltung am: 04.02.97 Rubrik(en): Forschung und Wissenschaft, PolitikUmfang des Textes in Zeichen: 1983 Verfasser(in): Wolfgang Merkel Originaltitel: Virus mit Lizenz zum Töten von Kaninchen Kürzel: wom Copyright: Wolfgang Merkel Wolfgang Merkel Virus mit Lizenz zum Töten von Wildkaninchen Virus könnte auch anderen Arten gefährlich werden / Kaninchen entwickeln Resistenzen Australische Farmer freuen sich über das Massensterben der Wildkaninchen. Das ist durchaus verständlich, schließlich sind die putzigen Tierchen mit den langen Löffeln und großen Kulleraugen eine Landplage und werden für den Kahlfraß bei Nutz- und Wildpflanzen verantwortlich gemacht. Begonnen hatte alles bereits 1788. Damals brachten neu ankommende Siedler einige Tiere nach Australien, und einige von ihnen entwichen schließlich aus den Ställen. Durch die gute Nahrungsgrundlage, das weitgehende Fehlen von natürlichen Feinden und die Anpassungsfähigkeit vermehrten sich die "Einwanderer" buchstäblich wie die Karnickel - sehr zum Verdruß der Schafund Rinderzüchter. Das Massensterben, das nun stattfindet, ist kein schicksalhafter Schlag der Natur gegen die Mümmelmänner: Zoologen eines offiziellen Institutes mit dem sinnigen Namen “Australisches Tiergesundheits-Labor” (Australian Animal Health Laboratory) züchteten ein Virus, das für die Tiere gleichermaßen anstekkend wie tödlich ist. Sein Name, RHD-Virus, steht für die Krankheit, die es auslöst: Rabbit Hemorrhagic Disease, eine fieberhafte, mit Blutungen einhergehende Infektionskrankheit bei Kaninchen. Sie rafft die Tiere innerhalb von ein bis drei Tagen durch Gelbsucht, Herz- und Lungenversagen dahin. Das Virus wurde 1984 in China entdeckt, seit 1986 ist es aber auch andernorts heimisch. "Auch in Westeuropa hat es unter Wildkaninchen schon RHD-Epidemien gegeben. Aber die RHD-Stämme hier sind weniger aggressiv", erläutert Dr. Kai Frölich vom Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Die australischen Wissenschaftler pickten sich jedoch einen besonders ansteckenden Stamm heraus und testeten ihn zunächst im Labor auf seine Wirksamkeit. Danach brachten sie ihn auf dem streng abgeschirmten Wardang Island vor der australischen Südküste ins Freilandlabor. Nach Plan sollte das Killervirus im Frühjahr 1997 ausgesetzt werden - vorausgesetzt, daß es andere Tierarten nicht befallen würde. Doch mit der Abschirmung klappte es nicht wie beabsichtigt. Im Oktober 1995 kam es zum “Outbreak”. Vermutlich huckepack auf Insekten wanderten die Viren aus, verbreiteten sich auf dem Festland und begannen höchst erfolgreich ihren Vernichtungsfeldzug. Einige Farmer unterstützten ihn nach Kräften. Sie sammelten erkrankte, aber noch lebende Tiere ein und transportierten sie in Gebiete, in denen die Epidemie noch nicht ausgebrochen war: Die kranken Kaninchen sollten ihre gesunden Artgenossen anstecken. Durch den Ausbruch des Virus kam das ‘Australian Animal Health Laboratory’ in Zugzwang. Um den Erfolg der Aktion mit einem konzentrierten Schlag zu sichern, entschieden sich die Tiermediziner und Virologen, das Virus schon im Herbst 1996 gezielt auszubringen. Ab Oktober verteilten sie die Organismen an 181 strategisch günstigen Orten im Süden des Kontinentes. Für Landwirtschaftsminister John Anderson ist das Unternehmen ein Erfolg: “Die Daten von zehn Beobachtungsstationen zeigen, daß die Kaninchen-Population innerhalb von sechs bis acht Wochen zu 80 bis 95 Prozent reduziert wird.” Das freut die Wolle und Fleisch produzierenden Farmer, für deren Schafe nun mehr zum Fressen übrigbleibt. Aber auch aus ökologischen Gründen sei der Anschlag mit der biologischen Waffe zu begrüßen, meint zumindest Anderson: “Ohne das intensive 1 Grasen der Wildkaninchen kommt es in Naturschutzgebieten zur Regeneration von wichtigen ganzjährigen Pflanzen.” So könne einem Artenverlust vorgebeugt werden. Ausserdem werde der Boden ohne den Kahlfraß an vielen Stellen vor Erosion bewahrt. Versuche im Coorong Nationalpark im Bundesstaat Südaustralien scheinen dies zu belegen. Der Viren-Feldzug gegen die fruchtbaren und hungrigen Kaninchen könnte den Kontinent tatsächlich in weiten Teilen wieder begrünen. In eingezäunten, kaninchenfreien Zonen sprießt üppiges Grün - von Gräsern über Buschwerk bis hin zu Bäumen. Pflanzen, die seit Jahrzehnten keine Chance zum Wachsen hatten, sprießen wieder. Jenseits des Zaunes dagegen: kahle Steppe. Von der Kaninchensicht einmal abgesehen ein voller Erfolg also? Die Freude über das Karnickelsterben wird nicht von allen Australiern geteilt. Naturschützer zweifeln, ob das Virus tatsächlich nicht auch einheimische Tierarten dahinraffen könnte. Zwar haben die staatlichen Labors 28 einheimische Wirbeltierarten auf ihre Anfälligkeit für RHD getestet. Diagnose: keine Gefährdung, weder für Tiere, noch für Menschen, versichern die Behörden. Aber ganz sicher scheinen sie sich nicht zu sein. Wie Bob Phelps von der australischen Umweltstiftung ACF dem ARD-Wissenschaftsmagazin 'Globus' sagte, haben die Behörden nach dem Ausbruch gleich drei neue Untersuchungen gestartet. Diese sollten sicherstellen, ob das Virus tatsächlich nur die Kaninchen infiziert. Auch hierzulande gibt es Wissenschaftler, die von dieser Art von "Schädlingsbekämpfung" nicht viel halten. "Solche Viren variieren ihr Erbgut. Sie können sich unter Umständen auch an andere Tierarten anpassen und bei diesen eine Krankheit auslösen", urteilt der Berliner Tierarzt und Biologe Frölich. Solche Bedenken hat auch der Virologe Alvin Smith von der Oregon State University in den USA - ein ausgewiesener Experte für das RHD-Virus. Er beschuldigt die australischen Behörden, den Erreger ausgesetzt zu haben, bevor man ihn richtig verstanden habe. In Interviews, Briefen an die Verantwortlichen, Pressemitteilungen und im Internet warnt Smith: “Die australische Regierung spielt mit Dynamit.” Die unerwünschten Nebenwirkungen für die einheimische Tierwelt wiegen um so schwerer, als unklar ist, wie lange der gewünschte Effekt gegen die “Einwanderer” überhaupt anhalten wird. Denn die Wildkaninchen entwickeln eine Immunität gegen das Virus, und bisweilen findet man auch Tiere mit angeborener Viren-Resistenz. Solche Kaninchen könnten sich dann ungehindert vermehren und durchsetzen. Bereits um 1950 hatte man so etwas in Australien beobachtet. Damals versuchte man, Karnickel mit dem Myxomatose-Virus zu bekämpfen. "Aber der tödliche Charakter des Virus ließ irgendwann nach und die Kaninchen haben sich daraufhin von der Dezimierung wieder erholt,” erläutert Kai Frölich. Der Wildtier-Experte sieht zwar die Vorteile für die Farmer und die Vegetation, "aber die Risiken überwiegen und in zehn Jahren steht man möglicherweise wieder vor demselben Problem." Mittlerweile ist das Virus mit der Lizenz zum Töten nicht mehr aufzuhalten. Sollte die Infektion tatsächlich auch andere Tiere befallen, so droht der einheimischen Fauna eine kaum abzuschätzende Gefahr. Und andere Kontinente liegen keineswegs so weit abseits wie es Landkarten glauben machen. Mit modernen Verkehrsmitteln könnte der ansteckende RHD-Stamm durchaus den Weg nach Asien und Europa finden und dort sein tödliches Werk fortsetzen. 2