Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione U be rt o Fo gli et a, D e P hil os op hi ae et Iu ris Ci vil is int er se co m pa ra tio ne Page 1 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Admi nistra tor 2010 /11/2 4 17:4 2 Inhaltsverzeichnis Zur Paginierung ............................................................................................................................................................................................................................ Zur Gliederung .............................................................................................................................................................................................................................. Page 2 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Vorwort und Widmung ................................................................................................................................................................................................................ Zur Rahmenhandlung ................................................................................................................................................................................................................. Sighicellus’ Kritik der Jurisprudenz aus humanistischer Perspektive: Sie ist ungelehrt und barbarisch. ....................................................... Foglietas Entgegnung ................................................................................................................................................................................................................ Die Rede des Sfondratus .......................................................................................................................................................................................................... Der Konflikt zwischen Philosophie und Recht ................................................................................................................................................................. Die Verteidigung der Philosophen ....................................................................................................................................................................................... Die Anmaßung der Philosophie ........................................................................................................................................................................................... Einwände gegen die Philosophie: (1) Die Ungewißheit philosophischen Wissens ............................................................................................ Von Stefan Heßbrüggen-Walter Zur Paginierung Paginierung korrupt: S. 16 vor S. 1, S. 17 folgt auf S. 8, Schmutzzettel steht vor S. 9, S. 46 trägt die Seitenzahl 49, S. 65 und S. 66 fehlen in der Paginierung (auf S. 64 folgt S. 67), S. 75 trägt (wie S. 73) die Seitenzahl 73 (unten numeriert als 73a), darauf folgt noch einmal S. 74 (unten numeriert als 74a). Zur Gliederung 1. 1. 1. 1. Vorwort und Widmung 1-5 Zur Rahmenhandlung 6 Sighicellus artikuliert die Kritik an der Jurisprudenz aus humanistischer Perspektive: Sie ist ungelehrt und barbarisch: 7- 10 Foglietas Entgegnung 11-18 a. Die Rede des Sfondratus: Der Anspruch der Philosophen auf Überlegenheit ist unbegründet. 19-90Der Konflikt zwischen Philosophie und Recht 19-26 b. Die Verteidigung der Philosophie 27-33 c. Die Anmaßung der Philosophie 33-40 i. Einwände gegen die Philosophie 40-88 (die folgende Gliederung bezieht sich grob auf Sfondratus’ eigene Zusammenfassung, 88)Philosophie führt nur zur Ungewißheit 40-50 ii. Handeln kann selbstzweckhaft sein. Die Verfügung über Wissen ist kein Privileg der Philosophie. 51-56 iii. Es gibt kein natürliches Streben nach Wissen. 56-61 iv. Die menschliche Seele zeichnet sich durch “Größe” ( celsitudo aus. v. Handeln ist der Kontemplation vorzuziehen. 71-78 vi. Der Nutzen der Klugheit 78-84 vii. Die vorgebliche Nützlichkeit der Philosophie und das Vergnügen an ihr 84-88 viii. Schluß 88-90 Vorwort und Widmung 1 Die Menschen haben sich immer mit dejenigen Kunstfertigkeiten und Lerninhalten befaßt, durch die sie zu Ehren und Würde gelangen können. Sie haben immer jene Disziplinen mit Verachtung gestraft, die nicht zu diesen oder zumindest ähnlichen Gütern (Dankbarkeit, Reichtum) verhelfen. Der Anlaß der Schrift ist die Tatsache, daß in einem Zeitalter, in dem einerseits viele Menschen im ius civile den Weg zu höchsten Ehren suchen, wohl weil das Recht auf die Mäßigung ( moderatio) des Menschen zielt, es dennoch immer noch einige gibt, die sich auf die Beschäftigung mit der Philosophie verlegen und glauben, hier Mühe, Arbeit und Fleiß aufwenden zu müssen. Es gibt sogar Menschen (Foglieta nennt sie nicht ungelehrte, jedoch ungerecht), die jenen Teil der Jugend, der das Recht studiert, von dieser Beschäftigung abbringen 2 und sie zur Befassung mit der Philosophie überreden wollen. Dabei verkennen sie, daß die Philosophie weder die Befähigung zur Verwaltung des Staats vermittelt und also auch nicht den Weg zu den damit verbundenen Ehren ebnet (bzw. der Weg zu einem solchen Amt für einen Philosophen erheblich beschwerlicher ist). Dem ius civile wird zum Vorwurf gemacht, daß es unmethodisch verfährt und keine sprachgewandten Autoren aufweist und es nicht dazu reizt, sich mit ihm zu befassen. Foglieta hält diesen Vorwurf für unberechtigt. Die Lektüre der Pandekten verdeutliche, daß es keine Disziplin gibt, die besser begründet, besser geordnet oder in der Darstellung zugänglicher und kunstvoller sei. Verfehlungen der Ausleger dieser Texte seien auch in anderen Disziplinen zu finden und sollten nicht ausschließlich der Jurisprudenz zur Last gelegt werden. Page 3 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Sofern eine solche Kritik von philosophischer Seite geäußert wird, ist sie schon deswegen unberechtigt, weil Philosophen sich gar nicht mit dem Recht beschäftigen. Diese Beschäftigung berechtigt aber doch zur Hoffnung auf Belohnung oder die mit der Führung des Gemeinwesens verbundenen Würden. 3 Philosophen sind vom leeren Glanz des Namens ihrer Disziplin geblendet und haben deswegen keinen Blick für die Früchte, die die Beschäftigung mit dem Recht tragen kann. Foglietas Ziel ist es, die Würde der Gesetze dadurch zu verteidigen, daß der Vorrang des ius civile gegenüber der Philosophie begründet wird. Zu diesem Zweck wendet er sich zunächst gegen einen naheliegenden Einwand, den er als bloßen Streit um Worte ansieht. Man kann sich nämlich auf den Standpunkt stellen, daß das ius civile als Teil der Philosophie anzusehen sei, weil die Philosophie mit der Erörterung aller göttlichen und menschlichen Gegenständen befaßt ist, also nicht nur mit der Erforschung natürlicher Ursachen, sondern auch mit Staatsangelegenheiten ( res civiles). Dazu stellt Foglieta erstens fest, daß er dem Rechtskundigen ( iurisconsultus) gerne zugesteht, ein Freund der Weisheit und damit im Sinne der Nominaldefinition von Philosophie ein Philosoph zu sein, denn der Rechtskundige gehört zu den ersten unter den Weisen. 4 Zweitens gilt, daß Rechtskundige sich gelegentlich selbst als Philosophen bezeichnen und von sich behaupten, die wahre Philosophie zu betreiben. Dies widerspricht jedoch drittens dem alltäglichen Sprachgebrauch ( communis quotidianis sermonis usus), der zwei Gattungen von Disziplinen unterscheidet, deren erste sich mit göttlichen und himmlischen Gegenständen und allen Ursachen der Natur befaßt, außerdem über die Sitten der Menschen, die richtige Einrichtung des Gemeinwesens und des Lebens streitet. Diese Gattung wird Philosophie genannt. Die zweite Gattung befaßt sich ausschließlich mit Fragen, die die Öffentlichkeit und Rechtsprechung, das Gerechte und das Ungerechte und die Auflösung rechtlicher Meinungsverschiedenheiten betreffen. Diese Gattung ist das ius civile. Für beide Disziplinen existieren unterschiedliche Bildungseinrichtungen ( gymnasia publica). Wer eine von beiden betreibt, ist in der anderen bloß Laie. Aus diesem Grund ist es tunlich, an der Unterscheidung von Recht und Philosophie festzuhalten. Auf diesem Hintergrund setzt sich Foglieta das Ziel zu zeigen, daß die kontemplativen Teile der Philosophie, nutzlos und leer ( futilis et inanis) und eines hervorragenden Mannes unwürdig sind und daß hinsichtlich jener Teile der Philosophie, die sich auf die Sitten und den Staat beziehen, die Bücher der Rechtskundigen sehr viel geeigneter sind, die in diesem Bereich auftauchenden Fragen zu lösen. 5 Die praktische Philosophie ist überdies nicht in der Lage, Ratschläge zu erteilen, die tatsächlich in der Praxis angewendet werden ( ad actionem transferri) können. Man mag die Jurisprudenz als Teil der Philosophie bezeichnen. Das ändert aber nichts an daran, daß, wenn Foglietas Argumentation erfolgreich ist, diese Disziplin der Philosophie im engeren Sinne vorzuziehen sein wird. An diese sachlichen Erwägungen schließt Foglieta seine Widmung an Kardinal Madruzzo (Madrutius) an. Zur Rahmenhandlung 6 Foglieta bettet seine Darstellung verschiedener Standpunkte hinsichtlich des Verhältnisses von Philosophie und ius civile in eine Rahmenhandlung ein. Während eines Festmahls kommen die folgenden Repräsentanten zu Wort: Moronus (= Giovanni Morone, Kardinal, geb. Mailand 1509, gest. Rom 1580) ist der Gastgeber. Sighicellus (= Giovanni Battista Sighicelli, Humanist aus Bologna, Bischof von Faenza ab 1562, gest. Bologna 1575), spricht für die Philosophie, in der er nach Foglieta weit fortgeschritten ist. Gallesius (= Antonio Massa, Jurist aus Gallese, geb. 1500, gest. 1568) gilt nach Foglieta als hervorragender Jurist, der zugleich mit großen schriftstellerischen Fähigkeiten gesegnet ist. Sein Anteil an der Auseinandersetzung im hier kommentierten ersten Buch ist allerdings zu vernachlässigen. Der größte Teil des Textes enthält eine Rede, die Sfondratus (= Francesco Sfondrati, Jurist, geb. Cremona 1493, gest. 1550 ebd., Professor des Rechts in Bologna, Pavia und Rom. legte nach dem Tod seiner Frau die geistlichen Gelübde ab, wurde Bischof von Sarno, Erzbischof von Amalfi und Kardinal) zu Beginn des Wintersemesters in Padua gehalten habe, um die Studierenden von der Richtigkeit ihrer Wahl zu überzeugen, sich auf die Rechte zu verlegen. Der Rede geht ein vom Gastgeber Moronus geleitetes Zwiegespräch zwischen Sighicellus und Foglieta vorher. Sighicellus’ Kritik der Jurisprudenz aus humanistischer Perspektive: Sie ist ungelehrt und barbarisch. 7 Äußerer Gesprächsanlaß ist zunächst die an den Gastgeber Moronus gerichtete Frage des Sighicellus, ob Foglieta – der die Begebenheit in der ersten Person erzählt – gut daran getan habe, alle edleren und kunstvolleren Beschäftigungen aufgegeben und sich dem ius civile zuzuwenden. Sighicellus führt als ersten Einwand gegen eine solche Entscheidung an, daß die wahre Mutter der Beredsamkeit, so die von ihm mit Horaz und Cicero belegte These, die Philosophie sei. Page 4 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione 1. 1. 1. 1. Foglietas Wendung zum Recht gefährde also seine Bildung, insofern diese mit Beredsamkeit (eloquentia) gleichzusetzen ist. 8 Weder die Gelehrsamkeit des Rechts ( eruditio) noch seine Würde ( dignitas) oder das aus ihm zu ziehende Vergnügen ( delectatio) können einen solchen Wechsel der Beschäftigung rechtfertigen. ad 1) Das Recht gefährdet die Bildung, weil es eine niedrig stehende ( sordidus) Disziplin ist. Sie sollte von einer lobenswerten und ruhmreichen Beschäftigung wie der Philosophie nicht ablenken können. ad 2) Die Gelehrsamkeit ist dafür ebenfalls kein hinreichender Grund: Es gibt keine unwissenderen und weniger gelehrten Männer als Rechtsgelehrte, die nicht über logisches Wissen bezüglich Definition und Schlußweisen ( dividendi aut ratiocinandi ars) verfügen, sondern vielmehr eine verworrene und barbarische Schreibweise bevorzugen. ad 3) Nicht die Würde der Gesetze selbst ist in Frage zu stellen, wohl aber die von dieser abzutrennende Würde der Wissenschaft, die sich mit diesen Gesetzen befaßt. Sie widmet sich nämlich ausschließlich den dunkelsten und geringsten Teilen dieser Gesetze, nämlich v. a. der Lehre von den Verträgen. Sie rede „de stipulationibus, de mutuis, de depositis, de haereditatibus, de possessionibus, denique caeteris rebus, quae ad privatas controversias pertinent“, nie aber über die Sitten der Menschen, die Tugenden, die Ruhe des Gemeinwesens, den Krieg, den Frieden oder andere gewichtige Gegenstände, mit denen Staaten befaßt sind. Keine dieser Fragen wird in der Lehre des Rechts berührt. 9 ad 4) Die große Menge unlesbarer Bücher, die die Rechtswissenschaft kennzeichnet, steht auch dem Gewinn von Freude bei der Beschäftigung mit ihr im Wege. Sighicellus resümiert, daß wohl niemand das ius civile der Philosophie vorziehen wird, wenn er vor die Wahl gestellt ist, sich mit einer der beiden Disziplinen zu befaßen. Auch wenn Sighicellus kaum glaubt, daß gegen seine Position vernünftige Einwände möglich sind, führt er als zusätzliche Autorität Cicero an, der häufig gegen die Rechtskundigen polemisiert habe. 10 Belege fänden sich beispielsweise in der Rede für L. Murena. Sighicellus schließt seine Ausführungen mit dem Appell an Foglieta, jene Mühe, die er bereits auf das ius civile verwendet hat, in künftigen Jahren der Philosophie zurückzuerstatten. Eine Rückkehr des Rechtskundigen zur Philosophie habe berühmte Vorbilder. Sighicellus nennt Ariost, Petrarca und Longeil (Longolius). Moronus merkt an, daß er nicht eher Sighicellus zustimmen wolle, als daß er von Foglieta den Grund seines Entschlusses, sich der Rechtswissenschaft zuzuwenden, erfahren habe. Foglietas Entgegnung 12 Foglieta eröffnet seine Darlegungen mit einer ausführlichen captatio benevolentiae, in der er u. a. darauf verweist, daß Gallesius ihn zu seinem Entschluß bewegt habe. 13 In der Zeit, die er mit dem Erwerb philosophischen Wissens zugebracht hat, ist ihm nicht deutlich geworden, mit welcher Notwendigkeit er auf diesem Weg fortschreiten sollte. Er hat nichts kennengelernt, was ihm den Eindruck hätte vermitteln können, daß in dieser Disziplin Großes zu erreichen ist. Er habe sich die Philosophie also nur oberflächlich ( summatim) angeeignet, weil in ihr nichts zu finden war, was sie als überlegen gegenüber der Jurisprudenz hätte auszeichnen können. Anderes gelte für die artes liberales, denn ein Rechtskundiger, der Rhetorik, Dialektik und Mathematik nicht kennt, könne kaum als ein solcher gelten. Foglieta wendet sich nun Sighicellus’ Vorwürfen gegenüber dem Recht zu. Zunächst widerspricht er Sighicellus’ Gleichsetzung von Philosophie und Beredsamkeit. Vielmehr hätten die Rechtskundigen im gesamten Weltkreis die Stelle der Redner (also derjenigen, die durch öffentliche Reden die Staatsgeschäfte lenken oder beeinflussen) eingenommen. Umgekehrt würden also gerade jene, die die Jugend vom Studium der Rechtswissenschaft abbringen wollen, sie dadurch auch der Beredsamkeit entfremden. Anders als Sighicellus meint, ist das Fach sehr wohl durch Gelehrsamkeit, Würde und Vergnügen gekennzeichnet. Die Gelehrsamkeit ( eruditio) des Rechts sei schon daran abzulesen, daß alles, was unter Menschen Gegenstand eines Streitfalls werden kann, in den Zuständigkeitsbereich des Rechts falle. Es gebe keine andere Angelegenheit ( res), die weiter gefaßt sei. 14 Weiterhin verweist Foglieta auf die oben vorgetragene Entgegnung, der Fehler schlechten Stils werde von Auslegern anderer Schriften in allen Disziplinen begangen und dürfe nicht allein dem Recht zur Last gelegt werden. Page 5 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Die Würde ( dignitasdes Rechts sei in der Fähigkeit zur Streitschlichtung zu suchen: Die wichtigsten und weitreichendsten Fragen des Gemeinwesens würden auf der Basis des Rechts entschieden. Die Freude (delectatio) dürfe beim Erwerb von Wissen keine Rolle spielen. Der mit diesem Erwerb verbundene Ruhm werde nicht durch die Befriedigung von Bedürfnissen (voluptas), sondern durch Arbeit (labor) erworben. 15 Foglieta zieht den Vergleich zum Militärwesen: Ein Befehlshaber werde nicht durch die voluptas angeleitet. Es sei bei weitem freudvoller und angenehmer ( iucundius et suavius) im Schatten und unter Rosen sowie in Gesellschaft junger Mädchen seine Tage mit Scherzen, Gastmählern und fröhlichen Gesängen zuzubringen, als unter der Sonne, im Staub mit dem Heer zu marschieren, die Schar (sc. der Soldaten) zusammenzuschließen, sich dem Gemetzel und der beständigen Gefahr für das eigene Leben auszusetzen. Die voluptas der Besten ( summi viri) wird durch ein Leben in Ehrlosigkeit und Schande jedoch nicht befriedigt. Für den Ruhm eines Unsterblichen nehmen sie Mühe, Schweiß und Gefahr auf sich. Wer große Dinge zustandebringen will, für den hat die Freude kein oder nur sehr geringes Gewicht. Inwiefern die Befassung mit philosophischen Fragen eine solche Freude einschließt, ist überdies ebenfalls fraglich. Die Erforschung der Entstehung von Blitzen, Wolken oder Winden – sofern diese überhaupt sicher erkennbar ist und nicht allein durch zweifelhafte Konjekturen gestützt werden kann – kann Foglieta nicht so sehr begeistern wie die Lösung einer herausragenden und höchst verwickelten Rechtsfrage durch den besten Grund, wie sie vom Rechtsgelehrten gelehrt werden kann. Schließlich widmet Foglieta sich dem letzten Aspekt von Sighicellus Darlegungen, der Kritik der Jurisprudenz durch Cicero. 16 Es habe in der römischen Kultur drei Kunstfertigkeiten gegeben, in denen die Römer hervorstachen: das Militärwesen, die Redekunst und die Jurisprudenz. Ein einzelner Mann konnte jedoch aufgrund der Endlichkeit des menschlichen Lebens und unserer Fähigkeiten nicht in mehreren dieser Kunstfertigkeiten andere übertrumpfen. Deswegen haben die Römer gut daran getan, sich jeweils nur auf eine dieser Disziplinen zu verlegen und die anderen lieber gar nicht als bloß unvollkommen zu erwerben. Dies habe allerdings nicht dazu geführt, daß man diejenigen, die einen anderen Weg gewählt haben, deswegen verachtet hätte. Cicero habe folglich alle seine Liebe der Beredsamkeit zugewendet, deswegen aber stehe nicht anzunehmen, daß er Jurisprudenz und Militärwesen verachtet habe. 17 Diese These wird durch ausführliche Cicero-Exegese belegt. 18 Sie mündet in die These, daß Cicero Philosophie lediglich als Zeitvertreib angesehen habe, während er der Befassung mit öffentlichen Angelegenheiten den Vorrang eingeräumt hat. Weiterhin sei anzunehmen, daß Cicero die Philosophie nicht um ihrer selbst willen, sondern deswegen gelobt habe, um durch ihr Lob den Ruhm der Beredsamkeit zu mehren. Die Rede des Sfondratus 19 Moronus unterbricht das Gespräch und erwähnt, daß Kardinal Franciscus Sfondratus ihm, weil er ihn über diesen Gegenstand öfter befragt habe, vor seiner Abreise aus Rom eine Rede überlassen habe, die er als junger Mann in Padua zum Beginn des Wintersemesters gehalten habe. In dieser Rede werde die Philosophie auf das heftigste beschimpft, während die Vorzüge des ius civile wortreich gelobt würden. Die Gesprächsrunde kommt überein, diese Rede gemeinsam zu studieren. Der Konflikt zwischen Philosophie und Recht 20 Sfondratus legt zunächst seine Motivation dar: Die jährliche Rede zur Eröffnung des Studienjahres sollte üblicherweise dem Lob der Jurisprudenz gewidmet sein. Er sieht sich jedoch gezwungen, einen anderen Weg einzuschlagen und von dieser Tradition abzuweichen. 21 Er müsse den Tadel und die bösen Worte anderer über das Fach zurückweisen und widerlegen, um zu zeigen, warum das Studium des Rechts allem anderem vorzuziehen ist. Hiervon verspricht er sich für die Zukunft der Jurisprudenz einigen Nutzen. Es sei nämlich gefährlich, wenn junge Menschen durch Betrug oder den Glanz des Namens, den die Philosophie hat, sich zur Philosophie bekehren ließen oder fortgeschrittene Studierende des Rechts in ihrem Bemühen nachließen, weil sie nicht glaubten, daß dieser Disziplin Würde zuzusprechen sei, weil das Recht sich nicht mit großen und wichtigen Gegenständen befasse und nicht zur Lenkung des Gemeinwesens geeignet sei. 22 Während – beispielsweise in Rom und Sparta – Philosophen durch Gesetze aus dem Gemeinwesen entfernt worden seien und umgekehrt die Blüte der Philosophen immer mit dem Verfall des Gemeinwesens einhergegangen sei, nimmt Sfondratus für die Philosophen seiner Zeit an, daß sie sich dann richtig behandelt fühlen, wenn umgekehrt Gesetze sie ‘in das Gemeinwesen weisen’ (also das Gemeinwesen durch Gesetze zur Annahme von Philosophen verpflichtet wird). Solchen Unverschämtheiten müsse ein Ende bereitet werden, zumal Philosophen inzwischen nicht nur bei ungebildeten Männern ( imperiti homines), sondern auch bei Führern bzw. Fürsten ( principes) Gastfreundschaft genössen und die Bewunderung für ihre Lehre einheimsten. Sfondratus beklagt die Verweigerung einer ernsthaften Auseinandersetzung seitens der Philosophen. Es gebe Page 6 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione keine andere Gattung von Menschen, die, wenn man mit ihnen über das Verhältnis von Philosophie und Recht disputiert, statt der Benutzung ihrer Vernunft lediglich immer das gleiche Lied parat haben, um den Streit auszufechten. Während die Rechtskundigen von ihnen beschimpft werden, machen sie sich selbst gleichsam zu Göttern ( se vero Deos prope faciunt), weil sie angeblich die gesamte Kraft der Natur, alle göttlichen und menschlichen Dinge in einer Wissenschaft zusammenfassen und behaupten, sogar zur Erkenntnis Gottes vorgedrungen zu sein. Sie hielten sich dauernd in den Himmeln auf, begriffen dort die Ursachen der Dinge und die Macht ihres hervorragenden Wissens ( studia praeclara) löse sie von der menschlichen Natur los und mache sie zu Teilhabern der göttlichen Natur ( participes Divinae ( sc. naturae)). 23 Sfondratus merkt ironisch an, daß die Schönheit himmlischer Dinge und der tägliche Umgang mit diesen den Philosophen dennoch nicht davon abhalte, sich auch um menschliche Angelegenheiten zu bekümmern. Da er sich seinen Mitmenschen durch einen Teil seines Wesens noch verbunden fühlt (denn er glaubt nicht, die menschliche Natur ganz abgestreift zu haben), unterbricht er für die angesichts ihres Unwissens Bedauernswerten die Kontemplation und steigt von den Himmeln herab, zerstreut die Schatten der Unwissenheit, beseitigt die Irrtümer, denen unser Leben in vielfacher Hinsicht unterliegt, zeigt den Weg zum gelingenden Leben ( vita beata), stellt uns in hellstem Licht das höchste Gut vor und nachdem er die Wilden einst zu menschenwürdigem Leben geführt und seine Mitmenschen, die wie umherirrende Schafe lebten, aus den Wäldern in die Städte gerufen hatte, gestaltete der Philosoph die Sitten und legte Gesetze fest. Insgesamt gilt, daß wir weder Jupiter noch den anderen Göttern ähnliche Wohltaten verdanken, wie sie uns der Philosoph erwiesen hat. Würden die Philosophen sich mit dem Eigenlob ihrer Disziplin zufrieden geben und auf die Beschimpfung der Rechtskundigen verzichten, könnte man dies schweigend erdulden, selbst wenn dieses Eigenlob nur auf zweifelhafte Mutmaßungen gegründet ist. 24 Sfondratus streicht demgegenüber die Verdienste der Rechtskundigen heraus. Sie führen das Gemeinwesen. Sie werden in die innersten Zirkel der höchsten Könige gerufen. Ihnen obliegt die Verwaltung von Provinzen und die Sorge für alle menschlichen Angelegenheiten. Sie dienen als Schiedsrichter, um alles, was von allen getan wird, zu entscheiden. Ihnen gebühren Macht, Ehre, Ämter, die Dankbarkeit der Führer bzw. Fürsten, ihnen ordnen sich selbst Priester unter. Ihre Arbeit und ihr Fleiß ermöglichen große Vorteile für alle Menschen. Ihnen wird Würde und Autorität in dem Maße, wie es von Menschen verliehen werden kann, zuerkannt. Trotz dieser Angelegenheit werden Rechtskundige von Philosophen durch Worte und Beredsamkeit besiegt. Es ist nach Sfondratus’ Ansicht insbesondere die Aufgabe der Italiener, das ius civile gegen üble Nachrede zu verteidigen, weil es in Rom und Italien entstanden, entwickelt, bestätigt und vervollkommnet worden ist. 25 Die Jurisprudenz ist in Rom entstanden, gewachsen und verfeinert worden. Keine andere Disziplin sei der römischen Weisheit und Ernsthaftigkeit angemessener. Während nämlich in Griechenland die einen Ideen erträumten, die anderen – was zu bemitleiden ist – neugierig die Prinzipien und Ursachen der Natur untersuchten, wieder andere andere unnütze Angelegenheiten betrieben, aber nichts zustandebrachten, was zum glücklichen Leben gehört, während auch einige in den Schulen Gemeinwesen erfanden, mit erlogenen Gesetzen und Einrichtungen, die auf keine Weise der Praxis (usus) der Menschen angepaßt werden konnten, verschwendeten die weisesten Männer ihre Zeit nicht mit solchen Nichtigkeiten, sondern richteten allen Fleiß, alle Mühe und alles Lernen auf jene Sache, die die Auflösung von Streitigkeiten, die Eintracht der Bürger, ihr friedliches Zusammenleben und das Heil des Gemeinwesens enthielt. 26 Alle wichtigen Rechtsgelehrten der jüngeren Zeit sind Italiener gewesen. Daraus leitet Sfondratus die patriotische Pflicht ab, weiter an der Vervollkommnung des Rechts zu arbeiten und gegen die Philosophen die Reihen zu schließen. Die Verteidigung der Philosophen 27 Dies wiederum nötigt dazu, die Grundlage der Überlegenheitsansprüche der Philosophie genauer zu verstehen. Diese Grundlage ist die Behauptung, der Philosoph würde göttliche Gegenstände und die wichtigsten Gegenstände der Natur betrachten können. Zu dieser Behauptung nehmen Philosophen Zuflucht, sie wird von ihnen am hartnäckigsten verteidigt. Jene Disziplin ist den Philosophen zufolge die ruhmreichste und hervorragendste, die sich mit den ruhmreichsten Gegenständen beschäftigt. Dies ist die Philosophie. Jede Disziplin mag dies für sich in Anspruch nehmen, aber die Philosophen sind diejenigen, die insgesamt und mit besonderer Radikalität diesen Anspruch aufstellen. Andere Kunstfertigkeiten beschäftigen sich jeweils mit einem Ausschnitt menschlicher Angelegenheiten (res humanae): der Redner befasst sich mit der öffentlichen Behandlung der Gründe des Handelns insgesamt, der Befehlshaber hält die Feinde von den Grenzen des Vaterlands fern, weitere untergeordnete Kunstfertigkeiten bieten den Gemeinwesen ebenfalls einen Teil der in ihnen erforderlichen Dienste an. Der Philosoph hingegen hat einen Geist, der nicht so gering und klein ist, daß er sich mit derart untergeordneten Dingen befassen würde. Ein Antrieb, der aus göttlichem Geist erwächst ( Divinae mentis impulsus), bzw. die Kraft einer für bei weiterem wichtigere Dinge erzeugten Erkenntnisgabe ( ingenii ad longe praeclariora nati vis) kann sicht nicht lange bei Page 7 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione derart niedrigen Gegenständen aufhalten und sich an sie verschwenden. Nachdem die Philosophen die Sorge um menschliche Angelegenheiten den übrigen überlassen haben, entfleuchen ( evolant) sie in die Erforschung des Himmels. Dort erkennen sie die gesamte Kraft der Natur, die Ursachen himmlischer Dinge, die wirkende Natur und erlangen Kenntnis des besten und größten Gottes ( Dei ipsius Optimi maximi notitiam). 28 Im gleichen Ausmaß, in dem himmlische Dinge den irdischen, die ewigen und unveränderlichen den im Fluß befindlichen und zufälligen, die göttlichen den menschlichen überlegen sind und Gott selbst den Menschen überragt, übertrifft die Philosophie und die Kontemplation himmlischer Gegenstände alle anderen Kunstfertigkeiten und Lehren. Überdies zwingen uns die Philosophen ihre Auffassungen über das höchste Gut und die Glückseligkeit ( beatitudo) des Menschen auf: Sie sei zweigetteilt und beide Teile unterschieden sich nicht nur der Gattung nach, sondern auch dem Grad und der Größe nach. Hervorragender, göttlicher und glücklicher sei man mit eher jener Glückseligkeit, die die Philosophen selbst aufweisen, als mit jeder anderen. Dies beruht auf der Annahme, daß es im Menschen zwei unterschiedliche intellektuale Kräfte gibt: Die Fähigkeit zur Kontemplation ist dabei die edlere, also gilt dies auch für den mit dieser Tätigkeit verfolgten Zweck. Dieser Zweck ist die Wissenscahft (scientia) göttlicher Gegenstände. Wird diese erworben, ist die daraus resultierende Glückseligkeit bei weitem edler, als jene Glückseligkeit, die durch die Betätigung des anderen Bestandteils unseres Intellekts, also durch das Handeln, erworben werden kann, deren Zweck im Erwerb bzw. der Ausübung ( usus) moralischer Tugenden besteht. Aus dieser These folgt, daß diejenigen den Göttern die liebsten ( charissimi) sein müßten, die sich ihnen am weitesten nähern und die Göttern am ähnlichsten werden, was in erster Linie auf die Philosophen zutrifft. Die beste Handlung (opus) Gottes selbst besteht darin, sich selbst zu verstehen, zu erkennen und zu betrachten ( contemplari). Diese Handlung ist sogar wichtiger als die Sorge um himmlische und menschliche Dinge oder deren Regelung ( administratio), Anleitung ( gubernatio) und Mäßigung ( moderatio). Wenn nun aber gilt, daß die fehlende Verehrung Gottes als Unfrömmigkeit (impietas) gilt, die Schädigung von Menschen, die den Göttern lieb und teuer sind, als Verbrechen, die Gleichsetzung mit Höherem als Dummheit und Überheblichkeit, ist die Sache der Philosophen so beschaffen, daß der Fromme sie nicht verachten, der Gute sie nicht schädigen, der Weise und Bescheidene sie auf jeden Fall verehren und seiner eigenen Betätigung vorziehen muß. 29 Weiterhin gilt, daß einige Dinge ihren Zweck in sich selbst tragen, andere wegen anderer Dinge erstrebt werden. Die ersteren sind wertvoller. Handlungen werden nämlich notwendigerweise um eines Zwecks (hier: res) willen ausgeführt, der außerhalb der Handlung liegt. Wissen über die Natur wird von uns jedoch erstrebt, damit wir wissen, also um seiner selbst willen. Das Wissen selbst ist sowohl Endpunkt (terminus) des Aktes wie auch Beschaffenheit ( modus) seines Trägers (also des Wissenden). Deswegen sollen wir nicht von Gelehrten lernen, sondern von der Natur selbst, uns nicht von Beweisführungen, sondern durch die Kraft der Natur selbst überzeugen lassen, nicht durch Disputationen forschen, sondern durch die Aufforderung der Natur sie selbst verstehen. Alle Menschen verfügen nämlich über die Begierde zu wissen und zu erkennen ( sciendi cognoscendique cupiditas). Nichts ist also so eigentümlich für die menschliche Natur wie das Wissen. Die Natur strebt immer zum Besten, insofern liegt auf der Hand, daß Wissenschaft die beste Sache ist. Hieraus erklärt sich auch der Vorrang des Gesichtsinnes vor allen anderen Sinnen. Kontemplation ist also deswegen so viel wert, weil durch sie der Mensch er selbst ist. Alle anderen Fähigkeiten haben wir mit den Tieren gemeinsam, während der Intellekt uns Menschen eigentümlich ist. Kontemplation ist jedoch Tätigkeit ausschließlich des Intellekts. In allen anderen Tätigkeiten des Menschen sind hingegen Fähigkeiten ausschlaggebend, die wir mit den Tieren gemeinsam haben. Auch Tiere suchen Futter, nähern sich dem, was ihnen hilft und lehnen ab, was ihnen schadet, achten auf ihr Wohlergehen, haben die Zukunft im Blick, rächen Unrecht, schmeicheln auch häufig den Menschen und bewirken alles, was zur Erhaltung ihres Zustands zuträglich ist. Man kann also nicht verneinen, daß sie handeln, auch wenn das menschliche Handeln in vielen Teilen vollkommener ist. Dennoch weist es Anteile tierischen Verhaltens auf ( aliqua ex parte bestiarum esse). 31 Der Abstand zwischen Kontemplation und Handlung entspricht also dem Abstand zwischen Mensch und Tier (und nicht nur, wie oben gezeigt, zwischen Gott und Mensch). Diese Argumentation erlaubt allerdings den Schluß, daß das Handeln nützlicher ist als die Kontemplation und die Wissenschaft. Nach Ansicht der Philosophen bemißt sich jedoch die Würde nicht nach der Nützlichkeit. Nützlichkeit trägt nicht nur zur Würde nichts bei, vielmehr behaupten Philosophen, daß die Nützlichkeit der Würde von Dingen abträglich sei. Der Begriff des Nützlichen enthält nämlich, daß nützlich nur ist, was wegen etwas anderem erstrebt wird. Dies gilt auch für Handlungen, während Wissenschaft und Kontemplation um ihrer selbst willen erstrebt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob nicht der Handwerker höher zu schätzen ist als Archimedes, weil er im Page 8 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Gegensatz zum Wissenschaftler mit vielfältigen Leistungen dem Gemeinwesen mehr nützt als jemand, der die herausragende Kraft seines Geistes dazu genutzt hat, ein Modell des Planetensystems ( sphaera, in qua varias coelestium orbium conversiones expressit) herzustellen. Wer nicht über entsprechende Fähigkeiten verfügt, dem mag es vorkommen, als ob Archimedes selbst in die Himmel aufgestiegen sei. Für entsprechend Begabte ist eine solche Leistung jedoch leicht und gewöhnlich. 32 Außer dem Wissen selbst ist von der Kontemplation und Wissenschaft göttlicher und himmlischer Gegenstände jedoch kein weiterer Ertrag zu erwarten. Wir würdigen vielmehr jene, die Gesetze, durch die Menschen angeleitet werden überliefert haben, Sitten, die zu einem gelingenden Leben führen, eingeführt haben, wenn nicht sogar eher jene, die, nachdem sie himmlisches Wissen erreicht haben, es auf die Erde hinunterführen und menschliche Angelegenheiten dem Maßstab der himmlischen Dinge entsprechend angeleitet und eingerichtet haben. Denn wir haben von anderen Männern mehr Bücher und Schriften eines hervorragenden Autors über Gesetze, Sitten und schließlich die Grundlegung eines gelingenden Lebens insgesamt als von Philosophen. Grund hierfür ist, daß, wie auch in der Kontemplation himmlischer Gegenstände man sich nicht auf einen Teil beschränkt, sondern das Ganze betrachtet, Philosophen auch in der Behandlung menschlicher Angelegenheit sich selbst treu bleiben und alles, was zum menschlichen Leben gehören mag, in ihren Disputationen und Lehren erfassen. Das menschliche Handeln wird zwar von anderen, die es dem Lob der Philosophen entziehen, gründlich erörtert, aber die Empfehlung der Philosophen gilt dennoch als die wichtigste. Sie drücken dies so aus, daß aus Quellen vielerlei Flüsse strömten. Dies führt dazu, daß in ihren Augen alle, die nur eine Kunstfertigkeit beherrschen, als Unwissende anzusehen sind: So gibt der Rechtskundige zwar Gesetze, der Redner lehrt Beredsamkeit, die Senatoren verwalten das Gemeinwesen, Befehlshaber sind kundig im Militärwesen, alle aber sind Schüler der Philosophen. Denn Philosophen nehmen es auf sich, ein Gemeinwesen als ganzes zu entwerfen und sich nicht mit der Ausarbeitung eines Teils begnügen. Deswegen sind jene, die einzelne Kunstfertigkeiten durch die Lehre der Philosophen erlernt haben, selbstverständlich zu Dank verpflichtet. Die Anmaßung der Philosophie 33 Philosophen wehren sich gegen solche Kritik, indem sie eine solche Furcht vor dem Himmlischen erzeugen, daß niemand wagt, diese irdischen Götter vom Himmel herabzuholen. In Wahrheit jedoch muß man staunen, warum Männer über der Beschäftigung mit solch kindischen Dingen ergraut sind – und dies gilt sowohl für vergangene Zeiten wie für die Gegenwart. Daß es sich bei der Philosophie tatsächlich um erträumte Gründe (somnia rationum) und um Phantastereien (deliramenta) handelt, soll in zwei Schritten gezeigt werden. Erstens soll der Vorrang der Kontemplation vor dem Handeln widerlegt werden. Zweitens soll gezeigt werden, daß die Leistungen der Philosophie hinsichtlich der Anleitung unseres Handelns nicht so lobenswert sind wie diejenigen anderer Disziplinen. 34 Der erste für den Vorrang der Kontemplation vorgetragene Grund besagt, daß sie sich jenen göttlichen Gegenständen widmet, die im Vergleich zu menschlichen Angelegenheiten des Handelns vorrangig sind (s. o., 27). Sfondratus wendet ein, daß nicht nur der Rang des Gegenstandes für die Beurteilung des Status einer Disziplin eine Rolle spielt, sondern auch die Art und Weise seiner Behandlung erwogen werden muß. Er erläutert dies am Beispiel des Vergleichs eines römischen Centurios oder Reiters mit Hannibal. Erstere würden dem Feldherrn der Karthager nicht vorgezogen, obwohl sie mit der Verwaltung eines hervorragenderen Gemeinwesens befaßt waren. 35 Genauso wenig würden diejenigen, die in verschiedenen Funktionen mit der Heilung des menschlichen Körpers befaßt sind, dem Rechtskundigen vorgezogen, der mit der Sicherung des menschlichen Schicksals betraut ist. Auch würden wir den Maler nicht dem Feldherrn vorziehen, auch wenn letzterer ausschließlich mit menschlichen Angelegenheiten betraut ist, während ersterer durchaus auch Götter zum Gegenstand seiner Tätigkeit macht. Schließlich könnte Sfondratus sich auch entschließen, ein Gedicht über würdigere Gegenstände als die Irrtümer des Odysseus oder die Ankunft des Aeneas in Italien zu verfassen, ohne daß er deswegen schon in den Rang eines Homer oder Vergil aufstiege. Deswegen sollen die Philosophen nicht nur zeigen, daß sie sich mit göttlichen Dingen befassen, sondern auch, was der Grund dieser Beschäftigung ist und wie dieser sich mit dem Handeln vergleichen läßt, ob also die Befassung der Philosophen mit göttlichen Gegenständen das gleiche erreicht, was Handlung und Klugheit in menschlichen Angelegenheiten bewirken. 36 Diese bewirken nämlich den Erlaß von Gesetzen, die Unterrichtung der Bürger in den besten Sitten, die Eintracht und Ruhe des Gemeinwesens, die Abhaltung von Feinden von den Grenzen des Vaterlands und schließlich die Vermittlung alles dessen, was zur guten und glücklichen Lebensführung befähigt. Die Beschäftigung der Philosophen kann im Bereich der göttlichen Gegenstände nicht das gleiche leisten: Sie beeinflußt nicht die Bewegungen der Himmelskörper, die ewig und unveränderlich sind und auf unfehlbaren und sicher geltenden Gesetzen beruhen. Sie besänftigt auch nicht die Mißhelligkeiten oder den Zorn der Götter, denen solche Verwirrungen fremd sind. Die unendliche Weisheit Gottes bedarf keines Ratschlags und sendet aus eigener Kraft allen Menschen den Geist guten Handelns. Auch wenn das Militärwesen im Gemeinwesen der hervorragendste Teil ist, wird deswegen nicht der einfache Soldat Führern des Gemeinwesens wie Quintus Mutius Scaevola oder Servus Sulpitius vorgezogen. Page 9 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione 37 Nur dann, wenn Philosophen in der Kontemplation dasselbe oder mehr zustandebringen wie der Befehlshaber oder der Jurist hinsichtlich des Handelns, dürfen sie in Anspruch nehmen, jenen hinsichtlich ihrer Würde gleich bzw. überlegen zu sein. Das heißt, daß die Philosophen die Himmelskörper und ihre Bewegungen müßten ‘herstellen’ ( fabricare) können. Sie müßten überdies in der Lage sein, diese gleichmäßigen Bewegungen anzuleiten und zu mäßigen ( regere et moderare) derart, daß ohne ihre Anleitung die himmlischen Bewegungen sofort in Unordnung geraten. Da dies nicht möglich ist, betragen sich Philosophen wie diejenigen, die, weil die Herrschaft von Königen die edelste ist, glauben, daß sie Juristen und militärischen Befehlshabern dadurch überlegen sind, 38 daß sie wissen, wieviele Untertanen und Provinzen von einem König regiert werden, wieviel Abgaben und Reichtum er besitzt, wie groß die von ihm befehligte Flotte ist und wieviele Soldaten er ernährt. Wer all dies erkannt hat, hat jedoch keine Berechtigung, sich aufgrund dieses Wissens demjenigen überlegen zu fühlen, der tatsächlich Soldaten befehligt. In Wahrheit ist derjenige einem solchen Befehlshaber überlegen, der Gesetze erläßt, Männern Ehren verleiht, Völker regiert, Beamte ernennt oder Steuern einfordert, weil er eine würdige Sache unter sich hat. Gegen die Philosophen ist zusätzlich in Rechnung zu stellen, daß sie die von ihnen versprochene Leistung gar nicht erbringen, weil sie lediglich mutmaßen und kein sicheres Wissen erlangen, wie Foglieta bald zeigen wird. Es ist also Hochmut ( arrogantia), sich denjenigen überlegen zu fühlen, die mit sehr viel Mühe und Gefahren sich um menschliche Angelegenheiten sorgen und sie lenken. Es ist Anmaßung ( temeritas) zu glauben, man habe als Philosoph teil an göttlicher Glückseligkeit und Ähnlichkeit mit Gott, weil auch Gott sich selbst versteht und deswegen glückselig ist. Foglieta hält diesen Anspruch für völlig abwegig, da die Philosophen den selbst gesteckten Erkenntniszielen gar nicht gerecht werden. 39 Die Anmaßung der Philosophen wird durch eine Parabel weiter verdeutlicht. Ein Einzelner hat ein Schiff gebaut und fordert alle anderen Mitglieder des Gemeinwesens, die durch ihr Tätigsein zu dessen Wohlergehen beitragen, auf, sich nicht länger mit niedrigen Pflichten zu plagen, sondern das glücklichste Leben, das den Menschen möglich ist, in kurzer Zeit zu erreichen. Alle werden ihre Pflichten aufgeben und diesem Versprechen folgen. Ihnen wird von einer Insel vorgeschwärmt, auf der alle Bedürfnisse des Menschen auf das vollkommenste erfüllt würden, keine Angst und Einsamkeit zu erwarten sind. Ein solches Schiff würde jeder besteigen. Wenn jedoch zu sehen ist, daß dieses Schiff unvollkommen gebaut ist, den Stürmen auf See nicht standhalten kann, daß schon viele Wahnsinnige zuvor dasselbe versucht haben, aber keiner von ihnen einen sicheren Kurs halten konnte und daß niemand je eine solche Insel selbst zu Gesicht bekommen hat 40 und daß jene, die einen solchen Versuch unternommen haben, im Sturm untergegangen oder durch andere Fehler vom Weg abgekommen sind, werden sie einen solchen Menschen lachend wegschicken. Einwände gegen die Philosophie: (1) Die Ungewißheit philosophischen Wissens Zunächst zum Argument aus der allgemeinen Vernunft. Foglieta geht aus von der Prämisse, daß es zwei Wege zur Erkenntnis des zuvor Unbekannten gibt: Erstens jenen Weg, durch den aus der Ursache die bewirkte Sache ( res effecta) deduziert wird. Dieser Beweisgrund ist unveränderlich ( stabilis) und verläßlich ( constans) und kann nicht bezweifelt werden. Zweitens jenen Weg, auf dem Ursachen aus Wirkungen erschloßen werden. Dieser Weg erfordert Nachforschen ( investigatio), ermöglicht aber nur die Ausbildung von Meinungen ( opinio) bzw. von Einstellungen, die der Wahrheit lediglich ähnlich sind, aber kein sicheres Wissen. Dieser zweite Weg ist es, der von den Philosophen beschritten werden muß, um zur Erkenntnis göttlicher Gegenstände ( notitia rerum divinarum) und der Erkenntnis der Natur ( cognitio naturae) zu gelangen. 41 Philosophen, die diesen zweiten Erkenntnisweg verteidigen, behaupten damit also dasjenige sicher zu erkennen, was von den eigenen Sinnen am entferntesten ist. Hinsichtlich dessen, was wir unter den Händen haben ( quae inter manus versantur) und die direkt unserer sinnlichen Wahrnehmung zugänglich sind ( quae sub aspectum et caeteros sensus cadunt) können Philosophen jedoch keinerlei Einigkeit erzielen ( nihil inter vos constet). Diese Fragen sind vielmehr Gegenstand ausführlicher Streitigkeiten. So behaupten einige Philosophen, das Sehen beruhe auf der Übertragung von Formen, die von den Dingen hervorgebracht werden und zu den Augen gelangen. Andere behaupten, daß vom Auge ausgehende Strahlen Bilder erzeugen, die von den Dingen ausgehen. Der Tastsinn soll nach der Meinung der Philosophen entweder im Herzen, in den Nerven oder an einer anderen Stelle des Körpers angesiedelt sein. Ob die Hohlvene ( vena cava) aus dem Herzen oder der Leber entspringt, hat durch die invasive Behandlung von hunderttausenden von menschlichen Körpern ( centenis millibus humanis corporibus incidendis) bislang nicht schlüssig geklärt werden können. Gleiches gilt für den Ursprung der Nerven entweder im Herzen oder im Gehirn, 42 die Quelle und den Ursprung des Lebens, die Beschaffenheit des Schlafes und aller weiteren Sinnesfähigkeiten des Menschen. Strittig ist weiterhin die Rolle der Frau in der Erzeugung des Nachwuchses, ob sie lediglich passive Empfängerin des männlichen Samens ist oder ob sie gemeinsam mit dem Mann an der Fortpflanzung beteiligt ist. Page 10 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Angesichts dieser Uneinigkeit ist schwer einzusehen, warum Erkenntnis derjenigen Gegenstände, die von unseren sinnlichen Fähigkeiten am weitesten entfernt sind, sicherer soll gelingen können als die Erkenntnis derjenigen Gegenstände, hinsichtlich derer wir über Erfahrungserkenntnis verfügen. Sfondratus referiert eine Verteidigung des Aristoteles, derzufolge es befriedigender sei, eine begehrte Frau zu betrachten und den Rand ihrer Kleider zu berühren, als mit einer anderen zu verkehren ( frui). 43 Dieser Verteidigung hält er entgegen, daß mit gleichem Recht die Liebe zu allen Dingen, die in den Bereich des Handelns fallen, verteidigt werden kann (vermutlich da ja niemandem vorzuschreiben ist, in wen er sich verliebt). In Wahrheit, so Sfondratus, muß diese Geschichte anders erzählt werden. Anzunehmen sind zwei Männer, von denen der eine in Liebe zu einer wunderschönen Frau entbrannt ist, diese umarmt und küsst, und jedes Verlangen erfüllt, das durch eine Frau befriedigt werden kann. Der andere ist in der Lage, diese Frau zu gewinnen, verschmäht sie jedoch und richtet seinen ganzen Geist allein auf das Denken an diese Frau und gerät so in jene Geistesverfassung, wie sie für Dichter kennzeichnend ist, die von Circe oder Calypso verführt worden sind. Diesem Tagtraum fügt er eine Insel hinzu, auf der immer Frühling herrscht, auf der Bauten aus Gold und Elfenbein errichtet worden sind, die alle nur denkbaren Verlockungen und Vergnügungen beherbergen und die von Nymphen und der Königin der Liebe, Venus, selbst bewohnt werden. Die Göttin selbst wünscht er zu besitzen und trachtet danach, seine Kräfte durch einen Trank zu stärken, damit keine Erschöpfung der Wollust sein Vergnügen unterbricht. Durch diesen Tagtraum wird er jedoch vollständig ermüdet und zu Recht von allen dafür verlacht, auch wenn dieser Traum sich auf wunderschöne Gegenstände bezieht, die jedoch völlig außerhalb unserer Reichweite liegen. 44 Sein Widerpart, der sich geringere Ziele steckt, diese aber tatsächlich erreichen kann, wird hingegen von allen gutgeheißen. Sfondratus erwägt die Hypothese, daß Philosophen hinsichtlich himmlischer Gegenstände, die außerhalb der Reichweite der menschlichen Sinne liegen, ein höheres Maß an Übereinstimmung erreicht haben und eine über die Jahrhunderte hinweg beständige Meinung, die von keinem Zweifel angegriffen werden kann, ihren Glauben geeint hat. Für die voraristotelische Zeit kann dies sicher verneint werden. Weder über Gott selbst, noch die Prinzipien der Natur, das Wesen der Dinge, ihre Ursachen oder die Seele des Menschen konnte Einigkeit hergestellt werden. Sind aber mit Aristoteles diese Auseinandersetzungen nicht zum Erliegen gekommen? Sfondratus verneint diese Annahme und verteidigt die These, daß Aristoteles ebenfalls nur unzureichende Theorien dieser Gegenstandsbereiche vertritt. 45 So könne er nicht hinreichend genau erklären, was erste Materie, aus der doch alles bestehen soll, überhaupt ist. Materie als solche sei weder dieses, noch jenes, noch irgendetwas anderes. Die Behauptung, dasjenige, was sich seiner eigenen Erkenntnisfähigkeit verschließt, sei prinzipiell unerkennbar, hält Sfondratus für anmaßend. Gleiches gelte für den Begriff der Form, von der zwar feststehe, daß sie Dinge zu dem mache, was sie sind, deren eigene Beschaffenheit anderen jedoch nicht vermittelt werden kann. Was eine privatio sei, also ein Nichtsein, ist dann vermutlich noch schwerer einzusehen, wenn schon die Erklärung dessen, was ist, also der Materie und Form, unklar bleibt. Dies ist schon daran abzulesen, daß hinsichtlich der privatio unter den Gefolgsleuten des Aristoteles große Uneinigkeit herrscht - wie auch in der Frage, ob die Materie der Himmel und die Materie der sublunaren Welt miteinander identisch sind oder nicht. Schließlich ist zu beachten, daß nicht nur die aristotelische Lehre selbst hinsichtlich ihrer Prinzipien unklar ist, sondern daß nach Aristoteles weitere philosophische Schulen existiert haben, die ihrerseits nicht mit ihm übereinstimmen. 46 Zu den klügsten dieser Schulen sind die akademischen Skeptiker zu zählen, die allen derart unsicheren Angelegenheiten ihre Zustimmung verweigerten. Ihre Furcht war ihnen ein besserer Ratgeber als jedes Lob der Klugheit. Iihre Bescheidenheit, dem Hochmut der Zustimmung entgehen zu wollen, ist lobenswert. Ob die Mühe und der Eifer, mit dem sie Dinge erforscht haben, die nicht gewußt werden können, weise angewendet gewesen ist, steht zu bezweifeln. Als nächstes erörtert Sfondratus Belege der antiken Überlieferung, die die Philosophie in Frage stellen. Platon (nach Simplikios) habe die Naturphilosophie als Wissenschaft des Wahrscheinlichen (eikotologia) bezeichnet. An anderen Stellen wird sie als leeres Gerede (mataiologia) eingestuft. Xenophon überliefert, daß Sokrates behauptet habe, kein weiser Mann würde über etwas disputieren, was nicht zu den öffentlichen Angelegenheiten oder den Sitten und dem Leben der Menschen gehört. 48 Als Beleg wird eine längere Passage aus den Memorabilia zitiert. Sie verweist ebenfalls auf die Meinungsverschiedenheiten der Vorsokratiker: Für manche gab es nur ein Seiendes, für andere unendlich viele, manche glaubten, alles sei immer in Veränderung begriffen, andere schlossen die Existenz von Veränderung aus, behaupteten, daß alles entstehe und vergehe oder verneinten die Existenz des Entstehens und Vergehens. 49 Sfondratus verweist auch auf Athenaeus von Naukratis (Deipnosophisten XIII.92), der die Vertreibung der Philosophen aus Attika und Sparta schildert. Angesichts dieser Befunde sind die Philosophen aufgefordert, die Quelle der von ihnen behaupteten spezifisch philosophischen Glückseligkeit zu benennen. In Anbetracht der Tatsache, daß auch Nichtphilosophen den Donner hören, schmecken, daß das Meer salzig ist und die Umläufe der Himmelskörper sehen, ist schwer einzusehen, warum derjenige, der die Ursachen dieser Erscheinungen kennt, einen größeren Teil der Glückseligkeit erlangt als der Unwissende, fast so als ob das Verständnis dieser Ursachen, also die entsprechende Wissenschaft gleich viel wert sei wie Urheber und Herr dieser Erscheinungen zu sein. Sfondratus Page 11 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione bekennt, sowohl die aristotelische Lehre in De Caelo wie auch die Naturphilosophie und die Metaphysik studiert zu haben. All dieses Wissen erschien jedoch müßig ( nugatorius) und er ist dadurch nicht glückseliger geworden. Wäre er durch dieses Wissen heiliger geworden und hätte so seinen Glauben beweisen können, hätte er nicht gezweifelt. 50 Durch die Phantastereien ( deliramenta) der Philosophen ist Glückseligkeit jedenfalls nicht zu definieren. Grund hierfür ist, daß Aristoteles nur anzugeben weiß, was Gott nicht ist, nicht jedoch versteht, was genau er ist. Sfondratus vertritt die stärkere These, daß Gott zu jenen Dingen gehört, die wir auf keine Weise (also wohl auch nicht via negationis) verstehen können. Deswegen sei nicht einsichtig zu machen, daß die Betrachtung eines solchen Dings, das allen Versuchen der Erkenntnis entgeht ( effugiat), zu unserer Glückseligkeit beiträgt. Es gibt nämlich keinen Unterschied zwischen dem Versuch der kontemplativen Erkenntnis Gottes, und sei es nur auf dem Wege der Verneinung, und der Betrachtung eines Fabelwesens ( chimaera), auf das der Geist als ganzes ausgerichtet wird. (2) Wissen ist kein Privileg der Philosophie 51 Außerdem bestreitet Sfondratus die Annahme, daß, was um seiner selbst willen gesucht wird, würdiger sei als dasjenige, was wegen etwas anderem gesucht wird. Um dies zu begründen, muß zunächst gefragt werden, ob man innerhalb derselben Betätigung ( negotium) rgumentiert oder bezogen auf eine andere, ob also mit anderen Worten Wissen gesucht wird, um anderes Wissen zu erlangen, oder Wissen gesucht wird, um einen außerhalb des Wissens überhaupt liegenden Zweck zu erreichen. Für den ersten Fall wird zugestanden, daß Wissen, das nicht für die Erlangung anderen Wissens, sondern um seiner selbst willen gesucht wird, würdiger ist als Wissen, für das dies nicht zutrifft. Für den zweiten Fall, daß also Wissen, das um seiner selbst willen gesucht wird, eo ipso würdiger ist als Wissen, das für praktische Zwecke genutzt werden kann, erhebt Sfondratus entschieden Einspruch. 52 Ein Schreiner baut ein vollkommen ausgeführtes Gebäude genauso um seiner selbst willen wie der Schneider um seiner selbst willen einen vollkommenen Rock schneidert. Würde die Annahme des Philosophen zutreffen, so müßte ein solches Handwerk höher geschätzt werden als die Leistung eines hervorragenden Militärtribuns, weil diese Leistung in keiner Weise um ihrer selbst willen erbracht wird, sondern einzig dazu dient, dem Befehlshaber des Heeres den Weg zum Sieg zu bahnen. In Wahrheit muß der Schneider eines solchen Tribuns als diesem untergeordnet angesehen werden. Hätte der Philosoph recht, so müßte eine um ihrer selbst willen gesuchte Wissenschaft der Bienen und Ameisen hervorragender sein als die Tätigkeit eines Senators, der das Wohl des Gemeinwesens sucht. 53 Indes sind nicht menschliche Handlungen an sich gerade Gegenstand der Auseinandersetzung, auch wenn Sfondratus am Rande anmerkt, daß keine menschliche Aktivität, und also auch nicht die Suche nach Wissen, um ihrer selbst willen unternommen wird. Um die These des Philosophen zu widerlegen, ist vielmehr nun von der vollkommensten Handlung des Menschen zu sprechen. Handlungen, so die Position der Philosophen, können jedoch nicht vollkommen sein, weil sie immer zur Erfüllung eines außer ihnen liegenden Zwecks unternommen werden: Der Befehlshaber kämpft nicht tapfer, um lobenswert zu kämpfen, sondern um den Sieg zu erringen. Der Jurist gibt nicht um seiner selbst willen rechtlichen Rat, sondern will vor Gericht dazu verhelfen, daß seine Sache gewinnt. Sfondratus kündigt an, genau diese Argumente zur Widerlegung der Position des Philosophen zu nutzen, ihn also mit seinen eigenen Waffen schlagen. 54 Ausgangspunkt der Argumentation ist die Unterscheidung des göttlichen höchsten Guts ( summum bonum divinum) und des menschlichen höchsten Guts ( summum bonum humanum). Ersteres wird durch Kontemplation erreicht, letzteres durch die Übung der Tugend ( usus virtutis). Und in dieser Übung der Tugend, der einzigen menschlichen Aktivität, die tatsächlich um ihrer selbst willen unternommen wird, liegt der letzte Zweck aller menschlichen Angelegenheiten ( res humanae). Um dies zu begründen, ruft Sfondratus zunächst Aristoteles’ Unterscheidung zwischen menschlichen Tätigkeiten, die wegen eines außerhalb ihrer selbst liegenden Ziels unternommen werden, und Tätigkeiten, die ihr Ziel in sich selbst tragen, ins Gedächtnis. Realisierungen unserer Tugenden gehören in die zweite Kategorie: Wer tugendhaft handelt, tut dies, ohne darüber hinaus einen weiteren Zweck zu erfüllen. Deswegen muß, wer tugendhaft handelt, glücklich genannt werden. Dies wird durch eine reductio begründet: Wenn die Einlassung des Philosophen zuträfe, daß im Bereich des Handelns alles um einer anderen Sache willen getan wird und einzig die Kontemplation um ihrer selbst willen vollzogen wird, müßte folglich der tugendhafte Mensch, der klug, gerecht oder tapfer handelt, noch etwas außerhalb der Tugend liegendes zustandebringen, wenn sein Handeln als ein Ausübung der Tugend gelten soll. Der Erfolg unserer Handlung kommt als ein solches Kriterium nicht in Frage, denn er hängt, anders als ihre Tugendhaftigkeit, sehr viel eher vom Schicksal ( fortuna) als vom Handelnden ab. 55 Tapfere Feldherren wie Lucius Aemilius Paullus oder Hannibal werden in Ehren gehalten, weil sie berühmte und tapfere Männer waren, von denen höchste Tugend erwartet werden durfte, auch wenn sie eine Schlacht oder einen Krieg verloren haben. Der Einfluß des Schicksals auf den Erfolg ihres Handelns spielt demgegenüber bei der Einschätzung ihres Werts keine Rolle. Gleiches gilt für den hervorragenden Redner, dessen Ruhm nicht geschmälert wird, wenn seine Sache bei denen, die darüber zu entscheiden haben, nicht den Sieg davonträgt. Tugend ist nämlich Page 12 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione alleine unsere Angelegenheit ( virtus in nobis sita est) und hängt von nichts Äußerem ab. 56Jede Pflicht ist also Selbstzweck. Wäre dem nicht so, wäre menschliche Glückseligkeit und den Zweck menschlicher Tugend vom Schicksal abhängig. Glückseligkeit ist hingegen, genau wie der Sieg des Feldherrn und die vom Senator hergestellte Ruhe und Eintracht des Gemeinwesens, nicht der Zweck, sondern die Frucht der Tugend. (3) Es gibt kein natürliches Streben nach Wissen Als nächstes setzt Sfondratus sich mit der These der Philosophen auseinander, daß allen Menschen die Begierde nach Wissen von Natur aus angeboren sei. Deswegen, so die Argumentation weiter, sei die Kontemplation die dem Menschen eigentümliche Tätigkeit ( proprium hominis opus). Sfondratus führt demgegenüber an, daß diese Begierde zu wissen, sich auf die verschiedensten Gegenstände bezieht und nicht einsichtig ist, warum gerade die Tätigkeit des Philosophen das Proprium des Menschen ausmachen soll, denn der Mensch wird von der Natur mit der Neigung zu verschiedenen Dingen versehen. 57 Für seine Person verneint Sfondratus jede Begierde, sich mit derart überflüssigen Dingen abgeben zu wollen. Jeder, der sich auf die richtige Art und Weise mit einer Kunstfertigkeit oder Wissenschaft befassen will, wird vom unbändigen Willen ( ardor)erfaßt, sie bzw. die mit ihr zusammenhängenden Gegenstände möglichst vollständig zu erkennen. Dies ist aber eine allen Kunstfertigkeiten und Wissenschaften zuzusprechende Eigenschaft. Es gibt keinen Grund, warum die Philosophen hier gewichtigere Ansprüche geltend machen können als der Feldherr, der Jurist, der Redner, der Dichter, der Schiffsführer, der Maler oder der Handwerker – erst recht nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie nicht erkennen, sondern erschließen (coniicere), nicht verstehen, sondern vermuten ( suspicari), nicht gründlich wahrnehmen, sondern wahrsagen ( divinare), nicht Gewißes behaupten, sondern auf gut Glück sprechen ( fortuita loqui). 58Philosophen entgegnen, daß in allen nichtkontemplativen Fällen von Wissen dieses Wissen nicht um seiner selbst willen, sondern zur Erfüllung eines außerhalb des Wissens liegenden Zwecks gesucht wird. Dieses Wissen hat also ausschließlich dienende Funktion für das Handeln und hat deswegen nicht die gleiche Würde wie das um seiner selbst willen gesuchte theoretische bzw. kontemplative Wissen. Einzig die Philosophen begreifen, daß es nichts Schöneres und nichts Herausragenderes gibt als das um seiner selbst willen gesuchte Wissen. Sofern Wissen dem Handeln und dessen Nützlichkeitserwägungen untergeordnet wird, wird es hingegen seiner Freiheit beraubt. Sfondratus bestreitet die These, daß Begehren ( appetitus) des Menschen ihm von Natur aus um des erstrebten Dings willen ( ob eam ipsam rem, quam appetit) eingepflanzt worden sind. 59 Daß Menschen Dinge wissen wollen, ist keine hinreichende Begründung für diese These. Denn es gilt, zwischen den Zwecksetzungen desjenigen, der Wissen erwerben will, und dem objektiven Zweck dieses Wissenserwerbs zu unterscheiden. Dinge mögen um ihrer selbst willen erstrebt werden ( propter se ipsa quaeruntur), sind deswegen aber nicht zwangsläufig (objektiv) ihr eigener Zweck ( neque tamen sui ipsa fines sint). Sfondratus erörtert dies anhand des Geschlechtstriebes ( appetitus venereae coniunctionis). Der objektive Zweck dieses Triebs ist die Fortpflanzung und die fortdauernde Erzeugung menschlicher Nachkommenschaft. Dennoch wird die Erfüllung dieses Triebs in den allermeisten Fällen ( saepissime) nicht um dieses natürlichen Zwecks willen, sondern um ihrer selbst willen begehrt. Es gibt keine Begierde, der die Menschen glühender ( ardentius) folgen und von keiner sinnlichen Lust ( libido) werden sie stärker bewegt. Dies führt dazu, daß der größte Teil der Menschen weder das Schamgefühl ( pudor) noch die Gesundheit ( valetudo) beachtet und diesen Trieb folglich nicht in die Schranken weist. Selbst fromme Menschen werden durch die Stärke dieses Triebs gezwungen, heilige Gesetze zu verletzen und alle menschlichen und göttlichen Rechtssetzungen für unwichtig zu erachten. Weder die Verehrung der Götter, noch der Beruf, noch das andächtige Gebet, weder Verwandtschaft noch Freundschaft können dann den Verstand anleiten. 60 Dies ist der Fall, weil die Natur die geschlechtliche Vereinigung ( coniunctio venerea) mit so viel Wollust durchtränkt hat ( perfundit), daß keine sinnliche Wahrnehmung freudiger stimmt ( ut nullius rei sensus sit iucundior). Sfondratus fragt rhetorisch, wieviele Menschen wohl an Fortpflanzung denken, wenn sie von dieser Lust entzündet werden und von dieser Hitze von Sinnen sind. Weder Prostituierte noch die Ehefrauen fremder Männer noch die Nachkommenschaft der eigenen schwangeren Gattin werden von den Menschen erstrebt, sondern die Wollust. Umgekehrt verschmäht die schwangere Frau den Beischlaf des Mannes nicht, sondern begehrt ihn vielmehr sehr viel heftiger, weil durch die größere Wollust ihre Sinne sehr viel stärker gereizt werden. Es erscheint kaum denkbar, das Erlernen und das Begehren des Wissens ( studium et cupiditas sciendi) für stärker als diese Lust anzusehen. Dies kann auch von Philosophen nicht bestritten werden. Deswegen steht fest, daß dasjenige, was vom Menschen um seiner selbst willen erstrebt wird, dennoch ihm von der Natur wegen einer anderen Sache zugeteilt worden ist. Auch die anderen Begehren des Menschen werden also, auch wenn sie uns von der Natur zur Erreichung eines Zwecks mitgegeben worden sind, für die Erlangung von Wollust mißbraucht. Da also das Argument der Begierde nach Wissen um seiner selbst willen auch auf viele andere Begehren des Menschen angewendet werden kann, ist es nicht geeignet, eine Sonderstellung der Philosophie bzw. der Kontemplation zu begründen. 61 Es erscheint vielmehr denkbar, daß auch dieses Streben des Menschen Page 13 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione ausgelöst wird durch die sinnliche Reizung ( titillatio) entweder unserer Sinneswahrnehmung ( sensus) oder desjenigen Teils unserer Seele, der für kognitive Leistungen ausgebildet ist und also der Trieb des Menschen zu wissen aus einer süssen Erregung der Seele und einem daraus erwachsenden Antrieb ( impulsus) entsteht. Sfondratus hält es für eine weitsichtige und weise Einrichtung ( providens et sapiens consilium) der Natur, daß sowohl in der Sexualität wie auch bei der Suche nach Wissen die Menschen der Illusion unterliegen, daß diese Handlungen um ihrer selbst willen vollzogen werden. Denn beide sind in höchstem Maße nützlich. Die Sexualität dient der Erhaltung des menschlichen Geschlechts, die Suche nach Wissen der richtigen Verwaltung aller Dinge, die auf das Handeln bezogen sind. Unsere Sinne und unser Verstand werden durch die Wollust und Süße, die uns aus diesen Handlungen erwächst, durch einen sehr heftigen Antrieb auf diese Ziele gelenkt. (4) Die menschliche Seele zeichnet sich durch ‘Größe’ (celsitudo) aus 62 Als letzter Grund für den Vorrang der Philosophie ist vorgebracht worden, daß sie die beste Betätigung desjenigen Teils des Menschen ist, der ihn von den Tieren unterscheidet, nämlich unseres Erkenntnisvermögens. Einzig die Kontemplation kommt uns also zu, weil wir Menschen sind, während alle anderen Tätigkeiten von uns verrichtet werden, weil wir Lebewesen ( animantes) sind. In gleichem Maße, wie der Mensch das Tier an Würde übertrifft, übertrifft also auch die Kontemplation alle anderen Tätigkeiten des Menschen. Wer so argumentiert, übersieht jedoch, daß die menschliche Erkenntniskraft nicht nur auf die Kontemplation, sondern auch auf weitere Wissenschaften angewendet wird. 63 ies gilt beispielsweise für die Geometrie, die Arithmetik, die Astrologie, die Dichtkunst und die Historiographie. Sie alle sind Betätigungen unserer menschlichen Erkenntnisbegabung ( ingenium intelligentiaque). Sofern also alle diese Tätigkeiten des Menschen ebenfalls als Realisierung dessen anzusehen sind, was uns vom Tier unterscheidet, bricht das Argument in sich zusammen. Unabhängig davon stellt sich allerdings die Frage, ob es wirklich unsere Erkenntnisbegabung ist, die uns von den Tieren unterscheidet. Dies ist von einigen bezweifelt worden. 64 Plutarch hat dieses Problem in De industria animalium ausführlich abgehandelt. Für Sfondratus’ Beweisführung ist eine definitive Festlegung der eigenen Position nicht erforderlich. Jedoch erwägt er die Möglichkeit, daß Mensch und Tier sich nicht kognitiv, sondern hinsichtlich der Verfassung ihrer Seele unterscheiden und dem Menschen im Gegensatz zum Tier ‘Seelengröße’ ( celsitas) zuzusprechen ist, die im Streben nach Macht, Würde, Ruhm und Überlegenheit wurzelt. Für dieses Streben findet sich im Tierreich keine wirkliche Entsprechung, da dort weder Kämpfe noch Zorn dadurch ausgelöst wird, daß ein Tier ein anderes zu übertreffen trachtet. Tierisches Verhalten zielt vielmehr einzig auf die unmittelbare Befriedigung von Bedürfnissen. 67 [Die Seitenzahlen 65 und 66 fehlen.] Selbst der Löwe, dem solche Seelengröße am ehesten zuzubilligen wäre, kämpft nicht, um sich andere Tiere zu unterwerfen, während die Götter den Menschen ein solches Bestreben zu herrschen mitgegeben haben und es kein Zeitalter, kein Geschlecht, keine (soziale) Ordnung und kein Volk gegeben hat, das von diesem Streben ausgenommen wäre. 68 Alle Menschen verwenden viel Mühe, Fleiß und Anstrengung ihres Geistes darauf, hervorragende Kunstfertigkeiten zu erwerben und auf diese Weise dieses Streben nach Ruhm und Übertreffen des anderen zu befriedigen. Dies gilt auch für die Philosophen, die in Wahrheit ihre Forschungen gerade nicht um ihrer selbst willen anstellen, sondern vielmehr ihren Namen zur Geltung bringen wollen. Selbst jene, die über die Verächtlichkeit des Ruhms geschrieben haben, setzten schließlich ihren Namen auf das Buch. Damit unterscheiden sie sich nicht von Menschen, die sich dem ius civile, der Redekunst, der Dichtkunst oder den artes mechanicae zugewendet haben. Fragt man Menschen, ob sie lieber König oder Philosoph sein wollen, wird man niemanden finden, der das philosophische Leben vorziehen würde. 69 Dies gilt selbst für die Philosophen, die von sich sagen, daß sie den Göttern am ähnlichsten sind. Auch im Entwicklungsgang des Menschen bestätigt sich diese Behauptung: Knaben, in denen unsere Anlagen noch unverbildet zu Tage treten, sind kaum in der Lage, sich über längere Zeit dem Wissenserwerb zuzuwenden. Auch ist zu beachten, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde erschaffen hat und, um diese Ebenbildlichkeit den Menschen begreiflich zu machen, Propheten berufen hat, die die Herrschaft des Menschen über alle anderen Lebewesen verkünden. Und während die Bildnisse von Aristoteles oder Platon keinen Betrachter zu Tränen rühren, konnte Julius Caesar vor einer Statue Alexanders des Großen die Tränen nicht zurückhalten. 70 Die Philosophen, insbesondere jene, die zur richtigen Lebensführung anleiten wollen, betrachten es anscheinend als ihre Aufgabe, den Menschen von der Erfüllung dieses Bedürfnisses abzubringen. Das aber heißt nichts anderes als den Menschen von den ihm wesentlichen Zielen und Bedürfnissen ablenken zu wollen, also von dem, wodurch sie zuallererst ( in primis) Menschen sind. (5) Handeln ist der Kontemplation vorzuziehen. 71 Für die von Sfondratus als Proprium des Menschen ausgewiesene Seelengröße ist die vom Philosophen Page 14 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione empfohlene Kontemplation bedeutungslos. Auch zur Würde des Menschen trägt sie nichts bei. Sfondratus behauptet deswegen den Primat der Handlung und der Klugheit als der durch Gründe angeleiteten Handlung. Durch die Klugheit wurden Städte gegründet und die Menschen aus den Wäldern, wo sie wie wilde Tiere herumirrten, zusammengerufen. Sie gab dem Leben eine menschliche Gestalt. Sie hat Gesetze, hervorragende Institutionen und die besten Sitten hervorgebracht. Sie hat jedem Land zugeteilt und Gerechtigkeit und Frieden gelehrt, indem sie zeigte, wie Menschen ohne Unrecht miteinander leben. Streitigkeiten wurden durch Klugheit entweder auf dem Wege der Beredsamkeit oder mit Waffengewalt geschlichtet. Klugheit hat die Zukunft im Blick und ordnet die Gegenwart. Sie veranlaßt die Menschen zur Ausübung der Tugend und bewirkt, daß sie ein gelingendes Leben führen ( beatitudinem efficit).Durch sie erhalten wir die Gaben der Natur und alles, was durch ihre Wirkungen hervorgebracht wird. 72 In Wahrheit ist es also das an Nützlichkeit orientierte Leben, das den Menschen vergöttlicht. Dies ist daran abzulesen, daß jene Helden, die menschliche Angelegenheiten gut verwaltet haben, Städte gegründet und Gesetze erlassen haben, in die Schar der Götter aufgenommen worden sind. Sfondratus nennt Jupiter, Herkules Aeneas, Minos und Romulus als Beispiel. Für gründliche Erforscher der Ursachen und Prinzipien der Natur ist ähnliches nicht bekannt. Vielmehr gibt es keine Ähnlichkeit zwischen den Träumen ( somnia) der Philosophen und der vollkommenen Selbsterkenntnis Gottes. Die Philosophen können für diese Behauptungen auch keine Gewährsmänner anführen. Denn es ist unfromm anzunehmen, man könne hinsichtlich göttlicher Angelegenheiten überhaupt definitive Aussagen machen, die über das hinausgehen, was er selbst uns offenbart hat. Sfondratus selbst sieht weder, daß Gott Kontemplation ausübt, noch kann er verstehen, was darunter überhaupt zu begreifen ist. Er sieht in Gott Vorsehung ( providentia) und Ordnung ( moderatio). Also ahmen ihn jene nach, die klug zu handeln trachten und sich nicht leerer Beschäftigung ( inane studium) hingeben. 73 Die Philosophen behaupten, daß die Betrachtung seiner selbst die beste Aktivität Gottes sei und insbesondere vollkommener sei als Klugheit und die Ordnung und Lenkung menschlicher Angelegenheiten. Denn während sich diese praktische Dimension göttlichen Wirkens auf äußere Gegenstände bezieht, bleibt er in der Betrachtung seiner selbst bei sich. Sfondratus hält dieser Beweisführung entgegen, daß Gott und Mensch aus unterschiedlichen Gründen handeln. Unterschiedliche Handlungszwecke können deswegen nur für den Menschen, nicht jedoch für Gott angenommen werden. Die von den Philosophen behauptete Asymmetrie zwischen Denken und Handeln existiert für Gott folglich nicht: Alles, was aus Gott hervorgeht, wird auch auf ihn bezogen, so daß die Annahme irrig ist, Gottes Handeln sei gegenüber der Betrachtung seiner selbst defizient, weil es auf ihm äußerliche Gegenstände bezogen ist. 73a Im zehnten Buch der Nikomachischen Ethik verneint Aristoteles zudem explizit, daß die Götter handeln oder für ihre Lebensführung der Tugenden bedürfen. Weil sie aber lebendig sind und deswegen nicht völlig unveränderlich sein können, setzt er das Leben der Götter mit Kontemplation gleich. Die aristotelische Position hat zur Folge, daß weder die Himmelsbewegungen noch die Veränderungen des Wetters, die Bewegungen der Elemente, die Fruchtbarkeit der Erde oder die Fortpflanzung des Menschen auf göttlichen Beistand angewiesen sind. Foglieta konstatiert, daß Aristoteles die göttliche Natur dem Wesen des Menschen nachbildet. Für den Menschen nämlich kann angenommen werden, daß er, wenn er nichts tut, nichts betrachtet und mit ihm nichts geschieht, wohl tot ist. Für Gott hingegen ist es denkmöglich, daß in ihm neben der Betrachtung seiner selbst sechshundert weitere Dinge existieren können. Der Philosoph kann keinen Gegengrund zur Widerlegung dieser Hypothese vorbringen. Aber selbst wenn man den Vorrang der Kontemplation zugesteht, ist für den Philosophen nichts gewonnen. Denn der Philosoph muß annehmen, daß Kontemplation für Gott und den Menschen dasselbe meint. Das aber heißt, daß aus einem etwaigen Vorrang der Kontemplation für Gott nicht ein gleicher Vorrang für den Menschen abzuleiten ist. Kontemplation ist für den Menschen vielmehr eine leere, vergebliche und lügenhafte Angelegenheit. Denn was Gott gestattet ist, muß dem Menschen deswegen nicht auch schon erlaubt sein. Dafür gibt Sfondratus zwei Gründe an: Erstens ist Gott für die Kontemplation nicht auf diskursives Denken ( ratiocinatio) angewiesen und vollzieht sie deswegen irrtumsfrei. 74a Für die Menschen gibt es hingegen keinen Weg, zu derart göttlichem Wissen zu gelangen. Denn, wie Foglieta oben gezeigt hat, liefert der Aufstieg von Wirkungen zu Ursachen ( ratio ratiocinandi ab effectis ad causas) kein unveränderliches, sicheres oder ausreichend erforschtes Wissen. Dies ist Zeichen unserer kognitiven Unzulänglichkeit (imbecillitas). Diese wird verstärkt durch die Uneinigkeit der Philosophen. Denn diese können sich nicht einmal hinsichtlich dessen einig werden, was uns täglich vor Augen steht und mit dem wir täglich zu tun haben. Aber selbst wenn man annähme, daß Philosophen diesen Dissens überwinden und dem Menschen ein solches Wissen, wie es die Philosophen versprechen, zugänglich ist, ist der Kontemplation die von den Philosophen behauptete Würde abzusprechen. Die dem Menschen zugängliche Kontemplation unterscheidet sich nämlich von derjenigen, zu der Gott befähigt ist, nicht nur quantitativ (selbst wenn man einen unendlichen Abstand zwischen beiden annimmt), sondern qualitativ, also der Art nach ( specie). 75 Die Glückseligkeit Gottes ist nämlich darin begründet, daß er in der Kontemplation seiner selbst, wie die Philosophen selbst zugestehen, sein Page 15 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione eigenes Wesen und also etwas wahrnimmt, das nicht vollkommener gedacht werden kann – und dies auf vollkommene Art und Weise. Vom Menschen kann Gottes Wesen hingegen nur unvollkommen, nämlich durch Verneinung erkannt werden. Selbst durch tägliches Nachdenken ( meditatio) und Forschen ( investigatio) kann der Mensch nur feststellen, daß Gott keinem Ding, das wir sehen oder an das wir denken, gleich ist, sondern von allen anderen Dingen losgelöst und abgetrennt ist und ihm nichts zustoßen kann und nichts eigentümlich ist, was allen anderen Dingen eigentümlich ist oder zustoßen kann (soll heißen: Keines der Akzidenzien und keines der Propria des Menschen kann auf Gott zutreffen). Es gibt also – und dies ist den Philosophen entgangen – keinen Grund der Ähnlichkeit ( ratio similitudinis) zwischen Kontemplation des göttlichen Wesens durch Gott und Kontemplation des Menschen. Gott erkennt sich selbst vollkommen und nicht-diskursiv, der Mensch ist auf zudem noch unzulängliches diskursives Denken ( imbecillissimum ratiocinandi genus) verwiesen. Der Anspruch der Philosophen, den Menschen gottähnlich zu machen, ist ebenfalls zweifelhaft. Sehr viel eher steht zu vermuten, daß jene dieses Ziel erreichen, die menschliche Angelegenheiten klug und gerecht zu ordnen suchen. Dies ist den Menschen von Gott auch offenbart worden. 77 Daß die Philosophen im Gegensatz dasjenige, was Gott vor uns zu verbergen gesucht hat (nämlich sein eigenes Wesen) für erkennbar halten, kann nur als Unverschämtheit (temeritas), Hochmut (arrogantia) und Kühnheit (audacia) angesehen werden. Dies wird schon durch die Vertreibung aus dem Paradies belegt. Die Philosophen scheinen jedoch – gegen Gottes Gebot – genau diesen Ort suchen zu wollen. 78 Etwas suchen zu wollen, was man nicht finden kann, ist jedoch der Ausdruck völligen Irrsinns ( extrema dementia). Außerdem führt diese Suche zu einer völligen Unwissenheit ( inscitia) hinsichtlich der res humanae. (6) Der Nutzen der Klugheit Sfondratus formuliert selbst einen Einwand gegen diese These: Auch die praktische Klugheit sei bei der Entscheidung von komplexen Angelegenheiten überfordert, was an der Uneinigkeit der Beratenden ( consulentes)abzulesen sei. Auch in der Klugheit gebe es viele Wege des Irrtums aber nur einen, der zur Wahrheit führt. Sfondratus widerlegt diesen Einwand zunächst durch den Hinweis auf die Nützlichkeit der Klugheit, die im Gegensatz zur vorgeblichen Nützlichkeit der Kontemplation nicht bestritten werden kann. Auch wenn sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht immer erfüllen kann, kann ihre Wohltätigkeit ( benignitas) bei der Entscheidung vieler unterschiedlicher Angelegenheiten nicht in Frage gestellt werden. Außerdem ist der Einwand ungenau: Entweder wird nämlich Klugheit und Handlung mit der unsicheren Grundlegung ( incerta ratio) der KOntemplation verglichen. Oder es wird darauf hingewiesen, daß menschlicher Ratschluß ( consilium humanum) gelegentlich sein Ziel verfehlt, weil dies vom Schicksal ( fortuna) verhindert wird. 79 Im ersten Verständnis ist der Einwand unbegründet, weil die Fruchtlosigkeit der Kontemplation bereits erwiesen worden ist, die Leistungsfähigkeit der Klugheit jedoch nicht bestritten werden kann. Sie hat Städte gebaut, sie mit Einwohnern versehen, die allerheiligsten Gesetze begründet, durch die über Jahrhunderte hinweg den Menschen ein friedliches und glückliches Leben ermöglicht worden ist und den Menschen insgesamt so viele Wohltaten erwiesen, daß es nicht falsch ist, sie in göttlichen Ehren zu halten. Sofern das zweite Verständnis zugrundegelegt wird, ist anzumerken, daß das Scheitern klugheitsbasierter Entscheidungen nicht klugen Menschen anzulasten ist, sondern vielmehr der mißlichen condition humaine ( humanarum rerum dolenda conditio). So werfen wir einem Schiffsführer auch nicht deswegen Unfähigkeit vor, weil ein Sturm ihn vom eingeschlagenen Kurs abgebracht hat. In gleicher Weise darf durch das Schicksal zugefügtes Unrecht nicht klugen und in entsprechenden Kunstfertigkeiten (also Fähigkeiten zur Regelung unseres Handelns) beschlagenen Männern zur Last gelegt werden. Jedoch verneinen die Philosophen, daß die Nützlichkeit einer Fähigkeit irgendetwas zu ihrer Würde bzw. ihrem Wert beizutragen habe, und behaupten, daß Nützlichkeit hier sogar eher abträglich sei, denn was nützlich ist, existiere um einer anderen Sache willen (das Mittel ist also mit anderen Worten immer weniger wert als das Ziel). 80 Sfondratus macht demgegenüber den Standpunkt des gesunden Menschenverstands geltend, daß gerade die Nützlichkeit den Wert einer Sache bestimmt. Dies gilt für die Leistungen des Gesetzgebers, des Redners, des Rechtsgelehrten und des Befehlshabers. Und auch die Tugenden werden gelobt, weil sie nützlich sind. Sie werden nämlich nur durch Nützlichkeit hervorgerufen. Denn Tugenden ermöglichen erst das Zusammenleben der Menschen, während es durch Untugenden zerstört wird. Selbst wenn wir aber von tugendhaften Menschen keinen Nutzen hätten, wären sie dennoch unserer Verehrung und unserer Erinnerung würdig. 81 Dennoch gilt, daß eine Tugend, die nicht auf die Nützlichkeit der tugendhaften Handlung zielt, lächerlich ist: Ein tapferer Mann, der sich den Speeren der Feinde entgegenwirft, würde von uns für wahnsinnig gehalten, würden wir nicht die Nützlichkeit seines Handelns für das Vaterland in Rechnung stellen, während wir für sich genommen, denjenigen, der die Feinde flieht und sein eigenes Heil bedenkt, loben würden. 82 Sfondratus resümiert noch einmal ausführlich die Nutzlosigkeit der Philosophie und folgert aus ihr, daß jene, die sich von der Liebe zu solchen Forschungen ergreifen bzw. besser gesagt durch Wahnsinn verdorben worden sind, sich lieber die Augen ausstechen und sich des Blicks in den Himmel berauben würden, um nicht durch die Page 16 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Schönheit des Gesehenen von ihrem Denken, auf das sie ihren Geist ausgerichtet haben, abgebracht zu werden. 83 Die Philosophen selbst geben zu, daß sie lieber auf das Augenlicht verzichten würden als geistig zu erblinden ( mentem caecam gerere). Sfondratus selbst glaubt eher, daß sie sich durch solche Forschungen selbst um das Licht (sc. der Erkenntnis bringen). (7) Nützlichkeit und Vergnügen der Philosophie Aus diesen Erwägungen leitet er die Aufforderung ab, den Nutzen ihrer eigenen Nachforschungen darzulegen. Besteht er in der Glückseligkeit selbst, dem Genuß ( delectatio) oder der Nützlichkeit? Die Behauptung, es führe zur Glückseligkeit, ist bereits zur Genüge widerlegt worden. Deswegen ist nun zu untersuchen, ob Philosophie dem Menschen nützt oder ihm Genuß bereitet. 84 Die Nützlichkeit der Philosophie ist deswegen eingeschränkt, weil das menschliche Handeln kontingent ist ( singulae tantum res in actionem cadant), Philosophie aber nur das Allgemeine ( universale) untersucht. Das hat zur Folge, daß die lange Zeit, die der Philosophierende bei der Kontemplation natürlicher Gegenstände verweilt, seine Fähigkeiten mindert, dasjenige, was sich auf das Handeln und die Bewältigung öfentlicher Angelegenheiten bezieht, richtig zu erfassen. Jedoch behaupten die Philosophen, daß die Gesetze selbst durch Kontemplation begründet worden sind. Denn ihre Erkenntnis der göttlichen und natürlichen Gegenstände und ihrer Ordnung ist die Grundlage der Erkenntnis alles dessen, was diesen Gegenständen untergeordnet ist. Dies gilt also auch für die Ordnung menschlicher Angelegenheiten. Sfondratus hält diesen Einwand für offensichtlich unbegründet: Weder der Kreter Minos, noch der karthager Charondas, der Spartaner Lykurg oder der Athener Solon waren mit naturphilosophischer Spekulation vertraut, als sie für ihre Gemeinwesen Gesetze erließen. Gleiches gilt für den Römer Numa Pompilius. 85 Sofern Philosophen selbst ein Gemeinwesen und die in ihm geltenden Gesetze entwerfen, basiert ein solcher Entwurf ebenfalls nicht auf Einsichten in die Beschaffenheit natürlicher Dinge. Das verhindert allerdings nicht, daß solche Gesetze aus Philosophenhand zahlreiche Widersinnigkeiten enthalten. Als Beispiele nennt Sfondratus die Teilung der Ehefrauen ( uxorum communicatio) und der promiske Beischlaf ( promiscuus concubitus) bei Platon, der für Adlige erlaubte Beischlaf, um Söhne zu zeugen oder die Erlaubnis der Abtreibung. Solche Lehren sind von heiligen und klugen Männern widerlegt worden und würden von keinem Volk je als Gesetz angenommen werden. Sfondratus vermutet hierin ein Motiv für die oben erwähnte Vertreibung der Philosophen aus antiken Staaten. Gesetze können also nicht durch die in der Philosophie untersuchten Ursachen des Natürlichen, sondern einzig durch die tägliche Gewohnheit des Lebens begründet werden. Wer dies nicht beachtet, wird Gesetze aufstellen, die eher zum Lachen reizen als daß sie geeignet wären, Menschen zu führen. 86 Es bleibt zu untersuchen, inwiefern die Philosophie Vergnügen ( delectatio) bereiten kann. Sfondratus selbst kann nicht behaupten, bei der Beschäftigung mit Philosophie, wie dies andere behaupten, von reizvoller Wollust durchflutet zu werden ( titillanti voluptate perfundi). Er zitiert ein nicht weiter spezifiziertes Werk über den Unterricht in den freien Künsten ( vitae liberalis institutione), das behauptet, das Verständnis der Ursachen des Umlaufs der Gestirne, ihrer Wirkungen auf die sublunare Sphäre sowie die Erfassung des Grundes für die Entstehung von Winden, Wolken, der Salzigkeit des Meeres und anderer solcher Phänomene löse unendliches Vergnügen ( infinita voluptas) aus. Sfondratus vermutet, daß hier zwischen der Konstitution des Philosophen, der von solchen Dingen erfreut wird, und der vieler anderer Menschen ein erheblicher Unterschied auszumachen ist: Nichtphilosophen empfinden bei solchen Betrachtungen kein Vergnügen. Dies dürfte damit zusammenhängen, daß philosophische Betrachtungen ein erhebliches Maß an Anspannung des Gemüts und des Geistes verlangen. 87 Wenn also Philosophen Glück empfinden, dann bei Nachlassen der durch solche Tätigkeit hervorgerufenen Anspannung. Aber selbst wenn man Philosophen zugesteht, daß ihre Tätigkeit Lust bereitet, stellt sich die Frage, was diese Lust von geschlechtlicher oder anderer körperlicher Lust unterscheidet, die ja – wie die philosophische Lust – geeignet ist, den Menschen von wertvoller Beschäftigung ( honestum studium) und der Tugend fernzuhalten. Dabei ist es unwichtig, daß die Lust an der Kontemplation selbst keine körperliche Lust ist, wenn sie dieselben Folgen zeitigt und uns von der Besorgung unserer Angelegenheiten, den Pflichten des Lebens und der Ehrfurcht vor menschlichen Gaben abhält. Der üblicherweise angenommene Vorrang der geistigen Lust vor der körperlichen beruht auf der moralischen Überlegenheit der ersteren, die uns zur Tugend führt, während körperliche Lüste uns zum Laster veranlassen. Sofern aber eine geistige Lust uns davon abhält, unseren Pflichten nachzukommen, ist sie ebenfalls tadelnswert. Aber selbst wenn man diese Kritik nicht teilt, stellt sich die Frage, warum andere Vergnügungen des Geistes wie das Verfassen eines Gedichts oder eines geschichtlichen Werks nicht als höchste Form geistiger Betätigung anzusehen sein sollen. 88 So sei nicht anzunehmen, daß das Vergnügen eines Vergil oder eines Livius im Page 17 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42 Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione Vergleich zum Vergnügen eines Philosophen geringer zu schätzen sei. Sfondratus resümiert, daß, selbst wenn in der Philosophie verläßliches und vollkommenes Wissen erreichbar wäre, dieses Wissen weder Menschen glücklich machen, noch nützlich sein und auch kein Vergnügen bereiten könne. Er faßt die bisherige Argumentation in insgesamt elf Punkten zusammen: 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. Durch Kontemplation kann keine Gewißheit erreicht werden. Dies wurde durch die Vernunft und durch Zeugnisse berühmter Gelehrter bewiesen. Was um seiner selbst willen gesucht wird, ist deswegen noch nicht edeler als etwas, was um einer anderen Sache willen gesucht wird. Auch das Handeln kann um seiner selbst willen vollzogen werden, weswegen sein Rang genauer untersucht werden muß. Wissen ist kein Privileg der Philosophie, sondern spielt auch in den übrigen Kunstfertigkeiten und auch im Handeln selbst eine Rolle. Es gibt keine natürliche Anlage, bestimmtes Wissen um seiner selbst willen zu suchen. Die celsitudo unserer Seele unterscheidet uns in höherem Maße von den Tieren als unsere kognitiven Fähigkeiten. Damit ist der Primat des Handelns im Einklang, der Primat der Kontemplation nicht. Allein in der Klugheit und das Handeln sind alle menschlichen Angelegenheiten erfaßt. Durch sie wurden Städte gebaut, die Menschen in ihnen zusammengeführt, Gesetze erlassen, gute Sitten und hervorragende Institutionen erfunden, Streit geschlichtet, Friede und Ruhe herbeigeführt, das Schöne gefördert, das Leben glücklich und vollkommen gemacht. Deswegen wurden sie von alters her in Ehren gehalten. Sofern der Rang eines Dings nach seiner Nützlichkeit bemessen wird und der höchste Grad der Nützlichkeit dem Handeln zukommt, kann niemand die Kontemplation mit dem Handeln gleichsetzen. Deswegen steht fest, daß das Handeln der Kontemplation in unendlichem Maße ( infinito intervallo) überlegen ist. Sfondratus schließt mit der Anrufung jener Klassen von Menschen, denen die Lenkung menschlicher Angelegenheiten obliegt, die Gründer von Städten und Gemeinwesen, Juristen, Redner und Befehlshaber, und ruft deren Leistungen nochmals ins Gedächtnis. 90 Während alle diese Menschen Hervorragendes zustandegebracht haben, saßen jedoch ‘Menschlein’ ( homunculi) müßig im Schatten, die die Beschäftigung mit völlig leeren Aufgaben der Tugend der praktischen Menschen vorzogen. Deren Dummheit findet immer noch Anhänger, denen eine solche Tugend (sc. die der praktischen Menschen) nie vor Augen gekommen ist. Weder deren Klugheit, noch deren Tapferkeit, Mühe, Gefahren und Schweiß ist ihnen je in den Sinn gekommen, ihre göttlichen und unsterblichen Wohltaten haben sie nicht im Gedächtnis bewahrt. Page 18 - zuletzt bearbeitet von Administrator am 2010/11/24 17:42