Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione

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Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione
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Inhaltsverzeichnis
Zur Paginierung ............................................................................................................................................................................................................................
Zur Gliederung ..............................................................................................................................................................................................................................
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Essays - Uberto Foglieta, De Philosophiae et Iuris Civilis inter se comparatione
Vorwort und Widmung ................................................................................................................................................................................................................
Zur Rahmenhandlung .................................................................................................................................................................................................................
Sighicellus’ Kritik der Jurisprudenz aus humanistischer Perspektive: Sie ist ungelehrt und barbarisch. .......................................................
Foglietas Entgegnung ................................................................................................................................................................................................................
Die Rede des Sfondratus ..........................................................................................................................................................................................................
Der Konflikt zwischen Philosophie und Recht .................................................................................................................................................................
Die Verteidigung der Philosophen .......................................................................................................................................................................................
Die Anmaßung der Philosophie ...........................................................................................................................................................................................
Einwände gegen die Philosophie: (1) Die Ungewißheit philosophischen Wissens ............................................................................................
Von Stefan Heßbrüggen-Walter
Zur Paginierung
Paginierung korrupt: S. 16 vor S. 1, S. 17 folgt auf S. 8, Schmutzzettel steht vor S. 9, S. 46 trägt die Seitenzahl
49, S. 65 und S. 66 fehlen in der Paginierung (auf S. 64 folgt S. 67), S. 75 trägt (wie S. 73) die Seitenzahl 73
(unten numeriert als 73a), darauf folgt noch einmal S. 74 (unten numeriert als 74a).
Zur Gliederung
1.
1.
1.
1.
Vorwort und Widmung 1-5
Zur Rahmenhandlung 6
Sighicellus artikuliert die Kritik an der Jurisprudenz aus humanistischer Perspektive: Sie ist ungelehrt und
barbarisch: 7- 10
Foglietas Entgegnung 11-18
a. Die Rede des Sfondratus: Der Anspruch der Philosophen auf Überlegenheit ist unbegründet.
19-90Der Konflikt zwischen Philosophie und Recht 19-26
b. Die Verteidigung der Philosophie 27-33
c. Die Anmaßung der Philosophie 33-40
i. Einwände gegen die Philosophie 40-88 (die folgende Gliederung bezieht sich grob auf
Sfondratus’ eigene Zusammenfassung, 88)Philosophie führt nur zur Ungewißheit 40-50
ii. Handeln kann selbstzweckhaft sein. Die Verfügung über Wissen ist kein Privileg der
Philosophie. 51-56
iii. Es gibt kein natürliches Streben nach Wissen. 56-61
iv. Die menschliche Seele zeichnet sich durch “Größe” ( celsitudo aus.
v. Handeln ist der Kontemplation vorzuziehen. 71-78
vi. Der Nutzen der Klugheit 78-84
vii. Die vorgebliche Nützlichkeit der Philosophie und das Vergnügen an ihr 84-88
viii. Schluß 88-90
Vorwort und Widmung
1 Die Menschen haben sich immer mit dejenigen Kunstfertigkeiten und Lerninhalten befaßt, durch die sie zu
Ehren und Würde gelangen können. Sie haben immer jene Disziplinen mit Verachtung gestraft, die nicht zu
diesen oder zumindest ähnlichen Gütern (Dankbarkeit, Reichtum) verhelfen. Der Anlaß der Schrift ist die
Tatsache, daß in einem Zeitalter, in dem einerseits viele Menschen im ius civile den Weg zu höchsten Ehren
suchen, wohl weil das Recht auf die Mäßigung ( moderatio) des Menschen zielt, es dennoch immer noch einige
gibt, die sich auf die Beschäftigung mit der Philosophie verlegen und glauben, hier Mühe, Arbeit und Fleiß
aufwenden zu müssen.
Es gibt sogar Menschen (Foglieta nennt sie nicht ungelehrte, jedoch ungerecht), die jenen Teil der Jugend, der
das Recht studiert, von dieser Beschäftigung abbringen 2 und sie zur Befassung mit der Philosophie überreden
wollen. Dabei verkennen sie, daß die Philosophie weder die Befähigung zur Verwaltung des Staats vermittelt und
also auch nicht den Weg zu den damit verbundenen Ehren ebnet (bzw. der Weg zu einem solchen Amt für einen
Philosophen erheblich beschwerlicher ist).
Dem ius civile wird zum Vorwurf gemacht, daß es unmethodisch verfährt und keine sprachgewandten Autoren
aufweist und es nicht dazu reizt, sich mit ihm zu befassen. Foglieta hält diesen Vorwurf für unberechtigt. Die
Lektüre der Pandekten verdeutliche, daß es keine Disziplin gibt, die besser begründet, besser geordnet oder in
der Darstellung zugänglicher und kunstvoller sei. Verfehlungen der Ausleger dieser Texte seien auch in anderen
Disziplinen zu finden und sollten nicht ausschließlich der Jurisprudenz zur Last gelegt werden.
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Sofern eine solche Kritik von philosophischer Seite geäußert wird, ist sie schon deswegen unberechtigt, weil
Philosophen sich gar nicht mit dem Recht beschäftigen. Diese Beschäftigung berechtigt aber doch zur Hoffnung
auf Belohnung oder die mit der Führung des Gemeinwesens verbundenen Würden. 3 Philosophen sind vom
leeren Glanz des Namens ihrer Disziplin geblendet und haben deswegen keinen Blick für die Früchte, die die
Beschäftigung mit dem Recht tragen kann.
Foglietas Ziel ist es, die Würde der Gesetze dadurch zu verteidigen, daß der Vorrang des ius civile gegenüber
der Philosophie begründet wird. Zu diesem Zweck wendet er sich zunächst gegen einen naheliegenden
Einwand, den er als bloßen Streit um Worte ansieht. Man kann sich nämlich auf den Standpunkt stellen, daß das
ius civile als Teil der Philosophie anzusehen sei, weil die Philosophie mit der Erörterung aller göttlichen und
menschlichen Gegenständen befaßt ist, also nicht nur mit der Erforschung natürlicher Ursachen, sondern auch
mit Staatsangelegenheiten ( res civiles).
Dazu stellt Foglieta erstens fest, daß er dem Rechtskundigen ( iurisconsultus) gerne zugesteht, ein Freund der
Weisheit und damit im Sinne der Nominaldefinition von Philosophie ein Philosoph zu sein, denn der
Rechtskundige gehört zu den ersten unter den Weisen. 4 Zweitens gilt, daß Rechtskundige sich gelegentlich
selbst als Philosophen bezeichnen und von sich behaupten, die wahre Philosophie zu betreiben. Dies
widerspricht jedoch drittens dem alltäglichen Sprachgebrauch ( communis quotidianis sermonis usus), der zwei
Gattungen von Disziplinen unterscheidet, deren erste sich mit göttlichen und himmlischen Gegenständen und
allen Ursachen der Natur befaßt, außerdem über die Sitten der Menschen, die richtige Einrichtung des
Gemeinwesens und des Lebens streitet. Diese Gattung wird Philosophie genannt. Die zweite Gattung befaßt
sich ausschließlich mit Fragen, die die Öffentlichkeit und Rechtsprechung, das Gerechte und das Ungerechte
und die Auflösung rechtlicher Meinungsverschiedenheiten betreffen. Diese Gattung ist das ius civile. Für beide
Disziplinen existieren unterschiedliche Bildungseinrichtungen ( gymnasia publica). Wer eine von beiden betreibt,
ist in der anderen bloß Laie. Aus diesem Grund ist es tunlich, an der Unterscheidung von Recht und Philosophie
festzuhalten.
Auf diesem Hintergrund setzt sich Foglieta das Ziel zu zeigen, daß die kontemplativen Teile der Philosophie,
nutzlos und leer ( futilis et inanis) und eines hervorragenden Mannes unwürdig sind und daß hinsichtlich jener
Teile der Philosophie, die sich auf die Sitten und den Staat beziehen, die Bücher der Rechtskundigen sehr viel
geeigneter sind, die in diesem Bereich auftauchenden Fragen zu lösen. 5 Die praktische Philosophie ist überdies
nicht in der Lage, Ratschläge zu erteilen, die tatsächlich in der Praxis angewendet werden ( ad actionem
transferri) können. Man mag die Jurisprudenz als Teil der Philosophie bezeichnen. Das ändert aber nichts an
daran, daß, wenn Foglietas Argumentation erfolgreich ist, diese Disziplin der Philosophie im engeren Sinne
vorzuziehen sein wird. An diese sachlichen Erwägungen schließt Foglieta seine Widmung an Kardinal Madruzzo
(Madrutius) an.
Zur Rahmenhandlung
6 Foglieta bettet seine Darstellung verschiedener Standpunkte hinsichtlich des Verhältnisses von Philosophie
und ius civile in eine Rahmenhandlung ein. Während eines Festmahls kommen die folgenden Repräsentanten zu
Wort: Moronus (= Giovanni Morone, Kardinal, geb. Mailand 1509, gest. Rom 1580) ist der Gastgeber. Sighicellus
(= Giovanni Battista Sighicelli, Humanist aus Bologna, Bischof von Faenza ab 1562, gest. Bologna 1575), spricht
für die Philosophie, in der er nach Foglieta weit fortgeschritten ist. Gallesius (= Antonio Massa, Jurist aus
Gallese, geb. 1500, gest. 1568) gilt nach Foglieta als hervorragender Jurist, der zugleich mit großen
schriftstellerischen Fähigkeiten gesegnet ist. Sein Anteil an der Auseinandersetzung im hier kommentierten
ersten Buch ist allerdings zu vernachlässigen. Der größte Teil des Textes enthält eine Rede, die Sfondratus (=
Francesco Sfondrati, Jurist, geb. Cremona 1493, gest. 1550 ebd., Professor des Rechts in Bologna, Pavia und
Rom. legte nach dem Tod seiner Frau die geistlichen Gelübde ab, wurde Bischof von Sarno, Erzbischof von
Amalfi und Kardinal) zu Beginn des Wintersemesters in Padua gehalten habe, um die Studierenden von der
Richtigkeit ihrer Wahl zu überzeugen, sich auf die Rechte zu verlegen. Der Rede geht ein vom Gastgeber
Moronus geleitetes Zwiegespräch zwischen Sighicellus und Foglieta vorher.
Sighicellus’ Kritik der Jurisprudenz aus humanistischer Perspektive:
Sie ist ungelehrt und barbarisch.
7 Äußerer Gesprächsanlaß ist zunächst die an den Gastgeber Moronus gerichtete Frage des Sighicellus, ob
Foglieta – der die Begebenheit in der ersten Person erzählt – gut daran getan habe, alle edleren und
kunstvolleren Beschäftigungen aufgegeben und sich dem ius civile zuzuwenden. Sighicellus führt als ersten
Einwand gegen eine solche Entscheidung an, daß die wahre Mutter der Beredsamkeit, so die von ihm mit Horaz
und Cicero belegte These, die Philosophie sei.
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1.
1.
1.
1.
Foglietas Wendung zum Recht gefährde also seine Bildung, insofern diese mit Beredsamkeit (eloquentia)
gleichzusetzen ist. 8
Weder die Gelehrsamkeit des Rechts ( eruditio)
noch seine Würde ( dignitas)
oder das aus ihm zu ziehende Vergnügen ( delectatio) können einen solchen Wechsel der Beschäftigung
rechtfertigen.
ad 1) Das Recht gefährdet die Bildung, weil es eine niedrig stehende ( sordidus) Disziplin ist. Sie sollte von einer
lobenswerten und ruhmreichen Beschäftigung wie der Philosophie nicht ablenken können.
ad 2) Die Gelehrsamkeit ist dafür ebenfalls kein hinreichender Grund: Es gibt keine unwissenderen und weniger
gelehrten Männer als Rechtsgelehrte, die nicht über logisches Wissen bezüglich Definition und Schlußweisen (
dividendi aut ratiocinandi ars) verfügen, sondern vielmehr eine verworrene und barbarische Schreibweise
bevorzugen.
ad 3) Nicht die Würde der Gesetze selbst ist in Frage zu stellen, wohl aber die von dieser abzutrennende Würde
der Wissenschaft, die sich mit diesen Gesetzen befaßt. Sie widmet sich nämlich ausschließlich den dunkelsten
und geringsten Teilen dieser Gesetze, nämlich v. a. der Lehre von den Verträgen. Sie rede „de stipulationibus,
de mutuis, de depositis, de haereditatibus, de possessionibus, denique caeteris rebus, quae ad privatas
controversias pertinent“, nie aber über die Sitten der Menschen, die Tugenden, die Ruhe des Gemeinwesens,
den Krieg, den Frieden oder andere gewichtige Gegenstände, mit denen Staaten befaßt sind. Keine dieser
Fragen wird in der Lehre des Rechts berührt.
9 ad 4) Die große Menge unlesbarer Bücher, die die Rechtswissenschaft kennzeichnet, steht auch dem Gewinn
von Freude bei der Beschäftigung mit ihr im Wege. Sighicellus resümiert, daß wohl niemand das ius civile der
Philosophie vorziehen wird, wenn er vor die Wahl gestellt ist, sich mit einer der beiden Disziplinen zu befaßen.
Auch wenn Sighicellus kaum glaubt, daß gegen seine Position vernünftige Einwände möglich sind, führt er als
zusätzliche Autorität Cicero an, der häufig gegen die Rechtskundigen polemisiert habe. 10 Belege fänden sich
beispielsweise in der Rede für L. Murena. Sighicellus schließt seine Ausführungen mit dem Appell an Foglieta,
jene Mühe, die er bereits auf das ius civile verwendet hat, in künftigen Jahren der Philosophie zurückzuerstatten.
Eine Rückkehr des Rechtskundigen zur Philosophie habe berühmte Vorbilder. Sighicellus nennt Ariost, Petrarca
und Longeil (Longolius). Moronus merkt an, daß er nicht eher Sighicellus zustimmen wolle, als daß er von
Foglieta den Grund seines Entschlusses, sich der Rechtswissenschaft zuzuwenden, erfahren habe.
Foglietas Entgegnung
12 Foglieta eröffnet seine Darlegungen mit einer ausführlichen captatio benevolentiae, in der er u. a. darauf
verweist, daß Gallesius ihn zu seinem Entschluß bewegt habe. 13 In der Zeit, die er mit dem Erwerb
philosophischen Wissens zugebracht hat, ist ihm nicht deutlich geworden, mit welcher Notwendigkeit er auf
diesem Weg fortschreiten sollte. Er hat nichts kennengelernt, was ihm den Eindruck hätte vermitteln können, daß
in dieser Disziplin Großes zu erreichen ist. Er habe sich die Philosophie also nur oberflächlich ( summatim)
angeeignet, weil in ihr nichts zu finden war, was sie als überlegen gegenüber der Jurisprudenz hätte
auszeichnen können. Anderes gelte für die artes liberales, denn ein Rechtskundiger, der Rhetorik, Dialektik und
Mathematik nicht kennt, könne kaum als ein solcher gelten.
Foglieta wendet sich nun Sighicellus’ Vorwürfen gegenüber dem Recht zu. Zunächst widerspricht er Sighicellus’
Gleichsetzung von Philosophie und Beredsamkeit. Vielmehr hätten die Rechtskundigen im gesamten Weltkreis
die Stelle der Redner (also derjenigen, die durch öffentliche Reden die Staatsgeschäfte lenken oder
beeinflussen) eingenommen. Umgekehrt würden also gerade jene, die die Jugend vom Studium der
Rechtswissenschaft abbringen wollen, sie dadurch auch der Beredsamkeit entfremden.
Anders als Sighicellus meint, ist das Fach sehr wohl durch Gelehrsamkeit, Würde und Vergnügen
gekennzeichnet.
Die Gelehrsamkeit ( eruditio) des Rechts sei schon daran abzulesen, daß alles, was unter Menschen
Gegenstand eines Streitfalls werden kann, in den Zuständigkeitsbereich des Rechts falle. Es gebe keine andere
Angelegenheit ( res), die weiter gefaßt sei. 14 Weiterhin verweist Foglieta auf die oben vorgetragene
Entgegnung, der Fehler schlechten Stils werde von Auslegern anderer Schriften in allen Disziplinen begangen
und dürfe nicht allein dem Recht zur Last gelegt werden.
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Die Würde ( dignitasdes Rechts sei in der Fähigkeit zur Streitschlichtung zu suchen: Die wichtigsten und
weitreichendsten Fragen des Gemeinwesens würden auf der Basis des Rechts entschieden.
Die Freude (delectatio) dürfe beim Erwerb von Wissen keine Rolle spielen. Der mit diesem Erwerb verbundene
Ruhm werde nicht durch die Befriedigung von Bedürfnissen (voluptas), sondern durch Arbeit (labor) erworben.
15 Foglieta zieht den Vergleich zum Militärwesen: Ein Befehlshaber werde nicht durch die voluptas angeleitet.
Es sei bei weitem freudvoller und angenehmer ( iucundius et suavius) im Schatten und unter Rosen sowie in
Gesellschaft junger Mädchen seine Tage mit Scherzen, Gastmählern und fröhlichen Gesängen zuzubringen, als
unter der Sonne, im Staub mit dem Heer zu marschieren, die Schar (sc. der Soldaten) zusammenzuschließen,
sich dem Gemetzel und der beständigen Gefahr für das eigene Leben auszusetzen. Die voluptas der Besten (
summi viri) wird durch ein Leben in Ehrlosigkeit und Schande jedoch nicht befriedigt. Für den Ruhm eines
Unsterblichen nehmen sie Mühe, Schweiß und Gefahr auf sich. Wer große Dinge zustandebringen will, für den
hat die Freude kein oder nur sehr geringes Gewicht.
Inwiefern die Befassung mit philosophischen Fragen eine solche Freude einschließt, ist überdies ebenfalls
fraglich. Die Erforschung der Entstehung von Blitzen, Wolken oder Winden – sofern diese überhaupt sicher
erkennbar ist und nicht allein durch zweifelhafte Konjekturen gestützt werden kann – kann Foglieta nicht so sehr
begeistern wie die Lösung einer herausragenden und höchst verwickelten Rechtsfrage durch den besten Grund,
wie sie vom Rechtsgelehrten gelehrt werden kann.
Schließlich widmet Foglieta sich dem letzten Aspekt von Sighicellus Darlegungen, der Kritik der Jurisprudenz
durch Cicero. 16 Es habe in der römischen Kultur drei Kunstfertigkeiten gegeben, in denen die Römer
hervorstachen: das Militärwesen, die Redekunst und die Jurisprudenz. Ein einzelner Mann konnte jedoch
aufgrund der Endlichkeit des menschlichen Lebens und unserer Fähigkeiten nicht in mehreren dieser
Kunstfertigkeiten andere übertrumpfen. Deswegen haben die Römer gut daran getan, sich jeweils nur auf eine
dieser Disziplinen zu verlegen und die anderen lieber gar nicht als bloß unvollkommen zu erwerben. Dies habe
allerdings nicht dazu geführt, daß man diejenigen, die einen anderen Weg gewählt haben, deswegen verachtet
hätte. Cicero habe folglich alle seine Liebe der Beredsamkeit zugewendet, deswegen aber stehe nicht
anzunehmen, daß er Jurisprudenz und Militärwesen verachtet habe. 17 Diese These wird durch ausführliche
Cicero-Exegese belegt. 18 Sie mündet in die These, daß Cicero Philosophie lediglich als Zeitvertreib angesehen
habe, während er der Befassung mit öffentlichen Angelegenheiten den Vorrang eingeräumt hat. Weiterhin sei
anzunehmen, daß Cicero die Philosophie nicht um ihrer selbst willen, sondern deswegen gelobt habe, um durch
ihr Lob den Ruhm der Beredsamkeit zu mehren.
Die Rede des Sfondratus
19 Moronus unterbricht das Gespräch und erwähnt, daß Kardinal Franciscus Sfondratus ihm, weil er ihn über
diesen Gegenstand öfter befragt habe, vor seiner Abreise aus Rom eine Rede überlassen habe, die er als junger
Mann in Padua zum Beginn des Wintersemesters gehalten habe. In dieser Rede werde die Philosophie auf das
heftigste beschimpft, während die Vorzüge des ius civile wortreich gelobt würden. Die Gesprächsrunde kommt
überein, diese Rede gemeinsam zu studieren.
Der Konflikt zwischen Philosophie und Recht
20 Sfondratus legt zunächst seine Motivation dar: Die jährliche Rede zur Eröffnung des Studienjahres sollte
üblicherweise dem Lob der Jurisprudenz gewidmet sein. Er sieht sich jedoch gezwungen, einen anderen Weg
einzuschlagen und von dieser Tradition abzuweichen. 21 Er müsse den Tadel und die bösen Worte anderer über
das Fach zurückweisen und widerlegen, um zu zeigen, warum das Studium des Rechts allem anderem
vorzuziehen ist. Hiervon verspricht er sich für die Zukunft der Jurisprudenz einigen Nutzen. Es sei nämlich
gefährlich, wenn junge Menschen durch Betrug oder den Glanz des Namens, den die Philosophie hat, sich zur
Philosophie bekehren ließen oder fortgeschrittene Studierende des Rechts in ihrem Bemühen nachließen, weil
sie nicht glaubten, daß dieser Disziplin Würde zuzusprechen sei, weil das Recht sich nicht mit großen und
wichtigen Gegenständen befasse und nicht zur Lenkung des Gemeinwesens geeignet sei. 22 Während –
beispielsweise in Rom und Sparta – Philosophen durch Gesetze aus dem Gemeinwesen entfernt worden seien
und umgekehrt die Blüte der Philosophen immer mit dem Verfall des Gemeinwesens einhergegangen sei, nimmt
Sfondratus für die Philosophen seiner Zeit an, daß sie sich dann richtig behandelt fühlen, wenn umgekehrt
Gesetze sie ‘in das Gemeinwesen weisen’ (also das Gemeinwesen durch Gesetze zur Annahme von
Philosophen verpflichtet wird). Solchen Unverschämtheiten müsse ein Ende bereitet werden, zumal Philosophen
inzwischen nicht nur bei ungebildeten Männern ( imperiti homines), sondern auch bei Führern bzw. Fürsten (
principes) Gastfreundschaft genössen und die Bewunderung für ihre Lehre einheimsten.
Sfondratus beklagt die Verweigerung einer ernsthaften Auseinandersetzung seitens der Philosophen. Es gebe
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keine andere Gattung von Menschen, die, wenn man mit ihnen über das Verhältnis von Philosophie und Recht
disputiert, statt der Benutzung ihrer Vernunft lediglich immer das gleiche Lied parat haben, um den Streit
auszufechten. Während die Rechtskundigen von ihnen beschimpft werden, machen sie sich selbst gleichsam zu
Göttern ( se vero Deos prope faciunt), weil sie angeblich die gesamte Kraft der Natur, alle göttlichen und
menschlichen Dinge in einer Wissenschaft zusammenfassen und behaupten, sogar zur Erkenntnis Gottes
vorgedrungen zu sein. Sie hielten sich dauernd in den Himmeln auf, begriffen dort die Ursachen der Dinge und
die Macht ihres hervorragenden Wissens ( studia praeclara) löse sie von der menschlichen Natur los und mache
sie zu Teilhabern der göttlichen Natur ( participes Divinae ( sc. naturae)).
23 Sfondratus merkt ironisch an, daß die Schönheit himmlischer Dinge und der tägliche Umgang mit diesen den
Philosophen dennoch nicht davon abhalte, sich auch um menschliche Angelegenheiten zu bekümmern. Da er
sich seinen Mitmenschen durch einen Teil seines Wesens noch verbunden fühlt (denn er glaubt nicht, die
menschliche Natur ganz abgestreift zu haben), unterbricht er für die angesichts ihres Unwissens
Bedauernswerten die Kontemplation und steigt von den Himmeln herab, zerstreut die Schatten der
Unwissenheit, beseitigt die Irrtümer, denen unser Leben in vielfacher Hinsicht unterliegt, zeigt den Weg zum
gelingenden Leben ( vita beata), stellt uns in hellstem Licht das höchste Gut vor und nachdem er die Wilden einst
zu menschenwürdigem Leben geführt und seine Mitmenschen, die wie umherirrende Schafe lebten, aus den
Wäldern in die Städte gerufen hatte, gestaltete der Philosoph die Sitten und legte Gesetze fest. Insgesamt gilt,
daß wir weder Jupiter noch den anderen Göttern ähnliche Wohltaten verdanken, wie sie uns der Philosoph
erwiesen hat.
Würden die Philosophen sich mit dem Eigenlob ihrer Disziplin zufrieden geben und auf die Beschimpfung der
Rechtskundigen verzichten, könnte man dies schweigend erdulden, selbst wenn dieses Eigenlob nur auf
zweifelhafte Mutmaßungen gegründet ist. 24 Sfondratus streicht demgegenüber die Verdienste der
Rechtskundigen heraus. Sie führen das Gemeinwesen. Sie werden in die innersten Zirkel der höchsten Könige
gerufen. Ihnen obliegt die Verwaltung von Provinzen und die Sorge für alle menschlichen Angelegenheiten. Sie
dienen als Schiedsrichter, um alles, was von allen getan wird, zu entscheiden. Ihnen gebühren Macht, Ehre,
Ämter, die Dankbarkeit der Führer bzw. Fürsten, ihnen ordnen sich selbst Priester unter. Ihre Arbeit und ihr Fleiß
ermöglichen große Vorteile für alle Menschen. Ihnen wird Würde und Autorität in dem Maße, wie es von
Menschen verliehen werden kann, zuerkannt. Trotz dieser Angelegenheit werden Rechtskundige von
Philosophen durch Worte und Beredsamkeit besiegt.
Es ist nach Sfondratus’ Ansicht insbesondere die Aufgabe der Italiener, das ius civile gegen üble Nachrede zu
verteidigen, weil es in Rom und Italien entstanden, entwickelt, bestätigt und vervollkommnet worden ist. 25 Die
Jurisprudenz ist in Rom entstanden, gewachsen und verfeinert worden. Keine andere Disziplin sei der römischen
Weisheit und Ernsthaftigkeit angemessener. Während nämlich in Griechenland die einen Ideen erträumten, die
anderen – was zu bemitleiden ist – neugierig die Prinzipien und Ursachen der Natur untersuchten, wieder andere
andere unnütze Angelegenheiten betrieben, aber nichts zustandebrachten, was zum glücklichen Leben gehört,
während auch einige in den Schulen Gemeinwesen erfanden, mit erlogenen Gesetzen und Einrichtungen, die auf
keine Weise der Praxis (usus) der Menschen angepaßt werden konnten, verschwendeten die weisesten Männer
ihre Zeit nicht mit solchen Nichtigkeiten, sondern richteten allen Fleiß, alle Mühe und alles Lernen auf jene
Sache, die die Auflösung von Streitigkeiten, die Eintracht der Bürger, ihr friedliches Zusammenleben und das
Heil des Gemeinwesens enthielt. 26 Alle wichtigen Rechtsgelehrten der jüngeren Zeit sind Italiener gewesen.
Daraus leitet Sfondratus die patriotische Pflicht ab, weiter an der Vervollkommnung des Rechts zu arbeiten und
gegen die Philosophen die Reihen zu schließen.
Die Verteidigung der Philosophen
27 Dies wiederum nötigt dazu, die Grundlage der Überlegenheitsansprüche der Philosophie genauer zu
verstehen. Diese Grundlage ist die Behauptung, der Philosoph würde göttliche Gegenstände und die wichtigsten
Gegenstände der Natur betrachten können. Zu dieser Behauptung nehmen Philosophen Zuflucht, sie wird von
ihnen am hartnäckigsten verteidigt. Jene Disziplin ist den Philosophen zufolge die ruhmreichste und
hervorragendste, die sich mit den ruhmreichsten Gegenständen beschäftigt. Dies ist die Philosophie. Jede
Disziplin mag dies für sich in Anspruch nehmen, aber die Philosophen sind diejenigen, die insgesamt und mit
besonderer Radikalität diesen Anspruch aufstellen.
Andere Kunstfertigkeiten beschäftigen sich jeweils mit einem Ausschnitt menschlicher Angelegenheiten (res
humanae): der Redner befasst sich mit der öffentlichen Behandlung der Gründe des Handelns insgesamt, der
Befehlshaber hält die Feinde von den Grenzen des Vaterlands fern, weitere untergeordnete Kunstfertigkeiten
bieten den Gemeinwesen ebenfalls einen Teil der in ihnen erforderlichen Dienste an. Der Philosoph hingegen hat
einen Geist, der nicht so gering und klein ist, daß er sich mit derart untergeordneten Dingen befassen würde. Ein
Antrieb, der aus göttlichem Geist erwächst ( Divinae mentis impulsus), bzw. die Kraft einer für bei weiterem
wichtigere Dinge erzeugten Erkenntnisgabe ( ingenii ad longe praeclariora nati vis) kann sicht nicht lange bei
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derart niedrigen Gegenständen aufhalten und sich an sie verschwenden. Nachdem die Philosophen die Sorge
um menschliche Angelegenheiten den übrigen überlassen haben, entfleuchen ( evolant) sie in die Erforschung
des Himmels. Dort erkennen sie die gesamte Kraft der Natur, die Ursachen himmlischer Dinge, die wirkende
Natur und erlangen Kenntnis des besten und größten Gottes ( Dei ipsius Optimi maximi notitiam). 28 Im gleichen
Ausmaß, in dem himmlische Dinge den irdischen, die ewigen und unveränderlichen den im Fluß befindlichen und
zufälligen, die göttlichen den menschlichen überlegen sind und Gott selbst den Menschen überragt, übertrifft die
Philosophie und die Kontemplation himmlischer Gegenstände alle anderen Kunstfertigkeiten und Lehren.
Überdies zwingen uns die Philosophen ihre Auffassungen über das höchste Gut und die Glückseligkeit (
beatitudo) des Menschen auf: Sie sei zweigetteilt und beide Teile unterschieden sich nicht nur der Gattung nach,
sondern auch dem Grad und der Größe nach. Hervorragender, göttlicher und glücklicher sei man mit eher jener
Glückseligkeit, die die Philosophen selbst aufweisen, als mit jeder anderen. Dies beruht auf der Annahme, daß
es im Menschen zwei unterschiedliche intellektuale Kräfte gibt: Die Fähigkeit zur Kontemplation ist dabei die
edlere, also gilt dies auch für den mit dieser Tätigkeit verfolgten Zweck. Dieser Zweck ist die Wissenscahft
(scientia) göttlicher Gegenstände. Wird diese erworben, ist die daraus resultierende Glückseligkeit bei weitem
edler, als jene Glückseligkeit, die durch die Betätigung des anderen Bestandteils unseres Intellekts, also durch
das Handeln, erworben werden kann, deren Zweck im Erwerb bzw. der Ausübung ( usus) moralischer Tugenden
besteht.
Aus dieser These folgt, daß diejenigen den Göttern die liebsten ( charissimi) sein müßten, die sich ihnen am
weitesten nähern und die Göttern am ähnlichsten werden, was in erster Linie auf die Philosophen zutrifft. Die
beste Handlung (opus) Gottes selbst besteht darin, sich selbst zu verstehen, zu erkennen und zu betrachten (
contemplari). Diese Handlung ist sogar wichtiger als die Sorge um himmlische und menschliche Dinge oder
deren Regelung ( administratio), Anleitung ( gubernatio) und Mäßigung ( moderatio).
Wenn nun aber gilt, daß die fehlende Verehrung Gottes als Unfrömmigkeit (impietas) gilt, die Schädigung von
Menschen, die den Göttern lieb und teuer sind, als Verbrechen, die Gleichsetzung mit Höherem als Dummheit
und Überheblichkeit, ist die Sache der Philosophen so beschaffen, daß der Fromme sie nicht verachten, der
Gute sie nicht schädigen, der Weise und Bescheidene sie auf jeden Fall verehren und seiner eigenen Betätigung
vorziehen muß.
29 Weiterhin gilt, daß einige Dinge ihren Zweck in sich selbst tragen, andere wegen anderer Dinge erstrebt
werden. Die ersteren sind wertvoller. Handlungen werden nämlich notwendigerweise um eines Zwecks (hier: res)
willen ausgeführt, der außerhalb der Handlung liegt. Wissen über die Natur wird von uns jedoch erstrebt, damit
wir wissen, also um seiner selbst willen. Das Wissen selbst ist sowohl Endpunkt (terminus) des Aktes wie auch
Beschaffenheit ( modus) seines Trägers (also des Wissenden). Deswegen sollen wir nicht von Gelehrten lernen,
sondern von der Natur selbst, uns nicht von Beweisführungen, sondern durch die Kraft der Natur selbst
überzeugen lassen, nicht durch Disputationen forschen, sondern durch die Aufforderung der Natur sie selbst
verstehen. Alle Menschen verfügen nämlich über die Begierde zu wissen und zu erkennen ( sciendi
cognoscendique cupiditas). Nichts ist also so eigentümlich für die menschliche Natur wie das Wissen. Die Natur
strebt immer zum Besten, insofern liegt auf der Hand, daß Wissenschaft die beste Sache ist. Hieraus erklärt sich
auch der Vorrang des Gesichtsinnes vor allen anderen Sinnen. Kontemplation ist also deswegen so viel wert,
weil durch sie der Mensch er selbst ist.
Alle anderen Fähigkeiten haben wir mit den Tieren gemeinsam, während der Intellekt uns Menschen
eigentümlich ist. Kontemplation ist jedoch Tätigkeit ausschließlich des Intellekts. In allen anderen Tätigkeiten des
Menschen sind hingegen Fähigkeiten ausschlaggebend, die wir mit den Tieren gemeinsam haben. Auch Tiere
suchen Futter, nähern sich dem, was ihnen hilft und lehnen ab, was ihnen schadet, achten auf ihr Wohlergehen,
haben die Zukunft im Blick, rächen Unrecht, schmeicheln auch häufig den Menschen und bewirken alles, was zur
Erhaltung ihres Zustands zuträglich ist. Man kann also nicht verneinen, daß sie handeln, auch wenn das
menschliche Handeln in vielen Teilen vollkommener ist. Dennoch weist es Anteile tierischen Verhaltens auf (
aliqua ex parte bestiarum esse). 31 Der Abstand zwischen Kontemplation und Handlung entspricht also dem
Abstand zwischen Mensch und Tier (und nicht nur, wie oben gezeigt, zwischen Gott und Mensch).
Diese Argumentation erlaubt allerdings den Schluß, daß das Handeln nützlicher ist als die Kontemplation und die
Wissenschaft. Nach Ansicht der Philosophen bemißt sich jedoch die Würde nicht nach der Nützlichkeit.
Nützlichkeit trägt nicht nur zur Würde nichts bei, vielmehr behaupten Philosophen, daß die Nützlichkeit der
Würde von Dingen abträglich sei. Der Begriff des Nützlichen enthält nämlich, daß nützlich nur ist, was wegen
etwas anderem erstrebt wird. Dies gilt auch für Handlungen, während Wissenschaft und Kontemplation um ihrer
selbst willen erstrebt werden.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob nicht der Handwerker höher zu schätzen ist als Archimedes, weil er im
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Gegensatz zum Wissenschaftler mit vielfältigen Leistungen dem Gemeinwesen mehr nützt als jemand, der die
herausragende Kraft seines Geistes dazu genutzt hat, ein Modell des Planetensystems ( sphaera, in qua varias
coelestium orbium conversiones expressit) herzustellen. Wer nicht über entsprechende Fähigkeiten verfügt, dem
mag es vorkommen, als ob Archimedes selbst in die Himmel aufgestiegen sei. Für entsprechend Begabte ist
eine solche Leistung jedoch leicht und gewöhnlich. 32 Außer dem Wissen selbst ist von der Kontemplation und
Wissenschaft göttlicher und himmlischer Gegenstände jedoch kein weiterer Ertrag zu erwarten. Wir würdigen
vielmehr jene, die Gesetze, durch die Menschen angeleitet werden überliefert haben, Sitten, die zu einem
gelingenden Leben führen, eingeführt haben, wenn nicht sogar eher jene, die, nachdem sie himmlisches Wissen
erreicht haben, es auf die Erde hinunterführen und menschliche Angelegenheiten dem Maßstab der himmlischen
Dinge entsprechend angeleitet und eingerichtet haben. Denn wir haben von anderen Männern mehr Bücher und
Schriften eines hervorragenden Autors über Gesetze, Sitten und schließlich die Grundlegung eines gelingenden
Lebens insgesamt als von Philosophen.
Grund hierfür ist, daß, wie auch in der Kontemplation himmlischer Gegenstände man sich nicht auf einen Teil
beschränkt, sondern das Ganze betrachtet, Philosophen auch in der Behandlung menschlicher Angelegenheit
sich selbst treu bleiben und alles, was zum menschlichen Leben gehören mag, in ihren Disputationen und
Lehren erfassen. Das menschliche Handeln wird zwar von anderen, die es dem Lob der Philosophen entziehen,
gründlich erörtert, aber die Empfehlung der Philosophen gilt dennoch als die wichtigste. Sie drücken dies so aus,
daß aus Quellen vielerlei Flüsse strömten. Dies führt dazu, daß in ihren Augen alle, die nur eine Kunstfertigkeit
beherrschen, als Unwissende anzusehen sind: So gibt der Rechtskundige zwar Gesetze, der Redner lehrt
Beredsamkeit, die Senatoren verwalten das Gemeinwesen, Befehlshaber sind kundig im Militärwesen, alle aber
sind Schüler der Philosophen. Denn Philosophen nehmen es auf sich, ein Gemeinwesen als ganzes zu
entwerfen und sich nicht mit der Ausarbeitung eines Teils begnügen. Deswegen sind jene, die einzelne
Kunstfertigkeiten durch die Lehre der Philosophen erlernt haben, selbstverständlich zu Dank verpflichtet.
Die Anmaßung der Philosophie
33 Philosophen wehren sich gegen solche Kritik, indem sie eine solche Furcht vor dem Himmlischen erzeugen,
daß niemand wagt, diese irdischen Götter vom Himmel herabzuholen. In Wahrheit jedoch muß man staunen,
warum Männer über der Beschäftigung mit solch kindischen Dingen ergraut sind – und dies gilt sowohl für
vergangene Zeiten wie für die Gegenwart. Daß es sich bei der Philosophie tatsächlich um erträumte Gründe
(somnia rationum) und um Phantastereien (deliramenta) handelt, soll in zwei Schritten gezeigt werden. Erstens
soll der Vorrang der Kontemplation vor dem Handeln widerlegt werden. Zweitens soll gezeigt werden, daß die
Leistungen der Philosophie hinsichtlich der Anleitung unseres Handelns nicht so lobenswert sind wie diejenigen
anderer Disziplinen.
34 Der erste für den Vorrang der Kontemplation vorgetragene Grund besagt, daß sie sich jenen göttlichen
Gegenständen widmet, die im Vergleich zu menschlichen Angelegenheiten des Handelns vorrangig sind (s. o.,
27). Sfondratus wendet ein, daß nicht nur der Rang des Gegenstandes für die Beurteilung des Status einer
Disziplin eine Rolle spielt, sondern auch die Art und Weise seiner Behandlung erwogen werden muß. Er erläutert
dies am Beispiel des Vergleichs eines römischen Centurios oder Reiters mit Hannibal. Erstere würden dem
Feldherrn der Karthager nicht vorgezogen, obwohl sie mit der Verwaltung eines hervorragenderen
Gemeinwesens befaßt waren. 35 Genauso wenig würden diejenigen, die in verschiedenen Funktionen mit der
Heilung des menschlichen Körpers befaßt sind, dem Rechtskundigen vorgezogen, der mit der Sicherung des
menschlichen Schicksals betraut ist. Auch würden wir den Maler nicht dem Feldherrn vorziehen, auch wenn
letzterer ausschließlich mit menschlichen Angelegenheiten betraut ist, während ersterer durchaus auch Götter
zum Gegenstand seiner Tätigkeit macht. Schließlich könnte Sfondratus sich auch entschließen, ein Gedicht über
würdigere Gegenstände als die Irrtümer des Odysseus oder die Ankunft des Aeneas in Italien zu verfassen, ohne
daß er deswegen schon in den Rang eines Homer oder Vergil aufstiege. Deswegen sollen die Philosophen nicht
nur zeigen, daß sie sich mit göttlichen Dingen befassen, sondern auch, was der Grund dieser Beschäftigung ist
und wie dieser sich mit dem Handeln vergleichen läßt, ob also die Befassung der Philosophen mit göttlichen
Gegenständen das gleiche erreicht, was Handlung und Klugheit in menschlichen Angelegenheiten
bewirken. 36 Diese bewirken nämlich den Erlaß von Gesetzen, die Unterrichtung der Bürger in den besten
Sitten, die Eintracht und Ruhe des Gemeinwesens, die Abhaltung von Feinden von den Grenzen des Vaterlands
und schließlich die Vermittlung alles dessen, was zur guten und glücklichen Lebensführung befähigt.
Die Beschäftigung der Philosophen kann im Bereich der göttlichen Gegenstände nicht das gleiche leisten: Sie
beeinflußt nicht die Bewegungen der Himmelskörper, die ewig und unveränderlich sind und auf unfehlbaren und
sicher geltenden Gesetzen beruhen. Sie besänftigt auch nicht die Mißhelligkeiten oder den Zorn der Götter,
denen solche Verwirrungen fremd sind. Die unendliche Weisheit Gottes bedarf keines Ratschlags und sendet
aus eigener Kraft allen Menschen den Geist guten Handelns. Auch wenn das Militärwesen im Gemeinwesen der
hervorragendste Teil ist, wird deswegen nicht der einfache Soldat Führern des Gemeinwesens wie Quintus
Mutius Scaevola oder Servus Sulpitius vorgezogen.
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37 Nur dann, wenn Philosophen in der Kontemplation dasselbe oder mehr zustandebringen wie der
Befehlshaber oder der Jurist hinsichtlich des Handelns, dürfen sie in Anspruch nehmen, jenen hinsichtlich ihrer
Würde gleich bzw. überlegen zu sein. Das heißt, daß die Philosophen die Himmelskörper und ihre Bewegungen
müßten ‘herstellen’ ( fabricare) können. Sie müßten überdies in der Lage sein, diese gleichmäßigen
Bewegungen anzuleiten und zu mäßigen ( regere et moderare) derart, daß ohne ihre Anleitung die himmlischen
Bewegungen sofort in Unordnung geraten.
Da dies nicht möglich ist, betragen sich Philosophen wie diejenigen, die, weil die Herrschaft von Königen die
edelste ist, glauben, daß sie Juristen und militärischen Befehlshabern dadurch überlegen sind, 38 daß sie
wissen, wieviele Untertanen und Provinzen von einem König regiert werden, wieviel Abgaben und Reichtum er
besitzt, wie groß die von ihm befehligte Flotte ist und wieviele Soldaten er ernährt. Wer all dies erkannt hat, hat
jedoch keine Berechtigung, sich aufgrund dieses Wissens demjenigen überlegen zu fühlen, der tatsächlich
Soldaten befehligt. In Wahrheit ist derjenige einem solchen Befehlshaber überlegen, der Gesetze erläßt,
Männern Ehren verleiht, Völker regiert, Beamte ernennt oder Steuern einfordert, weil er eine würdige Sache
unter sich hat.
Gegen die Philosophen ist zusätzlich in Rechnung zu stellen, daß sie die von ihnen versprochene Leistung gar
nicht erbringen, weil sie lediglich mutmaßen und kein sicheres Wissen erlangen, wie Foglieta bald zeigen wird.
Es ist also Hochmut ( arrogantia), sich denjenigen überlegen zu fühlen, die mit sehr viel Mühe und Gefahren sich
um menschliche Angelegenheiten sorgen und sie lenken. Es ist Anmaßung ( temeritas) zu glauben, man habe
als Philosoph teil an göttlicher Glückseligkeit und Ähnlichkeit mit Gott, weil auch Gott sich selbst versteht und
deswegen glückselig ist. Foglieta hält diesen Anspruch für völlig abwegig, da die Philosophen den selbst
gesteckten Erkenntniszielen gar nicht gerecht werden.
39 Die Anmaßung der Philosophen wird durch eine Parabel weiter verdeutlicht. Ein Einzelner hat ein Schiff
gebaut und fordert alle anderen Mitglieder des Gemeinwesens, die durch ihr Tätigsein zu dessen Wohlergehen
beitragen, auf, sich nicht länger mit niedrigen Pflichten zu plagen, sondern das glücklichste Leben, das den
Menschen möglich ist, in kurzer Zeit zu erreichen. Alle werden ihre Pflichten aufgeben und diesem Versprechen
folgen. Ihnen wird von einer Insel vorgeschwärmt, auf der alle Bedürfnisse des Menschen auf das vollkommenste
erfüllt würden, keine Angst und Einsamkeit zu erwarten sind. Ein solches Schiff würde jeder besteigen. Wenn
jedoch zu sehen ist, daß dieses Schiff unvollkommen gebaut ist, den Stürmen auf See nicht standhalten kann,
daß schon viele Wahnsinnige zuvor dasselbe versucht haben, aber keiner von ihnen einen sicheren Kurs halten
konnte und daß niemand je eine solche Insel selbst zu Gesicht bekommen hat 40 und daß jene, die einen
solchen Versuch unternommen haben, im Sturm untergegangen oder durch andere Fehler vom Weg
abgekommen sind, werden sie einen solchen Menschen lachend wegschicken.
Einwände gegen die Philosophie: (1) Die Ungewißheit philosophischen Wissens
Zunächst zum Argument aus der allgemeinen Vernunft. Foglieta geht aus von der Prämisse, daß es zwei Wege
zur Erkenntnis des zuvor Unbekannten gibt: Erstens jenen Weg, durch den aus der Ursache die bewirkte Sache (
res effecta) deduziert wird. Dieser Beweisgrund ist unveränderlich ( stabilis) und verläßlich ( constans) und kann
nicht bezweifelt werden. Zweitens jenen Weg, auf dem Ursachen aus Wirkungen erschloßen werden. Dieser
Weg erfordert Nachforschen ( investigatio), ermöglicht aber nur die Ausbildung von Meinungen ( opinio) bzw. von
Einstellungen, die der Wahrheit lediglich ähnlich sind, aber kein sicheres Wissen. Dieser zweite Weg ist es, der
von den Philosophen beschritten werden muß, um zur Erkenntnis göttlicher Gegenstände ( notitia rerum
divinarum) und der Erkenntnis der Natur ( cognitio naturae) zu gelangen.
41 Philosophen, die diesen zweiten Erkenntnisweg verteidigen, behaupten damit also dasjenige sicher zu
erkennen, was von den eigenen Sinnen am entferntesten ist. Hinsichtlich dessen, was wir unter den Händen
haben ( quae inter manus versantur) und die direkt unserer sinnlichen Wahrnehmung zugänglich sind ( quae sub
aspectum et caeteros sensus cadunt) können Philosophen jedoch keinerlei Einigkeit erzielen ( nihil inter vos
constet). Diese Fragen sind vielmehr Gegenstand ausführlicher Streitigkeiten. So behaupten einige
Philosophen, das Sehen beruhe auf der Übertragung von Formen, die von den Dingen hervorgebracht werden
und zu den Augen gelangen. Andere behaupten, daß vom Auge ausgehende Strahlen Bilder erzeugen, die von
den Dingen ausgehen. Der Tastsinn soll nach der Meinung der Philosophen entweder im Herzen, in den Nerven
oder an einer anderen Stelle des Körpers angesiedelt sein. Ob die Hohlvene ( vena cava) aus dem Herzen oder
der Leber entspringt, hat durch die invasive Behandlung von hunderttausenden von menschlichen Körpern (
centenis millibus humanis corporibus incidendis) bislang nicht schlüssig geklärt werden können. Gleiches gilt für
den Ursprung der Nerven entweder im Herzen oder im Gehirn, 42 die Quelle und den Ursprung des Lebens, die
Beschaffenheit des Schlafes und aller weiteren Sinnesfähigkeiten des Menschen. Strittig ist weiterhin die Rolle
der Frau in der Erzeugung des Nachwuchses, ob sie lediglich passive Empfängerin des männlichen Samens ist
oder ob sie gemeinsam mit dem Mann an der Fortpflanzung beteiligt ist.
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Angesichts dieser Uneinigkeit ist schwer einzusehen, warum Erkenntnis derjenigen Gegenstände, die von
unseren sinnlichen Fähigkeiten am weitesten entfernt sind, sicherer soll gelingen können als die Erkenntnis
derjenigen Gegenstände, hinsichtlich derer wir über Erfahrungserkenntnis verfügen. Sfondratus referiert eine
Verteidigung des Aristoteles, derzufolge es befriedigender sei, eine begehrte Frau zu betrachten und den Rand
ihrer Kleider zu berühren, als mit einer anderen zu verkehren ( frui). 43 Dieser Verteidigung hält er entgegen, daß
mit gleichem Recht die Liebe zu allen Dingen, die in den Bereich des Handelns fallen, verteidigt werden kann
(vermutlich da ja niemandem vorzuschreiben ist, in wen er sich verliebt).
In Wahrheit, so Sfondratus, muß diese Geschichte anders erzählt werden. Anzunehmen sind zwei Männer, von
denen der eine in Liebe zu einer wunderschönen Frau entbrannt ist, diese umarmt und küsst, und jedes
Verlangen erfüllt, das durch eine Frau befriedigt werden kann. Der andere ist in der Lage, diese Frau zu
gewinnen, verschmäht sie jedoch und richtet seinen ganzen Geist allein auf das Denken an diese Frau und gerät
so in jene Geistesverfassung, wie sie für Dichter kennzeichnend ist, die von Circe oder Calypso verführt worden
sind. Diesem Tagtraum fügt er eine Insel hinzu, auf der immer Frühling herrscht, auf der Bauten aus Gold und
Elfenbein errichtet worden sind, die alle nur denkbaren Verlockungen und Vergnügungen beherbergen und die
von Nymphen und der Königin der Liebe, Venus, selbst bewohnt werden. Die Göttin selbst wünscht er zu
besitzen und trachtet danach, seine Kräfte durch einen Trank zu stärken, damit keine Erschöpfung der Wollust
sein Vergnügen unterbricht. Durch diesen Tagtraum wird er jedoch vollständig ermüdet und zu Recht von allen
dafür verlacht, auch wenn dieser Traum sich auf wunderschöne Gegenstände bezieht, die jedoch völlig
außerhalb unserer Reichweite liegen. 44 Sein Widerpart, der sich geringere Ziele steckt, diese aber tatsächlich
erreichen kann, wird hingegen von allen gutgeheißen.
Sfondratus erwägt die Hypothese, daß Philosophen hinsichtlich himmlischer Gegenstände, die außerhalb der
Reichweite der menschlichen Sinne liegen, ein höheres Maß an Übereinstimmung erreicht haben und eine über
die Jahrhunderte hinweg beständige Meinung, die von keinem Zweifel angegriffen werden kann, ihren Glauben
geeint hat. Für die voraristotelische Zeit kann dies sicher verneint werden. Weder über Gott selbst, noch die
Prinzipien der Natur, das Wesen der Dinge, ihre Ursachen oder die Seele des Menschen konnte Einigkeit
hergestellt werden. Sind aber mit Aristoteles diese Auseinandersetzungen nicht zum Erliegen gekommen?
Sfondratus verneint diese Annahme und verteidigt die These, daß Aristoteles ebenfalls nur unzureichende
Theorien dieser Gegenstandsbereiche vertritt. 45 So könne er nicht hinreichend genau erklären, was erste
Materie, aus der doch alles bestehen soll, überhaupt ist. Materie als solche sei weder dieses, noch jenes, noch
irgendetwas anderes. Die Behauptung, dasjenige, was sich seiner eigenen Erkenntnisfähigkeit verschließt, sei
prinzipiell unerkennbar, hält Sfondratus für anmaßend. Gleiches gelte für den Begriff der Form, von der zwar
feststehe, daß sie Dinge zu dem mache, was sie sind, deren eigene Beschaffenheit anderen jedoch nicht
vermittelt werden kann. Was eine privatio sei, also ein Nichtsein, ist dann vermutlich noch schwerer einzusehen,
wenn schon die Erklärung dessen, was ist, also der Materie und Form, unklar bleibt. Dies ist schon daran
abzulesen, daß hinsichtlich der privatio unter den Gefolgsleuten des Aristoteles große Uneinigkeit herrscht - wie
auch in der Frage, ob die Materie der Himmel und die Materie der sublunaren Welt miteinander identisch sind
oder nicht.
Schließlich ist zu beachten, daß nicht nur die aristotelische Lehre selbst hinsichtlich ihrer Prinzipien unklar ist,
sondern daß nach Aristoteles weitere philosophische Schulen existiert haben, die ihrerseits nicht mit ihm
übereinstimmen.
46 Zu den klügsten dieser Schulen sind die akademischen Skeptiker zu zählen, die allen derart unsicheren
Angelegenheiten ihre Zustimmung verweigerten. Ihre Furcht war ihnen ein besserer Ratgeber als jedes Lob der
Klugheit. Iihre Bescheidenheit, dem Hochmut der Zustimmung entgehen zu wollen, ist lobenswert. Ob die Mühe
und der Eifer, mit dem sie Dinge erforscht haben, die nicht gewußt werden können, weise angewendet gewesen
ist, steht zu bezweifeln.
Als nächstes erörtert Sfondratus Belege der antiken Überlieferung, die die Philosophie in Frage stellen. Platon
(nach Simplikios) habe die Naturphilosophie als Wissenschaft des Wahrscheinlichen (eikotologia) bezeichnet. An
anderen Stellen wird sie als leeres Gerede (mataiologia) eingestuft. Xenophon überliefert, daß Sokrates
behauptet habe, kein weiser Mann würde über etwas disputieren, was nicht zu den öffentlichen Angelegenheiten
oder den Sitten und dem Leben der Menschen gehört. 48 Als Beleg wird eine längere Passage aus den
Memorabilia zitiert. Sie verweist ebenfalls auf die Meinungsverschiedenheiten der Vorsokratiker: Für manche gab
es nur ein Seiendes, für andere unendlich viele, manche glaubten, alles sei immer in Veränderung begriffen,
andere schlossen die Existenz von Veränderung aus, behaupteten, daß alles entstehe und vergehe oder
verneinten die Existenz des Entstehens und Vergehens. 49 Sfondratus verweist auch auf Athenaeus von
Naukratis (Deipnosophisten XIII.92), der die Vertreibung der Philosophen aus Attika und Sparta schildert.
Angesichts dieser Befunde sind die Philosophen aufgefordert, die Quelle der von ihnen behaupteten spezifisch
philosophischen Glückseligkeit zu benennen. In Anbetracht der Tatsache, daß auch Nichtphilosophen den
Donner hören, schmecken, daß das Meer salzig ist und die Umläufe der Himmelskörper sehen, ist schwer
einzusehen, warum derjenige, der die Ursachen dieser Erscheinungen kennt, einen größeren Teil der
Glückseligkeit erlangt als der Unwissende, fast so als ob das Verständnis dieser Ursachen, also die
entsprechende Wissenschaft gleich viel wert sei wie Urheber und Herr dieser Erscheinungen zu sein. Sfondratus
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bekennt, sowohl die aristotelische Lehre in De Caelo wie auch die Naturphilosophie und die Metaphysik studiert
zu haben. All dieses Wissen erschien jedoch müßig ( nugatorius) und er ist dadurch nicht glückseliger geworden.
Wäre er durch dieses Wissen heiliger geworden und hätte so seinen Glauben beweisen können, hätte er nicht
gezweifelt. 50 Durch die Phantastereien ( deliramenta) der Philosophen ist Glückseligkeit jedenfalls nicht zu
definieren.
Grund hierfür ist, daß Aristoteles nur anzugeben weiß, was Gott nicht ist, nicht jedoch versteht, was genau er ist.
Sfondratus vertritt die stärkere These, daß Gott zu jenen Dingen gehört, die wir auf keine Weise (also wohl auch
nicht via negationis) verstehen können. Deswegen sei nicht einsichtig zu machen, daß die Betrachtung eines
solchen Dings, das allen Versuchen der Erkenntnis entgeht ( effugiat), zu unserer Glückseligkeit beiträgt. Es gibt
nämlich keinen Unterschied zwischen dem Versuch der kontemplativen Erkenntnis Gottes, und sei es nur auf
dem Wege der Verneinung, und der Betrachtung eines Fabelwesens ( chimaera), auf das der Geist als ganzes
ausgerichtet wird.
(2) Wissen ist kein Privileg der Philosophie
51 Außerdem bestreitet Sfondratus die Annahme, daß, was um seiner selbst willen gesucht wird, würdiger sei als
dasjenige, was wegen etwas anderem gesucht wird. Um dies zu begründen, muß zunächst gefragt werden, ob
man innerhalb derselben Betätigung ( negotium) rgumentiert oder bezogen auf eine andere, ob also mit anderen
Worten Wissen gesucht wird, um anderes Wissen zu erlangen, oder Wissen gesucht wird, um einen außerhalb
des Wissens überhaupt liegenden Zweck zu erreichen. Für den ersten Fall wird zugestanden, daß Wissen, das
nicht für die Erlangung anderen Wissens, sondern um seiner selbst willen gesucht wird, würdiger ist als Wissen,
für das dies nicht zutrifft. Für den zweiten Fall, daß also Wissen, das um seiner selbst willen gesucht wird, eo
ipso würdiger ist als Wissen, das für praktische Zwecke genutzt werden kann, erhebt Sfondratus entschieden
Einspruch. 52 Ein Schreiner baut ein vollkommen ausgeführtes Gebäude genauso um seiner selbst willen wie
der Schneider um seiner selbst willen einen vollkommenen Rock schneidert. Würde die Annahme des
Philosophen zutreffen, so müßte ein solches Handwerk höher geschätzt werden als die Leistung eines
hervorragenden Militärtribuns, weil diese Leistung in keiner Weise um ihrer selbst willen erbracht wird, sondern
einzig dazu dient, dem Befehlshaber des Heeres den Weg zum Sieg zu bahnen. In Wahrheit muß der Schneider
eines solchen Tribuns als diesem untergeordnet angesehen werden. Hätte der Philosoph recht, so müßte eine
um ihrer selbst willen gesuchte Wissenschaft der Bienen und Ameisen hervorragender sein als die Tätigkeit
eines Senators, der das Wohl des Gemeinwesens sucht.
53 Indes sind nicht menschliche Handlungen an sich gerade Gegenstand der Auseinandersetzung, auch wenn
Sfondratus am Rande anmerkt, daß keine menschliche Aktivität, und also auch nicht die Suche nach Wissen, um
ihrer selbst willen unternommen wird. Um die These des Philosophen zu widerlegen, ist vielmehr nun von der
vollkommensten Handlung des Menschen zu sprechen. Handlungen, so die Position der Philosophen, können
jedoch nicht vollkommen sein, weil sie immer zur Erfüllung eines außer ihnen liegenden Zwecks unternommen
werden: Der Befehlshaber kämpft nicht tapfer, um lobenswert zu kämpfen, sondern um den Sieg zu erringen. Der
Jurist gibt nicht um seiner selbst willen rechtlichen Rat, sondern will vor Gericht dazu verhelfen, daß seine Sache
gewinnt.
Sfondratus kündigt an, genau diese Argumente zur Widerlegung der Position des Philosophen zu nutzen, ihn
also mit seinen eigenen Waffen schlagen. 54 Ausgangspunkt der Argumentation ist die Unterscheidung des
göttlichen höchsten Guts ( summum bonum divinum) und des menschlichen höchsten Guts ( summum bonum
humanum). Ersteres wird durch Kontemplation erreicht, letzteres durch die Übung der Tugend ( usus virtutis).
Und in dieser Übung der Tugend, der einzigen menschlichen Aktivität, die tatsächlich um ihrer selbst willen
unternommen wird, liegt der letzte Zweck aller menschlichen Angelegenheiten ( res humanae).
Um dies zu begründen, ruft Sfondratus zunächst Aristoteles’ Unterscheidung zwischen menschlichen Tätigkeiten,
die wegen eines außerhalb ihrer selbst liegenden Ziels unternommen werden, und Tätigkeiten, die ihr Ziel in sich
selbst tragen, ins Gedächtnis. Realisierungen unserer Tugenden gehören in die zweite Kategorie: Wer
tugendhaft handelt, tut dies, ohne darüber hinaus einen weiteren Zweck zu erfüllen. Deswegen muß, wer
tugendhaft handelt, glücklich genannt werden.
Dies wird durch eine reductio begründet: Wenn die Einlassung des Philosophen zuträfe, daß im Bereich des
Handelns alles um einer anderen Sache willen getan wird und einzig die Kontemplation um ihrer selbst willen
vollzogen wird, müßte folglich der tugendhafte Mensch, der klug, gerecht oder tapfer handelt, noch etwas
außerhalb der Tugend liegendes zustandebringen, wenn sein Handeln als ein Ausübung der Tugend gelten soll.
Der Erfolg unserer Handlung kommt als ein solches Kriterium nicht in Frage, denn er hängt, anders als ihre
Tugendhaftigkeit, sehr viel eher vom Schicksal ( fortuna) als vom Handelnden ab. 55 Tapfere Feldherren wie
Lucius Aemilius Paullus oder Hannibal werden in Ehren gehalten, weil sie berühmte und tapfere Männer waren,
von denen höchste Tugend erwartet werden durfte, auch wenn sie eine Schlacht oder einen Krieg verloren
haben. Der Einfluß des Schicksals auf den Erfolg ihres Handelns spielt demgegenüber bei der Einschätzung
ihres Werts keine Rolle. Gleiches gilt für den hervorragenden Redner, dessen Ruhm nicht geschmälert wird,
wenn seine Sache bei denen, die darüber zu entscheiden haben, nicht den Sieg davonträgt. Tugend ist nämlich
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alleine unsere Angelegenheit ( virtus in nobis sita est) und hängt von nichts Äußerem ab.
56Jede Pflicht ist also Selbstzweck. Wäre dem nicht so, wäre menschliche Glückseligkeit und den Zweck
menschlicher Tugend vom Schicksal abhängig. Glückseligkeit ist hingegen, genau wie der Sieg des Feldherrn
und die vom Senator hergestellte Ruhe und Eintracht des Gemeinwesens, nicht der Zweck, sondern die Frucht
der Tugend.
(3) Es gibt kein natürliches Streben nach Wissen
Als nächstes setzt Sfondratus sich mit der These der Philosophen auseinander, daß allen Menschen die
Begierde nach Wissen von Natur aus angeboren sei. Deswegen, so die Argumentation weiter, sei die
Kontemplation die dem Menschen eigentümliche Tätigkeit ( proprium hominis opus). Sfondratus führt
demgegenüber an, daß diese Begierde zu wissen, sich auf die verschiedensten Gegenstände bezieht und nicht
einsichtig ist, warum gerade die Tätigkeit des Philosophen das Proprium des Menschen ausmachen soll, denn
der Mensch wird von der Natur mit der Neigung zu verschiedenen Dingen versehen. 57 Für seine Person
verneint Sfondratus jede Begierde, sich mit derart überflüssigen Dingen abgeben zu wollen. Jeder, der sich auf
die richtige Art und Weise mit einer Kunstfertigkeit oder Wissenschaft befassen will, wird vom unbändigen Willen
( ardor)erfaßt, sie bzw. die mit ihr zusammenhängenden Gegenstände möglichst vollständig zu erkennen. Dies
ist aber eine allen Kunstfertigkeiten und Wissenschaften zuzusprechende Eigenschaft. Es gibt keinen Grund,
warum die Philosophen hier gewichtigere Ansprüche geltend machen können als der Feldherr, der Jurist, der
Redner, der Dichter, der Schiffsführer, der Maler oder der Handwerker – erst recht nicht, wenn man sich
vergegenwärtigt, daß sie nicht erkennen, sondern erschließen (coniicere), nicht verstehen, sondern vermuten (
suspicari), nicht gründlich wahrnehmen, sondern wahrsagen ( divinare), nicht Gewißes behaupten, sondern auf
gut Glück sprechen ( fortuita loqui).
58Philosophen entgegnen, daß in allen nichtkontemplativen Fällen von Wissen dieses Wissen nicht um seiner
selbst willen, sondern zur Erfüllung eines außerhalb des Wissens liegenden Zwecks gesucht wird. Dieses
Wissen hat also ausschließlich dienende Funktion für das Handeln und hat deswegen nicht die gleiche Würde
wie das um seiner selbst willen gesuchte theoretische bzw. kontemplative Wissen. Einzig die Philosophen
begreifen, daß es nichts Schöneres und nichts Herausragenderes gibt als das um seiner selbst willen gesuchte
Wissen. Sofern Wissen dem Handeln und dessen Nützlichkeitserwägungen untergeordnet wird, wird es hingegen
seiner Freiheit beraubt.
Sfondratus bestreitet die These, daß Begehren ( appetitus) des Menschen ihm von Natur aus um des erstrebten
Dings willen ( ob eam ipsam rem, quam appetit) eingepflanzt worden sind. 59 Daß Menschen Dinge wissen
wollen, ist keine hinreichende Begründung für diese These. Denn es gilt, zwischen den Zwecksetzungen
desjenigen, der Wissen erwerben will, und dem objektiven Zweck dieses Wissenserwerbs zu unterscheiden.
Dinge mögen um ihrer selbst willen erstrebt werden ( propter se ipsa quaeruntur), sind deswegen aber nicht
zwangsläufig (objektiv) ihr eigener Zweck ( neque tamen sui ipsa fines sint). Sfondratus erörtert dies anhand des
Geschlechtstriebes ( appetitus venereae coniunctionis). Der objektive Zweck dieses Triebs ist die Fortpflanzung
und die fortdauernde Erzeugung menschlicher Nachkommenschaft. Dennoch wird die Erfüllung dieses Triebs in
den allermeisten Fällen ( saepissime) nicht um dieses natürlichen Zwecks willen, sondern um ihrer selbst willen
begehrt. Es gibt keine Begierde, der die Menschen glühender ( ardentius) folgen und von keiner sinnlichen Lust (
libido) werden sie stärker bewegt. Dies führt dazu, daß der größte Teil der Menschen weder das Schamgefühl (
pudor) noch die Gesundheit ( valetudo) beachtet und diesen Trieb folglich nicht in die Schranken weist. Selbst
fromme Menschen werden durch die Stärke dieses Triebs gezwungen, heilige Gesetze zu verletzen und alle
menschlichen und göttlichen Rechtssetzungen für unwichtig zu erachten. Weder die Verehrung der Götter, noch
der Beruf, noch das andächtige Gebet, weder Verwandtschaft noch Freundschaft können dann den Verstand
anleiten. 60 Dies ist der Fall, weil die Natur die geschlechtliche Vereinigung ( coniunctio venerea) mit so viel
Wollust durchtränkt hat ( perfundit), daß keine sinnliche Wahrnehmung freudiger stimmt ( ut nullius rei sensus sit
iucundior). Sfondratus fragt rhetorisch, wieviele Menschen wohl an Fortpflanzung denken, wenn sie von dieser
Lust entzündet werden und von dieser Hitze von Sinnen sind. Weder Prostituierte noch die Ehefrauen fremder
Männer noch die Nachkommenschaft der eigenen schwangeren Gattin werden von den Menschen erstrebt,
sondern die Wollust. Umgekehrt verschmäht die schwangere Frau den Beischlaf des Mannes nicht, sondern
begehrt ihn vielmehr sehr viel heftiger, weil durch die größere Wollust ihre Sinne sehr viel stärker gereizt werden.
Es erscheint kaum denkbar, das Erlernen und das Begehren des Wissens ( studium et cupiditas sciendi) für
stärker als diese Lust anzusehen. Dies kann auch von Philosophen nicht bestritten werden. Deswegen steht fest,
daß dasjenige, was vom Menschen um seiner selbst willen erstrebt wird, dennoch ihm von der Natur wegen einer
anderen Sache zugeteilt worden ist. Auch die anderen Begehren des Menschen werden also, auch wenn sie uns
von der Natur zur Erreichung eines Zwecks mitgegeben worden sind, für die Erlangung von Wollust mißbraucht.
Da also das Argument der Begierde nach Wissen um seiner selbst willen auch auf viele andere Begehren des
Menschen angewendet werden kann, ist es nicht geeignet, eine Sonderstellung der Philosophie bzw. der
Kontemplation zu begründen. 61 Es erscheint vielmehr denkbar, daß auch dieses Streben des Menschen
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ausgelöst wird durch die sinnliche Reizung ( titillatio) entweder unserer Sinneswahrnehmung ( sensus) oder
desjenigen Teils unserer Seele, der für kognitive Leistungen ausgebildet ist und also der Trieb des Menschen zu
wissen aus einer süssen Erregung der Seele und einem daraus erwachsenden Antrieb ( impulsus) entsteht.
Sfondratus hält es für eine weitsichtige und weise Einrichtung ( providens et sapiens consilium) der Natur, daß
sowohl in der Sexualität wie auch bei der Suche nach Wissen die Menschen der Illusion unterliegen, daß diese
Handlungen um ihrer selbst willen vollzogen werden. Denn beide sind in höchstem Maße nützlich. Die Sexualität
dient der Erhaltung des menschlichen Geschlechts, die Suche nach Wissen der richtigen Verwaltung aller Dinge,
die auf das Handeln bezogen sind. Unsere Sinne und unser Verstand werden durch die Wollust und Süße, die
uns aus diesen Handlungen erwächst, durch einen sehr heftigen Antrieb auf diese Ziele gelenkt.
(4) Die menschliche Seele zeichnet sich durch ‘Größe’ (celsitudo) aus
62 Als letzter Grund für den Vorrang der Philosophie ist vorgebracht worden, daß sie die beste Betätigung
desjenigen Teils des Menschen ist, der ihn von den Tieren unterscheidet, nämlich unseres
Erkenntnisvermögens. Einzig die Kontemplation kommt uns also zu, weil wir Menschen sind, während alle
anderen Tätigkeiten von uns verrichtet werden, weil wir Lebewesen ( animantes) sind. In gleichem Maße, wie der
Mensch das Tier an Würde übertrifft, übertrifft also auch die Kontemplation alle anderen Tätigkeiten des
Menschen. Wer so argumentiert, übersieht jedoch, daß die menschliche Erkenntniskraft nicht nur auf die
Kontemplation, sondern auch auf weitere Wissenschaften angewendet wird. 63 ies gilt beispielsweise für die
Geometrie, die Arithmetik, die Astrologie, die Dichtkunst und die Historiographie. Sie alle sind Betätigungen
unserer menschlichen Erkenntnisbegabung ( ingenium intelligentiaque). Sofern also alle diese Tätigkeiten des
Menschen ebenfalls als Realisierung dessen anzusehen sind, was uns vom Tier unterscheidet, bricht das
Argument in sich zusammen.
Unabhängig davon stellt sich allerdings die Frage, ob es wirklich unsere Erkenntnisbegabung ist, die uns von den
Tieren unterscheidet. Dies ist von einigen bezweifelt worden. 64 Plutarch hat dieses Problem in De industria
animalium ausführlich abgehandelt. Für Sfondratus’ Beweisführung ist eine definitive Festlegung der eigenen
Position nicht erforderlich. Jedoch erwägt er die Möglichkeit, daß Mensch und Tier sich nicht kognitiv, sondern
hinsichtlich der Verfassung ihrer Seele unterscheiden und dem Menschen im Gegensatz zum Tier ‘Seelengröße’
( celsitas) zuzusprechen ist, die im Streben nach Macht, Würde, Ruhm und Überlegenheit wurzelt. Für dieses
Streben findet sich im Tierreich keine wirkliche Entsprechung, da dort weder Kämpfe noch Zorn dadurch
ausgelöst wird, daß ein Tier ein anderes zu übertreffen trachtet. Tierisches Verhalten zielt vielmehr einzig auf die
unmittelbare Befriedigung von Bedürfnissen. 67 [Die Seitenzahlen 65 und 66 fehlen.] Selbst der Löwe, dem
solche Seelengröße am ehesten zuzubilligen wäre, kämpft nicht, um sich andere Tiere zu unterwerfen, während
die Götter den Menschen ein solches Bestreben zu herrschen mitgegeben haben und es kein Zeitalter, kein
Geschlecht, keine (soziale) Ordnung und kein Volk gegeben hat, das von diesem Streben ausgenommen wäre.
68 Alle Menschen verwenden viel Mühe, Fleiß und Anstrengung ihres Geistes darauf, hervorragende
Kunstfertigkeiten zu erwerben und auf diese Weise dieses Streben nach Ruhm und Übertreffen des anderen zu
befriedigen. Dies gilt auch für die Philosophen, die in Wahrheit ihre Forschungen gerade nicht um ihrer selbst
willen anstellen, sondern vielmehr ihren Namen zur Geltung bringen wollen. Selbst jene, die über die
Verächtlichkeit des Ruhms geschrieben haben, setzten schließlich ihren Namen auf das Buch. Damit
unterscheiden sie sich nicht von Menschen, die sich dem ius civile, der Redekunst, der Dichtkunst oder den artes
mechanicae zugewendet haben.
Fragt man Menschen, ob sie lieber König oder Philosoph sein wollen, wird man niemanden finden, der das
philosophische Leben vorziehen würde. 69 Dies gilt selbst für die Philosophen, die von sich sagen, daß sie den
Göttern am ähnlichsten sind. Auch im Entwicklungsgang des Menschen bestätigt sich diese Behauptung:
Knaben, in denen unsere Anlagen noch unverbildet zu Tage treten, sind kaum in der Lage, sich über längere Zeit
dem Wissenserwerb zuzuwenden. Auch ist zu beachten, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde erschaffen
hat und, um diese Ebenbildlichkeit den Menschen begreiflich zu machen, Propheten berufen hat, die die
Herrschaft des Menschen über alle anderen Lebewesen verkünden. Und während die Bildnisse von Aristoteles
oder Platon keinen Betrachter zu Tränen rühren, konnte Julius Caesar vor einer Statue Alexanders des Großen
die Tränen nicht zurückhalten.
70 Die Philosophen, insbesondere jene, die zur richtigen Lebensführung anleiten wollen, betrachten es
anscheinend als ihre Aufgabe, den Menschen von der Erfüllung dieses Bedürfnisses abzubringen. Das aber
heißt nichts anderes als den Menschen von den ihm wesentlichen Zielen und Bedürfnissen ablenken zu wollen,
also von dem, wodurch sie zuallererst ( in primis) Menschen sind.
(5) Handeln ist der Kontemplation vorzuziehen.
71 Für die von Sfondratus als Proprium des Menschen ausgewiesene Seelengröße ist die vom Philosophen
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empfohlene Kontemplation bedeutungslos. Auch zur Würde des Menschen trägt sie nichts bei. Sfondratus
behauptet deswegen den Primat der Handlung und der Klugheit als der durch Gründe angeleiteten Handlung.
Durch die Klugheit wurden Städte gegründet und die Menschen aus den Wäldern, wo sie wie wilde Tiere
herumirrten, zusammengerufen. Sie gab dem Leben eine menschliche Gestalt. Sie hat Gesetze, hervorragende
Institutionen und die besten Sitten hervorgebracht. Sie hat jedem Land zugeteilt und Gerechtigkeit und Frieden
gelehrt, indem sie zeigte, wie Menschen ohne Unrecht miteinander leben. Streitigkeiten wurden durch Klugheit
entweder auf dem Wege der Beredsamkeit oder mit Waffengewalt geschlichtet. Klugheit hat die Zukunft im Blick
und ordnet die Gegenwart. Sie veranlaßt die Menschen zur Ausübung der Tugend und bewirkt, daß sie ein
gelingendes Leben führen ( beatitudinem efficit).Durch sie erhalten wir die Gaben der Natur und alles, was durch
ihre Wirkungen hervorgebracht wird.
72 In Wahrheit ist es also das an Nützlichkeit orientierte Leben, das den Menschen vergöttlicht. Dies ist daran
abzulesen, daß jene Helden, die menschliche Angelegenheiten gut verwaltet haben, Städte gegründet und
Gesetze erlassen haben, in die Schar der Götter aufgenommen worden sind. Sfondratus nennt Jupiter, Herkules
Aeneas, Minos und Romulus als Beispiel. Für gründliche Erforscher der Ursachen und Prinzipien der Natur ist
ähnliches nicht bekannt. Vielmehr gibt es keine Ähnlichkeit zwischen den Träumen ( somnia) der Philosophen
und der vollkommenen Selbsterkenntnis Gottes. Die Philosophen können für diese Behauptungen auch keine
Gewährsmänner anführen. Denn es ist unfromm anzunehmen, man könne hinsichtlich göttlicher
Angelegenheiten überhaupt definitive Aussagen machen, die über das hinausgehen, was er selbst uns offenbart
hat. Sfondratus selbst sieht weder, daß Gott Kontemplation ausübt, noch kann er verstehen, was darunter
überhaupt zu begreifen ist. Er sieht in Gott Vorsehung ( providentia) und Ordnung ( moderatio). Also ahmen ihn
jene nach, die klug zu handeln trachten und sich nicht leerer Beschäftigung ( inane studium) hingeben.
73 Die Philosophen behaupten, daß die Betrachtung seiner selbst die beste Aktivität Gottes sei und
insbesondere vollkommener sei als Klugheit und die Ordnung und Lenkung menschlicher Angelegenheiten.
Denn während sich diese praktische Dimension göttlichen Wirkens auf äußere Gegenstände bezieht, bleibt er in
der Betrachtung seiner selbst bei sich.
Sfondratus hält dieser Beweisführung entgegen, daß Gott und Mensch aus unterschiedlichen Gründen handeln.
Unterschiedliche Handlungszwecke können deswegen nur für den Menschen, nicht jedoch für Gott angenommen
werden. Die von den Philosophen behauptete Asymmetrie zwischen Denken und Handeln existiert für Gott
folglich nicht: Alles, was aus Gott hervorgeht, wird auch auf ihn bezogen, so daß die Annahme irrig ist, Gottes
Handeln sei gegenüber der Betrachtung seiner selbst defizient, weil es auf ihm äußerliche Gegenstände
bezogen ist. 73a Im zehnten Buch der Nikomachischen Ethik verneint Aristoteles zudem explizit, daß die Götter
handeln oder für ihre Lebensführung der Tugenden bedürfen. Weil sie aber lebendig sind und deswegen nicht
völlig unveränderlich sein können, setzt er das Leben der Götter mit Kontemplation gleich. Die aristotelische
Position hat zur Folge, daß weder die Himmelsbewegungen noch die Veränderungen des Wetters, die
Bewegungen der Elemente, die Fruchtbarkeit der Erde oder die Fortpflanzung des Menschen auf göttlichen
Beistand angewiesen sind. Foglieta konstatiert, daß Aristoteles die göttliche Natur dem Wesen des Menschen
nachbildet. Für den Menschen nämlich kann angenommen werden, daß er, wenn er nichts tut, nichts betrachtet
und mit ihm nichts geschieht, wohl tot ist. Für Gott hingegen ist es denkmöglich, daß in ihm neben der
Betrachtung seiner selbst sechshundert weitere Dinge existieren können. Der Philosoph kann keinen
Gegengrund zur Widerlegung dieser Hypothese vorbringen.
Aber selbst wenn man den Vorrang der Kontemplation zugesteht, ist für den Philosophen nichts gewonnen.
Denn der Philosoph muß annehmen, daß Kontemplation für Gott und den Menschen dasselbe meint. Das aber
heißt, daß aus einem etwaigen Vorrang der Kontemplation für Gott nicht ein gleicher Vorrang für den Menschen
abzuleiten ist. Kontemplation ist für den Menschen vielmehr eine leere, vergebliche und lügenhafte
Angelegenheit. Denn was Gott gestattet ist, muß dem Menschen deswegen nicht auch schon erlaubt sein. Dafür
gibt Sfondratus zwei Gründe an: Erstens ist Gott für die Kontemplation nicht auf diskursives Denken (
ratiocinatio) angewiesen und vollzieht sie deswegen irrtumsfrei. 74a Für die Menschen gibt es hingegen keinen
Weg, zu derart göttlichem Wissen zu gelangen. Denn, wie Foglieta oben gezeigt hat, liefert der Aufstieg von
Wirkungen zu Ursachen ( ratio ratiocinandi ab effectis ad causas) kein unveränderliches, sicheres oder
ausreichend erforschtes Wissen. Dies ist Zeichen unserer kognitiven Unzulänglichkeit (imbecillitas). Diese wird
verstärkt durch die Uneinigkeit der Philosophen. Denn diese können sich nicht einmal hinsichtlich dessen einig
werden, was uns täglich vor Augen steht und mit dem wir täglich zu tun haben.
Aber selbst wenn man annähme, daß Philosophen diesen Dissens überwinden und dem Menschen ein solches
Wissen, wie es die Philosophen versprechen, zugänglich ist, ist der Kontemplation die von den Philosophen
behauptete Würde abzusprechen. Die dem Menschen zugängliche Kontemplation unterscheidet sich nämlich
von derjenigen, zu der Gott befähigt ist, nicht nur quantitativ (selbst wenn man einen unendlichen Abstand
zwischen beiden annimmt), sondern qualitativ, also der Art nach ( specie). 75 Die Glückseligkeit Gottes ist
nämlich darin begründet, daß er in der Kontemplation seiner selbst, wie die Philosophen selbst zugestehen, sein
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eigenes Wesen und also etwas wahrnimmt, das nicht vollkommener gedacht werden kann – und dies auf
vollkommene Art und Weise. Vom Menschen kann Gottes Wesen hingegen nur unvollkommen, nämlich durch
Verneinung erkannt werden. Selbst durch tägliches Nachdenken ( meditatio) und Forschen ( investigatio) kann
der Mensch nur feststellen, daß Gott keinem Ding, das wir sehen oder an das wir denken, gleich ist, sondern von
allen anderen Dingen losgelöst und abgetrennt ist und ihm nichts zustoßen kann und nichts eigentümlich ist, was
allen anderen Dingen eigentümlich ist oder zustoßen kann (soll heißen: Keines der Akzidenzien und keines der
Propria des Menschen kann auf Gott zutreffen). Es gibt also – und dies ist den Philosophen entgangen – keinen
Grund der Ähnlichkeit
( ratio similitudinis) zwischen Kontemplation des göttlichen Wesens durch Gott und Kontemplation des
Menschen. Gott erkennt sich selbst vollkommen und nicht-diskursiv, der Mensch ist auf zudem noch
unzulängliches diskursives Denken ( imbecillissimum ratiocinandi genus) verwiesen.
Der Anspruch der Philosophen, den Menschen gottähnlich zu machen, ist ebenfalls zweifelhaft. Sehr viel eher
steht zu vermuten, daß jene dieses Ziel erreichen, die menschliche Angelegenheiten klug und gerecht zu ordnen
suchen. Dies ist den Menschen von Gott auch offenbart worden. 77 Daß die Philosophen im Gegensatz
dasjenige, was Gott vor uns zu verbergen gesucht hat (nämlich sein eigenes Wesen) für erkennbar halten, kann
nur als Unverschämtheit (temeritas), Hochmut (arrogantia) und Kühnheit (audacia) angesehen werden. Dies wird
schon durch die Vertreibung aus dem Paradies belegt. Die Philosophen scheinen jedoch – gegen Gottes Gebot
– genau diesen Ort suchen zu wollen. 78 Etwas suchen zu wollen, was man nicht finden kann, ist jedoch der
Ausdruck völligen Irrsinns ( extrema dementia). Außerdem führt diese Suche zu einer völligen Unwissenheit (
inscitia) hinsichtlich der res humanae.
(6) Der Nutzen der Klugheit
Sfondratus formuliert selbst einen Einwand gegen diese These: Auch die praktische Klugheit sei bei der
Entscheidung von komplexen Angelegenheiten überfordert, was an der Uneinigkeit der Beratenden (
consulentes)abzulesen sei. Auch in der Klugheit gebe es viele Wege des Irrtums aber nur einen, der zur
Wahrheit führt. Sfondratus widerlegt diesen Einwand zunächst durch den Hinweis auf die Nützlichkeit der
Klugheit, die im Gegensatz zur vorgeblichen Nützlichkeit der Kontemplation nicht bestritten werden kann. Auch
wenn sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht immer erfüllen kann, kann ihre Wohltätigkeit ( benignitas) bei der
Entscheidung vieler unterschiedlicher Angelegenheiten nicht in Frage gestellt werden.
Außerdem ist der Einwand ungenau: Entweder wird nämlich Klugheit und Handlung mit der unsicheren
Grundlegung ( incerta ratio) der KOntemplation verglichen. Oder es wird darauf hingewiesen, daß menschlicher
Ratschluß ( consilium humanum) gelegentlich sein Ziel verfehlt, weil dies vom Schicksal ( fortuna) verhindert
wird. 79 Im ersten Verständnis ist der Einwand unbegründet, weil die Fruchtlosigkeit der Kontemplation bereits
erwiesen worden ist, die Leistungsfähigkeit der Klugheit jedoch nicht bestritten werden kann. Sie hat Städte
gebaut, sie mit Einwohnern versehen, die allerheiligsten Gesetze begründet, durch die über Jahrhunderte hinweg
den Menschen ein friedliches und glückliches Leben ermöglicht worden ist und den Menschen insgesamt so
viele Wohltaten erwiesen, daß es nicht falsch ist, sie in göttlichen Ehren zu halten. Sofern das zweite Verständnis
zugrundegelegt wird, ist anzumerken, daß das Scheitern klugheitsbasierter Entscheidungen nicht klugen
Menschen anzulasten ist, sondern vielmehr der mißlichen condition humaine ( humanarum rerum dolenda
conditio). So werfen wir einem Schiffsführer auch nicht deswegen Unfähigkeit vor, weil ein Sturm ihn vom
eingeschlagenen Kurs abgebracht hat. In gleicher Weise darf durch das Schicksal zugefügtes Unrecht nicht
klugen und in entsprechenden Kunstfertigkeiten (also Fähigkeiten zur Regelung unseres Handelns)
beschlagenen Männern zur Last gelegt werden.
Jedoch verneinen die Philosophen, daß die Nützlichkeit einer Fähigkeit irgendetwas zu ihrer Würde bzw. ihrem
Wert beizutragen habe, und behaupten, daß Nützlichkeit hier sogar eher abträglich sei, denn was nützlich ist,
existiere um einer anderen Sache willen (das Mittel ist also mit anderen Worten immer weniger wert als das Ziel).
80 Sfondratus macht demgegenüber den Standpunkt des gesunden Menschenverstands geltend, daß gerade
die Nützlichkeit den Wert einer Sache bestimmt. Dies gilt für die Leistungen des Gesetzgebers, des Redners, des
Rechtsgelehrten und des Befehlshabers. Und auch die Tugenden werden gelobt, weil sie nützlich sind. Sie
werden nämlich nur durch Nützlichkeit hervorgerufen. Denn Tugenden ermöglichen erst das Zusammenleben der
Menschen, während es durch Untugenden zerstört wird. Selbst wenn wir aber von tugendhaften Menschen
keinen Nutzen hätten, wären sie dennoch unserer Verehrung und unserer Erinnerung würdig. 81 Dennoch gilt,
daß eine Tugend, die nicht auf die Nützlichkeit der tugendhaften Handlung zielt, lächerlich ist: Ein tapferer Mann,
der sich den Speeren der Feinde entgegenwirft, würde von uns für wahnsinnig gehalten, würden wir nicht die
Nützlichkeit seines Handelns für das Vaterland in Rechnung stellen, während wir für sich genommen,
denjenigen, der die Feinde flieht und sein eigenes Heil bedenkt, loben würden.
82 Sfondratus resümiert noch einmal ausführlich die Nutzlosigkeit der Philosophie und folgert aus ihr, daß jene,
die sich von der Liebe zu solchen Forschungen ergreifen bzw. besser gesagt durch Wahnsinn verdorben worden
sind, sich lieber die Augen ausstechen und sich des Blicks in den Himmel berauben würden, um nicht durch die
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Schönheit des Gesehenen von ihrem Denken, auf das sie ihren Geist ausgerichtet haben, abgebracht zu
werden. 83 Die Philosophen selbst geben zu, daß sie lieber auf das Augenlicht verzichten würden als geistig zu
erblinden ( mentem caecam gerere). Sfondratus selbst glaubt eher, daß sie sich durch solche Forschungen
selbst um das Licht (sc. der Erkenntnis bringen).
(7) Nützlichkeit und Vergnügen der Philosophie
Aus diesen Erwägungen leitet er die Aufforderung ab, den Nutzen ihrer eigenen Nachforschungen darzulegen.
Besteht er in der Glückseligkeit selbst, dem Genuß ( delectatio) oder der Nützlichkeit? Die Behauptung, es führe
zur Glückseligkeit, ist bereits zur Genüge widerlegt worden. Deswegen ist nun zu untersuchen, ob Philosophie
dem Menschen nützt oder ihm Genuß bereitet. 84 Die Nützlichkeit der Philosophie ist deswegen eingeschränkt,
weil das menschliche Handeln kontingent ist ( singulae tantum res in actionem cadant), Philosophie aber nur das
Allgemeine ( universale) untersucht. Das hat zur Folge, daß die lange Zeit, die der Philosophierende bei der
Kontemplation natürlicher Gegenstände verweilt, seine Fähigkeiten mindert, dasjenige, was sich auf das Handeln
und die Bewältigung öfentlicher Angelegenheiten bezieht, richtig zu erfassen.
Jedoch behaupten die Philosophen, daß die Gesetze selbst durch Kontemplation begründet worden sind. Denn
ihre Erkenntnis der göttlichen und natürlichen Gegenstände und ihrer Ordnung ist die Grundlage der Erkenntnis
alles dessen, was diesen Gegenständen untergeordnet ist. Dies gilt also auch für die Ordnung menschlicher
Angelegenheiten. Sfondratus hält diesen Einwand für offensichtlich unbegründet: Weder der Kreter Minos, noch
der karthager Charondas, der Spartaner Lykurg oder der Athener Solon waren mit naturphilosophischer
Spekulation vertraut, als sie für ihre Gemeinwesen Gesetze erließen. Gleiches gilt für den Römer Numa
Pompilius.
85 Sofern Philosophen selbst ein Gemeinwesen und die in ihm geltenden Gesetze entwerfen, basiert ein solcher
Entwurf ebenfalls nicht auf Einsichten in die Beschaffenheit natürlicher Dinge. Das verhindert allerdings nicht,
daß solche Gesetze aus Philosophenhand zahlreiche Widersinnigkeiten enthalten. Als Beispiele nennt
Sfondratus die Teilung der Ehefrauen ( uxorum communicatio) und der promiske Beischlaf ( promiscuus
concubitus) bei Platon, der für Adlige erlaubte Beischlaf, um Söhne zu zeugen oder die Erlaubnis der Abtreibung.
Solche Lehren sind von heiligen und klugen Männern widerlegt worden und würden von keinem Volk je als
Gesetz angenommen werden. Sfondratus vermutet hierin ein Motiv für die oben erwähnte Vertreibung der
Philosophen aus antiken Staaten.
Gesetze können also nicht durch die in der Philosophie untersuchten Ursachen des Natürlichen, sondern einzig
durch die tägliche Gewohnheit des Lebens begründet werden. Wer dies nicht beachtet, wird Gesetze aufstellen,
die eher zum Lachen reizen als daß sie geeignet wären, Menschen zu führen.
86 Es bleibt zu untersuchen, inwiefern die Philosophie Vergnügen ( delectatio) bereiten kann. Sfondratus selbst
kann nicht behaupten, bei der Beschäftigung mit Philosophie, wie dies andere behaupten, von reizvoller Wollust
durchflutet zu werden ( titillanti voluptate perfundi). Er zitiert ein nicht weiter spezifiziertes Werk über den
Unterricht in den freien Künsten ( vitae liberalis institutione), das behauptet, das Verständnis der Ursachen des
Umlaufs der Gestirne, ihrer Wirkungen auf die sublunare Sphäre sowie die Erfassung des Grundes für die
Entstehung von Winden, Wolken, der Salzigkeit des Meeres und anderer solcher Phänomene löse unendliches
Vergnügen ( infinita voluptas) aus. Sfondratus vermutet, daß hier zwischen der Konstitution des Philosophen, der
von solchen Dingen erfreut wird, und der vieler anderer Menschen ein erheblicher Unterschied auszumachen ist:
Nichtphilosophen empfinden bei solchen Betrachtungen kein Vergnügen. Dies dürfte damit zusammenhängen,
daß philosophische Betrachtungen ein erhebliches Maß an Anspannung des Gemüts und des Geistes verlangen.
87 Wenn also Philosophen Glück empfinden, dann bei Nachlassen der durch solche Tätigkeit hervorgerufenen
Anspannung.
Aber selbst wenn man Philosophen zugesteht, daß ihre Tätigkeit Lust bereitet, stellt sich die Frage, was diese
Lust von geschlechtlicher oder anderer körperlicher Lust unterscheidet, die ja – wie die philosophische Lust –
geeignet ist, den Menschen von wertvoller Beschäftigung ( honestum studium) und der Tugend fernzuhalten.
Dabei ist es unwichtig, daß die Lust an der Kontemplation selbst keine körperliche Lust ist, wenn sie dieselben
Folgen zeitigt und uns von der Besorgung unserer Angelegenheiten, den Pflichten des Lebens und der Ehrfurcht
vor menschlichen Gaben abhält. Der üblicherweise angenommene Vorrang der geistigen Lust vor der
körperlichen beruht auf der moralischen Überlegenheit der ersteren, die uns zur Tugend führt, während
körperliche Lüste uns zum Laster veranlassen. Sofern aber eine geistige Lust uns davon abhält, unseren
Pflichten nachzukommen, ist sie ebenfalls tadelnswert.
Aber selbst wenn man diese Kritik nicht teilt, stellt sich die Frage, warum andere Vergnügungen des Geistes wie
das Verfassen eines Gedichts oder eines geschichtlichen Werks nicht als höchste Form geistiger Betätigung
anzusehen sein sollen. 88 So sei nicht anzunehmen, daß das Vergnügen eines Vergil oder eines Livius im
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Vergleich zum Vergnügen eines Philosophen geringer zu schätzen sei.
Sfondratus resümiert, daß, selbst wenn in der Philosophie verläßliches und vollkommenes Wissen erreichbar
wäre, dieses Wissen weder Menschen glücklich machen, noch nützlich sein und auch kein Vergnügen bereiten
könne. Er faßt die bisherige Argumentation in insgesamt elf Punkten zusammen:
1.
1.
1.
1.
1.
1.
1.
1.
1.
1.
1.
Durch Kontemplation kann keine Gewißheit erreicht werden. Dies wurde durch die Vernunft und durch
Zeugnisse berühmter Gelehrter bewiesen.
Was um seiner selbst willen gesucht wird, ist deswegen noch nicht edeler als etwas, was um einer anderen
Sache willen gesucht wird.
Auch das Handeln kann um seiner selbst willen vollzogen werden, weswegen sein Rang genauer
untersucht werden muß.
Wissen ist kein Privileg der Philosophie, sondern spielt auch in den übrigen Kunstfertigkeiten und auch im
Handeln selbst eine Rolle.
Es gibt keine natürliche Anlage, bestimmtes Wissen um seiner selbst willen zu suchen.
Die celsitudo unserer Seele unterscheidet uns in höherem Maße von den Tieren als unsere kognitiven
Fähigkeiten.
Damit ist der Primat des Handelns im Einklang, der Primat der Kontemplation nicht.
Allein in der Klugheit und das Handeln sind alle menschlichen Angelegenheiten erfaßt.
Durch sie wurden Städte gebaut, die Menschen in ihnen zusammengeführt, Gesetze erlassen, gute Sitten
und hervorragende Institutionen erfunden, Streit geschlichtet, Friede und Ruhe herbeigeführt, das Schöne
gefördert, das Leben glücklich und vollkommen gemacht.
Deswegen wurden sie von alters her in Ehren gehalten.
Sofern der Rang eines Dings nach seiner Nützlichkeit bemessen wird und der höchste Grad der
Nützlichkeit dem Handeln zukommt, kann niemand die Kontemplation mit dem Handeln gleichsetzen.
Deswegen steht fest, daß das Handeln der Kontemplation in unendlichem Maße ( infinito intervallo) überlegen ist.
Sfondratus schließt mit der Anrufung jener Klassen von Menschen, denen die Lenkung menschlicher
Angelegenheiten obliegt, die Gründer von Städten und Gemeinwesen, Juristen, Redner und Befehlshaber, und
ruft deren Leistungen nochmals ins Gedächtnis. 90 Während alle diese Menschen Hervorragendes
zustandegebracht haben, saßen jedoch ‘Menschlein’ ( homunculi) müßig im Schatten, die die Beschäftigung mit
völlig leeren Aufgaben der Tugend der praktischen Menschen vorzogen. Deren Dummheit findet immer noch
Anhänger, denen eine solche Tugend (sc. die der praktischen Menschen) nie vor Augen gekommen ist. Weder
deren Klugheit, noch deren Tapferkeit, Mühe, Gefahren und Schweiß ist ihnen je in den Sinn gekommen, ihre
göttlichen und unsterblichen Wohltaten haben sie nicht im Gedächtnis bewahrt.
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