ZDF Theater.de 25. September 2010 Umjubelte Uraufführung des Bühnenstücks von Tellkamps "Turm" am Dresdner Staatsschauspiel -- Von Torsten Hilscher -Dresden (dapd-hes). Uwe Tellkamps Roman "Der Turm" ist jetzt auch auf der Theaterbühne erfolgreich. Die Bühnenfassung des Bestsellers erlebte am Freitagabend am Staatsschauspiel Dresden eine umjubelte Uraufführung. Seit Wochen war die Stimmung unter den Theaterkennern in Sachsens Landeshauptstadt gespannt. "Wird unser Dresden richtig dargestellt werden?", fragten sie sich, wo doch seit Erscheinen des Buches 2008 das Bildungsbürgertum der restlichen Republik über die versponnene Welt im Dresdner Stadtteil Weißer Hirsch am Loschwitzer Elbhang entzückt ist. Regisseur Wolfgang Engel hatte vorgebaut und auf konkrete Orts- sowie Personenbezüge im Stück verzichtet. Kein romantisches Viertel würde gezeigt, dafür exemplarisch Lebenssituationen in der DDR. Und der Intendant des Staatsschauspiels, Wilfried Schulz, appellierte an das Publikum: "Ich würde Sie bitten, offen und neugierig zu sein und nicht zu schauen, was ist verkehrt." Jens Groß, der mit Armin Petras die Fassung schrieb, schwörte derweil das Garderobenpersonal auf mögliche Reaktionen der Gäste ein: "Was wir zeigen, ist nicht Dresden, ist nicht der Weiße Hirsch, sondern die bildungsbürgerliche Gesellschaft der DDR. Einige aber wollen Dresden und den Weißen Hirsch sehen; ich glaube, dass es eine spannende Auseinandersetzung geben wird." Zunächst aber lag Stille über dem Saal. Engel löste diese Anspannung, indem er jedem Darsteller kurz eine "Loschwitzer Winzermütze" aufsetzen ließ, jene Kopfbedeckung, die Tellkamp gern trägt. Sie sieht sehr eigenwillig aus und war - bevor er berühmt wurde - auch nicht wirklich bekannt. Entsprechend groß war das Gelächter. Bühnenbildner Olaf Altmann hatte neun schwarze Balkone über- und nebeneinandergeschichtet, die als Plattformen dienen: für Feiern auf Terrassen, für Feste in Sälen, für Geflüster in Wohnzimmern oder für das Basteln eines Fluchtflugzeuges. Nur von "Dreeeesdn", wie es ironisch auf der Bühne gesprochen wurde, war nichts zu sehen. Kein Kaffeekränzchen tagte, das "in den M usen-Nestern die süße Krankheit gestern" pflegt, wie es im 972 Seiten dicken Buch heißt. Verwunschene Gärten fehlten. Das Dresden der Jahre 1981-1989, "dieses zerschossene Barockschloss im Waschzuber des Elbtales", war unsichtbar. Dafür gab es Einblicke in Seelenzustände. Abiturient Christian Hoffmann wächst in einer Welt auf, die den sozialistischen Alltag so gar nicht in ihre bröselnden (gemieteten) Villen lassen will und stattdessen vergangene Zeiten atmosphärisch kultiviert und konserviert. Im "Turm". Das muss schief gehen. Denn die Nische ist auch von anderen Nachbarn besiedelt: Vermeintlich gute Altkommunisten sind Zyniker, Stalinisten oder Alkoholiker - in jedem Fall aber M achtmenschen, die "ihre Sache" verteidigen. Individualismus à la Turm ist ihnen suspekt. Christians lebensweiser Lieblingsonkel ist ein Opportunist. Der bürgerliche Arzt-Papa geht fremd. Die nicht mehr junge Jungschriftstellerin wird systematisch fertig gemacht. Immer mit dabei: die Stasi als Untermieter. Engels 100. Inszenierung ist deshalb so gut, weil er eine eindeutige Haltung zum Stoff bezieht - trotz Längen vor der Pause, trotz einer ambivalenten Gestalt wie Baron Arbogast, die zwar von Hanns-Jörn Weber grandios gespielt wurde, und natürlich M anfred von Ardenne meint, aber Nichteingeweihten unerklärlich blieb. Überragende Darstellerin des Abends war Christine Hoppe als Judith Schevola. Am Ende standen Engel und Tellkamp Arm in Arm auf der Bühne. Beide gerührt, das Publikum war versöhnt. Danach teilte Tellkamp dem Suhrkamp-Verlag telefonisch mit: "Es ist etwas Großartiges dabei herausgekommen. Jede Figur hatte ihre Würde, hatte Vorzüge und Fehler, jede war eine gebrochene Existenz, keine Figur wurde denunziert oder lächerlich gemacht." Eine weitere Theater-Fassung des "Turms" soll am 20. November am Hessischen Staatstheater Wiesbaden gezeigt werden. Die Bearbeitung stammt von John von Düffel, Regie führt Tilman Gersch. Am 27. November wird Düffels Bearbeitung zudem am Hans-Otto-Theater in Potsdam aufgeführt. Regie führt Intendant Tobias Wellemeyer, der selbst mehrere Jahre am Dresdner Staatsschauspiel Dresden wirkte. Für 2011 ist die Verfilmung des Romans geplant.