Ausgabe März 2014

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Staatsschauspiel Dresden
Die Theaterzeitung 44
März 2014
Liebes Publikum,
unsere Premieren im März sind Stoffe, die den größten denkbaren Bogen durch die
Geschichte schlagen – von der griechischen Antike bis in eine fiktive Zukunft.
Allen Stücken gemeinsam ist, dass sie nachdenken über das Verhältnis von
Mensch und Macht, von Staat und Individuum. Bereits Sophokles nimmt sich
dieser Frage an, wenn er in seiner „Antigone“ die staatliche Ordnung in die eine
Waagschale wirft und die persönliche Ethik seiner Figuren in die andere. Brechts
„Arturo Ui“ hingegen handelt von gesellschaftlicher Verantwortung, von der
Macht, wie man sie ergreift und wie sie missbraucht werden kann. Und Juli Zeh
entwirft in „Corpus Delicti“ die düstere Dystopie einer zukünftigen Gesellschaft,
die den Optimierungswahn bis in die Körper und Seelen übernommen hat.
Gesundheit ist hier Staatsdoktrin und weist den Bürgern ihren Rang in einer
rundum kerngesunden Gesellschaft zu.
Der Staat und seine Bürger also sind unser Thema in den nächsten Wochen, im
Staatsschauspiel, im Stadttheater.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Herzlich,
Ihr Wilfried Schulz
Antigone Tragödie von Sophokles
Übersetzung von Ernst Buschor,
in einer Bearbeitung von Sebastian Baumgarten
Unter Verwendung der Chöre aus der Oper
„Antigonae“ von Carl Orff
Premiere am 21. März um 19:30 Uhr
im Schauspielhaus
(weitere Termine: 24.3., 4., 17. und 30.4.)
Theater als Geisterbeschwörung
„Vielleicht passiert es, dass sich die Toten rühren“
er Regisseur Sabastian Baumgarten sprach
zu Probenbeginn über Recht und Recht haben,
Theater als Geisterbeschwörung, Orffs Musik und den
antiken Chor. Die Fragen stellte Felicitas Zürcher.
D
Das Stück „Antigone“ von Sophokles wurde im Jahr
442 v. Chr. erstmals aufgeführt, also vor knapp 2500
Jahren. Wie fremd ist uns die Antike heute, 2014
n. Chr.?
Sebastian Baumgarten: Sehr fremd. Die Probleme, die
im Stück verhandelt werden, die dort sehr existentiell
sind, stellen sich in einer wohlsituierten Gesellschaft wie
der unseren nicht, oder nicht in der Art, wie sie in der
Geschichte beschrieben werden. Was aber sehr wohl
nachvollziehbar sein kann, ist der Versuch, sich die
Texte nicht auf einer Ebene filmischer Erzählung zu erobern, sondern über das Rituelle, als Auseinandersetzung mit dem Davor, mit den Toten.
Fortsetzung auf Seite 02
Antigone (Lea Ruckpaul) mit dem Chor
FOTO: MATTHIAS HORN
Staatsschauspiel Dresden
02
Fortsetzung von Seite 01
Wie ist diese Auseinandersetzung mit den Toten zu
verstehen?
Zum einen gewinnt meine Hauptfigur aus ihrem Verhältnis zu den Toten der Familie ihren Wahnsinn, dadurch beschäftigt man sich natürlich mit diesem
Thema. Zum anderen ist es ein gesellschaftspolitischer
Punkt: Ich glaube, dass eine Gesellschaft, die sich dauernd mit ihrer Gegenwart beschäftigt, keine Zeit mehr
für den Rückblick hat, für den Anschluss an Geschichte,
an geschichtliche Ereignisse. Diese werden ja immer
durch Menschen ausgelöst, die an dieser Geschichte
unter Umständen zugrunde gegangen sind. Wenn man
diesen Kontakt zur Geschichte verliert, dann gibt es natürlich keine planvolle Perspektive, dann ändert man
durch die Gegenwart, und statt des Politischen setzt sich
das Ästhetische in den Vordergrund. Es gibt kein
„Wohin“, wenn man nicht weiß, woher man kommt. Ich
glaube, dieser Anschluss an die Vergangenheit ist kein
Akt, der ausschließlich über die Narration, über das aufklärerische Erkunden funktioniert, sondern es ist ein
Akt des Versuchs, bestimmte Themen wiederzubeleben
und sie per Beschwörung zu reaktivieren. Vielleicht passiert es dann wirklich, dass sich die Totenwelt rührt.
Antigone stellt sich in ein klares Verhältnis zu ihrer
toten Familie, sie will ihren Bruder Polyneikes begraben. König Kreon aber verbietet diese Tat für den
Verräter Polyneikes. Wer von beiden hat Recht, Antigone oder Kreon?
Wie es bei guten Theaterstoffen immer der Fall ist: Beide
nicht und beide sehr wohl. Wir haben eine instabile Situation durch die Kriegszustände, die dieses Land erlebt
hat und durch die innenpolitische, bürgerkriegsartige
Auseinandersetzung der beiden Brüder. In einer solchen
Situation muss ein Anführer oder König zusehen, dass er
das Land stabil hält. Das hat Kreon getan. Ich möchte ihn
nicht nur als Despoten oder Tyrannen betrachten; ich
sehe ihn auch in dem Versuch, in einem völligen Chaos
Politik zu machen, und in dem Versuch, dieses Chaos im
Griff zu haben. Gleichzeitig ist die Situation zwischen
den beiden Brüdern Eteokles und Polyneikes, die ja den
Ursprung des Stoffes bildet, nicht so leicht zu klären; es
ist nicht klar, dass Eteokles als derjenige, der den Besitzstand verwaltet, im Recht ist. Insofern ist es nicht richtig, wenn Kreon sich so eindeutig auf dessen Seite stellt.
Das Gleiche gilt für Antigone. Natürlich hat sie Recht,
wenn sie sagt, dass beiden toten Brüdern gleiche Behandlung zuteil werden soll. Auf der anderen Seite steht
sie für eine konservative Blutsbeziehungs-Denkweise,
die aus heutiger, europäischer Sichtweise als äußerst
konservativ gelten darf. Es ist interessant, dass der alte
Kreon, die Vaterfigur, für die moderne Demokratie stehen soll und Antigone, die junge Anarchistin, eigentlich
als konservative Glaubensverwalterin verstanden werden kann. Damit ist man vielleicht sehr nah an der Realität, denn so verhält es sich ja auch heute zwischen den
Generationen, wenn die Älteren zu den Jüngeren sagen:
„Wir waren damals radikaler.“
Neben den Protagonisten gibt es in dem Stück einen
Chor, und wie immer in der Antike spielt er eine
wichtige Rolle. Wie werden Sie ihn in Ihrer Inszenierung zeigen?
Ich fand immer problematisch, dass man auch die Texte
der Protagonisten in eine starke Form und Höhe bringen
muss, so dass der Chor meistens in Energielosigkeit verschwand. Bei Einar Schleef erlebte ich den Chor das erste
Mal anders, als kranke und manchmal faschistoide
Masse, aus der man gleichzeitig die Notwendigkeit zu
diesem Gestus, zu dieser Haltung verstehen konnte. Wir
haben viel über die Toten nachgedacht, die in dem Stück
zentral sind. Bei der Recherche bin ich schließlich auf
Carl Orffs Musik gestoßen, die in ihrer rhythmischen
und repetitiven Form dieser Geisterbeschwörung vielleicht helfen kann, die ich mit dem Text vollziehen will.
Insofern werden wir einige der Chöre von Carl Orff in die
Inszenierung aufnehmen.
Carl Orff hat seine Oper für ein riesiges Orchester geschrieben, er schreibt u.a. sechs Klaviere, vier Harfen, zwei bis drei Xylophone und zehn bis fünfzehn
Spieler für Schlagwerk vor. Wir muss man sich das
am Staatsschauspiel Dresden vorstellen?
Zunächst als eine Reduzierung des orchestralen Aufwandes mittels Elektronik. Gleichzeitig gibt es auf der
Bühne einen Livemusiker, Christoph Clöser von „Bohren. The Club of Gore“. Die Musik dieser Band trägt
genau diese Repetition, das beschwörend Langsame und
diese Atmosphäre in sich, die den Moment des Rituellen
unterstützt.
Im Original sind es die Thebanischen Alten, warum
sind es bei uns Frauen?
Nach den Kriegen sind die jungen, kraftvollen Männer
„verheizt“, übrig bleiben die Witwen, die Alten, die Kinder und die jungen Frauen. Vielleicht ist dieses „Völkchen“ eine Masse, die Kreon nicht mehr politisieren,
nicht beherrschen kann, die sich ideologisch verweigert.
Zum Regisseur
Sebastian Baumgarten
gehört zu den wichtigsten Schauspiel- und
Opernregisseuren seiner
Generation. Für seine
„Orest“-Inszenierung
2006 an der Komischen
Oper Berlin wurde er
von der Zeitschrift
„Opernwelt“ zum Regisseur des Jahres gewählt.
2011 eröffnete er mit
Wagners „Tannhäuser“
die 100. Bayreuther FestFOTO: DAVID BALTZER
spiele. Er inszenierte an
der Semperoper und an
der Oper in Kopenhagen, am Zürcher Schauspiel und am
Hamburger Schauspielhaus. Am Staatsschauspiel DresIn der Inszenierung spielen nur vier Schauspieler den entstanden unter seiner Regie 2010 E. T. A. Hoffmit. Warum wollen Sie das Stück so erzählen?
manns „Der goldne Topf“ sowie zuletzt „Die Räuber“ von
In der Antike sah man in der Tragödie nur zwei, seit So- Friedrich Schiller.
phokles drei Schauspieler. Es ist nicht ungewöhnlich,
dass im Theater diese antike Praxis versuchsweise wiederholt wird und ein Stück über wenige Schauspieler zu
erleben ist, die in verschiedene Rollen schlüpfen können. Besetzung
Der Vorteil ist für mich, als epischer und von Brecht ge- Mit: Cathleen Baumann, Torsten Ranft, Matthias Reichwald, Lea Ruckprägter Regisseur, dass man dadurch die Möglichkeit paul und Frauenchor
Regie: Sebastian Baumgarten
Bühne: Hartmut Meyer
der Distanzierung gewinnt, dass man einer Figur sowohl
Kostüm: Christina Schmitt
Video: Stefan Bischoff
Musik:
den Raum des Pathetischen lassen kann, als auch den Christoph Clöser Bearbeitung der Orff-Chöre: Tobias Peschanel
Darstellern den Raum für verschiedene Spielformen, Chor-Einstudierung: Christiane Büttig / Thomas Mahn Dramaturgie:
Felicitas Zürcher
indem sie die Figuren wechseln.
Quiz
Die Großbuchstaben
vor der richtigen
Antwort ergeben
das Lösungswort.
Frage 1
Das thebanische Herrschergeschlecht der Labdakiden ist seit einer Missetat des Königs Laios
mit einem Fluch belegt, der alle nachfolgenden
Generationen ins Unglück stürzt. Welcher der
hier genannten antiken Helden ist nicht mit
Antigone verwandt und demnach von dem
Fluch nicht betroffen?
S Eteokles
H Ödipus
G Telemachos
Frage 2
Die Schriftstellerin Juli Zeh ist durch Romane
wie „Adler und Engel“, „Spieltrieb“ und „Corpus Delicti“ bekannt, die Bühnenfassung des
letzteren feiert am 1. März im Kleinen Haus
Premiere. Zeh übt neben dem Schreiben noch
einen weiteren Beruf aus. Sie verfügt über
einen Doktortitel der Universität Saarbrücken
im Fachbereich
O Medizin
R Rechtswissenschaften
E Philosophie
Frage 3
Brechts „Arturo Ui“ ist eine Parabel über die
Machtergreifung und den Machtausbau Adolf
Hitlers, die der Dramatiker 1941 in die amerikanische Gangsterwelt übersetzte. Hauptschauplatz des Geschehens ist demnach
A Chicago
R New York
I Atlantic City
Frage 4
Tennessee Williams‘ Drama „Orpheus steigt
herab“ wird Mitte März als Gastspiel der renommierten Münchner Kammerspiele am
Staatsschauspiel Dresden zu sehen sein. Der
erste Broadway-Erfolg des Autors Williams im
Jahr 1944 trägt den Titel
Z Das Glasperlenspiel
B Die Glasmenagerie
N Der Glaspalast
Das Lösungswort bitte bis zum 15. März mailen
an: [email protected], Betreff:
„Quiz März 2014“. Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir 10 x 2 Karten für „Geschichten aus dem Wiener Wald“ am Dienstag,
25. März um 19:30 Uhr im Schauspielhaus.
Die Lösung des Februar-Rätsels lautete GAST.
Die Theaterzeitung
03/2014
03
Corpus Delicti von Juli Zeh
Eine Produktion mit den Studentinnen und Studenten
des Schauspielstudios Dresden
Premiere am 1. März
wegen der großen Nachfrage im Kleinen Haus 1
(weitere Termine: 28.2. [Öffentliche Probe/Voraufführung], 4., 8., 16., 17., 29. und 31.3. sowie 1., 5., 10.,
18. und 30.4.)
Eine nicht mehr ferne Zukunft
D
ie Schriftstellerin Juli Zeh schrieb den Theatertext
„Corpus Delicti“ (der später auch zu einem Roman
wurde) im Jahr 2007. Nicht dass die Welt damals unschuldiger war als heute. Aber wie sehr die Flut von Daten seit
der Digitalen Revolution angestiegen ist – und wie weit
der Missbrauch der Daten durch Regierungen und Konzerne geht, das war vor sieben Jahren in diesem furchterregenden Ausmaß nicht absehbar. Juli Zeh schrieb eine
Dystopie, eine negative Utopie, ein Science-Fiction-Szenario über eine nicht mehr ferne Zukunft, in der die Gesellschaft vom optimierten Menschen gebildet wird. Die
30-jährige Mia Holl arbeitet als Biologin und lebt in einer
Welt, in der die Gesundheit und der gesunde Körper das
oberste Gut ist. Dieses Staatsziel wird von der Regierung
in Form einer Gesundheitsdiktatur durchgesetzt. Über
einen Chip im Oberarm werden Daten aller Bürger gesammelt. So gibt es von jedem Bewohner Statistiken über
dessen Urin-, Blut- und Schlafwerte. Sexualpartner werden von einer staatlichen Agentur ausgesucht und müssen ein passendes Immunsystem haben. So wird verhindert, dass Krankheiten ausbrechen. Jeder Bürger muss ein
Sportpensum absolvieren und darf weder rauchen noch
Alkohol trinken. Doch nicht nur die Bürger werden kontrolliert, es wird auch sonst peinlich genau auf Sauberkeit und Ordnung geachtet. In dieser Welt lebt Mia Holl,
und sie ist vom System überzeugt, bis ihr Bruder Moritz
wegen Vergewaltigung verurteilt wird. Er beteuert seine
Unschuld – ohne Erfolg. Er wird verurteilt und Mia hilft
ihm, sich das Leben zu nehmen, indem sie ihm eine Angelschnur ins Gefängnis schmuggelt, mit der er sich erhängt. Dieser Schicksalsschlag bringt Mia ins Wanken
und sie vernachlässigt ihre Pflichten: Untersuchungsresultate gibt sie nicht mehr rechtzeitig ab, und auch ihr
Sportpensum absolviert sie nicht mehr. Dadurch kommt
sie in Konflikt mit der Methode und muss mehrmals vor
Gericht erscheinen, die Schlinge zieht sich langsam zu.
Der Hausjournalist des Systems Kramer hat nämlich erkannt, dass Mia zu einer Gefahr für den Staat werden
kann und macht die Geschichte von ihr und Moritz in
einer TV-Show zu einer öffentlichen Angelegenheit. Ein
Netz aus Lügen und Halbwahrheiten spinnt sich um
Mia, die sich dem Staatsapparat hilflos gegenüber sieht
und schließlich kapitulieren muss. Seit Juli Zeh die Geschichte um Mia Holl und eine außer Kontrolle geratene
Regierung erfand, ist viel passiert. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist noch teurer geworden, noch
höher die Hürden für den Zugang zu privater, elitärer
Behandlung. Gleichzeitig experimentieren die Kassen
und Konzerne mit Mikrochips und „Fitness-Armbändern“, die sämtliche relevanten Körperdaten ihres Trägers verzeichnen und via App mit dem Smartphone
kommunizieren können. Da wir uns mittlerweile an den
Gedanken gewöhnt haben, dass unsere Daten nirgendwo
und vor niemandem mehr sicher sind, scheint der Gedanke, dass eine staatliche Kontrolle auch der Körper der
Staatsbürger Realität werden könnte, keinesfalls mehr
abwegig. Juli Zehs „Corpus Delicti“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit des Menschen. Für ein
Auf dem Bild: Max Rothbart, Pauline Kästner, Tobias Krüger, Nina Gummich, Nadine Quittner, Justus Pfankuch, Lukas
Mundas, Kilian Land
FOTO: MATTHIAS HORN
Recht auf Intimsphäre, auf Krankheit, für das Recht, arbeitete „Corpus Delicti“ mit den Studentinnen und
unperfekt zu sein, fehlerhaft. Für ein Recht auf das Ab- Studenten des Dresdner Schauspielstudios. Robert Koall
seitige, das Schmutzige, das Sinnlose. Und eine Kampfschrift gegen staatliche Kontrolle, gegen selbstverschuldete Unmündigkeit aus Bequemlichkeit, gegen den Besetzung
Mit: Nina Gummich, Pauline Kästner, Tobias Krüger, Kilian Land,
Wahn der Optimierung.
Regie führt Susanne Lietzow, die zuletzt in Dresden mit
Kästners „Klaus im Schrank“ für Aufsehen sorgte. Sie er-
Lukas Mundas, Justus Pfankuch, Nadine Quittner, Max Rothbart
Regie: Susanne Lietzow
Bühne und Kostüm: Marie Luise
Lichtenthal
Musik: Gilbert Handler
Video: Petra Zöpnek
Licht: Olaf Rumberg
Dramaturgie: Robert Koall
Staatsschauspiel Dresden
04
Und außerdem im Schauspielhaus
Dresdner Reden 2014
In Kooperation mit der Sächsischen Zeitung
jeweils um 11:00 Uhr im Schauspielhaus
Nach den Dresdner Reden von Prof. Dr. Heribert Prantl,
Roger Willemsen und Jürgen Trittin im Februar, ist am
2. März Sibylle Lewitscharoff zu Gast.
Die Schriftstellerin
Sibylle
Lewitscharoff
veröffentlichte Hörspiele, Essays und
Romane, wofür sie
u. a. 1998 den Ingeborg-BachmannPreis sowie 2013
den Georg-Büchner-Preis,
die
wichtigste literarische Auszeichnung im deutschsprachigen Raum, erhielt. In ihrem Werk spürt sie philosophischen und religiösen Grundfragen unserer Existenz nach und stellt
FOTOS: DAVID BALTZER
dabei die Wirklichkeit immer wieder neu in Frage. Ihre
Rede am 2. März steht unter der Überschrift Von der
Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung die Faszination des Krieges, über Kriegsbegeisterung
über Geburt und Tod.
und Kriegsablehnung von Künstlern im europäischen
Kontext. Es sprechen u. a. der Regisseur Wolfgang
Die Sächsische Akademie der Künste lädt ein
Engel, die Musikwissenschaftler Frank Schneider und
Künstler zwischen den Fronten am 23. März
Jörn Peter Hiekel, der Präsident der Akademie Peter
im Foyer 1. Rang
Gülke und die Kuratorin der Otto-Dix-Ausstellung in
11:00 bis 14:00 Uhr Podiumsgespräche
den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Birgit Dal20:00 Uhr Produktionsgespräch mit Wolfgang Engel bajewa über den Einfluss des Ersten Weltkrieges auf die
und dem Schauspielensemble
Kunst, auf die Herausbildung bis heute gültiger Topoi
Aus Anlass der Inszenierung des Menschheitsdramas und künstlerischer Techniken. Welche Auswirkungen
„Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus hatte er auf das Entstehen, den Wandel und das Verlöladen die Sächsische Akademie der Künste und das schen künstlerischer Avantgarden?
Staatsschauspiel Dresden zu einem Gespräch über Krieg, Moderation: Ole Georg Graf (Staatsschauspiel Dresden)
Es gibt Tage ...
Live-Konzert mit Armin Mueller-Stahl
am 27. März um 20:00 Uhr
Der Schauspieler Armin Mueller-Stahl ist einer der
ganz wenigen deutschen Stars auf dem internationalen
Film-Parkett („Lola“, „Shine“, „Das Geisterhaus“, „Die
Manns – Ein Jahrhundertroman“, „Illuminati“). Anfang
des Jahres erhielt er den Bayerischen Filmpreis für sein
Lebenswerk. Gemeinsam mit dem Filmkomponisten
und Jazzsaxophonisten Günther Fischer, dem Akkordeonvirtuosen Tobias Morgenstern und dem Bassisten
Tom Götze gibt er in seinem Programm Es gibt Tage ...
einen Teil seiner eigenen Geschichte preis. Die Lieder
sind vor mehr als 45 Jahren in der DDR entstanden, in
den Songs entfaltet Armin Mueller-Stahl eine skurrile
und doch sehr poetische Welt.
FOTO: JIM RAKETE
Theater aus Berlin, München, Wien und Hamburg
zu Gast
mit der Inszenierung von Schillers Die Jungfrau von
Orleans, Regie Michael Thalheimer, sind im März die
Münchner Kammerspiele zu Gast. Das Wiener BurgWir setzen die in der Jubiläumsspielzeit begonnene theater reist am 17. Mai mit der Produktion Die
Reihe mit Gastspielen renommierter Theater in dieser letzten Zeugen nach Dresden. Das Projekt von Doron
Spielzeit fort. Nach dem Deutschen Theater Berlin Rabinovici und Matthias Hartmann ist im Rahmen
des „1. Bürgerbühnenfestivals – Ein deutsch-europäisches Theatertreffen“ zu erleben. Am 28. und 29. Juni
folgt das Thalia Theater aus Hamburg mit Jeder
stirbt für sich allein nach dem Roman von Hans Fallada in der Regie von Luk Perceval.
Münchner Kammerspiele
„Orpheus steigt herab“
von Tennessee Williams
am 15. März um 19:30 Uhr (Einführung um 18:45 Uhr)
und am 16. März um 19:00 Uhr (im Anschluss an die
Vorstellung Publikumsgespräch)
bei dem dieser ums Leben kam. Sie beschließt, gemeinsam mit Val, das Gartenrestaurant neu zu eröffnen. Es
ist ein ebenso unerschrockener wie aussichtsloser Akt
des Aufbegehrens gegen kollektive Identitäten, die sich
über Rituale der Ausgrenzung stabilisieren. Und wieder
rotten sich die anständigen Bürger zu einer Menschenmeute zusammen und blasen zur Hetzjagd.
Das ruhige, wohl geordnete Leben einer Kleinstadt im
Süden Amerikas. Im Namen des Gemeinwohls haben
die Bewohner einen Bannkreis um ihre Idylle gezogen.
Das Überschreiten dieser Grenze erweist sich für alle,
die diesem Leben fremd sind, als Eintritt in die Hölle.
Subkutan aber immer wieder auch in brutalster Offenheit herrscht ein Klima von Angst, Intoleranz und
Fremdenfeindlichkeit. Hier betreibt Lady Torrance zusammen mit ihrem todkranken, tyrannischen Mann
einen Gemischtwarenladen. Als der vagabundierende
Musiker Val Xavier im Ort auftaucht, gerät die scheinbar stabile Ordnung ins Wanken. Lady Torrance, Toch-
Eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2013.
Von „Theater heute“ zu einer der drei besten Inszenierungen des Jahres 2013 gewählt.
FOTO: JULIAN RÖDER
ter eines Einwanderers, erfährt, was jeder andere Bewohner längst weiß: dass ihr Mann einst der Anführer
einer Gruppe fanatischer Rassisten war, die den Brandanschlag auf das Gartenrestaurant ihres Vater verübten,
Besetzung
Mit: Tim Erny, Sylvana Krappatsch, Angelika Krautzberger, Risto
Kübar, Christian Löber, Lasse Myhr, Jochen Noch, Annette Paulmann,
Wiebke Puls, Çigdem Teke
Regie: Sebastian Nübling
Bühne: Eva-Maria Bauer
Kostüme:
Pascale Martin
Musik: Lars Wittershagen
Licht: Stephan
Mariani
Dramaturgie: Julia Lochte
Die Theaterzeitung
03/2014
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
von Bertolt Brecht
Premiere am 28. März 2014 um 19:30 Uhr
im Kleinen Haus 1
(weitere Termine: 4., 9. und 12.4.)
Arturo Ui, willkommen
im 21. Jahrhundert
I
m finnischen Exil verfasste Brecht ein Parabelstück
über den Aufstieg Adolf Hitlers. Die erste Fassung
von „Arturo Ui“ entstand im März 1941, als sich die militärische Ausdehnung des Nazireichs auf dem Höhepunkt befand. Die deutschen Truppen waren in Dänemark und Norwegen eingefallen, hielten Frankreich,
Belgien, Holland und Luxemburg besetzt. Den Aufstieg
Hitlers schien „unaufhaltsam“, und er bedrohte den Exilanten Brecht unmittelbar.
„Arturo Ui“ entstand in der Hoffnung, „mit diesem
Stück in Amerika bald zu Geld zu kommen“, erinnert
sich Brecht-Mitarbeiterin Ruth Berlau. So wurde aus
Adolf Hitler im Zuge Brecht’scher Verfremdung Arturo
Ui, ein Gangsterboss aus Chicago, der das Karfiolgeschäft unter seine Kontrolle bringen will. Karfiol ist übrigens Blumenkohl.
Auf einer USA-Reise Mitte der 1930er-Jahre war Brecht
erstmals auf das dortige organisierte Verbrechen und
seine charismatischen Führungspersönlichkeiten aufmerksam geworden. Er sammelte Zeitungsberichte über
die Ermordung des New Yorker Gangsters Dutch Schulz
und las über die Schutzgeldmafia, die sogenannten
„rackets“, in Louis Adamics Buch „Dynamite. The Story
of Class Violence in America“ (1931). Mit Hanns Eisler
ging Brecht häufig ins Kino und schaute sich Gangsterfilme an, „um, wie wir uns beide lügnerisch versicherten, soziale Studien zu betreiben“, so Eisler. Filme wie
„Little Caesar“ (1930) und „Scarface“ (1932) brachten
Brecht auf die Spur Al Capones, der neben Hitler für die
Figur des Ui Pate stand.
Ein berühmtes Motiv der Gangster-Ikonographie, das Massaker am Valentinstag 1929,
bei dem Capone die Mitglieder der konkurrierenden Moran-Bande
niedermetzeln ließ,
setzt Brecht in seinem Drama mit der
Ermordung des SAFührers Ernst Röhm in eins,
der als „Ernesto Roma“ Uis engsten Vertrauten gibt. Auch für
die anderen prominenten NaziSchergen
erfindet
Brecht
Namen, die an die Mafia-Wurzeln zahlreicher Gangster der
Prohibitionszeit erinnern: aus
Joseph Goebbels wird Giuseppe
Givola, aus Hermann Göring
Manuele Giri.
Biographische Parallelen zwischen
Al Capone und Hitler erleichterten
Brecht die Gleichsetzung von Politiker und
Gangster in der Figur Uis: die ungeklärte familiäre Herkunft, das nachgeholte Einüben von Verhaltensweisen der „höheren Gesellschaft“, die Vorliebe für
das Wohnen in Hotels und nicht zuletzt die kriminelle
Energie. Doch historische Genauigkeit darf man von
„Arturo Ui“ keinesfalls erwarten, weder im Hinblick auf
die Darstellung Hitlers noch auf die Al Capones. Die
Brecht-Forschung kritisierte zu Recht das „reduzierte
05
Geschichtsmodell“ des Werkes, in dem die Verfolgung
und Ermordung der Juden keine Entsprechung findet.
Nachdem „niemand in Amerika sich für das Stück interessierte“, hatte Brecht eine Uraufführung zu Lebzeiten
stets abgelehnt. Hauptsächlich fürchtete er „die mangelnde historische Reife des deutschen Publikums“, die
Qualität seiner Arbeit hingegen schien er nicht in Frage
zu stellen. Warum auch? Seit der Uraufführung in Stuttgart 1958 hält sich „Arturo Ui“ in den Spielplänen. Die
Verbindung von zwei zunächst disparat erscheinenden
Genres – Gangsterkomödie und Historiendrama – sorgt
für einen „unterhaltsamen“ Abend in Blankvers, der den
Blick auf die unheilvolle Verquickung von profitgeiler
Wirtschaft und korrumpierbarer Politik lenkt.
In fünfzehn Szenen, die einem Crashkurs für angehende
Diktatoren gleichen, werden die wichtigsten Stationen
von Uis alias Hitlers Machteroberung durchgespielt.
Vom kleinen Bandenchef, den niemand so recht ernst
nehmen will, arbeitet sich der Gangster in die Spitzen
der Politik hoch. Sei es der Osthilfeskandal um Paul Hindenburg oder der Reichstagsbrand mit Schauprozess
gegen den vermeintlichen Brandstifter van der Lubbe –
bei Brecht heißt das „Dockhilfeskandal“ und „Speicherbrandprozess“ –, stets weiß Arturo Ui die Schwächen seiner Gegner für sich zu nutzen. Dabei macht sein Umfeld
es dem Aufsteiger denkbar leicht. Brecht zeigt eine Gesellschaft, in der die wirtschaftliche Krise nur ein Symptom ist. Die Instabilität der Märkte – in diesem Fall das
Blumenkohlgeschäft – ist die Konsequenz einer Gesellschaft, die Menschen nur im Hinblick auf marktwirtschaftliche Aspekte bewertet. Die Welt des „homo oeconomicus“ funktioniert nach glasklaren Regeln: Jeder denkt
nur an sich und
versucht, den
anderen über
den Tisch
zu ziehen.
Bündnisse bestehen nur, solange sie der Gewinnmaximierung dienen.
Die Modernität von „Arturo Ui“ liegt vielleicht darin,
dass es der Hauptfigur gelingt, den Rückschluss mit äußerster Konsequenz zu vollziehen: Ui behandelt Gefühle,
Vertrauen und soziale Kontakte genau wie Waren und
Aktien, um so zum Global Player aufzusteigen. Die langjährige Freundschaft zu Ernesto Roma opfert er ohne zu
zögern, als sich ihm die Möglichkeit bietet, den Karfiolhandel in Cicero, einem Vorort Chicagos, zu übernehmen – Brechts Version vom Anschluss Österreichs. Während die anderen noch an Blumenkohl denken, ist Ui
längst in der Welt der Ich-Vermarktung angekommen.
Wie Hitler lässt er sich von einem Schauspieler Unterricht im Auftreten geben, denn er weiß: „Kein Mensch ist
heut natürlich. Wenn ich gehe, wünsche ich, dass es bemerkt wird, dass ich gehe.“
Parallelen zu Diktatoren wie Putin, Gaddafi, Kim Jong-il
und Kim Jong-un drängen sich auf. Doch in unserer
spätkapitalistischen Spätdemokratie ist es gar nicht
nötig, soweit in die Ferne zu schweifen. Die Ökonomisierung von allem und jedem hat längst begonnen, und es
gilt herauszufinden, wer der beste Fallensteller ist. Ui gelingt es, reihenweise Menschen an sich zu binden, die
aus Erfahrung höchst misstrauisch sind. Der Schlüssel
zum Erfolg sind Informationen, die gesammelt und gegebenenfalls gefälscht werden. Willkommen im 21. Jahrhundert!
Janine Ortiz
Besetzung
Mit: Thomas Braungardt, Christian Friedel, Albrecht Goette, Ben Daniel
Jöhnk, Jonas Friedrich Leonhardi, Philipp Lux, Ahmad Mesgarha, Duran
Özer, Ina Piontek
Regie: Tilmann Köhler
Bühne: Karoly Risz
Kostüm: Barbara
Drosihn
Licht und Video: Michael Gööck
Musik: Jörg-Martin
Wagner Dramaturgie: Janine Ortiz
„Wer für Arturo Ui ist
FOTO: DAVID BALTZER
die Hände hoch!“
Staatsschauspiel Dresden
06
Zu Gast im Kleinen Haus
Außenblicke
Von Leontine bis zu Rose
Ursula Geyer-Hopfe wird 90! Geburtstagsgala für und mit Ursula Geyer-Hopfe
am 2. März um 15:00 Uhr im Kleinen Haus 1
Eine gemeinsame Veranstaltung von Staatsschauspiel Dresden und tjg.theater junge generation. Eintritt frei!
Die Schauspielerin Ursula Geyer-Hopfe, eine
der bedeutendsten Künstlerinnen unserer
Stadt, wird 90 Jahre alt! Das wollen wir gemeinsam mit der Jubilarin, Ensemblemitgliedern
beider Häuser und ihren Fans aus dem Theaterpublikum feiern. Gratulanten werden jene
Theater sein, an denen sie fast ein halbes Jahrhundert engagiert war, das tjg.theater junge generation und das Staatsschauspiel Dresden.
Aber auch Ursula Geyer-Hopfe wird ein Geschenk mitbringen: den legendären AntoniaDietrich-Ring. Einst in Verehrung für die
große Dresdner Schauspielerin gestiftet,
wurde der Ring 1995 zur Wiedereröffnung des
Schauspielhauses dem Theater und Ursula
Geyer-Hopfe überreicht und wird nun von ihr
an die nächste Trägerin weitergegeben.
Mit: Nadine Boske, Christine Hoppe, Tom
Quaas, Ulrike Sperberg, Julian Trostorf, u. a.
King Kong
von und mit Theater ASPIK
am 23. März um 19:00 Uhr im Kleinen Haus 2
FOTO: ANDREAS HARTMANN
Staatsschauspiel Dresden
Adressen:
Schauspielhaus Theaterstraße 2, 01067 Dresden
Kleines Haus Glacisstraße 28, 01099 Dresden
Karten:
per Telefon: 0351.49 13 – 555
per Fax: 0351.49 13 – 981
per E-Mail: [email protected]
im Internet: www.staatsschauspiel-dresden.de
Ein Kryptozoologe und sechs Angestellte eines
Großraumbüros erzählen und spielen die Geschichte von King Kong – das Büro verwandelt
sich nach und nach in ein Bestiarium von Neurosen, Obsessionen und unterdrückten Trieben. Der Dschungel erobert die kleine, geordnete Welt der Sachbearbeiter, die immer tiefer
in die abenteuerliche Geschichte der Begegnung mit dem monströsen Fremden geraten.
Getragen von ihren Sehnsüchten, begeben sie
sich auf die Suche nach dem „Biest“ ...
Wir zeigen dieses Gastspiel im Rahmen einer
mehrjährigen Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Team von „Der Fall aus dem All“ und
„Wildnis“ (Premiere am 28. 6. 2014), dem Landschaftstheaterspektakel in der Sächsischen
Schweiz. Das Gastspiel „King Kong“ wird gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung
des Bundes.
von und mit: Florian Brandhorst, Oliver Dressel, Arnd Heuwinkel, Irene Eichenberger,
Thomas Klees, Luzia Schelling, Michael
Wenzlaff
Regie: Uli Jäckle
Impressum
Herausgeber: Staatsschauspiel Dresden
Intendant: Wilfried Schulz
Redaktion: Dramaturgie / Öffentlichkeitsarbeit
Layout: Anett Hahn,
DMV Dresdner Magazin Verlag GmbH
Redaktionsschluss: 25. 2. 2014
Einmal im Monat laden wir uns nahestehende Persönlichkeiten ein, in unserer Kolumne „Außenblicke“
ihre Gedanken rund um das Theater kreisen zu
lassen.
Im März wirft der stellvertretende Geschäftsführer
der Sächsischen Staatstheater, Pierre-Yves Bazin,
einen Blick von Deutschland aus auf die gegenwärtige Situation der theaterschaffenden Kollegen in
Frankreich. Der aus Lyon stammende Betriebswirt
ist seit 2013 als Geschäftsführer für das Staatsschauspiel Dresden zuständig und war vorher in Berlin
(Sophiensaele, Theater der Welt, Sascha Waltz &
Guests) und am Staatstheater Stuttgart engagiert.
Theaterblicke nach Deutschland und nach Frankreich. Ensembletheater und Gastkünstlertheater.
Repertoiretheater und En-suite-Theater. Ein Vergleich.
Frankreichs Gesamtkulturhaushalt liegt bei 12
Milliarden Euro, der Deutschlands bei 9,5 Milliarden. Da staunen alle, die diese Zahlen lesen. Nach
dem Auseinanderpflücken der Kulturzahlen sieht
es gleich ganz anders aus: Es stehen dem „Spectacle vivant“ in Frankreich knapp 700 Millionen
Euro zu. In Deutschland hingegen stehen Theatern und Orchestern 2,7 Milliarden zur Verfügung.
In Frankreich unterhält lediglich die Comédie
Française als einziges der fünf französischen Nationaltheater ein festes Ensemble.
Ansonsten ist Frankreich das Land der Koproduktionen und Gastkünstler. Die Intendanten dort
sind Netzwerker, produzieren ununterbrochen im
Kompromiss mit anderen. Die Handschrift der
„Directeurs Artistiques“ ist meist nur an der Auswahl der gezeigten Koproduktionen zu erkennen.
Koproduktionen, Festivals und Tourneen sind das
tägliche Brot des Theaterbetriebs. Wo meine
Landsmänner noch den Freiraum für die reine
Kreation finden, ist mir unklar, aber es gibt sie.
Diese Produktionskultur zieht nach sich, dass die
frei arbeitenden Theaterschaffenden abwechselnd
Phasen von Aktivität und Inaktivität erleben müssen. Die Unédic – die Institution, die allgemein in
Frankreich das Arbeitslosengeld verteilt – zahlt an
die dauerhaft unregelmäßig beschäftigten Künstler und Techniker, die sogenannten „Intermittents“, über 1,2 Milliarden Euro im Jahr.
1,2 Milliarden Euro, die man dem Gesamtkulturetat
zurechnen könnte, wenn man Brice Couturier von
France Culture in seiner nicht unpolemischen Chronik vom 17.2.2014 folgen würde. Matthieu Gregoire,
Professor der Soziologie in Amiens, zählt in seinem
Bericht über die „Intermittence“ vor dem Arbeitsausschuss des französischen Bundestags zwei gegensätzliche Haltungen zum Kulturschaffen auf: in
Frankreich fängt man Inaktivitätsphasen auf und in
Deutschland finanziert man Vollbeschäftigung.
Zu glauben, dass die französische Regierung die
genannten 1,2 Milliarden in Kulturgelder umwandeln würde, um künstlerische Aktivität zu stärken, ist leider naiv.
Das Théâtre de la Ville in Paris hat eine Schauspielertruppe gegründet, mit der es sechs Produktionen im Jahr auf die Beine stellt und begründet
diese französische Ausnahme mit dem Sehnen
nach Kontinuität, künstlerischer Innovation und
Publikumsbindung. Während in Deutschland das
Modell des Staatstheaters immer wieder in Frage
gestellt wird anstatt es zu stärken und zu schützen, finde ich das zum Schmunzeln.
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